Archiv des Autors: Rüdiger Winter

Rollentausch

 

Einige Balladen bieten sich an, mit verteilten Rollen vorgetragen zu werden. Egal, ob sie nun vertont sind oder nicht. Das ist nach meiner Überzeugung ein Irrweg. Denn das dramatische Geschehen findet sich in dem Genre selbst angelegt und verlangt nicht nach formalen Erweiterungen. Balladen sind weder Schauspiele noch Opern. Dennoch gab und gibt es noch immer Versuche, den Handelnden eigenen Stimmen zu geben. Eines der berühmtesten Beispiele aus den frühen Jahren der Schallplatte ist Schuberts „Erlkönig“ in einer orchestrierten Version von 1930 mit gleich drei Interpreten, enthalten in der Edition „Schubert on Record 1898-2012“, früher bei der EMI, jetzt bei Warner. Der französische Tenor Georges Thill tritt als Erzähler und Erlkönig in Erscheinung, der Bariton Henri Etcheverry als Vater und der Knabensopran Claude Pascal als das „ächzende Kind“. Mitte der achtziger Jahre sind die Bässe Kurt Moll und Harald Stamm in den Kleinen Sendesaal des damaligen SFB gegangen und haben sich mit Wilhelm von Grunelius am Klavier in die Ballade geteilt. Moll übernahm den Part des Vaters, Schramm den Rest. Nötig war das nicht.

Dem berühmten Stück wird kein zusätzlicher Aspekt zuteil, es gerät auch in dieser prominenten Interpretation zum Gag, ohne aber zur Klamotte zu verkommen. Es macht sogar Freude, den beiden gleichaltrigen Herren mit Jahrgang 1938 zuzuhören. Moll, der 2017 gestorben ist, fällt durch sein unverwechselbares samtiges Timbre auf und setzt sich gut gegen den etwas sachlichen Stamm ab. Sie haben hörbar Spaß an ihrer ungewöhnlichen Herausforderung, die sie in „Der Tod und das Mädchen“ – ebenfalls von Schubert – noch auf die Spitze treiben, indem sich Stamm stimmlich ins weibliche Geschlecht verwandelt.

Die putzigen Aufnahmen waren 2001 zunächst bei Koch / Schwann in einer Zusammenstellung als Romantic Bass Duets herausgekommen. Nun sind sie bei Profil Edition Günter Hänssler neu aufgelegt worden (PH18036). Ganz so verwegen wie der Schubert sind die Balladen „Odins Meeresritt“, „Archibald Douglas“ und „Tom der Reimer“ von Carl Loewe nicht ausgefallen, wenngleich auch sie nur für eine Solostimme komponiert wurden. Moll gilt als einer der besten Loewe-Interpreten der Neuzeit und hat die drei Stücke auch nach allen Regeln dieser Kunst separat eingespielt. In „Odins Meeresritt“ übernimmt er diesmal den größeren Part als Erzähler und als Meister Oluf, Schmied von Helgoland, der den Amboss um Mitternacht verlässt, als es plötzlich mit Macht an seine Tür pocht. Draußen steht kein Geringerer als Odin, der mitunter auch unter dem Namen Wodan (Wotan) in den verschiedensten Mythen unterwegs ist. Der verlangt nun, dass sein schwarzer Rappe, der ungeduldig mit dem Huf scharrt, neu beschlagen werde. Schließlich müsse er, der Gott, vor der Sonne zur „blutigen Schlacht“ in Norwegen sein. Oluf, von Angst befallen, staunt nicht schlecht: „Hättet Ihr Flügel, so glaubt‘ ich’s gern!“ Gesagt getan, der Schmied nimmt das Eisen zur Hand. Doch es erweist sich als zu klein für den gewaltigen Huf des Tieres, das „mit dem Wind“ läuft wie die Luftrösser der Walküren bei Wagner. „Da dehnt es sich aus.“

In dieses Wunder nun fallen Moll und Stamm gemeinsam ein. Sie verstärken es, indem sie ihre Bässe zusammenlegen. Das ist von starker Wirkung, die sich erst beim Hören einstellt und sich nicht beschreibend vermitteln lässt. Für mich, der viel übrig hat für die Balladen von Loewe, wäre allein diese Stelle die Anschaffung der CD wert. Wenngleich mir die Ballade in der traditionellen Interpretation durch eine Singstimme letztlich doch lieber ist, bestätigen beide Bassprofis mit der kühnen Ausnahme die Regel. Die Delikatesse von „Odins Meeresritt“ nach einem Text des aus dem Badischen stammenden Gelehrten und Schriftstellers Aloys Wilhelm Schreiber kann in den anderen beiden Loewe-Titeln nicht wiederholt werden. Traditionell ist das Gros des Programms: „Duette für zwei Singstimmen“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, „Sechs Kammerduette“ von Ferdinand Hiller, „Zweistimmige Lieder“ von Anton Rubinstein, in denen Stamm fast schon mit tenoralen Tönen heraussticht, „Klänge aus Mähren“ von Antonin Dvorák, „Zwiegesänge zur Nacht“ von Emil Mattiesen sowie „Irische Volkslieder“, die in der neuen Auflage an den Schluss gesetzt sind.

 

Nun zur nächsten Neuerscheinung von Profil Edition Günter Hänssler, einem Doppelalbum. Als Erna Berger 1926 in Dresden unter der Obhut des Dirigenten Fritz Busch ihre ersten Erfolge feierte, war Hermann Prey noch gar nicht geboren. 1959 standen die Sopranistin, die auf die sechzig zuging und der dreißigjährige Bariton gemeinsam in Berlin im Studio, um mit dem Pianisten Günther Weissenborn für die Electrola Hugo Wolfs Italienisches Liederbuch einzuspielen. Soviel wie ich weiß, hat es diese LP bisher nicht auf CD gebracht. So wird es auch im Booklet versichert. Lediglich auf einer Prey gewidmeten Sammlung bei The Intense Media habe ich einige Lieder daraus gefunden. Deshalb ist es mehr als erfreulich, auch diese reizvolle Produktion neu auf den Markt zu bringen (PH 18029). Auch diesmal sind die Quellen penibel genannt wird. So gehört sich das. Während es dem junge Prey gegeben ist, auch stimmlich knackig zu agieren, muss die Kollegin hier und da kaschieren, um mit dem stürmischen Kollegen mitzuhalten zu können. Schließlich geht es in diesen Gesängen um Liebe, Sehnsucht, Koketterie, Prahlerei, Schwermut, Eifersucht – also um all die Gemütszustände und Gefühle, die Menschen im Frühling ihres Lebens stärker umtreiben und beanspruchen als in der Gesetztheit des herannahenden Alters, wo Erfahrung vor Torheiten schützen kann. Die Berger schlägt sich hervorragend, indem sie alle Register ihres Könnens zieht. Wo Prey mitunter etwas naiv drauflos zu singen scheint und gerade dadurch gewinnt, ist ihre Erotik, Ausstrahlung und Verführung ein gar köstliches Kunstprodukt. Sie kann wirklich singen, gibt jedem Wort, jeder Stimmung dezenten Ausdruck, übertreibt nie, umschifft technisch heikle Stellen mit dem Geschick jahrzehntelanger Erprobung und ist – im Liedgesang unverzichtbar – mit jedem Buchstaben zu verstehen. Eigenschaften, die ihr auch bei Robert Schumanns Frauenliebe und -leben sowie bei den Liedern „Auf den Flügeln des Gesangs“ und „Gruß“ von Mendelssohn zu gute kommen. Diese Aufnahmen entstanden 1956, begleitet von Ernst-Günther Scherzer ebenfalls für die Electrola.

Prey sind die verbleibenden Kapazitäten der zweiten CD vorbehalten – mit ausschließlich frühen Columbia-Einspielungen. Darunter sind auch die Vier ernsten Gesänge von Johannes Brahms, die aus dem jungen Mund weniger bitter klingen und eine Nähe zu Bach aufscheinen lassen. Mit zwei Balladen gibt es einen Bezug zur vorangegangen CD von Moll und Schramm. Diesmal waltet sogar noch Michael Raucheisen am Flügel. Hier wie dort ist „Tom der Reimer“ zu hören. „Die Uhr“, die Prey mehrfach eingespielt hat, dürfte in dieser Einspielung seine erste Auseinandersetzung mit dem Stück auf Tonträgern sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die alte Schelllackplatte mit 78 Umdrehungen pro Minute von Anfang der 1950er, die der Sammler Michael Seil extra für diese Edition überspielte. Dem jungen Prey kommt das Verdienst zu, die Ballade, die erheblich zum Klischee vom betulichen und verschroben Carl Loewe beigetragen hat, in ein ganz neues Licht zu setzen – nämlich als hintergründiges und musikalisch fein gestricktes Meisterwerk.

Das Wolf-Lied „Heimweh“ nach einem Gedicht von Eichendorff ist mir besonders nahe gegangen, weil sich damit auch ein persönliches Erlebnis verbindet. Der gebürtige Berliner Hermann Prey gab noch vor dem Fall der Mauer einen Liederabend im Osten der geteilten Stadt, wo er aufgewachsen ist. Als Zugabe wählte er genau dieses Lied, das von der Erinnerung an die verloren gegangenen Heimat getragen ist. Es endet mit dem pathetischen Ausruf „Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!“ Da war kein Halten mehr im Publikum. Wie ein Mann fuhr es von den Sitzen und tobte vor Begeisterung. Rüdiger Winter

Zu Gitarre und Klavier

 

Einer der größten Vorzüge von Georg Poplutz ist mir zunächst gar nicht bewusst geworden – seine Textgenauigkeit. So selbstverständlich geht er damit um. Als ob es für einen Sänger die natürlichste Sache der Welt ist, nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich exakt verstanden zu werden. Im Grunde sollte es auch so sein, ist es aber leider nicht immer. Poplutz fließen die Worte leicht über die Lippen. Er weiß, was er singt. Erst nach dem zweiten, dritten Lied seiner Schönen Müllerin von Franz Schubert wurde mir klar: Dieser Tenor singt ja vollkommen genau, die Konsonanten wie die Vokale. Im Booklet der bei Spektral erschienen CD-Aufnahme (SRL4-14129) sind auch die Texte von Wilhelm Müller abgedruckt. Ein Zeile fällt ins Auge: „Sahst du sie gestern Abend nicht am Thore stehn …“ Im Lied „Eifersucht und Stolz“ verwendet der Dichter die alte Schreibweise für Tor – nämlich Thor. Seit der großen Reform von 1901, mit der die deutsche Sprache vereinheitlicht wurde, ist das nicht mehr korrekt, im Grunde also falsch. In neuer Zeit halten sich die meisten Drucke an die Reform. Mein Eindruck ist, dass Poplutz die Annäherung an das Original ganz bewusst versucht – also das gestrichene „h“ mitsingt. Schließlich hat es Schubert ja auch komponiert.

Dieser Feinsinn ist typisch für diese Aufnahme, bei der der Sänger nicht vom Klavier, sondern gleich von zwei Gitarren begleitet wird. Antje Asendorf spielt eine romantische, Stefan Hladek eine Quintbassgitarre. Im Booklet geht der Musikwissenschaftler Till Gerrit Waidelich, ein ausgewiesener Schubert-Kenner, der Sinnhaftigkeit dieser Aufführungspraxis nach. Obwohl es keine stichhaltigen Belege dafür gibt, dass sie vom Komponisten selbst favorisiert wurde, finden sich allerlei praktische Anhaltspunkte, so zu verfahren. Immerhin wurde in der Wiener-Zeitung vom 12. August 1824 die Neuerscheinung des „Cyklus“ vom Verleger mit dem Hinweis verbunden, dass das Werk „nächstens“ auch „mit Gitarre-Begleitung eingerichtet“ herauskommen werde. Dies war laut Waidelich „eine damals sehr übliche Interpretations- und Publikationsform“. Die „Anfang des 20. Jahrhunderts kolportierten Behauptungen, Schubert habe gleichsam alle seine ein- und mehrstimmigen Vokalwerke mit Gitarrenbegleitung konzipiert, steht auf wackligen Füßen“. Waidlich kommt zu dem Schluss, dass der Sänger möglicherweise „bei diskreten akkompagnierenden Instrumenten, wie es Gitarren sind, noch eher im Zentrum“ stehe. Diesen Eindruck hatte ich auch. Der Zufall wollte es, dass ich erst die CD gehört und danach den Text gelesen habe. Neben der schon erwähnten Wortdeutlichkeit gefiel mir die stimmliche Präsenz des Tenors, der aus der virtuosen Gitarren-Begleitung deutlicher hervortrat, als es mitunter bei konventionellen Interpretationen der Fall ist. Georg Poplutz verfügt über einen hellen, jungenhaften und leichten Tenor – wie geschaffen für Lieder, die neben Oratorien und Kantaten das Zentrum seines Wirkens bilden. Im Netz, das vieles weiß, ist allerdings kein Geburtsdatum auszumachen. Er dürfte so um die vierzig sein.

Bei der Bearbeitung der Schönen Müllerin handelt es sich um ein Auftragsarbeit der Weilburger Schlosskonzerte. Die Aufnahme ist kein Mitschnitt, sondern entstand unter Studiobedingungen. Ich scheue mich nicht, von einem Glücksfall zu sprechen, dass sie zustande kam. Die alte Frage, die sich beim Liedgesang stellt, ob der Vortragende nun als Betroffener oder als Interpret dieser Betroffenheit in Erscheinung treten sollte, beantwortet Poplutz mit seiner Interpretation nicht ganz eindeutig. Nach meiner Beobachtung ist er sowohl das Eine wie das Andere, ohne sich dramatisch zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Sein Stil ist zurückhaltend, versöhnlich, doch nicht introvertiert und schwermütig. Es ist, als komme er mit offenen Armen auf seine Hörer zu, um mit leisen Tönen für Schubert und sein Werk zu werben.

Lieder an die Entfernte: Unter diesem Titel hat Poplutz bei Spektral auch Robert Schumanns Dichterliebe, Ludwig van Beethovens An die ferne Geliebte, umrahmt von neun Schubert-Liedern, eingespielt (SLR4-16153). Diesmal wird er von Hilko Dumno an Klavier begleitet. Im Booklet äußern sie die Hoffnung, dass „unsere Lieder an die Entfernte in die Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, Freude und Traurigkeit, Sehnsucht und Liebe entführen“ mögen. Daran ist nicht der geringste Zweifel angebracht. Auch dieser CD ist eine große Verbreitung zu wünschen, zumal auch hier die Vorzüge der Schönen Müllerin ebenfalls zur Geltung gebracht werden. Rüdiger Winter

 

Hier nun der komplette Text von Till Gerrit Waidelich, den uns der Autor freundlicherweise zur Verfügung stellte: Dass beide Liederzyklen Franz Schuberts nach Gedichten von Wilhelm Müller (1794-1827) von Menschen erzählen, die sich im Freien aufhalten, während der Hörer sie im geschlossenen Raum erlebt, darf man durchaus als bemerkenswertes Detail wahrnehmen. Zum Musizieren im Freien taugen dagegen bekanntlich die meisten Tasteninstrumente (Klaviere und Flügel) kaum, auf Wanderungen zumal. Dort bedurfte man solcher Instrumente, die man auch bei Ständchen verwendete, und Zupfinstrumente waren hier erste Wahl. Bekannt waren schon zu Schuberts Zeiten (und sind noch heute) von Zupfinstrumenten begleitete Ständchen in Opern, etwa das des Mozartschen Don Giovanni mit einer Mandoline. Geläufig ist auch die Nachahmung des Gitarrenklangs durch gezupfte Streichinstrumente – bei Mozart in der Entführung aus dem Serail und in Figaro – sowie der Einsatz einer veritablen Gitarre für die Arie des Grafen Almaviva in Rossinis Il barbiere di Siviglia (1816) oder Donizettis Don Pasquale (1843). Hier handelt es sich jedoch um relativ einfache Akkordbrechungen, die kaum einen Vergleich mit melodisch, rhythmisch und harmonisch ausgefeilter Liedbegleitung oder auch den in dieser Zeit üblichen Harfen-Parts im Rahmen von Orchesterpartituren zulassen. Und auch bei den meisten Schubert-Liedern, jene aus den späten Zyklen sind da keine Ausnahme, werden höchste Ansprüche an den oder die Instrumentalpartner gestellt, deren Aufgaben weit über das hinausreichen, was gleichzeitig oder arpeggierend gezupfte Akkorde betrifft. Und doch finden sich in verschiedenen Klavieraccompagnements auch Nachahmungen typischer Gitarren- oder auch Harfenbegleitungen.

So könnte der junge Franz Schubert ausgesehen haben. Bewiesen ist es nicht. Die Kreidezeichnung soll von Leopold Kuppelwieser stammen, der zum Freundeskreis Schuberts gehörte.

Schubert hatte für die zwanzig von ihm erstmals in einem Zyklus vertonten Lieder vermutlich primär Interpreten wie den von ihm favorisierten Tenorbariton Carl von Schönstein (1796-1876) auserkoren. Einzelne Lieder hat er dann in adaptierter und teils auch transponierter Fassung nochmals niedergeschrieben, möglicherweise für seine Klavierschülerin Caroline Esterhazy, auch für sie allerdings stets mit Klavierbegleitung. Den vollständigen Zyklus aber übergab er zur Veröffentlichung dem befreundeten Verleger Maximilian Joseph Leidesdorf (1787-1840), und da eigenhändige Manuskripte Schuberts, die dort publiziert wurden, allesamt verloren sind, ist das Werk in erster Linie aus einigen Abschriften sowie den fünf Heften überliefert, in denen es im Druck erschien. Und diese Ausgabe ist wiederum explizit dem Baron Schönstein gewidmet.

Als man am 12. August 1824 in einer Anzeige der Wiener-Zeitung erstmals erfuhr, dass es einen „Cyklus von Gedichten von Wilhelm Müller […] in Musik gesetzt […] von Franz Schubert“ zu kaufen gebe, kündigte der Verleger Leidesdorf zugleich an: „Nächstens erscheint dasselbe Werk mit Guitarre-Begleitung eingerichtet.“ Dies war eine damals sehr übliche Interpretations- und Publikationsform. Eine ganze Reihe Schubertscher Solo- und mehrstimmiger Gesänge wurde noch zu seinen Lebzeiten mit Gitarrenbegleitung dargeboten oder auch publiziert. Alternativversionen für unterschiedliche Instrumente wurden teils separat vertrieben, teils auch übereinander oder gar ineinander gedruckt. Anton Diabelli, der Schuberts Müllerin bei deren Zweitauflage in sein Programm nahm, hatte 1821 auch Einzelnummern aus Paisiellos Molinara mit Gitarrenbegleitung herausgegeben. Bei Wohin („Ich hört ein Bächlein rauschen“, gedruckt in der Sammlung Philomele) besagt der Zusatz „eingerichtet und herausgegeben von Anton Diabelli“ hinreichend, dass die „Begleitung der Guitare“ (!) vom Verleger stammt und er behielt sich auch das „Eigenthumsrecht“ an seiner Bearbeitung vor. Insofern ist die These des Gitarristen Alfred Rondorf (1895-1972), dieses Lied sei ein Schubertsches Originalarrangement, weshalb er es in eine Anthologie angeblich „originaler“ Schubertscher Lieder mit Gitarre aufnahm, nicht stichhaltig.

Der Komponist hatte 1823 ein Jahr hinter sich, in dem er seit Beginn an einer ernsten Erkrankung, vermutlich Syphilis, laborierte, Wochen zu Therapien im Spital verbracht haben muss und dennoch neben vielen anderen Werken bereits zwei Opern vollendet hatte. Ende November 1823 schrieb Schubert seinem in Breslau weilenden Freund Schober en passant, er habe seit der Oper Fierrabras „nichts componirt, als ein Paar Müllerlieder“, als handle es sich um Kleinigkeiten. Aber deren Stellenwert wird dann im nächsten Satz doch deutlicher, denn er ergänzt, dass diese „in 4 Heften erscheinen“ würden, „mit Vignetten von Schwind“, eine durchaus aufwendigere Angelegenheit, und zunächst wurde auf diese Illustration des Umschlags auch verzichtet und erschien sie erst bei späteren Auflagen.

Bei der ersten nachweisbaren Darbietung von vier Liedern (es waren die Numern 1-4) aus dem Zyklus, die Ende 1825 durch den Bariton (und nachmalig berühmten Bach-Forscher) Johann Theodor Mosewius (1788-1858) in Breslau erfolgte, ist zwar nicht bekannt, wer außer ihm mitwirkte. Aber der Konzertzettel lässt uns nicht darüber im Zweifel, dass „sämmtliche Gesangstücke […] mit Begleitung des Pianoforte ausgeführt“ wurden. Dass man dies hier eigens betonte, deutet jedoch darauf, dass das nicht unbedingt selbstverständlich war, da Gesangstücke ja auch unbegleitet, unter Verwendung von einzelnen anderen Instrumenten oder ganzen Ensembles hätten erklingen können.

Der Dichter Wilhem Müller (1794 – 1827) auf einem Stich von Johann Friedrich Schröter. Foto: Wikipedia

Der Zyklus umfasst die Darstellung aller Stadien der Gefühlwelt eines wohl erstmals und letztlich vergeblich liebenden Müllerburschen. Zunächst kennt dieser weder das Ziel seines Wanderns, noch die Empfindung von Liebe überhaupt. Allenfalls die Nixen im Bach, dessen Lauf er folgt, lassen eine Ahnung von Herzensangelegenheiten aufkeimen, und die Ankunft und Anstellung an einer neuen Mühle erwecken in ihm die Zuneigung zur Tochter seines Dienstherrn, eine komplizierte Konstellation. Zweifel, Enthusiasmus und eine vorläufig noch realistische Einschätzung seiner Situation lösen sich ab, zumal sich nun in die klar ausgerichteten Liebesgefühle bereits die Resignation mischt. Und diese artikuliert sich dann unwillkürlich durch die an die Wand gehängte Laute und deren über die Saiten streifendes Band, ein Zupfinstrument, das wie eine Aeolsharfe gleichsam von selbst zu tönen beginnt. Dass die Müllerin nun ihre Vorliebe für „Grün“ äußert, erweckt seine zunächst unbestimmte Eifersucht, die sich dann konkret auf den Nebenbuhler, einen Jäger, konzentriert. Dessen Attraktivität für die Geliebte nimmt er wahr und erwägt, wie es wäre, selbst mit dessen Eigenschaften bedacht zu sein. Dem Entschluss, sich der Hoffnung nicht länger hinzugeben, Abschied zu nehmen, folgt der immer klarere Entschluss, sich auch vom Leben zu verabschieden. Mehrfach schüttet der Liebende nun sein Herz dem Bach aus, seinem getreuen und vertrauten Begleiter. Er beginnt also sein Inneres zu befragen und nimmt sich das Leben.

