Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Ein prachtvoller Band

 

Singen nennt sich ein prachtvoller Band, verantwortet von Ulrike Roos von Rosen und mit Beiträgen von Hanna Herfurtner, Rudolf Herfurtner und Tristan Braun, während Wilfried Hösl (Fotos) und Christopher Roos von Rosen (Illustrationen) für das Bildmaterial, soweit nicht von Theaterfotographen stammend, verantwortlich sind. Die im Untertitel schmückenden Starnamen sind die von Diana Damrau, Anja Harteros und Jonas Kaufmann, von denen es auch sehr schöne, teilweise ganzseitige Fotos,  fast ausschließlich aus München und Salzburg, zu bewundern gibt.

Einem Irrtum unterliegt, wer erwartet, den Großteil des Buches diesen drei Stars gewidmet zu sehen. Sie tauchen mit Aussagen zu ihrer Kunst eher sporadisch auf, wobei nicht klar wird, wieviel von diesen Originalbeiträge für das Buch oder Übernahmen aus anderen Quellen sind. Es beginnt mit einer euphemistischen Einschätzung des Singens und des Gesangs („..offenbar wohnt dem Singen eine besondere Kraft inne…“), auch Poetisches (Heine „Auf den Flügeln des Gesanges“) wird herangezogen, und es wird großzügig mit dem Platz auf 225 Seiten umgegangen, wenn für manche Themen zwei Seiten vorgesehen sind, von denen eine von einer nicht unbedingt das Thema erhellenden Graphik besetzt wird, eine weitere halbe Seite leer bleibt und der Text nur die letzte halbe Seite einnimmt. Auf die Optik wird generell viel Wert gelegt, so auch mit dem Wechsel von Schwarz und Weiß, mal als Hintergrund mal als Buchstabenfarbe.

Dem Leser wird spätestens mit den Ausführungen zur Bedeutung von Musik vor, während und nach der Geburt klar, dass es sich nicht um ein Buch über die drei auf der Titelseite genannten Stars handelt, sondern das umfassend berücksichtigt wird, was Musik im allgemeinen und Oper im Besonderen tangiert. Es geht also auch um den Stimmapparat, die Entwicklung einer Sängerstimme (hier kommen die drei Genannten zu Wort), um die Bedeutung guter Musiklehrer und Chorleiter, auch einer musikliebenden Familie, als Ermutiger zu einer Sängerkarriere.

Chronologisch aufgebaut bleibt es mit der Schilderung verschiedener Studiengänge, denen es nach einstimmiger Aussage an praxisbezogenen Themen mangelt, es werden die Bedeutung von Bühnenerfahrung und Opernstudios gestreift, die Entscheidung, ob man Solist oder Chorsänger werden wird. Gage, Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Zeitrahmen zum Rollenstudium unterscheiden sich dabei wesentlich voneinander.

Hilfreich ist fast durchgehend die Gliederung des Textes, indem Fragen auf der linken und die dazugehörenden Antworten auf der rechten Seite einen guten Überblick über die Themen gewähren.

Sehr interessant ist, was Kaufmann über die Einstudierung des Florestan, über notwendige Vokalverfärbungen zu berichten weiß, belustigend die Rituale, mit denen Sänger ihre Nervosität vor dem Auftritt zu überwinden versuchen.

Das Kapitel über die Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist wohl weniger der Notwendigkeit, über dieses Thema zu schreiben als der Tatsache zu verdanken, dass man die Autorin zu Wort kommen lassen wollte. Von allgemeinerem Interesse ist da schon das Gespräch zwischen Lioba (Sängerin) und Tristan Braun (Regisseur) über die Anliegen beider Berufsgruppen und den oft schwierigen Umgang miteinander.

Danach ist Schluss mit den Sängern, egal ob Star oder nicht, es kommen andere Berufsgruppen zu Wort, was nicht verkehrt ist, aber doch nicht zu erwarten war. Das heißt nicht, dass man nicht viel Interessantes erfährt, zum Beispiel von der Souffleuse Jana Frank, der Kostümbildnerin Dorothea Nicolai, der Maskenbildnerin Cécile Kretschmar, dem Theaterfotografen Wilfried Hösl, dem Stimmentdecker Toni Gradsack, und auch die Musikkritik wird berücksichtigt.

Schließlich wird noch ein Blick auf das Singen in der Hirnforschung geworfen, die Raumakustik verschiedener Opernhäuser und Konzertsäle werden einer Prüfung unterzogen und das Archiv Salzburg vorgestellt. Schließlich wird das Schlusskapitel dem berühmtesten aller Sänger, Orpheus, gewidmet (Königshaus & Neumann; 224 Seiten, ISBN 978 3 8260 6407 4). Ingrid Wanja

Liebst Du um Schönheit…

 

So richtig entfaltet sich der Duft der Linde noch nicht, doch bei „Dich lieb ich immerdar“ nimmt die Stimme im zweiten der Rückert-Lieder „Liebst Du um Schönheit“ einen magischen Schimmer an. Auf ihrem ersten Solo-Recital singt der Met-Liebling (Jezibaba, Giovanna Seymour, Adalgisa) Jamie Barton, Gewinnerin des Haupt- und Liedpreises 2013 bei der BBC Cardiff Singer of the World Competition und weiterer Preise, darunter des Tucker–Wettbewerbs 2015, Mahler, Dvořák und Sibelius, also eine klassische Auswahl mit den Rückert-Liedern und dem Ciganské melodie im Mittelpunkt. Man mag nicht kleinlich sein angesichts einer solch majestätischen Stimme und des würdevollen Singens, denn Barton legt mit All who wander fraglos ein bemerkenswertes CD-Debüt vor (Delos DE 3494). Die langsam-breiten Passagen liegen ihr besser als die hurtige Raffinesse, bei „Herr über Tod und Leben, Du hältst die Wacht um Mitternacht“, der letzten Zeile in „Um Mitternacht“, entfaltet die weiche Textur ihres Mezzosoprans eine kernige Strahlkraft, demonstriert sie eine stupende Atemführung und volle Tiefe, schöpft mühelos aus der Fülle ihrer üppigen Stimme, verfügt in „In meinem Lieben, in meinem Lied“ (in „Ich bin der Welt abhanden gekommen“) zudem über eine bemerkenswerte Zartheit, die man ihr nicht zugetraut hätte. Ein bisschen mag man an die ebenfalls aus Georgia stammende Jessye Norman denken. Nahtlos folgen drei Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit, darunter „Ich ging mit Lust“, das sie mit Ansätzen von Eleganz und sorgfältiger Textausgestaltung singt, der satte Klang und der noble Vortrag wirken gleichwohl oft ein bisschen gesetzt, um nicht zu sagen matronenhaft. Barton trifft den melancholischen Touch der Dvořák-Lieder, darunter das bekannte „Als die alte Mutter“ (Barton singt, man merkt es nicht auf Anhieb, natürlich tschechisch, wie auch die Sibelius-Lieder im originalen schwedisch erklingen), aber auch die feurige Enflammiertheit von letzten drei Lieder, wo Brian Zeger, wie auch in den sechs Sibelius-Liedern, seine pianistische Bravour und Individualität beweisen kann. Barton bietet für die Sibelius-Lieder ihre reiche Ausdruckskraft auf, ihre Fähigkeit, Stimmungen und nach innen gekehrte Momente auszumalen und festzuhalten. Sie greift weit aus, wobei die Stimme ein klein wenig an Farbe verliert und in der Tiefe auch mal ein wenig plump klingt, und setzt mit dem bekannten Var det en dröm einen wunderbaren Schlussakzent. Viel zu schnell sind die 60 Minuten vorbei.

 

Nanu! Ist das Simone Kermes? Die wilde, rote Lockenmasse würde stimmen. Es handelt sich allerdings um Laura Claycomb. Die Koloratursopranistin aus Texas ist schon gut zehn Jahre länger im Geschäft als ihre Kollegin Barton und machte als Giulietta, Gilda, Lucia, Zerbinetta und Cleopatra Karriere. Diesmal öffnet sie ihr Herz ihrem Gitarristen Marc Teicholz und nahm ein Programm mit Liedern für Sopran und Gitarre auf (Open your heart) – nicht alles Originalkompositionen wie die beiden Villa-Lobos-Lieder Modinha und Aria aus den Bachianas Brasileiras, die vier französischen Lieder des Kodály-Schülers Mátyás Seiber und sechs des ursprünglich für Tenor geschriebenen Zyklus Anon in Love von William Walton – sondern wie Debussy, Blitzstein und de Fallas Siete canciones Bearbeitungen. Open your heart ist sowohl der Titel eines Lieds von Marc Blitzstein wie der Aufnahme (Delos 3483), „not just to love, but to the possibilities the world has to offer in live and friendship“. Claycomb singt mit Geschmack und Stilsicherheit, hat Temperament und Elan, etwa im abschließenden bolerohaften Ouvre ton coeur von Bizet, verfügt in den de Falla-Liedern über ein rauchiges Timbre, das sich in den witzig- charmanten und manchmal drollig-naiven Liedern von Seiber nach volkstümlichen Gedichten glücklicherweise verliert. Dennoch zeigt die Stimme, die Aufnahme stammt bereits aus dem Jahr 2006, trotz aller zarten Schönheit, etwa in der Aria von Villa-Lobos, bereits eine fragile Angegriffenheit, die in den Walton-Bearbeitungen von Gedichten aus dem 16. und 17. Jahrhundert wie weggewischt ist; im elisabethanischen Duktus dieser Lieder kann Teicholz sein Gitarrenspiel besonders zur Geltung bringen.

 

Mit Il bel sogno lässt Carolina López Moreno einen Versuchsballon steigen (ARS 38 754), denn weder die Magda, deren „Chi il bel sogno di Doretta“ der Titel zitiert – wie denn „all die schönen Träume, die in jedem von uns schlummern“ – noch Louise, Liù, Violetta, Juliette und Ilia hat die aus einer albanisch-bolivianischen Familie stammende, in Stuttgart u.a. von Francisco Araiza und Ulrike Sonntag ausgebildete Sopranistin auf der Bühne gesungen. Das merkt man der vorsichtig tastenden Herangehensweise und den unausgereiften Interpretationen an, was dann gelegentlich auch etwas langweilig („Depuis le jour“) und flach gerät („Addio del passato“), die Magda und Ilia stechen da vorteilhaft heraus und zeigen das Potenzial, und die Begleitung durch die tüchtige Pianistin Doriana Tchakarova ebnet ihr auch nicht den Weg durch das fordernde Repertoire. Eine Orchesterbegleitung wäre in vielen Fällen gefälliger gewesen. Mit Freude registriert man, dass López Moreno auch Arien ausgewählt hat, die auf Recitals nicht gar so häufig vertreten sind, neben Ellen Orfords Stickerei-Arie, vor allem die letzte Arie der Blanche aus Previns A Streetcar named desire „I can smell the sea air“, und als gelungenste Interpretationen das Vilja-Lied sowie das reizvolle „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ aus der Robert Stolz-Operette Die Favoritin. Rolf Fath

Donizetti-Rarität

 

Mit Verspätung bringt Hardy die optische Aufzeichnung eines seltenen Donizetti-Werkes vom Festival in Bergamo aus dem Jahre 1984 heraus – Sancia di Castiglia, uraufgeführt 1832 in Neapel im selben Jahr wie der ungleich berühmtere Elisir d’amore. Die zweiaktige Tragedia Lirica auf ein Libretto von Pietro Salatini spielt in Toledo um 990 und sieht die Königin Kastiliens Sancia im Mittelpunkt des Geschehens. Der Sarazenenprinz Ircano hofft auf den Thron und heuchelt Sancia Liebe vor. Die Königin willigt schließlich in die Hochzeit ein, als ihr Sohn Garzia, der die Bindung der Mutter missbilligt, unerwartet von den Kämpfen gegen die Gallier zurückkehrt. Ircano überredet Sancia, den Krönungswein für Garzia zu vergiften, doch sie trinkt ihn selbst und bekennt sich zu dem Verbrechen. Die sterbende Königin erfährt noch einmal die Liebe ihres Volkes, während Garzia den Thron besteigt und Ircano verhaftet wird.

