Archiv für den Monat: September 2013

Gomes´“Joana de Flandres“

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Nach 142 Jahren wurde Joana de Flandres, die zweite Oper des brasilianischen Nationalkomponisten Antônio Carlos Gomes, „wieder gefunden“ und auf die Opernbühne von Rio de Janeiro zurückgebracht. Unwidersprochen wird Gomes für den größten (unter den zugegebenermaßen nicht sehr zahlreichen) brasilianischen Opernkomponisten gehalten, und auch wenn sein Werk von neun Opern in der Quantität begrenzt sein mag, so ist es doch wegen seiner dramatischen Kraft und vor allem wegen des nationalen Prestiges bedeutend. Zu seinen Erfolgen gehören die Opern Guarany, namentlich Fosca, Maria Tudor, Salvator Rosa und Lo Schiavo.

Der junge Antonio Gomes zur Zeit der Komposition/HeiB

Der junge Antônio Gomes zur Zeit der Komposition/HeiB

Gomes wurde 1836 in der brasilianischen Provinz Campinas geboren, im Inneren des Staates San Paolo. Er war eines von 25 Kindern von Manuel José Gomes, Dirigent des städtischen Orchesters, bei dem er seine Musikstudien begann. Im Alter von 24 Jahren übersiedelte er nach Rio de Janeiro, um seine Ausbildung am dortigen Konservatorium zu vervollständigen. Hier komponierte er auch seine beiden ersten Opern, A noite de Castello und Joana de Flandres. Letztere brachte ihm ein Stipendium des Kaisers Dom Pedro II. ein, um am berühmten Konservatorium von Mailand zu studieren – dem Mekka der italienischen und europäischen Opernausbildung, das viele herausragende Komponisten hervorgebracht hat, darunter eben auch viele Ausländer, die in ihre Heimatländer zurückkehrten und dort gefeierte Nationalkomponisten wurden – Gomes und der Armenier Tschukadian (Arshak II) sind die bedeutendsten davon. Im Jahre 1866 erhielt Gomes in Mailand den Abschlusstitel eines maestro compositore, und vier Jahre später hatte seine Oper Il Guarany an der Scala in Mailand Erfolg. Gomes war angekommen und ein renommierter Komponist von Rang, dessen Fosca selbst Verdi das Fürchten lehrte…

Der Dirigent und Musikwissenschaftler Fabio Gomes de Oliveira /HeiB

Der Dirigent und Musikwissenschaftler Fabio Gomes de Oliveira /HeiB

Von dieser Zeit an vollzog sich seine musikalische Karriere ausschließlich in Italien, mit Ausnahme seiner letzten Oper Lo Schiavo, die er nach seiner Rückkehr nach Brasilien zu Ehren der Prinzessin Isabel, die sich für die Abschaffung der Sklaverei eingesetzt hatte, schrieb. Seine Rückkehr in die nunmehr republikanische Heimat brachte ihm Probleme, besonders wegen der Förderung, die er ehemals durch die kaiserliche Familie erfahren hatte – und das gleichzeitig mit der Ausrufung der Republik. Carlo Gomes entfernte sich aus dem politischen Zentrum Brasiliens und verlegte sein Leben in den nördlichen Landesteil, wo er zum Direktor des Konservatoriums von Belém ernannt wurde. Er starb im Jahre 1896 und gilt heute als der größte Sohn seines Landes, nach dem Münzen und Geldscheine geprägt wurden. Dennoch haben seine Opern kaum noch europäischen Widerhall – von Zeit zu Zeit finden sich einzelne Werke, so der Guarany (wie in Bonn mit Domingo) oder eine Fosca (zuletzt in Wexford) oder Salvator Rosa; die Oper von Sofia gab einige Werke in den 80ern mit so großen Namen wie Krassimira Stoyanova, aber allein schon der CD-Kauf seiner Aufnahmen gestaltet sich schwierig und ist eigentlich nur in Brasilien möglich, wo es eine kurze Renaissance seiner Opern mit sauren Stimmen in den 60er Jahren gab. Erst kürzlich kam der Mitschnitt des Salvator Rosa aus Braunschweig bei Oehms heraus, zwei weitere gibt es bei Dynamic (Martina Franca) und Regis (Dorset), Il Guarany ist in der Bonner Produktion bei Sony erschienen – das ist nicht viel.

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Ziel der Wünsche: die Mailänder Scala/Wiki

Ziel der Wünsche: die Mailänder Scala/Wiki

Der Belcanto-Spezialist Alex Weatherson schreibt dazu:Erstaunlich ist, dass Gomes` Komposition Einflüsse seiner europäischen Kollegen zeigt, obwohl er noch nicht in Europa gewesen war. Der Plot der Joanna de Flandres ist ganz eindeutig dem Nabucco nachempfunden – dieser war erstmals in Brasilien am 18.11.1848 am Teatro Sao Paolo de Alcantara aufgeführt worden und liegt damit ein wenig zu früh, als dass Gomes ihn gesehen hätte, aber er kannte ganz sicher den Klavierauszug; und das Teatro Lirico Fluminense in Rio (wo Joanna und A noite do castello uraufgeführt wurden) brachte Verdis Macbeth bereits am 25.3.1852 – diese Oper hat Gomes ganz sicher gesehen (und sein Librettist de Mendonca war von schottischer Abstammung!). Ganz sicher spielte Verdi in der formativen musikalischen Ausbildung Gomes´ eine große Rolle, aber es gab noch einen anderen Komponisten von Bedeutung für ihn – Giovanni Pacini, dessen Einfluss leicht in der Joana de Flandres zu entdecken ist. Zwei Partituren Pacinis waren vor der Entstehung der Joana nach Brasilien geschickt worden: L’alleanza war eine Kantate, die für den Geburtstag des Kaisers Dom Pedro von Brasilien von der Kaiserin Teresa Cristina (einer ehemaligen Schülerin Pacinis in Neapel) in Auftrag gegeben worden war und die in Rio am 1.9.1851 aufgeführt wurde. Die zweite von 1862 fiel in die Entstehungszeit der Joanna und war eine frühe Version von Pacinis Nicolo de‘ Lapi, Dom Pedro zwar zugeeignet, aber nicht aufgeführt. Diese umfangreiche melodramatische Oper weist einen eingekerkerten abtrünnigen Vater, eine tragische Tochter und weiteres bekanntes Personal auf. Und da der Kaiser sowohl als Patron wie auch persönlich an Gomes interessiert war, kann es keinen Zweifel geben, dass Gomes dieses Manuskript studierte (das immer noch in Rio liegt). Ich denke, dies ist eine der entscheidenden Informationen für die Genesis der Joana de Flandres.“

Zeitgenössische Karikatur von Gomes/HeiB

Zeitgenössische Karikatur von Gomes/HeiB

Zurück ins Jahr 2005 zur Aufführung im Teatro Alfa in Rio. Das Orchester bestand aus nur 45 Instrumenten und war eigens für diese Neuproduktion 2005 zusammengestellt worden. Natürlich konnte es nicht ein Niveau wie ein festes, ständig gemeinsam arbeitendes Orchester erreichen. Aber unter der Führung von Fabio Gomes de Oliveira sorgte es für Ausgewogenheit zwischen Bühne und Podium. Das Solistenensemble hatte sich der Musik angemessen angenommen, die voluminöse Stimmen mit viel Dramatik verlangt. Nicht alle Sänger repräsentierten diesen Stimmtyp, aber mit Sensibilität, angenehmen Stimmfarben und korrekten Interpretationen bewältigten sie die technischen Schwierigkeiten der Partitur – namentlich der Bass Savio Sperandio in der Partie des Grafen Balduin, der Sopran Marcia Guimares (Margarida) und der Tenor Fernando Portari (Raul). Die Sopranistin Julianne Daud war die Titelsängerin, der Bariton Paulo Szot als der Adlige Huberto de Courtray sowie der Tenor Sergio Wintraub in der kleinen Rolle des Burg vervollständigten das Ensemble. Anständig war auch die Teilnahme des Chores, auch dieser extra für diese Produktion zusammen gestellt. Auch die optische Seite von Chris Daud/Renato Scripilliti/Wagner Freire war mehr als ansprechend – konservativ und das Drama tragend. Nach den Vorstellungen in Rio begann die Oper ihren Zug über 14 Bühnen der großen brasilianischen Städte, so dass alle Opernfans der Nation etwas davon hatten.

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Juliana Daud in der Titelrolle neben dem Tenor Fernando Portari/Raul in der Aufführung 2005/HeiB

Juliana Daud in der Titelrolle neben dem Tenor Fernando Portari/Raul in der Aufführung 2005/HeiB

Die Handlung der Oper in portugiesischer Sprache spielt in Flandern zur Zeit der Kreuzzüge im Mittelalter. Balduin, Graf von Flandern, gilt als vermisst im Heiligen Land. Während seiner Abwesenheit übernimmt seine Tochter Joanna die Herrschaft und verliebt sich in den Troubadour Raul de Mauléon, mit dem sie eine verzehrende Liebe zehn Jahre lang verbindet, was eine Revolte der Adligen unter dem Kommando des Ritters Huberto de Courtray verursacht. Da sie sicher ist, dass ihr Vater verstorben ist, beschließt sie, Raul zu heiraten und ihm die Krone Flanderns zu übergeben. Während der Krönung erscheint plötzlich Balduin; obwohl sie den Vater erkennt, erklärt sie ihn zum Betrüger, um Krone und Geliebten nicht zu verlieren. Der Graf, von seiner anderen Tochter Margarida wieder erkannt, wird ins Gefängnis geworfen. Joanna sucht ihren Vater im Kerker auf – wenn er sich retten will, soll er sich als Betrüger be- kennen und damit auf den Thron von Flandern verzichten. Beraten von seiner Tochter Margarida, weist der Graf das Ansinnen zurück. Raul hat Gewissensbisse und rät Joanna, den Vater nicht zum Tode zu verurteilen, aber sie hört nicht auf ihn. An der Spitze des Volkes steht Huberto dem Grafen Balduin im entscheidenden Moment bei, sich die Krone zurück zu erobern. Allgemeiner Tumult entsteht. Joanna versucht ihren Vater zu erstechen, da fällt ihr Raul in den Arm und tötet sie mit demselben Messer, an- schließend sich selber, womit das Drama sein Ende findet. Geerd Heinsen

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Gomes „Joanna de Flandres“ – Paulo Szot/Huberto mit Chor 1995/HeiB

Joana de Flandres: Drama lirico von Antônio Carlos Gomes; Libretto von Salvador de Mendonca
Uraufführung am 15. September 1863 am Teatro Lirico Fluminense von Rio de Janeiro
Personen: Joana de Flandres – Spinto-Sopran, Raul de Manleon – Tenor, Margarida de Flandres (Joannas Schwester) – Sopran, Huberto de Courtray – Bariton, Conde Balduino (Vater der Schwestern) – Bass, Burg (Vertrauter) – Tenor; Höflinge, Kriegsvolk, Volk Ort/Zeit: Flandern im Jahre 1225.

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(Mein Dank geht in erster Linie an den überaus hilfsbereiten und liebenswürdigen Dirigenten Fabio Gomes de Oliveira, der mir das Material gab und mir mit weiteren Informationen ganz selbstlos half, nachdem mich Thomas Lindner auf zwei Clips aus der Aufführung in Rio bei Youtube aufmerksam gemacht hatte. Weiters danke ich Ingrid Wanja und Marcelo Castronuovo für ihre Übersetzungshilfen. Mein Artikel bezieht sich auf die Einleitung des Dirigenten im Programmheft der Aufführung 2005 und u.a. auf die Rezension von Norberto Modena zur Aufführung 2005 im  italienischen Opera sowie auf zahlreiche Einträge im Netz. Und natürlich danke ich Alex Weatherson für seine ebenso klugen wie weiterführenden Beobachtungen auf Grund seines immensen Wissens. G. H.)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Vive la Voix Francaise

 

Die gegenwärtige Kommerzialisierung des Operngesangs hat dazu begetragen die Gesangsstile zu standardisieren – ohne auf die unterschiedlichen Bedingungen der verschiedenen Sprachen Rücksicht zu nehmen. Eine französische Schule des Gesangs, die bis ungefähr 1972 existierte, ist einem globaleren, universellen Gesangsstil gewichen und zieht den Verlust einer nationalen Schule nach sich. Dieses neue Buch (David Grandis: The Voice of France bei MJW Fédition) untersucht die Vokaltechniken, französische Diktion und Deklamation und führt diese Elemente zusammen um einen Französischen Gesangsstil zu definieren. Verschiedene berühmte französische Sänger der Nachkriegsepoche diskutieren diese Themen und ihr Ausbildung innerhalb der R.T.L.N. (der legendären Réunion des Théâtres Lyriques Nationaux). Dieses Buch will Sängern, Stimmcoaches, Operndirektoren, Dirigenten und dem Publikum einen Leitfaden an die Hand geben um zu verstehen, was in nur wenigen Generationen verloren gegangen ist und wie es zurückgewonnen werden kann.