Der Dessauer Dichter Wilhelm Müller hat wohl die Erfahrung seiner eigenen unglücklichen Liebe zu Luise Hensel, bei der er gleichfalls mehrere Nebenbuhler hatte, in die Gedichte einfließen lassen. Der Titel des Gedichtzyklus’ greift den damals populären deutschen Titel eines „Dramma giocoso“ von Giovanni Paisiello auf, L’amor contrastato ossia la molinara (Neapel 1788). Auch in dem Libretto wird eine Frau geschildert, die sich von zwei Liebhabern hofieren lässt und mit deren Gefühlen spielt. Bei Zusammenkünften eines Kreises von Literaten, Künstlern und Musikern im Hause des Staatsrats von Staegemann in Berlin kamen 1816 Teilnehmer, darunter der Dessauer Student Müller auf die Idee, gemeinsam ein Liederspiel unter dem Titel Rose, die Müllerin, zu schreiben und aufzuführen. Zehn der Lieder dieses Spiels, die nur teilweise von Müller gedichtet waren, setzte der Berliner Komponist Ludwig Berger in Musik und publizierte sie auch. Außerdem inspirierte er Wilhelm Müller, weitere Gedichte zu diesem Sujet zu verfassen, die dann teils einzeln in verschiedenen Periodika erschienen, aber auch als geschlossener Zyklus von 23 Gedichten, die durch einen Prolog eingeleitet und durch einen Epilog geschlossen wurden. Diese die Handlung rahmenden und auch kommentierenden Erläuterungen scheinen in ihrem lockeren, teils sogar ironischen Tonfall – die bereits die Ironie eines Heinrich Heine erahnen lassen – das tieflotende Abbild des Seelenlebens zu relativieren. Schubert dürfte sie bewusst weggelassen haben.

Wilhelm Müllers eigenes Verhältnis zur Musik, Gesang und zu Musikinstrumenten, ist nur durch wenige Äußerungen belegbar. Gegenüber dem Komponisten Bernhard Klein bekannte er 1822, ein „musikalischer Stümper“ zu sein und schrieb ihm: „in der Tat führen meine Lieder […] nur ein halbes Leben, ein Papierleben, schwarz auf weiß – […] bis die Musik ihnen den Lebensodem einhaucht, oder ihn doch, wenn er darin schlummert, herausruft und weckt.“ Von seiner sehr musikalischen Frau oder anderen begabten Sängern ließ Müller sich Lieder eher vorsingen, als sie selbst anzustimmen, obwohl er in der Dessauer Liedertafel unter Friedrich Schneider als Erster Tenor mitwirken durfte, wobei er – wiederum gegenüber Klein – behauptete, er habe in diesem Kreise kaum gesungen, vielmehr getrunken und allenfalls eigene Verse deklamiert. Seine Behauptung, er sei unmusikalisch, mag daher eine halbwahre, kokette Behauptung sein.

In den Gedichten von Müllers Zyklus, der 1816-20 über einen Zeitraum von vier Jahren entstand, was für den rasch produzierenden Müller eher ungewöhnlich war, kommt nun der Begriff Gitarre nicht unmittelbar vor, Müller suggeriert ja überdies, sie seien einem „reisenden Waldhornisten“ zu verdanken, so dass das mehrfach erwähnte und auch klanglich – nachgeahmt – erschallende „Posthorn“ dazu unmittelbarer zu passen scheint. Konkreter kommen dagegen in den Liedtexten Harfen sowohl sprichwörtlich sowie als Instrument konkret vor. Ob Wilhelm Müller die spezifischen Unterschiede zwischen Leier, Laute und Gitarre kannte und wahrgenommen hätte, ist eher zu bezweifeln. Er mag diese Instrumente wohl eher nach der klanglichen und metrischen Eignung der Worte in seinem Versmaß eingeflochten haben. Und so kann der Gitarrenklang auch für jenen der Laute stehen, die eine wichtige Rolle spielt, zumal Schubert selbst im Text eines frühen Terzetts mit Gitarrenbegleitung reimt „Ertöne Leyer, zur Festesfeyer“.

Wie aber steht es nun wirklich um Schuberts Verhältnis zur Gitarre? Eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus Schuberts Umfelds, darunter auch der Pianist Joseph Gahy und der Dichter Franz Grillparzer haben sich als mehr oder minder tüchtige Gitarrenspieler bewährt, und in Wien wirkte bis 1819 etwa der hochbedeutende italienische Gitarrenvirtuose Mauro Giuliani (1781-1829). Während man aber etwa bei dem Violinvirtuosen Paganini mit Fug und Recht sagen kann, er habe für die Gitarre vieles komponiert, stehen die Anfang des 20. Jahrhunderts kolportierten Behauptungen, Schubert habe gleichsam alle seine ein- und mehrstimmigen Vokalwerke ursprünglich mit Gitarrenbegleitung konzipiert, auf wackeligen Füßen.

Moritz von Schwind – Schubertiade (1868) Drawn from memory, the image shows Franz Schubert at the piano, and Josef von Spaun, Johann Michael Vogl, Franz Lachner, Moritz von Schwind, Wilhelm August Rieder, Leopold Kupelwieser, Eduard von Bauersfeld, Franz von Schober, Franz Grillparzer. Picture on the wall of Countess Caroline Esterházy

Immerhin gibt es eben einen (einzigen) ganz konkreten Beleg, dass Schubert den Instrumentalpart jenes erwähnten Terzetts mit einer Gitarre besetzte, nämlich bei dem am 27. Sept. 1813 vollendeten Ständchen „Auf die Nahmensfeyer meines Vaters“. Hier steht ganz sicher fest, dass er es für Singstimmen mit „Quitarre“ (so seine eigentümliche Orthographie) niederschrieb. Er mag zu dieser Zeit, als er sich 16jährig im Stimmwechsel befand, die Vokalstimmen seinen drei älteren Brüdern zugedacht und selbst den Instrumentalpart gezupft haben, oder doch auch mitgesungen haben (zumal einzelne Akkorde vokal vierstimmig sind). Auf alle Fälle besagt diese Besetzung wohl mehreres: Eine Gitarre war der Familie Schubert ein vertrautes Instrument, und vielleicht mag dieses Ständchen auch für eine vermeintlich spontane Darbietung geplant und bei einem Ausflug am Namenstag von Franz Vater und Sohn am 4. Oktober gesungen worden sein, da es sonst wahrscheinlicher gewesen wäre, das Klavier heranzuziehen. Wenige Wochen später entstand zu ähnlichem Anlass ein genauso ungewöhnlich – mit Geige und Harfe – begleitetes Lied. Ein Gitarrenquartett, das man zeitweilig für eine Originalkomposition Schuberts hielt (es stammt von Wenzel Thomas Matiegka 1773-1830), hat er nur wenige Monate später arrangiert. Und ein Jahr nach seiner Vertonung der Schönen Müllerin hatte Schubert auch großes Interesse an der kurz zuvor erstmals konstruierten Bogengitarre, dem Arpeggione, für das er eine zweisätzige Sonate mit Klavierbegleitung schrieb.

Weil sie aus dem frühen 19. Jahrhundert und zudem angeblich oder wirklich aus Schuberts Umfeld stammen, gelten auch drei Instrumente als halbwegs authentische Zeugen, wie Gitarren beschaffen gewesen sein könnten, die Schubert besessen oder gar gespielt haben mag. Von zwei sogenannten „Gitarren aus Schuberts Besitz“ gibt es Abbildungen: Die eine befindet sich im Wiener Schubertbund (sie stammt aus der Kirche St. Anna, zu der es direkte Bezüge der Familie Schubert gibt). Die zweite soll Schubert einem Amateursänger geschenkt haben, dem Johann Karl Umlauff von Frankwell, der mehrfach bei zeitgenössischen Aufführungen mehrstimmiger Schubertscher Männergesänge mitwirkte (1913 befand sie sich in Wiener Neustadt). Darüber hinaus wird Schubert eine heute in den Sammlungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde verwahrte Gitarre, die in der Gestalt einer Lyra geformt ist, bekannt gewesen sein und er vielleicht auch darauf gespielt haben, da sie Schuberts Mentor, dem Bariton Johann Michael Vogl gehörte, einem der einflussreichsten Freunde und Interpreten Schubertscher Gesänge. Im Verzeichnis der Hinterlassenschaften Schuberts nach seinem Tod 1828 wird dagegen keine Gitarre erwähnt.

Franz Schubert/OBA

Wohl im Entstehungsjahr des Zyklus’ (1823) wurde Schubert vor dem Schloss Atzenbrugg neben einem Gitarrespieler auf dem Rasen sitzend abgebildet, während seine Freunde mit Ballspielen beschäftigt sind. Der Gitarrist sitzt vorn in der Mitte, ganz zentral zwischen Moritz von Schwind und Schubert. Man hielt ihn früher für eine Darstellung des Schubert-Sängers Johann Michael Vogl, nimmt inzwischen aber an, dass es sich um den begabten Pianisten (und Gitarristen) Joseph von Gahy (1793-1864) handelt. Das Blatt (eine Radierung Ludwig Mohns nach einer Zeichnung von Schuberts Freunden Schober und Schwind) ist ein Gemeinschaftswerk dreier eng mit Schubert verbundener Personen, die eine Gitarre dort sicher nicht bloß zufällig zeigen wollten, sondern diese dürfte für ländliche Ausflüge der Schubertianer ein typisches Instrument gewesen sein.

Der Sänger des Zyklus ist nun einerseits Erzähler wie jener einer Ballade, andererseits artikuliert er sich in wörtlicher Rede (Gesang) stellvertretend für mehrere Personen, wobei er in erster Linie Sprachrohr des Müllerburschen bleibt. Möglicherweise steht der Sänger bei diskreter akkompagnierenden Instrumenten, wie es Gitarren sind, noch mehr im Zentrum. Vielleicht ist dadurch atmosphärisch eher assoziierbar, dass es sich um einen wandernden (Müller-)burschen handelt und keinen Sänger im Konzertsaal (Foto oben: Ein Schubert-Abend in einem Wiener Bürgerhause/ Kopie von Wilhelm Giessel (1869–1938) nach dem Gemälde von Julius Schmid (1854–1935). Till Gerrit Waidelich

„Leichte und gut verkäufliche Klassik…“

 

Die ersten Dresdner Schallplattenaufnahmen von Karl Böhm sind wieder auf dem Markt. Sie wurden zwischen 1935 und 1939 von der Electrola produziert. Bei Profil Edition Günter Hänssler sind sie in einem aus zwei CDs bestehenden Album zusammengefasst (PH18035). Bei der Ausstattung wurde nicht gespart. Hänssler verwendet auf seine Staatskappelle-Dresden-Edition, die mit der Neuerscheinung bereits bei Vol. 43 angekommen ist, höchste Sorgfalt und viel ästhetische Phantasie. Deutsch und englisch ist das Booklet gehalten, das alle einzelnen Titel auch mit den ursprünglichen Katalog- und Matrizennummern versieht. Sammler legen auf solche Angaben großen Wert. Sie sind ihnen mitunter wichtiger als interpretatorische Details. Unverkennbar ist dies die Handschrift von Steffen Lieberwirth, des Projektleiters der Edition – ein Gemeinschaftswerk der Sächsischen Staatskapelle, des Mitteldeutschen Rundfunks und des Deutschen Rundfunkarchivs. Wer sich ein wenig auskennt, muss lange suchen, um ein ähnlich ambitioniertes Projekt ausfindig zu machen. Hänssler hat hier die Maßstäbe sehr hoch gesetzt und ist auch diesmal nicht darunter geblieben. Im Booklet wimmelt es nur so von Fotos und faksimilierten Anzeigen, mit denen die Platten einst in Zeitungen und Zeitschriften wortreich und überschwänglich beworben wurden. Das Repertoire zielte auf vielseitig interessierte Kunden, die sich die Platten für drei Mark leisten konnten. Für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein, „leichte, gut verkäufliche Klassik“, wie Autor Jens-Uwe Völmecke anmerkt. In einem Bericht der Dresdener Nachrichten vom 1. Juni 1937 ist genau beschrieben, wie einige der Stücke in dem zum Studio hergerichteten Zuschauersaal der Semperoper eingefangen wurden. Auf diese Weise gelangte die Akustik dieses wenige Jahre später zerbombten Hauses mit auf die Rillen.

Zehn Ouvertüren und das Vorspiel zu Aida bilden einen Schwerpunkt für sich. Am Beginn steht die Fledermaus, auf die schon bald Mozart mit der Entführung aus dem Serail und Figaros Hochzeit folgt, dann Weber mit Freischütz und Oberon, Humperdinck mit Hänsel und Gretel, Smetana mit der Verkauften Braut. Emil Nicolaus von Reznicek ist mit der ohrwurmverdächtigen Ouvertüre seiner bekanntesten Oper Donna Diana vertreten, die 2003 in Kiel wieder auf die Bühne kam und als Mitschnitt von cpo verbreitet wurde. Dieses Label hat sich um Reznicek (1860 – 1945) sehr verdient gemacht und auch sinfonische Werke publiziert. In seiner Zeit war dieser Komponist sehr berühmt. Weil er zu seiner jüdischen Ehefrau stand, wurde es in der Nazizeit schließlich immer stiller um ihn. Bitte nicht wundern: In der Trackliste der zweiten CD erscheint die Nummer eins zweifach, weshalb alle folgenden Titel um eine Stelle nach hinten rutschen. Donna Diana ist also die Sechs in der Reihenfolge – und nicht die Fünf wie ausgedruckt. Beethoven setzt mit der Leonoren-Ouvertüre 3 und Egmont einen betont sinfonischen Akzent. Der Rest sind Intermezzi (Bajazzo, Cavalleria rusticana), Märsche (Faust von Berlioz und Schuberts orchestrierter erster der drei für Klavier zu vier Händen geschriebenen Militärmärsche D 733), zwei Ungarische Tänze von Brahms sowie von Lortzing der Holzschuhtanz aus Zar und Zimmermann und die Ballettmusik aus Undine sowie der Kaiserwalzer von Strauß. Das eingangs an Prokofjew erinnernde Rondo giocoso op. 4 des Österreichers Theodor Berger (1905 – bis 1992) ist eine Entdeckung. Nur eine Nummer ist vokalen Ursprungs – der so genannte Osterchor aus Cavalleria rusticana, in den die Sopranistin Christel Goltz mit leuchtendem Ton einstimmt. Diese Szene von 1938 gilt als die früheste Aufnahme dieser damals sechsundzwanzigjährigen Sängerin, was ausdrücklich vermerkt ist.

Es spricht für die Neuerscheinung, dass auch die historischen Hintergründe der Plattenproduktionen während des Nationalsozialismus beleuchtet werden. Es gilt also nicht nur der Kunst. Völmecke: „Im Laufe des Jahres 1937 entfernten alle in Deutschland aktiven Schallplattenfirmen die Aufnahmen mit jüdischen Künstlern – zu denen auch Leo Blech gehört – aus den Katalogen mit der Konsequenz, dass quasi über Nacht eine Riesenlücke im Repertoire entsteht, die schnellstens wieder aufgefüllt werden muss.“ Vor allem Blech hatte sich um das „kleinteilige musikalische Genre“ mit der Staatskapelle für die Platte gekümmert. Böhm, seit 1934 Generalmusikdirektor und Operndirektor in Dresden und den braunen Machthabern nahe stehend, sprang für Blech offenbar genauso bedenkenlos ein wie für seinen Amtsvorgänger Fritz Busch, der von den Nazis vertrieben worden war. Musikalisch agiert Böhm auf diesen Schelllacks glänzend. Für ihn scheint es in der Verantwortung als Dirigent keinen Unterschied zwischen Mozart und Lortzing zu geben. Das macht auch den Reiz der Platten-Sammlung aus, die zudem akustisch äußerst sorgfältig bearbeitet wurde. Es macht Freude zuzuhören. Rüdiger Winter

Rätsel um Zerbinetta

 

Mit den angeblichen Erstveröffentlichungen ist das oft so eine Sache, zumal bei Hänssler Profil. Auf dem Recital von Ruth-Margret Pütz bei Profil Edition Günter Hänssler (PH18012) ist die Arie der Zerbinetta „Großmächtige Prinzessin“ aus der Ariadne auf Naxos von Richard Strauss als eine derartige Neuigkeit ausgewiesen. Genau besehen stammt sie aus einem Mitschnitt, der bereits vor vier Jahren bei Cantus Classics erschienen und noch im Handel ist. Auch das Hamburger Archiv für Gesangskunst, auf dessen Autor Klaus Ulrich Spiegel sich im Booklet berufen wird, hatte just diese Szene im Rahmen einer der Sängerin gewidmeten Edition (Vol. 1) ebenfalls im Programm. Von Erstveröffentlichung kann also nicht die Rede sein. Dafür stellen sich die Umstände dieser Produktion als umso spannender dar. Sie sind das eigentliche Highlight. Am 6. Oktober 1962 wurde im Stuttgart das im Krieg zerstörte Kleine Haus der Württembergischen Staatstheater als Neubau eingeweiht. Und zwar mit jenem Werk, das dort fünfzig Jahre zuvor bei seiner Uraufführung nicht den erhofften Erfolg einfuhr: Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge. Zu spielen nach dem „Bürger als Edelmann“ des Molière – so der etwas sperrige Titel der Urfassung des Werkes. Es gab von der Reprise eine Übertragung im Radio. SWR 2 hat das historische Band 2014 erneut gesendet und damit für viel positives Aufsehen gesorgt. Für die damalige Zeit war die Besetzung außerordentlich luxuriös. Leonie Rysanek sang die Ariadne, Jess Thomas den Bacchus. Und die Pütz die Zerbinetta. Stuttgarter Prominenz – darunter Friederike Sailer, Hetty Plümacher, Alfred Pfeifle und Gerhard Unger – war auch für die kleineren Partien aufgeboten. Am Pult waltete Ferdinand Leitner. Der Schauspieler Max Mairich gab den Herrn Jourdain, Hilde Weissner die Marquise Dorimene. Unter dem tat man es damals nicht im wohlhabenden Ländle.

Warum allerdings Ruth-Margret Pütz ihre Arie aus der zweiten und bis heute gängigen Fassung sang und nicht in der mit noch mehr Koloraturen gespickten Originalfassung wie einst Margarethe Siems, fand ich bisher nirgends erklärt. Auch im Booklet der Profil-CD wird nicht darauf eingegangen. Hätte sie diese Herausforderung am Ende nicht bestanden? Das kann ich mir nicht vorstellen. Dafür gelingt ihr die Arie in der endgültigen Fassung zu zu sicher und zu rasant. Da wäre im wahrsten Sinne des Wortes noch Luft nach oben gewesen. Insofern war es eben doch nicht ganz das Original, was 1962 in Stuttgart ausgegraben wurde. Letztlich spricht dieses Manko aber nicht gegen das neue Recital, das schon dadurch eine Gewinn ist, weil vier Titel aus einer Columbia-Schallplatte übernommen wurden, die inzwischen Seltenheitswert hat. „Gualtier Maldé! Teurer Name“ (Gilda) aus Rigoletto, „Ach, unter allen Blicken / Auch ich versteh’ die feine Kunst“ (Norina) aus Don Pasquale, „Nun eilt herbei, Witz heit’re Laune“ (Frau Fluth) aus den Lustigen Weibern von Windsor sowie die beseelte Konzertarie „Mia speranza adorata! Ah non sai qual pena sia“ von Mozart. Dabei werden die Berliner Symphoniker von Berislav Klobucar geleitet. Die beiden Arien der Konstanze „Welcher Kummer herrscht in meiner Seele – Traurigkeit ward mir zum Lose“ und „Martern aller Arten“ führen zu den Salzburger Festspielen 1961, wo die Pütz neben Fritz Wunderlich in einer Neuinszenierung der Entführung aus dem Serail auftrat. Mit der Szene „Ach, Belmonte! Ach mein Leben“ aus einer Stuttgarter Aufführung – hier singen Josef Traxel den Belmonte und Gerhard Unger den Pedrillo – werden die Auszüge aus dieser Oper wirkungsvoll ergänzt.

Auf mich wirkt die Stimme durchsichtig und klar, als würde Licht hindurch scheinen. Ihre Koloraturen schwingen mühelos und wirken niemals nur technisch. Sie brilliert bei ihren Soloauftritten und passt sich mit der gleichen Disziplin ins Ensemble ein. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass mit der Neuerscheinung auch das Geburtsjahr von Ruth-Margaret Pütz, die – wie im Booklet weiter zu lesen ist – „zurückgezogen aber geistig wach“ in einem Stift bei Stuttgart lebt, um ein Jahr nach hinten datiert wird. Sie sei 1930 und nicht – wie oft zu lesen – 1931 geboren. Rüdiger Winter

Prachtvoller Sound

 

Walter Berry als Gärtner Antonio in Mozarts Oper Le nozze die Figaro. Das muss lange her sein. Ist es auch. 1954 gastierte die Wiener Staatsoper in der Londoner Royal Festival Hall, die erst drei Jahre zuvor eröffnet worden war. Es war der 13. September, und es sollte noch mehr als ein Jahr vergehen, bis die Gäste aus Österreich in ihr wieder aufgebautes Stammhaus am Ring zurückkehren konnten. Gastspiele förderten den internationalen Ruf als Mozartensembles. Ica Classics hat den Mitschnitt ausgegraben (ICAC 5147). Der Klang ist superb. Über ein ganz leichtes, den historischen Umständen des Mitschnitts der BBC geschuldetes Grundrauschen der Bänder erhebt sich ein durch und durch prachtvoller Sound.

Karl Böhm, der die Aufführung in italienischer Sprache leitete und die Rezitative vom Klavier begleiten ließ, hatte gerade seine zweite Amtszeit als Direktor der Wiener Staatsoper angetreten. Seinen Elan übertrug er auch in die Aufführung. Er wählte einen zügigen und zupackenden Vortragsstil, der über weite Strecken aus dem Figaro – auf Kosten von Sinnlichkeit – eine betont dramatische Oper machte. Schon die Ouvertüre setzt mit einer unverhofften Wucht ein, die eher an Don Giovanni denken lässt denn an den Figaro. Indem Böhm dieses Konzept bis zum Schluss konsequent durchhielt, erscheint es noch heute als eine höchst ambitionierte Möglichkeit der Interpretation von Mozarts Oper. Die Solisten hatten damit nicht das geringste Problem. Sie folgten ihrem strengen Chef am Pult nahezu sklavisch und ließen sich auf diesen „tollen Tag“, wie ihn die literarische Vorlage von Beaumarchais schon im verlängerten Titel vorgibt, mit Lust, Hingabe und Disziplin ein. Es wackelte nichts. Weil die Sänger so sicher vorbereitet waren, konnten sie alle Energie in die Gestaltung und Interpretation werfen.

Bis in die kleinen Rollen war die Besetzung prominent, ja erlesen. Erich Kunz sang den Figaro, Paul Schöffler den Conte Almaviva, der nach heutigen Vorstellungen deutlich zu alt wirkte. Irmgard Seefried ließ als tüchtige Susanna im Vergleich mit der etwas spröden und reservierten Lisa della Casa als Contessa nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie die treibende Kraft des Geschehens ist. Als liebestoller Page Cherubino schien Sena Jurinac aus allen erotischen Nähten zu platzen. Rosette Anday, die in Wien selbst als Cherubino begonnen hatte, war inzwischen bei der Marcellina angelangt, die sie – um ihre Arie von der Ziege und dem Ziegenbock beraubt -, mit einem Schuss Wagnerscher Fricka versah. Hingegen behielt Anny Felbermeyer als Barbarina ihre kleine Kavatine von der verlorenen Nadel, während dem Basilio von Murray Dickie die ausführlichen Erinnerungen an seine Jugend gegen das Ende der Oper ebenfalls gestrichen wurden.