Es ist dies die RAI-Aufzeichnung der damaligen Aufführung, die unter Sammlern nur als verwaschene Kopie, auch als vielbehustetes Audio-Dokument,  kursierte. Und es gab bislang nur einen einzigen akustischen Mitschnitt dieser Oper – mit Montserrat Caballé und José Sempere aus dem Madrider Teatro de la Zarzuela von 1992. Hardy fällt nun das Verdienst der Weltpremiere dieser Tragedia als DVD zu. Regisseur Filippo Crivelli inszeniert in der historisch orientierten Szene von Gianni Quaranta, zu der die prachtvollen Kostüme von Dada Saligeri perfekt korrespondieren, angemessen statuarisch, postiert die Protagonisten gebührend im Zentrum an der Rampe, was ihren Soli die Wirkung sichert.

Am Pult des Orchestra Sinfonica di Milano della Rai steht Roberto Abbado, denn die Rai  fungiert mit ihrer zweiten Ausgabe  des Premio Callas als Kooperationspartner des Unternehmens. Der Dirigent sichert dem Werk sowohl den Schwung als auch die elegischen Stimmungen und führt die beiden Finali zu spanungsgeladenen Höhepunkten.

Franco De Grandis mit weichem, in der Höhe etwas steifem Bass als Ircano eröffnet die Handlung mit einer Kavatine und Cabaletta ganz im Schema der Belcanto-Tradition. Als sein Staatsminister Rodrigo lässt Giuseppe Costanzo einen potenten Tenor mit kraftvoller Höhe hören, der mit der Titelheldin ein ausgedehntes Duett („Comprendo io so“) zu singen hat und auch in mehreren Soli glänzen kann. Deren Auftritt in königlicher blauer Samtrobe inmitten ihrer Hofdamen ist eine typisch dreiteilige Szene mit Rezitativ, der Arie „Io talor più nol rammento“ von beklommener Stimmung und einer bewegten Cabaletta „Se contro lui“. Antonella Bandelli ist nicht nur eine schöne Frau, sondern auch Trägerin eines farbigen und flexiblen Soprans. Die Stimme fließt, klingt angemessen melancholisch und serviert die acuti mit Sicherheit und Durchschlagskraft. Die Finalszene mit dem Giftbecher in der Hand („Vanne Ircano“) absolviert sie in großer Manier, einer Primadonna würdig. Ihr Sohn Garzia bedient in der Alt-Notation das klassische Schema der Hosenrolle. Adriana Cigogna singt sie mit jugendlichem Feuer und kultivierter, strömender Stimme (Foto oben: Dionilla Santolini, die erste Sängerin des Garzia in „Sancia di Castiglia“/ Opera Rara). Bernd Hoppe

Marzanos „Normanni a Salerno“

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Eine seit langem vergessene Oper, die ihre (zu kurze) Auferstehung verdiente, ist rund 185 Jahre nach der Geburt des Musikers und Komponisten Temistocle Marzano wiederentdeckt worden. Marzano, Lieblingsschüler von Mercadante, wurde von Salerno, seiner Adoptivstadt , damit geehrt, dass sie seine Oper I Normanni a Salerno im Januar 2006 mit Erfolg in eben dieser Stadt, Salerno, wiederaufführte.

Diese Oper, die 1872 das Teatro Verdi von Salerno eröffnete, ist danach wegen ihrer Komplexität nie wieder gegeben  worden. Vier Akte, drei Stunden Musik, fünfzig Orchestermitglieder, vierzig Choristen, mehr als fünfzig Tänzer und Statisten – das erfordert einen enormen Aufwand. Die Wieder-Produktion und Edition der Oper stammte von Eugenio Paolantonio, dem Vorsitzenden der Salerner Organisation, die eine informative website zum Thema unterhält. Die Orchesterleitung der Wiederentdeckung hatte man Giovanni Battista Bergamo  anvertraut,  der  sich  in der Vergangenheit für seinen Einsatz im italienischen Musiktheater einen Namen gemacht hatte. Und die allgemeinen Bemühungen umfassten quasi den ganzen Ort, wie man den zum Teil anrührend-naiven Aufführungsfotos entnehmen kann – es war ein Werk der Liebe.

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„I Normanni a Salerno“: Der Komponist Temistocle Marzano/ OBA

Die Geschichte spielt  im  12.  Jahrhundert, als die Normannen unter Wilhelm Eisenarm, Sohn von Tancredi d’Altavilla, der Stadt Salerno gegen den Ansturm der  Sarazenen zu Hilfe eilen. Die Geschichte erinnert an den Widerstand der Bevölkerung von Salerno und an die unglückliche Liebe zwischen Bianca, Tochter des Königs Guaimaro und Verlobte von Guglielmo, zu  Ainulfo, Verräter am eigenen Volk und an seinem Glauben. Dieser dringt heimlich in den Palast ein, um Bianca vor ihrer Hochzeit zu entführen, womit er scheitert. Er droht, den König Guaimaro zu ermorden, und begeht schließlich Selbstmord, um der Selbstjustiz durch das Volk zu entgehen.

Die Wieder-Aufführung war Teil eines größeren Projektes, das sich „Die Normannen in Süditalien“ betitelt. So wurden die majestätischen Türme und Burgen entlang der Südküste, wo der Einfluss der Normannen noch abzulesen ist, zu Schauplätzen von Aufführungen, auch von Opern.

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Komponist, Oper und geschichtliches Umfeld: Die Oper I Normanni a Salerno wurde zum ersten Mal am Teatro Verdi von Salerno am 11. Juni 1872 gezeigt und hatte bei Publikum und Kritik großen Erfolg. Dirigent war der Komponist selbst, der nicht zuletzt wegen dieses Erfolgs berechtigte, aber später nicht erfüllte Hoffnungen hegte, dass sein Werk auch an größeren Bühnen aufgeführt werden würde. Die Kosten für die Salerneser erwiesen sich jedoch als zu hoch, und das Vergessen senkte sich – wie es schien, für immer – über das Werk. Einen lobenswerten Rettungsversuch unternahm dann der Mediziner und Opernenthusiast Guglielmo Longo, der in den dreißiger und später noch einmal in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit auf den Komponisten und sein Werk lenkte.

„I Normanni a Salerno“: Blick auf das Teatro Municipale Giuseppe Verdi und die Via della Indipendenza Ende des 19. Jahrhunderts/ OBA

Temistocle Marzano hat nur  wenig  über sein Leben hinterlassen. Herausragend ist sein Studium bei Mercadante. Neben seiner Oper  I Normanni  erinnert  man sich vielleicht noch an La Perseveranza (Mailand 1872). Informationen über sein Leben sind fragmentarisch. Er wurde 1820 in Procida geboren und starb 1896 in Salerno. Seine Studien vollendete er am Real Collegia di  Musca  und  am  Conservatorio  S. Pietro a Majella  in Neapel, wo er  mit Florimo (Belinis Freund) und Cesi  zusammmentraf und von  Zingarelli und Mercadante (seit 1840 Direktor des lnstitutes) unterrichtet wurde. Mercadante selbst hielt ihn für seinen besten Schüler. Nach seiner Ausbildung ging Marzano (so sein Biograf Longo) nach Civittavecchia, dann nach Salerno, wo er am Jesuitenkolleg als Maestro Concertatore angestellt war, danach als Leiter des bekannten Theaters La Flora. Von 1869 bis zu seinem Tode stand er dem Orchester und der der Scuola des Waisenhauses (Scuola Musicale dell’Orfanotrofio Umberto I.) und der eigens gegründeten Banda Municipale (1887) vor. Später wurde dann er Direktor des Teatro Verdi in Salerno; und als glühender Patriot und  Maestro di Capella Pontificio für Pius IX. verfasste er ein reiches geistliches Oeuvre (darunter ein Requiem, ein Magnificat und eine Messe) neben umfangreicher Gelegenheitsmusik.        

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Die Oper I Normanni muss  man, ohne zu  übertreiben, als eindrucksvoll  bezeichnen. Der musikalische Stil Marzanos erinnert (eben in der Folge Mercadantes) weniger die überschäumenden Einfälle einer buffa  Rossinis, als vielmehr Echos von Bellini und Donizetti sowie letzten Endes auch von Verdi. Die Einflüsse einer Lucia auf Bianca, der weiblichen Hauptrolle, sind nicht zu überhören. Die Rivalität zwischen zwei Familien und der Konflikt zwischen Vaterlands­ und persönlicher Liebe finden sich sowohl bei Bellini als auch in den Normanni.

„I Normanni a Salerno“/ Szene/Aufführung im Teatro Politeama in Neapel 2007/ INAS

I  Normanni a Salerno sind eine opera seria in starken Farben, deren interessante Musik einerseits  die  vielfältigen  Einflüsse des Königlichen Musikkollegs von Neapel widerspiegeln und andererseits die des zeitgenössischen(!) melodramma Verdis. Die Charakterzeichnung eines Don Carlo oder eines Ernani findet sich auch in der Psychologie einer Figur wie der des eifersüchtigen und gewalttätigen Ainulfo oder dem eher heroischen Guaimaro, der einem Bass anvertraut  ist und nicht –  wie damals  üblich – einem Tenor. Die Rollen sind so beschaffen, dass sie nicht leichte, sondern kraftvoll­ heroische spinto-Stimmen für die Sopran-, Tenor- und Baritonpartie erfordern. Und in der Tat ist die Baritonrolle des Guglielmo einem Silva oder Posa nicht unähnlich.

Der Wunsch nach dem Zeitgemäß­/Modischen lässt sich auch an der Verwendung von zeitgenössisch beliebten Musikstücken erkennen: man findet Triumphmärsche, Fanfaren, brillante Walzer, romantische Melodien, volkstümliche Tarantellen, Gebete und vieles von dem, was wir auch bei Verdi hören – etwa den raschen Wechsel zwischen in sich abgeschlossenen Gesangsnummern und  Rezitativen. Es fehlen durchaus nicht originelle harmonische Lösungen und ungewöhnliche Melodien. Bestimmte musikalische Themen  sind einzelnen Personen zugeordnet, Leitmotiven vergleichbar,  aber später auch in Verdis Aida und dann von Puccini verwendet. Der Chor ist in die Handlungen eingeflochten, wie in den Opern Verdis, und kommentiert die Aktion, drückt die Meinung des Volkes aus, vergleichbar mit der Rolle des Chores im antiken Drama. Ihm gebührt auch das Erflehen des göttlichen Eingreifens, was im Intermezzo von Cavalleria erneut der Fall ist. Die Verbindungen Mascagnis mit Salerno sind ja hinreichend bekannt: Franz Carella benannte 1925 nach dem Komponisten und Freund das historische Liceo Musicale und 1933 das Orchestra Sinfonica „Mascagni“, das dieser begründet hatte und bis zu seinem Lebensende leitete.

„I Normanni a Salerno“/ Szene/Aufführung im Teatro Politeama in Neapel 2007/ INAS

Unüberhörbar sind in Marzanos Oper ebenfalls die Einflüsse der später von Mascagni verwendeten Tradition, die auf dem Blasorchester, der banda, von Salerno fußt und die unüberhörbar in der Instrumentation der Normanni vorhanden ist – der Hörnerchor, die Basstuba und die Blechbläser generell. Natürlich ließ auch Verdi sich von den bande musicali Italiens beeinflussen. Und Marzano war ja eine Zeitlang Chef der regionalen banda. Das positive Urteil des kompetenten und strengen Publikums der damaligen Zeit wird von den musikalischen Fachleuten heute bestätigt und lässt keinen Zweifel aufkommen an der Qualität und damit der Bedeutung  der  Musik Marzanos.

