Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Göttergatte mit Rockermatte

 

Im Sommer 2017 haben sich Opernfreunde einen neuen Begriff zu Eigen gemacht: Re-Kreation. Der Duden kennt den Bindestrich nicht, stuft das Wort als veraltet ein und erklärt es mit Entspannung, Erfrischung, Erholung, Genesung, Stärkung und Verbesserung. Bezogen auf den Anlass wollen die Synonyme nicht recht passen. Als Re-Kreation wurde die Neuinszenierung der Walküre von Richard Wagner im rekonstruierten Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen der ersten Opernproduktion der Osterfestspiele Salzburg von 1967 durch Vera Nemirova bezeichnet. Die Regie hatte seinerzeit Herbert von Karajan besorgt, der sich mit dem neuen Festival ein eigenes Denkmal in der Geburtsstadt Mozarts setzten wollte. Karajan wohnte in der Nähe von Salzburg, in Anif, wo er 1989 auch gestorben ist. Nach der Walküre folgte Das Rheingold, dann Siegfried und zum Abschluss 1970 Götterdämmerung. Eine geschlossene Aufführung des gesamten Ring gab es nicht. Schneider-Siemssen blieb Karajans bevorzugter Ausstatter in Salzburg.

Musikalisch vorbereitet wurde das gewaltige Unterfangen seinerzeit mit einer Plattenproduktion im Berliner Studio (und Proben im Berlin, weil die Berliner Philharmoniker ja ein Angestelltenorchester der Stadt Berlin sind), die nie vom Markt verschwand und nach wie vor hohes, maßstäbliches Ansehen genießt. Nach fünfzig Jahren ist szenisch von Karajan fast nichts übrig geblieben. Fotos und die spärlichen Filmclips sind nicht aussagekräftig für eine gerechte Bewertung des Originals. In einer TV-Dokumentation anlässlich der Re-Kreation wurden die Archive abgeklappert. Viel fand sich nicht außer den Bühnenentwürfen. Dennoch hätte es Sinn gemacht, diese Arbeit mit bei Cmajor/ United auf DVD veröffentlichten Aufführung der Walküre (74208) zu koppeln. Jetzt kommt diese Neuerscheinung wie eine ganz normale Walküre daher. Die Spannung hält sich ohnehin in Grenzen, weil die Produktion bereits im Fernsehen gezeigt wurde und auch ins Radio gekommen war.

Auf dieser DG-CD mit Ausschnitten der „Ring“-Studio-Produktion ist Herbert von Karajan auch als Regisseur in Aktion abgebildet.

Vera Nemirova dürfte – auch wenn das möglich gewesen wäre – gar nicht die Absicht gehabt haben, Karajan nachzustellen. Dafür ist sie viel zu selbstbewusst und zu individuell. Sie verfolgte eigene Intentionen, blieb dabei aber in den ausladenden Bühnenbauten regelrecht stecken. Diese Optik, die einst für Aufsehen gesorgt hatte, behinderte nun mehr, als dass sie zu neuen Erkenntnissen beitragen konnte. So wurden die Details in ihrer Wirkung übermächtig. Details, die auf der riesigen, oft in Dunkel gehüllten Breitwandbühne, für Zuschauer im Saal viel zu undeutlich geblieben sein dürften. Erst die Kameras ziehen sie deutlich heran. Nicht immer zum Vorteil der Beteiligten. Hunding (Georg Zeppenfeld) macht es sich in seiner Hütte im neuzeitlichen Kapuzenshirt bequem. Seine Frau Sieglinde (Anja Harteros) muss ihm die Füße waschen. Hunding (Peter Seiffert) trägt ebenfalls lockere Freizeitkleidung, die praktisch gegen Regen und Unwetter schützt. Preiswertes von C&A. Fricka (Christa Meyer) hingegen darf in einem pelzbesetzten weißen Abendkleid auftreten, wie es schon Margarete Klose in den dreißiger Jahren bei ähnlichem Anlass getragen haben könnte. Ihr weißer Sessel wird ihr von Lemuren hinterher getragen. Brünnhilde (Anja Kampe), wie ihre Schwestern mit Flügelhelmen bekrönt, wird am Schluss von Wotan (Vitalij Kowaljow) oben herum bis auf das Unterhemd entkleidet, was sich in der erbarmungslosen Vergrößerung auf dem Bildschirm nicht als glücklichste aller Lösungen entpuppt.

Der Mehrwert findet sich im Musikalischen. Gesungen wird auf sehr hohem Niveau. Die Harteros, Seiffert und Zeppenfeld hatten kurz zuvor den ersten Aufzug in Berlin konzertant ausprobiert. Er hat es an sich, als Fest der Stimmen wahrgenommen zu werden, bei dem die verwickelten inhaltlichen Aspekte etwas in den Hintergrund geraten. Hinreißend ist diese Sieglinde in ihrer gestalterischen und stimmlichen Anmut, die sie sich trotz der Demütigungen ihres Peinigers für den ihr bestimmten Mann hat bewahren können. Sie entdeckt in der Partie die enorme Steigerung, die mit dem Ausruf „Du bist der Lenz, nach dem ich verlangte“, einen leidenschaftlichen Höhepunkt erreicht. Als finde sich Sieglinde erst in diesem Moment als Frau. Als liebende Frau. Sie schüttelt ihre Unterdrückung ab, hat keine Scheu mehr, das aus sich herauszuschleudern, wonach sie sich sehnt. Nie würde sie wieder auf die dienende Rolle am Herd zurückzuwerfen sein. Sie ist frei. Es gelang der auch wohl gewandeten Sängerin in der Zusammenfassung ihre gesamten Szenen ein Frauenporträt mit vielen Facetten. Fern aller Klischees und verbrauchten Gesten. Kaum zu glauben, dass es sich um ein Rollendebüt handelte. Jedes Wort ist zu verstehen, eine Gabe, die auch die beiden Herren Seiffert und Zeppenfeld in die Aufführung einbrachten. Leider ist dies heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Deshalb sei es an dieser Stelle ausdrücklich herausgestellt.

Anja Kampe schlägt sich erstaunlich gut als Brünnhilde, stimmlich wie darstellerisch. Das gilt so auch für den Wotan von Kawaljow, der mit seiner blonden DDR-Rocksängermatte auf dem Kopf deutlich jünger wirkt als sein Sohn Siegmund. Große Würde auf der ganzen Linie verbreitet Christa Mayer, die ihre mit Gift versetze Anklage gegen ihren untreuen Göttergatten spannungsgeladen vorträgt Christan Thielemann am Pult der Staatskapelle aus Dresden ließ den Sängern, zu denen sich ein hochdramatisches Walküren-Ensemble gesellte, immer den Vortritt. Er deckte die nicht zu und gönnte sich seine eigenen Auftritte vornehmlich in den Vorspielen und Zwischenmusiken. Rüdiger Winter

Menschen statt Heroen

 

Der erste Akt der Walküre ist fraglos der am häufigsten ausgekoppelte Auszug der vier Ring-Opern. Nicht selten wird er rein konzertant und ohne den Rest der Oper gespielt. Dies ist im vorliegenden Fall allerdings nicht so. Es handelt sich vielmehr um den ersten Aufzug einer szenischen Aufführung an der Wiener Staatsoper vom 2. Dezember 2007. Was diese nun besonders macht und für die Orfeo-Reihe Wiener Staatsoper Live (C 875 131 B) überhaupt für eine Veröffentlichung prädestiniert, dürfte das Rollendebüt des verstorbenen Tenors Johan Botha in der Rolle des Siegmund sein. Verglichen mit anderen Rollenvertretern wie dem unvergessenen Jon Vickers ist er tatsächlich eher ein Leichtgewicht, was ihm freilich insbesondere in den lyrischen Momenten („Winterstürme“), die in diesem Akt überwiegen, durchaus auch zu Gute kommt, während man bei den Wälse-Rufen nicht voll zufriedengestellt wird. Insgesamt zeichnet Botha keinen Heroen, betont vielmehr das zutiefst Menschliche des Siegmund, was in der Liebe zur eigenen Schwester Sieglinde gipfelt. Diese wird von der Sopranistin Nina Stemme verkörpert, und soviel darf vorweggeschickt werden: einer überaus würdigen Interpretin. Man wird sich schwertun, heutzutage eine bessere Verkörperung der Sieglinde zu finden.

In den Szenen mit Siegmund gibt sie gar den Ton an, was für Stemme aufgrund ihrer Stimmgewalt auch kein allzu großes Hindernis ist. Der Hunding von Ain Anger ist kein tumber Rohling. Der Bassist verleiht dem unsympathischen Bösewicht gar eine gewisse Nobilität. An Matti Salminen oder Josef Greindl, die seine Brutalität besser herausstellten, wird man nicht denken dürfen. Akzeptabel ist die orchestrale Seite. Leider versteht es der damals bereits designierte Wiener Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst nur teilweise, das volle Potential der Partitur auszukosten. Das beginnt bereits im recht verhetzten Vorspiel. Nur wenig über eine Stunde dauert der Akt hier (61 Minuten). Welser-Möst ist mehr bloßer Begleiter denn echter Gestalter. Kein Vergleich zu Hans Knappertsbusch, der den ersten Walküren-Akt 1963 ebenfalls in Wien noch einmal live aufführte und eine Lehrstunde in Sachen Wagner-Dirigat erteilte (65 Minuten; TDK, DVD). Der Klang ist ziemlich gut, wenngleich die schwierige Staatsopernakustik auch hier ihren Tribut fordert und er insgesamt gegenüber anderen Produktionen doch abfällt.

 

Mit Nina Stemme setzt Orfeo seine Reihe Wiener Staatsoper Live (C 937 171 B) in Sachen Wagner fort. Diesmal steht die schwedische Sopranistin, geboren 1963 in Stockholm, allein im Mittelpunkt. Ein wenig arg hoch gegriffen erscheint der Vergleich mit ihrer berühmten Landsfrau Birgit Nilsson, einer der fraglos größten Wagner-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts, zumal sich die Stimmen nicht wirklich ähneln. Die stählerne Durchschlagkraft der Nilsson besitzt Stemme mitnichten. Dafür klingt sie nahbarer, menschlicher. Dies kommt ihr gerade in der Rolle der Senta im Fliegenden Holländer entgegen, der mit zwei Auszügen vertreten ist: „Johohoe! Traft ihr das Schiff im Meere an“ sowie „Wirst du des Vaters Wahl nicht schelten?“ Es handelt sich um den Mitschnitt vom Debüt Stemmes an der Staatsoper (5. Dezember 2003). Aus der Walküre (Aufnahme vom 2. Dezember 2007) wurde eine Szene aus dem Ende des zweiten Aufzugs beigefügt („Raste nun hier, gönne dir Ruh!“), nachdem Orfeo den – wie eingangs berichtet – kompletten ersten Akt bereits gesondert veröffentlichte. Auch die Sieglinde ist der Stemme wie auf den Leib geschnitten. Ihre opulente Stimme betont besonders die aristokratische Würde der Figur. Dramatisch ja, auch wenn man hier wiederum nicht die Nilsson bemühen sollte. Dafür droht Nina Stemme ihre jeweiligen männlichen Sängerkollegen nicht an die Wand zu singen, was bei der Nilsson zuweilen für unfreiwillige Komik sorgte (man denke an den armen Fischer-Dieskau in der Tosca). Die Brünnhilde im schwierigen letzten Akt des Siegfried (27. April 2008) bewältigt Stemme ebenfalls souverän. Diese Schlussszene nimmt mit gleich vier Tracks den Schwerpunkt dieser CD ein (eine gute halbe Stunde). Sie kann insbesondere in den lyrischeren Momenten ihre Trümpfe ausspielen („Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!“). Hervorzuheben ist ihre heutzutage leider nicht mehr selbstverständliche gute Textverständlichkeit. Großartig das Schlussduett mit Stephen Gould. Nina Stemme lässt der Figur während ihres relativ kurzen Auftritts eine kontinuierliche Entwicklung angedeihen, wobei das Selbstbewusstsein ihrer Brünnhilde stetig zunimmt bis zum dramatischen Höhepunkt am Ende. Kaum weniger exaltiert ist ihre Isolde aus einem Mitschnitt vom 13. Juni 2013. Besonders der Liebestod muss hervorgehoben werden. Hier kann sie neben den besten Interpretinnen bestehen. Ein klein wenig fühle ich mich an den dunklen Tonfall der ebenfalls in Stockholm geborenen Astrid Varnay erinnert. Das mit stark erotischem Touch gehauchte „Lust“ ganz zuletzt hat dann tatsächlich etwas von Birgit Nilsson in der berühmten Bayreuther Aufnahme unter Karl Böhm 1966. Für die mehr als gediegene orchestrale Begleitung sorgen mit Seiji Ozawa und Franz Welser-Möst die jeweiligen Musikchefs des Ersten Hauses am Ring.

 

„Zeit lässt steigen dich und stürzen.“ So dichtete Enzio von Sardinien, unehelicher Sohn des hochmittelalterlichen Stauferkaisers Friedrich II., im 13. Jahrhundert. Besser kann man es kaum in Worte fassen, was den begnadeten Tenor und Kammersänger Johan Botha angeht, der uns 2016 mit gerade 51 Jahren infolge tückischer Krankheit verlassen hat. Der gebürtige Südafrikaner und (seit 1998) Wahlösterreicher hatte eine enge Verbindung besonders zu Wien, wo er die letzten zwei Jahrzehnte seines kurzen Lebens verbrachte. Die Wiener Staatsoper war seine künstlerische Heimat, an nicht weniger als 222 Abenden zwischen dem 20. Februar 1996 und dem 8. April 2015 trat er dort auf. Daher war es nur folgerichtig, wenn Orfeo den Verstorbenen in seiner Edition „Wiener Staatsoper Live“ gleichsam in memoriam mit Mitschnitten zwischen 1997 und 2014 bedenkt. Enthalten sind auf der 73-minütigen CD Auszüge aus Opern von Beethoven, Wagner und Strauss, wobei der Bayreuther Meister das Gros der Platte ausmacht. In gleich vier Partien ist Botha hier dokumentiert. Zuvörderst ist sein Lohengrin anzuführen, von dem er auch in einer Gesamteinspielung des WDR unter Semyon Bychkov verewigt wurde (Profil/Hänssler). Mit dieser Rolle debütierte er Anfang 1997 in Berlin als Wagner-Sänger. Der enthaltene Mitschnitt datiert auf den 20. Februar desselben Jahres, entstand also nur wenige Wochen danach. Mehr noch als in der elf Jahre jüngeren Gesamtaufnahme verkörpert Botha den Typus des jünglingshaften Helden, dem weder Raum noch Zeit etwas anhaben können. Überirdisch erscheint sein Vortrag in der Brautgemach-Szene an der Seite von Cheryl Studer, und zumindest in jüngerer Zeit wird man sich lange nach einem vergleichbaren Lohengrin-Sänger umschauen müssen. Vermutlich bewusst wurde auf die Gralserzählung verzichtet, die Botha bereits einmal auf CD vorgelegt hat (Oehms). Der Stolzing aus den Meistersingern darf gewissermaßen als die logische Konsequenz des umjubelten Wagner-Debüts Bothas angesehen werden. Wie das informative Beiheft vermerkt, habe der Tenor in diesem fränkischen Rittersmann seine Lebensrolle gesehen. 1998 debütierte er damit zunächst an der Wiener Volksoper, ab 2002 auch im Haus am Ring. Der hier dokumentierte Mitschnitt des Preisliedes – ihm zur Seite kongenial James Rutherford als Sachs – stammt aus Bothas letzter Aufführungsserie im November 2012. Ich selbst habe ihn seinerzeit unter dem Dirigat von Simone Young, der bevorzugten Orchesterleiterin an der Seite Bothas, an der Staatsoper erlebt.

Diese Eindrücke werden durch das Tondokument nachdrücklich bestätigt, Johan Bothas Vortrag war damals mit das Highlight des Abends. Eine Gesamtaufnahme von 2008 unter Christian Thielemann ist auf DVD erschienen (Unitel). Die beiden anderen auf der CD festgehaltenen Wagner-Rollen sind der Parsifal (Aufnahme vom 11. April 2004) und der Tannhäuser (Aufnahme vom 16. Juni 2010). Vollzieht ersterer im Laufe der gleichnamigen Oper die Wandlung vom Knaben zum gestandenen Mann, ist der Tannhäuser doch von gänzlich anderer Natur. Auch diese, eine der schwierigsten Tenor-Rollen bei Wagner, bewältigt Botha – hier gemeinsam mit Christian Gerhaher als Wolfram -, obgleich ihm in der Romerzählung zuweilen auch seine Grenzen aufgezeigt werden. Kein Wunder, dass er sich an den Siegfried niemals heranwagte. Das Rätsel, wieso ausgerechnet der für Botha so prägende Siegmund hier nicht enthalten ist, löst sich ebenfalls dank des Booklets, wo auf die bereits vorgelegte Aufnahme der Walküre von 2007 unter Franz Welser-Möst verwiesen wird (ebenfalls bei Orfeo erschienen). Der Erik aus dem Fliegenden Holländer fehlt gänzlich mangels eines erhaltenen Tonmitschnitts. Bothas kompletter Parsifal ist wiederum unter Thielemann auf DVD bzw. Blu-ray dokumentiert (DG/Unitel). Nochmal zurück zu den Anfängen. Die Arie „Gott, welch Dunkel hier!“ aus dem Fidelio ist nicht nur chronologisch der früheste der enthaltenen Opernausschnitte; den Florestan sang Botha auch bereits im Jahre 1997. Der Mitschnitt datiert indes auf den 30. Oktober 2004 und fand unter Leitung des damaligen Musikdirektors Seiji Ozawa statt.