Und Berry, der am Beginn seiner erfolgreichen internationale Karriere stand und in den folgenden Aufführungen bei dem Gastspiel selbst die Titelpartie sang, war als Gärtner, der in das rasante Finale des zweiten Aktes mit der Meldung hineinplatz, das man eben einen Menschen aus dem Fernster geworfen habe, purer Luxus. Ein gewolltes szenisches Durcheinander muss es auch auf dem Podium gegeben haben, denn das Publikum geriet selbst voller Begeisterung aus dem Häuschen. Der Bartolo war Oskar Czerwenka und der Don Curzio William Wernigh. Böhm wäre aufgeschmissen gewesen ohne diese Solisten, die in dem von ihm entfesselten musikalischen Tumult die Nerven behielten und auf Linie blieben. Rüdiger Winter

Liebe und Frühling

 

Der Bariton Benjamin Appl hat sich dem Liedgesang verschrieben. Vieles deutet darauf hin, dass er diesen Weg konsequent weitergeht. Auftritte, die er auf seiner eigenen Homepage ankündigt, sind ausschließlich diesem Genre verpflichtet – ob nun in Moltrasio am Comer See, in Ho Chi Minh Stadt, Hong Kong, Kassel, Dublin, Glasgow, Seattle, Utrecht oder Hamburg. In Bregenz wird im August 2018 eine – wie es in der Ankündigung der Festspiele heißt – „riesige Symphonie für Bariton und Orchester des Tiroler Komponisten Thomas Larcher“ von Appl uraufgeführt. Operntermine finden sich nirgends. Dabei hat dieser Sänger durchaus einschlägige Erfahrungen beispielsweise als Graf in Mozarts Figaro in London oder als Aeneas in Purcells Oper Dido and Aeneas beim Aldeburgh Festival gesammelt. Er sieht blendend aus, ist groß gewachsen, charmant und sympathisch im Auftreten. Schon rein äußerlich bringt er also alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn mit. Sängerisch sowieso. Opernhäuser wären gut beraten, den jungen Bariton mit einer passenden Aufgabe zu locken. Wann, wenn nicht jetzt?

Stets wirkungsvoll in Szene gesetzt ist er auf den Titelbildern seiner CDs. Neu ist eine Produktion aus London, aufgenommen im Dezember 2016 für das englischen Label hyperion. Appl bestreitet die siebte Folge der Gesamtaufnahme der Lieder von Johannes Brahms (CDJ33127). Angelika Kirchschlager hatte mit Vol. 1 die Edition eröffnet, gefolgt von Christine Schäfer (Vol. 2), Simon Bode (Vol. 3), Robert Holl (Vol. 4), Christopher Maltman (Vol. 5) und Ian Bostridge (Vol. 6). Begleiter und Inspirator des Unternehmens ist der Pianist Graham Jonson, der auch schon bei der Hyperion-Produktion aller Schubert-Lieder am Flügel gesessen hatte. Er begleitet Appl auch bei Konzerten. Mit achtundzwanzig Titeln in fast achtundsiebzig Minuten ist das Fassungsvermögen der CD erreicht. Berücksichtigt ist fast die gesamte Schaffensperiode von Brahms. „Liebe und Frühling I und II“ aus den Sechs Gesängen für eine Tenor- oder Sopranstimme op. 3, die der Zwanzigjährige der verehrten Schriftstellerin Bettina von Arnim, die damals im achtundsechzigsten Lebensjahr stand, widmete, bilden den Auftakt. Am Schluss stehen acht Nummern aus den 49 Deutschen Volksliedern, mit deren Zusammenstellung und Ordnung sich Brahms gegen das Ende seines Lebens beschäftigt hatte. Warum nur acht? Wenn hyperion so verfährt wie bei der Aufnahme der Schubert-Lieder, dann dürften die zunächst jeweils einem Künstler gewidmeten CDs in der abschließenden Gesamtausgabe in der Reihenfolge ihres Entstehens neu angeordnet werden. So finden dann auch die Liedgruppen zusammen, die zusammen gehören.

Um bei den Volksliedern zu bleiben. Vier hatte Angelika Kirchschlager aufgenommen, sechs Christine Schäfer, drei Simon Bode. Mit Appl sind es nun schon einundzwanzig. Fehlen also noch achtundzwanzig. Einzeln betrachtet ergeben die bisherigen Veröffentlichungen noch kein geschlossenes Bild des Liedwerks. Während Bostridge mit den Liedern und Gesängen op. 32 und den Vier Liedern op. 96 und Holl mit den Vier ernsten Gesängen mehrere Liedgruppen geschlossen darbieten, muss sich Appl bisher mit Stückwerk begnügen. Es sei denn, er wird noch für weitere Aufgaben herangezogen. Das Projekt ist ja noch nicht abgeschlossen. Brahms liegt Benjamin Appl. Seine Stimme ist technisch perfekter geworden. Das weiche, sensible Timbre mit hohem Wiedererkennungswert findet bei diesem zur Schwermut neigenden Komponisten womöglich noch mehr inhaltliche und formale Entsprechung als bei Schubert. Getragene Passagen gelingen besser als die schnellen Läufe. Geht die Stimme nach oben, scheint sie etwas an Halt zu verlieren und büßt auch an Wohlklang ein. Appl sollte sich mehr zurücknehmen, etwas ökonomischer agieren und nicht alles Pulver zu früh verschießen. Es muss gestalterisch immer noch eine Reserve nach oben sein. Er neigt dazu, Passagen zu übersingen. Kritische Anmerkungen gelten zudem technischen Details. Konsonanten sind eine Herausforderung für Sänger. Das wird gleich beim ersten Liedanfang der CD deutlich: „Wie Rebenranken schwingen“. Satt „Wie“ ist da „Whie“ zu hören. Das eingeschobene h sollte weg. Und stört!

 

Benjamin Appl, 1982 in Regenburg geboren, inzwischen vornehmlich in London lebend, ist auf seiner vorangegangenen, ersten Sony-CD auf der Suche nach Heimat. Was ist Heimat für einen, der noch ein Kind war, als der eiserne Vorhang in Europa fiel, der sich immer völlig frei bewegen konnte, heute hier, morgen dort. Der nie etwas anderes gekannt hat als diese grenzenlose Freiheit. Ist Europa schon die Heimat geworden für einen wie ihn? Oder schwingt da im tiefsten Innern doch eine Sehnsucht nach einem ganz konkreten Ort mit? Nach einer Stadt, einem Dorf, einem Landstrich. Heimat ist ein schwieriges Wort. Es wurde und wird noch immer missverstanden und missbraucht. Dabei ist es ein schönes Wort. Bei jungen Leuten, die sich nicht mit dem historischem Ballst der Großväter herumschleppen müssen, hat es wieder eine Chance, völlig unverkrampft gebraucht zu werden. Seiner ersten CD bei Sony hatte er den Titel „Heimat“ gegeben (88985393032). Seit einiger Zeit ist der Sänger Exklusivkünstler der Firma. Daran knüpfen sich viele Hoffnungen, für ihn wie auch für sein Publikum. Eine neue CD ist fällig. Nach Überzeugung des „Gramophone Magazins“ stieg Appl bereits zum „Spitzenreiter der neuen Generation der Liedersänger“ auf. So weit würde ich nicht gehen. Noch nicht. In diesen Blumenstrauß der Huldigung ist Vorschusslorbeer eingebunden. Der Kreis der Konkurrenten ist groß. Immer mehr talentierte junge Sänger drängen auf den Markt und legen auch CDs vor. Appl hat seine eigenen Möglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft. Was auch auf der Sony-CD zu hören ist. Die Register sind noch nicht ausgeglichen. Hohe Töne reißt er mitunter nach oben, anstatt sie aus den unteren Lagen anschwellen zu lassen. Appls Stimme klingt etwas älter und gesetzter, als es seine Fotos erwarten lassen. Er ist sehr gut zu verstehen. Das sind beste Voraussetzungen für einen Liedersänger. Wenn er intensiv an der Vervollkommnung seiner Technik weiterarbeitet, wird er zur Spitze aufsteigen, wo ich ihn noch nicht sehe.

Und dennoch soll das Werturteil des Musikmagazins nicht kleingeredet werden. Vor allem jene Musikfreunde dürften es gern zur Kenntnis nehmen, die sich mit Liedern beschäftigen, die ihren Fischer-Dieskau, Prey, Wunderlich, Goerne oder Gerhaher sehr gut kennen und schätzen, die aber immer auf der Suche nach neuen Eindrücken und Stimmen sind. Appl lässt Gefühle zu, nicht nur sublimiert als Kunst, sondern in Wort und Schrift. Für das Sony-Booklet hat er einen persönlichen Text verfasst: Jeder von uns kennt aufgrund verschiedener Erfahrungen die Empfindung von Geborgenheit, die einen durch einen Ort, eine Situation oder Personen vermittelt wird. Manchmal erfährt man aber auch Einengung, Vorurteil oder Schmerz“, schreibt er. Dichter und Komponisten, hätten sich seit Jahrhunderten damit beschäftigt. „In unserer Zeit ist diese Thematik noch aktueller und drängender denn je, wo viele ihre Heimat verlieren oder aufgeben.“ Heimat sei etwas, was Menschen wirklich bewege. In den Liedern der CD sieht er ein Stück seiner Lebensreise. Es seien Texte, die trösteten, Freude bereiteten, Erinnerungen wachriefen, aber auch Lieder, die von Aufbruch und Findung berichteten, „nicht zuletzt aber als Wegbegleiter und Wegbereiter von Vertrautheit und Halt“. Andere wiederum spiegelten Momente wieder, in denen ein Stück Heimat verlorengegangen sei. Entsprechend ist die Auswahl getroffen. Die Literatur zum Thema Heimat ist groß. Dichter und ihre Komponisten fühlten sich zu allen Zeiten ausgestoßen, an den Rand der Gesellschaft in Außenseiterpositionen gedrängt. Auf einen Prolog mit Franz Schuberts „Seligkeit“ folgen die Themen Wurzeln, Räume, Menschen, Unterwegs und Sehnsucht, ausschließlich von deutschsprachigen Komponisten bestritten. Zu Schubert, der mit Liedern am häufigsten vorkommt, treten Max Reger, Johannes Brahms, Franz Schreker, Hugo Wolf, Richard Strauss und Adolf Strauss hinzu. Adolf Strauss? Über diesen 1902 geborenen Komponisten ist wenig bekannt. Er schrieb den Tango „Ich weiß bestimmt, ich werd’ dich wiedersehen“ im KZ Theresienstadt unmittelbar vor dem Todestransport in die Gaskammern von Auschwitz. Musikalisch kann dieser Titel, der an Barmusik denken lässt, mit den anderen Liedern nicht mithalten, zumal er zwischen „Wanderer an den Mond“ und „Heimweh“ von Schubert geklemmt ist. Durch die tragischen Umstände seines Entstehens schon. Appl hat gut daran getan, in seinem Programm, das man sich auch als Liederabend vorstellen kann, mit diesem Lied auf nachdenkliche Weise innezuhalten bei seiner Suche nach Heimat. Zugleich aber empfiehlt er sich als Begabung für dieses leicht gestrickte und eingängige Genre jenseits der hohen Schule des Liedgesangs. Appl hat Sexappeal in der Stimme. Die abschließende CD-Abteilung „Grenzenlos“ wird vom Franzosen Francois Poulenc und den Engländern Benjamin Britten, Ralph Vaughan Williams, Sir Henry Bishop (1786-1855), Peter Warlock (1894-1930), John Ireland (1879-1962) bestritten, bevor das Programm mit einem Prolog ausklingt, bestehend aus zwei Liedern des Norwegers Edvard Grieg – „An das Vaterland“ und „Ein Traum“. Hier schließt sich der Kreis. Heimat und Vaterland als immerwährender Traum. Ein schöner Gedanke.

 

Als erstes hatte Benjamin Appl bei Champs Hill diverse Lieder aufgenommen. Dem Vernehmen nach ist er der letzte Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau gewesen. Zwischen 2010 bis 2013 studierte er an der Guildhall School of Music and Drama in London, wodurch sich auch der Kontakt zu diesem englischen Label ergeben haben dürften. „Stunden, Tage, Ewigkeiten“ ist die CD mit Liedern nach Heinrich Heine betitelt (CHRCD112). Heine, der als der letzte Dichter, der Schlusspunkt der Romantik gilt, hat Komponisten magisch angezogen. Franz Schubert sind einige seiner bedeutendsten Lieder auf seine Texte gelungen: „Der Atlas“, „Ihr Bild“, „Die Stadt“, „Der Doppelgänger“. Diese vier Titel aus dem Schwanengesang hat Appl aufgenommen. Sie gelingen ihm gut. Appl lässt sich Zeit beim Singen. Dadurch kann er textlichen und musikalischen Details ausbreiten. Bei der Programmauswahl haben sich die Produzenten nicht nur auf Altbekanntes verlegt. Auftakt ist das Lied Gruß in der Vertonung von Edvard Grieg, gefolgt von den Sechs Liedern von Heine des russischen Komponisten und Pianisten Anton Rubinstein, der viele Lieder hinterlassen hat. Die erweisen sich als Entdeckung und mehren den Wert dieser CD. Seinem Höhepunkt strebt die Programmauswahl mit Roberts Schumanns Dichterliebe zu. Begleiter ist – wie auch bei der ersten Sony-Produktion James Baillieu. Im hübsch aufgemachten Booklet kommt der Sänger, wie bei der Sony-CD ebenfalls zu Wort. Obwohl er ja durch seine Stimme und nicht durch das geschriebene Wort erklärend Eindruck machen soll, ist das für sich genommen eine gute Idee. Zumal Appl auch hier sehr persönlich wird: „Mit meinen Deutungen suche ich bewusst einen jungen, frischen Interpretationsansatz für die vorwiegend liebesbezogenen Textvertonungen.“ Und weiter: „Die Komponisten waren im vergleichbaren Alter, meistens jedoch noch jünger als ich jetzt. Ihre persönlichen Erlebnisse hatten sie sicher damals dazu bewegt, vorliegende Texte auszuwählen und in ihre musikalische Sprache einzukleiden. Durchlebt man doch in jungen Jahren erfüllte wie auch enttäuschende Stunden der Liebe besonders intensiv.“ Sein Vortragsstil auf dieser CD wirkt selbstbewusst und frisch, und doch nicht nassforsch. Er vergeht nicht vor Erfurcht vor diesen Meisterwerken, er nähert sich mit einer gewissen Lockerheit an. Das macht die Aufnahme zum Hörvergnügen. Nur hier und da hinterlässt er noch einen akademischen Eindruck. So, als würde er die Lieder in einem Seminar vortragen, in dem auch andere Studenten und Professoren sitzen. Und in Gedanken der gestrenge Fischer-Dieskau. Habe ich alles richtig gemacht? Er hat! Dieser Sänger ist auf einem sehr guten Weg. Es besteht nicht der geringste Zweifel für mich, dass noch viel von ihm zu hören sein wird. Rüdiger Winter  

Fabelhafte Klangqualität

 

Alte Musik und junger Fritz Wunderlich: Was auf den ersten Blick wie ein Gegensatz erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen und -hören als eine glückliche Verbindung. Sie hat Nachaltiges  auf Tonträgern hinterlassen. Seine Anfänge sind tief verwurzelt in Kompositionen der Vorgänger von Johann Sebastian Bach. Musik vor Bach nennt denn auch SWR Music das neueste, Fritz Wunderlich gewidmete Doppelalbum, mit dem eine Edition in lockerer Folge fortgesetzt wird (SWR19051CD). Von Mal zu Mal entwickelt sich diese Reihe, die durch schöne Porträtfotos in mattem Schwarzweiß auffällt, zu einer unverzichtbaren Quelle der neuerlichen Beschäftigung mit diesem Tenor mehr als fünf Jahrzehnte nach seinem Tod. Wunderlich starb am 17. September 1966 an den Folgen eines Treppensturzes. Er hatte gerade seinen sechsunddreißigsten Geburtstag hinter sich.

Nicht, dass die jetzt vorgelegten Titel völlig unbekannt wären. Das sind sie nicht. Sie kursieren seit Jahren in diversen Sammlungen. Auch SWR Music hatte – mal gemeinsam mit Hänssler Classic, mal allein – bereits vor Jahren derartige Stücke veröffentlicht. Nun wird dieser Bestand durch ein neues Remastering der originalen Archivbänder ausgestochen. Das ist ein unschlagbarer Marktvorteil, der gleich dem Cover wie mit einem Stempel aufgedrückt wird: Original SWR Tapes Remastered. Gut und richtig so. Labels und Firmen, die diese Aufnahmen zuerst herausbrachten, haben das Nachsehen. Manchmal bestraft das Leben auch jene, der zu früh kommen. Musik bleibt von den Gesetzen der Marktwirtschaft nicht verschont. Das Bessere ist des Guten Feind. Wunderlich klang auch aus dubiosen Quellen oder von privaten Spulenbändern, auf denen seine Enthusiasten Radiosendungen mitgeschnitten haben, immer ganz passabel – nie muffig. Zu seiner Zeit entwickelte sich die entsprechende Technik auch für den Hausgebrauch rasch. Im Westen war sie Teil des deutschen Wirtschaftwunders. Jetzt klingt Wunderlich eben noch ein bisschen besser, frischer und dadurch womöglich auch authentischer.

Wunderlich stammt aus Kusel in Rheinland-Pfalz. „Ein Städtchen liegt im Pfälzerland, / im Tal, so wunderschön. / Dort ist’s, wo meine Wiege stand, / wohin meine Träume geh’n.“ So beginnt das Lied, das er seiner Heimatstadt gedichtet und komponiert hat. Nie hat er seine Herkunft verleugnet. Sie war für ihn existenziell. Er hatte die liebliche Landschaft in der Stimme. Im Südwestrundfunk, der auch für dieses Sendegebiet zuständig ist, nahm seine Karriere ihren Anfang. Dort wurde sein Talent früh erkannt. Er bekam viele Chancen, die er zu ergreifen wusste. Der Hörfunk hat erheblichen Anteil an seiner künstlerischen Entwicklung und an seiner Popularität. Das kann nicht oft genug herausgestellt werden, weil es das so nicht mehr gibt. Verantwortliche handelten weitsichtig. Die Archive sind voll. Das der Sendeanstalt nahestehende Label SWR Music braucht also nur zuzugreifen. Und tut es. Es wäre wünschenswert, würden auch andere Sender so phantasiereich und großzügig mit ihrem Erbe umgehen. Freilich hatte aber nicht jeder so ein attraktives Zugpferd im Stall wie Wunderlich.

Musik vor Bach also. Im Album tauchen neben Heinrich Schütz, Dietrich Buxtehude oder Christoph Graupner Namen von Komponisten auf, die erst jetzt dank der verstärkten Hinwendung zu dieser musikalischen Epoche neu entdeckt werden als bedeutende Meister ihrer Zeit: Ludwig Senfl (1486-1543) zum Beispiel, dann Paul Hofhaimer (1459-1537), Adam von Fulda (1619-1884) oder Adam Rener (1482-1520). Dass sich Wunderlich bereits in den fünfziger Jahren mit ihnen befasst hat, ist kein Zufall. Wie Textautor Lothar Brandt im deutsch und englisch gehaltenen Booklet berichtet, spielt in diesem Zusammenhang der Direktor der Freiberger Musikhochschule Gustav Scheck die entscheidende Rolle. Er hatte den Studenten in seinen Freiburger Musikkreis für Alte Musik geholt. In der Folge wurde Wunderlich zu Aufnahmen von Werken von Schütz und Monteverdi für den Schulfunk in das Freiburger Landesstudio des damaligen Südwestfunks eingeladen. Obwohl sich der junge Tenor letztlich für die Opernlaufbahn entschied, ist er zumindest der Barockmusik immer treu geblieben. Und es ist von starker symbolischer Wirkung, dass seine erste offizielle Operneinspielung Monteverdis Orfeo (bei DGA) – er sang gleich mehrere kleine Rollen – gewesen ist, die seither immer wieder neu aufgelegt wurde. Doch mit solchem Repertoire wäre zu seiner Zeit keine Weltkarriere denkbar gewesen.

 

Anhand des SWR-Albums muss die Lebensleistung von Wunderlich nicht neu bewertet werden. Es regt aber dazu an, den frühen Aufnahmen einen höheren Stellenwert einzuräumen. Für mich gehören sie zum Schönsten, was er hinterließ. Sie sind viel mehr als nur die Ahnung seiner späten Meisterschaft wie sie beispielsweise im Lied von der Erde (EMI), in der Zauberflöte, der Schönen Müllerin oder im Weihnachtsoratorium (Deutsche Grammophon Archiv) zum Ausdruck kommt. Am Anfang wirkt Wunderlich an keiner Stelle kalkuliert und einstudiert. Es singt fast überbordend aus ihm heraus. Auch wenn Unschuld kein belastbarer Begriff ist, um Stimmen zu charakterisieren, für diese Aufnahmen fällt mir nichts anderes ein. Wunderlich war erst vierundzwanzig, als er 1954 die sechs Lieder von Senfl einspielte. Sie zählen zu seinen frühesten Aufnahmen. Wer sich darauf einlässt, gewinnt eine Vorstellung von den Urquellen der Musik. Alles kommt von dort. Die Lieder sind durch Schlichtheit Meisterwerke. Sie sind in meinen Ohren der vollkommenste Ausdruck dieser Stimme, die im Kern immer eine Naturstimme war. Bis zum Schluss. Sein früher Tod hat den Sänger davor bewahrt, mit technischen Mitteln auszugleichen, was die einzigartige Begabung im Laufe der Jahre womöglich nicht hätte durchhalten können. Alle Titel sind genauestens mit Daten und Ort der Produktion dokumentiert. Man muss aber genau hinsehen, um das Kleingedruckte entziffern zu können. Gesunde Augen sind Voraussetzung. Anderenfalls sollte eine Lupe griffbereit liegen. Es hätte sich besser gemacht, wären gleich die einzelnen Tracks mit diesen wichtigen Angaben in einer vernünftigen Schriftgröße versehen worden. Damit hat sich der einzige Kritikpunkt erledigt. Alles andere verdient Lob.