Das Libretto der Normanni stammt von eben jenem Leone Emanuele  Bardare, der von Verdi gebeten wurde, das Libretto des Trovatore zu vollenden.  Zudem passte er das Libretto von Rigoletto den Forderungen der Zensur an. Vieles erinnert im Libretto der Normanni an Ernani – die dramatische Erzählweise, die inneren Konflikte der Hauptpersonen, die plötzlichen Wendungen der Handlung, oder auch die Unterbrechung des Festes am Schluss des ersten Aktes – eine für das 19. Jahrhundert typische Klimax, die Emphase des szenischen Wortes. Ainulfos Arie „T‘ invola“ erinnert an „Ernani, Ernani, involami“ und bekundet die Erfahrung in der Zusammenarbeit des Librettisten mit Verdi.

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„I Normanni a Salerno“/ Abschlussvorhang von Domenico Morelli im Teatro Verdi zu Salerno/ OBA

Die Handlung selbst fußt auf einer historisch nicht belegten Episode, nach der zu Beginn des Eindringens der Normannen in Süditalien (1016) vierzig Soldaten auf  der  Rückkehr von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land In Salerno Rast machten und die Stadt  von den Sarazenen belagert antrafen. Die Kreuzritter  boten  dem Langobardenkönig Guaimario III. ihre Hilfe an und besiegten die Ungläubigen. Wahrscheinlich hatte der König selbst die Normannen zu Hilfe gerufen, die nach Italien als Söldner gekommen waren. Auch die dann nicht vollzogene Hochzeit zwischen Bianca und Guglielmo Braccio di Ferro beruht wohl eher auf dem historischen Wissen um Hochzeiten zwischen langobardischen Prinzessinnen und normannischen  Condottieri.

Das musikalische Drama scheint also auf einigen historischen Episoden zu beruhen, die in eine bewusst patriotisch gestaltete Geschichte umgeformt wurden. Das Feiern des heroischen Widerstandes von Salerno und des Opfers von Bianca stellt eine klare Verherrlichung der Stadt und ihrer politischen Klasse dar, was auch am Beginn des Librettos die Widmung für die Stadt beweist.

Und 2023 im August erneut eine Aufführung in Pompeji!

Nach der Einigung Italiens erlebte auch Salerno dank der Aktivitäten seines ersten Bürgermeisters einen großen Aufschwung – gekrönt vom Bau eines Opernhauses, dem Teatro Municipale, später Teatro Verdi, das 1871 vollendet wurde. Die den Aufschwung tragende liberale Bürgerschaft strebte nach einer historisch untermauerten Legitimation, was u.a. durch die Förderung der Kultur, insbesondere der Oper, gewährleistet war. Das Sujet der Normanni sollte außerdem den patriotischen Zusammenhalt der Bürger befördern. In Bezug auf die Religion war man nicht zimperlich, die Sarazenen als Ungläubige zu diskriminieren, wie es der Chor im zweiten Akt zeigt.

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Ingrid Wanja übersetzt tapfer und unverzagt aus dem Italienischen für uns – Danke Ingrid!

Verbreitung: In  dieser nur einen  Aufführung der  Oper in Salerno nach der Premiere 1871 nun im Januar 2006 hatte das Teatro Verdi kompetente Sänger versammelt. Die Rolle des Guaimaro, Fürst von Salerno, wurde dem Petersburger Bass llia Popov gesungen. Gianni Mongirdino/Tenor war der Condottiere Ainulfo. Der Bariton Sergio Bologna war der Herzog Guglielmo Eisenarm. Berta,  die  Vertraute von Bianca, wurde von der Mezzosopranistin Ekaterina Metlova gegeben. Bianca wurde von der Sopranistin Sabrina Messina gesungen. Der Tenor Massimo Ferri verkörperte Guaimaro und Agar. Der Chor Patanero aus Alessandria wurde von Gian Marco Bosio geleitet. Giovanni Battista Bergamo dirigierte das Ganze, sowohl in Salerno 2006 wie auch in einer weiteren Gastvorstellung im Politeama von Neapel im Jahr darauf (2007). 2009 gab die Sopranistin Patrizia Morandini in Lissabon ein Recital mit Auszügen aus der Oper zum Klavier. Danach versank die Oper wieder in ihren gut geübten Schlaf. Was ein Jammer ist. Zumindest kursiert ein mehr oder weniger grauer Mitschnitt auf einem dto. Label.  Geerd Heinsen

 

Der Artikel beruht in Teilen auf der Einführung von Ginevra de Majo im Programmheft zur Aufführung in  Salerno 2006. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Unbeirrbare Ernsthaftigkeit

 

Die Deutsche Oper Berlin schreibt: „Noblesse und Souveränität, Vielseitigkeit und unbeirrbare Ernsthaftigkeit der künstlerischen Arbeit“ – die Worte, die Intendanten, Musiker und Journalisten wählten, wenn sie die künstlerische Persönlichkeit von Jesús López Cobos (Toro-Zamora, 25. Februar 1940 – Berlin, 2. März 2018 ) beschrieben, zeigen in auffälliger Übereinstimmung, wie sehr dieser Dirigent zeitlebens das Gegenteil eines glamourösen Pultstars war. Und vermutlich wusste auch Götz Friedrich, dass er genau so einen Musiker brauchte, als er den Spanier 1981 als Generalmusikdirektor an die Deutsche Oper Berlin holte, um gemeinsam mit ihm den Erneuerungsprozess des Musiktheaters zu beginnen. Neun Spielzeiten lang gestaltete López Cobos diese Zeit mit, die zu einer der glanzvollsten des Hauses werden sollte, und dirigierte in dieser Periode eine Vielzahl von Produktionen, die eindrucksvoll die Bandbreite seines musikalischen Interesses zeigen: Die Neuproduktion von Wagners Ring des Nibelungen  in der Regie von Götz Friedrich war sicher das spektakulärste Ereignis dieser Ära, doch der stilistische Horizont von López Cobos umfasste ebenso Operetten wie Offenbachs Orpheus in der Unterwelt oder Stücke wie Meyerbeers Die Hugenotten, Bergs Lulu und Verdis Forza del Destino. Dabei verstand sich der Spanier stets als Ermöglicher auch kontroverser szenischer Sichtweisen, sicherte die musikalische Qualität und Präzision im Kontakt zwischen Bühne und Orchester.

Gelernt hatte der 1940 im kastilischen Toro geborene López Cobos sein Handwerk bei den beiden wichtigsten Dirigierlehrern der Nachkriegszeit, bei Franco Ferrara und vor allem bei Hans Swarowsky in Wien und hatte in der Folgezeitdurch den Gewinn internationaler Dirigentenwettbewerbe schon bald auf sich aufmerksam gemacht. Schon früh kam er nach Berlin, wo er an der Deutschen Oper bereits mit 31 Jahren, am 30. April 1971, mit Puccinis Oper La Bohème debütierte. Parallel zu seiner internationalen Karriere entwickelte sich in den Folgejahren auch seine Beziehung zu diesem Haus, wo er schon vor seinem Amtsantritt sechs Neuproduktionen dirigierte, darunter Wagners Tannhäuser und Rossinis Turco in Italia, aber auch die Barockoper La Calisto von Francesco Cavalli.

Von 1981 bis 1990 war López Cobos Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin und von 1984 bis 1988 darüber hinaus Musikdirektor des Spanischen Nationalorchesters. 1986 bis 2000 war Jesús López Cobos Chefdirigent des Cincinnati Symphony Orchestra, sowie von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Kammerorchesters von Lausanne. Von 2002 bis 2010 war er Musikdirektor des Teatro Real in Madrid. Er starb am 2. März 2018 in Berlin (Foto oben: Javier de Real/Deutsche Oper Berlin).

Louis Roney

 

American tenor, in Winter Park, Florida, on November 5 2017, aged 96. Born in Atlanta on 26 January 1921, Louis Roney studied at Harvard and, aged 27, sang Cavaradossi with the New York Philharmonic under Mitropoulos, launching a career that combined opera and concert work. He sang a number of leading dramatic roles, including Rodolfo, Don José, Radames, Otello and Herod, in Hartford, Houston, New Orleans, San Diego and Seattle.

At the 1956 Maggio Musicale in Florence he sang Almanzor in Cherubini’s Gli Abeceragi opposite Anita Cerquetti (this and his Jésus opposite Régine Crespin in the 1976 first American performance of Massenet’s Marie-Magdeleine remain available on live recordings). His European career took him to Brussels (Hoffmann), Mannheim (Admète, Erik, Gustavo), Lyon (Florestan), Monte-Carlo (Faust), Strasbourg (Énée with Rita Gorr and Števa in the 1962 first French performance of Jenůfa) and Paris (Aegisth). Roney continued to perform in concert and taught for a quarter of a century at the University of Central Florida.   David Shengold

 

Mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors und John Allisons, Chefredakteur des britischen Opernmagazins Opera (The world´s leadings Opera magazine), wo dieser Artikel in der Januarausgabe 2018 erschien und uns überlassen wurde. Danke an beide/ Foto oben: Louis Roney als Almansor in Cherubinis „Abenceragi“ beim Maggio Musicale Fiorentino 1956/ Cetra. G. H.

Enttäuschend

 

Wie Sonya Yoncheva (bei Sony) hat  auch Joseph Calleja ein neues Verdi-Album veröffentlicht (Decca 483 1539), das einige Überraschungen bereithält. Mit dem Macduff in Verdis Macbeth hatte Calleja als ganz junger Sänger in  seiner Heimat Malta debütiert und später vor allem die lyrischen Partien des Komponisten interpretiert – Fenton in Falstaff, Duca in Rigoletto und Alfredo in La traviata. Der Gabriele Adorno in Simon Boccanegra war ein erster Schritt in Richtung des Zwischenfachs und das neue Recital nimmt diesen Weg auf, präsentiert Partien, welche der Tenor bisher noch nicht auf der Bühne gesungen hat. Da würde man zuvörderst an den Gustafo im Ballo in maschera denken, für den Callejas Stimme mit ihrer betörenden lyrischen Emphase, dem Schmelz und der zärtlichen Süße ideal erscheint. Leider fehlt diese Partie in der Auswahl. Dafür gibt es als Einstieg Radamès’ berühmte „Celeste Aida“, jene gefürchtete Auftrittsarie des Helden, welche am Ende ein hohes B als descrescendo bis ins  piano verlangt. Calleja meistert diese Hürde imponierend, bietet insgesamt mit schwärmerischem Ton die lyrische Seite des Helden. Das trifft auch für den Manrico aus dem Trovatore zu, dessen beiden großen Soli – das lyrische „Ah! si ben mio“ und das heroische „Di quella pira“ – sowohl in ihrer Bewältigung der Tessitura als auch der Mischung aus Flexibilität und Attacke überzeugen. Der Alvaro in der Forza del destino dürfte live noch in fernerer Zukunft liegen, gleichwohl besticht das „Oh, tu che in seno agli angeli“ durch den emphatisch-sehnsüchtigen Ton. Und es wird vom begleitenden Orquestra de la Cominitat Valenciana unter Ramón Tebar sehr atmosphärisch eingeleitet, wie dieser Klangkörper überhaupt mit vielen Farben und Zwischentönen aufhorchen lässt. Im Duett mit Carlo, „Invano, Alvaro“, assistiert dem Tenor der Bariton Vittorio Vitelli, der auch als Posa neben Callejas Don Carlo in Verdis gleichnamiger Oper in Erscheinung tritt und eine kernig-robuste Stimme hören lässt.