Dazu finden sich in dem ungemein interessanten und verdienstvollen Buch Interviews mit Gabriel Bacquier, Jane Berbié, Charles Burles, Michel Cadiou, Odette Chaynes, Renée Doria, Andrée Esposito, Albert Lance, Georges Liccioni, Francois Loup, Roland Mancini, Claudine Martinet, Robert Massard, Mady Mesplé, Suzanne Sarrocca, Michel Sénéchal und José van Dam.

David Grandis, der Autor, verfolgt eine  internationale Dirigentenkarriere. Sein Buch hier basiert auf seiner Dissertation im Fach Dirigieren an der Universität von Wisconsin-Madison. Er hat an verschiedenen Institutionen dirigiert: der Baltimore Opera, an der Opéra National de Lyon und mit vielen Orchestern in den USA und Europa. Gegenwärtig ist er musikalischer Direktor der Virginia Chamber Opera und dem William and Mary Symphony College Orchestra.

Dieses Buch ist ebenfalls in einer französischen Ausgabe erschienen, der eminente Musikwissenschaftler und Journalist Roger Pines schrieb das Vorwort. (MJW/G. H.)

 

David Grandis: The Voice of France (The Golden Age of the R. T. L. N.) mit einem Vorwort von Roger Pines, 261 Seiten, Abbildungen/Fotos, Index, Tabellen, MJW Fédition Paris ISBN979-10-90590-16-8, www.mjw-fedition.com

Spas Wenkoff

 

Dresden, am 12. Oktober 1975. Premiere im Großen Haus, heute Schauspielhaus, damals auch Spielstätte der Staatsoper. Eine mit Spannung erwartete Premiere steht an, Richard Wagner, Tristan und Isolde, am Pult der Staatskapelle Marek Janowski, Regie Harry Kupfer (Foto oben/Döhring).

Als Tristan gibt ein Sänger sein Debüt, mit dieser Wahnsinnspartie in Dresden, von dem man schon gehört hatte, und man hatte auch gehört, dass es nicht so einfach gewesen sei, überhaupt einen Sänger zu finden, der einmal den musikalischen, zum anderen den darstellerischen Ansprüchen des Dirigenten und des Regisseurs entsprechen würde.

Am Ende dieser Premiere war klar, diesen Sänger gibt es, es ist der bulgarische Tenor Spas Wenkoff, von dem später zu erfahren ist, dass er diese Partie längst studiert hatte, ohne wissen zu können, dass es einmal dazu kommen würde. Es heißt, er habe in einem Antiquariat einen Klavierauszug gefunden, in russischer Sprache dazu.

Und welch Glücksfall war diese Besetzung. Von tragischer Intensität Theo Adam als zutiefst verletzter König Marke, die so starke Sängerdarstellerin Ingeborg Zobel als Isolde und eben Spas Wenkoff als Tristan, kein Trompeter, ein Sänger. Keine so gerne als Charaktergesang bezeichneten, gepressten Deklamationen der fiebernden Visionen des Sterbenden im dritten Aufzug, nein, selbst hier beseelter Gesang. Und wer dabei war wird es nicht vergessen haben, jenes todestrunkene Liebesduett, von Kupfer so eindringlich ins Bild gesetzt, als seien Tristan und Isolde längst dem Leben und der Welt abhanden gekommen, und man vernimmt das Echo einer großen Sehnsucht von diesen zu Statuen ihrer eigenen Grabsteine gewordenen Figuren auf Erden nicht einzulösender Vision.

So außergewöhnlich die Karriere dieses Sängers, so außergewöhnlich ist sein Weg, von dem er später, in einem Erinnerungsbuch, sagen wird, alles sei Zufall gewesen. Eigentlich war Spas Wenkoff aus Weliko Tirnowo, auch Tarnowo, in Bulgarien, wo er am 23. September 1928 geboren wurde, Jurist und arbeitete als Rechtsanwalt. Er brachte sich das Geigenspiel selbst bei, spielte Operetten im Orchester eines Liebhabertheaters und sprang ein als Operettentenor.

Dann ließ er seine Stimme ausbilden und kam zum ersten Mal nach Dresden, um vom dienstältesten Tenor der Staatsoper, Johannes Kemter, zu lernen. In seiner Heimat macht er Karriere als Operettentenor, dann als Opernsänger in Russe, am zweitgrößten Opernhaus Bulgariens. 1965 kommt er in die DDR, wo man angewiesen war auf Sängernachwuchs, vornehmlich aus Bulgarien oder Rumänien. Erste Station ist Döbeln, dann Magdeburg und Halle, und 1975 der Durchbruch in Dresden.

Sicher war nicht alles Zufall im Leben von Spas Wenkoff, aber der weltberühmte „Einspringer“ sollte er bleiben. Wien, Staatsoper, 16. Oktober 1982, Reiner Goldberg aus Dresden steht als Tannhäuser auf der Bühne. Schon im ersten Akt sind an diesem Abend Probleme nicht zu überhören. Spas Wenkoff ist da, er springt ein, im wahrsten Sinne des Wortes, mitten im ersten Akt, die Wiener jubeln. Im November, drei Jahre später, Wenkoff probiert an der Staatsoper in Berlin Tristan und Isolde, ein Hilferuf aus Wien, Gerd Brenneis ist erkrankt, wer singt am Abend in Die Walküre den Siegmund? Am Abend weichen in Wien die „Winterstürme dem Wonnemond“, der geht hell auf, und die Wiener sind aus dem Häuschen, denn wieder hat Spas Wenkoff als Einspringer einen Abend gerettet.

Nach einer außergewöhnlichen Sängerkarriere, nicht nur im Wagnerfach, auch als Verdis Otello, Beethovens Florestan in Fidelio oder Max in Webers Freischütz, etlichen Ehrungen und Auszeichnungen, Kammersänger der DDR und Österreichs, zog sich Spas Wenkoff zurück nach Bad Ischl. Heute hätte er seinen 85. Geburtstag gefeiert, leider ist er nach schwerer Krankheit am 12. August dieses Jahres verstorben. „Dir töne Lob! Die Wunder sein´n gepriesen.“ aus Tannhäuser setzte die Familie als Motto über die Traueranzeige für Spas Wenkoff.

Boris Gruhl

 

Zum Weiterlesen/-Hören-/Sehen:

Spas Wenkoff – Alles war Zufall, von Peter M. Schneider, BS-Verlag Rostock 2008

CDs: Ars Vivendi: Arien und Szenen von Wagner, Staatskapelle Berlin, Dirigent Hein Fricke (VEB Eterna)

Mytho: Tristan und Isolde, 1976, Bayreuth, live, Dirigent Carlos Kleiber

DVD:

Deutsche Grammophon: Tannhäuser, Bayreuth, Mitschnitt 1978

Donizettis „Duc d’Albe“ zum Zweiten

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Bis vor kurzem vom Pech verfolgt war die erste, die französische Fassung von Donizettis Oper Le Duc d’Albe, nun hat sie eine wegen des Schlusses problematische Rehabilitierung durch die Aufführung in Antwerpen und Gent und die daraus entstandene CD erfahren. Zu Donizettis Lebzeiten blieb das Werk unvollendet, wohl weil bereits während des Entstehungsprozesses die für die Hélène vorgesehene Sängerin die Partie ablehnte und sich der Komponist einem anderen Werk zuwandte. Später erarbeitete sein Schüler Matteo Salvi  eine italienische Fassung, von der nur die Tenorarie, die angeblich nicht einmal von Donizetti ist, im Gedächtnis der Musikwelt blieb.

Nicht gerade förderlich für den Erfolg der Oper war auch die Tatsache, das Verdi den von Scribe stammenden Stoff aufgriff und daraus erst Les vêpres siciliennes, später I vespri siciliani gestaltete. Mit Donizetti im wesentlichen gemeinsam hat Verdis Oper den ersten Akt mit den das Volk demütigenden Besatzern und die große Szene zwischen Vater und Sohn, in der Alba bzw. Montfort dem Sohn das Wort „Vater“ durch die drohende Hinrichtung der Freunde abpresst. Danach driften die beiden Opern wieder auseinander. Während bei Verdi die Hochzeit durch den unversöhnlichen Procida in ein allgemeines Gemetzel verwandelt wird, dem Bariton, Tenor und Sopran zum Opfer fallen, wirft sich Henri vor den Vater, den Hélène erdolchen will, und rettet ihn um den Preis des eigenen  Lebens. Herzog Alba, der Vater, segelt neuen Aufgaben entgegen, die Verschwörer bleiben mit der Leiche Henris trauernd zurück.  Für den relativen Erfolg in Italien war für Verdis Oper nicht zuletzt wichtig, dass sich das Geschehen in Italien abspielt, während die Donizettis in Brüssel angesiedelt ist.

Natürlich hat es Versuche gegeben, den Duc d’Albe für die Bühne zu retten, so durch die Konkurrentin Ricordis, die Verlegerin Giovannina Lucca. Sie ist die Urheberin der oben erwähnten italienischen Fassung, von der die Ergänzungen durch Salvi  wenig Donizetti-getreu, weil von niedrigem Niveau, sind. 1959 gab es einen erneuten Rettungsversuch durch Thomas Schippers beim Festival dei due Mondi in Spoleto. (Dazu auch der Artikel von Alex Weatherson in unserer  Rubrik History/Die vergessene Oper/19.)

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Aviel Cahn, Intendant der Vlaamse Opera, meinte, wie wenig Salvis Ergänzungen Donizetti gerecht wurden. Er beauftragte deshalb den Komponisten Giovanni Battistelli, ohne den Versuch einer Nachahmung Donizettis die fehlenden Teile, besonders den vierten Akt, mit seiner eigenständigen Musik von ca 18 Minuten auszustatten. Diese, sofort als Fremdkörper erkennbar, will dem Hörer kein bruchloses Werk vortäuschen. Das Verdienst des Labels Dynamic aus Genua ist es, den Mitschnitt aus dem Jahre 2012 jetzt veröffentlicht zu haben. (Wobei die Radioübertragung den vielleicht virileren und markanteren Tenor Marc Laho als Henri aus der Alternativbesetzung bot, aber 15 Minuten Musik unterdrückte.)

Es scheint beinahe so, als habe Verdi Donizettis Duca gekannt und sich inspirieren lassen, wie die Sinfonia im zögernden Schreitrhythmus vermuten lässt. Ansonsten ist nur der Alba einer Stimme anvertraut, die auch den Montfort singen könnte, das Liebespaar ist von wesentlich zarterem Stimmzuschnitt, wie bei Donizetti nicht anders zu vermuten. Der Vlaamse Opera ist es hoch anzurechnen, dass sie bei der Verpflichtung der Sänger nicht knauserig war, und nur so lässt sich natürlich ein vergessenes Werk „retten“. Auch setzen sich Chor (Yannis Pouspourikas) und Orchester (Paolo Carignani) mit Elan für das Werk ein, die Sänger gleichermaßen engagiert für die pöbelnde Soldateska wie die Rebellen („Vive la guerre“) und besonders ergreifend in dem requiemartigen Schluß von Battistelli. Das Orchester erfült perfekt seinen Part als zuverlässige Begleitung.

Mit Georges Petean hat man einen erstklassigen Bariton für den Alba gefunden, der die Bösewichtfarben genau so hat, wie er mit breitem Farbspektrum, toller Höhe wie zuverlässiger Tiefe die sehnsuchtsvolle Arie wie die rasante Cabaletta zu meistern versteht. Ein Höhepunkt der Oper ist sein Duett mit dem Sohn. Für diesen hat Ismael Jordi ein helles Donizetti-Timbre, eine prägnante Diktion und viel Empfindsamkeit für „Oui, longtemps.“ oder die berühmte Arie, die hier mit „Anges des cieux“ beginnt. Auch den dramatischen Aufschwung in Donizetti-Grenzen  für „Enfant de la Belgique“ beherrscht er.

Hélène, die Tochter des von Alba hingerichteten Grafen Egmont, ist Rachel Harnisch mit süß-melancholischem Sopran bereits in Mimi-Nähe, weich fließenden Kantilenen, sicher über dem Ensemble schwebend und sehr deliziös in „Ton ombre“. Angemessen besetzt sind auch die kleineren Partien, so mit markanter Tiefe der Vertraute Hélènes, Daniel, den Igor Bakan singt, oder der Albas/Sandoval, dem der Bassist Vladimir Baykov die ebenfalls passende Stimme verleiht.

Dem Werk, das man von Anfang bis zum Battistelli-Ende mit Interesse und Freude hört, sollten zumindest für konzertante Aufführungen die Tore der Opernhäuser geöffnet werden. Lothar Herbst

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Donizetti: Le Duc d’Albe mit Rachel Harnisch – Hélène, Georges Petean – Le Duc d’Albe, Ismael Jordi – Henri, Igor Bakan – Daniel, Vladimir Baykov – Sandoval  u. a. Chor und Orchester der Vlaams Opera, Dirigent – Paolo Carignani, 2 CD Dynamic CDS 7665/1-2: Foto oben Donizettis „Duc d´Albe“ in Brüssel/Szene/ Foto Annemie Augustijns

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Pier-Louis Dietschs „Vaisseau fantôme“

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Über die Hintergründe zur Oper von Pierre-Louis Dietschs Oper Le Vaisseau fantôme führten ist hier an derer Stelle bereits berichtet worden – die Herren Dratwicki und Roesler taten dies im Programmheft zur konzertanten deutschen Erstaufführung im Juni 2013 im Konzerthaus, und ihre Texte finden sich bei der Vergessenen Oper.