 

Im Regal wird diese Reihe mit SWR-Produktionen von Fritz Wunderlich immer länger: Klassische Arien (SWR19048CD), Romantische Arien (SWR9032CD) und Operetten-Arien (SWR19038CD). Die Titel sind nicht sonderlich originell. Potenzielle Kunden wissen schon, was gemeint ist. Sie dürften sich ohnehin am Inhalt orientieren, was sich nicht immer als ganz einfach erweist. Welche Titel sind neu? Eine genaue Recherche wird zur abendfüllenden Beschäftigung. Ich bin bei dem Versuch so gut wie gescheitert, herauszufinden, wann und wo etwas schon einmal erschienen ist. Dazu hätten auch alten Platten herangezogen werden müssen. Es werden aber auch Chancen verpasst. Im Doppelalbum mit den klassischen Arien erscheinen lediglich zwei Szenen aus Schuberts Oper Fierrabras, obwohl es davon eine erheblich gekürzte Gesamtaufnahme gibt. Aus den kompletten Jahreszeiten von Haydn, die SWR Classic noch gemeinsam mit Hänssler herausgeben hatte, werden ohne Not nun vierzehn Nummern herausgelöst. Schade, dass die Wunderinsel von Schubert bzw. nach Schubert nur bruchstückhaft wiedergeben wird, zumal die Produktion ein ganz besonders spannendes Kapitel Rundfunksgeschichte ist, mit dem sich hätte punkten lassen. Es gibt das Stück eigentlich nicht. Den Angaben im Booklet zufolge hatte sich der Musikwissenschaftler und Journalist Kurt Homolka (1913-1988) die Musik von Alfonso und Estrella sowie anderer Schubert-Opern wie der Zauberharfe „geborgt“, um William Shakespeares „Sturm““zu vertonen. „Schuberts Partitur(en) unterwarf er dabei Umstellungen, Kürzungen, Modifikationen und schrieb vielleicht auch einige Überleitungen.“ Die Wunderinsel sei am 26. Januar 1958 im Staatstheater Stuttgart aufgeführt und Ende November vom SWR eingespielt worden. Dabei habe Wunderlich den Ferdinand gesungen. Nachaufnahmen habe es am 26. Februar des nächsten Jahres ohne Wunderlich gegeben, wobei nicht erwähnt wird, ob dabei auch Ferdinand-Szenen berührt gewesen sind. Diese seien jetzt „teilweise zum ersten Mal auf Tonträger“ zu erleben. Das ist sehr frei formuliert. In Wahrheit sind mehr als elf von jetzt ungefähr siebzehn Minuten Musik, die neugierig auf mehr machen, bereits in einer Edition von Intense Media veröffentlicht worden.

 

Die CD mit den romantischen Arien zeigt Fritz Wunderlich ganz in seinem Element. Als bade er in der Musik. Deutsches und Italienisches mischen sich. Auch sprachlich. „La Donna è mobile“, die Arie des Herzogs aus Rigoletto, singt er im Original wie ein Capri-Lied. Cavaradossis „Und es blitzten die Sterne“ aus Tosca verwechselt er mit Lehár. Er kann nicht anders. „Zu Straßburg auf der Schanz“ aus Wilhelm Kinzls Kuhreigen aber ist mit Gänsehautgarantie versehen. Fentons Arie „Horch die Lerche singt im Hain“ aus den Lustigen Weibern von Windsor entstand 1959 und damit vier Jahre vor der Gesamtaufnahme. Sie ist ausschweifender und freier angelegt, weil sie sich nicht in die Dramaturgie der kompletten Oper einfügen muss. Gemeinsam mit Kurt Böhme gibt es „Mein Sohn, sei Allahs Friede hier auf Erden aus“ dem Barbier von Bagdad von Cornelius und „Komm mein Söhnchen auf ein Wort“ aus der Verkauften Braut von Smetana.

Mit dem Wolgalied aus Lehárs Zarewitsch beginnt das Operettenalbum. Schlag auf Schlag folgen Zugnummern aus der Spätzeit des Genres. Was musikalisch etwas dünn geraten ist, poliert Wunderlich mit dem Glanz seiner Stimme auf. Er wirkt zeitlos wie kaum ein anderer. Zugleich aber bewahren seine vielen Aufnahmen den Geist der Zeit, in der er von Erfolg zu Erfolg eilte. Wunderlich kann singen, was er will – Oper, Lied, Oratorium, Operette, Schlager – er weiß zu gefallen. Er war der so genannten leichten Muse sehr zugetan, wie dem Album Schlager aus den 50er zu entnehmen ist. In jungen Jahren spielte er in einer Band. Es scheint, als habe er dieses Genre stilistisch auch in seinen späten großen Opernpartien verankert. Die hellen, strahlende Töne, die Unverstelltheit und Aufrichtigkeit des Ausdrucks finden sich hier wie da. Wunderlich ist immer Wunderlich.

 

Tonmeister Gabriele Starke und der Ingenieur Boris Kellenbenz im Studio. „Gutes Remastering ist immer auch das Ergebnis von Erfahrung und intensiver Zusammenarbeit“, heißt es im Booklet, dem wir dieses Foto von Ernst Oder mit herzlichem Dank entnahmen. 

Original SWR Tapes remasterd: Was geschieht hinter den Kulissen, bevor ein Album in den Handel kommt? „Federführend bei der technischen Betreuung der originalen Bänder auf ihrem Weg vom Archiv über das Studio bis zum fertigen Master für die CD-Veröffentlichung sind die Tonmeister Gabriele Starke und der Ingenieur Boris Kellenbenz“, heißt es in einem Beitrag, der sich in allen Alben findet. Sie kommen auch selbst zu Wort: Die einzelnen Stücke würden je nach Notwendigkeit entrauscht, gefiltert und im Lautheitseindruck einander angepasst, Pausen nach musikalischen Gesichtspunkten dimensioniert. „Störende Geräusche wie Knacker, Knarzen, Husten und Trittschall werden mit Hilfe von speziellen elektronischen Mitteln gedämpft und entfernt.“ Nicht genug. Die Tonmeisterin prüfe anhand der Partituren der Originalvorlage die Aufnahmen. „Falls nötig, werden einzelne Töne oder sehr kurze Passagen musikalisch korrigiert.“ Schließlich arbeiteten die Experten nach „aufwendiger Recherche alle Informationen wie Komponisten, Satzbezeichnung, Künstler etc. als Metadaten in die Trackmarker“ ein. Einen entsprechenden Player vorausgesetzt, werden diese Wasserzeichen als CD-Text beim Absielen angezeigt. Fortsetzung erwünscht. Rüdiger Winter

Foto oben: Cover-Ausschnitt des Fritz-Wunderlich-Albums Musik vor Bach bei SWR Music. 

Retro mit Orgel

 

Universal legt nach: Ende 2016 erschien bereits Vol. 1 der Complete Recordings on Deutsche Grammophon von Eugen Jochum. Damals waren es die 42 CDs umfassenden Orchestral Works. Nun also Vol. 2 Opera and Choral Works, eine 38 CDs starke Box (DG 4798237). Die optische Präsentation ist gelungen, stecken die Aufnahmen doch in CD-Hüllen mit den ehemaligen Original-Covers der LPs. Das freut den traditionsbewussten Sammler. Weniger angetan ist dieser hingegen von der fortgesetzten Tilgung des Philips-Labels aus dem kollektiven Gedächtnis. Tatsächlich wurde nämlich etwa die Hälfte der Chorwerke seinerzeit nicht für die DG, sondern für Philips eingespielt. Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Hüllen, in denen die einzelnen CDs stecken, zumindest noch die originale Philips-Herkunft vermerken. Auf der Box selbst ist hiervon aber nicht die Rede.

Die Einspielungen entstanden im Zeitraum von 1952 und 1976, decken also gleichsam ein Vierteljahrhundert ab. Exakt die halbe Box, also 19 CDs, sind geistlichen Chorwerken gewidmet. Den bei weitem größten Anteil machen dabei die Kompositionen von Bach aus, von dem vier Werke enthalten sind: Neben den beiden Passionen sind dies die h-Moll-Messe und das Weihnachtsoratorium. Bereits hier werden zwei der Orchester ersichtlich, denen Jochum am engsten verbunden war, nämlich das von ihm praktisch gegründete und zwischen 1949 und 1960 geleitete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und das Concertgebouw-Orchester Amsterdam, dem er von 1961 bis 1963 als Co-Chefdirigent neben Bernard Haitink vorstand. Die Matthäus– (1965) und Johannes-Passion (1967) wurden in Amsterdam, die Hohe Messe (1957) und das Weihnachtsoratorium (1972) in München aufgezeichnet. Anders als der breite Zeitraum erwarten lässt, ist die Klangqualität auch bereits in den frühen Stereoaufnahmen der Box erstaunlich gelungen. Jochums Bach-Stil galt schon in den 60er Jahren als angejahrt, nicht nur im Vergleich mit Nikolaus Harnoncourt, der seinerzeit erste Erfolge feierte, sondern gerade auch mit Karl Richter. Anders als bei diesem fehlen bei Jochum die Ecken und Kanten, auch wenn sich die Einspielungen grundsätzlich auf hohem Niveau bewegen und hervorragende Solisten aufzuweisen haben, darunter Lois Marshall, Hertha Töpper, Marga Höffgen, Peter Pears, Ernst Haefliger, Kim Borg und Walter Berry, um nur einige zu nennen. Am gelungensten erscheint tatsächlich das Weihnachtsoratorium, in dem Jochum ein besonders breites Zeitmaß anschlägt.

Ebenfalls für die niederländische Philips entstand 1970 zum Beethoven-Jahr die Aufnahme der Missa Solemnis. Hier nun erscheint Jochums Lesart bereits weniger auffällig, was sich bei den enthaltenen Bruckner-Werken noch fortsetzt. Was den „Unzeitgemäßen“ von St. Florian anbelangt, gilt Jochum (seit 1948 Professor) nicht zu Unrecht bis zum heutigen Tage als einer der maßgeblichsten Interpreten und war ab 1950 Präsident der deutschen Sektion der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Zu den drei Messen (entstanden zwischen 1962 und 1972 mit dem BR-Symphonieorchester) gesellen sich eine Einspielung des Psalms 150 mit den Berliner Philharmonikern (1965), zehn Motteten mit den Bayern (1966) und gar zwei Aufnahmen des Te Deum (1950 aus München und 1965 aus Berlin). Diese Chorwerke bilden eine willkommene Ergänzung zu Jochums zahllosen und zeitlosen Aufnahmen der neun Symphonien von Bruckner. Nicht zuletzt haben es auch Haydns Schöpfung und Cäcilienmesse (1966 und 1959, beide mit dem BR-Symphonieorchester) und Mozarts Requiem (1955 mit den Wiener Symphonikern) in die Kollektion geschafft. Bei letzterem hat man sich auf einer zusätzlichen CD gar für die Inkludierung der gesamten Messe im Wiener Stephansdom entschieden, was die neun Extra-Tracks erklärt. Die Mono-Aufnahme vom Dezember 1955, kurz vor dem 200. Geburtstag Mozarts, hat freilich mittlerweile eher eine historische Bedeutung, als dass sie heute angesichts zahlreicher besser klingender Alternativen künstlerisch noch tonangebend wäre.

Schließlich wird bei den Chorwerken auch dem Rang Jochums als berühmter Orff-Dirigent genüge getan. Neben den Carmina Burana und den Catulli Carmina, die jeweils zweifach vorliegen (aus den 50er Jahren in Mono und von 1967 bzw. 1970 in Stereo), ist das Trionfo di Afrodite berücksichtigt (1955). In den frühen Aufnahmen bediente sich Jochum seines Klangkörpers aus München, während er für die späteren (etwas ungewöhnlich) auf das Orchester der Deutschen Oper Berlin zurückgriff, was indes als Volltreffer bezeichnet werden muss. Besonders die Neuauflage der Carmina Burana zählt nicht ohne Grund nach wie vor zu den Referenzaufnahmen und liegt seit langem in der DG-Serie „The Originals“ vor. Besetzungstechnisch ist diese Einspielung mit Gundula Janowitz, Gerhard Stolze und Dietrich Fischer-Dieskau auch schwer zu toppen und wurde seinerzeit von Carl Orff selbst autorisiert.

Den zweiten großen Themenblock der Box bilden die Operneinspielungen. Am berühmtesten ist darunter vermutlich Jochums 1962er Aufnahme von Mozarts Cosí fan tutte, die vielfach als die herausragendste Interpretation dieses lange verkannten und noch immer etwas im Schatten stehenden Werkes betrachtet wird. Ein exzellentes Solistenensemble (darunter Irmgard Seefried, Erika Köth, Ernst Haefliger, Hermann Prey und Dietrich Fischer-Dieskau) und die hier besonders gut aufgelegten Berliner Philharmoniker tragen auch nach einem halben Jahrhundert nachhaltig zu diesem Eindruck bei. Ein weiteres Beispiel für den großen Mozart-Interpreten Jochum beinhaltet die Neuerscheinung mit seiner Entführung aus dem Serail. 1965 in München eingespielt, sticht unter den Sängern besonders der legendäre Fritz Wunderlich heraus. Gleichwohl ist die Konkurrenz hier größer, auch wenn diese Aufnahme gut neben den berühmten Aufnahmen von Ferenc Fricsay, Sir Thomas Beecham, Josef Krips und Karl Böhm bestehen kann. Einen Trumpf hat Jochum abermals mit Wunderlichs Belmonte auszuspielen, aber auch Kurt Böhme ist als Osmin voll in seinem Element. Dagegen ist verschmerzbar, dass die weibliche Besetzung (Erika Köth und Lotte Schädle) dieses höchste Niveau nicht ganz erreicht. Dafür konnte mit Rolf Boysen ein luxuriöser Bassa Selim verpflichtet werden.

An der Ausstattung der Box wurde nicht gespart. Die CDs stecken in Hüllen, auf denen die originalen Cover der ersten Ausgaben auf Schallplatte abgebildet sind.

Ein treffliches Beispiel dafür, dass das Bessere des Guten Feind ist, liefert Jochums 1959 mit den Bayern entstandene Gesamtaufnahme von Webers Freischütz. Gleichsam seit Ersterscheinung steht diese im Schatten der kurz zuvor für EMI eingespielten Aufnahme von Joseph Keilberth, obwohl Jochum gerade bei den männlichen Solisten auf erstklassige Kräfte zurückgreifen kann, unter denen besonders wiederum Kurt Böhme sowie Eberhard Waechter zu nennen sind. Mit dem bekannten Schauspieler Ernst Ginsberg stand ihm zudem ein besonders dämonischer Samiel zur Verfügung. Da aber die weiblichen Interpretinnen (Irmgard Seefried nicht ganz auf der Höhe) etwas abfallen, läuft diese Aufnahme bis heute eher unter ferner liefen. Der letzte auf dieser Box vertretene Bereich betriff die Opern von Richard Wagner. Tatsächlich gibt es hier die größte Überraschung der gesamten Kollektion: Der 1952 mit dem Symphonieorchester des BR eingespielte, heute fast vergessene Lohengrin, der nunmehr endlich seine CD-Erstveröffentlichung erfährt. Das legendäre Münchner Ensemble wurde hier festgehalten: Neben dem sträflich vernachlässigten Lorenz Fehenberger in der Titelrolle wirken Annelies Kupper, Helena Braun, Ferdinand Frantz, Otto von Rohr und Hans Braun mit. Die Aufnahme, die in den 50er Jahren zeitweilig wohl durchaus als Standardempfehlung gelten konnte, wurde Opfer der fortschreitenden Tontechnik. Bereits wenige Jahre nach ihrer Fertigstellung wurde sie von der Stereophonie überholt. Spätestens in den 60er Jahren machten sie die neuen Aufnahmen von Rudolf Kempe, Wolfgang Sawallisch und Erich Leinsdorf gewissermaßen obsolet. Zu Unrecht. Dass Eugen Jochum nämlich ein großartiger Wagner-Exeget war, ist Bayreuth-Kennern seit langem geläufig. Zwischen 1953 und 1973 (wenn auch mit einer großen Lücke zwischen 1954 und 1971) verantwortete er Anfang der 50er zunächst die Produktionen von Tristan, Lohengrin und einmalig Tannhäuser sowie Anfang der 70er auch Parsifal, der damals noch in der legendären Inszenierung von Wieland Wagner lief.

Die späteste hier inkludierte Einspielung ist die Meistersinger-Aufnahme von 1976, die heute wohl breitenwirksamste Wagner-Einspielung Jochums und besser als ihr Ruf. Sie gilt seither gleichwohl nämlich eher als Geheimtipp, ist ihre Besetzung doch etwas uneinheitlich geraten. Plácido Domingos Walther überzeugt zwar stimmlich, doch ist seine deutsche Diktion (wieder einmal) mangelhaft. Dietrich Fischer-Dieskau gibt einen Nationalpoeten erster Güte und bietet die Monologe beinahe kunstliedhaft dar. Dumm nur, dass Hans Sachs eben auch Schuster ist. Die restliche Besetzung ist an und für sich sehr adäquat (Catarina Ligendza, Christa Ludwig, Horst Laubenthal, Peter Lagger und Roland Hermann). Als wirklich ausgezeichnet muss das Dirigat gelten. Zuletzt ist eine als „Erzähltes Leben“ betitelte Bonus-CD (1962) beigegeben, welche die Box beschließt und abrundet. Hier berichtet der im barock-süddeutschen Katholizismus aufgewachsene und stets bescheiden gebliebene Jochum aus seinem Leben. Vor diesem Hintergrund ist auch seine innige Hinwendung zur Kirchenmusik und zur Sinfonik Bruckners zu verstehen. Zudem wird die große musikalische Bandbreite Jochums deutlich, die von der Alten Musik über Mozart und Wagner bis zur zeitgenössischen Musik ging. Zuletzt erleben wir den Organisten Eugen Jochum mit einem Arrangement von „Ganz Paris träumt von der Liebe“ von Cole Porter.

Als insgesamt runde Sache kann dieses Vol. 2 also durchaus gelten, vereint es doch das künstlerische Schaffen des Dirigenten Eugen Jochum im Vokalbereich auf kompaktem Raum und in ansprechender Darbietung. Daniel Hauser

Das große Bild oben ist ein eingefärbter Ausschnitt des Fotos auf der Box. Es stammt von Werner Neumeister. 

„Der selige Augenblick“

 

Es klingt wie eine Botschaft aus einer versunkenen Zeit. „Mi batte il cor … O Paradiso!“ Vor allem dann, wenn Caruso den Vasco da Gama in Meyerbeers Oper L’Africaine singt. Die Arie ist die Erkennungsmelodie einer Fernsehserie, in der Regisseur und Produzent Jan Schmidt-Garre den Erinnerungen an legendäre Tenöre der Schellackzeit (Belcanto – The Tenors of the 78 Era)  nachspürt: Neben Enrico Caruso sind das John McCormack, Leo Slezak, Tito Schipa, Richard Tauber, Lauritz Melchior, Beniamino Gigli, Georges Thill, Helge Rosvaenge, Ivan Kozlovsky, Joseph Schmidt und Jussi Björling. Jedem Sänger ist eine Folge gewidmet, die bis auf zwei Ausnahmen mit der Vasco-Arie in der Interpretation des jeweiligen Tenors beginnt – ob nun auf Italienisch, Französisch oder auf Deutsch.

Eine zusätzliche Folge, nämlich die dreizehnte, ist als „Dialogue with Eternity“ angelegt. Das passt. Jürgen Kesting findet passende Worte: „Wenn ein Sänger einen hohen Ton oder schönen Ton lange hält, vergess’ ich die Zeit, vergesse sogar, dass er vielleicht eine Spur über den Rhythmus hinausgeht. Der selige Augenblick ist da. Wenn ich das auf der Schallplatte zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal höre, wird aus dem Affekt ein Effekt.“ Der Stimmenexperte und Kritiker, der ein mehrbändiges Werk über Sänger verfasst hat, kommt in allen Folgen zu Wort – erklärt, deutet, doziert, ordnet ein, wägt ab, spielt vor und genießt selbst. Er weiß, wovon er redet und ist ganz in seinem Element. Sein leiser und vornehmer Enthusiasmus ist ansteckend. Mit seinem Wissen und seiner distinguierten Art des Vortrags, hat er beträchtlichen Anteil am Gehalt und an der Wirkung dieser über weite Strecken sehr sinnlichen Dokumentation, in der auch viele andere internationale Experten und Zeitzeugen zu Wort kommen. Mitunter auf rührende Weise und in skurrilen Gesprächskreisen. Doch keine Angst, die Filme schwelgen nicht in der guten alten Zeit. Und sollte auch so nicht verstandnen werden. Als wesentlich empfand ich, dass dem Sinn und den Möglichkeiten des Singens nachgespürt wird, auch im jeweiligen historischen Kontext. Was gesagt wird, wird mit vielen Ton- und Filmausschnitten belegt, wenigsten aber begründet. Wer also wissen will, wozu die menschliche Stimme an Technik und Ausdruck fähig ist, wird es am Ende erfahren haben. Nach der Erstsendung – inzwischen gab es etliche Wiederholungen – kamen die dreizehn Teile mit jeweils einer halben Stunde Länge in zwei Boxen erstmals bei medici arts auf DVD heraus und dürften Eingang in viele Sammlungen gefunden haben.

Nun greift Naxos die Dokumentation wieder auf (2.110389-91). Mit deutlich erweitertem Umfang. Ein kräftiger Anreiz muss schon sein, um die Serie erneut unter die Leute bringen zu wollen. Im äußeren Erscheinungsbild kommt dies allerdings nicht zur Geltung. Der Mehrwert der Box hätte stärker betont werden müssen. Es spricht einiges dafür, die alte Ausgabe durch eine Neuanschaffung zu ersetzen. Warum? Den originalen Teilen ist jetzt ein Album mit den behandelten Arien beigelegt, das es bisher nur gesondert gab. Darauf auch die Arie mit Caruso. Seine Spielzeit beträgt 154 Minuten. Zudem werden Filmausschnitte, die in die Dokumentation eingegangen sind, nochmals gesondert auf einer DVD zusammengefasst. Auf einer weiteren DVD, die als Bonus ausgewiesen ist, sind der Italiener Tito Schipa, die Österreicher Joseph Schmidt und Richard Tauber sowie der Russe Ivan Kozlovsky zu sehen und zu hören. Schipa singt in Kostüm und Kulisse unter anderen den Lyonel im Flotows Martha, Schmidt ist in zwei seiner Filme – „Wenn du jung bist gehört dir die Welt“ und „Ein Stern fällt vom Himmel“ zu sehen. Und Tauber begleitet sich selbst am Klavier mit einer eigenen Komposition und bei dem Lied „Once There Lived a Lady Fair“ von George H. Clutsam. Stalinistisch gefärbte Zeitgeschichte flammt auf, wenn Kozlovsky vor Bergarbeitern einer Zeche unter dem Bild des Diktators seinem verschwenderischen Tenor freien Lauf lässt. Stalin schätze seine Stimme und soll ihm Gastspiele im Westen aus Sorge verwehrt haben, er könne nicht in die Sowjetunion zurückkehren.

Das Buch „Die Krise der Gesangskunst“ von Wolf Rosenberg ist bei C. Braun, Karlsruhe erschienen und längst vergriffen. In der neuen Box wird ein Artikel in englischer Übersetzung abgedruckt.

Ein Heft mit diversen Essays rundet das Angebot ab. Darunter befindet sich in englischer Übersetzung auch der Text des Buches „Die Krise der Gesangskunst“ von Wolf Rosenberg, das seit vielen Jahren vergriffen ist und antiquarisch hoch gehandelt wird. Rosenbergs kritischer Befund endet zwar schon im Jahr 1968, seine hohen Ansprüche aber wirken fort. Im deutschen Original heisst es:  „Das Extrem, auf das in der letzten Zeit hingesteuert wird, ist ein Kult mit Stimmen, wie er nie zuvor möglich war. Die Forderungen gehen allein ans Material; man spricht nur noch von der Kehle, vom Gold, Silber, Metall oder was sonst in ihr stecken möge, nicht aber vom Blei auf der Zunge, das undeutliche Deklamation, Schwere und Unreinheit des Ansatzes sopwie Mangel an Geläufigkeit zur Folge hat; nicht vom Holz in der Linienführung, wo solche überhaupt noch angestrebt wird, und nicht von den übrigen Metaphern, mit denen man bereits zur Konvention gewordene Unarten belegen könnte.“ All dies habe dazu geführt, dass der „Unterschied zwischen einem Stimmbesitzer und einem Sänger weiterhin unbekannt“ sei, dass „jeder italienische fortissimo-Tenor, gleich ob er singen kann oder nicht, ein zweiter Caruso genannt wird“. Rüdiger Winter

Das Foto oben aus dem Booklet der dreizehnteiligen Dokumentation „The Tenors of the 78 Era“ zeigt Beniamino Gigli als Herzog in Verdis Oper Rigoletto. Dem italienischen Sänger ist eine Folge gewidmet. 