Die letzten vier Titel sind dem Titelhelden in Verdis Otello vorbehalten, jener Partie, die wohl erst ganz spät (oder nie) in Callejas Karriere kommen wird. Und hier spürt man deutlich, dass dem Interpreten die Erfahrung mit dieser Rolle auf der Bühne fehlt. Im Liebesduett ist der Tenor mit Angela Gheorghiu, im Racheduett wieder mit Vitelli zu hören. Sie berührt mit zarten, träumerischen Gespinsten, er ist als Jago der gebührend verführerische Intrigant. Es gibt durchaus überzeugende Details in Otellos Monolog „Dio! mi potevi scagliar“, den er mit bebender Stimme wiedergibt, oder seiner Todesszene „Niun mi tema“ mit einem ersterbenden „un’altro bacio“, aber insgesamt überwiegt der Eindruck des Verfrühten, Unfertigen. Bernd Hoppe

Frank Corsaro

 

American director, in Suwanee, Georgia, on November 11, aged 92. Born in New York City on 22 December 1924, Frank Corsaro rose to prominence at New York City Opera with a 1958 production of Carlisle Floyd’s Susannah later seen at the Brussels World Fair. He became one of NYCO’s most innovative directors, collaborating with the singing actresses Patricia Brooks and Maralin Niska as well as the future international stars Beverly Sills, Plácido Domingo, Carol Neblett and Norman Treigle. He offered fresh takes on standards such as La traviata and Madama Butterfly, and directed NYCO productions of The Cunning Little Vixen, The Makropoulos Case and Die tote Stadt, the last two notable for their pioneering use of video projections, and the premiere of Lee Hoiby’s Summer and Smoke (1971). He also directed the premieres of Floyd’s

Of Mice and Men (Seattle, 1970) and Thomas Pasatieri’s The Seagull (Houston, 1974). His lone outing at the Metropolitan Opera (1984) was a transfer of his 1982 Ottawa staging of Rinaldo, the Met’s first-ever Handelian venture.

He wrote librettos for Pasatieri (Frau Margot) and Stephen Paulus (Heloise and Abelard). Corsaro played small roles (including Launcelot Gobbo in several productions of The Merchant of Venice), and went on to direct ten Broadway shows (1955-80) including The Night of the Iguana (1961) and Treemonisha (1975), with Carmen Balthrop and Willard White.

He was the director of the prestigious Actors Studio from 1988 to 1995 and continued to direct opera, particularly at the Juilliard School. David Shengold

 

Mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors und John Allisons, Chefredakteur des britischen Opernmagazins Opera (The world´s leadings Opera magazine), wo dieser Artikel in der Januarausgabe 2018 erschien und uns überlassen wurde. Danke an beide/ Foto oben: Frank Corsaro/ youtube

Beginn einer interessanten Reihe?

 

Er war die Eröffnungspremiere der Dresdner Staatsoperette im Dezember 2016 im neuen Haus der Dresdner Staatsoperette und er könnte der Erste in einer neuen Reihe ihrer Veröffentlichungen sein: Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach, dem bereits ein zweiter Band in ähnlicher Aufmachung mit dem über Bernsteins Wonderful Town folgte. „…was Musik bewirken kann.“ ist der Titel des Buches, und es bezeichnet sich als „Eine Werkmonographie in Texten und Dokumenten“, zu der Intendant Wolfgang Schaller das Vorwort schrieb und für die Heiko Cullmann und Michael Heinemann verantwortlich sind.

Verschiedene Autoren äußern sich zu sehr unterschiedlichen Themen, mal dicht am Sujet und umfassend wie Peter Hawig, dessen Kapitel so auch mit dem Werksnamen betitelt ist, mal weit abschweifend in die Operetten- oder auch Musikliebhaber nicht besonders interessierenden Sphären wie Ulrike J. Sienknecht mit einem auf die falsche Fährte führenden „Zahme Tiere“,  eher allgemein wie Dieter David Scholz über den „Beginn eines Genres“, mal sehr speziell wie Jean-Christophe Kecks Ausführungen über ein verlorenes und wiedergefundenes Neptun-Ballett, das zeitweilig zum Stück gehörte. Die meiste Fleißarbeit dürfte in der tabellarischen Gegenüberstellung von vier Fassungen der Operette stecken, die ähnlich wie der Hoffmann oftmals bearbeitet wurde. Das Bildmaterial besteht aus historischen Aufnahmen aus dem Zweiten Kaiserreich, das ebenso parodiert wurde wie die damals jedem halbwegs Gebildeten vertrauten Mythen der alten Griechen.

Zu Beginn werden Handlung und Besetzung der beiden Fassungen von 1858 und 1874 einander gegenübergestellt. Dieter David Scholz verfolgt die Veroperung des Orpheus-Stoffes durch die Musikgeschichte, klärt den Gattungsbegriff opéra bouffon und beschreibt die schwierige Lage der Offenbach-Philologie. Er erklärt den Orpheus zum Modell der Mythentravestie (Gluck-Parodie!), schildert Offenbach als Theatergründer und charakterisiert dessen musikalische Schöpfungen. Peter Hawig vermittelt dem Leser, wie viele Orpheus-Opern und Parodien dazu es bereits vor Offenbach gab. Manchmal überschneiden sich die Inhalte der Autoren, was den Wert des Buchs nicht mindert, denn jeder von ihnen weiß interessante Aspekte aufzugreifen. So werden in diesem Artikel Operette und Offenbachiade einander gegenübergestellt und die „Zutaten“ zu Letzterer erläutert. Erfrischend ist die eindeutige Stellungnahme zur heutigen Aufführungspraxis, wenn von einem „Prokrustesbett eines flegelhaften Regietheaters“ die Rede ist.

Autor Keck ist nicht nur der Interpret, sondern offensichtlich auch der Besitzer des lange Zeit verschollen gewesenen Ballett-Aktes aus dem Reich des Neptun, gefunden in einer zweibändigen Partitur, die auf einem Dachboden lagerte. Interessant ist, dass daraus die sogenannte Spiegel-Arie stammt. Über die „moralische und ästhetische Ambivalenz“ der Offenbachschen Höllenmusik, ja der gesamten Gattung, referiert Stefan Frey, der den berühmten Galopp, mit dem es ab in das Inferno geht, als „dies irae verdrängter Begierden“ apostrophiert. Sehr interessant ist der Beitrag von Ludger Udolph über Orpheus in der Kunst der 19. Jahrhunderts, wobei Novalis mit seinen Hymnen an die Nacht und dem Roman Heinrich von Ofterdingen“eine bedeutende Rolle spielt. Äußerst erhellend ist auch die Tatsache, welche Rolle für Goethe und seine Zeitgenossen die Vokabel „orphisch“ spielte, die dem „Apollinischen“ zugeordnet wurde, dem Gegenpol zum Dionysischen. Es fehlen auch nicht Hinweise auf Vertonungen des Orpheusstoffes, sogar wenig bekannter, und auf Parodien, sogar ein pornographisches russisches Ballett.

Philosophisch, psychologisch, soziologisch und noch vieles andere einschließlich polemisch wird es mit dem Beitrag von der bereits erwähnten Ulrike J. Sienknecht, von der unter anderem der Satz „An  die Betroffenheit und wieder weg von ihr!“ im Gedächtnis bleibt. Der arglose Operettenfreund dürfte damit wenig anfangen können.

Handfester und damit besser verdaulich und erbaulich wird es wieder mit Stefan Heinemanns Beitrag über die Öffentliche Meinung, Ersatz für den Chor in antiker Dichtung, die durchaus, auch mit Hinweis auf Kachelmann und Wulff, kritisch gesehen wird, auch weil sie von den Mächtigen manipuliert werde.

Dokumente zur sogenannten Janin-Affaire, Offenbach nutzte die scharfe Kritik, um sein Werk ins Gespräch und damit zum Erfolg zu bringen, bilden vor dem Vergleich der vier Fassungen den Schluss des vielseitigen Buches, das viele interessante Themen und Sichtweisen in sich vereint (Staatsoperette Dresden 2016;  ISBN 978 3 945363 55 3). Ingrid Wanja      

Karriere-Pasticcio

 


Manchmal findet der Fan neue Einspielungen von Countern, deren Werk-Zsammenstellung unerwartet und überraschend erscheint. Dieses Kunststück schafft der Florentiner Filippo Mineccia mit seiner neuen CD Siface, L’amor castrato. Die Arien, die Mineccia singt, wurden überwiegend für den Kastraten Giovanni Francesco Grossi (1653–1697) komponiert, der unter dem Namen Siface bekannt war – einem Künstlernamen, den er früh durch seine erfolgreiche Interpretation des Siface in Cavallis Oper Scipione Africano während des Karnevals 1671 in Rom erhielt. Grossi wurde ermordet, genauer gesagt mit Vorderladern erschossen, weil er eine Affäre mit einer adligen Frau hatte, deren Brüder die Affäre nicht billigten. Kastraten waren anscheinend nicht nur die Popstars ihrer Epoche, sondern auch Liebhaber ohne Schwangerschaftsgefahr (ein Aspekt, den die holländische Autorin Margriet de Moor vor ca. 20 Jahren in ihren Roman Der Virtuose einfließen ließ). Siface sang in Rom in vielen Oratorien, war italienweit aktiv und schaffte es sogar 1687 nach London, wo er allerdings nicht öffentlich auftrat, sondern zu privaten Anlässen und am Hof sang. Dort lernte er Henry Purcell kennen, der beim Abschied des Sängers „Sefauchi’s farewell“ in d-Moll für Cembalo komponierte, das auch auf dieser Einspielung enthalten ist.

Filippo Mineccia/ Foto www.filippomineccia.com

Die CD ist ein Karriere-Pasticcio Sifaces (allerdings ist nicht jede Rolle zweifelsfrei verbürgt), das von 1671 bis 1697 reicht. Zu hören sind 15 Arien aus Opern und Oratorien von Alessandro Stradella (San Giovanni Battista und La Susanna), Carlo Pallavicino (Vespasiano), Francesco Cavalli (Scipione Africano), Pietro Simone Agostini (Il ratto delle Sabine), Carlo Ambrogio Lonati (I due germani rivali), Antonio Giannettini (Ingresso alla gioventù di Claudio Nerone), Bernardo Pasquini (I fatti di Mosè in Egitto) Giovanni Battista Bassani (Il Giona) und Alessandro Scarlatti (La Giuditta) sowie ein lieblicher Song von Henry Purcell („My song shall be alway“). Die Arien folgen noch nicht dem Dacapo-Aufbau, sind oft kurz und strophisch mit Fokus auf Ausdruck und Verzierungen sowie von Instrumentalritornellen begleitet; Mineccia hat an einzelnen Arien kleine Veränderungen vorgenommen oder Wiederholungen zugefügt, um die Dramatik zu erhöhen. Bemerkenswert gut gelungen ist die Auswahl, die spannende Musik mit eingänglichen Affekten und Emotionen präsentiert und die heutzutage etwas vernachlässigte Epoche am Ende des 17. Jahrhunderts frisch beleuchtet und belegt, daß damals einiges konzipiert und komponiert wurde, worauf die Affekt-Arien des 18. Jahrhunderts aufbauten. Es gibt bspw. ein heldisch-renitentes “Soffin pur rabbiosi” (Stradella), ein eifersüchtig gequältes “Hora si ch’assai più fiero” (Cavalli), das sehnsüchtige “Sorgi o bella da le piume” (Agostini), die kriegerischen “Tremino, crollino” (Lonati) und “Voglio guerra” (Agostini), das unglückliche “Core misero” (Bassani) und das erregte „Ma folle è ben chi crede“ (Stradella). Die längste Arie, vielleicht die schönste und bemerkenswerteste Arie, in der Zusammenstellung die späteste Arie (1697), steht am Schluss dieser schönen Zusammenstellung – Alessandro Scarlattis einfaches und dunkel-sanftes “Dormi o fulmine” aus dem Oratorium  La Giuditta bleibt im Gedächtnis.

Filippo Mineccia gelingt es, die Farbe, Flexibilität und Schönheit seiner Altstimme ideal zu präsentieren, sein weiches, aber viriles Timbre nimmt den Zuhörer ein, die Auswahl ist hörbar für ihn gemacht, ein Kaleidoskop von Liebe und Eifersucht, Leidenschaft und Zweifel. Dirigent Javier Ulises Illán und 13 Musiker des Enembles Nereydas spielen mit Schwung und Ausdruck, aufnahmetechnisch befindet man sich mitten unter den Musikern, sie sind gleichberechtigt neben der Singstimme und nicht hinter ihr positioniert – eine gute Entscheidung, bei der man akustisch unmittelbar nahe dabei zu sein meint. Fünf Ouvertüren von Stradella (San Giovanni Battista und La Susanna), Bernardo Pasquini (La Sete di Cristo), Pallavicino (Il Bassiano) und Bassani (La tromba della divina misericordia) runden zusätzlich das rundum gelungene Programm ab. (Siface L’amor castrato, Glossa, GCD 923514Marcus Budwitius

Keine ungetrübte Freude

 

Nicht die erwartete reine Freude aufkommen lässt die neue Sony-CD (88985417982) von Sonya Yoncheva, die sich diesmal ausschließlich Giuseppe Verdi widmet, dabei allerdings eine weite Spanne zwischen einem der frühesten und einem der spätesten Werke umfasst. Das bedeutet auch, dass sie sich für die Stimme völlig unterschiedlichen Aufgaben stellt zwischen der aufbrausenden Abigaille aus Nabucco und dem verhaltenen Ave Maria der Desdemona aus Otello.