Bereits im Vorfeld gab es zwei Aufführungen des Werkes in Versailles und Wien durch Marc Minkowski, der ebendort den Dietsch und die Urfassung des Fliegenden Holländers von 1841 auch für naive einspielte, konzertant mitgeschnitten. Und nach dem packenden Abend in Berlin muss ich sagen, dass es ein Jammer ist, dass eben dieser Abend nicht für eine CD gewählt wurde – die Solisten in Berlin waren einfach alle besser und zufriedenstellender. Da beginnt mit Enrique Mazzolas  stürmischer,. werkgerechterer Leitung und vor allem mit dem wirklich fabelhaften Orchester der Deutschen Oper, eben ein hochrangiges Opernorchester und kein Mehrzweckkörper wie Minkowskis Musiciens du Louvre Grenoble, und auch der dortige Chor aus Lettland war dem schlagkräftigen, sonoren Chor der deutschen Oper weit unterlegen. Mazzola holte einfach alles aus der Musik heraus, die dann plötzlich nicht epigonal und billig klang. Man hörte gewiss viel Donizetti (Lucie de lammermoor und andere Werke hatten gerade in Paris Karriere gemacht), man hörte auch Barockes von Lully, aber man hörte eben auch Verdi, man hörte Rigoletto, Traviata und ganz sicher vieles aus dem Umkreis, dazu Boieldieus Dame blanche merhfach – ein bunter Reigen von Bekanntem in einem Strauss des Eigenen. Namentlich auch die zahlreichen Chöre ließen auf Dietschs Kirchentätigkeit rückschließen.

Die stimmliche Besetzung ließ keine Wünsche offen – so stringent hab ich außer beim Attila darauf selten eine Oper gehört. Vor allem die zentrale Partie der Minna (später Senta) war im Gegensatz zu Minkowski exakt mit einem durchsetzungsfreudigen und hellem Sopran besetz. Die originale Laure Cinti-Damore war ein solche heller Sopran gewesen und sang die Marguérite in den Huguenots, kein mulschiger, dunkler und sehr unidiomatischer wie der von Sally Mathews in Wien und Versailles und leider auch auf der CD bei naive. Laura Aikin machte als Minna (später Senta) ihre Sache toll, ich hätte nicht gedacht, dass sie soviel power aufbieten kann, um die wirklich höllische Soloszene und das Duett im 3. Akt zu meistern. Ich klatschte mir die Hände wund. Der junge Josef Wagner war als Troil (Holländer) ein absoluter Gewinn, wunderbares Material, gutes Technik und eine sonore, herrliche Stimme – das wird was. Yosep Kang überraschte mit hellen, fast heldischen Töne als Erik mit guter Stimmführung, Magnus, Scriften (eingeschobene Charaktere, die nicht bei Wagner vorkommen) waren mit Jean-Francois Borras und Seth Carico bestens vertreten. Und über Papa Barlow (Daland) freute ich mich besonders, denn ich liebe den eleganten Nicholas Cavallier sehr und erinnere mich an viele Abende mit ihm in Frankreich – ein wirklich guter und zudem idiomatischer Sänger. Aber die anderen (einschlißlich des Chores) brauchten sich sprachlich nicht verstecken – die Diktion war wirklich impeccable. So also erlebte man einen fast rauschhaften Opernabend im Konzert, eine Fülle an musikalischen und musikhistorischen Informationen – das hört man nicht oft. Zum Wagner-Jahr hatte sich die Deutsche Oper (neben dem nicht ganz so urigen Ur-Holländer 1841) wirklich was gegönnt, bravo! Geerd Heinsen#+.

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Zum Werk: Als Richard Wagner am 17. September 1839 in Paris ankommt, widmet er sich einer einzigen Aufgabe: ein Werk für die Opéra zu schreiben. Das wäre – so dachte er – Start und zugleich Erfolgsgarantie für seine Karriere als Opernkomponist, ist doch Frankreichs Hauptstadt für einen Opernkomponisten der Tempel, in dem die Werke für die Nachwelt aufgehoben werden. In diesen 40er-Jahren haben sich die Muster von Meyerbeer und Halévy fest verankert als ästhetisches Modell, das den Eklektizismus feiert [auf der Mitte zwischen französischer Deklamation und italienischer Virtuosität], und Donizetti regiert als Meister auf allen Bühnen in Paris [Anna Bolena triumphiert im Théâtre-Italien, La favorite in der Opéra, La Fille de Régiment in der Opéra-Comique und Lucie de Lammermoor – in Französisch – im Odéon]. In dieser Umgebung vollendet Wagner Rienzi und nimmt – angeregt durch die Lektüre einer Novelle von Heinrich Heine, die er 1838 in Riga entdeckt hatte – die Komposition des Fliegenden Holländer in Angriff. Man weiß heute, dass zwei Chöre und die berühmte Ballade der Senta einige Monate vor dem eigentlichen Beginn der Arbeit am Holländer komponiert wurden. Aber es ist ganz klar, dass die Partitur in ihrer Gesamtheit an Paris gerichtet ist. Leider wird Léon Pillet, der gerade im Sommer 1840 auf den Posten des Direktors der Opéra kam, die Hoffnungen Wagners gleich zunichte machen. Ganz darauf bedacht, alles richtig zu machen, hat er vielleicht eine Zeitlang daran gedacht, den jungen Komponisten mit einem der „Akte“ zu beauftragen, den laut Pflichtenheft ein ausländischer Komponist schreiben durfte, doch hat er diese Zusage schnell zurückgezogen und ihm nur vorgeschlagen, die „Idee“ zu kaufen, die er ansprechend fand. Weil er dringend Geld benötigte, verkauft Wagner am 2. Juli 1841 der neuen Direktion der Opéra seinen Stoff. Genau handelte es sich um die Zusammenfassung eines Librettos nach der Legende des Fliegenden Holländer in gebrochenem Französisch. Man liest gelegentlich, Wagner habe die Idee zu dem Libretto während der stürmischen Fahrt gewonnen, die ihn nach Frankreich brachte. Einige Monate zuvor hatte er diese gleiche Zusammenfassung [die vielleicht mit der Hilfe von Heinrich Heine entstand] dem Librettisten Eugène Scribe gezeigt, in der Hoffnung, seine Unterstützung zu gewinnen, doch daraus wurde nichts.

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Le Vaisseau fantôme ou Le maudit des mers von Pierre-Louis Dietsch: Bald nachdem die Wagnersche Zusammenfassung im Sommer 1841 in die Hände von Paul Foucher und Henri Révoil gelangt war, nahm sie die Form eines französischen Librettos an, das jedoch mit neuen Quellen angereichert wurde: The Pirate von Walter Scott, Schriften von James Fennimore Cooper und vor allem The Phantom Ship von Frederick Marryat [das 1839 unter dem Titel Vaisseau fantôme ins Französische übertragen worden war]. Nachdem das Libretto durch Foucher in Verse gefasst war, wurde es dem Komponisten Pierre-Louis Dietsch übergeben. Die verpasste Gelegenheit eines Auftretens von Richard Wagner auf der Pariser Opernbühne [die erste einer langen Reihe] führte also zu zwei unterschiedlichen Werken: Le Vaisseau fantôme von Dietsch, uraufgeführt an der Pariser Opéra am 9. November 1842, und Der fliegende Holländer uraufgeführt in Dresden am 2. Januar 1843.

Saal des Théâtre Italien, ca 1840/HeiB

Saal des Théâtre Italien, ca 1840/Wikipedia

Dass Dietsch Wagner vorgezogen wurde beim Auftrag der französischen Oper, ist vor allem der großen Freundschaft zwischen ihm und Léon Pillet geschuldet. Als dieser für den Posten des Direktors der Académie royale de musique nominiert wurde, folgte Dietsch – bis dahin Kontrabassist im Orchester des Théâtre-Italien – unmittelbar Halévy als Chordirektor an der Opéra. Der Protégé des Direktors ist jedoch kein unbeschriebenes Blatt: Auch wenn er das Conservatoire durchlief [er studierte Komposition bei Rejcha und erhielt das Diplom „premier prix“ für Kontrabass 1830], handelt es sich um einen Schüler von Alexandre Choron, dessen Tradition er nun weiterführte. Als Kapellmeister von Saint-Eustache in den 1830er-Jahren und Kirchenkomponist veröffentlichte er – ein Jahr vor der Uraufführung des Vaisseau fantôme – sein „Répertoire des maîtrises et chapelles“ [„Sammlung für Kantoreien und Kirchenchöre“], worin er diese Tradition festschreibt, was Anfang der 1850er-Jahre dazu führt, dass er zusammen mit Niedermeyer eine Kirchenmusikschule gründet. Die Pariser Kritiker würdigen die Meisterschaft des Komponisten des Vaisseau fantômeDie „Revue et gazette musicale“ vom 13. November 1842 notiert, dass „die Musik von Herrn Dietsch von Gelehrsamkeit und Fachkenntnis geprägt ist; sie hat den Duft der Vornehmheit, des guten Geschmacks, der Anmut und es fehlt ihr nicht an kräftig angerührten Farben. Die melancholischen und duftigen Kantilenen vermischen sich mit kraftvollen Chören.“ „Le Ménestrel“ findet seinerseits, dass „Herr Dietsch […] sich seiner Aufgabe mit Talent entledigt und sein musikalisches Fachgebiet nicht verfehlt hat. Die Instrumentation ist umfangreich und seine Melodien haben eine leichte religiöse Färbung, was den ernsten Situationen des Librettos entspricht.“
Wenn einige Zeitgenossen Dietschs einen „gräulichen“ Ton bemängeln, der das ganze Werk durchzieht – das alles in allem nur eine Stunde und 40 Minuten dauert, denn es sollte einem „großen romantischen Ballett“ vorangestellt werden –, so wird der heutige Zuhörer gerade den einheitlichen Ton zu schätzen wissen, den man sonst so selten in der französischen Oper findet. Man sollte also den damaligen „Meyerbeerismus“ nicht unterschätzen, der Kontraste forderte und der Liebesduette und Trinklieder oder beunruhigende Vorspiele und ländliche Tanzszenen nebeneinanderstellte. Ohne zu übertreiben, aber in der Art Donizettis, konstruierte Dietsch den Großteil der Musik als abgeschlossene Nummern, Konzertstücke, in denen lebhafte Cabaletten auf gemessene Cantabiles folgten [besonders die Duette der Minna mit Magnus und Troïl]. Der Höhepunkt dieser italienischen Machart ist in der Arie der Minna [Gebet und Polonaise] erreicht, wo die typisch französischen Harfenklänge im Cantabile mit den flinken Rhythmen der Stretta kontrastieren. Der poetische Höhepunkt ist ohne Zweifel der Beginn des zweiten Aktes, wo Troïl seine Not in einem musikalischen Stil ausdrückt, der schon den frühen Verdi ankündigt.

Der Misserfolg des Werks [es wurde zwischen November 1842 und Januar 1843 elfmal aufgeführt, was durchaus ehrenvoll ist] ist zweifellos eher der armseligen Inszenierung zu verdanken: eine Sparsamkeit der Mittel, die sowohl dem üblichen Prunk der Opéra wie auch den Erwartungen des Publikums widerspricht, das mit der Ankündigung einer „phantastischen Oper“ und eines Schiffs angelockt worden war. Die Oper von Dietsch beendet ihre Bühnenkarriere bereits im Januar 1843 und exakt der 2. Januar ist der Tag, an dem Wagners Oper im Königlich Sächsischen Hoftheater uraufgeführt wird. Alexandre Dratwicki (Übersetzung Daniel Hasuser)

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Das Théâtre Italien zur Zeit von Dietsch/HeiB