Romantik kompakt

 

Das dürfte nicht so häufig vorkommen. In seiner neuesten Liedersammlung The Schubert Album bei Capriccio (C5331) widmet der Bariton Paul Amin Edelmann ein Lied dem Andenken an seine Mutter. Isle-Maria Edelmann, geboren 1931, gestorben 2015, war die Frau des in aller Welt gefeierten Heldenbaritons Otto Edelmann. Beider Sohn ist Paul Armin, der auch noch einen ebenfalls singenden Bruder Peter hat. Seine Eltern hätten ihm später erzählt, dass er zuerst gesungen habe und dann erst zu reden begann – „also ich glaube, die Leidenschaft für Musik war bei mir schon in den Genen“, schreibt Paul Armin Edelmann auf seiner Homepage. Und so schlugen meine Eltern vor, dass ich für die Wiener Sängerknaben vorsingen sollte. Ich bestand die Aufnahmeprüfung und war dann für vier Jahre lang mit dem Chor weltweit unterwegs, was natürlich meine musikalische Ausbildung sehr geprägt hat.“ Es vergehe kein Tag, an dem er nicht darauf besinne, was sein Vater ihm vorgelebt habe. Die Erinnerung an die Mutter verbindet der 1968 geborene Säger mit dem Lied „Im Frühling“. Es ist eines der späten Lieder Schuberts, 1826 und damit zwei Jahre vor dem Tod entstanden. Edelmann singt es in sich gekehrt. Für seine Verhältnisse klingt es verhalten und zurückgenommen. Fast schon leise. Insgesamt aber geht er die meisten Lieder des Albums etwas zu groß und zu mächtig an und wird dabei auch von seinem Pianisten Charles Spencer, einem sehr berühmten und erfahrenen Begleiter, nach Kräften unterstützt. Für den hochdramatischen „Prometheus“ passt das gut. „Auf der Bruck“ aber – um ein weiteres Beispiel zu nennen – könnte federnder beginnen. Dann blieben für die Steigerungen auch mehr stimmliche Reserven übrig. Edelmann verausgabt sich oft zu schnell. Als würde das Temperament mit ihm durchgehen. Ungeachtet der schönen Idee, ein Lied der eigenen Mutter zu widmen, erscheint die Programmauswahl inkonsequent. Ich sehe keinen rechten Zusammenhang und frage mich, ob es sinnvoll ist, auch Lieder aus der Schönen Müllerin („Halt“ und „Der Neugierige“) und aus der Winterreise („Der Leiermann“) aufzunehmen. Vor allem dem „Leiermann“, mit dem die Winterreise auf so erschütternde wie rätselhafte Weise schließt, wird in dieser Vereinzelung jene Wirkung genommen, die sich nur aus dem Zyklus selbst ergibt.

 

Konzeptionell schlüssiger ist die Robert Schumann gewidmete CD angelegt, die ebenfalls bei Capriccio herausgekommen ist (C5172). Wieder begleitet Charles Spencer. Sie enthält die Lieder auf zwölf Gedichte von Justinus Kerner Op. 35, die sechs Vertonungen von Nikolaus Lenau, einschließlich das „Requiem“, das Schumann nach neuesten Forschungen nicht auf die – wie es im Booklet heißt – „anonyme Übersetzung eines alten Lateinischen Gedichts von Heloise und Abelard“ komponierte sondern im Werk des Schriftstellers, Übersetzers und Notars Lebrecht Dreves fand. Diese Gruppe trägt die Bezeichnung Op. 90. Dazwischen sind die Lieder „Es leuchtet meine Liebe“, „Mein Wagen rollet langsam“ und „Belsazar“, allesamt von Heinrich Heine gedichtet, gruppiert. Wenngleich die Ballade „Belsazar“ in dieser Aufnahme nicht ganz fünf Minuten beansprucht, gilt sie als die umfangreichste Liedkomposition Schumanns. Edelmann trägt sie ganz vorzüglich und spannungsreich vor. Sie hätte noch viel länger dauern können. Er ist auch diesmal sehr gut zu verstehen. Mir scheint, dass ihm das erzählerische Element, wie es Balladen eigen ist, mehr liegt als malerische Lyrik. Sein robuster Bariton kommt dabei besser zur Geltung. Nach Schubert und Schumann nun Johannes Brahms.

 

In einer Box bietet Capriccio auf drei CDs Die schöne Magelone an (C5225). Warum so umfangreich? Zunächst sind die fünfzehn Lieder so, wie sie der Komponist als Zyklus verstanden wissen wollte, separat zu hören. Zum anderen werden die selben Aufnahmen in verbindende und – was viel wichtiger ist – erklärenden Prosatexte aus der „Wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence“, die Ludwig Tieck nach einem alten Volksbuch neu erzählt hat, eingebunden. Brahms wollte diese Verknüpfung nicht und lehnte einen entsprechenden Vorschlag seines weitblickenden Verlegers ab. Für ihn sollten die Lieder, die er Romanzen nannte, für sich stehen. Er war seit frühester Jugend mit dem Werk Tiecks vertraut. Brahms irrte, indem er seine eigene literarische Bildung auch beim Publikum voraussetze. Wer die Prosatexte von Tieck nicht im Gedächtnis mit sich trägt, kann den Romanzen nicht in dem Maße folgen, wie es notwendig ist. Sie nehmen immer wieder direkten Bezug zum Ganzen. Deshalb wurde bei Einspielungen und im Konzert gern die Mischform gewählt. Dietrich Fischer-Dieskau und Brigitte Fassbaender – um zwei Interpreten zu nennen – haben sogar gesungen und gesprochen. Bei Paul Armin Edelmann tritt die österreichische Schauspielerin Julia Stemberger als Erzählerin in Erscheinung. Sie versieht die Erzählungen mit einem geheimnisvollen Hauch, was sehr passend ist für diese romantischen Dichtungen. Es macht Spaß, ihr zuzuhören. Edelmann bewegt sich mit seinem Vortrag auch in diesem Duktus. Eines geht über ins andere. Und es ist überhaupt nicht zu spüren, dass die Sprechtexte mit zwei Jahren Abstand gesondert produziert wurden. Capriccio ist eine empfehlenswerte Edition gelungen. Rüdiger Winter

Werner Hollweg

 

Dem Tenor Werner Hollweg bin ich 1985 zum ersten Mal begegnet. Leider nicht persönlich, sondern im Fernsehen. Ich traue es mir kaum einzugestehen. Es war in der Sendung „Zum Blauen Bock“. Junge Leute sahen so etwas eigentlich nicht. Es war eher eine Sendung für die Großmütter. Im Nachhinein erwies es sich als Glück, dass ich mich in diese Show verirrte. Hätte ich es nicht, wäre mir die frühe Bekanntschaft mit diesem Tenor womöglich entgangen. Er sang das neapolitanische Lied „Santa Lucia“ und hatte seinen zehnjährigen Sohn Titus mitgebracht, der sich gerade bei den Wiener Sängerknaben auf die erste große Tournee vorbereitete und ganz selbstverständlich in das Lied mit einstimmt. Auf die Frage des Moderators, ob der Junge vom Vater zum Singen angehalten worden sei, entgegnete dieser: „Er hat leider von selbst angefangen. Es war nicht zu verhindern.“ Inzwischen ist Titus Hollweg ein erfolgreicher Regisseur und Musikmanager. Tochter Illia hat vor einiger Zeit am Wiener Raimund-Theater im Musical Mozart den kleinen Wolferl dargestellt, der nur dem Komponisten erscheint als eine Art Alter Ego. Musik als Erbmasse. Dem Großvater hätte es gefallen.

Das aktuellste Werner-Hollweg-Dokument ist Mozarts „La clemenza di Tito“ von den Salzburger Festspielen 1977 bei Orfeo. Der Tenor singt die Titelpartie.

Mozart also. Um sein Werk kreist die Karriere von Werner Hollweg, obwohl er nicht auf diesen Komponisten festzulegen ist. Es dürfte kein Zufall sein, dass er seinen Sohn Titus nannte und der wiederum seine Tochter nach einer Figur aus der Oper IdomeneoOrfeo hat jetzt La clemenza di Tito von den Salzburger Festspielen 1977 herausgebracht (C938 1721). Hollweg singt die Titelrolle. Jean-Pierre Ponnelle inszenierte die letzte Oper Mozarts prachtvoll in der Felsenreitschule. Nach 1949 war es erst die zweite Aufführungsserie in der Geburtsstadt Mozarts. Diesmal im Original unter der Leitung von James Levine, der mit den Wiener Philharmonikern einen üppigen, fast schon wuchtigen Klang pflegte. Nicht zuletzt durch diese mustergültige Produktion, an der Hollweg neben der leidenschaftlichen Tatiana Troyanos als Sesto entscheidenden Anteil hatte, behauptete sich das Werk endlich wieder im Repertoire. Die Vitellia sang die im November 2017 gestorbene Carol Neblett mit reifem Ton und etwas verhuschten Koloraturen. Insofern ist die Neuerscheinung auch eine Erinnerung an diese amerikanische Sopranistin. Im Booklet wird der Musikkritiker Gottfried Kraus mit den Worten zitiert: „Werner Hollweg ist noch überzeugender geworden, in der Darstellung wie in der stimmlichen Leistung, die mir an Glanz noch gewonnen zu haben scheint und mit den bedeutenden Ansprüchen der Partie souverän fertig wird.“ Mit dem schönen Wort Glanz ist die Ausstrahlung des Tenors trefflich beschrieben. Er blieb immer in seinem Rahmen und bei seinen Möglichkeiten. Die waren groß genug, um nicht nach Heldenpartien schielen zu müssen. Er war der lyrische Held mit der strahlenden Höhe.

 

In meinem Regal ist der CD-Stapel mit Hollweg-Aufnahmen beträchtlich angewachsen. Die Sammlung spiegelt seine enorme Vielseitigkeit wider. Und sie macht auch die selbst gezogenen Grenzen deutlich, die keine Grenzen im Sinne von Beschränkung sind, sondern Markierungen, um das eigene künstlerische Terrain abzustecken. Ein Terrain, in dem er sich sicher und kompetent fühlte. Wo fast alles gelang. Ich kenne nichts, was völlig misslungen wäre. Darauf kam es ihm an. Ich glaube nicht, dass er eitel gewesen ist. Eine seiner herausragenden Eigenschaften dürfte Verantwortung gewesen sein, Musik so zum Klingen zu bringen, wie er es sich vorstellte. Oper, Operette, Oratorium, Lied, auch Melodien von der leichten Sorte wie „Plaisir d’amour“. Sämtliche Genres sind vertreten. Mit Mitridate (Philips), mehrfach Idomeneo (Teldec und Philips) und Tito (Mondo musica, Music & Arts, nun neu bei Orfeo), La finta giardiniera (Philips), Zaide (Orfeo), Figaro (EMI), Zauberflöte (Myto/RAI) sowie diversen Chorwerken nimmt Mozart folgerichtig auch bei den Tonträgern die erste Position ein. Beim österreichischen Rundfunk ORF wurde sogar ein halbszenischer großer Querschnitt durch die Zauberflöte produziert. Von der italienischen RAI, wo Hollweg oft engagiert war, hat sich schließlich der Ubaldo in Haydns Armida, der Oberon in der gleichnamigen Oper Webers (beides Ponto), der Pylade im Glucks Iphigénie en Tauride (Bella Voce) sowie als Film der Marchese della Conchiglia in Piccinis La buona figliuola erhalten. Bei der RCA gibt es Don Gaston Viratos in den Drei Pintos von Weber/Mahler, bei Schwann den Don Eugenio im Wolfs Corregidor, bei Warner Fonit den Argirio in Rossinis Tancredi und bei Gala den Flotowschen Alessandro Stradella als Konzertmitschnitt aus München. Sammler müssen erfinderisch sein, Geduld und Ausdauer aufbringen, um der begehrten Dokumente bei den verschiedensten Anbietern oder aus zweiter Hand habhaft zu werden. Das Internet hilft dabei.

Werner Hollweg: Ausschnitte mit Werken von Mozart und Händel bei Teldec/flickriver

Dort – nämlich im Wikipedia-Eintrag zu Werner Hollweg – findet sich auch ein Interview, welches Klaus Neumann für den Bayerischen Rundfunk mit dem Sänger führte. Es entstand 2006, im Jahr vor seinem Tod. Hollweg starb an der Nervenkrankheit ALS. Er sprach ganz offen darüber. Als wollte er anderen Betroffenen Mut und Zuversicht geben. Das Interview hat mich sehr bewegt. Wie in einem Kondensat finden sich darin Stationen seines Lebens, künstlerische Positionen und sehr persönliche Ansichten zusammengefasst. Aufschlussreich sind die authentischen Schilderungen der ersten Begegnung mit Herbert von Karajan in ihrer Mischung aus Zitaten und direkter Rede. Wer das liest und zwischendurch diese und jene CD auflegt, kommt Hollweg sehr nahe. Menschlich wie künstlerisch. Hollweg hatte dem Dirigenten Ottavios „Il mio tesoro“ aus Don Giovanni„bis zu besagter Koloratur“ etwa auf der Mitte der Arie vorgesungen. Karajan unterbrach und wollte es noch einmal hören, diesmal „ein bisschen weicher“. Gesagt, getan. „Ich hatte das ein bisschen heldisch angelegt“, sagt Hollweg und bringt damit eine grundsätzliche Eigenart seiner Stimme auf den Punkt. Ein bisschen heldisch! Ja, so ist es oft zu hören bei ihm. Der Maestro aber wollte es anders haben, war damit außerordentlich zufrieden und kürte Hollweg zu seinem nächsten Rodolfo in der Salzburger Bohéme. Der lehnte ab: „Herr von Karajan, ich kenne ein paar italienische Tenöre, die das viel besser können als ich… Mein hohes C ist einfach kein italienisches hohes C.“ Karajan gab nicht auf und schlug Così fan tutte vor. „Da habe ich dann aber auch so geschaut…“ Was denn jetzt wieder falsch sei, soll Karajan gefragt haben. Hollweg: „Ich würde das ja sofort machen, aber ich habe Così noch nie gesungen und ich möchte das nicht auf einem Festival wie Salzburg ausprobieren… Wenn ich mit Ihrer Hilfe eine Bühne finde, auf der ich das vorher zehn Mal singen kann, dann mache ich das sofort!“ Dem Vernehmen nach soll der Agent von Hollweg mit dem Ausruf „Um Gottes Willen“ auf seinem Stuhl zusammengesunken sein. Karajan hingegen habe dann gesagt: „Gut, wie steht es mit der 9. Sinfonie?“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Ja!“ Und Missa Solemnis? „Ja! Sie brauchen aber gar nicht weiter zu fragen. Es gibt nur zwei Stücke, die ich nicht machen möchte, nämlich das Verdi-Requiem und die Glagolitische Messe.“ Karajan dazu nur: „Das Verdi-Requiem ist mir klar, aber warum nicht die Glagolitische?“ Hollweg: „Das ist ein Brüllstück, das will ich einfach nicht singen!“ Woraufhin Karajan endlich zum Schluss kam: „O.k., gut, wir hören voneinander!“ Dann ging er zu Egon Seefehlner, der damals der Intendant der Berliner Oper war, und sagte zu ihm: „Geben Sie diesem jungen Mann sofort einen Vertrag, sonst ist er weg!“

Tatsächlich war das Opernhaus im Westen der damals noch geteilten Stadt eine der wichtigsten Stationen für den aufstrebenden Sänger, gefolgt von Hamburg, München und Wien. Eigentlich hatte der am 13. September 1936 in Solingen geborene Hollweg Pianist werden wollen. Durchkreuzt wurden die Pläne von den Folgen einer Handverletzung. Sein Lehrer war Frederik Husler, der auch entsprechende Fachbücher herausgegeben hat. Sein Debüt gab er 1962 an der Wiener Kammeroper. Nächste Stationen waren Bonn, Gelsenkirchen und Düsseldorf. Richard Wagner ist im künstlerischen Leben von Werner Hollweg nur eine Randerscheinung geblieben. Dabei hätte ich ihn mir sehr gut als Erik, Stolzing, ja selbst als Lohengrin vorstellen können. Material für diese Partien stand ihm ohne Zweifel in reichem Maße zur Verfügung, obwohl er das anders sah. Dennoch klingt der Mitschnitt eines Konzerts 1974 in seiner Geburtsstadt Solingen verheißungsvoll. Er sang das Steuermann-Lied aus dem Fliegenden Holländer und die Arie des Max aus dem Freischütz. Nicht nur ein bisschen heldisch wie den Ottavio vor Karajan. Es sollte eine Episode bleiben. „Ich bin eben auch immer ein Sänger der leisen Töne gewesen“, sagte er an anderer Stelle des bereits erwähnten Interviews. Deshalb habe er sich immer „vor Wagner gehütet“. Eine Ausnahme war der um sein betörendes Solo im Sängerkrieg beraubte Walther von der Vogelweide in der so genannten Pariser Fassung des Tannhäuser unter Georg Solti (Decca), die eigentlich Wiener Version heißen müsste. In dieser Form ist die Rolle nur noch eine Ensemblepartie. Hollweg gibt ihr dennoch so viel Profil, dass er mit unverwechselbarem Ton genau herauszuhören ist. Ganz gleich, wie umfangreich sich eine Aufgabe darstellte, er unterschied nicht, sondern nahm sie mit vollem Einsatz und Leidenschaft an. In Sammlerkreisen kursiert neuerdings die Tonspur der TV-Fassung von Dvoráks Rusalka des Bayerischen Rundfunks von 1977. Wie war die Enttäuschung groß, dass Hollweg nicht den Prinzen, sondern nur den Jäger sang. Ich weiß nicht, wie es zu dieser Verpflichtung kam. Auf denen Fall spricht es für seine Professionalität, sich auf dem Höhepunkt der Karriere nicht zu schade für eine Wurzen gewesen zu sein.

Werner Hollweg gehört für mich zu denjenigen Sängern, die ich letztlich nicht mit einem bestimmten Genre verbinde. Hauptsache, er singt. Das darf auch Operette sein. Gleich mehrere Aufnahmen profitieren von seiner prominenten Mitwirkung. Karajan holte ihn als Camille de Rosillon in der Lustigen Witwe (Deutsche Grammophon) und Harnoncourt als Eisenstein in der Fledermaus (Teldec). Liegt der Querschnitt durch den Zarewitsch (Philips) auf, kann ich mich nicht satt hören und zögere nicht, das melancholische Wolgalied, das Hollweg mit einer gehörigen Prise Selbstmitleid versieht, als seine beste Aufnahme zu küren. In Videoaufnahmen des ORF, die bei am@do veröffentlicht worden sind, verbreitete er den sprichwörtlichen Wiener Charme in vollen Zügen.

Die Oper „Karl V.“ von Ernst Krenek ist ein bemerkenswertes Dokument in der umfangreichen Diskographie von Werner Hollweg. Sie veranschaulicht seinen Einsatz für die Moderne. Aufgenommen wurde das Werk erstmals in der Originalfassung von 1938 im Jahre 2000 in Bonn mit dem Orchester der Beethovenhalle und dem Tschechischen Philharmonischen Chor aus Brno unter der Leitung von Marc Soustrot. Anlass war der hundertste Geburtstag des Komponisten. Erschienen ist die vorzüglich klingende Aufnahme bei Musikproduktion Dabringhaus und Grimm (MDGF 337 1082-2). Sie ist gut editiert und enthält den kompletten Text in Deutsch und Englisch. Hollweg wirkt als Francisco Borgia mit, der erst im zweiten Teil auftritt – und zwar sprechend, nicht nur für einen Moment, sondern in einer ziemlich langen Dialogszene mit dem ausschließlich als Sprechrolle angelegten Juan de Regla (Christoph Bantzer). Für einen Sänger ist das eine große Herausforderung, der sich Hollweg mit Bravour stellt. Die Titelrolle gestaltet David Pittman-Jennings, die Juana Anne Gjevang, die Eleonore Turid Karlsen. Die Produktion war mit konzertanten Aufführungen der Oper im Rahmen des Beethoven-Festivals in Bonn und Köln verbunden. R. W.

Ein gewichtiges Kapitel für sich sind im Nachlass des Tenors sind Oratorien und Chorwerke. Da kommt einiges zusammen. Der von Rafael Frühbeck de Burgos betreute Paulus von Mendelssohn Bartholdy (EMI) ist zu nennen, wie auch Schumanns Paradies und die Peri unter Carlo Maria Giulini (RAI/Arts). Nikolaus Harnoncourt hat Hollweg bei mehreren Oratorien eingesetzt, so in Jephtha und im Messiah von Händel (jeweils Teldec). Warum Karajan an dieser leuchtenden Stimme so großen Gefallen fand, ist in Haydns Jahreszeiten (EMI) nachzuhören, die auch live unter Rafael Kubelik bei Orfeo zu haben sind. Vom selben Komponisten gibt es die Schöpfung bei Decca. Beethoven ist mit mehreren Mitschnitten seiner 9. Sinfonie sowie mit der Missa solemnis präsent und Johann Sebastian Bach mit der von Karl Münchinger bei der Decca eingespielten Johannespassion. Schuberts Lazarus findet sich ebenfalls im Orfeo-Katalog. Nicht zu vergessen Mahler. „Blicket auf zum Retterblick!“ Das emphatische Solo des Doktor Marianus, welches das pompöse Finale der 8. Sinfonie einleitet, statt Hollweg wie kaum ein anderer mir der angemessenen magischen Wirkung aus. Gleich zweifach ist das Werk überliefert, einmal von 1986 unter der Leitung von Lorin Maazel aus Wien und schließlich als TV-Mitschnitt von 1988 aus dem Amsterdamer Concertgebouw mit Bernard Haitink am Pult, der auch eine der zwei Einspielungen von Mahlers Das klagenden Lied dirigiert (Philips). Die andere, erweitert um das einleitende Waldmärchen, entstand unter der Stabführung von Riccardo Chailly bei der Decca. Und wieder bringt Hollweg in beide Produktionen seinen unverwechselbaren deutschen volksliedhaften Ton ein. Es bleibt ein Rätsel der Schallplattenindustrie, warum das Oratorium Christus von Franz Liszt der CBS mit seiner großen Würde und faszinierenden Nähe zu Berlioz bisher nicht auf CD übernommen wurde.