Die leidenschaftlichen Damen Abigaille und Odabella gelingen der Sängerin da besonders gut, wo die sehr präsente, dunkel schillernde Mittellage gefordert ist, aber klettert die Stimme in die unverzichtbare Höhe, wird sie recht scharf, was man nicht zur Gänze dem Charakter der Personen anlasten kann. Auch stört ein allzu heftiges Vibrato, während ein großes Plus des Soprans die melancholische Färbung ist, die nur ganz selten auch mal ins Weinerliche umschlägt. Die Diktion ist nicht immer die beste, während das leichtgängige An- und Abschwellen der Stimme, die großzügige Phrasierung und das hörbare Wissen um die Partien, auch bei den noch nicht auf die Bühne gebrachten, den Hörer immer wieder versöhnen.

Für Luisa Miller, von der sie nicht die erste, koloraturgesättigte Arie, sondern „Tu puniscimi“ singt, wird die Stimme etwas zu unruhig geführt, in der Arie der Lina aus dem ersten Akt von Stiffelio sind die Höhen recht scharf, während  „Pace, pace“ mit  wunderschönem An- und Abschwellen der Stimme, herrlich dunkler Mittellage und sehr ausdrucksvoll gesungen wird. Im bereits erwähnten Ave der Desdemona schwingt die Situation des Angstvollen, der düsteren Vorahnung mit, für die Gesamtpartie wünscht man sich mehr Wärme und Rundung für den Sopran.  Amelia Boccanegras Auftrittsarie wird sehr schön phrasiert, ergeht sich in angemessenem canto elegiaco, klingt nur in der Höhe wieder ein wenig zu spitz.

Elisabetta hat die Bulgarin unlängst in Paris gesungen. Hier verschenkt sie viel von einem sehnsuchtsvollen „Francia“, klingt sie in der Höhe besonders hart. Abigailles Verzierungen zeichnet der Sopran fein nach, die Intervallbewältigung klingt etwas nach Mühe, aber auch hier überzeugt die Phrasierung wie schon bei den anderen Tracks.

Begleitet wird die Sängerin vom Münchner Rundfunkorchester unter Massimo Zanetti, der sich sowohl im italienischen Repertoire wie in der Sängerbegleitung bestens auszukennen scheint. Ingrid Wanja

En travesti

 

Die italienische Mezzosopranistin Anna Bonitatibus ist hierzulande für Kenner natürlich kein Geheimtipp mehr, für ein breiteres und nicht auf Belcanto spezialisiertes Publikum vielleicht doch noch. Wenngleich sich im internationalen Opernbetrieb der Name dieser aparten Sängerin längt herumgesprochen hat. Auf ihrem neuen Album mit dem Titel „en travesti“ präsentiert sie bei BR-Klassik (900318) die bekanntesten und bedeutendsten Arien, die in den vergangenen dreihundert Jahren für Frauen geschrieben wurden, welche auf der Opernbühne in Männerrollen auftreten: sogenannte Hosenrollen.

Die Einspielung erfolgte mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Corrado Rovaris. Die fünfzehn Arien beginnen bei Händel und Vivaldi, reichen über Gluck und Mozart, die Italiener Rossini, Bellini und Donizetti sowie die französischen Opernkomponisten Meyerbeer, Offenbach und Massenet, die Veristen Mascagni und Puccini bis hin zu Ravel und Richard Strauss; das Programm schließt mit einem Song aus dem Filmmusical „Victor/Victoria“.

 Moritz Held skizziert im Folgenden den Aufstieg dieser bemerkenswerten Mezzosopranistin aus Süd-Italien.

 

Anna Bonitatibus, geboren in der süditalienischen Region Basilicata, studierte am Konservatorium in Genua, wo sie 1993 ihre Musik- und Gesangsausbildung erfolgreich abschließen konnte. 1999 bereits debütierte sie an der Mailänder Scala in Mozarts Don Giovanni unter der musikalischen Leitung von Riccardo Muti. Zu ihrem Repertoire gehören sowohl Werke des Früh- und Hochbarock als auch des italienischen Bel Canto; vor allem waren und sind es Produktionen der wichtigsten Bühnenwerke von Händel, Mozart und Rossini, die sie an den bedeutendsten Opernhäusern und Konzertsälen Europas erfolgreich interpretiert. Insbesondere die szenische und stimmliche Gestaltung von Hosenrollen – etwa ihre Verkörperung des Cherubino in Mozarts Nozze di  Figaro – wurden international gefeiert. Anna Bonitatibus ist heute eine der renommiertesten Figuren im italienischsprachigen Opernfach; ihr Repertoire umfasst mehr als fünfzig Hauptpartien in bekannten wie in selten aufgeführten Bühnenwerken.

Anna Bonitatibus: Tancredi an der Opéra de Lausanne/ Bonitatibus

Dass sich die Sängerin auch mit musikhistorischer Recherche beschäftigt und dass sie bei der Konzeption überzeugender Konzeptalben eine gute Hand hat, belegen ihre CD-Einspielungen. Seit ihrer ersten Aufnahme von Vivaldis La Griselda, die 1992 herausgebracht wurde, bevor sie überhaupt ihr Gesangsdiplom abgelegt hatte, hat Anna Bonitatibus zahlreiche mit renommierten Preisen ausgezeichnete Tonträger produziert – vor allem in den Bereichen der Barockoper, der neapolitanischen opera buffa und im französischen Repertoire. Ihre CD Semiramide – La Signora Regale (Sony/DHM 2014), auf der sie Arien aus unterschiedlichsten Vertonungen des beliebten Opernsujets von Händel bis Rossini vorstellte, insbesondere aber mit etlichen Entdeckungen von vergessenen Meisterwerken aufwarten konnte, wurde bei den International Opera Awards 2015 als beste Aufnahme eines Arienprogramms ausgezeichnet.

Rossini, dem Jubilar des Jahres 2018 (vor 150 Jahren in Paris gestorben), widmete sie 2010 ein Album mit der immer noch zu gering beachteten vokalen Kammermusik: Un Rendez-vous – Ariette e Canzoni (Sony/RCA). Im Herbst 2017 wurde endlich der nicht nur von Rossinianern ersehnte Live-Mitschnitt einer Aufführung von Rossinis Stabat Mater (Dynamic) veröffentlicht, die der 2017  verstorbene Rossini-Dirigent Alberto Zedda vor sieben Jahren in Antwerpen und Gent dirigiert hatte; neben Anna Bonitatibus sind Serena Farnocchia, Ismael Jordi, Alex Esposito mit Chor und Orchester der Flämischen Oper zu erleben.

Anna Bonitatibus: Sesto/ „La Clemenza di Tito“ am Opernhaus Zürich/ Bonitatibus

Für ihr aktuelles Studioalbum bei BR-Klassik hat Anna Bonitatibus ein breites Spektrum an Arien zusammengestellt, die für Frauen in Hosen geschaffen wurden. Die Verkleidung an sich ist eine der wesentlichsten Grundbedingungen des Theaters; die Konvention, dass Frauen in Männerrollen (vornehmlich als Helden und Feldherren) auftreten und damit den Kastraten erst aushalfen und sie dann ersetzten, bestimmte das Opernrepertoire vom 17. bis zum 19. Jahrhundert und blieb auch im 20. Jahrhundert lebendig (so der musico in Cileas Adriana Lecouvreur). Das soeben bei BR Klassik veröffentlichte Konzeptalbum „en travesti“, auf dem die Mezzosopranistin vom Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Corrado Rovaris begleitet wird, spannt einen Bogen von Händels Radamisto (1720) über Mozarts Cherubino (1786), Rossinis Tancredi (1813) und Offenbachs Nicklausse (1881) bis hin zu Strauss‘ Octavian (1911) – mit insgesamt fünfzehn zumeist weniger bekannten Arien, die für eine Hosenrolle komponiert wurden. Zum Abschluss schlüpft die Sängerin in die Rolle von Victor und Victoria im Filmmusical von Blake Edwards mit der Musik von Henry Mancini.

In seinem lesenswerten Booklettext liefert Guido Johannes Joerg einen historischen Überblick über die Entwicklung der Hosenrolle  auf der Sprech- und Musiktheaterbühne und weist den einzelnen Arien und Songs des Albums ihre entsprechende Position und Bedeutung zu. Spannend ist dabei, dass auch Opernpartien, die selbst der Kenner mit berühmten Kastraten in Verbindung bringen mag, ursprünglich nicht für Kastraten, sondern für Frauen in Hosen komponiert wurden.

Anna Bonitatibus: Isabella in „L´Italiana in Algeri“ an der Opéra de Lausanne/ Bonitatibus

Anna Bonitatibus hat für ihre CD ausschließlich Nummern ausgewählt, die den Darstellerinnen auf den Leib geschrieben waren: In der ersten Fassung von Händels Radamisto etwa sang eine Altistin die Titelpartie, die später dem berühmten Kastraten Senesino anvertraut wurde. Den Gluckschen Orfeo hören wir nicht aus einer frühen Fassung der Oper  (1762 in Wien war die Partie mit einem Kastraten, 1774 in Paris mit einem hohen Tenor besetzt worden), sondern in Berlioz‘ Bearbeitung von 1859  für die berühmte Altistin Pauline Viardot.

 

Wer Anna Bonitatibus in diesem Jahr (2018) live erleben möchte, der sollte ab dem 31. März eine Vorstellung von Cavallis La Calisto an der Bayerischen Staatsoper besuchen. In der Inszenierung von David Alden und unter der musikalischen Leitung von Christopher Moulds singt sie dort mehrere Rollen – an der Seite des französischen Countertenors Dominique Visse. Wer im Sommer das Rossini Opera Festival im italienischen Pesaro, dem Geburtsort Rossinis, besucht, sollte sich den 18. August vormerken: An diesem Abend tritt Anna Bonitatibus in einem Programm mit dem Titel Rossinimania auf. Moritz Held

 

 Foto oben: http://annabonitatibus.com/ die Agentur der Sängerin versichert zudem, im vollen Besitz der hier abgebildeten Fotos und der entsprechenden Fotorechte zu sein.

Victor de Sabata

 

Der Name Victor de Sabata (1892-1967) ist vermutlich den allermeisten Klassikfreunden ein Begriff, auch wenn sich seine heutige Bekanntheit wohl zum größten Teil einzig aus der Tatsache ableitet, dass de Sabata die hochberühmte EMI/Warner-Einspielung der Tosca mit Maria Callas, Giuseppe Di Stefano und Tito Gobbi aus dem Jahre 1953 verantwortete, die zu den großartigsten Opernaufnahmen aller Zeiten gerechnet wird. Trotz seines unbestreitbaren Beitrages hierzu täte man de Sabata indes grob Unrecht, reduzierte man ihn zum reinen Operndirigenten – dieses Schicksal teilt er mit seinem Landsmann Tullio Serafin. Dass de Sabata trotz seiner über zwanzigjährigen Amtszeit als Chefdirigent der Mailänder Scala (1930-1953) weit mehr war, lässt sich anhand der vier CDs umfassenden Neuerscheinung der Deutschen Grammophon (4CD DG 00289 479 8196) anlässlich seines 50. Todestages nun auch tatsächlich nachvollziehen. Enthalten sind neben sechs Einspielungen der DG von 1939 mit den Berliner Philharmonikern fünf Aufnahmen der Decca mit dem London Philharmonic Orchestra von 1946. Abgerundet wird dies durch eine 1941 entstandene italienische Einspielung des Requiems von Mozart, die ursprünglich von Cetra herausgebracht wurde. Man hat insofern Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsaufnahmen versammelt.