Wie schon bei den Wagner-Partien kommt Botha hier seine belcanteske Italianità zugute. Überhaupt: Der Gesangsstil Bothas entspricht so gar nicht dem grobschlächtigen Typus, den manch anderer besonders im Wagner-Fach etablierte Tenor an den Tag legt. Leider ist das italienische Fach auf dieser Platte ob der beschränkten Spielzeit überhaupt nicht enthalten, lieferte Botha doch gerade auch als Cavaradossi, Andrea Chénier, Turiddu, Otello und Radames eindrückliche Hörerlebnisse. Dafür ist mit Richard Strauss auf der CD ein Komponist gleich dreimal vertreten, bei dem die Tenöre gemeinhin eher nicht die Hauptrolle spielen. Freilich, auch hier tut Johan Botha das ihm Mögliche, um das Gegenteil zu beweisen. Die von Strauss geforderten Höhen erreicht er mühelos, ob nun als Kaiser (Aufnahme vom 11. Dezember 1999), Apollo (Aufnahme vom 13. Juni 2004) oder Bacchus (Aufnahme vom 18. Oktober 2014).

Kurios ist beinahe, dass es ausgerechnet der Apollo war, den Botha am häufigsten in Wien sang, eine besonders schwierige Partie, mit der man ihn auf den ersten Blick gar nicht unbedingt verbinden würde. Er ist damit sogar in einer Gesamteinspielung der Daphne unter Bychkov festgehalten (Decca). Botha war eine jener Sängernaturen, denen die Reduzierung auf das rein Stimmliche entgegenkam. Die CD-Produktion lässt seine eher mäßige Schauspielkunst außen vor und konzentriert sich auf das Wesentliche. Es wäre nämlich schade, schlösse man von rein optischen Gesichtspunkten auf das Können eines Künstlers. Ein Könner war er ohne Zweifel, was diese Edition nur abermals unterstreicht. Wie schon so häufig, widmet sich Orfeo dem Andenken bedeutender Interpreten und leistet mit dieser kleinen, aber feinen CD seinen bescheidenen Beitrag zum anhaltenden Nachruhm des Kammersängers Johan Botha. Daniel Hauser

Der letzte Liederabend

 

Das Jahr, in dem Gundula Janowitz ihren 80. Geburtstag beging, ist noch nicht zu Ende, da schiebt FHR Remasters noch ein bemerkenswertes Geschenk nach. Es handelt sich um eine CD mit ihrem letzten Liederabend (FHR56). Er fand am 16. September 1999, dem Todestag von Maria Callas, im Herodes Atticus Odeon statt. In dem antiken Theater unterhalb der Akropolis in Athen war die Callas selbst aufgetreten. Das Konzert galt ihrem Gedenken. Mit den „Göttern Griechenlands“ von Franz Schubert war der Auftakt passend gewählt. Begleitet wurde die Janowitz von ihrem langjährigen Pianisten Charles Spencer. Mit neun Liedern und der „Forelle“ als Zugabe war der Schubert-Block ausgesprochen massiv. Von keinem anderen Komponisten hatte sie in Laufe ihrer Kariere so viele Lieder eingespielt. Schubert sollte also auch beim Abschied seine ihm gebührende Rolle spielen. Bei der Auswahl wich die Janowitz nicht etwa auf solche Lieder aus, die ihren damaligen stimmlichen Möglichkeiten besser entsprochen hätten. Sie sang, was sie auch früher gesungen hatte. Beim „Lied im Grünen“ wurden die Grenzen arg deutlich. Die Stimme konnte dem Fluss der Melodie nicht mehr so leicht und unbeschwert folgen wie einst. Ihr Timbre aber war unverwechselbar geblieben, auch in seiner Sprödigkeit und in seiner großen Ruhe. Schumanns „Nussbaum“ gelang wohl auch deshalb so gut, weil sie sich auf wenige Momente konzentrierte, die dann alles herausrissen und für alles entschädigten, was weniger schön klang. Diese Methode – wenn es denn überhaupt eine ist – ging auch bei Strauss auf, der mit solchen Herausforderungen wie „Allerseelen“, „Morgen“ oder „Befreit“ auf dem Programm stand. Ohne die neue CD abwerten zu wollen, für Einsteiger ist sie nicht geeignet. Wenn das Interesse aber dahin geht, herausfinden zu wollen, wie sich in der späten Phase einer Sängerkarriere Kunst mit Erfahrung und Technik hervorbringen lässt, dann ist diese CD genau die richtige Wahl. Ich habe sie sehr gern gehört. Für Fans der Sängerin ist sie ohnehin ein Muss. Eine kleine formale Irritation gibt es am Rande. Während im Booklet Titel und Text des Liedes „Lob des Leidens“ von Strauss abgedruckt sind, wird – als viel bessere Wahl – „Das Rosenband“ vorgetragen.

 

Kein Zweifel. Gundula Janowitz ist achtzig. Ob Bücher oder das Internet – alle Quellen geben als Geburtstag den 2. August 1937 an. Dennoch stell ich mir die Frage: Kann das wirklich sein? Ich habe sie doch eben noch hier in Berlin in einem Liederabend gehört. Manche Sänger behaupten in der persönlichen Erinnerung vorderste Plätze. Durch Leistung und Wirkung. Sie rutschen nicht in die Tiefen des Gedächtnisses hinab. Auf eine fast unheimliche Weise bleiben sie auch durch ihre Aufnahmen jung und zeitlos. Zumal dann, wenn sie keine Alterskarriere hatten, die auch den Altersprozess abbildet. Die komische Alte wäre keine Rolle für die Janowitz gewesen. Abschied von ihrem Stammhaus, der Wiener Staatsoper, wo sie von 1960 an in 680 Vorstellungen gesungen hatte, nahm sie 1990 mit der Marschallin. In dieser Rolle war sie dort dreiundvierzigmal aufgetreten, nur übertroffen von der Ariadne (48) und der Gräfin Almaviva – mit einundsiebzig Vorstellungen an der Spitze der Statistik. Programmzettel dieses Hauses, auf denen ihr Namen stand, sind das Abbild dieser erfolgreichen Karriere. Sie sang, was ihre Stimme hergab. Mit der Helena in Brittens Sommernachtstraum fällt lediglich ein zeitgenössisches Werk aus dem klassisch-traditionellen Rahmen ihres Repertoires mit Mozart und Strauss im Zentrum. Während die Marschallin als letzter Bühnenauftritt bei Sängerinnen eine gewisse Tradition hat und damit letztlich zur gehobenen Formsache wird, gelang ihr kurz vor Toresschluss 1987 in Wien mit der fulminanten Clytemnèstre in einer Neuinszenierung von Glucks Iphigénie en Aulide, die Charles Mackerras leitete, noch eine Sternstunde der Oper. Diese Mutter will den Opertod der eigenen Tochter, der schon beschlossene Sache ist, nicht hinnehmen. Ihr Unglück schreit aus tiefster Seele, sie rast in Verzweiflung. Ein Mitschnitt des ORF hat sich erhalten. Er verdiente es, endlich veröffentlicht zu werden.

Die Deutsche Grammophon feiert das Jubiläum ihres einstigen Stars mit einer Box, die äußerlich viel hermacht. The Gundula Janowitz Edition, der Name in Gold unterlegt. Das Foto aus einem Plattenstudio, vorn das Mikrophon, im Hintergrund Pfeifen einer Orgel (00289 47 7348). Die Künstlerin ganz Konzentration. Sie war bekannt für ihre Ernsthaftigkeit und ihren eisernen Willen. Vor Aufführungen sprach sie nicht, um sich zu schonen. Als sollten die Töne für die jeweilige Vorstellung gespeichert werden. Das war sie dem Publikum und der Kunst schuldig. „Ich habe vielleicht eine gute Stimme mitbekommen“, sagten sie 1974 in einem Interview der Zeitung „Die Welt“. Alles andere sei Arbeit gewesen. Das ist bei ihr auch zu hören. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, nirgends eine Spur von Improvisation. Mir kommt es manchmal so vor, als sei ihre Stimme in Marmor gemeißelt. Nicht mal im Ansatz mogelt sie sich durch eine komplizierte musikalische Situation. Sie gibt Natürlichkeit und Leichtigkeit für Genauigkeit. Nur selten ist sie an ihre eigenen Grenzen gestoßen. Wollte sie ihre Möglichkeiten austesten? Die Fidelio-Leonore war so ein Wagnis. Ich erinnere mich ganz genau an die Übertragung aus der Wiener Staatsoper Ende der siebziger Jahre. Die von Leonard Bernstein dirigierte schlichte Produktion in der Regie von Otto Schenk hat mir lange den Blick für andere Interpretationen verstellt. Nur so wollte ich es hören. Die Janowitz konnte die Frau, die mutig um das Leben des Gatten kämpft, deshalb so glaubhaft machen, weil sie sie sich als Sängerin selbst nicht schonte, alles auf eine Karte setzte und in den dramatischen Szenen stimmlich fast zu Bruch ging. In den lyrischen Passagen der großen Arie ließ ihr Bernstein viel Zeit. Er stellte sich ganz auf sie ein, folgte ihr und gab kein Tempo vor, dem sie nicht hätte folgen können. Insofern ist diese Übertragung auch ein ganz fabelhaftes Dokument des Zusammenspiels zwischen Solistin und Dirigent gewesen. Auf CD gelangte aber nicht die Live-Aufnahme, sondern eine Produktion unter Studiobedingungen aus dem Wiener Musikvereinssaal von 1978.

„Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern der Müden nicht erbleichen!“ Gundula Janowitz als Fidelio-Leonore in der Wiener Staatsoper. Die Oper findet sich auszugweise in der Edition. Das Bild entstammt der Rückseite des betreffenden Albums. Foto ORF

Wenngleich alle wesentlichen Szenen der Leonore, in der Edition berücksichtigt sind, bleibt der rasante Gesamteindruck versperrt. Das ist bitter und ein Schwachpunkt der Neuerscheinung. Es kommt noch schlimmer. Ihre Mitwirkung als Sieglinde und Gutrune im Ring des Nibelungen unter Herbert von Karajan ist auf drei verschiedene CDs verzettelt. Als in sich geschlossener Teil ist wenigstens der erste Aufzug komplett übernommen worden mit Jon Vickers als Siegmund und Martti Talvela als Hunding. Wieder bewegt sie sich zwischen den Polen ihrer Möglichkeiten. Der Bogen ist weit gespannt. Mehr geht nicht. Für die hochdramatischen Ausbrüche muss sie alle Reserven lockermachen. Wie im Fidelio wird diese Grenzwertigkeit zum Ausdrucksmittel. Auch die Singlinde hat Gundula Janowitz live gesungen. Nicht nur zum Auftakt der Salzburger Osterfestspiele 1967 auf der Breitwandbühne – die Plattenproduktion war die Vorbereitung darauf –, sondern auch an der Met. Karajan ging im selben Jahr mit der Walküre nach New York und debütierte dort als Dirigent und Regisseur. Die Janowitz nahm er mit. Auch für sie war die Sieglinde ein Debüt an diesem Haus. Sie sang fünf Vorstellungen. Eine weitergehende Zusammenarbeit ergab sich nicht, nachdem sich ihre geplante Mitwirkung im Freischütz zerschlagen hatte. Sie wurde durch Pilar Lorengar ersetzt, wie aus den Archivunterlagen hervorgeht. Die Met blieb in ihrer Karriere eine Episode. Die maßgeblichen Auftritte der Sieglinde im zweiten und im dritten Aufzug sind gekoppelt. Zwei durch sie ungemein aufgewertete Szenen der gewöhnlich blassen Gutrune aus der Götterdämmerung„War das sein Horn“ und „Schweigt eures Jammers jauchzenden Schwall“ finden sich eingeklemmt zwischen Ausschnitten aus Bachs h-Moll-Messe, der Matthäuspassion und den Vier letzten Liedern von Strauss wieder. Es scheint, als seien die CD-Kapazitäten für die Zusammenstellung gelegentlich wichtiger gewesen als inhaltliche Ausrichtung.

Für die einzelnen CD-Alben der Edition wurden die originalen Schallplattencover reproduziert.

Im Nachhinein stellt sich ihr Wagner als einer der besten Posten ihrer reichhaltigen Diskographie heraus. In dem schon erwähnten „Welt“-Interview mit der Überschrift „Die Isolde sing‘ ich nie …“ ging sie aber auf Distanz zu diesem Komponisten. Sie werde überhaupt keinen Wagner mehr singen, weil ihr die Stimme dafür zu schade sei. Sie zitiert Frida Leider, die sie gut gekannt hat, mit den Worten. „Er habe eigentlich für Übermenschen geschrieben, und keiner ist es.“ Überliefert sind neben Sieglinde, Gutrune und dem ebenfalls in der Box berücksichtigten Blumenmädchen aus dem Parsifal, das in Bayreuther Mitschnitt von 1964 unter Hans Knappertsbusch betörend-sinnlich über dem Ensemble schwebt, Elisabeth, Elsa, Eva und – auch nicht zu verachten – der junge Hirt aus Tannhäuser in der Wiener Produktion von 1963. In der Edition finden sich Elsa-Szenen, einschließlich Brautgemach mit James King, aus der von Rafael Kubelik dirigierten Lohengrin-Gesamteinspielung des Bayerischen Rundfunks. Elsa Traum wird zum Vergleich zusätzlich aus einer Wagner/Weber-LP mit Ferdinand Leitner und dem Orchesters der Deutschen Oper Berlin herangezogen. Aus dieser Schallplatte stammen auch die Hallenarie und das Gebet der Elisabeth aus Tannhäuser sowie die Arie „Gerechter Gott“ aus Rienzi.

Noch einiges mehr ist doppelt im Angebot. Das macht sich gut in so einer Sammlung. Im Durcheinander der unorthodoxen Zusammenstellungen braucht es allerdings Zeit, um diesen vorteilhaften Aspekt herauszufinden. Neben der Karajan-Einspielung wurden die Vier letzten Lieder aus einem Konzert in Amsterdam mit dem Concertgebouw-Orchester unter Bernard Haitink von 1968 herangezogen. Obwohl es keine nennenswerten Unterschiede gibt, ist der Vergleich gerade deshalb bemerkenswert. Subtil, feinsinnig und konzentriert wie vor den Studiomikrophonen tritt sie auch vor das Publikum. Beim Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“ aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms sind wiederum Karajan (1964) und Haitink (1980) die Dirigenten beider Studioeinspielungen. Der Reiz besteht diesmal darin, das zwischen den Aufnahmen sechzehn Jahre liegen. Die ältere unterscheidet sich von der jüngeren dadurch, dass die Stimme nun an einigen Stellen etwas belegt ist. Sie hat nicht mehr die Klarheit des lupenreinen Diamanten aus der frühen Glanzzeit. Spätestens hier stellt sich die Frage, welcher Kundenkreis mit so einer Edition, die in ihrer Mischung einem Kessel Buntes gleicht, angesprochen werden soll?

Gundula Janowitz als Sieglinde an der Metropolitan Opera. Mit dieser Rolle debütierte sie 1967 an diesem Haus. Sie sang fünf Vorstellungen. Eine weitere Zusammenarbeit ergab sich nicht. Foto Mélancon/MetOpera Archive

Es gibt ein Wiederhören mit guten alten Bekannten. Faktisch sind alle noch im Handel, wenigstens aber gebraucht auf Internetplattformen zu finden. Ausgrabungen, die diesen Namen verdienen, sind nicht dabei. Die Grammophon hat sich aus den eigenen Vorräten bedient. Bereits 2005 ist die Box „Gundula Janowitz – The golden voice“ erschienen, die jetzt eine Erweiterung erfuhr. Die meiste Arbeit wurde in die Präsentation gesteckt, die vorzüglich ausgefallen ist. Alle Hüllen wurden mit originalen Plattencovern versehen, wenngleich sich im Innern nicht immer nur das findet, was vorne darauf steht. Beim Schubert-Album mit Irwin Gage am Klavier sind Inhalt und Form noch am ehesten im Einklang. Beide Künstler haben unter dem Gelblabel allerdings doppelt so viele Lieder eingespielt, als die hier (nur) sechsundzwanzig berücksichtigten. „Der König in Thule“, mein Favorit, ist dabei. Die Sängerin beginnt aus dem Stand, das Klavier setzt erst später ein. Ohne jedes Tremolo trägt sie die Ballade vor, wie einen Botenbericht, dem sie zunächst die innere Teilnahme verweigert. Erst zum Schluss hin, wenn der sterbende König seinen goldenen Becher im Meer versinken sieht, scheint sie selbst ergriffen, gibt sie ihre kühle Zurückhaltung auf und wechselt in den Modus der Rührung. Das ist wunderbar gemacht, das hat durch Perfektion klassischen Zuschnitt. Allein schon wegen ihres Umfangs und ihrer Stringenz wird die Schubert-Sammlung zum Zentrum der Geburtstagsedition. Sie beläuft sich auf zwei CDs, während die übrigen Alben nur mit einer Scheibe knausrig bestückt sind. Die Fächer für das Doppel sind zugeklebt.