Das Théâtre Italien zur Zeit von Dietsch/Wikipedia

Der Komponist Pier-Louis Dietsch. Wer die Biografien der beiden Hauptjubilare des Jahres 2013, Richard Wagner und Giuseppe Verdi, aufmerksam liest, wird beide Male dem Namen Louis Dietsch begegnen. Beide waren unzufrieden mit ihm, der als Chorleiter der Opéra ausgerechnet die Vorstellungen des Tannhäuser und der Vêpres siciliennes dirigierte – jeweils sehr zum Missfallen der Komponisten. Der Konflikt mit Verdi führte letztlich sogar zu seiner Entlassung. Noch aus zwei anderen Gründen ist er in die Musikgeschichte eingegangen. Er gab als Kirchenmusiker ein „Ave Maria von Arcadelt“ heraus, das lange Zeit für eine Fälschung, also eine Komposition von ihm selbst, gehalten wurde. Und zum Zweiten kreuzte sich sein Weg schon lange vor dem Tannhäuser mit dem Richard Wagners, als er nämlich von der Opéra den Auftrag erhielt, das Libretto, das aus Wagners Holländer-Szenario geschmiedet worden war, zu komponieren. Das Ergebnis, Le Vaisseau fantôme, kam sogar noch vor Wagners Fliegendem Holländer zur Uraufführung, versank aber nach wenigen Aufführungen in der Vergessenheit und gelangt erst jetzt durch das Konzert der Deutschen Oper Berlin zur Deutschen Erstaufführung. Die vollständige Abfolge der Vornamen von Dietsch lautet Pierre-Louis-Philippe. Der Nachname ist auch in anderen Schreibweisen überliefert, darunter am häufigsten Dietz. So war auch vermutlich der Name seines Vaters, eines Strumpffabrikanten in Dijon, dessen Vorfahren aus Apolda stammten. Geboren am 17. März 1808, erhielt er ersten musikalischen Unterricht als Chorknabe in der Kathedrale von Dijon. Den 14-jährigen entdeckte dort der berühmte Musikpädagoge Alexandre-Étienne Choron bei einem Gastspiel. Er lud ihn ein, an der von ihm 1817 in Paris gegründeten „Institution royale de musique classique et religieuse“ zu studieren, der nachmaligen „École Niedermeyer“, benannt nach Chorons Schüler und künstlerischen Erben Louis Niedermeyer [wo Dietsch später auch unterrichtete]. Nach der Juli-Revolution 1830 trat Dietsch in das Conservatoire ein, wo er bei Anton Rejcha Kontrapunkt studierte und ein Diplom mit Auszeichnung als Kontrabassist erlangte. Er spielte einige Jahre im Orchester des Théâtre-Italien und wirkte gleichzeitig als Organist und Chorleiter in verschiedenen Pariser Kirchen. Seine wichtigste Funktion war die eines Kapellmeisters an der traditionsreichen Pfarrkirche Saint-Eustache. Dort kam 1838 eine Meyerbeer gewidmete Messe für vier Solisten, Chor und Orchester zur Uraufführung, die von Hector Berlioz und anderen Kritikern hoch gelobt wurde. 1840 wurde er auf Empfehlung von Rossini – der Grauen Eminenz des Théâtre-Italien – Chorleiter an der Opéra. Daneben aber widmete er sich weiter der Kirchenmusik: Er gab ab 1841 in drei Bänden ein „Répertoire des maîtrises et chapelles depuis Palestrina jusqu’à nos jours“ [„Musiksammlung für Kirchenchöre und -kapellen von Palestrina bis heute“] heraus. 1850 wechselte er von Saint-Eustache an die Pfarrkirche La Madeleine an der Place de la Concorde, die seit 1846 eine der bedeutendsten [und von Traditionalisten zunächst wütend bekämpften] Orgeln von Aristide Cavaillé-Coll beherbergte. 1860 stieg er an der Opéra zum „premier chef d’orchestre auf und dirigierte einige Repertoirewerke u. a. von Rossini und Bellini, ehe er das Pech hatte mit dem Tannhäuser und den Vêpres siciliennes.
Das Scheitern des Vaisseau fantôme, das sicher mehr an der lieblosen Besetzung und düsteren szenischen Umsetzung lag als an der Musik, führte dazu, dass er nie wieder eine Oper komponierte. Messen [insgesamt wurden es 25] und andere Kirchenmusik jedoch verfasste er bis zu seinem frühen Tod am 20. Februar 1865. Dietsch erhielt zahlreiche Ehrungen, unter anderem auch vom preußischen König. 1927 erst wurde der Nachweis erbracht, dass das „Ave Maria“ auf der [weltlichen] Melodie „Nous voyons que les hommes“ des flämischen Renaissance-Komponisten Jakob Arcadelt basiert. Curt A. Roesler

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Alexandre Dratwicki ist Musikwissenschaftler und Initiator/Künstlerischer Herausgeber des vom Plazetto Bru Zane angeschobenen Projekts zur Förderung und Verbreitung der französischen Musik sowohl als Konzerte/Aufführungen an verschiedenen locations wie auch auf CD, letzere erscheinen ber diversen Labels (naive, Naxos, Glossa etc) wie auch auf dem eigenen der Ediciones Singolares, über die bereits berichtet wurde. Sowohl die Oper von Dietsch wie auch Wagners Holländer von 1841 unter Marc Minkowski, in Wien im Sommer aufgenommen, kommen bei naive  noch 2013 heraus.

Curt A. Roesler ist langjähriger Dramaturg an der Deutschen Oper Berlin und Autor vieler Artikel und Beiträge in diversen Veröffentlichungen.

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Mein Dank geht an die Deutsche Oper Berlin für die Erlaubnis zum Nachdruck der vorstehenden Texte aus dem Programmheft zu den konzertanten Aufführungen der Opern von Dietsch und Wagner am 27. 5. und 4. 6., wobei mein persönlicher Eindruck die Berliner Dietsch-Aufführung ganz unbedingt gegenüber der Wiener kurz davor favorisiert. (s dazu auch die Kritik in Szene/Festivals). G. H.

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Wie schade, wiederhole ich, dass die konzertante Berliner Aufführung des Vaisseau fantôme von Pierre Louis Dietsch vom Beginn dieses Jahres (2013) nicht auf die CD gelangte: Die neue und erstmalige Einspielung bei naive als Beipack für den Fliegenden Holländer 1841 unter Marc Minkowski weist nicht diese Verve, diese erstklassige Besetzung und auch nicht diesen Chor- und Orchesterapparat (DOB) auf. Es ist mir unverständlich, dass diese Vorstellung nicht einmal ins Radio kam, so also bleibt nur ein – wenngleich erstklassiger – Inhouse-Mitschnitt, der meine Vorbehalte gegen die Neuaufnahme bestätigt. Alles ist dort schmissiger, lyrischer, besser gesungen und gespielt, und Marc Minkowski bleibt mit mit seinen orchestralen und vokalen Kräften weniger überzeugend. Bei ihm wirkt die Oper langweiliger, schleppender, die Italianismen nicht prägnant genug herausgearbeitet, das Ganze zwar „interessant“, aber eher lässlich, wie man sicher woanders lesen wird.

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Über die Genesis der Oper ist hier in Operalounge.de bereits geschrieben worden (s.  die Artikel der Herren Dratwicki und Roessler im Programmheft zur Aufführung in Berlin): über den Abkauf von Wagners Plot in seinem Pariser Exil durch den Intendanten Pillet, über den Komponisten Dietsch (Foto oben/naive/Bibl. de l` Opéra), der das Unglück hatte, den Tannhäuser dirigieren zu müssen und der doch ein sehr beachtlicher Komponist und Chordirigent war, über die Besetzung mit der bezaubernden Julie Dorus-Gras und ersten Kräften der Opéra und auch über den beträchtlichen Erfolg des Werkes, das dann in tiefe Vergessenheit fiel, bis es der Palazetto Bru Zane und Marc Minkowski wieder ausbuddelten und es auf seiner Tournee durch Europas Städte von Grenoble (dem Aufnahmeort 2013) über Wien bis Barcelona bekannt machten. Dass die Oper ihre Meriten hat, steht ja außer Frage, und dass sie mit Wagner absolut nichts und mit Donizetti und Rossini sowie den leichteren Franzosen der Zeit viel zu hat (La Dame blanche z. B.) auch. Also sollte man sie auch getrennt betrachten – als Beipack, Aufwärmer für den Fliegenden Holländer an nur einem Abend ist sie so wenig geeignet wie die Cassandra Gnecchis als Warm-up für die Elektra an der Deutschen Oper Berlin (noch eine Harms-Altlast) oder in einer Box zusammen mit Wagner.

wagner holländer minkowskiAls Opern-Fan begrüße ich jedes unbekannte Werk, auch auf CD. Und deshalb bin ich froh, diese Oper nun konserviert zu hören. Russell Braun ist ein sehr solider Troil/Holländer, sonor und fest im Ton. Bernard Richter, Ugo Rabec, Eric Cutler und Mika Kares entledigen sich ihrer Rollen mit Anstand, ohne wirklich ein Gesicht auf ihre Partien zu bekommen (Magnus, Barlow, Eric und Scriften); man hört, sie sparen für den nachfolgenden Holländer, zumal Le Francais doch auch eher allgemein klingt, nicht wirklich so richtig idiomatisch. Und mit Sally Matthews hat man eine absolute Fehlbesetzung als Minna (die französische Senta), denn ihr zu dunkler Ton klingt mir mulschig, unkonturiert, viel zu dramatisch und der Originalbesetzung diametral entgegen (wenn man sich am hochgelegenen Repertoire der Dorus-Gras orientiert) – hier singt eben eine Senta, kein soprano léger, wie verlangt. Vielleicht wollte das sonst keine singen?

Es grämt mich wirklich, nichts Enthusiastisches über diese Aufführung aus Grenoble sagen zu können, ich hätt´s gerne getan. Aber auch das Klangbild ist nicht so toll, und eben: Das Bessere ist des Guten Feind, leider. Immerhin, es gibt das Libretto in deutsch übersetzt. Wie sagt doch der Volksmund? „Nicht immer hält das rote Licht, was es dem Wandersmann verspricht.“ – Ich hätte mir mehr erhofft… Dennoch – nun ganz schnell die Kurve zum Lob -, dass es diese bislang absolut unbekannte Oper überhaupt auf CD gibt und im Ganzen eben sehr ordentlich ausgeführt (und den Vergleich mit der Berliner Aufführung haben ja auch nicht viele), ist schon ein Grund zur Freude. Geerd Heinsen

Pierre-Louis Dietsch: Le vaisseau fantôme mit Russsell Braun/Troil, Sally Matthews/Minna, Bernard Richter/Magnus, Ugo Rabec/Barlow, Eric cutler/Eric, Mika Kares/Scriften; Eesti Filhamoonia Kammerkoor/Hell Jürgensen; Les Musiciens Du Louvre; Dirigent: Marc Minkowski, naive V5349 (gekoppelt mit Wagner: Der fliegende Holländer, 4 CD)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Celibidache: frühe Jahre in Berlin

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Als Dirigent prägte Sergiu Celibidache das Musikleben der vom Krieg gezeichneten Metropole Berlin wie kaum ein anderer. Die überwiegend bislang unveröffentlichten Tondokumente dieser Edition zeichnen erstmals ein umfassendes Bild des Dirigenten aus den Jahren 1945 bis 1957. Intensive  Recherche förderte diese Zeitdokumente, die neue Eindrücke des legendären Dirigenten vermitteln, zu Tage. Anders als in Celibidaches späten elegisch-lyrischen Interpretationen zeigt er in diesen Aufnahmen eine jugendlich-ungestüme Seite. Aber auch seine weitere Entwicklung ist bereits hörbar angelegt, wie die Chopin-Aufnahme mit Raoul Koczalsky beispielhaft zeigt. Das Stampfen und Singen des Dirigenten in der unvollständigen Studioaufnahme von Beethovens Siebter hingegen belegt überdeutlich sein feurig-stürmisches Temperament. Diese Aufnahme liegt als Bonus-CD bei.

Die audite-Edition beruht ausschließlich auf zertifizierten Tondokumenten, d.h. Originalbändern, die heute im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und dem Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg (DRA) aufbewahrt werden. Nicht berücksichtigt wurden Fragmente und Bänder, deren technischer Zustand  keine Veröffentlichung zulässt, sowie nicht-lizensierte on-air-Kopien des Grauen Marktes (z.B. Schostakowitsch 7. Sinfonie). Ausführliche editorische Hinweise, auch zu teilweise fehlenden Takt- oder Satzteilen auf den Originalbändern, finden sich im Booklettext.

Zur Entstehungsgeschichte von Celibidaches frühen Berliner Rundfunkaufnahmen

Archiv Berliner Philharmoniker

Archiv Berliner Philharmoniker

Sergiu Celibidache hat in seinen Berliner Jahren bis 1954 mit drei Berliner Orchestern konzertiert und mit ihnen Studioproduktionen eingespielt. Die Geschichte der Entstehung dieser Aufnahmen und ihrer Überlieferung ist nicht ohne die politischen Wirren der Nachkriegsjahre denkbar. Während Celibidaches Zeit bei den Berliner Philharmonikern dank akribischer Recherchen gut dokumentiert ist, liegt sein Wirken im Ost-Berliner Sektor 1945 bis 1948 mangels zugänglicher Dokumente noch weitgehend im Dunkeln. Celibidache und das RIAS-Symphonie-Orchester bzw. Radio-Symphonie-Orchester Berlin Am übersichtlichsten ist der Blick auf Celibidaches Zusammenarbeit mit dem RIAS Symphonie-Orchester, das ab Mitte 1956 als Radio-Symphonie-Orchester Berlin neu  gegründet wurde und seit 1993 den Namen Deutsches Symphonie-Orchester Berlin trägt. Nur drei Konzertprogramme hat er mit diesem Orchester realisiert. Das erste Konzert vom 17., 18. und 20. Oktober 1948, ein reines GershwinProgramm, wurde vom RIAS übertragen. Der Mitschnitt der  Rhapsody in Blue ist erhalten [audite 21.406]. Vom zweiten Konzert im März 1949, ebenfalls vom RIAS gesendet, wurden die Bänder schon bald darauf gelöscht. Doch das dritte Konzert, das Festkonzert zu Heinz Tiessens 70. Geburtstag am 7.10.1957, wurde sowohl vom RIAS als auch vom Sender Freies Berlin (SFB) übertragen. Die drei Werke von Tiessen sind ebenfalls in der erwähnten audite-Edition veröffentlicht, ein Sonderfall hingegen ist der Mitschnitt von Beethovens Siebter Symphonie. Celibidaches überdeutliches Mitsingen, Stampfen und Schreien haben sicherlich dazu geführt, dass das Originalband des RIAS in den 1960er Jahren gelöscht wurde. (Was uns heute unverständlich erscheinen mag, sollte nicht zu streng beurteilt werden, denn damals spielte der dokumentarische Aspekt einer solchen Aufnahme keine große Rolle, im Gegensatz zum Gebrauchswert für den täglichen Sende einsatz). Zum Glück ist aber ein Fragment des SFB-Bandes überliefert, welches hier zum ersten Mal veröffentlicht wird.Celibidache und das Rundfs Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin war damals (bis Anfang der 1950er Jahre) beheimatet im Haus des Rundfunks in der Charlottenburger Masurenallee, dem Standort des Berliner Rundfunks. Der unter der Kontrolle der sowjetischen Militäradministration stehende Sender wurde 1949 der erste Radiosender der DDR. Erst im Herbst 1952 zog er in den neu errichteten Standort in der Nalepastraße im Ost-Berliner Stadtteil Oberschöneweide. Etwa ein Dutzend Aufnahmen Celibi daches mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin haben die Zeiten überdauert, neun davon sind in dieser Edition enthalten. Bei dem Rest handelt es sich um einzelne Sätze aus größeren Werken, bzw. um Aufnahmen, die wegen mangelnder technischer Qualität nicht für eine Veröffentlichung geeignet erschienen. Nicht alle Bänder sind datiert, doch ist zu vermuten, dass es sich durchweg um Produktionen im Haus des Rundfunks handelt, die zwischen Juli und Oktober 1945 entstanden sind. Nur das zweite Klavierkonzert von Chopin mit Raoul Koczalski ist drei Jahre später eingespielt worden.