Anders als der eine Generation ältere Arturo Toscanini bediente sich Victor de Sabata eines deutlich subjektiveren Dirigierstils, der eher noch an Wilhelm Furtwängler, den großen Antagonisten Toscaninis, erinnert. Mit ersterem verstand sich de Sabata, mit letzterem überwarf er sich viele Jahre lang aus politischen Gründen. Die Nähe zu Furtwängler wird bereits in de Sabatas Einspielung der Eroica von Beethoven deutlich, dem umfangreichsten sinfonischen Einzelwerk in der Box. Trotz der eingeschränkten Klangqualität lässt sich eine große Dynamikbandbreite feststellen, die insbesondere im Trauermarsch zutage tritt und den Satz in ein Wechselbad zwischen zurückhaltender Verinnerlichung und expressiver Ausdruckskraft verwandelt. Die ausgeklügelte Agogik ist im ganzen Werk meisterhaft umgesetzt.

Die berühmte „Tosca“ mit Maria Callas unter Victor de Sabata/EMI/Warner

Dass de Sabata gerade in der Spätromantik zu Hause war, lässt sich anhand der weiteren vorliegenden Werke erkennen. Zunächst ragen hier die Auszüge aus den Wagner-Opern Die Walküre und Tristan und Isolde heraus. Der in London entstandene Walkürenritt überzeugt in seiner zupackenden Art und hat durchaus so etwas wie einen „deutschen“ Tonfall. De Sabatas Ruf als Wagner-Dirigent von Rang war spätestens seit seinem Tristan-Dirigat in Bayreuth 1939 allgemein anerkannt. Umso interessanter, dass die hier enthaltenen Tondokumente aus der nämlichen Oper – Vorspiel und Liebestod – aus demselben Jahr stammen und ebenfalls stark für sich einnehmen.

Ähnlich fesselnd die Aufnahme der vierten Sinfonie von Brahms, deren Darbietung unter de Sabata sogar Furtwängler in Erstaunen versetzt haben soll. Die Berliner Philharmoniker spielen für den prominenten Gastdirigenten wie auf der Stuhlkante sitzend. Tod und Verklärung von Richard Strauss rundet das deutsche Repertoire in einer tiefsinnigen Deutung ab. Die Einspielungen der Tondichtung En Saga und des Walzers Valse triste von Sibelius sowie der Tänze aus Galánta von Kodály schließlich zeugen von de Sabatas Einsatz für zeitgenössische Komponisten und können als tadellose Plädoyers für den Finnen wie für den Ungarn gelten. Es ist zumindest erstaunlich, dass die durch Tänze der Sinti und Roma inspirierte Schöpfung Kodálys 1939 in Berlin überhaupt eingespielt werden konnte.

Treffen der Giganten: Victor de Sabata und Arturo Toscanini im Parkett der Scala/ Foto Piccagliani/ Archivio della Scala/ an eben der Scala Mailand gab es bis zum 7. Januar 2017 eine Ausstellung: „Victor de Sabata – Una vita per la Scala“ mit vielen spannenden Dokumenten zum Leben des Dirigenten

Überraschend spärlich sind dagegen italienische Komponisten in der Kollektion vertreten. Einzig ein zart dargebotenes Vorspiel zu Aida und die Feste romane von Respighi zeugen von de Sabatas genuiner Herkunft. Beides entstand bei den 1939er Aufnahmesitzungen in Berlin mit den dortigen Philharmonikern. Diese Tondokumente können klanglich ihr hohes Alter zwar nicht leugnen können, doch tritt dies aufgrund der hohen künstlerischen Qualität in den Hintergrund. Die römischen Feste schildert de Sabata in kräftigen Farben. Düster und stellenweise furchterregend die Zirkusspiele, von tiefer Frömmigkeit gezeichnet das Jubeljahr, ausgelassen das Oktoberfest und volkstümlich die Dreikönigsnacht. Im weitesten Sinne kann hier auch Berlioz‘ hochromantisch interpretierter Carnaval romain genannt werden, der mit dem London Philharmonic eingespielt wurde und durch seinen durchaus französischen Touch die Wandlungsfähigkeit des Dirigenten unter Beweis stellt.

Victor de Sabata – ein Leben für die Scala: „Andrea Chénier“ mit Mario Del Monaco und Renata Tebaldi, hier in der Cetra-Ausgabe

Aus mehreren Gründen stellt das Mozart-Requiem eine Besonderheit in der Box dar. Zunächst handelt es sich hierbei um die einzige während des Krieges eingespielte Aufnahme, entstanden anlässlich des 150. Todestages des Komponisten. Zum anderen sind nur hier rein italienische Kräfte am Werk: Die vereinigten Orchester und Chöre des Italienischen Rundfunks aus Rom und Turin sowie vier erlesenen Solisten aus Italien: Pia Tassinari (Sopran), Ebe Stignani (Mezzosopran), Ferruccio Tagliavini (Tenor) und Italo Tajo (Bass). Bedauerlicherweise fällt auch der Klang gegenüber den restlichen Einspielungen ab, ist die Tontechnik mit den Chormassen doch offenkundig überfordert. Zudem ist – anders als auf anderen Cetra-Ausgaben – das Klangbild leider sehr verhallt.

Im Booklet ist ein informatives, von James Jolly geführtes Interview mit de Sabatas Kindern Elio und Eliana enthalten, in dem Victor de Sabatas Vorliebe für das Komponieren und für elegante Dreiteiler angeführt werden. Tatsächlich gab er bis ins hohe Alter eine aristokratische, weltoffene und umfassend gebildete Erscheinung ab (er sprach Deutsch, Französisch und Englisch). Daneben sei er sogar in der Lage gewesen, jedes Orchesterinstrument selbst zu spielen. Nach einer Herzattacke 1953 (kurz nach der Tosca-Aufnahme) zog sich de Sabata aus gesundheitlichen Gründen vom Dirigieren zurück. Nur noch ein einziges Mal stand er danach öffentlich vor einem Orchester: 1957 anlässlich der Bestattung Toscaninis. Wenn der dort gespielte Trauermarsch aus der Eroica ähnlich eindrucksvoll klang wie in der vorliegenden Einspielung, versteht man die Faszination, welche von diesem Mann ausging, umso besser. Eine willkommene Neuveröffentlichung, welche die vielen Facetten des Dirigenten Victor de Sabata offenlegt. Daniel Hauser

Und auch ein Blick auf die website für den Dirigenten lohnt sich: www.victordesabata.it

 

Victor de Sabata, Renata Tebaldi und Fedora Barbieri 1950/ pinterest

Dazu auch zum 50. Todestag Victor de Sabatas aus dem beiliegenden Booklet der neuen DG-Ausgabe( (DG 00289 479 8196: die Kinder Elio de Sabata und Tochter Eliana de Sabata-Ceccato im Gespräch mit dem renommierten englischen Musikkritiker James Jolly.

Wie wichtig war Ihrem Vater neben seiner Karriere als Dirigent das Kom­ponieren? Elio: Es war ihm sehr wichtig, denn als Komponist hatte er ein tiefes Verständnis für die Klangfarben und Möglichkeiten des Orchesters, die er in seiner eigenen Musik umsetzen konnte. Als Dirigent wieder­um kannte er die Beschränkungen, denen Orchester unterliegen. Sein Verhältnis zum Komponieren war mal mehr, mal weniger intensiv, doch diese Tätigkeit war ihm ein besonderes Anliegen.

Auf Fotos wirkt er stets unglaublich elegant… Eliana: Ja, das gilt für alle Bilder. Pullover oder Ähnliches zog er nie an. Beim Dirigie­ren kleidete er sich genauso wie außerhalb des Theaters, er trug immer einen Dreiteiler. Ich habe ihn nur ein einziges Mal in einem kurzärmeligen Hemd gesehen, bei der Auf­nahme von Tosca. Das war im Sommer, und es gab keine Klimaanlage in der Mailänder Scala – es war sicher furchtbar heiß.

Victor de Sabata: das in der DG-öBox enthaltene Mozart-Requiem, hier noch in der Ausgabe bei Cetra/ OBA

Offenbar bewahrte er sich zeit seines Lebens eine exquisite Kiaviertechnik. Können Sie sich daran erinnern?  Eliana: Ja! Er war ein außergewöhnlicher Pianist. Eines Tages begann er, eine sehr komplizierte Etüde von Clementi in sehr schnellem Tempo zu spielen, und sagte zu meinem Mann: »Wissen Sie, dieses Stück habe ich zum letzten Mal vor 40 Jahren gespielt.« Und er spielte es perfekt. Elio: In einem italienischen TV-Film aus seiner Zeit in Santa Margherita, als er nicht mehr dirigierte, interpretiert er »Scarbo« aus Ravels Gaspard de la nuit – und zwar wie ein Profi. Er beteuerte, dass er jedes Orchesterinstrument spielen könne, und war dafür bekannt, dass er Solisten und Orchestergruppen anwies, ihre Handstel­lung zu verändern, um andere Klangfar­ben zu erzeugen. Mit seinem Tonbandge­rät zeichnete er sogar ein komplettes, von ihm selbst gespieltes Streichquartett von Brahms auf, er spielte also die Partien für Violine I und II, Bratsche und Violoncello (das Instrument hatte er sich ausgeliehen). Seine technischen Fähigkeiten waren ver­blüffend.

Wofür interessierte er sich neben der Musik?  Eliana: Er war sehr an Schiffen interessiert. Seinen einzigen Flug empfand er als furcht­bar, also flog er nie wieder und reiste stets per Schiff, auf der »Andrea Doria« oder der »Queen Elizabeth«. Er sagte einmal, die Schönheit der Pferde stünde für ihn an erster Stelle, Schiffe an zweiter und Frauen an dritter. Elio: Und Katzen! Er liebte Katzen! Als er während des Kriegs in Rom war, ging er häufig nachts zum Kolosseum und fütterte die streunenden Katzen. Er liebte sie!

Er war ein wunderbarer Interpret von Wagners Musik. Was zog ihn zur deut­schen Kunst hin? Elio: Ich vermute, dass ihn vor allem die Bedeutung des Orchesters in Wagners Musik anzog. Hinzu kam möglicherweise sein mitteleuropäisches Erbe. Sein Vater stammte aus Südtirol, das sich zu dieser Zeit unter österreichischer Herrschaft befand, und seine Mutter aus der damals ebenfalls österreichischen Stadt Triest. Er sprach per­fekt Deutsch, ebenso wie Französisch und Englisch.

Viele dieser Aufnahmen entstanden in London {mit dem London Philharmo­nie) – ich nehme mal an, er war recht anglophil… Eliana: Er interessierte sich für die Kultur englischsprachiger Länder und mochte diese Sprache sehr. Er hatte sich Englisch selbst beigebracht und las viele englische Autoren, darunter Shakespeare. Manchmal verwendete er sehr altertümliche Redewen­dungen, da er Englisch aus Büchern gelernt hatte. Elio: Er war ein großer Fan der Erzählungen von P. G. Wodehouse und C. S. Forester. Ich besitze einige seiner englischen Bücher, die er mit kleinen Anmerkungen versehen hat. Am Anfang von Conrads Lord Jim notier­te er etwa: »Das hat ein echter Seemann geschrieben!«

Das berühmte Verdi-Requiem unter Victor de Sabata mit Elisabeth Schwarzkopf, Fedora Barbieri, Giuuseppe Di Stefano und Cesare Siepi an der Scala bei EMI (nun Warner)

War er ein strenger Orchesterleiter?  Elio: Er wusste, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Anders als bei manchen seiner Kollegen war das Orchester bereit, seine Wünsche umzusetzen und auszupro­bieren, da die Musiker wussten, dass sie dabei etwas Neues lernen würden. Da gab es fraglos beiderseitig einen großen Respekt. Wenn er mit den Proben zu einem neuen Stück begann, ging er es häufig zunächst einmal komplett durch – nur um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Orchester spielte. Danach begann er, es sei­nen Wünschen anzupassen. Eliana: Als Dirigent war er sehr anspruchs­voll, da er die Partituren sehr gut kannte. Fehler in den Druckausgaben erkannte er sofort. Er war recht streng, hatte gleich­zeitig aber auch großen Respekt vor den Musikern. Er versuchte, eher an ihren Stolz zu appellieren, als ihnen Angst zu machen. Besonders wichtig war ihm, dass die Musik im Orchesterraum genauso gut klang wie am Dirigentenpult. Deshalb überprüfte er, wie sich der Klang im Konzertsaal ausbrei­tete. Er platzierte sogar junge Dirigenten auf seinem Platz hinter dem Pult, um die Klangqualität bei einem Gang durch den Konzertsaal zu prüfen.