Was gibt es noch? Telemanns strenge Ino in der strengen Hülle der erlesenen Archiv-Produktion, Konzert-Arien und Szenen aus Idomeneo, Figaro und Cosi fan tutte von Mozart, die komplette C-Dur-Messe, ein Häppchen aus der Missa solemnis und die Clärchen-Szenen aus der Egmont-Musik von Beethoven, Auszüge aus Haydns Jahreszeiten und Schöpfung sowie die Schlussszene aus Capriccio von Strauss. Mit lediglich viereinhalb Minuten wurde am Paulus von Mendelssohn Bartholdy, der 1987 – und damit sehr spät – in Leipzig unter Kurt Masur bei Philips eingespielt wurde, besonders drastisch gespart. Solche absurden Reduzierungen machen keinen Sinn, weil das Werk selbst auf der Strecke bleibt. Mildernde Umstände können nur deshalb gewährt werden, weil die Nummer „Jerusalem! Du tötest die Propheten“ Gnade vor dem Schnippelwahn fand. Für mich gehört diese Solo-Szene mit zu den großen ergreifenden Momenten ihrer Diskographie. Sie klingt wie eine Anrufung. Als ich vor Jahren vom Tempelberg die Altstadt von Jerusalem leuchten sah, ging mir sofort Gundula Janowitz und eben dieses Solo durch den Kopf. Nichts zuletzt deshalb bin ich dieser Künstlerin so dankbar. Rüdiger Winter

Schockstarre im Studio

 

Eines muss man Warner lassen. Die Firma geht sehr sorgsam mit dem historischen Erbe um, dass ihr durch der Übernahme der EMI zugefallen ist. Nach und nach werden legendäre Produktionen mit dem neuen Logo versehen, klanglich aufgefrischt und wieder auf den Markt gebracht. Richard Wagners Fliegendem Holländer unter der musikalischen Leitung von Otto Klemperer wurde sogar eine sehr prachtvolle Ausgabe gegönnt (0190295817442). Sie gleicht einem Buch mit Schutzumschlag und Klappentext. Schweres graues Papier zwischen den roten Deckeln erinnert an Bütten. Das macht viel her. Zweisprachig – Deutsch und Englisch – sind Libretto und Texte gehalten. Nicht gegeizt wurde mit Fotos von den Aufnahmesitzungen im berühmten Studio 1 der Abbey Road in London. Sie vermitteln eine sowohl konzentrierte wie lockere Atmosphäre. Anja Silja, die Sängerin der Senta, berichtet davon in ihrem Buch „Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“. Klemperer hatte sie 1967 in Bayreuth als Elisabeth im Tannhäuser gehört und unbedingt für seine Holländer-Produktion haben wollen, der sich eine konzertante Aufführung in der Londoner Festival Hall anschloss, die als Mitschnitt der BBC 2008 bei Testament herausgekommen ist (SBT2 1423). Mit zwei Besetzungsunterschieden, die rechtliche Gründe hatten. Im Studio sang Ernst Kozub den Erik, im Konzert James King, während Gerhard Unger als Steuermann live vom schottischen Tenor Kenneth Macdonald ersetzt wurde.

Die Ausgabe des wieder herausgegebenen „Holländers“ gleicht einem Buch mit Schutzumschlag und Klappentext. Schweres graues Papier zwischen den roten Deckeln erinnert an Bütten. Das macht viel her.

Die Silja erinnert sich an ein „sehr originelles und herzliches“ Verhältnis zu Klemperer, der es liebte „völlig unerwartet Sätze in den Raum zu werfen“, um andere zu provozieren. Als eine Szene des Holländers im Abhörraum überprüft wurde, habe er plötzlich die andächtige Stille mit der Bemerkung unterbrochen „Anja, was hältst du eigentlich von der Geburtenkontrolle?“ Die Frage sei so aus der Luft gegriffen gewesen, dass sie „alle Anwesenten aus dem Gleis warf. Das machte ihm Spaß“. Damit habe Klemperer, aber auch sein „partielles Desinteresse an Konservenmusik“ gezeigt. Ich stelle mir die Reaktion von Theo Adam vor, der einen sehr vornehmen Holländer singt, einen mit Abitur und Kapitänspatent in der Tasche. Er wirkt etwas gestelzt und verkrampft, so, als wollte er unter den Augen der unberechenbaren Autorität des Dirigenten ja alles richtig machen. Sein Markenzeichen ist das edle Timbre mit hundertprozentigem Wiedererkennungswert. Dazu eine nahezu perfekte Wortdeutlichkeit. In der Mittellage hat er keinerlei stimmliche Probleme. Wenn er sich aber steigern, seinen Bassbariton in dramatische Höhen erheben will oder muss, forciert er und flüchtet sich in einer Art Sprechgesang, der wie Gestaltung wirken soll, in Wahrheit aber krasse technische Defizite offenbart. Ach, würde er doch nicht so gewaltig ansetzen und seine Ressourcen zu schnell verbrauchen. Adam singt zu groß. Deshalb ist der Monolog fünfzig Jahre nach der Aufnahme nur schwer erträglich.

In ihrem Buch „Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“ (Parthas/ISBN 3-932529-29-4) erzählt Anja Silja auch Anekdoten von den Aufnahmen des „Fliegenden Holländers“.

Robust und rüstig nimmt sich Martti Talvela des Daland an. Er könnte lauernder und verschlagener in der ersten Begegnung mit dem Holländer auftreten. Talvela ist zu gemütlich und zu jovial. Ernst Kozub gewöhnlich sehr zugetan, habe ich an seinem Erik manches auszusetzen. Er singt merkwürdige Schleifen, wo Tönen eigentlich miteinander verbunden werden sollten. Aber die Stimme selbst! Dieses einzigartige Material bricht sich bei Kozub immer Bahn, im Großen wie im Kleinen, auch wenn es nicht selten ungeschliffen, gar grob hervortritt. Mit einer besseren Technik und mit etwas mehr Temperament hätte er der unangefochtene Heldentenor seiner Generation werden können. Und die Silja? Je mehr ich mich in die Aufnahme vertiefte, umso sympathischer und geeigneter für ihre Aufgabe fand ich sie. Sie ist jung und klingt jung. Sie ist besessen und aufmüpfig, dem Wahnsinn nah und gibt damit ihrer Rolle ein überzeugendes Profil, auch wenn ihre gelegentlich gellende und gleißende Höhe den Zuhörern viel zumutet. Glänzend und vergleichweise luxuriös besetzt ist die Mary mit Annelies Burmeister, der einstigen erste Mezzosopranistin der Ostberliner Staatsoper. Ihr Engagement für die kleine Rolle, die sie an ihrem Stammhaus nach meiner Erinnerung nicht gesungen hat, bleibt rätselhaft. Die Burmeister versieht die Rolle mit Würde, Ruhe und stilistischer Sicherheit.

Anja Silja hat es nach meinem Eindruck gut getroffen mit ihrer Bemerkung vom Desinteresse Klemperers an Konservenmusik. Er lässt bei den Solisten zuviel durchgehen, ist aber bezogen auf seine Aufgaben sehr darauf bedacht, mit Bravour abzuschneiden. So wird er zum Star der Produktion, die mit allerlei Klangeffekte wie Windmaschinen und Pfeifen in die Nähe einer Bühnenaufführung gerückt wird. Figuren entfernen sich von der akustischen Bildfläche, indem sie sich stimmlich nach hinten oder zur Seite verziehen. Was damals seine Wirkung nicht verfehlt haben mag, klingt heute altmodisch. Und dennoch: „Die Interpretation ist urgewaltig …“ Dem im Booklet zitierten Fazit des renommierten englischen Musikkritikers William Mann schließe ich mich gern an.

Rätsel gibt die Fassung auf. Was spielt der Klemperer da eigentlich? Ouvertüre und Oper schließen mit jeweils sechs Orchesterschlägen, die dem rasante Jugendwerk Wagners einen unerwarteten konservativen Stempel aufdrücken. Obwohl die Oper in ihren verschiedenen Fassungen oft eingespielt und mitgeschnitten wurde, habe ich keine vergleichbare Aufnahme gefunden. Im Booklet heißt es mit Hinweis auf Klemperers frühzeitige Beschäftigung mit dem Fliegenden Holländer um 1910 in Prag und später an der Berliner Krolloper etwas unbestimmt: „Richard Strauss wusste von einer Partitur in Wagners Handschrift , die in der preußischen Staatsbibliothek in Berlin vorlag und wies Klemperer darauf hin.“ Sollte er sich auch in London daran bedient haben? Rüdiger Winter

Wortferner Walkürenritt im Hexenhaus

 

„In der Tat eignet sich diese Märchenoper ganz hervorragend für den ersten gemeinsamen Opernbesuch von Eltern und Kindern“, glaubt Jörg Peter Urbach, der Autor des Einführungstextes einer Neuerscheinung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel bei Pentatone (PIC 5186 605). Die Handlung sei allseits bekannt, bedürfe keiner großen Erklärung. „Alles ist echt empfunden. Und das spüren nicht nur Kinder, sondern auch alle Erwachsenen, die sich einen kindlichen (keinen kindischen) Blick auf die Welt bewahrt haben. Vermutlich deshalb setzen die meisten Opernhäuser Hänsel und Gretel auch zur Weihnachtszeit auf den Spielplan. Denn Weihnachten ist die Zeit des Kindes. In uns allen.“

Abgesehen von den Lebkuchen am Hexenhaus ist der einzig belastbare Zusammenhang mit Weihnachten der Termin der Uraufführung. Hänsel und Gretel wurde erstmals am 23. Dezember 1893 in Weimar gegeben. Die musikalische Leitung hatte Richard Strauss. Und genau diesen Tag wählte Marek Janowski für seine konzertante Aufführung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Berliner Philharmonie, die der Neuerscheinung zugrunde liegt. Er war zwischen 2002 und 2015 Künstlerischer Leiter und Chefdirigent dieses Orchesters, hat es stark geprägt und dessen guten Ruf durch CD-Aufnahmen gefestigt.

Ob der neueste Mitschnitt geeignet ist, auf ersten Opernbesuch im Leben musikalisch einzustimmen, bleibt dahingestellt. Die Box ist zwar niedlich und bunt verpackt wie ein Weihnachtsgeschenk. Janowski aber hat hörbar anderes im Sinn als der Verfasser des Booklets. Er führt große Oper auf, betont die Nähe zu Richard Wagner, die im Werk selbst angelegt ist. Humperdinck war Wagner regelrecht verfallen und diente ihm bei der Uraufführung des Parsifal als Assistent. Nach Wagners Tod, der ihn tief erschütterte, blieb er der dessen Familie in Bayreuth eng verbunden und unterwies Sohn Siegfried in Komposition. Der Hexenritt kommt dem Ritt der Walküren erstaunlich nahe. Irritierend tritt der Widerspruch zwischen der simplen Handlung, die weit hinter der harten Märchenvorlage der Brüder Grimm zurück bleibt, und der hochromantischen musikalischen Ausführung hervor. Ihren Höhepunkt erreicht die orchestraler Pracht und Üppigkeit mit der so genannten Traum-Pantomime am Ende des zweiten Aufzuges, wenn Hänsel und Gretel auf Moos gebettet in den Schlaf gesunken sind. Nach dem Willen des Komponisten und seiner Schwester Adelheid Wette, die das Libretto verfasste, steigen nun vierzehn Engel auf einer Himmelsleiter zu den Kindern herab, um sie vor der Nacht zu beschützen, die im Orchester dunkel und bedrohlich aufklingt.

Solcher Art sind die Stärken dieser Neuerscheinung, die weniger durch sängerischen Leistungen glänzen kann. Einen Vorteil versprach die durchgehend muttersprachliche Besetzung mit Ricarda Merbeth (Gertrud), Albert Dohmen (Besenbinder Peter), Katrin Wundsam (Hänsel), Alexandra Steiner (Gretel) und Christian Elsner (Knusperhexe). Doch die steht nur auf dem Papier. In Wahrheit ist der Text kaum zu verstehen, was Kindern sofort auffallen würde. Sie können sehr kritisch sein. Die trockene Merbeth kann sich am wenigsten verständlich machen. Dohmen legt seine Rolle mit der Erfahrung des Profis hin und hinterlässt stärksten Eindruck. Einen armen Besenbinder nimmt man ihm aber nicht ab. Für die Hexe dürfte die Besetzung mit einem Tenor auf der Bühne passender sein als im Konzertmitschnitt. Dem Publikum im voll besetzten großen Saal der Berliner Philharmonie gefiel es, wie Elsner mit gegeltem Haar, Sonnenbrille und Hexen-T-Shirt schrill und effektvoll agierte. So etwas kommt immer an. Nicht aber von der CD, wo solcher Klamauk zur Klamotte gerinnt. Mit ihrem etwas herben Mezzosopran, hebt sich Katrin Wundsam als Hänsel deutlich gegen die lyrische Gretel von Alexandra Steiner ab. Sie bleiben ihren Rollen aber vieles schuldig. Das Taumännchen singt Alexandra Hutton, das Sandmännchen Nora Lentner. In das Finale stimmt der Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden ein. Rüdiger Winter

Vor und hinter dem Mikrophon

 

„Dich, teure Halle, grüß ich wieder“: Das DDR-Fernsehen hatte 1963 zum 150. Geburtstag Richard Wagners den um das Finale des ersten Aufzugs erweiterten Mittelakt des Tannhäuser ausgestrahlt. Gedreht wurde auf der Wartburg bei Eisenach, wo die Oper inhaltlich angesiedelt ist. Es war eine meiner ersten Begegnungen mit Wagner, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Nahezu photographisch hatte sich mir die Hallenarie der Elisabeth eingeprägt Getragen vom Fluss der Musik eilte sie durch einen langen Gang, der zu einer Seite von romanischen Säulen begrenzt ist, direkt auf mich zu. Damals dachte ich, sie müsse aus dem Bildschirm herauskommen. In all den Jahren, die seither verstrichen sind, habe ich immer mal wieder an diesen Tannhäuser-Film denken müssen. Wann und wo ich das Gespräch dazu suchte, niemand konnte sich daran erinnern. Sollte es den Film am Ende gar nicht gegeben haben? Es gab – und es gibt ihn! Auf der Wartburg wird er ganz offiziell als DVD aus dem Deutschen Rundfunkarchiv in Lizenz für Telepool angeboten.

Die DVD kann im Museumshop auf der Wartburg erworben oder bestellt werden.

Mich befiel leichtes Herzklopfen, als ich die Scheibe in den Player schob. Als würde man plötzlich etwas wiedersehen, was verloren schien. Ja, genau so war das mit der Elisabeth. Nur das Gemäuer ist nicht mehr so schäbig und verfallen. Die Wartburg glänzt heute, wie sie nie geglänzt haben dürfte. Die Handlung setzt mit dem Lied des Hirten ein, der im Gras an einem Stöckchen herumschnitzt. In der Ferne erklimmen die Pilger entschlossen den Berg hinauf zur Burg. Damals blühte der Mai im Fernsehen noch grau. Empfang in Farbe gab es in der DDR erst von 1969 an, zwei Jahre später als im Westen. Geräusche der Natur bleiben ausgespart. Kein Vogel zwitschert in dieser Landschaft. Nur etwas später, wenn die Sänger mit ihrem Gefolge in die Burg einziehen, klappern die Pferde mit ihren Hufen auf dem holprigen Pflaster. Ansonsten ist alles Musik, die aus der Konserve kommt. Es empfiehlt sich, sehr genau hinzuhören. Der Hirt ist auf der Besetzungsliste und auch im Abspann nicht genannt. Wer sich einigermaßen auskennt, wird auf Anhieb die Stimme von Maria Croonen identifizieren, die an der Oper in Leipzig ihre größten Erfolge im lyrisch-dramatischen Fach feierte. Nicht aber die Person. Die Croonen sah ganz anders aus. Spätestens dann, wenn Tannhäuser ins Bild tritt und sein „Allmächt’ger, dir sei Preis“ mit inbrünstiger metallischer Wucht herausschleudert, dämmert es, dass dem Film eine ganz bestimmte Aufnahme des DDR-Rundfunks untergelegt wurde. Kein Zweifel, es ist die Stimme des Heldentenors Ernst Gruber, der bis zu seinem Tod 1979 an der Berliner Staatsoper wirkte, aber auch in Leipzig als Rienzi oder Lohengrin Eindruck machte. Sein etwas unbeholfen agierender Darsteller ist ein gewisser Wolfgang Nagel, der in der greifbaren Literatur und auch im Netz keine Spur hinterlassen hat. Elisabeth entpuppt sich stimmlich als Brünnhild Friedland, der Landgraf als Hans Krämer, Wolfram als Kurt Rehm und Walther von der Vogelweide als Gert Lutze.