 

Sets griffbereit liegen bei mir Balladen von der Teldec mit Roman Ortner am Klavier. Darunter „Totentanz“, „Zauberlehrling“, „Hochzeitslied“, „Erlkönig“ und „Graf Eberstein“ von Carl Loewe. Hollweg ist für mich ein idealer Interpret dieses Komponisten. Balladen geraten ihm frisch, leicht und nicht selten sehr virtuos. Er legt deren reiche musikalische Strukturen offen, indem er sie singt – nicht deklamiert. Dabei schlägt er gern ein rasantes Tempo an. Und er findet mit Sicherheit auch die ironischen Momente heraus, wie er ein genaues Gespür für das Gespenstische und Zwielichtige hat. Leider ist ein ausschließlich Loewe gewidmete Telefunken-LP bisher nicht auf CD gelangt. Gleiches gilt für zwei Langspielplatten, auf die mich der Pianist Hubert Giesen in seinen im Fischer-Verlag erschienen Lebenserinnerungen gebracht hat. 1968 begleitete er Hollweg mit Liedern von Schubert, Schumann, Wolf und Brahms bei Intercord. Dort sind auch deutsche Volklieder mit Suchtfaktor eingespielt worden, bei denen Giesen das Orchester Kurt Rehfeld solistisch verstärkt. Mir kommt es immer so vor, als ob Volkslieder eine der Quellen sind, aus der Hollweg schöpft. Der volkliedhafte Ton sollte zu seinem Markenzeichen werden. Mitunter singt er etwas unorthodox und frei. Er feilt nicht an jedem Ton bis zur Vollendung, sondern bleibt ursprünglich und natürlich. Bei Hollweg denke ich zuletzt daran, dass Singen auch harte Arbeit ist. In dem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk gab er auch diesen Satz von sich: „Ja, das Lied war für mich immer etwas sehr Bedeutendes.“ (Foto oben: Ausschnitt aus der Teldec–LP mit Ausschnitten aus Mozart- und Händel-Werken von Werner Hollweg). Rüdiger Winter

Der göttliche Antinoos

 

Die Geschichte ist filmreif. Oder auch opernreif. Wie man will. In die Literatur hat sie Einzug gehalten. Beispielsweise mit dem grandiosen Roman Mémoires d’Hadrien (in deutscher Übersetzung: Ich zähmte die Wölfin) der französischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar. Hadrian also, der Kaiser des römischen Imperiums (76 bis 138), das viel größer war als Europa, wie es sich heute darstellt, eingeschlossen die Gebiete der Türkei und Israels. Südlich nahm es den gesamten Norden des afrikanischen Kontinents ein, reichte bis weit nach Ägypten hinunter. Östlich des Bosporus, in der Provinz Bithynien, traf der damals mächtigste Mann der antiken Welt um 123 auf einen Knaben, nicht älter als zwölf, dreizehn Jahre. Der muss ihn fasziniert haben. Wie dieser Jüngling mit Namen Antinoos ins Machtzentrum Rom gelangte, ist nicht bekannt. Wurde er dort zunächst als Page ausgebildet? Fest steht, dass er zum Günstling und Begleiter Hadrians wurde, der als Reisekaiser galt und ständig in seinem riesigen Reich unterwegs war, um es zu befestigen und sein Fortbestand zu organisieren.

Auf einer dieser Reisen kam der zum jungen Mann herangewachsene Antinoos im Jahr 130 bei einer Fahrt auf dem Nil zu Tode. War es ein Unfall? Dagegen sprechen seine athletische Erscheinung und seine Sportlichkeit. Hat sich Antinoos geopfert, um bei den Göttern Lebensverlängerung oder Gesundung des alternden und kränkelnden Kaisers zu erwirken? Oder wurde er gar ermordet, weil er zuviel Einfluss gewann? Am Hofe dürfte die Beziehung des ungleichen Paares mit Argwohn verfolgt worden sein. Nach dem Tod des Antinoos verfiel Hadrian in tiefe Trauer, öffentlich und staatstragend ausgetragen. In Ägypten, nahe des Unglücksorts, wurde die Stadt Antinoopolis gegründet, deren Spuren längst verwischt sind. Astrologen wollen ein neues Sternbild entdeckt haben, das seinen Namen trägt. Verstreut über das ganze Imperium wurden Bildnisse zum Gedenken an den Toten aufgestellt. Der Antinooskult war geboren. „Neben den mehr als hundert Büsten und Statuen des Bithyniers, die sich erhalten haben“, kommen nach Angaben des Historikers Rainer Pudill „zahlreiche Münzportraits und Darstellungen auf Gegenständen der Kleinkunst, wie beispielsweise Kameen, Bronzen und auch Balsamarien“ hinzu. „Viele Bildnisse gleichen Antinoos durch Attribute dem Gott Dionysos (lat. Bacchus) sowie anderen Gottheiten an, die man mit Wiedergeburt und einem Leben nach dem Tod assoziierte.“ Nachzulesen in Pudills Buch Göttlicher Antinoos – Ein Idealbild jugendlicher Schönheit, 235 Seiten, reich bebildert, erschienen bei Battenberg (ISBN 978-3-86646-149-9). Der Autor gilt als ausgewiesener Experte des Themas. Im selben Verlag war zuvor schon sein Buch Antinoos – Münzen und Medaillons herausgekommen (ISBN 978-3-86646-113-0), das seinesgleichen sucht.

Rainer Pudill, der Autor der Bücher, ist promovierter  Chemiker. Er studierte erst nach Abschluss seines Berufslebens Alte Geschichte und Kunstgeschichte. Das Foto stammt aus seinem neuesten Buch.

Rainer Pudill hat erst nach Abschluss seines ersten Berufslebens als promovierter Chemiker und Umweltspezialist ein Studium der Alten Geschichte und Kunstgeschichte aufgenommen, das er mit dem Magistergrad abschloss. Es ist, als ob er seine Leser auf eine große Reise mitnimmt. Sie profitieren von seiner Entdeckerfreude. Sie ist ansteckend. Obwohl das Buch in Anlage und Akribie wissenschaftliche Kriterien erfüllt, will es vor allem neugierig machen und neue Sichtweisen auf den alten Gegenstand eröffnen. Mir hat es große Freude gemacht, diesem Historiker zu folgen, das eigene bescheidene Wissen einer strengen Prüfung zu unterziehen und viel dazu zu lernen. Pudill ist um Sinnlichkeit bemüht. Das ist eine der Stärken seines Buches. Deshalb wird es nie langweilig. In einem Ritt gelesen, bleibt es ein üppiges Nachschlagewerk, im Regal immer griffbereit. Es lässt sich auch gut darin blättern. Einen großen Teil der vielen Antinoos-Darstellungen hat er selbst an Ort und Stelle studiert und fotografisch erfasst. Seine Deutungen orientieren sich also am Original. Authentischer geht es nicht. Wer selbst schon vor diesem oder jenem Abbild stand, ob in Rom, Florenz, Paris, Kopenhagen, Delphi oder London, stellt schnell fest, dass der Autor sehr genau hingesehen hat. Weit davon entfernt, ein Touristenführer zu sein und sein zu wollen, sind die Ortsangaben und die Provenienz der einzelnen Fundstücke auf dem neuesten Stand. Insofern ist das Buch auch eine Art Update von Informationen, die ungeprüft und nicht selten auch äußerst vage durchs Internet geistern, wo Antinoos in Wort und Bild eine sehr große Trefferquote erzielt.

Es gibt eine vergleichsweise reiche Antinoons-Literatur. Der Autor hat sie im Anhang seines Buches aufgelistet. Ein Angebot, auf das auch Hobbyarchäologen dankbar zurückgreifen werden. Auf Seite 21 der Neuerscheinung ist Antinoos bereits nicht mehr am Leben. Pudill gibt den 24. Oktober 130 als den wahrscheinlichsten Todestag an. Er behauptet nichts. Das Buch ist keine Biographie. Nicht einmal ansatzweise. Es spürt – wie es der Untertitel verheißt – einem „Idealbild jugendlicher Schönheit“ nach. Dazu werden nicht nur die originalen Bildnisse herangezogen. Pudill hat auch die Nachwirkungen des Antinoos-Kultus bis in die Gegenwart untersucht und mit vielen Beispielen belegt. Eines der eindrucksvollsten findet sich in der Kapelle Chigi der römischen Kirche St. Maria del Popolo. Dort ist der Prophet Jonas, den ein Fisch verschluckte, auf dem Höhepunkt der Renaissance in Gestalt des Antinoos dargestellt. Blutjung und bartlos. Die Skulptur entstand um 1520 nach einer Zeichnung von Raffael. Von einer „Christianisierung“ des „kaiserlichen Lustknaben“ spricht der Historiker.

Antinoos (Tommy Wazelle) und Hadrian (Matthew Curran) in der Oper „Antinous and Hadrian“ von Clint Borzoni – hier in einer konzertanten Darbietung in New York. Das Foto ist ein Screenshot aus der im Netz veröffentlichten Szenenfolge.

Fast am Schluss des Buches kommt der Autor Rainer Pudill dann doch noch auf die Oper zu sprechen. Ja, es gibt sie also doch. Antinous and Hadrian haben der junge amerikanische Komponist Clint Borzoni und sein Librettist Edward Ficklin ihr Werk genannt. Zunächst wurde 2008 der erste Akt, ein Jahr später das um den zweiten Teil vollendete musikalische Drama als Projekt der „American Opera Composers“ im New Yorker Gershwin Hotel aufgeführt. Ein eher bescheidener und experimenteller Rahmen – und nicht die Met. Das Werk ist abendfüllend und in der Tradition der großen Oper gehalten – einschließlich Chorszenen. Es spürt dem Geheimnis nach, das sich hinter dem tragischen Ende des Günstlings des Kaisers verbirgt. Auf seiner Seite im Netz hat der Komponist Auszüge mit Klavierbegleitung zugänglich gemacht, die nachgehört werden können. Rüdiger Winter

 

Das Foto oben zeigt den Kopf einer lebensgroßen Statue des Antinoos. Sie wurde 1894 in der Nähe des Apollontempels von Delphi gefunden und zählt zu den schönsten Darstellungen des Jünglings. Zu besichtigen ist die Statue im Archäologischen Museum der antiken griechischen Stadt. Sie wird auch im Buch „Göttlicher Antinoos“ ausführlich behandelt. Foto: Winter

Wagner in China

 

Mit Siegfried nähert sich der Hongkong-Ring von Naxos der Fertigstellung: Wer kommt da herein? Ein alter Grantler mit Rauschebart und schiefem Hut, ganz so, wie ihn historische Fotografien von Wagner-Aufführungen zeigen. Er scheint dazu noch müde und erschöpft, denn „Heil dir, weiser Schmied!“ grummelt und bittet er, „Dem wegmüden Gast gönne hold des Hauses Herd!“. Matthias Goernes Wanderer, den er erstmals Anfang 2017 im konzertanten Ring in Hongkong sang, scheint bei weitem nicht so gelungen, wie man es von seinem Wotan in den vorangegangenen Ring-Teilen hörte und las, die sich mit diesem Siegfried und der Götterdämmerung im kommenden Jahr zum ersten Naxos-Ring formen werden (Siegfried 4 CD 8.660413-16). Goernes Ton ist verdunkelt, verdrückt, gaumig angedickt. Er singt ohne Autorität, eigentlich auch nicht sehr textdeutlich, mischt in das Quiz mit Mime aber auch immer schöne Passagen, auf die man bei einem so eminenten Liedsänger wartet. Da macht es ihm David Cangelosi aber nicht leicht. Der mir bislang unbekannte Amerikaner würde natürlich viel lieber den Radames oder Cavaradossi singen, auf jeden Fall etwas Italienisches, lieber Cavaradossi in, sagen wir mal, Pittsburgh als Dr. Blind in Chicago oder Goro und Spoletta an der Met, und entsprechend dreht er auf. Anfangs klingt das befremdlich. Der Klang irgendwie fingiert, nicht richtig sitzend, der Text wird auch nicht klar rübergebracht, doch dann fasziniert er immer mehr und im Zusammenwirken mit Siegfried klingt er deutlich jünger als sein Zögling, zumindest nicht älter, und macht aus den letzten Szene des ersten Aktes einen Wettstreit zweier heldischer Tenöre unterschiedlicher Gewichtung. Dabei ist Simon O’Neill kein Leichtgewicht. Live hörte ich ihn vor zehn Jahren in Straßburg, wo er mit seinem sauber und kraftvoll gesungenen Siegmund, dem festen und sicheren Ton und den lyrischen Zartheiten, eine Karriere andeutete. Wie gesagt, seine Stimme klingt bei seinem Siegfried-Debüt nicht mehr ganz frisch, wenngleich er das mühelos singt (Die Aufnahme entstand zwischen dem 6. und 25. Januar 2017, ist also nicht das Dokument eines einzigen Live-Konzerts), am Ende des zweiten Akts mit etwas metallisch hellen Tönen auftrumpft, heldischer kraftvoll den Brünnhildenfelsen erstürmt, wo er mit sehr schönen zarten und doch tragfähig Passagen die „selige Öde“ erkundet und einen gesammelten Ton für „Im Schlafe liegt eine Frau“ hat. Mit diesem Stehvermögen erinnert mich der Neuseeländer an seinen australischen Landsmann Stuart Skelton. Und nach 3 ½ Stunden hat O’Neill immer noch genug Power, um Heidi Meltons schön timbrierte, aber mit kurzer Höhe, beträchtlichem Wackler und am Rand der Überforderung singende Brünnhilde mitzureißen.

Gutes hörte man von diesem Ring. Niemand hätte vor drei Jahrzehnten geglaubt, dass das ehemalige Billig-Label jemals seinen eigenen Ring produzieren würde, dazu noch an seinem exotischen Stammsitz in Hongkong. Das ist respektabel gelungen. Doch der Preis kann angesichts der zahlreichen günstigen und billigen Veröffentlichungen ausgezeichneter älterer Aufnahmen nicht mehr das ausschlaggebende Verkaufsargument zu sein. Da scheint mir, dieser Siegfried vor allen durch die Besetzung, nicht mithalten zu können. Das Hong Kong Philharmonic Orchestra spielt ausgezeichnet, technisch ohne Fehl, sicherlich nicht mit der Bedeutungsschwere und Streicherqualität großer „Wagner-Orchester“. Der Klang lässt ebenfalls nichts zu wünschen übrig. In der 2000 Zuhörer fassenden Cultural Centre Concert Hall wird das Geschehen auf Wohnzimmer-Lautstärke und Intimität herangezoomt, und Jaap van Zweden dirigiert nicht nur das Fragespiel, als habe er alle Zeit der Welt; insgesamt benötigt er 4 Stunden 1:58 und gehört damit zu den langsamen Interpreten, was überhaupt nichts zu sagen hat, doch van Zweden verdeutlicht mehr, weist nachdrücklich auf Details hin, breitet aus, wo man sich etwas mehr Innenspannung wünscht. Während Goerne im zweiten Akt gegen Ende seiner Begegnung mit Alberich auflebt, sind Werner Van Mechelens unausgeglichener, mehrfach fast stimmlos scheinender Alberich und Falk Struckmanns bassschwacher Fafner keine Idealbesetzung. Herrischer, weniger majestätisch und triumphierend, doch auch immer noch etwas dumpf klosig klingt Goerne in der Erda-Szene, berühren kann er den Hörer nicht so leicht, das gelingt erst in den letzten Passagen des Wandrers („Kenntestes du mich, kühner Sproß“). Deborah Humble ist eine unruhige Erda, Valentina Farcas ein munter ansprechendes Waldvögelein. Rolf Fath

 

 

Kaum ein neuer Ring dürfte so viele Erwartungen geweckt haben wie dieser. Nach dem Rheingold (8.660374-75) war die Spannung groß, wie es denn weitergehen würde. Nun ist es weitergegangen. Naxos hat auch die Walküre auf den Markt gebracht (8.660394-97). Als Zusammenschnitt zweier konzertanter Aufführungen von 21. und 23. Januar 2016 in der Concert Hall des Hong Kong Cultural Center. Im selben Jahr aufgenommen – und veröffentlicht. Das ging schnell, ist kaum zu unterbieten und spricht für die Professionalität des Unternehmens. Der Vorteil besteht darin, dass das prestigeträchtige Projekt in so einem überschaubaren Rahmen im Gespräch bleibt. Für den 18. und 22. Januar sind bereits die Konzerte mit dem Siegfried angekündigt. Hält Naxos seine Arithmetik durch, dürfte die fertige Box des zweiten Tages des Ring des Nibelungen von Richard Wagner im kommenden Jahr genau um diese Zeit vorliegen. Es bleibt also spannend.

Spannend vor allem wegen Matthias Goerne, der den Wotan singt und nächstens den Wanderer. Ohne dessen Mitwirkung wäre diese  Produktion eine unter ganz vielen. Goerne drückt ihr ein Gütesigel auf. Würde Wotan nicht schon bei Wagner die Liste der mitwirkenden Personen anführen, er hätte sich diesen ersten Platz durch Leistung und Können gesichert. Für Goerne ist der Wotan ein Rollendebüt. Naxos darf sich glücklich schätzen, ihn dafür gewonnen zu haben. Er hat eine große Fan-Gemeinde, gilt als einer der vorzüglichsten Sänger der Gegenwart. Seine Domäne ist ja eher das Lied, dem er sich auch auf vielen CDs erfolgreich zugewandt hat. In Opernhäusern macht er sich rar. Auffällig ist, dass er dort vornehmlich Rollen singt, die auch Dietrich Fischer-Dieskau verkörpert hat – Papageno, Wolfram, Wozzeck, Lear und nun Wotan. Im Gegensatz zu seinem Lehrer, der es beim Rheingold beließ, hat er sich auch dem wortreichen Wotan in der Walküre gestellt. Goerne besitzt für die Rolle genug Ressourcen, mit denen er hauszuhalten versteht. Seit dem Rheingold bestand daran kein Zweifel. Seine Stimme klingt erstaunlich tief, dunkel und machtvoll, mitunter aber auch gaumig und leicht verwaschen. Als wäre Hall untergelegt. Es wird nicht klar, ob das eine Eigenart ist oder technisch gewollt.

In der Walküre kommt er an Grenzen, deren er sich bewusst sein dürfte, die er behutsam auslotet und nach meinem Eindruck nicht überschreitet. Die großen dramatischen Ausbrüche vor allem im zweiten Auszug haben Format und werden nicht herausgestoßen. Naturgemäß gelingen dem Liedsänger die getragenen Passagen am besten, in denen er die Stimme deklamatorisch anschwellen und schier endlos ausbreiten kann. Schon im Reingold hatte Goerne großen Eindruck gemacht, wenn er der versinkenden Erda in der vierten Szene zuruft: „Geheimnis-hehr / hallt mir dein Wort: / Weile, dass mehr ich wisse!“ Endlich wurde einmal wieder deutlich, dass hier etwas hallt und nichts gehalten wird. Solche betörenden Momente gibt es allenthalben auch in der Walküre. Ein Beispiel: „Lass’ ich’s verlauten / Lös’ ich dann nicht / meines Willens haltenden Haft?“ Und dann gibt es die berühmte Stelle, in der Goerne stimmlich wunderbar in sich gehen kann: „Was Keinem in Worten ich kund, / unausgesprochene / bleib’ es dann ewig: / mit mir nur rath’ ich, / red’ ich zu dir.“ Durch ihn werden die schwierigen Texte nicht nur absolut wortverständlich mitgeteilt. Sie werden auch gedeutet, ausgelotet, auf ihren Sinn hin abgeklopft. Plötzlich klingt manche Alliteration gar nicht mehr komisch, sondern wird in ihrer konkreten Situation zum einzig möglichen Ausdrucksmittel. Mitlesend wird einem klar, was es mit der komplizierten Interpunktion auf sich hat, wie Wagner mit diesen Hilfsmitteln sprachliche Nuancen herausstellen will. Goernes Wotan ist zum Mitschreiben. Er legt ihn als nachdenklich und strategisch an. Als einen, der sich nichts vormacht, der weiß, was auf ihn zukommt. In diesem sehr gut durchdachten Porträt verknüpft der Sänger seine stimmlichen mit den intellektuellen Leistungen. Der dynamische Unterbau der großen Erzählungen wirkt zusätzlich Langeweile und Ermüdung entgegen!

Ob er den Wotan jemals in einer Theater-Inszenierung singt, wird sich zeigen. Ich kann es mir nicht vorstellen. Naxos hat kurze Sequenzen aus Hong Kong auf YouTube ins Netz gestellt. Goerne agiert in Wotans Abschied und Feuerzauber vergleichsweise temperamentvoll, die Noten vor sich. So, als dirigiere er sich selbst. Die sachliche Atmosphäre im Saal, im Hintergrund die große Wand mit den Laufbändern der Texte in Englisch und Chinesisch setzt die Problematik konzertanter Aufführung der Werke Wagners in ein grelles Licht. Einerseits muss sich das Publikum nicht auf einen Regisseur einlassen, andererseits hat der Komponist wie kaum ein anderer völlig neue Wege auf dem Theater beschreiten wollen. Solche Konzerte dürften das Letzte gewesen sein, was ihm vorschwebte. Ein CD-Mitschnitt lässt das alles beiseite. Ohren sind auf sich allein gestellt. Das kann auch ein Vorteil sein.

Wie schon im Rheingold wurde auch bei der Walküre alles eliminiert, was auf live verweist. Offenbar soll ganz bewusst Studio simuliert werden. Ich halte das für problematisch, weil solche Aufnahmen weder das eine noch das andere sind. Bei aller Perfektion und Klarheit, die der Dirigent Jaap van Zweden mit seinem Hong Kong Philharmonic Orchestra zustande bringt, bin ich mit dem Klangbild nicht richtig warm geworden. Im Reingold nicht, und jetzt auch nicht. Es wird nicht meine bevorzugte Aufnahme werden. Sie packt mich nicht. Trotz Goerne. Dafür ist die Konkurrenz zu mächtig. Dieser Produktion sitzen mindestens hundert andere – live und Studio – im Nacken. Das ist kaum zu glauben, aber es ist so – nachzulesen bei Andreas Ommer, der ein „Verzeichnet aller Operngesamtaufnahmen von 1907 bis zur Gegenwart“ erarbeitet hat, das in zweiter Auflage als CD-ROM veröffentlicht wurde (Verlag Directmedia Publishing – ISBN 976-3-89853-640-0).

Die übrige Besetzung hängt Goerne locker ab. Das war auch schon im Rheingold so. Freude darüber will nicht aufkommen, weil der Ring nicht nur aus Wotan besteht. Spätestens in den Bayreuther Nachkriegsmitschnitten ist deutlich geworden, dass es sich lohnte, auch die kleinsten Rollen mit erstklassigen Solisten zu besetzten. Es konnte vorkommen, dass die Brünnhilde im Siegfried in der folgenden Götterdämmerung die undankbare Gutrune übernehmen musste. Das bis heute nachwirkende Niveau dieser Aufführungen beruht nicht zuletzt auf dieser Praxis. Der Walküre gibt Brünnhilde ihren Titel. Sie ist eine von neun Töchtern Wotans. Gesungen wird sie hier von Petra Lang. Mitunter hatte ich den Eindruck, sie würde von Goerne in den gemeinsamen Szenen mitgezogen. Im zweiten Aufzug gibt es ein paar sehr schöne ruhige Momente. Und dann wieder gibt es Sekunden, in denen die Stimme zu verunglücken scheint. Konsonanten werden messerscharf zugespitzt. „Was nagt dir am Herz“, soll sie nach dem Willen des Komponisten und Textdichters Wagner ihren Vater fragen. Zu hören ist etwas, was wie „Hellts“ statt „Herz“ klingt. Und so weiter. Im Grunde sind das Kleinigkeiten, die vorkommen können im Konzert, die aber neben einem Wotan, der jedes Wort und jedes Komma auf die Goldwaage legt, umso mehr auffallen. Robust und entschlossen geht diese Sängerin mit ihrer Rolle um. Feinarbeit liegt ihr nicht.

