Was für eine tolle Stimme

 

Vor allem den Besuchern des Rossini Festivals in Bad Wildbad ist der amerikanische Tenor Michael Spyres kein Unbekannter. Seine Auftritte dort in La gazzetta, Le siège de Corinthe, Otello wurden von Naxos auch live mitgeschnitten (wie auch der neue Guillaume Tell von 2013) und geben allen Opernfreunden Gelegenheit, die charmante und leistungsfähige Stimme zu hören. Nun hat der Sänger beim Label Delos ein Recital (DE 3414) vorgelegt, das zwar den etwas seltsamen Titel A Fool For Love trägt, aber durch die Programmauswahl verblüfft.

Der Tenor singt in nicht weniger als fünf Sprachen und bewegt sich dabei auf unterschiedlichem stilistischem Terrain.

Von den hohen, koloraturgespickten Belcantoarien Rossinis und Donizettis über Mozarts Don Ottavio und Strauss’ Italienischem Sänger aus dem Rosenkavalier reicht der Bogen bis zum französischen Repertoire (Nadir aus den Pêcheurs de perles und Werther), einem Ausflug ins russische Fach und klassischen italienischen Rollen (Duca/ Rigoletto, Rodolfo/La bohème). Mit dem Lamento des Federico aus Cileas L’Arlesiana wird sogar der Verismo gestreift, mit dem Tom Rakewell aus Stravinskys The Rake’s Progress ein Beispiel aus der neoklassischen Periode des Komponisten vorgestellt und mit der Zugabe – „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehárs Das Land des Lächelns – noch ein Operettenbonbon serviert.

Diese weite Spanne ist natürlich verblüffend, aber noch mehr in Erstaunen und Bewunderung versetzt den Zuhörer der Umstand, dass der Solist sich in seinen Interpretationen auf allen Gebieten absolut kompetent bewegt.

Verglichen mit der Stimme seines Konkurrenten Juan Diego Flórez (zumindest was das Belcanto-Repertoire betrifft), ist die seine weniger metallisch, dafür weicher, runder, sinnlicher und in der Mittellage farbiger. Dennoch sind seine Spitzentöne bei Tonios „Ah! mes amis“ aus Donizettis Fille du régiment und Almavivas (oft gestrichener) dritter Arie „Cessa di più resistere“ aus dem Barbiere nicht weniger effektvoll als die seines peruanischen Kollegen. Was aber die idiomatische Sicherheit bei Mozart, Tschaikowsky und den Franzosen betrifft, so ist er diesem weit überlegen. Und seine reicheren stimmlichen Möglichkeiten in der Mittellage ermöglichen ihm eben auch Puccinis Rodolfo oder Massenets Werther. Dies ist ein wirklich bemerkenswertes Porträt, das auf die weitere Entwicklung des Sängers gespannt macht. Zuverlässig begleitet wird er vom Moscow Chamber Orchestra of the Pavel Slobodkin Center for the Arts unter Leitung von Constantin Obelian.
Bernd Hoppe