Der Soundtrack des Films ist eine Produktion des DDR-Rundfunks aus Leipzig mit Ernst Gruber in der Titelrolle. Sie ist bei Walhall erschienen (WLCD 0222).

Die Aufnahme, bei der sich der Film akustisch bediente, war bereits 1954 in Leipzig entstanden und ist schon vor Jahren bei Walhall auf CD gelangt und noch zu haben (WLCD 0222). Sie bildet auch ein Kapitel deutsch-deutscher Musikgeschichte ab. Die Friedland verließ die DDR, kehrte 1970 zurück, um später Richtung Westen ausgewiesen zu werden, wo sie künstlerisch nicht mehr Fuß fassen konnte. Lutze, der Medizin studiert hatte, war als Quereinsteiger in Leipzig zunächst als Bach-Solist bekannt geworden, wirkte aber auch in zahlreichen Opernproduktionen für das Radio mit. In Operettenaufnahmen trat er unter dem Pseudonym Charles Geerd auf. Auch Lutze kehrte der DDR enttäuscht und genervt den Rücken und ließ sich später in Süddeutschland als Hautarzt nieder. Gestorben ist er 2007 im Alter von neunzig Jahren in München. Rehm, im Westteil Berlins zu Hause, blieb auch nach dem Bau der Mauer bei der Staatsoper unter Vertrag, wo er besonders in Verdi-Rollen geschätzt wurde. Als der Film entstand, war Geerd Lutze schon weg. Ist das ein Grund gewesen, warum die Sänger nicht genannt werden? Die DDR nahm schwer übel, wenn jemand ging. Oder wurde nach der damals noch immer verbreitete Praxis verfahren, bei Opernverfilmungen nur die Schauspieler, nicht aber die Sänger zu benennen? Und die sind bis auf eine Ausnahme nicht identisch mit den Darstellern. Hans-Peter Schwarzbach spielt und singt den Heinrich der Schreiber. Dieser Tenor hatte einen guten Ruf. Seine Glanzrolle war der David in den Meistersingern, den er auch in der Eröffnungsinszenierung der Berliner Staatsoper 1955 sang.

Und die anderen? Wieder einmal erweist sich das Buch „Richard Wagner in der DDR – Versuch einer Bilanz“ von Werner P. Seiferth als wichtige Quelle. Hajo Müller, selbst ein stimmgewaltiger Bass, den ich noch in Weimar gehört habe, mimt den Landgrafen, hätte ihn aber durchaus statt Hans Krämer singen können. Achim Wichert, der agierende Wolfram, ist in dieser Rolle auch in Leipzig auf der Bühne nachgewiesen. Das Double von Lutze als Walther ist Harald Joachim, der am Theater in Eisenach auftrat und dort später Regie führte. Evelyn Bölicke, die als Elisabeth so starken Eindruck auf mich junges Ding gemacht hatte und die am Ende auch richtige Tränen vergoss, tauchte 1964 in der Verfilmung von Offenbachs Ritter Blaubart durch Walter Felsenstein als Heloise wieder auf. Weil also die Schauspieler selbst Sänger gewesen sind, können sie bei der Synchronisation glaubhaft agieren. Deshalb kommt zunächst gar kein Gedanke daran auf, das jene, die spielen gar nicht singen. Genannt werden aber Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig unter der Leitung von Gerhard Pflüger, der bei Fritz Busch studierte und Generalmusikdirektor in Weimar gewesen ist.

Diese Produktion hat also ihren ganz eigenen Sammlerwert. Ihr anrührender Charme kann aber nicht über ein schwerwiegendes Manko hinwegtäuschen. Der Sängerkrieg findet nicht im großen Saal auf der Wartburg statt, der nach ihm benannt ist. Die Darsteller müssen sich in drangvoller Enge mit einem nicht näher bezeichneten Raum begenügen. Dadurch wirkt die Szenerie etwas schäbig und kleinkariert. Trotzdem ist diese DVD als durch und durch historischen Dokument zu empfehlen. Sie kostet weniger als fünf Euro und kann direkt im Museumsshop der Wartburg (https://shop.wartburg.de) bezogen werden. Rüdiger Winter

Das Foto oben ist ein Screenshot auf dem Film. Es zeigt Elisabeth bei ihrer Hallenarie. Dargestellt wird sie von Evelyn Bölicke, gesungen von Brünnhild Friedland.

Streng und asketisch

 

Der in Graz geborene österreichische Dirigent Hans Rosbaud (1895-1962) ist heute am ehesten noch ein Begriff als Interpret zeitgenössischer Musik. Er leitete Erstaufführungen von Messiaen, Boulez und Stockhausen und vor allem die konzertante Uraufführung von Schönbergs Moses und Aron. Dass sich Rosbaud aber auch intensiv mit der Romantik und Spätromantik beschäftigte, ging darüber hinaus weitgehend unter. SWR Classic widmet diesem weniger bekannten Kapitel nun nicht weniger als drei Veröffentlichungen. Eine erste CD beschäftigt sich mit Wagner (SWR19036CD), eine zweite mit Weber und Mendelssohn (SWR19036CD). An Umfang deutlich ambitionierter ist die jüngste Publikation, eine acht CDs umfassende Box mit acht Sinfonien von Anton Bruckner (SWR19043CD). Rosbaud hat mit dem Südwestfunk-Orchester, dem er ab 1948 vierzehn Jahre bis zu seinem Tode vorstand, in seinen letzten sieben Lebensjahren die Sinfonien Nr. 2 bis 9 seines Landsmannes Bruckner eingespielt; eine das Projekt abschließende Aufnahme der ersten Sinfonie scheiterte höchstwahrscheinlich nur am frühen Ableben des Dirigenten.

Die Einspielungen entstanden mit einer Ausnahme von 1955 (Sinfonie Nr. 8) bis 1962 (Sinfonie Nr. 5) im Studio des Südwestfunks in Baden-Baden, dem heutigen Hans-Rosbaud-Studio. Allein die siebte Sinfonie wurde 1957 im Südwest-Tonstudio in Loffenau eingespielt. Es ist angesichts der hohen künstlerischen Qualität dieser Interpretationen bedauerlich, dass auch die spätesten der Aufnahmen nur in Mono vorliegen, auch wenn sich Gerüchte über eine Stereoveröffentlichung der Siebten halten (das Beiheft gibt darüber indes keine weiteren Auskünfte). Immerhin wurde viel Mühe in das Remastering der Originalbänder des SWR gesteckt, so dass die Tonqualität in allen Aufnahmen als durchaus akzeptabel zu bezeichnen ist. Anders als der etwas jüngere Eugen Jochum, der als Bruckner-Dirigent ungleich größere Berühmtheit erlangte, ist Rosbauds Stil in Sachen Bruckner nüchterner und sachlicher ausgelegt. Feierlichkeit oder gar Weihecharakter sucht man hier vergebens. Insofern kommt man kaum umhin, Rosbaud als den „moderneren“ Interpreten anzusehen, vielleicht vergleichbar mit dem ebenfalls weitgehend vergessenen Schweizer Volkmar Andreae, der eine beachtliche Gesamtaufnahme – die erste überhaupt – bereits 1953 vorlegte. Zumindest widerlegen diese beiden Beispiele eindrucksvoll, dass Bruckner früher stets übervoll an katholischem Pathos gewesen sei.

Was die bei Bruckner in besonderer Weise komplexe Frage der unterschiedlichen Fassungen betrifft, hält sich Rosbaud an die noch heute dominierenden Editionen von Robert Haas und Leopold Nowak, die Bruckners letzte Hand berücksichtigen. Etwaigen Kürzungsvorschlägen folgt er mitnichten. Zum Zeitpunkt der hier vorliegenden Aufnahmen war es noch keineswegs unstrittige Regel, Fassungen auszuwählen, die fremde Eingriffe so gering wie möglich halten. Der berühmtere Dirigentenkollege Hans Knappertsbusch spielte bis zuletzt unbeirrbar die aus heutiger Sicht „entstellenden“ Fassungen von Schalk und Löwe; die Decca ließ 1956 gar noch die in ihrem Charakter stark veränderte fünfte Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern unter Knappertsbusch einspielen. Anders als dieser vermeidet Hans Rosbaud in seinen Deutungen eine ekstatische, von mitunter sehr eigenwilliger Agogik gezeichnete Interpretation des Bruckner’schen Œuvre. Sein Stil ist vielmehr streng, verfolgt ein gleichmäßiges Tempo und ist gleichsam asketisch anmutend. Bildlich gesprochen hat man hier gewissermaßen eine Art protestantischen Bruckner vorliegen – und das von einem Österreicher. Auch der frühen und seinerzeit selten gespielten zweiten Sinfonie lässt Rosbaud jene Sorgfalt zukommen, die die späteren Werke auszeichnen. Die Tempi sind nicht in jedem Fall so flott, wie man glauben möchte. In der Richard Wagner gewidmeten Dritten lässt sich Rosbaud im Finale etwa deutlich mehr Zeit als Jochum, ohne freilich die ausdehnte Spielzeit Sergiu Celibidaches zu erreichen. Die „Romantische“ kommt gänzlich unprätentiös daher, mit knapp 65 Minuten geschlagene 21 Minuten schneller als Celibidaches letzte Aufnahme davon. Die bekannte Coda ist zielgerichtet, ohne romantische Gefühlsduselei. Rein temporal betrachtet, sticht Rosbauds Fünfte – in gewisser Weise die Krönung im sinfonischen Schaffen Bruckners – mit etwa 76 Minuten Spielzeit gar nicht besonders heraus. Von Weihrauchschwaden ist hier nichts zu merken; wer diese sucht, wird enttäuscht werden.

Freilich erweist sich die eben doch eingeschränkte Tontechnik gerade in den musikalischen Höhepunkten als hinderlich. Dies tritt neben der fünften besonders in der achten und neunten Sinfonie zu Tage, gleichsam der besonders großformatigen Trias. Das Südwestfunk-Orchester verrichtet seine Arbeit weitgehend völlig tadellos. Allerdings vermisst man doch hie und da die orchestralen Raffinessen, die Spitzenorchester auszeichnen. Ab und an ist Rosbauds betont unprätentiöser Zugang dann doch zuviel des Guten. Im Finale der Achten verfehlt er die Vorschrift Feierlich, nicht schnell mit allzu beschwingten 19:27 einigermaßen deutlich. Erstaunlich getragen dafür das Adagio mit 26 Minuten. Sehr gelungen auch das Scherzo der Neunten, das hier unerbittlich hämmernd und geradezu spukhaft erklingt. Großartig und trotz der tontechnischen Mängel eindrucksvoll in seiner Klarheit der langsame Satz. Dass Rosbaud den rekonstruierten Schlusssatz der neunten Sinfonie nicht einspielte, nicht einspielen konnte, ist selbstredend zeitbedingt.

Die SWR-Box kommt sehr hochwertig und gediegen daher. Ihr liegt ein informatives Booklet mit ausgezeichneter Einführung von Hartmut Lück in deutscher Sprache und in englischer Übersetzung bei. Die Aufnahmedaten und -orte sind akribisch vermerkt nebst der Verzeichnung der jeweiligen künstlerischen Aufnahmeleiter und Toningenieure (soweit bekannt). Auch die vom Dirigenten gewählten jeweiligen Fassungen sind vermerkt, so dass eine genaue Zuordnung ein Leichtes ist. Eine höchst willkommene, großartig aufbereitete Neuerscheinung. Daniel Hauser

Aus Bayreuther Truhen

 

Orfeo unterbricht seine Bayreuther Festspielserie mit Beethoven. Dessen 9. Sinfonie hat in Bayreuth stets eine ganz besondere Rolle gespielt. Richard Wagner führte sie bei der Grundsteinlegung des Festsspielhauses am 22. Mai 1872 im Markgräflichen Opernhaus auf, das er ursprünglich für seinen Ring des Nibelungen in Erwägung gezogen hatte. 1933, nach dem Nachtantritt der Nationalsozialisten, hatte Richard Strauss an diese Tradition angeknüpft. Die nächste Aufführung gab er erst wieder 1951, zur Eröffnung der Nachkriegfestspiele, die einen Neubeginn markierten. Dafür kehrte Wilhelm Furtwängler nach Bayreuth zurück. Er kam noch einmal 1954, in seinem Todesjahr wieder, um die Sinfonie zu leiten. 1953 hatte der dirigierende Komponist Paul Hindemith diese Aufgabe übernommen. Dann war Pause bis 1963 – einem Wagnerjahr. Gedacht wurde des 150. Geburtstags und des 80. Todestages. Mit Karl Böhm, der sich in der vorangegangenen Saison als gefeierter Tristan-Dirigent in Bayreuth eingeführt hatte, kam zugleich ein ausgewiesener Beethoven-Kenner. In Gundula Janowitz, Grace Bumbry, Jess Thomas und George London stand ihm ein erfahrendes Solistenquartett zur Verfügung. Für die beiden Damen war es der Abschied von Bayreuth. Sie waren nur für dieses Konzert angereist und kehrten nicht wieder zurück. Thomas kam im selben Jahr noch als Parsifal und Walther von Stolzing zum Zuge, London als Amfortas.

Der bei Orfeo herausgekommene Mitschnitt stammt vom 23. Juli 1963 (C 935 171 B). Peter Emmerich, der den Bereich Presse, Kommunikation und Marketing leitet, hat sich im Archiv umgetan und beachtliche Zahlen und Fakten zusammengetragen. Demnach hatten auf der Bühne 150 Musiker des Festspielorchesters Platz genommen. Der Chor war um 90 Laien-Sänger auf 217 Mitglieder verstärkt worden – „einige Berichte steigerten überwältigt vom grandiosen Anblick die Zahlen sogar auf über 300 Chormitglieder oder schrieben von insgesamt 500 Mitwirkenden“. Seine Einmaligkeit bezieht das Konzert allerdings aus der Fassung der Sinfonie, wie sie Wagner selbst für seine Aufführungen eingerichtet hatte – „mit mehreren instrumentalen Retuschen“. Emmerich nennt vierfach besetzte Holzbläser und die Verdoppelung der Hörner. „So gab es einige ungewohnte Akzentuierungen im melodischen Gefüge.“ Nicht ohne Einfluss auf das Gesamtbild schien auch die Akustik des Hauses geblieben zu sein. Emmerich zitiert Kritikerstimmen, denen die eine oder andere Stelle merkwürdig „wagnerisiert“ geklungen habe. „Der klassische Beethoven … eignet sich halt nicht für eine solche Breitwandaufführung“, vermerkte die „Frankfurter Neue Presse“. Nach den Recherchen von Emmerich „waren sich schließlich dennoch ausnahmslos alle Kritiker in ihrem enthusiastischen Gesamturteil einig“. Es versteht sich, dass der Dirigent daran den größten Anteil hatte. Böhm kam bei der Kritik auch deshalb so gut weg, weil er ein „hohes Maß an klassischer Zucht“ zeigte, „das kein romantisches Abgleiten zuließ. Er habe das „Formbild des Werkes in vollendeter Schönheit“ gegeben. Das Erlebnis sei von Böhm ausgegangen. Lässt der Mitschnitt auf CD diesen Schluss auch nach mehr als fünfzig Jahren zu? Für mich schon. Insofern war es eine gute Idee der Herausgeber, die Eindrücke von damals ziemlich ausführlichen wiederzugeben, damit sich die Hörer von heute ihr eigenes Urteil bilden können. Ein durch und durch phantastisches Klangbild wird dabei behilflich sein. Es gibt trotz der erweiterten Besetzung keine Übersteuerungen, Solisten und Chor sind sehr präsent und immer gut zu verstehen.

 

Mit dem „Lohengrin“ unter der Leitung von Rudolf Kempe hat Orfeo auch dieses Werk zweifach im Bestand.