Veristisch fährt Michelle DeYoung als Fricka auf und verwechselt wie bereits im Reingold Wagner mit Mascagni. Das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde bestreiten der Australier Stuart Skelton und die Amerikanerin Heidi Melton. Neuerdings singt die Melton auch die Brünnhilde in Karlsruhe. Auf ihrer Homepage wird „La Presse“ dahingehend zitiert, das sie vielleicht die Wagner-Stimme habe, auf die man seit Flagstad und Nilsson gewartet habe. Mit der etwas bemüht zelebrierten Sieglinde, der auch schon mal die Luft an der falschen Stille ausgeht, dürften diese Erwartungen gedämpft werden. Skelton kommt dem Siegmund mit strahlenden Tönen nahe. Seine Wälse-Rufe sind endlos ausgedehnt, verfehlen aber mit ihrer fast lyrischen tenoralen Ausstattung das, was sie sind: Aufschreie eines Verzweifelten, der sich in höchster Not weiß. Er könnte leidenschaftlicher und drängender singen, was auch der Melton zu wünschen gewesen wäre. Fehlt ihnen die Kulisse? Bremsen die Mikrophone, die ja ständig daran erinnern, dass für eine CD-Veröffentlichung mitgeschnitten wird, das Temperament aus? Dem perfekt sitzenden Hunding von Falk Struckmann hätte etwas mehr Schwärze gut getan.

Mit dem Ensemble der Walküren wird diese Produktion noch internationaler: Sarah Castle (Waltraute), Karen Foster (Gerhilde), Katherine Broderick (Helmwige), Anna Burford (Schwertleite), Elaine McKrill (Ortlinde) Aurhelia Varak (Siegrune), Okka van der Damerau (Grimgerde), Laura Nykänen (Rossweiße). Sie haben ihre Partien gut gelernt und fahren mit Zunder gegen das Orchester auf – und auch gegen ihre Schwester Brünnhilde und Sieglinde. Ihre Szene, aus der die Stimmen individuell und teilweise sehr mächtig herausragen, gehört zu den großen Momenten der Neuerscheinung. Im Rheingold hatten die Sänger mit zehn Nationen in Europa, Nordamerika und Asien vertreten. Mit dem Dirigenten Jaap van Zweden kommen noch die Niederlande hinzu. Das dürfte Rekord sein. Wo, bitte, wurden ein Rheingold und jetzt eine Walküre so international, so global und damit politisch so gegenwärtig besetzt? Damit hätte Naxos gesondert werben können. Bei der Gestaltung der Boxen wurden keine Wunder vollbracht. Da wäre mehr möglich gewesen. Sie bieten keinen sinnlichen Anreiz. Rüdiger Winter

 

 

Schlicht wie die Verpackung ist auch das, was drinnen ist. Mit Richard Wagners Rheingold hat Naxos einen neuen Ring des Nibelungen gestartet (8.660374-75). Im kommenden Jahr soll die Walküre folgen, innerhalb von vier Jahren das gesamte Projekt zum Abschluss kommen. Kleingedruckt ist zu lesen, dass es sich um einen Mitschnitt aus der Hong Kong Cultural Centre Concert Hall mit dem dort ansässigen Philharmonic Orchestra handelt. Dirigent ist Jaap van Zweden. Es gab zwei Aufführungen, nämlich am 22. Und 24. Januar 2015. Daraus wurde sich bedient. Das ging erstaunlich schnell und spricht für die Professionalität des Labels Naxos.

Statt die Liveatmosphäre zu betonen, wurde alles, was darauf verweist, eliminiert. Offenbar soll ganz bewusst Studio simuliert werden. Ich halte das für problematisch, weil solche Aufnahmen weder das eine noch das andere sind. Bei aller Perfektion des Klangbildes, bin ich mit diesem Rheingold nicht richtig warm geworden. Es wird nicht meine bevorzugte Aufnahme werden. Es packt mich nicht. Dafür ist die Konkurrenz zu mächtig. Dieser Produktion sitzen mindestens hundert andere – live und Studio – im Nacken. Das ist kaum zu glauben, aber es ist so – nachzulesen bei Andreas Ommer, der ein „Verzeichnet aller Operngesamtaufnahmen von 1907 bis zur Gegenwart“ erarbeitet hat, das in zweiter Auflage als CD-ROM veröffentlicht wurde (Verlag Directmedia Publishing – ISBN 976-3-89853-640-0).

Für die Neuerscheinung spricht das Rollendebüt von Matthias Goerne als Wotan. Das ist schon mal was. Goerne hat eine große Fangemeinde, gilt als einer der vorzüglichsten Sänger der Gegenwart. Seine Domäne ist das Lied, dem er sich auch auf vielen CDs erfolgreich zugewandt hat. In Opernhäusern macht er sich rar. Auffällig ist, dass er vornehmlich Rollen singt, die auch Dietrich Fischer-Dieskau verkörpert hat – Papageno, Wolfram, Wozzeck, Lear und nun Wotan. Im Gegensatz zu seinem Lehrer will er sich auch dem wortreichen Wotan in der Walküre stellen. Die Termine in Hong Kong hat er mit dem 21. und 23. Januar kommenden Jahres auf seiner eigenen Website bereits bekannt gegeben. Mutig ist das. Goerne hat für den Wotan genug Ressourcen. Naturgemäß gelingen ihm die getragenen Passagen, wenn sich die Stimme deklamatorisch ausbreiten kann, am besten und er der versinkenden Erda zuruft: „Geheimnis-hehr / hallt mir dein Wort: / Weile, dass mehr ich wisse.“ Endlich wird einmal deutlich, dass hier etwas hallt und nichts gehalten wird. Es meldet sich der Liedsänger, der aber in anderen Momenten versagen kann. Wotans große SzeneAbendlich strahlt der Sonne Auge“ ist nicht immer auf dem Punktund auf dem Wort. In dramatischen Situationen und Ausbrüchen – wie sie noch mehr in der Walküre lauern – kommt Goerne an Grenzen. Seine Stimme klingt erstaunlich tief, dunkel und machtvoll, oft aber auch gaumig und verwaschen. Er ist sehr gut zu verstehen, was sich so nicht von allen Mitwirkenden sagen lässt. Wen wundert’s?

Die Sänger vertreten zehn Nationen in Europa, Nordamerika und Asien. Mit dem Dirigenten Jaap van Zweden kommen noch die Niederlande hinzu. Das dürfte Rekord sein. Wo, bitte, wurde ein Rheingold so international, so global und damit politisch so zeitgemäß besetzt? Damit hätte Naxos gesondert werben können. Der Preis ist eine gewisse Unverbindlichkeit in Ausdruck und Wirkung. Donners Dinste, Gedift und „Brike sind eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Dabei gibt sich der Ukrainer Oleksandr Pushniak, dessen Bariton immer dann wackelt, wenn er das nicht tun sollte, wirklich alle erdenkliche Mühe, seinem Auftritt – vor allem in der wichtigen Gewitterszene – auch den rechten Sinn zu verleihen. Für den Loge bringt Kim Begley zwar das passende Timbre mit, bleibt aber zu eindimensional und zu wenig pointiert. Das gilt nach meinem Eindruck auch für Alberich (Peter Sidhom), Mime (David Cangelosi), Fafner (Stephen Milling) und Froh (Charles Reid). Durch mehr Schöngesang hebt sich Kwangchul Youn (Fasolt) hervor: „Freia, die schöne, / schau ich nicht mehr: / So ist sie gelöst? / Muss ich sie lassen?“ Wunderbar! Stilvoll tritt Deborah Humble als Erda in Erscheinung, hält aber die Eleganz in ihrem magischen Auftritt bis zum Schluss nicht ganz durch. Erstaunlich ausgesungen und unstet wirkt auf mich die Fricka von Michelle DeYoung.

Die Rheintöchter Eri Nakamura (Woglinde), Aurhelia Varak (Wellgunde) und Hermine Haselböck (Floßhilde) sind die Stützen der Produktion und geben am Grunde des Rheins ein hohes Niveau vor, das im weiteren Fortgang der Dinge leider nicht immer gehalten wird. Sie kommen auch im Ensemble gut zusammen und garantieren so einen versöhnlichen gesungenen Schluss. Das Orchester setzt schöne eigenen Akzenten, vor allem in der einleitenden Szene. Anderes – wie der Gewitterzauber – wirkt zu grell. Und die letzten Takte sind mir zu hastig angelegt. Da ist im Hintergrund vieles nicht zu hören, was nun mal in den Noten steht. Trotz aller Einschränkungen bin ich sehr gespannt, wie es weitergeht.   Rüdiger Winter

Frau Venus und die klare Brühe

 

Tannhäuser kann nicht mehr. Zu viel! Zu viel! Er muss fliehen. Er hat die Nase voll. Es verlangt ihn nach des Waldes Lüften. Nach etwas Frischem. Im Venusberg sind die ros’gen Düfte verflogen. Es verbreitet sich Küchendunst – der Feind von Erotik, Lust und Begehren. Noch schaut Venus ungläubig drein. Ist sie überrascht, oder tut sie nur so? Ist sie mit ihrem Zauber am Ende? Ist es wirklich schon so weit, dass Liebe durch den Magen geht? Wie dem auch sei. Jedenfalls hat sie vorsorglich im Rücken ihrer mit rosenumrankten Recamiere ein Fass mit Fleischextrakt platzieren lassen. Daraus kann mancher Liter Boullion hergestellt werden.

Klare Brühe statt Liebestrank – Liebigs Sicht auf den „Tannhäuser“/ OBA

Man weiß ja nie. Schon ein halber Teelöffel reicht, um ein Gericht für vier Personen anzureichern. Sie sind aber nur zu zweit. Amor, diese halbe Portion, ist frech auf das Gefäß geklettert und bringt den berühmten Bogen in Anschlag. Er zählt ja nicht. Denn er kommt in der Oper gar nicht vor. Die Mythologie ist umgeschrieben worden für diese Szene. Wo sind wir eigentlich? Keine Bange. So weit geht selbst das Regietheater noch nicht. Es ist der Versuch, ein Liebig-Bild aus der Tannhäuser-Serie zu beschreiben.

Diese CD-Rom ist eine Fundgrube für Liebig-Bilder. Sie ist derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Diese CD-Rom ist eine Fundgrube für Liebig-Bilder. Sie ist derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Diese bunten Bilder gibt es seit 1875. Sie dienen der Werbung für den berühmten Fleischextrakt, einer Erfindung des deutschen Chemikers Justus von Liebig (1803-1873). Er hatte das Verfahren Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Dabei wird kochendes Rindfleisch so weit eingedampft, dass nur noch das Konzentrat übrig bleibt. Im umgekehrten Verfahren kann es wieder in Brühe zurückverwandelt werden und dient auch dazu, Speisen zu würzen und zu verfeinern. Von 1864 an wurde der Extrakt – nicht zu verwechseln mit gekörnter Brühe – industriell hergestellt und verbreitete sich von Antwerpen aus in viele Länder. Noch heute wird er nach dem ursprünglichen Verfahren produziert, wie eh und je nicht eben preiswert. Der anhaltende Erfolg des beliebten Produkts beruht nicht zuletzt auf einer beispiellosen Werbekampagne, die in ihren Grundzügen die Werbeindustrie bis in unsere Tage vorwegnimmt. Ihr Kern waren die Bilderserien, die es beim Einkauf kostenlos dazu gab. Für Liebig selbst fiel fast nichts ab. Er verfügte lediglich über hundert Aktien und das Recht, sein Produkt auf seine Qualität zu überprüfen. Insgesamt sollen 1870 Serien mit etwa 11500 Bildern in 12 Sprachen erschienen sein, wobei diese Angaben schwanken.

Eines der seltenen Bilder ohne Fleischextrakt: die Überreichung der silbernen Rose im "Rosenkavalier"

Eines der seltenen Bilder ohne Fleischextrakt: die Überreichung der silbernen Rose im „Rosenkavalier“.

Ihren Höhepunkt erreichten die Serien vor dem Ersten Weltkrieg, versanken danach in völliger Bedeutungslosigkeit und erholten sich von 1925 an, ohne aber den ursprünglichen Verbreitungsgrad wieder zu erlangen. 1940 war in Deutschland Schluss, in Belgien 1962 und in Italien 1975. Oft ist das Behältnis mit dem Fleischextrakt mit übertriebenen Proportionen in eine auf vielen Bildern dargestellte Handlung einbezogen. Wenn sich dafür keine Gelegenheit bietet, tritt das Töpfchen in einer Ecke etwas ausgespart in Erscheinung. Fehlen tut es nur ganz selten wie etwas auf den Bildern zum Rosenkavalier von Richard Strauss. Nie sind die Bilder signiert. Die Grafiker waren angestellt und arbeiteten quasi im Akkord. Eine Serie umfasst sechs farbige Bilder sowohl im Hoch- als auch im Querformat. Eine DVD-Rom mit den Serien ist in der Zeno.org-Reihe im Verlag Direkctmedia Publishing erschienen.

1-Siegfriedidyll Liebig

Richard Wagner bringt seiner Frau Cosima das „Siegfried-Idyll“ als Geburtstagsständchen dar.

Richard Wagner, selber ein Gourmet, war ein gefundenes Fressen für die Fleischextrakt-Werbung. In seinen Opern spielen Getränke und Speisen eine nicht unwichtige Rolle. So ist es nicht verwunderlich, dass seine Person und sein Werk am häufigsten vertreten sind in der musikalischen Abteilung der Serien. Dabei war der Meister selbst oft auf Diät und schmale Kost gesetzt, weil ihn bis zum Schluss Verdauungsbeschwerden und Unterleibskrämpfe plagten. Die Lust am Bier soll dadurch nicht beeinträchtigt worden sein. Er und Frau Cosima schätzten Weizenbier, an dem in Bayreuth – die Region hat die größte Brauereidichte in Bayern – schon zu ihrer Zeit kein Mangel gewesen ist. Kräftig eingeschenkt wird im Fliegenden Holländer. Wenigstens musikalisch findet das turbulente Hochzeitsfest in Lohengrin im Vorspiel zum dritten Aufzug rauschhaften Ausdruck. Über den Liebestrank in Tristan und Isolde ist alles gesagt. In den Meistersingern gilt‘s der Kunst. Hans Sachs lehnt gelegentlich seines Namenstages das freundliche Anerbieten des Lehrbuben David ab, den Kuchen oder die Wurst zu versuchen, die ihm Magdalene heimlich zugesteckt hat. Im Rheingold werden nur Äpfel gereicht, die Wotan zum Ende hin nicht mehr anrührt. Nicht, weil sie nicht schmecken, sondern weil es der Handlungverlauf so will. In der Walküre muss Sieglinde den Männern das Mahl rüsten und ihrem wenig geliebten Ehemann Hunding den Nachttrunk reichen, den sie aus gutem Grund mit einem gehörigen Schuss Betäubungsmittel würzt. Statt ein Schwert zu schmieden, betätigt sich Zwerg Mime in Siegfried als Koch und braut eine fiese Lorke zusammen, mit der er den Helden zur Strecke bringen will. Vergebens. Am häufigsten getrunken wird in der Götterdämmerung – nach den unterschiedlichsten Rezepturen, bei den verschiedensten Gelegenheiten und nicht immer zum Besten derer, die sich daran versuchen.

1-Meistersinger Liebig

Walter von Stolzing bringt im dritten Aufzug der „Meistersinger“ Glanz in die Schusterstube.

Trinken wird gefährlicher. Gutrune reicht dem Ankömmling Siegfried in der Halle der Gibichungen einen manipulieren Begrüßungstrunk mit der für ihn fatalen Wirkung, dass er Brünnhilde vergisst und dem Liebreiz der Tochter des Hauses verfällt. Wenig später begießen Siegfried und Hausherr Gunther ihre Brüderschaft mit frischem Wein, dem beider Blutstropfen beigemischt sind. Hagen stimmt die Mannen auf den Empfang der reingelegten Brünnhilde mit dem Versprechen einer rüstigen Zecherei ein – „bis der Rausch euch zähmt“. Im dritten Aufzug findet die Jagdgesellschaft schließlich ein kühles Plätzchen, wo gerastet und das Mahl gerüstet werden soll. Noch bevor dies geschieht, lässt Hagen die Schläuche bieten mit den für Siegfried tragischen Folgen. In Parsifal ist die Kost – der heiligen Handlung entsprechend – nur noch symbolischer Natur. Das Brot ist der Leib, der Wein das Blut des Gekreuzigten. Wasser wird nicht getrunken. Es dient der Taufe. Schließlich tritt an die Stelle heil’ger Speisung gemeine Atzung. Kräuter und Wurzeln stehen auf dem Speiseplan des hinfällig geworden Gralsritters Gurnemanz. Aus den Wagnerschen Helden sind fundamentalistische Veganer geworden. Nix Fleischbrühe.

1-Turandot Liebig

Breite Treppe, lange Schleppe: Die prachtvoll ausgestattete Rätselszene in Puccinis „Turandot“.

Einen gehobenen künstlerischen Anspruch wollten die Liebig-Bilder nicht erheben, trotz der gelegentlichen Ausflüge in die Kunst. Dafür die Themen zu simpel, zu naiv, zu verschlagen. Oft sind sie den praktischen Seiten des Lebens entlehnt. Der Alltag wird grundsätzlich verklärt. Dabei spielen Kinder in allen Lebenslagen eine große Rolle – unter dem Weihnachtsbaum, vor dem Aquarium, auf dem Schaukelpferd, bei der Dressur von Hunden – aber auch schon mal beim Kriegsspiel. Hübsch herausgeputzte Mädchen und Knaben vermitteln in ihrer Unschuld selbst für Fleischbrühe eine positive Botschaft, obwohl sie eher Kakao trinken würden. Diese Kinder sind niemals arm und abgerissen. Liebigs Welt ist heil und gut situiert. Als Volksbildung sind ganze Serien über Tiere, Pflanzen, Bäume, Städte, Bauten, Verkehr, Sternbilder, Geflügel, Käse, Märchen, Schiffe oder historische Anlässe angelegt. Nicht selten sind imperiale Absichten zu erkennen, wenn nämlich die Kolonien der europäischen Mächte zu Themen werden und die Ureinwohner nach Art einer Völkerschau, wie sie bis in die 1940er Jahre stattfanden, in Szene gesetzt werden.

1-Stumme von Porrtici

„Den Buben, nenn ihn mir!“ Der Fischer Masaniello bedrängt seine Schwester in „Die Stumme von Portici“.

Richard Wagner ist der Komponist, der am häufigsten thematisiert worden ist. Er passt in die Zeit und ist deren vollkommenster Ausdruck, wie es Thomas Mann ausdrückte. Die ersten Bayreuther Festspiele und die Premiere der Bilder-Serien fallen zeitlich zusammen. Neben Tannhäuser haben auch Lohengrin, Die Meistersinger von Nürnberg, Die Walküre und Parsifal ihre eigenen Serien. Gestalten aus anderen Opern des so genannten Bayreuther Kanons treten in den zusammenfassenden Editionen „Frauengestalten“ und „Männergestalten“ sowie in markanten „Szenen aus Wagner-Opern“ auf. Es versteht sich, dass der Meister auch in einer Zusammenstellung „Berühmter Componisten“ neben Bach, Beethoven, Mozart, Verdi und Rossini, der gern kochte, nicht fehlt. Darüber hinaus sind in einer weiteren Folge sechs Stationen im Leben Wagners nachgestellt, die auf das eine große Ziel hinaus laufen: Bayreuth, wo ihm der deutsche Kaiser huldvoll die Hand schüttelt.

1- Liebig Othello

Der vor Eifersucht rasende rasende Otello wirft in Verdis Oper Jago zu Boden.

Zu solchen biographischen Ehren kommen auch Giuseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Ludwig van Beethoven und Christoph Willibald Gluck. Verdis Aufstieg zum berühmtesten Komponisten Italiens beginnt in seiner Bilderfolge rührend an der Orgel seines Geburtsortest Le Roncole. Der Elfjährige greift mit dem Blick nach oben in die Tasten, als würde er seinen Segen vom lieben Gott höchst persönlich empfangen. Verdi widmete sich fortan mit Feuereifer der Musik. Welche Freude empfand er, als er schon mit 11 Jahren zum Organisten seines Heimatortes erwählt wurde. War neben der Würdigung seiner Tüchtigkeit damit doch ein Jahresverdienst von 36 Lire verknüpft! – Um diese Zeit lenkte Verdi die Aufmerksamkeit des angesehenen Kaufmannes Barezzi aus Busseto auf sich, der Konzerte einer musikalischen Gesellschaft dirigierte. Dieser nahm sich des strebsamen Knaben an und gab ihm zunächst eine Anstellung in seinem Handelsgeschäft, aber lediglich zum Schein, denn Verdi durfte sich währenddessen der Musik widmen so viel er wollte; damals machte er auch die ersten Versuche, selbst zu komponieren.

1-Freischütz Liebig

„Schieß nicht, Max, ich bin die Taube!“ Agathes dramatischer Auftritt am Schluss des „Freischütz“.

Und über den kleinen Wolfgang Amadeus ist zu lesen: Im Herbste 1762 unternahm Mozarts Vater mit seinem Söhnchen und der um 4 Jahre älteren Schwester Nannerl eine Kunstreise, um die Welt auf die begabten Kinder aufmerksam zu machen, denn auch Nannerl war trotz ihrer 10 Jahre eine vollendete Klavierkünstlerin. Die Kinder erweckten durch ihr Spiel überall höchste Bewunderung, besonders der sechsjährige Knabe, der auch durch sein drolliges Wesen überall die Herzen gewann. Die Kaiserin Maria Theresia nahm ihn auf den Schoß, herzte und küsste ihn. Solcher Art sind die Erklärungen, mit denen die allermeisten Bilder auf der Rückseite versehen sind. Wenngleich die Erklärungen sehr populär gehalten sind, vermitteln sie stets klare Informationen, so konzentriert wie der Extrakt. Die Opern La Traviata, Der Troubadour und Othello waren den Herausgebern noch eigenständige Serie Wert genauso wie Die Hochzeit des Figaro, Don Juan und Die Zauberflöte von Mozart. Titel werden in deutscher Übersetzung wiedergegeben.

Offiziere zücken während einer Aufführung von Glucks "Iphigenie in Aulis" ihre Degen

Offiziere zücken während einer Aufführung von Glucks „Iphigenie in Aulis“ ihre Degen.