Die in diesem Älbum enthaltene »Eroica« Beethovens scheint für ihn etwas ganz Besonderes gewesen zu sein. Eliana: Er spielte den Trauermarsch bei Toscaninis Beerdigung. Doch er spielte alle neun Symphonien immer wieder. Als mein Vater an der Scala arbeitete, wurde die Opernsaison durch zwei symphonische Sai­sons unterbrochen, und in dieser Zeit diri­gierte er alle neun Symphonien Beethovens oder eine Reihe anderer symphonischer Programme. Nach der Saisoneröffnung an der Scala gab er Symphoniekonzerte in Eng­land oder den USA. So blieb er etwa zwei Monate auf Konzertreise. In der symphoni­schen Saison 1952 spielte er den kompletten Zyklus, und er spielte ihn auch in der Royal Albert Hall in London. Elio: Bei Toscaninis Beerdigung dirigierte er zum letzten Mal öffentlich. Als Toscaninis Leichenwagen vor der Scala hielt, spielte das Orchester den Trauermarsch unter Leitung meines Vaters. Danach lief er in den Dom, denn er dirigierte den Chor, der während der Trauerfeier sang. Anschließend sprang er ins Auto und fuhr zurück nach Santa Margherita. Bei seiner eigenen Beerdigung spielte das Orchester ohne Dirigenten. James Jolly/ Übersetzung: Felix Schoen

(Das Foto oben ist ein Ausschnitt aus dem Cover der neuen DG-Ausgabe zum 50 Todestag des Dirigenten Victor de Sabata, der wir vorstehendes Gespräch entnommen haben/DG 00289 479 8196

Warum?

 

Wer fühlt sich von Günter Neds  BuchtitelMedea- Poetin der Grausamkeit – Über Luigi Cherubinis Oper Medea zum Lesen animiert? In erster Linie dürfte es der Operninteressierte sein, auch der Altertumsforscher könnte sich angesprochen fühlen. Ihn könnte interessieren, wie sich der Mythos Medea zu deren Gestaltung in einer Oper, die zur Zeit der Französischen Revolution entstand, verhält. Nach dem ersten Dutzend gelesener Seiten jedoch dürfte Opernfreund wie Antikenverehrer eher irritiert als angetan sein von dem bis dahin Aufgenommenen.

Formal ist es der sich gönnerhaft anbiedernde Plauderton, der den anspruchsvolleren Leser vergrätzt, sind es Vokabeln wie „saukomisch“, „Palastsprech“,  oder „von jetzt auf gleich ist für den König D-Day“, der Wechsel von der Hoch- in die Umgangssprache, die häufigen Einschübe von Zustimmung heischendem oder den Leser angeblich auf die richtige Bahn zurückführendem „Ja“, „Nein“, „Nicht“, letzteres im Sinne von „nicht wahr?“. Im Wechsel mit einer „wissenschaftlichen“ Sprache fällt das besonders unangenehm auf.

Zum anderen sind es die ausgeprägten Tendenzen zu retardierendem Schreiben, indem zur Ermüdung des Lesers dasselbe in immer neuen Wendungen gesagt wird. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn vom Wechsel von gesprochener und gesungener Sprache die Rede ist, wozu es lange und zunächst auch überzeugende Ausführungen gibt, ehe klar wird, dass dieser allein der Tatsache geschuldet ist, dass Cherubini nicht, wie zunächst geplant, sein Werk als tragédie lyrique, sondern als opéra comique am gleichnamigen Institut uraufführen ließ. Angesichts dieser unleugbaren Tatsache fühlt sich der Leser, der sich willig auf den Pfad der Untersuchung der Gründe für die Zuordnung der Rede an Medea und der Musik an Kreon begeben hat, an der Nase herumgeführt.

Der Verfasser scheint ein glühender Verehrer Medeas zu sein (Er vergleicht sie sogar mit Jesus.), und entsprechend schlecht kommt Jason bei ihm weg, der sicherlich keine Sympathie verdient.  Ned geht aber so weit, ihn als „angestaubter Berufsheld“ zu titulieren, der „nicht der Typ“ von Dirke sei. Er will wissen, dass ihre Befangenheit nicht der Angst vor Medeas Rache gilt, sondern der Tatsache, dass sie Jason nicht heiraten möchte. In diesem Zusammenhang wird auch endlich einmal auf die Musik eingegangen, nämlich die Bedeutung der Flöte in Dirkes Arie, während man sonst nichts über dieses nicht unwichtige Element einer Oper erfährt, außer dass sich der Autor lustig macht über die Urteile von Zeitgenossen über Cherubinis Werk, deren einer „nicht schnallt“, wie die Musik angemessen einzuschätzen sei.

Selten findet man in einem Buch so krasse Kontraste zwischen unangemessener sprachlicher Äußerung und dem Anspruch, über allerhöchste- und allerletzte Dinge zu fabulieren. Zu Letzterem gehören Sätze und Wendungen wie „Die Oper ist der Ort des Aufbaus in dieser „Médée“ oder „Dualismus als Grund-Chimäre menschlicher Verfasstheit“.

Wenn von den „emphatischen Elementen“ Grausamkeit und Kunst die Rede ist, dem Scheitern Medeas am „Dualismus zwischen göttlichem Künstlersein und irdischem Begehren“, dann denkt man eher an den antiken Mythos Medea und nicht so sehr an Cherubinis Oper,  über die man, besonders über die Musik, viel weniger erfährt, als man nach der Zurkenntnisnahme des Titels erwarten könnte.

 

Dafür gibt es aber Abstecher zu Odysseus, zu Tosca und Artaud (Grausamkeit!). Die Puccini-Heldin kommt schlecht weg, denn Puccini pflegte eine „politisch korrekte Ästhetik“ und denunziert damit die Kunst, lässt Tosca am Schluss „mit gebauschten Röcken in die Matratzen plumpsen“.  Medea ist da mit doppeltem Kindesmord natürlich ein anderes Kaliber, und „wir jauchzen dem Bösen innerlich zu“ (120 Seiten, Boosey & Hawkes 2017; ISBN 978 3 7931 4199 0/ Foto oben: Ausschnitt aus der Illustration auf dem Frontenspiece des Klavierauszugs zur Pariser Erstaufführung der Oper). Ingrid Wanja        

Tigran Tschukadians Oper „Arshak II.“

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Nur wirklich Eingeweihte werden den Namen Tigran Tschukadian (je nach Umschrift auch Dikran Chukadijan oder auch Dikran Tschuchadschjan) je gehört haben, und doch spielten er und sein Werk einen entscheidenden Part im Kampf um die Unabhängigkeit Armeniens von den Türken/Osmanen, die wie Griechenland auch Armenien im 19. Jahrhundert knebelten. Zwar wurde Tschukadians Werk im Wesentlichen  nicht zu seinen Lebzeiten in Armenien selbst  in Gänze aufgeführt, aber Teile daraus, vor allem auch die Ouvertüre und Szene der Olympia im 3. Akt aus der Oper Arshak II. unter dem Namen Olympia, galten längere Zeit als so etwas wie eine Nationalhymne im Bemühen Armeniens von den Osmanen loszukommen, deren Druck auf die von ihnen besetzen Länder ab der Mitte des 19. Jahrhunderts immer restriktiver wurde.

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Der Komponist Tigran Tschukadian/ Wiki

Tschukadian wurde 1837 im damaligen Konstantinopel geboren und starb 1898 in Smyrna. Er gilt als der erste Opernkomponist Armeniens und hatte vor allem  als  Dirigent  einen renommierten Namen. Er studierte für drei Jahre (1861- 64) am Konservatorium in Mailand, wo er mit den westlichen  Kollegen seiner Zeit zusammenkam und deren Musiksprache deutlich verinnerlichte, namentlich Verdis. Nach seiner Rückkehr in die Heimat nahm er aktiven Anteil an der Armenischen Musikalischen Gesellschaft und wurde Mitherausgeber der Zeitschrift „Die armenische Leier“. Er arbeitete eng mit den bestehenden Theatern zusammen. 1868 vollendete  er seine erste Oper, Arshak  II., auf das italienische (!) Libretto von Tommaso Terzian, was als der Beginn der armenischen Oper selbst gilt. Ausschnitte daraus wurden in Konstantinopel, Venedig, Paris und Wien in Konzerten gespielt und erzielten eine gewisse Breitenwirkung. Aber die Kosten einer geplanten szenischen  Aufführung überstiegen die finanziellen Möglichkeiten des Komponisten, zumal das einzig geeignete Theater in Erivan passender Weise abbrannte.  Erst 1945 wurde unter dem stalinistischen Regime eine neue, völlig verzerrte und mit einem Happy-End gesegnete Version erstellt und in Erivan aufgeführt.

1870 schrieb Tschukadian seine komische  Oper  Arifi khadakhutyune nach  Gogols Revisor, dann Kyose K’ehya (Der kahle Älteste) und Leblebidji khor (Der Erbsenverkäufer, später dann unter dem Titel Garineh). 1880 folgte die semiseria Zemire, 1892 Anoush1897 schließlich Indiana.

Tigran Tschukadian: „Arshak II.“/ Szene aus der Produktion von San Francisco 2001 in der Ausstattung von John Coyne/ Foto Susan Ragan

Als Begründer der armenischen Nationaloper war Tschukadian eine wichtige Figur in der Kulturgeschichte des Nahen Ostens. Er war – so der unschätzbare Opera Groves in seinem überraschend ausführlichen Beitrag – der Erste, der europäische Kompositionstechniken mit den osteuropäischen und denen des Nahen Ostens, besonders Armeniens, verknüpfte, der so etwas wie eine orientalisch-orthodoxe Opernsprache auf der Grundlage von Volksmusik und arabischen Einflüssen erfand. Seine musikalischen Leitbilder wurden von patriotischen Vorstellungen und von dem Gedanken an die Befreiung vom osmanischen Joch getragen; und er war namentlich  an der  Befreiungsbewegung gegen die Türken in der zweiten  Hälfte des 19. Jahrhunderts beteiligt.

Ganz eindeutig wurde sein Stil von den Einflüssen aus seinem Aufenthalt in Italien getragen, wo er der „Armenische Verdi“ genannt wurde (später jedoch auch in Paris der „Armenische Offenbach„, als er 1891 eigene Werke dort dirigierte). Eher als Verdi – scheint mir – finden sich jedoch Mercadante und Pacini in seiner musikalischen Sprache wieder. Und auch der französischen Operette ist Tschukadian in seinen leichteren Werken verpflichtet. Vor allem aber ist seine Musik nach dem Arshak von armenischer Folklore durchzogen, wie man das auch bei den Kollegen aus Griechenland feststellen kann. Diese starke Neigung zur leichteren Muse rückt ihn in die Nähe von Ivan Zajc.