Indessen hat Orfeo seiner Festspielreihe den zweiten Lohengrin hinzugefügt. Auf den Mitschnitt von 1959 folgt nun eine Aufnahme vom 30. Juli 1967 (C 850 113D). Warum diese und keine andere? Nicht immer ist die Auswahl, die Orfeo trifft, nachvollziehbar. Den glanzvollen Höhepunkt der musikalischen Auseinandersetzung mit dem Lohengrin markiert für mich das Jahr 1972. Unter der Leitung von Silvio Varviso sangen Hannelore Bode die Elsa, Ursula Schröder-Feinen die Ortrud, René Kollo den Lohengrin, Donald McIntyre den Telramund und Karl Ridderbusch den König. Prachtvoller hat Wagner selten geklungen wie damals. Die Inszenierung war dieselbe wie 1967, als sie erstmals über die Bühne ging. Mit der Neuinszenierung von Wolfgang Wagner begann diese schwierige Saison. Wieland lebte nicht mehr. Er war am 17. Oktober 1966 gestorben. Sein Bruder musste die Last des berühmtesten deutschen Festivals fortan allein tragen. Bei dem Mitschnitt handelt es sich nicht um die Eröffnungspremiere. Orfeo entschied sich mit seiner Ausgabe für die Wiederholung eine Woche später, bei der James King Sandor Konya in der Titelrolle abgelöst hatte. Das sollte nicht der einzige Wechsel der Saison bleiben. In den weiteren Vorstellungen sangen noch Jess Thomas und Hermin Esser, der ursprünglich nur als einer der vier brabantischen Edlen besetzt war. Es ist der erste Lohengrin Kings, der auf Tonträgern überliefert ist.

King war kein Neuling in Bayreuth. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er als Siegmund auf sich aufmerksam gemacht, eine Rolle, die ihm mehr lag als der lyrische Lohengrin. Sein Schwanenritter lässt technisch keine Schwierigkeiten erkennen. King ist sehr sicher und professionell – und bestens zu verstehen. Der Auftritt wie aus einer anderen Welt. Metallisches Timbre ist sein unverkennbares Markenzeichen. Defizite offenbaren sich in der Gestaltung, die zu eindimensional und zu distanziert bleibt und die durchaus magische Stimmung bei der Ankunft nicht zu steigern vermag. Was sich schon Anfang der 1960er Jahre abgezeichnet hatte, tritt jetzt noch deutlicher hervor. Mit diesem Lohengrin wurden die Besetzungen bei den Festspielen noch internationaler. King, Grace Hoffman (Ortrud) und Thomas Tipton (Heerrufer) kamen aus den USA, Heather Harper (Elsa) aus Großbritannien und Donald McIntyre (Telramund) aus Neuseeland. Einzig Karl Ridderbusch (König Heinrich), die Edlen und die Edelknaben waren deutscher Zunge. Zu spüren ist das nicht. Nur wer genau hinhört und das Werk aus dem Effeff kennt, dem fallen die Petitessen bei der Aussprache auf – eine falsche Betonung, eine verschluckte Endung, ein verwischter Konsonant. Viel mehr nicht. Was ausnahmslos alle Solisten leisten, um dieses Werk als die romantischste aller deutschen Opern zum Klingen zu bringen, stellt sich auch heute noch als beachtlich dar.

Für Heather Harper war die Elsa nur ein kurzes Gastspiel bei den Festspielen. Sie kehrte in der Rolle 1968 nur noch einmal zurück. Bleibenden Eindruck sollte sie nicht hinterlassen. Kritiken, die im Booklet zitiert werden, rühmen ihren „leidenschaftlichen Ausdruck“. Sie habe „eine sehr edle, sehr mädchenhaft empfindungsreiche und stimmlich beseelte Elsa“ voller „Reinheit und Süße“ gegeben. Fünfzig Jahre danach klingt der Mitschnitt anders. Obwohl erst siebenunddreißig Jahre alt, fehlt es ihr nach meinem Eindruck gerade an jugendlichem Ausdruck. Sie wirkt sehr bemüht und etwas zugeknöpft. Unter historischen Gesichtspunkten sind diese zeitgenössischen Kritikermeinungen dennoch höchst interessant. Einige Urteile haben über die zeitliche Distanz nicht gehalten. Wahrnehmungen wandeln sich genauso wie der Vortragsstil. Und dass Grace Hoffmann die Ortrud „fast zu schön“ gesungen haben soll, dürfte zudem nur aus der Tatsache zu erklären sein, dass Astrid Varnay als ihre Vorgängerin besonders scharfe Akzente gesetzt hatte. Schön klingt anders. Schön hat die Rolle Christa Ludwig gesungen, die damit leider nicht in Bayreuth aufgetreten ist. Die Hoffman ist mir zu farblos. Bayreuth-Debütant McIntyre wirkt auf mich stilistisch am modernsten. Er stand am Beginn seiner Wagner-Karriere, in deren Verlauf er als Holländer, Wotan, Holländer, Kurwenal und Amfortas starke Akzente setzte. Tipton erweist sich für den Heerrufer als wenig geeignet, weil er seine Verlautbarungen streckenweise wie Arien vorträgt. Allseits perfekt agiert Karl Ridderbusch als milder, ja sanfter und nachdenklicher König, dem das Schicksal Elsas nahe zu gehen scheint. Zumindest klingt es so. Er ist vom Erscheinen Lohengrins selbst tief ergriffen. Rasch wird er aber erkennen, dass Gott nicht nur Elsa, sondern auch ihm selbst den Retter in der Not geschickt hat, um die aufmüpfigen Ungarn mit Waffengewalt in die Schranken weisen zu können.

Rudolf Kempe dirigierte 1967 seinen ersten Lohengrin in Bayreuth. Den viel beachteten Einstand hatte er 1960 mit dem Ring des Nibelungen gegeben. Im Booklet zitiert Peter Emmerich, Leiter des Pressebüros, auch die „Nürnberger Nachrichten“, die zu dem Schluss gelangen, dass Kempe nunmehr „mit dem Festspielorchester weit substanzieller“ umgehe, „als man das von ihm bisher auf dem grünen Hügel gewohnt war. Da ist Kraft, Farbe und Wohllaut“. Er habe die Partitur ganz von ihren „lyrischen Seite“ genommen. „Dabei blieb Kempe stets in den Grenzen einer sozusagen symphonischen Kammermusikalität, besorgt um durchsichtige Struktur, um die klare Scheidung des tonalen Grundkolorits der Gralsklänge und der finsteren Welt Ortruds…“. Durchgehend finde ich diese Einschätzung – so wie bei den Wertungen der Stimmen – nicht bestätigt. Vielmehr weist der Mitschnitt Kempe als Dramatiker aus, der es auch schon mal kräftig krachen lässt.

 

Mit dem „Ring des Nibelungen“ von 1961 ist der Vierteiler, für den Wagner das Festspielhaus errichten ließ, nun dreimal im Orfeo-Katalog (C 928 613 Y).

Noch ein Ring aus Bayreuth gefällig? Der wievielte eigentlich? Ich habe sie nicht gezählt. Schon auf die Gefahr hin, am Ende einen vergessen zu haben. Nach Keilberth, Knappertsbusch, Krauss, Böhm, Boulez, Barenboim, Thielemann nun auch Rudolf Kempe. Seit er für die EMI einen Querschnitt durch das Rheingold mit angepassten Übergleitungen zwischen den einzelnen Szenen (1959), die Meistersinger-Gesamtaufnahmen (1951 in Dresden und 1956 EMI) und einen kompletten Lohengrin (1963 EMI), dem 1951 die Münchner Rundfunkproduktion bei BASF vorausgegangen war, vorgelegt hatte, war sein Name mit Wagner unauflöslich verbunden. Insofern war es nur logisch, dass er auch nach Bayreuth gerufen wurde. Dort dirigierte er den Ring des Nibelungen zwischen 1960 und 1963. Bei Orfeo ist zuletzt der Mitschnitt von 1961 herausgekommen (C 928 613 Y). In Mono, dafür aber wie immer sorgfältig aufgefrischt. Seinen hohen Ansprüchen an den Klang bleibt das Label auch mit dieser Neuerscheinung treu. Aus den Lautsprechern soll möglichst viel von dem herüber kommen, was das Publikum einst im Festspielhaus gehört hat. Alle in der Reihe erschienen Aufnahmen – den neuen Lohengrin einbezogen – dokumentieren also nicht nur Sänger, Orchester und Dirigenten – sie dokumentieren auch die Akustik, die Atmosphäre, die Stimmung einschließlich aller möglichen Bühnengeräusche und Befindlichkeiten der Atemwege des Parketts, die sich in befreiendem Husten äußern. Als würde Luft in Gläsern konserviert. So etwas grenzt an Wunder. Das Unmögliche gelingt. Auf CD kamen auch diesmal die jeweiligen Abende. Nachträglich wurde nicht herumgeschnippelt, um aus verschiedenen Bändern eine astreine Vorstellung zusammenzubasteln. Beifall darf auch sein, weil der damals in Bayreuth meist zustimmend gewesen ist. Vorstellungen endeten nicht in einem Buh-Orkan, der sich in der Regel gegen die Regie richtete. LIVE ist im Logo der Bayreuther Festspielserie von Orfeo nicht ganz zufällig in Gold, Versalien und in herausragender Schriftgröße verankert. Live bedeutet Programm, Versprechen und Anspruch. Live ist, was wirklich geschah.

Die Sensation im „Tannhäuser“ aus dem Jahre 1961 war die Venus von Grace Bumbry (C 888143).

Dieser Ring des Nibelungen bewahrt auch die Patzer, die im Studio kein Aufnahmeleiter durchgehen ließe. Sie stören nicht, weil sie ein zutiefst menschlicher Faktor sind. Kempe war für die Neuinszenierung von Wolfgang Wagner engagiert worden. Sie löste die erste Nachkriegsdeutung seines Bruders Wieland ab und wurde anfangs kritisch beäugt. Im zweiten Jahr, in dem aufgezeichnet wurde, legte sich die Skepsis. Zustimmung überwog. Mit dieser Arbeit hatte sich Wolfgang endgültig auch als Regisseur etabliert. Kempe ist nicht vom ersten Ton an voll da. Er steigert sich. Im Rheingold fallen noch Koordinierungsschwierigkeiten zwischen Orchester und Bühne auf, gegen Ende des Vorspiel zum zweiten Aufzug der Walküre gibt es ein undefinierbareres Gewirr und beim Walkürenritt sollte man auch nicht zu genau hinhören. Nach und nach klingt es immer prachtvoller und sicherer aus dem Graben herauf. Gar nicht so leicht und transparent, wie gelegentlich zu lesen ist. Kempe packt durchaus auch kräftig zu und dreht gewaltig auf. Manchmal sind die Stimmen zu vordergründig. Dadurch verschieben sich akustische Proportionen. Besonders auffällig wird das im ersten Aufzug der Walküre.

Régine Crespin und Fritz Uhl als Sieglinde und Siegmund fallen fast aus den Lautsprechern heraus. Ich war versucht, im Nebenzimmer nachzuschauen, ob sie sich dort aufhalten. So nahe sind sie. Wie kommt das? Sind die Mikrophone mit dieser Wirkung positioniert gewesen oder wurde beim Remastering vielleicht doch ein wenig zu stark an der Sängerschraube gedreht? Am meisten gewinnt dadurch die Wortverständlichkeit. Die Solisten, zu denen noch Gottlob Frick als auch stimmlich schwer bewaffneter Hunding tritt, sind ihre eigenen Textbücher. Angehende Sänger sollten sich das anhören. Sie würden sich – nicht zu ihrem Schaden – in einer Unterrichtsstunde für genaue Artikulation wiederfinden. Uhl ist zwar etwas deftig, singen aber kann er. Seine Reserven sind unbegrenzt. Eine Stimme, die nichts umhaut. Die Wälse-Rufe kommen aus voller Brust. Lyrik ist nicht seine Stärke. Die Crespin, holt aus ihrer Partie gestalterisch alles heraus, was ihr möglich ist. Die Rolle sitzt. Dennoch klingt sie etwas angestrengt, trocken und reserviert. Sechs Jahre später wird sie bei den ersten Salzburger Osterfestspielen die Brünnhilde in der Walküre singen. Was ihr erst bevorsteht, hat Astrid Varnay, ohne die das Nachkriegsbayreuth nicht vorstellbar ist, vernehmbar hinter sich. Nämlich ihre besten Tage als Brünnhilde. Sie singt die Rolle in der Walküre, in Siegfried und Götterdämmerung übernimmt Birgit Nilsson. Bei ihr sind für den besseren Sitz der Töne und die klaren Höhen Abstriche in der Ausdeutung die Figur hinzunehmen. Selten habe ich bei der Nilsson so wenig verstanden. Was die Varnay nur noch antippen kann, schleudert die Nilsson, ohne mit der Wimper zu zucken, heraus. Dabei sind beide gleichaltrig, geboren 1918 in Schweden.

Dramatik pur: Der gespenstische „Fliegende Holländer“ unter der musikalischen Leitung von Hans Knappertsbusch (C 692092).

Und Siegfried? „Der bläst so munter das Horn.“ Was Hagen – kein anderer als Frick – im ersten Aufzug der Götterdämmerung so treffend über den Helden bemerkt, liest sich wie eine Beschreibung der Leistungen von Hans Hopf. Obwohl schon 1951 als Walther von Stolzing in den Eröffnungs-Meistersingern unter Herbert von Karajan und als Solist bei der von Wilhelm Furtwängler geleiteten 9. Sinfonie von Beethoven mit dabei – Mitschnitte sind offiziell bei der EMI erschienen – sollten acht Jahre bis zu seiner Rückkehr auf den Grünen Hügel im Jahr 1960 verstreichen. Bis 1964 sang er durchgehend den Siegfried – mit unvergleichlichem Timbre – versiert, zuverlässig, robust. An die Stelle von Jugendlichkeit setzt er Erfahrung. Etwas knapp fällt hin und wieder die Höhe aus. Es gab in seiner Anwesenheit nie eine doppelte oder gar alternative Besetzung, geht aus den Annalen der Festspiele hervor. Hopf sagte auch nie ab. An seiner Unersetzbarkeit ließ er nicht den geringsten Zweifel. Dadurch erwies er sich als eine der Stützen dieser Produktion.

Ein Fall für sich ist Otakar Kraus als Alberich. Offenbar hat ihn Kempe aus London mitgebracht, wo er schon 1957 in der Produktion in Covent Garden der Alberich gewesen ist. Davon gibt es bei Testament einen Mitschnitt. Ursprünglich stammt Kraus aus Prag. Dort wurde er 1909 geboren. Internationale Berühmtheit erlangte er mit dem Nick Shadow in der Uraufführung von Stravinskys The Rake’s Progress 1951 in Venedig. Mit Robert Lloyd, Willard White, John Tomlinson und Gwynne Howell hatte er gleich vier Schüler, die später berühmt wurden. Ein Schönsänger war Kraus nicht. Bei ihm überwiegt das gestalterische Element. Mich stört, dass die Stimme zu sehr schwingt. Sein Fluch im Rheingold verflüchtigt sich rasch in Sprechgesang. Dann fehlt einem schon der Gustav Neidlinger, der in Bayreuth als Alberich von niemandem ausgestochen wurde. Gerhard Stolze wabert als Loge umher und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, sobald er den Mund aufmacht. Mime ist mit Herold Kraus grundsolide besetzt und produziert gelegentlich selbst Töne wie ein Heldentenor. Grenzen werden als darstellerischer Effekt gut verkauft. Kraus ist ein Profi allererster Güte, der heute Mime und morgen Pedrillo oder Jaquino sang.

Der erste „Lohengrin“, den Orfeo in seiner Festspielreihe veröffentlichte, stammt von 1959 (C 691063).

1961 war manches anders als in den Jahren zuvor. Es zeigte sich auch in Bayreuth, dass die Opernhäuser und mehr noch die Festivals zu Vorreitern der Globalisierung wurden. Mit Jerome Hines als Wotan und James Milligan als Wanderer teilten sich erstmals ein Amerikaner und ein Kanadier die Rolle des Chefgottes. Mit Ausnahme des Holländers Anton van Rooy, der den Wotan von 1897 an sang, dürfte bis in die 1960er Jahre kein anderer Ausländer besetzt gewesen sein. Nach dem ewigen Hans Hotter, der in mindestens sechs Spielzeiten hintereinander als Wotan Wurzeln geschlagen hatten, waren plötzlich neue Töne zu vernehmen. Der vierzigjährige Hines verbreitet Frische in Stimme und Erscheinung, versehen mit einem Schuss Beliebigkeit. Ohne Schaden zu nehmen, kommt er über die nicht enden wollenden Erzählungen im zweiten Aufzug der Walküre. Da hatte ihm Hotter, der mehr Geheimnis und Spannung hineinlegte, einiges voraus. Bei Hines dauern sie gefühlt noch etwas länger. Dennoch hört er sich sehr gut an. Milligan ist gerade mal dreiunddreißig. Ihm sollten nur noch wenige Monate bleiben. Er starb im November desselben Jahres bei einer Probe in Basel an den Folgen einer Herzkrankheit. Auf der Schwelle zur Weltkarriere. Um so einen ist es wirklich schade. Er hatte das Zeug für einen Heldenbariton mit einer tragfähigen und stabilen Mittellage, aus der er sich gewaltig steigern konnte. Davon weiß er vor allem in der Rätselszene im ersten Siegfried-Aufzug Gebrauch zu machen. Sein Deutsch ist nahezu perfekt. So auf den Punkt wie er singt heute kaum jemand mehr. Dem ersten Eindruck nach lässt die Stimme auf einen reiferen Sänger schließen. Ein derartiges Volumen und diese Kraft sind für sein Alter ungewöhnlich. Noch sind nicht alle Kanten und Ecken dieser Naturstimme abgeschliffen. Das wirkt zusätzlich reizvoll. Für mich ist James Milligan die eindrucksvollste Gestalt dieses Mitschnittes, mit dem ihm nun ein klingendes Denkmal gesetzt wird. Nur in wenigen anderen Aufnahmen hat er mitgewirkt. Einiges gibt es von Arthur Sullivan, aus Kanada hat sich ein Messiah erhalten und bei der EMI ein Glyndebourne-Idomeneo, in dem er den Arbace singt.