Nach der Wende wurde der gesamte Bestand an Tondokumenten der DDR-Rundfunkanstalten, darunter auch diese Produktionen Celibidaches mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Teil des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) mit Sitz in Babels berg. Für eine mehrteilige Sendereihe Anfang  der 1990er Jahre kamen Kopien dieser Bänder zum SFB, die im heutigen rbb aufbewahrt werden. (Für diese Edition wurde immer auf die Originalbänder des DRA zurückgegriffen).

Celibidache und die Berliner Philharmoniker

Ab Ende August 1945 leitete Celibidache Konzerte der Berliner Philharmoniker und wurde bereits am 1. Dezember des Jahres zum Künstlerischen Leiter des Orchesters berufen. In den darauffolgenden Jahren, insbesondere 1946 und 1947, stand er in den allermeisten Konzerten der Berliner Philharmoniker am Pult. Viele der damaligen Konzertprogramme wurden mindestens zwei Mal gespielt, einmal im Westsektor der Stadt, zum Beispiel im Steglitzer Titania-Palast, und tags darauf im Ostsektor, häufi g im Haus des Rundfunks oder im Admiralspalast. Da der (Westberliner) Sender RIAS einen eigenen Klangkörper aufbaute, das RIAS-Symphonie-Orchester, konnte der (Ost-)Berliner Rundfunk die Berliner Philharmoniker zu Produktionen im Haus des Rundfunks verpfl ichten. Praktisch alle Aufnahmen der Berliner Philharmoniker in dieser Edition, die bis zum Sommer 1947 realisiert wurden, sind als Studioproduk tionen im Haus des Rundfunks entstanden. Das Ziel war die Bildung eines Programmvermögens für Sendezwecke.

Diese Situation änderte sich grundlegend im folgenden Jahr 1948. Die Spannung zwischen den politischen Blöcken eskalierte und führte zur Berlin-Blockade, mit der am 24. Juni 1948 der Westteil der Stadt abgeriegelt und von den amerikanischen Verbündeten über die Luftbrücke versorgt wurde. Den Berliner Philharmonikern wurde von der amerikanischen Militärregierung fortan untersagt, in Veranstaltungen des Berliner Rundfunks mitzuwirken und im Ostsektor der Stadt aufzutreten. Die Konzerte der Berliner Philharmoniker wurden nun vom RIAS übertragen (die Celibidache-Einspielungen der RIAS-Edition [audite 21.406] beginnen im Oktober 1948). Zusätzlich zum RIAS war im August 1946 am Heidelberger Platz in Berlin-Wilmersdorf der NWDR Berlin auf Sendung gegangen. Der NWDR, der später in die zwei Landesrundfunkanstalten WDR und NDR aufgeteilt wurde, nutzte das Berliner Studio für Berichte aus Berlin und aus der ‘Zone’. Mindestens einmal noch ging Celibidache nach Ostberlin für die Produktion von Chopins zweitem Klavierkonzert mit Raoul Koczalski und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin am 25. September 1948. Sämtliche erhaltenen und in vorliegender Edition dokumentierten Aufnahmen Celibidaches mit den Berliner Philharmonikern aus den Jahren 1948 bis 1950 sind Studioproduktionen des NWDR Berlin aus der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche. Zum Teil wurden komplette Konzertprogramme nachproduziert, etwa das amerikanische Programm vom 4.4.1950 (Barber, Copland, Diamond und Piston) oder das Konzert vom 7.12.1950 (Chávez, Genzmer und Raphael). Aus heutiger (und aus ökonomischer) Sicht höchst erstaunlich ist die Tatsache, dass das Konzertprogramm vom 7. Dezember einen Tag später, am 8. Dezember in der Jesus-Christus-Kirche vom NWDR produziert wurde, und noch einmal am 9. Dezember vom RIAS, wiederum in der Jesus-Christus-Kirche!In den Jahren 1951 und 1953 ging der NWDR für Produktionen mit seinem Aufnahmestab in den Gemeindesaal Thielallee in Berlin-Zehlendorf, vielleicht weil der RIAS und die Deutsche Grammophon sich die Produktionstermine in der JesusChristus-Kirche teilten, und der NWDR sich daher einen Ausweichort suchen musste. Ende 1954 wurde der NWDR Berlin eingestellt und in den neu gegründeten SFB, den Sender Freies Berlin, überführt. Nach 1953 haben die Berliner Philharmoniker, auf Initiative ihres neuen Chefdirigenten Herbert von Karajan, nur noch Schallplatten und CDs eingespielt, aber – mit ganz wenigen Ausnahmen – keine Rundfunkproduktionen mehr. (Live-Konzerte der Berliner Philharmoniker werden bis heute im Rundfunk übertragen). (Mit Dank an Sabine Wiedemann/audite, die auch die seltenen Fotos aus dem Bestand der Berliner Philharmoniker ermöglichte)

Celibidache: The Berlin Recordings (1945 – 1947) – Berliner Philharmoniker, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Radio-Symphonie-Orchester Berlin, Sergiu Celibidache, Dirigent
(12 CD-Box + Bonus-CD  aud. 21423)

Archiv Berliner Philharmoniker

Archiv Berliner Philharmoniker

Vielleicht ist dies der geeignete Ort, an eine DVD von „Celi“ zu erinnern, die kürzlich bei Arthaus herauskam: Celibidache dirigiert Bruckners Messe in f-Moll in St. Florian mit seinem späteren Stammorchester, den Münchner Philharmonikern. Es singen zudem Margaret Price und Doris Soffel, Peter Straka, Matthias Hölle und Hans Sotin neben dem Münchner Philharmonischen Chor – das Ganze von 1993. Angehängt ist als Bonus ein Kuriosum: Celibidaches Besuch in Moskau anlässlich einer Staatsbesuches mit den Müncher Philharmonikern, ein seltenes Dokument. Bruckner ist ein Film von Jan Schmidt-Garé für das Fernsehen. (101678) G. H.

Noch ein Opernmagazin?

Hallo und guten Tag,

„Noch ein Opernmagazin? Und dann noch online – nee, wirklich!“ Ich hör’s richtig, wie es in Kollegen- und Leserkreisen raunt. Warum also ein weiteres neues? Ah – da liegt der ganze Unterschied (um die Marschallin zu zitieren). Operalounge.de soll Lust machen und Lust vermitteln. Operalounge.de will Spaß machen, will anregen, will Wissenswertes neben Individuellem, Originelles neben Seriösem bieten, will verstärkt das Gewicht auf das Historische legen ohne altbacken zu sein. Operalounge.de will erklärtermaßen auch ein Anwalt des Vergessenen sein, will den Blick auf die heutige Musikszene durch Vergleich mit dem Vergangenem schärfen und sternschnuppenartigen Events etwas Bleibendes (und auch Bewährtes) entgegensetzen, ohne in tümelnden Konservativismus zu verfallen.

Operalounge.de ist nicht an Werbung gebunden, weil es eben ein Magazin ohne finanzielle Absichten ist. Bei Operalounge.de finden Sie die hochpersönliche Meinung von vielen verschiedenen Autoren, die Oper und Musik als ihren Lebensinhalt betrachten und damit (aber nicht davon) leben.

Entstanden ist der Gedanke an ein professionelles „anderes“ kritisches, auch verrücktes, bizarres, ungewöhnliches Magazin, als ich mich nach jahrzehntelanger Tätigkeit als Chefredakteur der Ende 2012 eingestellten Musikzeitschrift orpheus fragte, ob ich nun den noch beträchtlichen Rest meines Lebens in Partnerschaft Marmelade rühren sollte (dieses Jahr waren’s Aprikosen)? Oder ob ich noch einmal – aber nicht unter den drückenden kommerziellen Zwängen – meiner Liebe zu Sängern, Oper, Büchern und eben Musik folgen und andere an meinen Leidenschaften/Interessen/Erlebnissen/Erfahrungen teilhaben lassen sollte/wollte?

Die vielen eindrücklichen Begegnungen mit herausragenden Sängerpersönlichkeiten, die wunderbaren und im Nachhinein fast mythischen Aufführungen, die ich erleben konnte (ich vergesse nie den Beginn der Rossini-Renaissance in Pesaro 1985/86 oder die französischen Serien in Paris unter Bogianchino) haben doch so tiefe Spuren hinterlassen, dass ich die Lust, die ich empfand und empfing, weitergeben möchte, eben Menschen weiterhin begeistern will, sie anstoßen möchte, mit mir und meiner wunderbaren Crew noch einmal auf eine Reise in dieses magische Land der akustisch-optischen Genüsse mitzukommen.

Und einen wirklich fabelhaften Redaktions-Kollegen vom Fach habe ich mit Rüdiger Winter (ebenfalls Journalist und ehemals von der Berliner Morgenpost) gewonnen; dazu den in Sachen Korrektur und Übersicht unersetzlichen (ehemaligen und nun neuen) Kollegen Bernd Hoppe. Den professionellen Anspruch garantieren optisch die kreativen vier jungen Webdesigner, die uns diese Website gebaut haben – Raoul, Jens, Jonathan und Olaf aus der Ritterstrasse in Kreuzberg (Verein der Gestaltung e. V), die von uns älteren Herren vielleicht anfangs etwas amüsiert  waren und dann mit vollem Elan das in die gegenwärtige Erscheinungsform übersetzt haben, was uns nur vage im Kopf herumschwirrte. Der Umgang mit ihnen hat mir und uns eine ganz neue Welt der Ästhetik und Kommunikation geöffnet, und ich danke ihnen für ihre Güte und Geduld. Zudem gilt mein Dank Kevin Clarke – ohne seinen Enthusiasmus und seine Kentnisse wären wir über die Anfänge nicht hinausgekommen. Mit dabei sind nun auch meine bewährten „Säulen“ Ingrid Wanja, Julia Poser, Rolf Fath sowie manche andere. Es sollen weitere dazu kommen, wir sind ja erst am Anfang.

Mit Operalounge.de setze ich auch meinen Eltern ein kleines Denkmal, meiner wunderbaren, klugen Mutter und meinem großzügigen, liebevollen Stiefvater, ohne die ich wohl nie dahin gekommen wäre, wo ich heute bin. Sie beide würden mir – lebten sie noch – liebevoll und aufmunternd zulächeln. Ohne sie wär´s nix, da bin ich mir sicher!

Nach diesem kleinen sentimentalen Ausflug freuen wir uns als Macher, Sie zu unterhalten, zu fordern, zu testen, anzuregen, zu irritieren (ganz gewiss) und zu informieren. Machen Sie mit – Operalounge.de kostet nichts und macht ganz sicher Spaß, uns zumindest sehr und jetzt schon. Schreiben Sie uns – wir zählen auf Sie! Auch auf Ihre Meinung!

Geerd Heinsen

Berlin, im September 2013

Was für eine tolle Stimme

 

Vor allem den Besuchern des Rossini Festivals in Bad Wildbad ist der amerikanische Tenor Michael Spyres kein Unbekannter. Seine Auftritte dort in La gazzetta, Le siège de Corinthe, Otello wurden von Naxos auch live mitgeschnitten (wie auch der neue Guillaume Tell von 2013) und geben allen Opernfreunden Gelegenheit, die charmante und leistungsfähige Stimme zu hören. Nun hat der Sänger beim Label Delos ein Recital (DE 3414) vorgelegt, das zwar den etwas seltsamen Titel A Fool For Love trägt, aber durch die Programmauswahl verblüfft.

Der Tenor singt in nicht weniger als fünf Sprachen und bewegt sich dabei auf unterschiedlichem stilistischem Terrain.