Obwohl keine von Glucks Opern im Einzelnen gewürdigt wird, gewährt seine biographische Bilderserie auch einen Blick in ein nicht näher bezeichnetes Opernhaus: Offiziere ziehen begeistert ihre Degen bei der Aufführung der Iphigenie in Aulis. Glucks bisherige Opern waren ganz im herkömmlichen Stil der damaligen italienischen Schule gehalten. Sie wurden daher auch von den Zeitgenossen sehr beifällig aufgenommen, und der Papst verlieh dem Verfasser sogar den Orden vom goldenen Sporn. Allmählich aber trat ein Wandel in den Kunstanschauungen Glucks ein und er trachtete nunmehr, die Oper von der Verflachung zu befreien, in die sie nach und nach geraten war. Da zu jener Zeit das dramatische Kunstinteresse zu Paris am lebhaftesten war, begab er sich dorthin, um seine Bestrebungen zur Geltung zu bringen. Mit der ersten durchweg nach den neuen Prinzipien geschaffenen Oper »Iphigenie in Aulis« errang er einen ungeheuren Erfolg, doch dauerte es noch mehrere Jahre, ehe der Einfluss Piccinis und seiner Anhänger, der Hauptgegner der neuen Richtung, überwunden war. Mit Noten versehene Opernszenen sind erstmals 1884 verbreitet worden. Nur gestreift wird das Thema Operette mit einer Folge, in der Szenen aus beliebten Werken von Johann Strauß machgezeichnet sind.

1-Liebig Oberon

„Ozean, du Ungeheuer!“ Rezia in Webers Oper „Oberon“ am Gestade des Meeres (und das gibts auch in Französisch).

Welche Opern finden sich noch? Der Rosenkavalier war schon erwähnt. Mehr findet sich nicht zu Strauss. Dann Der Freischütz und Oberon von von Weber, Fidelio von Beethoven, Die Königin von Saba von Goldmark, Boris Godunow von Mussorgski, Wilhelm Tell von Rossini, Turandot von Puccini, Sappho von Pacini. Sappho? Wer heutzutage im Internet nach Bildmaterial über diese Oper und ihren Schöpfer Giovanni Pacini (1796-1867) sucht, stößt bald auf die Liebig-Serie, als hätte sie dazu beigetragen wollen, die Erinnerung an diesen italienischen Komponisten, der in der Hauptsache Opern schrieb, wachzuhalten.

Ernest Reyer ist in einer Serie über französische Komponisten dargestellt

Sogar Ernest Reyer gibt´s in einer Serie über französische Komponisten

Auffällig ist die starke Präsenz von Opern aus Frankreich, dem damals ungeliebten Nachbarland der Deutschen. Während das Schwert des 1875 im Teutoburger Wald eingeweihten Hermannsdenkmals drohend gegen Frankreich gerichtet wurde, öffnete sich auf den im selben Jahr in Serie gegangenen Liebig-Bildern im Laufe der Zeit der Vorhang für zwölf französische Musikdramen: Die Hugenotten, Die Afrikanerin und Robert der Teufel von Meyerbeer, Carmen von Bizet, Faust von Gounod, Hamlet und Mignon von Thomas, Die Stumme von Portici von Auber, Samson und Dalila von Saint-Saens Der Cid von Massenet sowie Faust’s Verdammung von Berlioz. Gounod, Thomas, Massenet, Saint-Saens, Halevy und Reyer sind dazu noch einer der Serie abgebildet, die französischen Komponisten gewidmet ist. Liebig-Bilder als völkerverbindend, als kulturelle Botschaften für Toleranz? Ein bisschen schon. Rüdiger Winter

Lust auf Lieder

 

Wer gern Lieder hört, dürfte Florian Boesch schon oft begegnet sein – ob im Konzertsaal oder auf Tonträgern. Er baut sein Repertoire beständig aus. Seine neueste CD ist bei Linn Records herausgekommen (CKD 511). Sie enthält den Liederkreis op. 93 und die Lieder und Gesänge aus Wilhelm Meister von Robert Schumann sowie die Lieder eines fahrenden Gesellen von Gustav Mahler, begleitet von Malcolm Martineau, der ungewohnte rhythmische Akzente zu setzen weiß. Für einen, der sich so intensiv dem Liedgesang verschrieben hat wie der Bariton Boesch, sind diese Zyklen unverzichtbar – auch wenn sie im Übermaß eingespielt und dargeboten wurden und werden. Er will und muss sie singen. In einem Interview mit dem Österreichischen „Standard“ hatte er einmal gesagt, das Wort sei der Bedeutungsträger im Lied. Immer folge der Klang dem Inhalt. Davon lässt er sich auch bei seiner neue Einspielung leiten. Voraussetzung dafür ist seine gute Diktion. Er ist immer zu verstehen. Nicht eine Wendung, nicht ein Gedanke gehen unter. Die Dichtung kommt zu ihrem Recht, was ein Segen ist. Mit Eichendorff und Goethe hat Schumann literarische Vorlagen von Rang. Boesch kostet die Worte aus. Manchmal werden sie allerdings zu übermächtig, zu selbständig. Dann wird die Musik zur Untermalung. Was sie nicht ist. Musik will vertiefen und erhöhen. Dramatische Ausbrüche sind seine Sache nicht. Boeschs Stärken sind die lyrischen, nachdenklichen und leise Töne. Man hört, dass er sehr gut Singen gelernt hat. Er kommt aus einem musikalischen Haus. Als Kind spielte er Cello. Sein Vater Christian ist Sänger, seine Großmutter Ruthilde sang noch unter Furtwängler in Salzburg.

 

Die Stärken von Florian Boesch sind die Schwächen seines amerikanischen Bass-Kollegen Jared Schwartz, der sich bei Toccata Classics auf Lieder von Franz Liszt geworfen hat (TOCC 0441). Schwartz besuchte neben anderen Ausbildungsstätten die renommierte Eastman School of Music, komponiert nebenbei und ist auch außerhalb der Klassikszene unterwegs. Regelmäßig tritt er mit der Pianistin Mary Dibbern auf, die als Musikdirektorin für Bildung und Familienprogramme an der Dallas Opera wirkt. Sie begleitet ihn auch auf seiner CD. Er tut sich sehr schwer mit Liszt. Vor allem mit den deutsch gesungenen Titeln, die mit sieben von zwölf in der Mehrzahl sind. Liszt, der Weltbürger, hat mehrsprachig komponiert – auch in Französisch, Italienisch und Englisch. Schwartz verhebt sich, er presst manche Passagen regelrecht heraus und stolpert über die Buchstaben. Liszts berühmtestes Lied „O lieb, so lange du lieben kannst“ ist nicht wiederzuerkennen. Schon der Einstieg in die CD mit „Weimars Volkslied“ ist verstörend und lässt einen ratlos zurück. Es ist auf einen Text von Peter Cornelius komponiert, dessen Oper Der Barbier von Bagdad Liszt in Weimar uraufgeführt hatte. Diesmal erweist es sich als Gnade, dass fast nichts zu verstehen ist, von dieser Hymne auf die fürstlichen Arbeitgeber. Da „weht ein Hauch“ von der „Wartburg Zinnen nieder“, leben nahe dem „Throne großer Dichter Erzgestalten“, brechen „Lebensblumen“ aus „geweihter Gräber Spalten“ hervor – alles zum Ruhme von Weimars edlem Fürstenhaus, das Gott erhalten möge. Die mit Ilm, Saale und deutschen Gauen verzierte Heimatlyrik erfährt im letzten Lied, „Weimars Toten“, diesmal nach Franz von Schober, gar noch eine zweite Auflage: „Müß’ge Trauer sei vernichtet / Frisch das Aug’ empor gerichtet!“ Solche Stücke sind wenig dazu angetan, für Liszt als Liedkomponisten zu werben. Obwohl sehr tüchtig in diesem Genre, hat er sich damit nie richtig durchsetzen können. Nachhaltige Anstöße konnte nicht einmal Dietrich Fischer-Dieskau geben, der Anfang der 1980er Jahre bei der Grammophon vier Langspielplatten mit Liszt besang, die bisher nicht auf CD vorliegen. Es blieb bei dem Versuch.

 

„Meister Oluf, der Schmied von Helgoland, verlässt den Ambos um Mitternacht.“ Mit diesen Worten beginnt Carl Loewes Ballade Odins Meeresritt. Der Bassbariton David Jerusalem hat sie an den Beginn seiner CD In Erlkönigs Reich gesetzt, die bei hänssler Classic erschienen ist (HC 17012). Besser konnte der Einstieg nicht gewählt sein. Raumgreifend zieht der Sänger seine Hörer in den Bann. Sie geraten ohne Umschweife in diese wundersame Welt, wo der feurige Rappe durch die Lüfte schießt, die alten Weiden so grau scheinen, ein Zwerg seine Königin im tiefen Wasser versenkt und Elfen auf grünem Strand tanzen. Balladen erzählen Geschichten, unheimliche und spannende Geschichten, sie stecken voller Symbole, Topoi und historischer Anspielungen. Als Relikte des Bildungsbürgertums sind sie aus der Mode gekommen. Umso erfreulicher ist es, dass sich ein junger Sänger, Jahrgang 1985, in aller Öffentlichkeit auf diese anstrengende Bildungsreise begibt. Und wieder Lust auf Balladen macht.

Jerusalem hat das Zeug dazu, denn er weiß, wovon er singt. Er huscht nicht über die wortreichen Strecken hinweg. Er lotet und kostet sie aus. In seinem Vortrag bleibt nichts offen. Dafür braucht es die Gabe verständlichen Singens, für die ein Sänger in der Übung bleiben muss. Jerusalem ist gut zu verstehen. Aus seinem Mund ließen sich die literarischen Vorlagen mitschreiben. Ein Vorzug, der nicht hoch genug zu schätzen ist. Daran hat der Pianist Eric Schneider hörbaren Anteil, weil er sehr sangesfreudige Tempi anschlägt und inhaltsbezogene Akzente setzt. Der umfassend gebildete Schneider ist ein Enkel des Schriftstellers Albrecht Schaeffer und hat zweitweise selbst Schauspielunterricht genommen. Er und Jerusalem sind ein perfektes Team für die gemeinsame CD mit Balladen von Carl Loewe und Franz Schubert. Mit dem Erlkönig gibt es sogar einen unmittelbaren Berührungspunkt zwischen den Komponisten. Beide Versionen sind vergleichend im Angebot. Und das ist gut so. Loewe muss sich nicht hinter Schubert verstecken. Für Schubert aber muss nicht gestritten werden. Für Loewe schon. Sein Platz in der Musikgeschichte ist ihm noch nicht sicher. Er ist aber im Kommen. In die große cpo-Edition mit allen Liedern und Balladen hatten sich seinerzeit viele jüngere Sänger eingebracht. Und die Internationale Carl Loewe Gesellschaft mit Sitz in Löbejün, der Geburtsstadt des Komponisten, arbeitet wirkungsmächtig an der Verbreitung seines Schaffens und Ruhms. Kein Zweifel, die neue CD wird in diesem Kreis aus Fachleuten und engagierten Musikfreunden viel Aufmerksamkeit finden. Zumal sich Jerusalem nicht scheute, neben Meisterstücken wie Tom der Reimer und Herr Oluf auch die gern verspottete Uhr ins Programm genommen zu haben, die in seiner frischen Interpretation ihre Betulichkeit verliert.

Jerusalem hat sich ein eigenes Timbre mit Wiederkennungswert erarbeitet. Seine Stimme wirkt sehr belastbar. Flexibel kann er zwischen dramatischen und lyrischen Passagen wechseln. Mittellage und Tiefe sind stabil und fest. Der Aufstieg zur Höhe könnte noch eleganter und freier klingen. Wer in Loewes Archibald Douglas nach einem Text von Theodor Fontane über mehr als zwölf Minuten die Spannung hält, hat die Feuerprobe als Balladensänger bestanden. Es wäre erfreulich, würde dieses Genre in seiner Karriereplanung einen festen Platz behalten. Bisherige Stationen werden im Booklet aufgezählt: Kammeroper München, Konzerte mit dem von Karl Richter begründeten Bach-Chor und der Academy St. Martin in the Fields, Madrid, Niederlande, Deutsche Oper am Rhein, deren festes Mitglied er ist. Dort sang er Sarastro, Figaro, Masetto und Sparafucile. Einen nicht unwesentlichen biographischen Hinweis sucht man vergeblich im Begleitheft der CD. David ist der Sohn von Siegfried Jerusalem. Es ist nachzuvollziehen und nur zu verständlich, wenn ein aufstrebender Sänger als eigenständig wahrgenommen werden möchte und nicht als der Sohn eines sehr berühmten Vaters – auch wenn der nicht im gleichen Fach gesungen hat. Ich freue mich auf neue Aufnahmen.

 

Obwohl klassische Liederabende seltener geworden sind im alltäglichen Musikbetrieb, überraschen Firmen und Labels immer wieder mit entsprechenden Angeboten. Dabei ist es guter Brauch geworden, Liedprogramme unter ein bestimmtes Thema zu stellen. Der Bariton Rafael Fingerlos hat Stille und Nacht gewählt. Seine CD ist bei Oehms Classics herausgekommen (OC 1879). Mit knapp fünfundsechzig Minuten wurde die Kapazität nicht unnötig ausgereizt. Sechsundzwanzig Lieder sollten genügen, um die Aufnahmefähigkeit der Hörer nicht unnötig zu strapazieren. Die sollen ja nicht nur den einzelnen Liedern lauschen. Sie sind angehalten, bei jedem Titel den Bezug zum Thema herzustellen. Überraschend ist der Auftakt mit Das war der Tag der weißen Chrysanthemen von Robert Fürstenthal. Der wurde 1920 in Wien geboren, musste vor den Nationalsozialisten fliehen und betätigte sich in den USA als Wirtschafsprüfer, wie die Wiener Zeitung berichtet. „Die Kompositionen entstanden nebenher, ausschließlich Kammermusik und Lieder. Er komponierte für seine Jugendliebe. Nach der Trennung von ihr schrieb er keine Note mehr, als er sie wiedertraf, kehrte seine Inspiration zurück.“ Fürstenthal starb 2016. Fingerlos hatte ihm bereits eine ganze CD gewidmet, die Anfang des Jahres bei Toccata Classics herausgekommen ist. Sein Stil ist traditionell und erinnert am ehesten an Hugo Wolf und Richard Strauss, der auf der CD mit drei Liedern vertreten ist. Spürt ein Säger Nacht und Stille nach, dann sind Franz Schubert, Johannes Brahms und Robert Schumann nicht weit. Erfreulich ist, dass auch Peter Cornelius berücksichtigt wurde. Sein reiches Liedschaffen führt noch immer ein Schattendasein, aus dem es langsam herausfindet. Nicht zuletzt durch eine beispielhafte Edition seiner sämtlichen Lieder bei Naxos. Rudolf Polsterer (1879-1945), Österreicher wie sein Interpret, dürfte mit dem eingängigen Lied Die Zeit steht still seine Tonträgerpremiere haben. Es muss Fingerlos ein Bedürfnis sein, sich mit der Programmauswahl zu seiner Heimat bekennen zu wollen. Wer ihm auf Facebook einen Besuch abstattet, wird dafür viele persönliche Belege in Form von Fotos, Nachrichten und Erinnerungen finden – und auch auf diesen Satz stoßen: „Es gibt kaum was Schöneres, als Lieder singen, besonders mit einem großartigen Freund und Klavierpartner wie Sascha El Mouissi.“ Der begleitet auch auf der neuen CD, hoch sensibel und einfühlsam. Die Stimme klingt reifer, voller und voluminöser als es das Foto des jungen Mannes auf dem Cover im zeitgemäßen Schwarz-Weiß erwarten lässt. Gründlich hat er am Text gearbeitet. In jedem Moment ist er sich der Notwendigkeit bewusst, pointiert und deutlich zu singen. Das sind allerbeste Voraussetzungen für eine Karriere, in der Lieder nicht zu kurz kommen sollen. Für einen Sänger, der am Anfang steht, ist Rafael Fingerlos schon gut im Geschäft. Ins Fernsehen kam er als spielfreudiger Moralès in der Carmen aus Bregenz. An der Wiener Staatsoper, der er inzwischen angehört, ist der 31jährige mit Dr. Falke in der Fledermaus, dem Harlekin in Ariadne auf Naxos und dem Figaro im Barbier von Sevilla erfolgreich gestartet.

 

 

Franz Schuberts Schwanengesang findet sich bei aktuellen CD-Produktionen gern erweitert und umgestellt. Damit wird die Abfolge der letzten Lieder Schuberts in dem posthumen Zyklus, der auf den Verleger Tobias Haslinger zurückgeht, ganz bewusst in Frage gestellt. Jetzt hat der Bariton Roman Trekel bei Oehms Classics gemeinsam mit den Pianisten Oliver Pohl sein eigenes Konzept vorgelegt (OC 463). Begonnen wird mit dem Lied Schwanengesang, das Schubert im Herbst 1822 komponierte. Es folgen An den Mond (1815), Der Wanderer an den Mond (1826), Totengräbers Heimweh (1825) und Meeres Stille (1815). Dann setzen die nachträglich als Schwanengesang bekannt gewordenen Lieder ein, allerdings nicht in der überlieferten Reihenfolge. Dazwischen ist das Lied Herbst (1828) geklemmt. Dem Sänger und seinem Pianisten lag daran, die Lieder thematisch neu zu ordnen, wie im Booklet betont wird. Die Stimme Trekels ist dunkler und schwerer geworden. Auch geheimnisvoller. Ich fühle mich gelegentlich an Hans Hotter erinnert, der seinen gewaltigen Heldenbariton beim Liedvortrag stark zurücknehmen konnte, um ihn an passender Stelle voller Grimm wieder aufzudrehen. Das kann auch Trekel. Es scheint, als sinne er singend über die Lieder nach. Das hat großer Wirkung. Mit dieser CD dürfte er nach meinem Urteil eine seiner besten Aufnahmen vorgelegt haben.

 

Der Tenor Ilker Arcayürek wurde in Istanbul geboren. Wann, ist nirgends zu lesen. Nicht wenige junge Sänger haben es sich angewöhnt, den Jahrgang einfach zu übergehen, als sei das nicht vom Belang. Dabei haben sie das nicht nötig. Sie müssen sich nicht jünger machen. Sie sind es. Anhand der Daten über Debüts und erste Engagements lässt sich erahnen, in welcher Lebensphase sich jemand bewegt. Viel älter als dreißig dürfte Arcayürek nicht sein. Aufgewachsen ist er in Wien, wo angehende Sänger sozusagen an der Quelle sitzen. Erste Erfahrungen sammelte er beim Knabenchor der Stadt und als Mitglied des Arnold Schönberg Chores. Studiert hat er bei dem 1942 geborenen Wiener Tenor Sead Buljubasic, der aus Bosnien stammt und neben der Italienischen, französischen und slawischen Oper auch den Liedgesang pflegte. Seit 2015 ist Arcayürek Ensemblemitglied an Staatstheater Nürnberg. Auftritte hatte er auch am Salzburger Landestheater, in Zürich, im Concertgebouw Amsterdam und in Luzern. Er singt Rodolfo, Don Ottavio, Ferrando, Tamino, Nadir und den Alfred in der Fledermaus. In der Dresdner Keuzkirche machte er als Evangelist in Bachs Matthäuspassion von sich Reden. Am Teatro Real in Madrid ist er als Claudio in Wagners Liebesverbot aufgetreten, wovon es auch eine DVD bei Opus Arte gibt (OA BD7213 D). Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen gab er bei einer konzertanten Aufführung von Donizettis Lucrezia Borgia den Vitellozzo. Kritiker rühmen seinen hellen, strahlenden Tenor, stellen seine Natürlichkeit heraus, seinen geschulten Umgang mit dem Wort und lassen auch sein gutes Ansehen nicht unerwähnt. Diesem Urteil schließe ich mich gern an. Jetzt hat Ilker Arcayürek seine erste Lieder-CD vorgelegt. Sie ist bei Champs Hill Records London erschienen (CHRCD133), wo auch schon andere junge Sänger, die sich mit Liedern erproben wollen, großzügige Starthilfe auf Tonträgern bekamen. Einer von ihnen war der deutsche Bariton Benjamin Appl, den inzwischen Sony unter Vertrag genommen hat.

Die neue CD heißt Franz Schubert: Der Einsame. Dafür gibt es im Werk des Komponisten reichlich Stoff und Anhaltpunkte. Es ist erfreulich, dass junge Sänger keinerlei Scheu haben, offen mit ihren Gefühlen umzugehen und das auch mit ihren Programmen deutlich machen. Sie suchen in Werken, zu denen sie sich hingezogen fühlen, den Bezug zum eigenen Leben, zu ihren Träumen, Hoffnungen oder auch der eigenen Einsamkeit, der sie mit Hilfe der Kunst auf den Grund kommen wollen. Sie verschließen das eigenen Ich nicht vor der Öffentlichkeit, geben preis, was die Generation vor ihnen noch verschloss und mit Kunst sublimierte. Macht sich die Wirkung von Social Media auch auf diese Weise bemerkbar? Wenn ja, wäre das nicht schlechteste Erfahrung unserer Zeit. Arcayürek: „Franz Schuberts Musik und auch die Einsamkeit begleiten mich seit meiner Kindheit. Einsamkeit kann aus meiner Sicht durch viele Begebenheiten entstehen – durch Liebeskummer, einen Verlust, aber auch durch Umzug in ein neues Land.“ Die Vielfalt in Schuberts Gefühlswelt und seiner Musik hätten ihn „schon früh in ihren Bann gezogen“. Und weiter schreibt er in seinem Text über die Aufnahmen der Lieder: „Die Einsamkeit auszufüllen gelingt mir besonders gut, wenn ich selbst musiziere.“ „Frühlingsgaube“, „Schäfers Klagelied“, „Der Schiffer“, „Drei Gesänge des Harfners“, „Nacht und Träume“, „An den Mond“, „Wandrers Nachtlied“ II sind – den Harfner dreifach gezählt – neun Titel von insgesamt dreiundzwanzig. Für zehn Minuten wäre noch Platz gewesen auf der CD. Warum aber einen Gedanken auswalzen. Bei der Programmauswahl wird also größtenteils auf Bewährtes zurückgegriffen. Das ist dem Sänger insofern hoch anzurechnen, weil er den Vergleich mit der übermächtigen Konkurrenz nicht scheut. Muss er auch nicht. Was gehen ihn Fischer-Dieskau, Prey oder Wunderlich an? Ich bin fest davon überzeugt, dass er die Kollegen, die den Jahren nach seine Großväter hätten sein können, gut studiert hat. Wenn er etwas von ihnen lernte, dann sein starkes Bemühen, die Texte deutlich herüberzubringen. Ohne diesen Genauigkeitsfanatismus braucht ein Liedsänger gar nicht erst ins Studio oder vor das Publikum zu gehen. Arcayürek, der – wie sein Kollegen David Jerusalem und Rafael Fingerlos – gar nicht so jung klingt wie er aussieht, ist noch nicht am Ende seiner stimmlichen Möglichkeiten. Er hat einen schier endlosen Atem. Bestimmte Phasen kommen viel stärker zur Geltung, wenn sie nicht unterbrochen werden müssen, um Luft zu holen. Gleich im zweiten Lied, dem „Nachtstück“ bringt er diese Fähigkeit wunderbar zur Geltung. Die Stimme fließt ruhig dahin. Er weiß, was Legato ist. Rüdiger Winter