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Mit Thomas Stewart als Donner und Gunther tritt noch ein Amerikaner in Erscheinung, der die kommenden zehn Jahre in Bayreuth maßgeblich mit prägen sollte – dann aber als Holländer, Wotan und Amfortas. Erst am Ende seiner Zeit bei den Festspielen gönnte er sich 1972 nochmals einen Gunther, der als eine der undankbarsten Rollen im ganzen Ring gilt. Als Episode erweist sich der Fasolt des Schotten David Ward, der sich in anderen Häusern als Wotan oder Holländer einen Namen gemacht hatte. Seien Bruder Fasolt, der im Siegfried als Wurm wiederkehrt, ist mit Peter Roth-Ehrang untadelig besetzt. Nur einmal kam der Amerikaner David Thaw als Froh bei den Festspielen vorbei. Sein Auftritt bleibt blass. Damit wurde eine Chance vertan, die Bedeutung der kleinen Rolle gebührend herauszustellen. Froh weist nach dem Gewitter im Rheingold der Regebogenbrücke den Weg nach Walhall. Für mich gehört diese Szene zu den allerschönsten Erfindungen von Wagner. Ich würde sie mit einem Tenor besetzen, der den Zuschauern durch Schöngesang den Atem verschlägt. Thaw aber verschlägt nichts.

Im "Parsifal" von 1964 unter der Leitung von Hans Knappertsbusch singt Jon Vickers die Titelrolle (C 690074 L).

Im „Parsifal“ von 1964 sang Jon Vickers die Titelrolle. Zum letzten Mal leitete Hans Knappertsbusch das Werk. Damit ging eine Ära zu Ende (C 690074).

Regina Resnik, die noch als Sopran bereits 1953 als Sieglinde und dritte Norn Erfahrungen in Bayreuth gesammelt hatte, kam 1961 für nur ein Jahr als Fricka wieder, um Wagner mit einer veristischen Oper zu verwechseln. Ihre amerikanische Landsmännin Grace Hoffman, die 1961 als Waltraute, Siegrune und zweite Norn beschäftigt war, blieb in diversen Rollen bis 1970. Nicht unerwähnt soll Ingeborg Felderer bleiben, die 1961 als Woglinde, Helmwige und Waldvogel debütierte. Sie brachte es bis an die Met und trat auch unter dem Namen Ina Delcampo auf. Als Chefin des italienischen Labels Melodram versorgte sie später den Markt mit vielen Bayreuth-Mitschnitten, die allerdings nicht den Segen der Festspielleitung fanden, den Ruhm des Festivals und seiner exklusiven Besetzungen aber in alle Welt trugen. Nur einen Sommer sangen Wilma Schmidt als glücklose Freia, Gutrune und Ortlinde, sowie Elisabeth Steiner als Wellgunde und Grimgerde. Kein anderes Festival ist so gut dokumentiert wie die Bayreuther Festspiele – in Schrift, Bild, Film und Musik. Schon in der Nazizeit wurden komplette Werke aufgenommen, die später auf Tonträger gelangten. Tannhäuser in der Pariser Fassung von 1930 ist leider nicht komplett überliefert. Der Wiederbeginn 1951 klingt in mehreren offiziellen Aufnahmen nach, die zwar auf Mitschnitten beruhten, nachträglich aber fast schon zu Studioproduktionen veredelt wurden. EMI, Teldec, Philips und Deutsche Grammophon stiegen sukzessive in dieses Geschäft ein. Bis heute sind diese Produkte zu haben. Decca schnitt bereits 1955 erstmal einen Ring in Stereo mit, versenkte die Bänder aber im Archiv, um der eigenen ersten Studioproduktion unter Georg Solti in London keine Konkurrenz zu machen. Erst als Testament 2006 damit auf den Markt kam, entpuppte sich dieses Unterfangen als eines der spannendsten Kapitel der Veröffentlichungsgeschichte. Echte Live-Atmosphäre hatten zunächst nur die Piraten-Labels verbreitet. Sie brachten die Mitschnitte vieler Rundfunkübertragungen, die zum alljährlichen Ritual wurden, als Plattenboxen heraus. Orfeo ist ziemlich spät auf diesen Zug aufgesprungen.

 

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Bayreuth Orfeo Tristan Karajan

Mit „Tristan und Isolde“ von 1952, dirigiert von Herbert von Karajan, startete Orfeo seine Live-Serie von den Bayreuther Festspielen (C 603033.)

Mit dem Tristan von 1951, der ebenfalls schon auf dem grauen Markt die Runde als LP und sogar CD gemacht hatte, wurde 2003 ein neues Kapitel aufgeschlagen (C 603033 D). Im Grußwort der Box deutete Wolfgang Wagner an, das dazu manche Vorbehalte und „gewisse Zweifel“ zu überwinden waren. Angeblich soll sich der Bayerische Rundfunk geweigert haben, seine Bänder zur Verfügung zu stellen. Wie dem auch sei. Das Ergebnis zählt. Es stellte alles in den Schatten, was bis dahin kursierte. Nach mehr als fünfzig Jahren konnte Bayreuth endlich eins zu eins nachgehört werden. Für mich war das ein unvergesslicher Moment, der mir noch heute den Atem verschlägt. Kein Buch, kein Zeitungskritik, kein Bild – nichts konnte ersetzten, was da plötzlich aus den Lautsprechern kam. Endlich war begriffen worden, dass dieses Festival in seiner Bedeutung nur dann richtig erfasst werden kann, wenn es auch klingend bewahrt bleibt. Schlag auf Schlag folgten bei Orfeo die anderen Werke des so genannten Bayreuther Kanons, also jene Opern, die dort aufgeführt werden: Tannhäuser 1955 (C643043) und 1961 (C 888143), Holländer 1955 (C 692092), Lohengrin 1959 (C 691063) und nun auch 1967, Parsifal 1964 (C 690074). Zweifach wurden die Meistersinger veröffentlicht und zwar von 1960 (C 917154) und von 1968 (C 753084). Mit dem neuen Ring des Nibelungen ist der Vierteiler, für den Wagner das Festspielhaus errichten ließ, sogar dreimal im Katalog: 1953 (C 809 113), 1956 (C 660 513) und nun 1961. Es darf so weitergehen. Rüdiger Winter

Musikalischer Lebenslauf

 

Aufnahmen aus den besten Jahren des Baritons Yuri Mazurok hat die Russische Firma Melodia auf einer CD versammelt (MEL CD 10 02393). Das Archiv des einstigen Staatslabels der Sowjetunion dürfte reich bestückt sein. Mehr und mehr Titel werden gehoben und gelangen auch auf den westeuropäischen Markt. Mazurok, 1931 geboren und 2006 gestorben, gehört zu den begabtesten und berühmtesten Opernsängern, die sein Land hervorbrachte. Auch im Westen hatte er einen hervorragenden Ruf. Gastspiele führten ihn an die Met, nach London, Wien und in andere musikalische Zentren. Mit russischen Partien war er genau so erfolgreich wie mit Verdi oder Puccini. Escamillo in der von Franco Zeffirelli inszenierten und von Carlos Kleiber dirigierten Carmen an der Wiener Staatsoper von 1978 lief auch im deutschen Fernsehen und hat sich auf DVD erhalten.

Das Arioso des Mazeppa aus der gleichnamigen Oper von Peter Tschaikowski steht am Beginn der CD. 1971 ist diese Aufnahme entstanden. Die Stimme klingt noch vergleichsweise hell und metallisch, fast tenoral. Sie hat einen hervorragenden Sitz in allen Lagen, die bestens verblendet sind. Nahtlos gelingt ihm der der Aufstieg in die Höhe. Wer auch nur ein paar Brocken Russisch versteht, erkennt, wie deutlich und genau dieser Sänger agiert. Das ist hohe Schule des Gesangs ohne akademische Attitüde. Zehn Jahre später klingt er mit der Ballade des Tomski aus Pique Dame, die unmittelbar auf Mazeppa folgt, geschmeidiger. In dieser Gegenüberstellung, die vielleicht nur zufällig ist, wird die Entwicklung und Reife des Baritons deutlich. Neben Tschaikowski gibt es Rubinstein (Dämon), reichlich Rimski-Korsakov (Sadko, Zarenbraut, Schneeflöckchen) und Mussorgski (Chowanschtschina). Und auch der Onegin, der in seiner Laufbahn eine feste Größe gewesen ist, fehlt nicht. Die Einspielung der Arien aus dem ersten Akt, in der er Tatiana Einblick in seine unbestimmten Gefühle und persönlichen Konflikte gibt, habe ich nie so eindringlich gehört wie von Mazurok. Sein Verdi, für den Mazurok besonders berühmt war, klingt für meinen Geschmack gelegentlich etwas zu gepresst, zu hart und zu körnig. Dafür gebricht es nicht an Ekstase. Zu hören ist er als Jago, Renato und Luna. Die CD gleicht einem musikalischen Lebenslauf.

Obwohl die Aufnahmen einen größeren Zeitraum umfassen, sind sie klanglich sehr gut aufeinander abgestimmt. Es gibt leine akustischen Brüche. Alles in allem ist der Sound perfekt. Nicht einmal kommt der Gedanke auf, dass es sich ja den Jahren nach um historische Aufnahmen handelt. Das Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters wird jedes Mal von Mark Ermler geleitet. Rüdiger Winter

Ein Genius in problematischer Edition

 

Jewgeni Mrawinski (in englischer Transkription Yevgeny Mravinsky / 1903-1988) gilt als einer der größten russischen Dirigenten der Sowjetzeit. Ein halbes Jahrhundert lang, zwischen 1938 und 1988, stand er den Leningrader Philharmonikern vor und formte sie zu einem der besten Orchester der Welt, was auch vom „Klassenfeind“ im Westen anerkannt werden musste. Sein strenger, aristokratischer Habitus machte ihn den sowjetischen Machthabern anfangs durchaus suspekt. Allein, sein Genie sorgte dafür, dass er sich Jahrzehnte lang an der Spitze halten konnte. Mrawinskis Klang war ungemein präzise, klar und zuweilen messerscharf, wurde durch das Vermeiden jedweder Emotion zuweilen aber auch als kühl und geradezu unmenschlich empfunden, was wohl nicht zuletzt auf die harten zeitlichen Umstände seines Wirkens zurückzuführen ist. Hänssler ehrt die russische Dirigentenlegende nun mit einer drei Boxen à 6 CDs umfassenden Edition, die ab 2015 im Abstand von jeweils einem Jahr erschien.

Enthalten sind zwischen 1940 und 1962 entstandene Aufnahmen, also aus der ersten Hälfte seiner Amtszeit als Chefdirigent in Leningrad. Daraus resultiert freilich, dass ein Gros der Tondokumente lediglich in Mono vorliegt – nichts für Hi-Fi-Enthusiasten. Der Klang war, wie der Kenner weiß, ohnehin immer das Hauptproblem bei den meisten seiner Aufnahmen. Selbst seine letzten Tondokumente aus den 1980er Jahren klingen allenfalls durchschnittlich. Die besten Klangresultate wurden in der Tat auf Auslandstourneen erzielt. Hieran lässt sich erahnen, dass Leningrad in der UdSSR technisch deutlich hinter Moskau zurücklag, klingen die zeitgleich entstandenen Melodija-Einspielungen Jewgeni Swetlanows doch bei weitem besser. Mrawinski machte, seinem Naturell entsprechend, übrigens seit Anfang der 1960er Jahre ohnehin keine Studioeinspielungen mehr, sondern bevorzugte das unmittelbare Live-Erlebnis.

Bis auf eine einzige Ausnahme (ein kurzer Auszug aus Webers Freischütz mit dem Staatsorchester der UdSSR) sind sämtliche Aufnahmen mit „seinen“ Leningradern entstanden, die Mrawinski nahezu ausschließlich dirigierte. Auf Vol. I der Edition liegt auf den ersten beiden CDs der altbekannte Studio-Zyklus der drei späten Tschaikowski-Sinfonien vor. Er entstand im November 1960 in Wien für die Deutsche Grammophon und zählt klanglich zu den besten Mrawinski-Aufnahmen. Hier zeigt sich freilich bereits ein grundsätzlicher Makel der Hänssler-Ausgabe: Die Aufnahmen werden nicht als eine DG-Übernahme deklariert, die Aufnahmeorte fehlen in den Booklets gar komplett. Der einführende Text liest sich zudem recht holprig und teilweise mangelhaft recherchiert (er war eben durchaus bis zuletzt Chefdirigent der Leningrader Philharmoniker). Dies gibt kein allzu gutes Bild dieser Edition ab, die nur äußerlich zu glänzen weiß. Dem hohen künstlerischen Wert der Aufnahmen tut dies glücklicherweise keinen Abbruch. Sie zählen für nicht wenige noch heute als Messlatte in Sachen Tschaikowski, selbst wenn man einwenden könnte, dass Mrawinski in seinen letzten Jahren sogar noch beeindruckendere Live-Konzerte, die sich glücklicherweise in Mitschnitten erhalten haben, gelangen. Weitere hier enthaltene Werke von Tschaikowski sind drei zusätzliche Aufnahmen der vierten, fünften und sechsten Sinfonie (interpretatorisch ähnlich, klanglich klar unterlegen), Auszüge aus dem Nussknacker und aus Dornröschen sowie ein explosiver Mitschnitt des ersten Klavierkonzerts mit niemand Geringerem als Swjatoslaw Richter als Solisten. Dass Mrawinski einer der begnadetsten Interpreten der Musik seines Freundes Dmitri Schostakowitsch war, braucht nicht weiter belegt zu werden. Er leitete etliche Uraufführungen und prägte ganz entschieden die Rezeption dieses Komponisten. In der Edition liegen immerhin drei Sinfonien vor, nämlich die sechste, die Mrawinski gewidmete achte und die im Westen wenig geschätzte zwölfte. Die Unerbittlichkeit seines Stils zeigt sich gerade in diesen Werken. Welcher Dirigent hat die Trostlosigkeit der Achten besser getroffen als Mrawinski? Der wenig geliebten Zwölften, die dem Jahr 1917 gewidmet ist, verleiht er einen affirmativen Tonfall, der ihm später als blinde Verherrlichung des Sowjetregimes ausgelegt wurde. Dabei führt er, der sicherlich kein überzeugter Kommunist war, dieses gerade dadurch ad absurdum. Auf dem Felde der russischen Musik ist Mrawinski über jeden Zweifel erhaben, wie auch seine Interpretationen von Prokofjew (die sechste Sinfonie und die Suite Nr. 2 aus Romeo und Julia), Strawinski (Petruschka und Der Feuervogel) und Skrjabin (Le Poème de l’Extase) zeigen. Mit Kalinnikows zweiter Sinfonie liegt gar eine selten gespielte Rarität vor – die populärere Erste hat Mrawinski hingegen augenscheinlich nicht dirigiert.

Erstaunlich ist an dieser Edition die hohe Dichte an französischer Musik, was andererseits einmal mehr die engen Beziehungen zwischen Russland und Frankreich verdeutlicht, die auch nach der Oktoberrevolution nicht über Nacht eingestellt wurden. Bereits in Ravels Boléro zeigt sich eine spezifisch russische Darbietung, die sich stark von westlichen unterscheidet. Der raue Tonfall der Leningrader trägt hierzu selbstredend seinen Teil bei. Zudem beinhaltet die Edition Ravels Pavane pour une Infante defunte, Debussys La mer und Nocturnes Nr. 1 & 2 sowie Orchesterwerke von Bizet. Besonders herausragend ist indes Mrawinskis Aufnahme der Symphonie fantastique von Hector Berlioz, deren Dämonie er trotz mangelhafter Tontechnik hervorragend herüberbringt. Als dritter großer Bereich, der bei Hänssler abgedeckt wird, erweist sich das deutsch-österreichische Repertoire. Dies beginnt erstaunlicherweise bereits in der Wiener Klassik mit Haydns Sinfonie Nr. 101 Die Uhr und Mozarts Sinfonie Nr. 39 sowie dem Konzert für Flöte und Harfe. Von wienerischem Schönklang sind diese akkuraten Aufnahmen freilich meilenweit entfernt. Am ehesten fühlt man sich hier vielleicht noch an George Szell, der in gewisser Weise der amerikanische Gegenpart zu Mrawinski war, erinnert. Selbst Bach (Orchestersuite Nr. 2 BWV 1067) und Weber (Auszüge aus Euryanthe und Oberon sowie die Aufforderung zum Tanz) werden nicht ausgespart. Schwerpunkte in der Spätromantik bilden sodann Wagner, Bruckner, Brahms und Richard Strauss. Die inbrünstig gespielten Auszüge aus Tannhäuser, Walküre und Götterdämmerung lassen Wehmut aufkommen, da Mrawinski Vokalwerke so gut wie nie dirigierte – und folglich auch keine kompletten Opern. Dass hier leider einmal mehr klanglich desolate Monoaufnahmen gewählt wurden, in denen man Details mehr erahnen als wirklich hören kann, obwohl er diese Werke später nochmal in Stereo aufgenommen hat, verwundert bei der Einseitigkeit der Edition schon fast nicht mehr.