Von den hohen, koloraturgespickten Belcantoarien Rossinis und Donizettis über Mozarts Don Ottavio und Strauss’ Italienischem Sänger aus dem Rosenkavalier reicht der Bogen bis zum französischen Repertoire (Nadir aus den Pêcheurs de perles und Werther), einem Ausflug ins russische Fach und klassischen italienischen Rollen (Duca/ Rigoletto, Rodolfo/La bohème). Mit dem Lamento des Federico aus Cileas L’Arlesiana wird sogar der Verismo gestreift, mit dem Tom Rakewell aus Stravinskys The Rake’s Progress ein Beispiel aus der neoklassischen Periode des Komponisten vorgestellt und mit der Zugabe – „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehárs Das Land des Lächelns – noch ein Operettenbonbon serviert.

Diese weite Spanne ist natürlich verblüffend, aber noch mehr in Erstaunen und Bewunderung versetzt den Zuhörer der Umstand, dass der Solist sich in seinen Interpretationen auf allen Gebieten absolut kompetent bewegt.

Verglichen mit der Stimme seines Konkurrenten Juan Diego Flórez (zumindest was das Belcanto-Repertoire betrifft), ist die seine weniger metallisch, dafür weicher, runder, sinnlicher und in der Mittellage farbiger. Dennoch sind seine Spitzentöne bei Tonios „Ah! mes amis“ aus Donizettis Fille du régiment und Almavivas (oft gestrichener) dritter Arie „Cessa di più resistere“ aus dem Barbiere nicht weniger effektvoll als die seines peruanischen Kollegen. Was aber die idiomatische Sicherheit bei Mozart, Tschaikowsky und den Franzosen betrifft, so ist er diesem weit überlegen. Und seine reicheren stimmlichen Möglichkeiten in der Mittellage ermöglichen ihm eben auch Puccinis Rodolfo oder Massenets Werther. Dies ist ein wirklich bemerkenswertes Porträt, das auf die weitere Entwicklung des Sängers gespannt macht. Zuverlässig begleitet wird er vom Moscow Chamber Orchestra of the Pavel Slobodkin Center for the Arts unter Leitung von Constantin Obelian.
Bernd Hoppe 

Gattenliebe tschechisch

 

In ihrer neuen Reihe „Czech Opera Treasures“ veröffentlicht Supraphon nach und nach ihre älteren, bislang noch nicht auf CD greifbaren Aufnahmen. Doubletten sind dabei nicht ausgeschlossen. Der Dalibor von 1979 aus Brünn (SU 4091-2) unter Vaclav Smetacek mit Vilem Pribyl und Eva Depoltová als Dalibor und Milada konkurriert mit diversen tschechischen Aufnahmen auf unterschiedlichen Labels, darunter mit den Prager Aufnahmen unter Jaroslav Krombholc von 1967 (mit Nadézda Kniplová) und 1977 – beide mit Pribyl als Dalibor – sowie der älteren dalibor2Krombholc-Aufnahme von 1950 mit Pribyls Vorgänger Beno Blachut; etwas neueren Datums ist Zdenek Koslers Einspielung von 1995, die vor allem wegen Eva Urbanovás Milada ein Gewinn ist, weniger wegen Leo Marian Vodicka in der Titelrolle. Die Vielzahl der Aufnahmen verwundert nicht, hat doch der anlässlich der Grundsteinlegung des Prager Nationaltheaters 1868 uraufgeführte Dalibor mehr als die später bei dessen Eröffnung uraufgeführte und seither fast nur Feiertagen vorbehaltene Libuse Eingang ins tschechische Repertoire gefunden. Die Begebenheit aus dem 15.Jahrhundert um den charismatischen Dalibor bekommen die Staatsphilharmonie Brünn und Smetanek gut in den Griff, wobei Krombholc und Kosler Smetanas blühenden Erzählton und seinen oft hymnischen Überschwang noch beherzter formulieren. Dalibor hat in einem Vergeltungsschlag den Bruder Miladas getötet und wird eingekerkert. Milada verliebt sich in den Heldenhaften, verkleidet sich als Mann und schmuggelt ihm eine Geige ins Gefängnis. Anders als in Beethovens Fidelio zerschmettert beider Traum von einem gemeinsamen Leben an der Realität. Obwohl die Aufständischen für Dalibor mobil machen, beschließt König Vladislav seine Hinrichtung, Milada will ihn retten, wird dabei tödlich verwundet und Dalibor nimmt sich das Leben. Der damals 54jährige Pribyl war der Dalibor einer Generation; er singt die Partie des Freiheitskämpfers mit schwärmerischem Überschwang und edlem Pathos, mit dem Selbstverständnis und der Autorität eines Sängers, der der Partie vollkommen den Stempel seiner Persönlichkeit aufdrückte. Eva Depoltová verfügt über eine dieser stellenweise messerscharfen, leicht schartigen und  grell  durchsetzungskräftigen Sopranstimmen, an denen man Energie und Kraft bewundern mag, die aber auch Aufnahmen verleiden. Sehr vorteilhaft zeigt sich Nada Sormova, die sich als Jitka an die Spitze der Aufständischen stellt, um ihren Herrn zu befreien. Jaroslav Horacek ist rührend als Gefängniswärter Benec, Vaclav Zitek ölig als böhmischer König Vladislav.

Rolf Fath

 

(Wenn ich hier eine von mir ausserordentlich geliebte weitere Aufnahme bei Ponto anführen darf: 1977 dirigierte Eve Queler eine ganz starke Besetzung des Werke mit Nicolai Gedda, der ungeheuer leidenschaftlichen und pastosen Teresa Kubiak und einer weiteren Crew erster Sänger – von der Queler kongenial dirigiert. Und wer bei Geddas Solo und dem herzzerreißenden Duett zwischen ihm und der Kubiak nicht weint ist aus Stein. G.H.)

Berlioz an der Scala

 

Zwei Diven der Scala: Giulietta Simionato und Renata Tebaldi/HeiB

Zwei Diven der Scala: Giulietta Simionato und Renata Tebaldi/HeiB

Der Scala-Mitschnitt der Troyens von Berlioz (Walhall 0347) stellt eine markante Wegemarke in der steinigen Rezeption dieser monumentalen Oper dar. Nicht nur die Länge des Werkes, auch die qualitativ unterschiedliche Einstufung der beiden Teile (Akt 1-2 „La Prise de Troie“, Akt 3-5 „Les Troyens à Carthage“) hatten zur Folge, dass diese oft einzeln gegeben wurden. 1913 wurden in Stuttgart die Troyens kompakt gegeben, eine Aufteilung auf zwei Abende hatte aber bereits in Mannheim 1890 (unter Felix Mottl) stattgefunden. Heute ist man, auch infolge der Popularisierung von Wagners Ring, grundsätzlich andere „Anstrengungen“ gewohnt und genießt sie wohl auch lustvoll. Die ersten wirklich „vollständigen“ Aufführungen der Troyens (zu denen die Mailänder Produktion gehört) konnten freilich noch nicht auf die kritische Edition des Werkes zurückgreifen. Sie wurde 1969 erstmals in Glasgow und – wiederum – Covent Garden realisiert. Auf letzterer beruht die epochale Colin-Davis-Einspielung bei Philips. Sie benötigt 4 CDs, während die Mailänder Aufführung auf 2 CDs Platz findet (ergänzt durch Boni von Mario Del Monaco, ohne Angabe von Dirigent und Aufnahmedatum). Immerhin bekommt man eine Ahnung von dem dramatischen Sturmwind des außerordentlichen Werkes, eine Formulierung, die keineswegs alleine auf die Instrumental-Szene „Chasse royal“ anspielt, vielmehr auf die leidenschaftliche, ausdrucksgesättigte Interpretation durch Rafael Kubelik. Dass an der Scala italienisch gesungen wurde, fällt nicht wirklich negativ ins Gewicht. An den anfangs etwas beengt wirkenden Klang des Mailänder Mitschnitts gewöhnt man sich rasch, auch wenn eine raumakustisch optimale Realisation (welche ja auch das Oeuvre Mahlers begünstigte) grundsätzlich von Bedeutung sein dürfte. Das Scala-Publikum reagiert auf seine Weise – Beifall meist zögerlich, aber oft in die Musik hinein.

Große Sympathiekundgebungen für Giulietta Simionato , die wirklich ein gleichermaßen schönstimmiges wie gefühlsbrennendes Porträt der Dido zeichnet. Die größte Begeisterung zieht freilich Mario del Monaco auf sich. Für den „Helden“ Aeneas ist sein heroischer Tenor fraglos ideal. Der Liebesszene bleibt er an artikulatorischer Eleganz freilich einiges schuldig. Bei seiner großen Szene lässt er das hohe C weg, badet sich dafür effektvoll in den „Wälserufen“ seiner Partie. Im weiteren Ensemble bekannte Namen wie Fiorenza Cossotto  (Ascanio) und Nicola Zaccaria (Narbal). Besonders eindrücklich profilieren sich Adriana Lazzarini (Anna) und Piero die Palma , der ewig „Zweite“ (Hylas). Last not least: Nell Rankin mit einer klangvollen, nicht hochdramatisch überzeichneten Cassandra.

Christoph Zimmermann 

„Salvator Rosa“ von Antonio Gomes

 

Nach Mayrs Fedra und Spohrs Der Alchymist ist Salvator Rosa von Gomes bereits die dritte Oehms-Einspielung aus dem Staatstheater Braunschweig, der sich theoretisch Mascagnis Isabeau und Fibichs Sarka anschließen könnten, wobei im letzten Fall aufgrund vorhandener Aufnahmen kein dringender Bedarf besteht. Die vorbildliche Braunschweiger Repertoirepflege wird verdientermaßen auf CD dokumentiert. Nicht alle Leistungen sind auf allerhöchstem Niveau, die Aufnahme des Salvator Rosa erscheint klanglich gelegentlich etwas blässlich und unausgeglichen und letztlich würde man sich unbescheidenerweise – über das instruktive Beiheft hinaus – den kompletten Text wünschen, doch das sind marginale Einschränkungen. Ein Jahr nach Bellinis Tod geboren, eine Generation jünger als Pacini und Mercadante, die die Lücke zwischen Rossini und Verdi schlossen, gehört der Brasilianer Antônio Carlos Gomes, wie etwa der fast gleichaltrige Ponchielli, zu den Komponisten, die während Verdis späten Jahren die italienischen Bühnen zu erobern versuchten. Sein erster Großerfolg, Il Guarany, kam 1870 an der Scala heraus, seine vierte Scala-Uraufführung, zugleich sein letzter Erfolg, war 1891 Condor. Die Künstleroper Salvator Rosa über den im 17. Jahrhundert lebenden Maler und Dichter, zu der Ghislanzoni das Libretto geschrieben hatte, wurde 1874 in Genua uraufgeführt. Die vier Akte hat Antonio Ghislanzoni, der gerade die Neufassung der Forza del destino hergestellt hatte (und natürlich auch die Aida), mit sicherem Gespür für die neuen Erfordernisse der grand opéra, wie sie auch in Italien spürbar wurden, aufbereitet. Gomes inszeniert die Märsche und Szenen der Soldaten und des Volkes wirkungsvoll, handhabt die Muster mit Bravour, seine Musik besitzt eine gediegene Geschmeidigkeit und handwerkliche Allüre, ohne dass er ihr Eigenes, schon gar nicht Südamerikanisches, beizumischen versucht. Gelegentlich scheint die Musik mit stimmungsvollen impressionistischen Valeurs vorauszuweisen, doch im Grunde bleibt Gomes fest in der Tradition verankert.
Georg Menskes und das StaatorchesterBraunschweig vermitteln eine gewisse Grandeur des musikalischen Entwurfs und überzeugen in den instrumentalen Finessen. Salvator Rosa verfügt zwar über keinen Ohrwurm wie den Tenorschlager „Quando nascesti tu“ in Lo Schiavo (2011 in Gießen aufgeführt), dessen Mitschnitt eine willkommene Ergänzung böte, doch Malte Roesner, für den der Fischer momentan noch eine Grenzpartie sein dürfte, singt Masaniellos „Povero nacqui“ mit edlem Bassbariton, ausdrucksvoller Wärme und mitreißendem Schwung. Masaniello ist ebenjener u.a. aus Aubers La muette de Portici bekannte Fischer, der den Aufstand der neapolitanischen Fischer gegen die Spanier anführt. Ein weiteres Glanzstück ist die Arie des spanischen Herzogs von Arcos „Di sposa, di parda“ von Dae-Bum Lee mit dunkler Wucht zelebriert. Seine Tochter Isabella, die fatalerweise zugleich die Geliebte des Malers ist, singt die Slowakin Maria Porubcinova mit der rechten Mischung aus Unschuld und Aufbegehren, also lyischer Transparen und einer dramatisch geschärften, aparten Höhe. Das Duett mit dem Vater am Ende des dritten Aktes ist einer Höhepunkte des Werkes. Die Titelpartie singt Ray M. Wade mit schöngebundenen, mühelosen Tenorbögen und draufgängerischem Strahlen. Rolf Fath 

 

Fairerweise muss aber auch auf die drei (!) vorhergehenden Aufnahmen der Oper hingewiesen werden – zum einen die jüngere Dynamic-Live-Einspielung aus Martina Franca unter Maurizio Benini von 2004 bei Dynamic (GDS 472/1-2), die nur als Import zu bekommende Aufnahme live aus Dorset unter Patrick Shelley bei Regis (FRC 9201) und die historische aus Sao Paulo 1977 unter Blech bei Master Class Brazil (mehr als schwer zu erhalten; in dieser Serie  gibt es fast alle Gomes-Opern in akustisch zum Teil auch riskanten Mitschnitten mit und ohne die tapfere Nina Carini. G. H.