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Tigran Tschukadian: „Arshak II.“/ Szene aus der Produktion von San Francisco 2001 in der Ausstattung von John Coyne/ Foto Susan Ragan

Ein  armenisches Nationaldrama: Arshak II. (um beim westlichen Titel zu bleiben) hat ein bewegtes Schicksal von  der Komposition 1868 bis zu seiner eigentlichen Uraufführung seiner originalen Fassung 2001 in San Francisco hinter sich. Das Libretto von Tovmas/Tommaso Terzian (ein Italiener mit armenischen Wurzeln)  wurde – um eine breitere und vor allem überregionale Wirkung im Westen/Italien (!) zu erzielen – in Italienisch geschrieben. Terzian fügte dem Klavierauszug jedoch eine westarmenische, nicht singbare Übersetzung hinzu. In dieser Form wurde die Oper nie gehört. Für die moderne Uraufführung erstellte der armenisch-amerikanische Musikologe und Dramaturg Gerald Papasian, Begründer des Dikran Tschouhadjian Research Center in Paris, eine neue west­armenische Übersetzung, die dann in San Francisco gespielt wurde (Hasmik Papian und Nora Gubisch sangen die weiblichen Hauptpartien, Christopher Robertson/alternierend mit Anooshah Golesorkhi war Arshak , Gordon Gietz und David Okerlund sangen die beiden Vertrauten, Tigran Martirossian gab den Patriarchen Nerses, die musikalische Leitung hatte Loris Tjeknavorian, und Francesca Zambello inszenierte; die bemerkenswerte Bühne stammte von John Coyne). Die armenische Gemeinde von San Francisco hatte mit rund einer Million Dollar diese Produktion ermöglicht und damit den Traum des inzwischen verstorbenen, damaligen (armenischen) Intendanten Lotfi Mansouri erfüllt, mit dem Arshak das Verdi-Jahr 2001 zu ehren. Gerald Papasian hatte im Vorfeld zusammen mit dem Musikwissenschaftler Haig Avakian so etwas wie eine performing edition erstellt, nachdem bereits 1981 an der Detroit Opera eine weitere armenische Oper Tigranians, Anoush, Zeugnis abgelegt hatte von der Kraft armenischer Opern (und auch von der bemerkenswerten armenischen Community in den USA!). Vergessen sein soll aber auch nicht die sehr prunkvolle Aufführung in Erivan 1994, aus der wir nachstehend einige Bilder bringen (¨Arshak II¨ complete opera Composer: Tigran Chukhadjian; Live at the ¨Armenian National Academic Theatre of Opera and Ballet¨ Erevan – Armenia. 1994. Conducted by Yuri Davitian. Cast: Arshak II: Barseg Tumanyan Olimpia: Hasmik Hatsagortsyan Tirit: Gegam Grigorian Parandzem: Olga Gabayan Vasak Sparapet: Ruben Telunts Nersess).

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Die Textlage ist kompliziert. Zwar gab es nach Kriegsende, 1945, in Erivan bereits eine Poduktion des Arshak, die aber (so Papasian) auf der drastisch-verfälschenden Revision der Musikwissenschaftler Shahvardian und Khodija-Eynatov beruhte, die ganze Teile umstellten, unterdrückten und zusammen mit dem opportunistischen neuen Libretto von Gulakyan (mit Happy­ End) eine politgerechte, sozialistische Oper fabrizierten. In dieser Fassung ist die Oper auch bei Melodya 1982 eingespielt worden. Eine armenische TV-Verfilmung der Oper von 1994 folgt natürlich dieser Fassung. Auf youtube gibt es reichliche Dokumente davon.

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Tigran Tschukadian: „Arshak II.“/ Szene aus der Produktion von Erivan 1994/ Armenian Opera

Das Originalmaterial (zumindest ein Klavierauszug und orchestrale Skizzen) war hingegen nach Tschukadians Tod nach Paris verschickt und dann in den Dreißigern wieder nach Armenien zurückgegeben worden, wo es im Charents Museum für Literatur und Kunst lagerte. Die Ouvertüre und Teile der Oper wurden – wie bereits berichtet – zwischen 1869 und 1917 als Sinfonische Dichtung Olympia gespielt. Auf der Basis neuerer Forschungen und Funde durch Avakian wurde nun eine letzte Version nach der Originalfassung für die San Francisco Opera in westarmenischer Sprache erstellt, während die von 1945 in der weniger verbreiteten ostarmenische gehalten war. Es mag jedoch bezweifelt werden, ob Mansouri mit seiner Entscheidung gegen das italienische Originallibretto dem Überleben der Oper einen Gefallen getan hat, denn man hatte bereits in San Francisco Mühe, gegeignete armenisch sprechende Sänger zu finden. Und eigentlich wollte Chukhadjian ja eine italienische Oper mit westlichem Appeal komponieren!

Das Libretto von Terzian geht auf Ereignisse in der armenischen Geschichte zurück und zeigt einen ebenso brutalen wie reuigen Herrscher, der durch einen Volksaufstand gestürzt wird – die Parallelen zur Osmanen- und Stalin-Zeit liegen auf der Hand und machen verständlich, warum die originale Version unterdrückt und nur in „gereinigter“ Fassung während der sowjetischen Besetzung aufgeführt wurde. Ein hemmungsloser, machtbesessener Potentat wird demaskiert, wobei – laut Papasian – wohl eher der psychologische als der historische Zusammenhang den Komponisten reizte.

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Tigran Tschukadian: „Arshak II.“/ Szene aus der Produktion von Erivan 1994/ Armenian Opera

Stilistik: Arshak II. ist in vieler Hinsicht eine bedeutende Oper und ein Meilenstein in der Anbindung des Nahen Ostens an die westeuropäische Kultur . Das Werk beeindruckt vor allem durch seine kolossalen Dimensionen der großen Chöre, der eindrucksvollen Aufmärsche, des üppigen Ballette und der Hofszenen, die orientalischen Prunk mit armenischer Folklore und italienischer Melodik verbinden. Die Traviata ist nicht weit, überhaupt lugt der frühe Verdi um die Ecke, aber mehr noch sind Verbindungen zu Mercadantes Bravo oder zu Pacini hörbar, mit einem kräftigen Schuss jenes “Ponchielli-Klanges“, der sich bei vielen “Beute-Italienern“ findet, etwa bei Zajc oder Gomes. Die schmissigen Auftritte, die energischen Ensembles mit ihrem fußwippenden Duktus könnten der Gioconda entnommen sein. Die Personenzeichnung bleibt im Arshak statisch-Aida-haft, eine Entwicklung findet kaum statt. Einzig der Charakter der Paransema, deren Mann von Arshak getötet und die durch ihn auf den Thron erhoben wird, um ihm danach an Grausamkeit mehr als gleich zu werden, unterläuft einer Veränderung zum Negativen. Arshak selbst wandelt sich völlig unerklärt zum reuigen Sünder, wird aber dennoch abgesetzt, jedoch nicht getötet.

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Inhalt: Akt 1, Szene 1 – eine Ebene nahe dem Berg Ararat: Die Menge  bejubelt  den  König Arshak (Arsace) und seine heimkehrenden Armeen, die gerade die Perser unterjocht haben. Arshak preist Gott für seinen Sieg (Arie). Szene 2 – eine Halle im  Königlichen Palast: Arshak und sein Gefolgsmann Vartan treffen auf Paransema (Arioso), die Gattin des von Arshak verbannten Bruders Knel. Arshak verweigert Paransemas Bitten nach Gnade für ihren Mann, er will sie für sich, obwohl ihn Paransema an seine eigene Frau Olympia erinnert. Er zwingt sie, bei ihm im Palast  zu bleiben  (Ensemble  und Duett). Szene 3 – außerhalb  des  Palastes,  nachts:  Bruder  Knel  ist  heimlich  zurückgekehrt und trifft sich mit seinem Getreuen Valinace (der selber Olympia liebt), dem Kommandanten der armenischen Armee. Er berichtet von Arshaks letztem Verbrechen, nämlich dem Mord am eigenen Vater Diran. Beide schwören Rache und die Befreiung Armeniens vom Joch der Tyrannei  (Duett und Chor).

Tigran Tschukadian /Frontespiece für „Olympia“, i. e. Auszüge aus der Oper „Arshak II.“/ OBA

Akt 2, Szene 1 – eine· weitere Halle im Palast: Königin Olympia sorgt sich über die Abwesenheit ihres Gatten Arshak (Arioso), Valinace warnt sie vor dessen Plänen bezüglich Paransema, und auch ihr Sohn, der Erbe auf den Thron, sei in Gefahr. Valinace gesteht Olympia seine Liebe und fordert sie vergeblich auf, mit ihm zu fliehen (Duett). In dem Moment eilt Arshak mit Gefolge herbei und erklärt Olympia zur Verräterin. Blutvergießen wird nur durch den Auftritt des Patriarchen Nerses vermieden, der Arshak tadelt und an die Heiligkeit der Monarchie erinnert. Er bemüht Gottes Zorn, was Arshak zu Hohngelächter veranlasst, als er eine Tür aufreißt und die Leiche seines von ihm tödlich verwundeten Bruders zeigt. Paransema stürzt herbei, und der Sterbende schreit seinen Fluch über Arshak heraus. Alle rufen Gott an und flehen für das Heil Armeniens (Chorszene). Arshak ist unerwartet bewegt angesichts des sterbenden Bruders in den Armen Paransemas (Solo mit Chor).

Akt 3, Szene 1 – ein Gemach im Palast: Zwei Jahre sind vergangen. Olympia ist mit ihrem Sohn in einem Turm eingeschlossen, Arshak regiert mit Paransema an seiner Seite. Aber er ist unruhig (Arie) und vertraut Vartan an, dass er sich Olympia zurückwünscht, was eine verbitterte Paransema mithört. Szene 2 – offene Gegend mit Olympias Turm im Hintergrund: Valinace informiert seine Soldaten von der bevorstehenden Revolution gegen Arshak, sie erzählen von Paransemas Mord an dem Thronfolger, nachdem sie Arshak keine Kinder gebären konnte (Solo mit Chor). Von weitem hört man Olympias Klage über ihr totes Kind (Arie/eine Musik, die später in die sinfonische Dichtung einfloss und die bei der Aufführung in San Francisco Beifallallsstürme auslöste: Es ist die einzige wirkliche Arie in dieser Oper, eigentlich ein memorables Lamento im klassischen Stil). Szene 3 ein verwilderter Friedhof: Arshak hört gedankenverloren Stimmen in der Nacht – die Stimmen der von ihm Erschlagenen. Als auch Paransema auftritt, sehen sie die Schatten seines Vaters, Olympias Kindes und anderer. Entsetzt fallen beide auf die Knie und beten um Vergebung (Arie/Duett Verdis „Macbeth“ ist nicht weit).

Tigran Tschukadian: „Arshak II.“/ Szene aus der Produktion von Erivan 1994/ Armenian Opera

Akt 3, Szene 1 – im Turme Olympias: Olympia erinnert sich – in Begleitung ihrer Vertrauten Polisena – wehmütig an glücklichere Tage (Arioso). Vartan bringt die Botschaft, dass Arshak auf Nerses‘ Rat gehört und Olympia wieder auf seinen Thron erhoben hat, was der hereintretende König bestätigt (Duett). Szene 2 – festlich geschmückte Halle im Palast: Prunkvolle Feierlichkeiten ehren die Wiedereinsetzung der Königin Olympia (Ballett). Rasend vor Wut bereitet Paransema ihren letzten Schachzug vor. Sie vergiftet den Wein, den sie in falscher Freundlichkeit Olympia reicht. Arshak vermutet eine Hinterlist und lässt sie einen Schluck aus dem Kelch zuerst trinken. Der hereintretende Nerses sieht den vergifteten Wein in Olympias Hand und kann diese nicht mehr vom Leeren des Kelches abhalten. Außer sich vor Wut und Delirium brüstet sich Paransema, ihre Rache vollendet zu haben. Olympia fällt zu Boden und bittet Gott um Gnade für ihre Seele. Valinace und seine Soldaten stürmen herein und setzen Arshak fest, der entsetzt Paransemas Rache verfolgt hat und der Reue ob seiner Taten bekennt. In Valinaces Armen stirbt Olympia, während  alle Gott  um  Gnade  für  das geschundene, aber von Tyrannei befreite Armenien bitten. Geerd Heinsen

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(Dank vor allem an Gerald Papasian; vergl. dazu auch seinen Artikel in Opera, London, September 2001 und www.sfopera.com im Rahmen der Berichte über die Aufführungen an der San Francisco Opera; auch:  www.webmajestic.com/userpages/CRD T.hmtl/ Foto oben „Arshak II.“/ Szene/ Erivan 1994 aus der Seite der Armenischen Oper)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.