Eine ungemein modern erscheinende Interpretation von Bruckners Achter sticht in ihrer puristischen Entschlacktheit besonders hervor – der Einsatz für den tief frommen Komponisten dürfte Mrawinski in der Sowjetunion Chruschtschows einiges abverlangt haben. Mit Swjatoslaw Richter hat Mrawinski wieder einen kongenialen Partner beim zweiten Klavierkonzert von Brahms zur Verfügung. Eine starke Interpretation der Alpensinfonie von Strauss mit gewaltigen Höhepunkten und stellenweise zurückgenommenem Zeitmaß schließlich rundet die Edition ab. Abgesehen von den uralten Aufnahmen aus den 1940er Jahren ist der Klang einigermaßen brauchbar, wenn man keine High-End-Ansprüche stellt. Es ist bedauerlich, dass im Rahmen der Edition keine Aufnahmen nach 1962 berücksichtigt wurden, gibt es aus der Spätphase des Dirigenten doch zumindest vermehrt Stereoproduktionen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier bewusst aus Gründen des Copyrights gehandelt wurde, unterlagen Aufnahmen bis 1962 doch noch der auf fünfzig Jahre begrenzten Schutzdauer (sie wurde vor wenigen Jahren dann auf siebzig Jahre ausgeweitet). Inwieweit hier Einspielungen des russischen Labels Melodija übernommen wurden, kann nur gemutmaßt werden, da detaillierte Informationen zu den Aufnahmen, wie bereits erwähnt, fehlen. Es bleibt also ein zwiespältiger Eindruck bei diesen Veröffentlichungen. Jewgeni Mrawinski hätte eine sorgfältiger recherchierte Edition verdient. Die bislang von Hänssler vorgelegte Edition kann ohnehin nicht dem Anspruch gerecht werden, die Diskographie dieses bedeutenden Dirigenten beispielhaft abzudecken, werden doch die letzten gut zwanzig Jahre seiner langen Schaffensperiode völlig ausgespart. Anders gesagt: Es müssten eigentlich noch weitere Boxen folgen, wollte Hänssler eine dieses Namens würdige „Yevgeny Mravinsky Edition“ vorlegen. Der Fokus liegt bis dato fast ausschließlich auf uralten Aufnahmen aus den 1940er und 50er Jahren, die Mrawinski in späteren Jahren zuweilen nicht nur tontechnisch, sondern auch interpretatorisch in noch überzeugender Weise vorlegte. Daniel Hauser

Mischfassung aus Wien

 

Das klagende Lied von Gustav Mahler ist in verschiedenen Fassungen überliefert. Zunächst bestand es aus drei Teilen, im zweiten und dritten zusätzlich mit Fernorchester versehen, wie es später in der 8. Sinfonie zum Einsatz kommt. Nicht weniger als elf Solisten plus zwei Knabenstimmen sah die Besetzung vor, für das Orchester acht Harfen. Das titelgebende „Klagende Lied“ von Ludwig Bechstein und das Grimmsche Märchen „Der singende Knochen“ bildeten die Textgrundlage. Von Anfang an war klar, dass sich keine Gelegenheit würde bieten, um dieses in seinen Ausmaßen gigantische Werk eines Anfängers aufzuführen. Mahler war achtundzwanzig, als er an die Komposition ging. Folglich strich er den ersten Teil, das so genannte „Waldmärchen“, reduzierte die Zahl der Sänger auf das in Oratorien übliche Quartett. Zudem fielen sechs Harfen und das Fernorchester weg.

Nachdem Mahler zum Direktor der Wiener Hofoper aufgestiegen war, bot sich die Gelegenheit für eine Veröffentlichung diese Opus 1, wie es der Komponist selbst nannte. Dafür fügte er das Fernorchester im Schluss wieder ein. In dieser Form hob Mahler sein Werk am 17. Februar 1901 in Wien aus der Taufe. Nachdem das Klagende Lied in den 1960er Jahren für den Konzerbetrieb und die Musikindustrie wiederentdeckt wurde, bürgert sich eine Mischfassung ein, die auch auf das ursprüngliche „Waldmärchen“ zurückgriff. Dafür hatte sich der Dirigent Cornelius Meister bei seiner Aufführung im Dezember 2016 mit der Wiener Singakademie und dem ORF-Sinfonieorchester im Konzerthaus der österreichischen Hauptstadt entschieden – und damit eine Chance verpasst. Warum nicht endlich mal die Urfassung, wie sie 1997 in Manchester erklang? Wenn es einen Ort gib auf der Welt, wo das Original hingehört, dann ist es Wien! Aus zwei Konzertabenden hat Capriccio eine CD zusammengeschnitten (C5316).

Im Booklet ist die spannende Werkgeschichte ebenso nachzulesen wie der Text der Kantate. Das ist auch nötig, denn Solisten und Chor sind nicht immer gut zu verstehen. Vor allem der Chor, die renommierte Wiener Singakademie, lässt Wünsche offen. In dramatischen Situationen ist das Klangbild verwaschen und undeutlich, was womöglich auch auf das Konto der Aufnahmetechnik dieses Rundfunkmitschnitts geht. Obwohl allesamt deutscher Zunge, können die vier Solisten Simone Schneider (Sopran), Tanja Ariane Baumgartner (Mezzosopran), Torsten Kerl (Tenor) und Adrian Eröd (Bariton) dieses idiomatische Manko nicht ausgleichen, zumal auch sie sich gelegentlich schwer tun mit dem Text.

Die neue Aufnahme schwer hat es gegen die Konkurrenz nicht leicht, die mit Dirigenten wie Pierre Boulez, Simon Rattle, Kent Nagano, Riccardo Chailly, Michael Tilson Thomas oder Giuseppe Sinopoli im Laufe der Jahre geballt aufgetreten ist. Aber sie regt sie zu neuer Auseinandersetzung mit dem ambitionierten Werk an, in dem bereits der ganze Mahler angelegt ist – und nicht nur die erste Sinfonie, auf die es im dritten Teil einen unmittelbaren thematischen Vorgriff gibt. Richard Wagner, dem sich Mahler stark verbunden fühlte, geistert mit dem kompositorisch weitergeführten Rheingold-Motiv durch die Partitur. Und das direkt zitierte Weihnachtslied „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“ kann als Zeichen dafür gelten, dass Mahler erste musikalische Eindrücke aus seiner Kindheit nie wieder losgelassen haben. Rüdiger Winter

Bartók und Strawinsky als Heimspiel

 

Die bemerkenswerte Michael Gielen Edition von SWR Music geht in die nächste Runde. Nach dem bereits in operalounge.de besprochenen  Vol. 4 (SWR19028CD), das der Romantik und Spätromantik verpflichtet war, ist man jetzt bei Vol. 5 angekommen (SWR19023CD). Im Mittelpunkt der sechs CDs umfassenden Box stehen Werke von Béla Bartók und  Igor Strawinsky, beide Anfang der 1880er Jahre geboren. Ihre Musik durchbrach die Grenzen der Spätromantik und ebnete der Moderne den Weg. Kein Wunder, dass sich Gielen in diesem Repertoire heimisch fühlte. Wie bereits in den vorausgegangenen Boxen, umfasst auch die Neuerscheinung einen breiten Zeitrahmen: Es sind Aufnahmen zwischen 1967 und 2014 enthalten, also von den Anfängen bis zum (selbst gewählten) Ende der Karriere des Dirigenten Michael Gielen. Die ersten drei CDs widmen sich Bartók, dessen Musik Gielen als die im Vergleich „apollinischere, bravere“ charakterisiert, die zugänglicher sei, was er auch auf den Publikumsgeschmack zurückführt, dem sich Bartók nicht verschließen konnte. Den Anfang macht die Suite aus dem Ballett Der holzgeschnitzte Prinz, bei der Uraufführung ein großer Erfolg für den Komponisten. Gielen hat den langen Atem, lässt der Musik Raum und Zeit, sich zu entfalten. Schroffheit und Klangpracht ergänzen sich hier zu einem überzeugenden Ganzen. Ähnlich das „Konzert für Orchester“, ein Spätwerk mit parodistischen Einwürfen. Bereits hier merkt man, dass das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, welches den Großteil der enthaltenen Aufnahmen bestreitet, voll in seinem Element ist. Die Jahrzehnte lange, fruchtbare Zusammenarbeit mit Gielen (zwischen 1986 und 1999 Chefdirigent, danach bis 2014 ständiger Gastdirigent und seit 2002 auch Ehrendirigent) ist freilich unverkennbar und ermöglicht derart überzeugende Ergebnisse.

Die „Vier Orchesterstücke“ leiten CD 2 ein. Hierbei handelt es sich um eine eigenartige Erscheinung, die weder Sinfonie noch Suite genannt werden kann und impressionistische Anflüge besitzt. Es folgt das gerade zweisätzige „Violinkonzert Nr. 1“, hier 22 Minuten lang, welches im Schatten des „meisterlichen“ zweiten Violinkonzerts steht, ohne qualitativ wirklich abzufallen. Als Solist fungiert Christian Ostertag, der seine Sache mit Bravour absolviert. Beschlossen wird die zweite Compact Disc mit der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“, seinerzeit ebenfalls durchaus erfolgreich uraufgeführt. Auch hier verweigert sich Bartók abermals einer festen musikalischen Form. Waren auf den ersten beiden CDs nur Einspielungen aus dem 21. Jahrhundert vereinigt, finden sich auf der dritten CD deutlich ältere Aufnahmen, die in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre datieren. Als Klangkörper fungierte damals das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, mit dem Gielen in seinen früheren Jahren häufig zusammenarbeitete. Kurz und prägnant die gerade 16-minütige „Tanz-Suite“. Gewichtiger das vom Pianisten Robert Leonardy kongenial vorgetragene „Klavierkonzert Nr. 2“, das deutlich klassischer, drei Sätze umfasst. Den Abschluss der Bartók-Aufnahmen stellt schließlich Der wunderbare Mandarin dar, wiederum eine späte Aufnahme mit den Baden-Badenern und Freiburgern (2007). Dem Stück war in seiner ursprünglichen Fassung als Tanzpantomime wenig Erfolg beschieden und es löste in Köln gar einen Skandal aus (der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer ließ es vom Spielplan nehmen). Gielen legt die später umgearbeitete Suite vor und stellt kompromisslos die Modernität dieser expressionistischen Tonschöpfung heraus.

Der zweite Teil der Box hat sodann Strawinsky zum Thema. Die drei Sinfonien machen auf der vierten CD den Anfang, wobei insbesondere die „Psalmensinfonie“ herausragt. Wiederum handelt es sich um in den 2000ern entstandene Einspielungen aus Freiburg. Für Gielen ist Strawinsky gleichsam „die Versteinerung der Schönberg-Schule in der Dodekaphonie“. Dass er relativ wenig Strawinsky dirigierte, sei äußeren Umständen, keineswegs einer etwaigen Ablehnung geschuldet gewesen, so Gielen. Besonders die „Sinfonie in drei Sätzen“ habe es ihm angetan. Dies kann in der exzellenten vorliegenden Aufnahme durchaus nachvollzogen werden. CD 5 versammelt zwei Chorwerke, zum einen Le roi des étoiles, zum anderen das sogenannte Canticum sacrum, wiederum aus zwei verschiedenen Abschnitten in Gielens Karriere stammend (1971 aus Stuttgart und 2007 aus Freiburg). Dazu gesellt sich das fast schon irrwitzig kurze Requiem, bei welchem die Mezzosopranistin Stella Doufexis und der Bariton Rudolf Rosen als Solisten fungieren. Das jeweils beteiligte SWR Vokalensemble Stuttgart brilliert in allen Fällen. Eine feurige Aufnahme des Balletts Agon rundet diese Platte ab. Auf der letzten CD findet man ein weiteres Ballett, nämlich Pulcinella, in seiner Konzeption bald doppelt so umfangreich und auch um sehr namhafte Solostimmen bereichert (Edda Moser, Werner Hollweg, Barry McDaniel). Das weniger bekannte Apollon musagète, ein Ballett für Streichorchester, muss sich nicht verstecken, entlockt Gielen doch auch demselben unerhörte Töne. Den Abschluss dieser Box bildet schließlich das „Scherzo à la russe“ in der Orchesterfassung, 1943 eigentlich für einen Propagandafilm konzipiert, Gielen zufolge ein „lustiges“ Werk, das 1998 in einer freien Zeit während der Produktionsphase spontan eingespielt wurde. Ich laufe Gefahr, mich zu wiederholen, doch auch Vol. 5 entpuppt sich als höchst begrüßenswerte Ergänzung der Diskographie Michael Gielens (und löst somit die hohen Erwartungen der Vorgänger durchaus ein). Das vorbildliche Niveau in der Aufbereitung der Box (sowohl tontechnisch als auch in der Präsentation) wird anstandslos auch hier gehalten. Ein sehr detailliertes Booklet (deutsch und englisch) ergänzt die Neuerscheinung.

Mit der auf zehn Boxen angelegten Edition würdigen Naxos und SWRmusic Michael Gielen anlässlich seines 90. Geburstag am 20. Juli 2017. Es sei – so der Firmentext –  ein „nie dagewesenes Editionsprojekt mit etlichen Erstveröffentlichungen aus allen bedeutenden Karriereabschnitten“ des Dirigenten. „Gielen ist unbestreitbar einer der wichtigsten Dirigenten der Nachkriegsgeschichte“, hieß es weiter. „Naxos und SWRmusic gratulieren Michael Gielen herzlich und werden sich auch weiterhin für den Erhalt und die Verbreitung von Gielens musikalischem Lebenswerk einsetzen.“  Daniel Hauser

Jaja, der Vetter dort …

 

„Sind auf dem Weg zum Weißen Roß! Wo wir logieren bis übermorgen.“ Wer sich im Rosenkavalier ein bisschen auskennt, dem ist auch dieser Gasthof geläufig. Ochs bringt ihn ins Spiel, als er sich in Reisekleidern Zutritt zum Schlafgemach der Marschallin verschafft. Mit seiner bescheidenen Entourage ist er soeben in Wien angekommen und beabsichtigt, zunächst im „Weißen Ross“ zu logieren, bis sich die Türen des Palais seiner Zukünftigen, des „Fräulein Faninal“ öffnen. In der Oper ist nichts zufällig. In einem 1989 erschienen Aufsatz ging der österreichische Unternehmer Artur Hartlieb-Wallthor, der sich auch als Musikforscher betätigt, auf Spurensuche. Er fand – auch unter Verweis auf andere Quellen – heraus, dass es einen Gasthof „Zum Weiszen Rossz“ auf der Taborstraße gegeben habe. Erstmals ist die Straße 1409 erwähnt worden. Sie folgt dem Weg, den Ochs bei seiner Reise aus den Provinzen nach Wien nahm.

Der Librettist Hugo von Hofmannsthal, der ein außerordentlich gebildeter und mit den historischen Örtlichkeiten seiner Heimatstadt Wien, wo er 1874 geboren wurde, vertrauter Mann gewesen ist, hat derlei Örtlichkeiten und andere Bezüge, die der historischen Überprüfung standhalten, in seine Textvorlage eingebaut. Nicht allein, um das Geschehen mit tatsächlichen Fakten zu konkretisieren und zu unterfüttern. Es dürft mehr ein Spiel gewesen sein. Mitunter auch ein Versteckspiel, an dem sich der interessierte Leser selbst beteiligen kann. Anregungen in Hülle und Fülle bietet das Buch „Der Rosenkavalier – Textfassungen und Zeilenkommentar“ aus dem Hollitzer-Verlag (ISBN 978-3-99012-348-5). Herausgegeben wurde es von Dirk O. Hoffmann in Zusammenarbeit mit Ingeborg Haase und dem schon erwähnten Artur Hartlieb-Wallthor. Die Illustrationen stammen von Friederika Richter. Einmal in Besitz, fällt es schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Diese Erfahrung habe ich gemacht. In seiner Mischung aus wissenschaftlicher Akribie, unterhaltsamen Mitteilungen und gelegentlichen Mutmaßungen ist es eine vorzügliche begleitende Lektüre für die Beschäftigung mit der Oper von Richard Strauss. Neugierde auf die nächste Vorstellung ist geweckt. Kritisch geweckt. Mit diesem Buch im Kopf oder unter dem Arm werden Zuschauer Regisseuren so schnell nichts durchgehen lassen. Liegt eine der unzähligen Einspielungen im Player, kann das Buch zum Mitlesen nützlicher sein als ein herkömmliches Libretto. Nicht alle Plattenproduktionen sind vollständig. Es gibt große und kleine Striche, auf die in den Booklets fast nie eingegangen wird. Nicht allen Sängerinnen und Sängern gelingt es, den wienerischen Dialekt nachzuahmen. Es sei denn, sie stammen aus Wien. Er geht weit über die phonetische Aussprache hinaus. Im Rosenkavalier herrschen ganz eigene Gesetze für die Konversation und die sprachlichen Aspekte des Handlungsverlaufs, was einen Großteil seines Reizes ausmacht.

