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Bis vor kurzem vom Pech verfolgt war die erste, die französische Fassung von Donizettis Oper Le Duc d’Albe, nun hat sie eine wegen des Schlusses problematische Rehabilitierung durch die Aufführung in Antwerpen und Gent und die daraus entstandene CD erfahren. Zu Donizettis Lebzeiten blieb das Werk unvollendet, wohl weil bereits während des Entstehungsprozesses die für die Hélène vorgesehene Sängerin die Partie ablehnte und sich der Komponist einem anderen Werk zuwandte. Später erarbeitete sein Schüler Matteo Salvi eine italienische Fassung, von der nur die Tenorarie, die angeblich nicht einmal von Donizetti ist, im Gedächtnis der Musikwelt blieb.
Nicht gerade förderlich für den Erfolg der Oper war auch die Tatsache, das Verdi den von Scribe stammenden Stoff aufgriff und daraus erst Les vêpres siciliennes, später I vespri siciliani gestaltete. Mit Donizetti im wesentlichen gemeinsam hat Verdis Oper den ersten Akt mit den das Volk demütigenden Besatzern und die große Szene zwischen Vater und Sohn, in der Alba bzw. Montfort dem Sohn das Wort „Vater“ durch die drohende Hinrichtung der Freunde abpresst. Danach driften die beiden Opern wieder auseinander. Während bei Verdi die Hochzeit durch den unversöhnlichen Procida in ein allgemeines Gemetzel verwandelt wird, dem Bariton, Tenor und Sopran zum Opfer fallen, wirft sich Henri vor den Vater, den Hélène erdolchen will, und rettet ihn um den Preis des eigenen Lebens. Herzog Alba, der Vater, segelt neuen Aufgaben entgegen, die Verschwörer bleiben mit der Leiche Henris trauernd zurück. Für den relativen Erfolg in Italien war für Verdis Oper nicht zuletzt wichtig, dass sich das Geschehen in Italien abspielt, während die Donizettis in Brüssel angesiedelt ist.
Natürlich hat es Versuche gegeben, den Duc d’Albe für die Bühne zu retten, so durch die Konkurrentin Ricordis, die Verlegerin Giovannina Lucca. Sie ist die Urheberin der oben erwähnten italienischen Fassung, von der die Ergänzungen durch Salvi wenig Donizetti-getreu, weil von niedrigem Niveau, sind. 1959 gab es einen erneuten Rettungsversuch durch Thomas Schippers beim Festival dei due Mondi in Spoleto. (Dazu auch der Artikel von Alex Weatherson in unserer Rubrik History/Die vergessene Oper/19.)
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Aviel Cahn, Intendant der Vlaamse Opera, meinte, wie wenig Salvis Ergänzungen Donizetti gerecht wurden. Er beauftragte deshalb den Komponisten Giovanni Battistelli, ohne den Versuch einer Nachahmung Donizettis die fehlenden Teile, besonders den vierten Akt, mit seiner eigenständigen Musik von ca 18 Minuten auszustatten. Diese, sofort als Fremdkörper erkennbar, will dem Hörer kein bruchloses Werk vortäuschen. Das Verdienst des Labels Dynamic aus Genua ist es, den Mitschnitt aus dem Jahre 2012 jetzt veröffentlicht zu haben. (Wobei die Radioübertragung den vielleicht virileren und markanteren Tenor Marc Laho als Henri aus der Alternativbesetzung bot, aber 15 Minuten Musik unterdrückte.)
Es scheint beinahe so, als habe Verdi Donizettis Duca gekannt und sich inspirieren lassen, wie die Sinfonia im zögernden Schreitrhythmus vermuten lässt. Ansonsten ist nur der Alba einer Stimme anvertraut, die auch den Montfort singen könnte, das Liebespaar ist von wesentlich zarterem Stimmzuschnitt, wie bei Donizetti nicht anders zu vermuten. Der Vlaamse Opera ist es hoch anzurechnen, dass sie bei der Verpflichtung der Sänger nicht knauserig war, und nur so lässt sich natürlich ein vergessenes Werk „retten“. Auch setzen sich Chor (Yannis Pouspourikas) und Orchester (Paolo Carignani) mit Elan für das Werk ein, die Sänger gleichermaßen engagiert für die pöbelnde Soldateska wie die Rebellen („Vive la guerre“) und besonders ergreifend in dem requiemartigen Schluß von Battistelli. Das Orchester erfült perfekt seinen Part als zuverlässige Begleitung.
Mit Georges Petean hat man einen erstklassigen Bariton für den Alba gefunden, der die Bösewichtfarben genau so hat, wie er mit breitem Farbspektrum, toller Höhe wie zuverlässiger Tiefe die sehnsuchtsvolle Arie wie die rasante Cabaletta zu meistern versteht. Ein Höhepunkt der Oper ist sein Duett mit dem Sohn. Für diesen hat Ismael Jordi ein helles Donizetti-Timbre, eine prägnante Diktion und viel Empfindsamkeit für „Oui, longtemps.“ oder die berühmte Arie, die hier mit „Anges des cieux“ beginnt. Auch den dramatischen Aufschwung in Donizetti-Grenzen für „Enfant de la Belgique“ beherrscht er.
Hélène, die Tochter des von Alba hingerichteten Grafen Egmont, ist Rachel Harnisch mit süß-melancholischem Sopran bereits in Mimi-Nähe, weich fließenden Kantilenen, sicher über dem Ensemble schwebend und sehr deliziös in „Ton ombre“. Angemessen besetzt sind auch die kleineren Partien, so mit markanter Tiefe der Vertraute Hélènes, Daniel, den Igor Bakan singt, oder der Albas/Sandoval, dem der Bassist Vladimir Baykov die ebenfalls passende Stimme verleiht.
Dem Werk, das man von Anfang bis zum Battistelli-Ende mit Interesse und Freude hört, sollten zumindest für konzertante Aufführungen die Tore der Opernhäuser geöffnet werden. Lothar Herbst
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Donizetti: Le Duc d’Albe mit Rachel Harnisch – Hélène, Georges Petean – Le Duc d’Albe, Ismael Jordi – Henri, Igor Bakan – Daniel, Vladimir Baykov – Sandoval u. a. Chor und Orchester der Vlaams Opera, Dirigent – Paolo Carignani, 2 CD Dynamic CDS 7665/1-2: Foto oben Donizettis „Duc d´Albe“ in Brüssel/Szene/ Foto Annemie Augustijns
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.