 

Antônio Carlos Gomes: Salvator Rosa mit Dae-Bum Lee/ Il duca d’Arcos, Maria Porubcinova/ Isabella, seine Tochter, Ray M. Wade/ Salvator Rosa, Malte Roesner/Masaniello u. a.; Georg Menskes; Chor und Staatsorchester Braunschweig, 2 CD Oehms Classics OC 957

Spätherbstliches

 

Gleich könnte Scottie Ferguson, der Mann mit der Höhenangst, um die Ecke kommen. Bei Bernard Herrmann klingt es im Herrenhaus auf dem Hochmoor von Yorkshire so wie auf den Dächern von San Francisco, wo Hitchcocks Vertigo spielt. Immerhin war Herrmann, der von Citizen Cane für Orson Welles bis Taxi Driver für Martin Scorses, für die Hautevolee von Hollywoods Regisseuren arbeitete, so etwas wie Hitchcocks Haus- und Hofkomponist. Aus seiner frühen Zeit stammt die Oper Wuthering Heights nach dem ersten Teil des Romans von Emily Brontë. Aus dem verschachtelten Roman, der über drei Generationen die Begebenheiten auf Wuthering Heights und Thrushcross Grange und die Beziehungen zwischen den Earnshaws und Lintons schildert, hat sich Herrmanns Frau Lucille Fletcher die leidenschaftliche und schicksalhafte Liebesgeschichte zwischen Catherine und Heathcliff ausgesucht. Das Findelkind Heathcliff wurde im Haus der Earnshaws zusammen mit Catherine und ihrem Bruder Hindley aufgezogen. Nach dem Tod des alten Earnshaw wird Heathcliff von Hindley wie ein Knecht behandelt und schikaniert. Catherine und Heathcliff sind sich untrennbar zugetan, dennoch verlässt Heathcliff Wuthering Heights. Catherine heiratet Edgar Linton, Heathcliff kehrt wohlhabend und zu einem Herrn gereift zurück und heiratet Catherines Schwägerin. Dennoch lebt die alte Leidenschaft zwischen Catherine und ihm weiter. Nicht zu verwechseln ist Herrmanns Oper mit Wuthering Heights von Carlisle Floyd, deren endgültigen Fassung 1959 in New York herauskamen und die erst kürzlich im Mittelsächsischen Theater in Freiberg ihre späte deutsche sowie europäische Erstaufführung erlebte.
Warum es um Herrmanns Sturmhöhe noch stiller als um die Version von Floyd blieb, wird bald klar. Herrmann ist offenbar ein phantasievoller Illustrator, der mit dem großen Orchester Atmosphäre und Situationen schafft, die Landschaft beschreibt und den Figuren Themen zuweist, auch ein musikalischer Feinzeichner, der instrumentale Signale in einer schwelgerischen Art einsetzt und in der Salonszene des dritten Aktes mit dem von Yves Saelens mit zartem Tenor berückend schlicht vorgetragenen liedhaften Liebesgeständnis ähnlich spätromantisch herbstliche Wirkungen (neo-Romanticism, laut Herrmann) erzielt. Solche „Inseln“ bewahren die fast dreistündige Oper nicht vor Durstrecken. Die Erwartungen, die das raffiniert kompilierte Vorspiel weckt, werden nur zum Teil eingelöst. Vieles ist Schablone, handwerkliche Fleißarbeit, ariose Plaudereien, trockener Sprechgesang und unimaginatives Singen, vom Komponisten lyric parlando genannt, mit Ausnahme der dramatisch durchorganisierten Szenen zwischen der sich in verbotener Liebe zugetanen Catherine und Heathcliff.

Für die Cathy hat Laura Aikin einen gequetschten, etwas müden und strengen Sopran, der wenig Raum für jugendlich- dramatische Entfaltung lässt, wie ihn die Partie vermutlich braucht, aber den entsagungsvollen Szenen des letzten Aktes zugute kommt. Dem Heathcliff verleiht der israelische Bassbariton Boaz Daniel düstere animalische Wucht. Wie meist macht Vincent Le Texier seine Sache gut, ohne dem tyrannisch-bösen Hindley die Spur einer Physiognomie zu geben. Prägnant und hinreichend geheimnisvoll ist hanna Schaer als alte Haushälterin Nelly. Ungekürzt wurde die 1951 fertig gestellte Oper erstmals zu Herrmanns hundertstem Geburtstag 2011 von der Minnesota Opera gegeben. Nach der von Herrmann 1966 dirigierten Ersteinspielung ist der von accord irritierender weise als „Les Hauts de Hurlevent“ betitelte Konzertmitschnitt vom Festival de Radio France unter Alain Altinoglu nun bereits die zweite CD-Aufnahme des Werkes.

Rolf Fath 

 

Bernard Herman: Wuthering Heights mit Laura Aikin/Cathy, Boaz Daniel/Heathcliff, Vincent le Texier/Hindley u. a.; Alain Antinoglu, Chor und Orchester Radio Festival Montpellier,2 CD accord  476 4653

Donizettis „Duc d’Albe“

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Die Pariser Oper der Donizetti-Zeit/HeiB

Die Pariser Oper der Donizetti-Zeit/HeiB

In der Absicht, bei seiner Ankunft in Paris – aus Neapel kommend – Aufsehen zu erregen, begann Donizetti bereits 1838 mit der Komposition der Oper Le Duc d’Albe. Es war die erste seiner vier großen Opern. Beiseite gelegt und nur zur Hälfte fertig gestellt, geriet sie in Vergessenheit. Der Komponist, der ursprünglich gekommen war, um die Stadt im Sturm zu erobern, fiel der Mächtigsten all ihrer Bewohner zum Opfer, der Diva en vogue, Rosine Stoltz, Herrscherin an der Opéra. Das Libretto zum Alba, das Donizetti auf dem Höhepunkt seiner Erfolge dem legendären Autoren-Duo Scribe und Duveyrier verdankte, ist wohl das überzeugendste aller von dem Komponisten vertonten Texte. Es handelt sich um eine höchst gelungene Dreiecksbeziehung, in der die drei Hauptpersonen Teil einer Balance zwischen Leidenschaft, Ängsten und Hoffnungslosigkeit sind und alle Opfer derselben Nemesis werden. Daher verwundert es nicht, dass dieses auf historischen Begebenheiten beruhende Werk, das eine hochplausible Handlung aufweist und gegenüber anderen Werken in nichts an Glaubhaftigkeit und Gefühl nachsteht, trotz Nichtvollendung der Oper überlebt hat, um durch eine jener unvorhersehbaren Fügungen als Libretto der Vêpres Siciliennes Verdis erneut aufzutauchen.

Rosina Stoltz und der Tenor Gilbert in Donizettis Oper "La Favorite"/Donizetti-Society

Rosina Stoltz und der Tenor Gilbert in Donizettis Oper „La Favorite“/Donizetti-Society

Der Vertrag mit der Pariser Oper wurde am 16. August 1838 unterzeichnet.Der Komponist arbeitete in den folgenden achtzehn Monaten mit Unterbrechungen an seiner Oper. Er war jedoch gleichzeitig mit der Inszenierung mindestens dreier anderer Opernstücke für die Pariser Bühne beschäftigt. Hinzu kam, dass der Direktor der Königlichen Musikakademie (Academie Royale de Musique) abgelöst wurde, was sich fatal auf den Duc d´Albe auswirkte. Der neue, impulsive Direktor Leon Pillet hatte eine Mätresse, die gefürchtete dramatische Mezzosopranistin Rosine Stoltz, die schnell allen zu verstehen gab, dass sie die prima donna assoluta sei. Donizetti hingegen hatte die weibliche Hauptrolle im Duc d´Albe für eine lyrische Sopranistin komponiert, nämlich für Julie Dorus-Gras, ihrer Todfeindin. Die Oper wurde infolgedessen aufgegeben, da es außer Frage stand, die Pariser Karriere der Rosine Stoltz mit einer brandneuen Oper beginnen zu lassen, die von ihrer Konkurrentin gesungen wurde. Statt dessen gab man nun für die Stoltz La Favorite, ein nicht ganz neues Stück, dafür aber eines der Favoriten der Pariser Bühne bis zur Jahrhundertwende. (Was man von Rosine Stoltz selbst allerdings nicht behaupten kann. Die übernahm später dann die Divenrolle der Zayda im Dom Sebastian 1843. Julie Dorus-Gras hingegen musste sich mit der Pauline in den Martyrs – Adaptation – zufrieden geben, wahrscheinlich eine zu „heilige“ Rolle für ihre Gegnerin, das monstre sacré der Pariser Opernszene.)

Die Kontrahentin der Rosina Stoltz: Julie Dorus-Gras, hier als Meyerbeers Marguérite/HeiB

Die Kontrahentin der Rosina Stoltz: Julie Dorus-Gras, hier als Meyerbeers Marguérite/HeiB

Die unvollendete Partitur des Duc verstaubte also in einer Schublade bis zum Tode ihres Komponisten. Im Jahre 1848 versuchte die Pariser Oper mit Nachdruck, den so wichtigen, kostspieligen und abgebrochenen Auftrag erneut anzugehen, gab die Bemühungen allerdings erneut auf, entmutigt durch den Zustand des Manuskripts. 1875 ernannte Donizettis Heimatstadt Bergamo einen Ausschuss mit dem Auftrag, die Musik zu begutachten. Der stellte fest, dass zwar der erste Akt orchestral und der zweite Akt nahezu fertig gestellt, der dritte und der vierte Akt hingegen bloße Entwürfe waren – bis auf die bis zum Ende geschriebenen Gesanglinien; für der Rest existierten nur Skizzen. Noch störender, bemerkte der Ausschuss mit Ironie, sei der Umstand, dass die Tenorarie „Ange du ciel“ entfernt und später in Donizettis Favorite unter dem Titel „Ange si pur“ wiederverwertet worden war. Und auch weitere Passagen waren offensichtlich recycelt worden. Der Herzog von Alba landete erneut in der Schublade.

Im Jahre 1881 boten die Erben Donizettis das Manuskript Ricordi an, dem schon damals alles beherrschenden Verlagshaus. Dieses aber lehnte unter dem Vorwand ab, die Vollendung des Werkes durch eine fremde Hand „schade dem guten Ruf und der Kunst des berühmten Komponisten“. Aber dank Giovannina Luccas (1810-1894), Witwe des konkurrierenden Verlegers Francesco Lucca aus Mailand, stand der Duc d´Albe wieder auf. Sie war tatsächlich sowohl physisch wie geistig eine ungewöhnliche Frau, und ihr Einfluss auf die Entwicklung der italienischen Oper ihrer Epoche übertraf weitaus den der Rosine Stoltz. Sie kaufte schnellstens das Manuskript und ernannte als kluge Strategin ihrerseits einen Ausschuss, d.h. sie beauftragte das Mailänder Konservatorium, dies an ihrer Stelle zu tun, um die Untersuchung des Manuskripts drei prominenten Komponisten anzuvertrauen (so wenig „Verdi“ wie möglich – Ricordi war Verdianer). Das Konservatorium wählte Antonio Bazzini, Cesare Dominicenti und Amilcare Ponchielli. Diese untadeligen Berater schlussfolgerten erwartungsgemäß, dass die künstlerische Integrität der Oper unversehrt und genügend vollendete Nummern und Seiten der Partitur für eine Realisierung vorhanden seien. Man brauche nur minimale Zusätze und eine „geübte und sichere Hand“, damit der Duc d´Albe „dem Publikum als unumstrittenes Werk Donizettis vorgeführt werden könne“.

Der Zeitplan der musikalischen Umsetzung sowie die kurze Zeitspanne bis zur

Szene aus der Erst-Aufführung der Schippers-Fassung in Spoleto 1959/HeiB

Szene aus der Erst-Aufführung der Schippers-Fassung in Spoleto 1959/HeiB

Wiedergeburt unter dem Namen II Duca d‘Alba zeigen, dass die gerissene Signora Lucca mit ihrem fabelhaften Urteilsvermögen in weiser Voraussicht bereits einen weiteren kompetenten und prominenten Bewohner Bergamos verpflichtet hatte, nämlich Matteo Salvi (1816-1887), einen ehemaligen Schüler Donizettis, um die nötigen Recherchen durchzuführen und die Partitur aufzufrischen. Es ist erwiesen, dass die Überarbeitung des Duca d´Alba von Salvi unter den kritischen Augen von Bazzini, Dominicenti und Ponchielli instrumentiert wurde. Das Libretto von Scribe und Duveyrier wurde Angelo Zanardini zur Übertragung anvertraut, im Hinblick auf eine Übersetzung und Umwandlung in eine italienische Oper in vier Akten, unter Beibehaltung eines Höchstmaßes an die Qualität des Originals. Die Aufgabe war nicht leicht, da die italienischen Versionen großer

französischer Opern einen schlechten Ruf hatten; Guglielmo Tell, La Favorita, I Martiri, Gli Ugonotti oder Il Profeta zum Beispiel waren wirklich unbefriedigende Neufassungen mit echten Verlusten an Sinn und Inhalt. Die italienischen Transkriptionen dieser Art tendierten allgemein dazu, die Direktheit und die französische Eigenart auszusparen und die für die italienischen Libretti typische Unschärfe zu bevorzugen, um der allgegenwärtigen Zensur zu entgehen.