Der Text des Erstdrucks von 1911 wie er sich in Buchausgaben von Hofmannsthal findet, und das Libretto mit dem Hinweis auf den Komponisten Richard Strauss aus dem Verlag Adolf Fürstner werden als Paralleldruck gegenübergestellt. Schwarz auf weiß steht nun der poetische Titel fest: Der Rosenkavalier. Bis kurz vor Drucklegung hatte Strauss „Baron von Lerchenau“ präferiert. Alle Veränderungen sind gefettet. Zudem wird sichtbar, was weggelassen wurde und was hinzugekommen ist. Es entsteht das Abbild eines einzigartigen und hoch professionellen und hoch konzentrierten Arbeitsprozesses zwischen Dichter und Komponist, wie er sich auch im beiderseitigen Briefwechsel ausdrückt. Hofmanntshal hatte den ersten Aufzug Mitte Februar bis Anfang Mai 1909 niedergeschrieben. Die Uraufführung fand am 26. Januar 1911 statt. Deutlich tritt der Anteil von Harry Graf Kessler am Werden des Rosenkavalier hervor. Er darf getrost als Mitautor gelten, fühlte sich in dieser Position aber nicht genug gewürdigt, was zur Entfremdung mit Hofmansthal führte. Am Ende der jeweiligen Seiten gibt es grau unterlegt Erklärungen zu einzelnen Wörter, Örtlichkeiten, Gegenständen, Sachverhalten und den mundartlichen Wendungen, die die Realisierung dieser Komödie für Musik so schwierig, ja fast unmöglich machen. Gern gehen die Autoren auf Nummer sicher. Beispielsweise glauben sie erklären zu müssen, dass es sich bei einem Alkoven um eine „Bettnische, oft mit Vorhang“ handelt, ein Wisch als „wertloses Schriftstück“ gilt und partout mit unbedingt zu übersetzen ist. Ein bisschen Volkshochschule kann ja nicht schaden.

Der ausführliche Zeilenkommentar, der auch den eingangs nur angetippten Aufschluss über den Gasthof gibt, beansprucht fast die Hälfe der 280 Buchseiten. Er ist – wie ich finde – der spannendste Teil und dürfte in der Opernliteratur einzigartig sein. Gebohrt wird in den tiefen Schichten. Keiner Figur und keiner Verhaltensweise bleibt die Nachforschung erspart, auch den stummen Rollen nicht. Was ist Erfindung? Wofür gibt es reale Bezüge? Gesten und Textstellen werden entschlüsselt und analysiert. „Jedes Ding hat seine Zeit.“ Fast eine ganze Buchseite wird auf diesen berühmten Ausspruch der Marschallin verwendet, den die Autoren auf das Bibelzitat (Prediger Salomon) „Ein jegliches hat seine Zeit“ zurückführen und als Indiz für die Frömmigkeit und Bibelfestigkeit der Fürstin werten. Es wird auf Shakespeare („Komödie der Irrungen“) verwiesen, der sich dieser Weisheit genauso bediente wie Tschaikowski im Eugen Onegin oder Marlene Dietrich im Pete-Seegers-Song „Glaub, Glaub, Glaub“. Eine Frage aber, die mich schon lange umtreibt, fand ich nicht beantwortet. Auf Bitten des Barons obliegt es der Marschallin, einen von Hofmannsthal erdachten Aufführer, den späteren Rosenkavalier, für den ersten Bräutigamsbesuch im Hause Faninal zu bestimmen: „Wen denn nur … den Vetter Jörger? Wie? Den Vetter Lamberg?“ Beide Namen sind keine zufällige Erfindung. Im Kommentar heißt es: „Die Jörger gehörten zu den vornehmsten Familien zur Zeit Maria Theresias und die Lamberg waren ein altes österreichisches Adelsgeschlecht, das im 14. Jahrhundert in Krain bedeutende Besitzungen erwarb. Hofmansthal bezog sich auf die Familie schon in der Erzählung ,Der Verführer‘ (entstanden um 1900).“ Übereinstimmend finden sich die Namen beider Vetter im Paralleldruck. In Einspielungen und bei Aufführungen wird aber aus Jörger der Vetter Preysing und aus Lamberg der Vetter Lambert. Selbst in der italienisch gesungenen Produktion mit Marcella Pobbe als Marschallin aus Rom von 1963 ist das genau herauszuhören. Ist diese Änderung Bestandteil einer ganz bestimmten Edition? Geht sie auf Strauss zurück? Schließlich waren die Preysings ein altes Adelsgeschlecht seiner bayerischen Heimat, dem er sich womöglich verbunden fühlte, während die Provenienz des Namens Lambert ehr schlichter Natur sein dürfte. Solche Petitesten am Rande sind nicht als Kritik zu verstehen, allenfalls steigern sie die Lesefreude und sind Anlass, eigene Nachforschungen zu betrieben. Dem Buch aus dem Verlag Hollitzer in Wien ist eine große Verbreitung zu wünschen. Rüdiger Winter

Neuer Anfang, neues Ende

 

Nach der Schönen Müllerin nun Schwanengesang. Der Bariton Bo Skovhus erarbeitet sich bei der österreichisches Firma Capriccio die drei großen Liederzyklen von Franz Schubert. Die Winterreise ist im Booklet der Neuerscheinung bereits angekündigt. Den Dioskuren gleich, die auch Schubert so hymnisch besungen hat, erscheinen auf den Covern der Sänger und seine Begleiter Stefan Vlader in fast schon antiker Pose. Das ist vom Wiener Fotografen Roland Unger sehr wirkungsvoll arrangiert. Diese Alben wollen auffallen – und müssen es auch. Schließlich stellen sich Skovhus und Vlader einer übermächtigen Konkurrenz. An Aufnahmen dieser Werke ist kein Mangel. Neue Produktionen müssen aber nicht nur mit perfekter Verpackung sondern auch inhaltlich punkten können. Der Schwanengesang (C5292) fällt schon mal dadurch aus dem Rahmen, dass die übliche Zusammenstellung mit vierzehn Liedern um fünf erweitert wird. Dabei handelt es sich um die ebenfalls späten Lieder Sehnsucht, Am Fenster, Wiegenlied, Bei Dir allein und Herbst. Verändert ist auch die Reihenfolge. Nanu! Liegt die falsche CD im Player?

Begonnen wird nämlich mit Sehnsucht, geendet mit Abschied. Irritierend ist der Verweis auf die Nummer 967 im so genannten Deutschverzeichnis. Damit hatte der Musikwissenschaftler Otto Erich Deutsch (1883–1967) alle Werke Schuberts in chronologischer Folge angeordnet. Der Schwanengesang findet sich im Verzeichnis in der gebräuchlichen Form, die auf den Verleger Tobias Haslinger zurückgeht. Der hatte die im Herbst 1823 komponierten Lieder nach Texten von Heine und Rellstab, die offensichtlich als Zyklus konzipiert waren, eigenmächtig um die Taubenpost des Dichters Johann Gabriel Seidl erweitert und geschlossen herausgegeben. Im Booklet der Neuerscheinung wird diese Lesart vom Musikwissenschaftler Gerhard Persché kritisch hinterfragt. Unter Bezugnahme auf die Schubert-Biographie von Hans Jürgen Fröhlich (Fischer-Verlag/ISBN 978-3596250110) heißt es, dass der schwerkranke Schubert die Lieder noch gar nicht aus der Hand geben wollte, bis sie nicht die „vollkommenste Gestalt“ erhalten hätten. Er sei dazu aber gezwungen gewesen, weil er Geld für Medikamente brauchte. Haslinger habe nur einen Gulden pro Lied gegeben. „Fröhlich nennt dieses Verhalten niederträchtig, zumal Haslinger später an Schubert Unsummen verdiente“, heißt es im Booklet-Text. Sein Autor hegt Zweifel, dass die Schubert die Lieder von Heine und Rellstab von „Anfang an als Zyklus angedacht hatte“. Was für die Heine-Lieder noch zutreffen mag, vermittle in der Kopplung mit Rellstab „eher den Eindruck einer zufälligen Collage“. Natürlich könne „ein beflissener Dramaturg den Zyklus unter ein gemeinsames Motto zwingen – das des Trennungsschmerzes“. Dessen Behandlung sei bei Rellstab und Heine „völlig unterschiedlich“. Die angeklebte Taubenpost, die letzte Liedkomposition Schuberts, wirke „als wäre Spitzweg in Musik gesetzt“, resümiert Persché. Die Vermutung, „dass Haslinger das Lied einfach an die Sammlung anheftete, weil es ihm übrig geblieben war“, sei nicht von der Hand zu weisen.

Auf der neuen CD findet sich die Taubenpost nun an dritter Position. Skovhus und Vlader hätten an der traditionellen Reihung „zu Recht Anstoß“ genommen und dieses Lied in eine eigene Gruppe mit den anderen Seidl-Liedern gebettet. So sei ein Schwanengesang-Triptychon mit Heine im Zentrum und Rellstab, angereichert mit Herbst und Abschied, zum Schluss. Vlader: „Es ist uns natürlich bewusst, dass diese Version keinen musikwissenschaftlich haltbaren Anspruch auf eine vom Komponisten intendierte Fassung darstellt, das tut aber das ,Original‘ auch nicht.“ Diese Einspielung versteht sich als Angebot, als Anstoß für weitere Untersuchungen und Deutungen. Das allein macht ihren Reiz und ihren Wert aus. Wer diese CD erwirbt, sollte also zuerst das Booklet genau lesen und seine eigenen Überlegungen anstellen. So vorbereitet, erweist sich das ambitionierte musikalische Angebot als spannend und aufregend. Shovhus, der auch auf den Opernbühnen mit unterschiedlichsten Partien aktiv ist, gehört nicht zu den klassischen Schönsängern. Dafür ist sein rauchiges Timbre viel zu individuell. Dramatische Passagen geraten mitunter ungenau und verschwommen. In der deutschen Aussprache nahezu perfekt, gibt sich der gebürtige Däne grüblerisch. Als suche er nach dem tieferen Sinn der Lieder. Obwohl er als Interpret einen betont  männlichen Eindruck hinterlässt, ist er alles andere als ein stimmlicher Macho. Im Kern ist er sensibel und sehr empfindsam. Für den späten Schubert sind das immer noch die besten Voraussetzungen. Dabei unterstützt ihn sein Pianist Vlader, der auch als Dirigent in Erscheinung tritt, mit gelegentlich eigenwilliger Tempowahl. Beide sind ein vorzügliches Team. Rüdiger Winter

Die „Unvollendete“ als Entdeckung

 

Der Dirigent Sergiu Celibidache (1912–1996) war eine streitbare Persönlichkeit. Seine Selbstinszenierung als „Musik-Guru“ in späten Jahren traf nicht auf ungeteiltes Echo. Offizielle Einspielungen im Tonstudio lehnte er aus verschiedenen Gründen ab. Gemessen daran ist sein diskographischer Nachlass erstaunlich groß. Chronologisch reichte sein Repertoire von Bach bis Hindemith, auch wenn die Spätromantik mit Bruckner und Brahms selbstredend das Gros ausmachte. Besonders EMI hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten um die Verbreitung seiner überlieferten Tonaufnahmen gekümmert. Trotzdem gibt es auch heute noch Entdeckungen in Sachen „Celi“ zu machen. Die Münchner Philharmoniker, denen der gebürtige Rumäne in den siebzehn letzten Jahren seines Lebens als Chefdirigent vorstand, bereichern nun auf ihrem Eigenlabel (MPHIL0004) die Diskographie um zwei weitere Facetten: Franz Schuberts „Unvollendete“ und Antonin Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“.

Die nur zweisätzige sogenannte „Unvollendete“, die mit ihren etwa gleich langen Sätzen tatsächlich eine in sich abgeschlossene Einheit darstellt, ist seit ihrer späten Uraufführung 1865, Jahrzehnte nach Schuberts Tod, ein Dauerbrenner. Beinahe kurios, dass erst jetzt eine Münchner Aufnahme unter Celibidaches Stabführung auftaucht. Das Werk fehlte in der ansonsten umfangreichen EMI-Edition. Dies vorweg: Es lag nicht an einer unzureichenden Tonqualität. Der Live-Mitschnitt datiert auf den 30. September 1988 und fand in der akustisch problematischen Philharmonie im Gasteig statt. Von etwaigen Problemen ist zumindest in der Tonaufnahme nichts zu merken. Das Klangbild präsentiert sich voll und detailreich. Entgegen dem Klischee wählt Celibidache auch keine extrem langsamen Tempi: Das Allegro moderato kommt auf 12:14, das Andante con moto auf nur minimal längere 12:22 (Karl Böhm braucht in seiner letzten Aufnahme, die für mich Referenzstatus besitzt, 12:59 und 12:17). Freilich handelt es sich (man möchte sagen: zum Glück) gleichwohl um eine insgesamt getragene Interpretation. Im geheimnisvollen Kopfsatz entsteht hier zuweilen eine gar beängstigende Stimmung. Obschon alle lyrischen Momente voll auskostend, versteht es Celibidache, die dramatischen Ausbrüche in ihrer ganzen Unerbittlichkeit ausspielen zu lassen (und das zuweilen vorwärtsdrängender, als man glauben möchte). Der zweite Satz profitiert vom unnachahmlichen Innehalten und Zurücknehmen des Dirigenten. Bei diesem spätromantisch angehauchten Schubert hat man im Hinterkopf bereits die Klangwelten Anton Bruckners und versteht die nicht abzustreitende Vorbildfunktion Schuberts für denselben.

Das andere auf der CD enthaltene Werk, Dvoráks letzte Sinfonie, war bis dato unter Celibidache zumindest durch einen 1991 entstandenen Video-Mitschnitt bekannt (DVD bei EuroArts). Die vorliegende Aufnahme stammt vom 16. Juni 1985 und kommt aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz. Das Klangerlebnis ist ähnlich überzeugend wie bereits beim Schubert. Großartiger und prächtiger hat man das einleitende Adagio des Kopfsatzes (10:48; 1991 übrigens 11:16) selten gehört. Das stellenweise sehr zelebrierte Tempo überhöht diesen ohnehin schon majestätischen Satz noch in besonderer Weise. Bei den forte-Stellen wird es, der brachialen orchestralen Eruption angemessen, dann auch stellenweise flotter. Bei der Feierlichkeit des berühmten Largo übertreibt es der Dirigent für den gewöhnlichen Dvorák-Hörer vermutlich doch: Mit 16:43 übertrifft er hier sogar die sechs Jahre später entstandene Aufnahme um einige Sekunden (und George Szell um beinahe fünf Minuten). Auch hier wird man wieder an Bruckner gemahnt, derjenige Komponist, dem Celibidache vermutlich am nächsten stand, da er seine temporalen Vorstellungen dort am besten umsetzen konnte. Der langsame Satz hat in „Celis“ Deutung etwas Transzendentales an sich. Bewundernswert, wie scheinbar mühelos das Orchester imstande ist, der zuweilen exzentrischen Agogik des Dirigenten zu folgen. Und doch kommt keine Langeweile auf, da die Innenspannung erhalten bleibt.

Sowohl das Scherzo (8:35) als auch das Finale (12:12) fallen rein tempomäßig nicht so stark von anderen Aufnahmen ab (in Ferenc Fricsays berühmter Einspielung mit den Berliner Philharmonikern etwa 8:18 und 11:56). Im explosiven dritten Satz geht es auch bei Celibidache richtig zur Sache, die Münchner Philharmoniker können einmal mehr ihre Qualitäten unter Beweis stellen. Wunderbar hier besonders die zuweilen pastoral angehauchten Holzbläser. Erwartungsgemäß feurig der Finalsatz, ohne vor Pathos zurückzuschrecken. Wie Celibidache die Höhepunkte herausarbeitet und wie für die Ewigkeit in Stein meißelt, dürfte jedem seiner Kritiker Respekt abnötigen. Schlichtweg überwältigend der Durchbruch zur Coda mit genialem Ritardando. Gänsehaut inklusive. Ein ganz exzeptionelles Tondokument. Diese Neuveröffentlichung präsentiert sich in optisch ansprechender aufklappbarer Pappkartonage. Ein knappes Booklet mit Werkerläuterungen in englischer und deutscher Sprache liegt bei. Man darf auf weitere Publikationen aus dem Archiv der Münchner Philharmoniker auf deren Eigenlabel hoffen. Daniel Hauser