Und auf musikalischer Ebene? Eine identische Wiederverwendung von beinahe

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und "Fertigsteller" des Duca/HeiB

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und „Fertigsteller“ des Duca/HeiB

intakten, ursprünglichen Segmenten wurde wohl aus Angst vermieden, weil sie nach vierzig Jahren altmodisch wirken könnten. Dies erklärt auch, warum praktisch keine einzige Seite der Partitur identisch aufgegriffen wurde, als II Duca d’Alba 1882 endlich aufgeführt wurde. Letztendlich war Salvi (wie auch Bazzini, Dominiceti und Ponchielli) auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den vorsichtigen Gallizismen Donizettis und dem superben Instinkt der Signora Lucca – Orchestrierung, Nuancen, Handlungsablauf und Tempi, alles wurde in der vervollständigten Partitur retuschiert und weiterentwickelt, was Salvi dann auch vorgeworfen wurde. Die musikalische Klangfarbe verrät ihre Zugehörigkeit zum ausgehenden 19.Jahrhundert, und wenn dieser Aspekt der Partitur damals auch niemanden störte, so stört er doch zweifellos seitdem. Daraus darf jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass Salvi und seine Mitstreiter die Partitur Donizettis nicht respektiert hätten; es ist offensichtlich, dass sie ihr Bestes gaben, diese Oper fertig zu stellen, und viele ihrer Abänderungen und Zusätze sind nicht nur überzeugend, sondern auch inspiriert. (…)

Im Ganzen passte sich Il Duca d‘Alba mühelos den Anforderungen eines Ausstattungsstücks gemäß den historischen Pariser Opern der Epoche an, es fehlt lediglich das seinerzeit obligatorische Ballett, das nach der Einführung des ersten Aktes seinen Platz gehabt hätte. Die entsprechenden Seiten im handschriftlichen Manuskript sind leer (was darauf hinweist, dass die Ballettmusik nie komponiert und daher nicht an anderer Stelle wiederwendet wurde). Eine Detailanalyse bringt allerdings Überraschungen mit sich: Große Teile des Librettos von Scribe sind nie vertont worden und es scheint, als hätte sich der Komponist von Anfang an wenig Gedanken um die literarische Integrität des Textbuches gemacht, da er vermutlich kurz nach Beginn der kompositorischen Arbeit eine absehbare Reihe romantischer italienischer Nummern mit ausgearbeiteten Reprisen einfügen wollte. Die Wandlung der Komposition Donizettis zu einem Pariser Modell ist also weniger offensichtlich als erwartet. Es ist jedoch ersichtlich, dass die wichtigsten Arien sehr viel einfacher als üblich sind, nur wenige Fiorituren beinhalten und dass selbst in der italienischen Version die Rezitative zur Deklamation tendieren (Donizetti komponierte allerdings nur wenige von ihnen!). Die Vokal-Ornamentik stammt in diesem Fall offensichtlich von Salvi und seinem Expertentrio, wohingegen Donizetti offenbar versucht hat, die gefälligen Cabaletten italienischer Art zu begrenzen, um den französischen Geschmack nicht zu brüskieren. Salvi aber hat sie schlicht und einfach – mit einer nahezu unschicklichen Begeisterung – wieder in die Partitur des Duca d‘Alba eingefügt, was zur bedauernswerten Folge die Streichung der von Donizetti selbst geschriebenen Cabaletten und Stretten durch heutige, ein wenig zu gewissenhafte Revisoren hatte. Mit seinem Duca d‘Alba präsentierte Salvi eine Partitur ungewöhnlicher Länge. Das Teatro Apollo in Rom war anlässlich der Premiere am 12.März 1882 ausverkauft, der Eintrittspreis doppelt so hoch wie üblich, und die Königin von Italien thronte in der Mittelloge. (…) Die gesamte Inszenierung begeisterte das Publikum. In kürzester Zeit stand die Oper in Neapel, Bergamo, Turin sowie in Barcelona und Malta auf dem Programm. Doch dann, von heute auf morgen, verschwand das Werk völlig von den Spielplänen, bis zu dem Tage, an dem Fernando Previtali in den fünfziger Jahren des 20.Jahrhunderts auf einem Markt (so heißt es) in Rom die Partitur entdeckte, die der RAI-Aufführung 1951 als Grundlage diente.

Alex Weatherson

Maria Vitale war die erste Elena bei Previtali/Melodram/HeiB

Maria Vitale war die erste Elena bei Previtali/Melodram/HeiB

In der Folgezeit gab es nach Previtali eine knappe Handvoll von Aufführungen der italienischen Fassung, alle nach Salvi, im Falle von Spoleto durch Thomas Schippers 1959 und 1992 allerdings ganz rabiat: 1981 in Florenz unter Donato Renzetti , 1982 in New York unter Eve Queler und schließlich 2007 in Montpellier unter Enrique Mazzola (bei Accord herausgekommen – eigentlich im Original geplant und wegen der Partitur-Schwierigkeiten dann doch wieder in der Salvi-Version). Für die Neugeburt der Oper in Antwerpenim Mai letzten Jahres nun betraute man den italienischen Komponisten Giorgio Battistelli (in entscheidender Zusammenarbeit mit dem britischen Musikwissenschaftler Roger Parker) mit der Rekonstruktion, der neben einer liebevoll- werkgetreuen Aufarbeitung zu einem modern-eigenen Schluss kam. Wie Roger Parker in seinem erhellenden Text im Programmheft zur Aufführung schreibt, gab es viele Wege zu einer Neukonstruktion des Duc d´Albe, und er betont, dass es keine definite Fassung geben kann, weil die Unklarheiten/Fragmente/Alternativen zu groß sind. Die vorliegende Version Battistellis sieht nun so aus: Sie restauriert den originalen französischen Text. Wie bereits erwähnt, liegen ca 85% der Gesangslinie in Französisch durch Donizettis Hand vor, und Scribes Libretto steht für Fehlendes zur Verfügung. Die Orchestrierung von Salvi wurde weitgehend beibehalten, auch seine gelegentlichen, sonst fehlenden Rezitativpassagen. Dabei wurden genau die Anweisungen/Details beachtet, die Donizetti hinterlassen hatte, zumal Salvi ja auch ein Schüler Donzeittis gewesen war und dessen Idiom kannte. Rekonstruiert wurde die Eröffnung des 4.Aktes (Tenorarie) auf der Basis der Skizzen Donizettis und seiner Orchestrierung in der Favorite. Und obwohl Salvis „Angelo casto e bel“ ganz wunderbar ist, gibt es keine Zweifel, was Donizetti hier an dieser Stelle wollte. Und sehr wichtig – ganze Passagen mussten für die Lücken neu erstellt werden, vor allem für die Eröffnung des 3.Aktes und das Finale der Oper selbst. Salvis Lösungen waren in mancher Hinsicht einfallsreich und einfühlend, aber sie sind nicht defintiv. Battistelli/Parker glaubten, dass andere Alternativen möglich und eine moderne, eben den Bruch (sowohl den zeitlichen wie auch den musikalischen) deutlich machende vorzuziehen seien. Battistelli hat hier, sehr diskret, eine eigene Musik geschrieben, eine fast gläsern-flagiolette, unwirkliche Atmosphäre erzeugend, eben einen Einschnitt deutlich gemacht. Das mag man mögen oder nicht (ich nicht, ich hätte mir eine Salvi-nahe Lösung gewünscht und finde diese Battistelli-Musik eher das Werk gewaltsam in die Moderne reißend), aber auf der Bühne war das mehr als überzeugend, gespenstisch, stummmachend.

 Geerd Heinsen

(Der vorliegende Aufsatz von Alex Weatherson, Donizetti-Spezialist par excellence, sowie die Inhaltsangabe stammen, mit Kürzungen und Änderungen aus dem Programmheft zur Aufführung beim Radio-Festival von Montpellier 2007 – übernommen/deutsche Übersetzung Inkas Maas
im Booklet zum CD-Mitschnitt bei Accord 480 0845. Auch der renommierte Musikwissenschaftler Roger Parker überließ uns die Verwendung seines Textes aus dem Programmheft zur Aufführung in Antwerpen 2012 – beiden Autoren gilt mein besonderer Dank! Textredaktion/Übersetzung: G. H.)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Aus den Archiven

 

Zwei Bühnenwerke von Rimsky-Korsakov in großartigen Interpretationen hat Melodiya aus dem Archiv hervorgezaubert. 1962 dirigierte Evgeny Svetlanovdas 1892 komponierte, mit farbenprächtiger, üppiger Musik nur so wuchernde Ballett-Oper Mlada. Langweilig wird es bei dieser opulenten, mit viel bunter Folklore und Tanz angereicherten gruseligen Liebesgeschichte nie, und das alles toll gesungen von einem ausnahmslos vorzüglichen Ensemble, vorneweg Vladimir Makhov als Jaromir mit einem Tenor voller Saft und Kraft und Tatiana Tugarova als Voyslawa mit einem zur Figur gut passenden Sopran von dramatischer Schärfe (Mel CD 10 01829, 3 CD). Genauso empfehlenswert ist die 1973 von Vladimir Fedoseyev leidenschaftlich geleitete Einspielung der 1880 uraufgeführten Mainacht. Und dann gibt es noch Konstantin Lisovsky, der mit einer Bombenstimme die Aufnahme krönt. Was für ein strahlender, absolut klangschöner, traumhaft höhenstarker Tenor! Einfach hinreißend (Mel CD 10 01840, 2 CD)!

Leichte Kost garantiert d’Alberts Abreise. Der kleine Einakter von 1898 handelt davon, wie ein langjähriges Ehepaar seine Gefühle für einander neu entdeckt. Jan Koetzier dirigiert die Aufnahme, die 1964 anlässlich des 100.Geburtstages des Komponisten beim Bayerischen Rundfunk entstand, so elegant wie spritzig. Mit Lotte Schädle, dem früh verstorbenen, wunderbar klarstimmigen Erwin Wohlfarthund Willy ferenzwirken bewährte Kräfte mit, die den Geist der deutschen Spieloper mit Charme und Natürlichkeit beschwören (Profil Hänssler, PH 12020).
debanfield1955 wurde in New Orleans Raffaello De Banfields Oper Lord Byron´s Love Letter, ein Psychogramm zweier in Erinnerung erstarrter Frauen, uraufgeführt. Es folgte drei Jahre später, mit Nicola Rescigno am Pult, eine Studioproduktion. Die Rolle der Alten gab keine Geringere als Astrid Varnay, die Jungfer war Gertrude Ribla, eine auf Platte kaum dokumentierte Sängerin. Beide machen durch ihren verzehrenden Gesang und die gestalterische Intensität großes Musiktheater aus dem postveristischen, in puccinesken Melodien schwelgenden Einakter. Ein Ereignis, auch weil Naxos mit der Veröffentlichung eine Rarität zugänglich gemacht hat
(Naxos, 8.111362).

Karin Coper 

Mercadantes Windmühlenflügel

 

Saverio Mercadante wird im Opernbetrieb gesellschaftsfähig. Jüngstes Beispiel der Einakter Don Chisciotte alla Nozze di Gamaccio, der die Camacho-Episode aus dem Don Quichotte Roman zum Inhalt hat. Er enthält acht umfangreich angelegte Musiknummern, die durch ihre originellen, rhythmisch mitreißenden Melodien und viel spanisches Kolorit packen. In Bad Wildbad wurde das melodramma giocoso, das Mercadante 1830 während seines Aufenthalts in Spanien und Portugal komponierte, 2007 konzertant aufgeführt und für Naxos live mitgeschnitten. Die damalige Bombenstimmung kommt auch vor dem Lautsprecher auf, denn musiziert wird glänzend und lebendig. Ugo Giagliardo ist ein stattlicher Don Chisciotte mit einem schwarzen Bass, Sancio Pansa bei Domenico Colaianni in den besten Händen – parlandoflink und mit komischer Präsenz singt er in bester Buffomanier. Hans Ever Mogollon und Riccardo Mirabelli demonstrieren mit ihren schlanken, beweglichen Tenören, dass in Südamerika kein Mangel an gutem Sänger-Nachwuchs herrscht. Virtuosität und gewandt in den Koloraturen zeigt sich auch Laura Catrini. Am Pult wirbelt und swingt Antonio Fogliani mit den Tschechischen Kammersolisten Brno durch die Partitur und sorgt dadurch für ein spritziges Belcantovergnügen.
Karin Coper

 

Saverio Mercandante: Don Chisciotte alla Nozze di Gamaccio mit /Don Chisciotte, Ugo Guagliardo, Domenico Colaianni /Sancho Pansa; Antonio Fogliano; Tschechisches Kammerorchester Brünn, 2CD Naxos 8.660312-13