Mark Elder, seit 2000 an der Spitze des Hallé Orchestra, des ältesten englischen Orchesters, stehend und diesem in Nibelungentreue ergeben wie einst John Barbirolli, hat sich in den letzten Jahren als einer der beachtlichsten lebenden Wagner-Interpreten einen Ruf gemacht. Besonders seine Einspielung des Parsifal wusste zu begeistern. Hierin zeigte sich einmal wieder die Überlegenheit englischer Knabenchöre. Mit dem Concertgebouw-Orchester legte er zudem einen respektablen Lohengrin vor. Ihren Ursprung hat Elders Wagner-Expertise beim Ring des Nibelungen. Bereits 2009 wurde Götterdämmerung eingespielt, 2011 dann Die Walküre. Fast schien es so, als würde der Manchester-Ring Fragment bleiben – ein Schicksal, das auch dem Mariinski-Ring unter Gergiew zu ereilen droht. 2016 aber ging es dann doch weiter und man nahm sich des Rheingolds an (Hallé CD HLD 7549). Es darf schon vorausgeschickt werden, dass die Aufführungen des Siegfried bereits stattfanden und mit einer zeitnahen Veröffentlichung zu rechnen ist. Damit wäre das ehrgeizige Projekt zumindest in Manchester nach einem Jahrzehnt vollendet worden. Allein dies nötigt Respekt ab, handelt es sich beim Hallé doch bei allen Meriten um kein genuines Opernorchester. Dass mit den wirkungsmächtigeren Teilen der Tetralogie begonnen wurde, nimmt kaum wunder. Bereits Herbert von Karajan eröffnete seine Salzburger Osterfestspiele weiland nicht mit dem Rheingold, sondern mit der Walküre. Dass Siegfried nun den Abschluss bildet, spiegelt letztlich nur die Aufführungsstatistik wider; keine der Ring-Opern wird wohl seltener gespielt.
Doch zurück zum Rheingold. Etwaige Vorbehalte gegen das Orchester sind unbegründet. Tatsächlich hat Elder in seiner mittlerweile beinahe zwei Jahrzehnte währenden Amtszeit als Chefdirigent eine Art neuen Hallé-Klang etabliert, der sich als samtig, ungemein lyrisch, wenn nötig aber auch mit einer adäquaten dramatischen Durchschlagskraft charakterisieren lässt. Die Grundtendenz seiner bisherigen Wagner-Interpretationen setzt sich auch hier fort. Elder nimmt sich, wenn nötig, Zeit, denn er hat sie, und sein Klangkörper folgt ihm darin tadellos. Bei aller berechtigten Lobpreisung der großen Wagner-Aufnahmen aus der Vergangenheit: von der Orchesterkultur her liegen diese Hallé-Einspielungen ganz weit vorne. Großartig gerade die rein orchestralen Abschnitte wie der Abstieg der Götter nach Nibelheim. Fast wähnt man Elder hier auf den Spuren von Reginald Goodall, dem legendärsten Wagner-Dirigenten von der Insel.
Tatsächlich ist es sinnvoll, hier von einer Einspielung zu sprechen, handelt es sich doch nicht um den bloßen Mitschnitt der konzertanten Aufführung in der Bridgewater Hall in Manchester vom 27. November 2016. Es wird bewusst darauf verwiesen, dass auch die Proben eingearbeitet wurden. Dies ist legitim und nachvollziehbar, konnten so doch etwaige Unsauberkeiten ausgebügelt und dem Perfektionismus einer echten Studioaufnahme angenähert werden, ohne auf das Adrenalin einer Live-Aufführung gänzlich zu verzichten. Sängerisch ist man im Großen und Ganzen auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Samuel Youns Alberich fehlt die Tiefe eines Gustav Neidlinger (man möchte fast sagen: natürlich) und wirkt etwas leichtgewichtig, doch geht er in seiner Rolle völlig auf (sehr expressiv beim Fluch). Iain Paterson als Wotan scheint auf Linie zu liegen mit dem Dirigat, ist zuweilen eher ein Leisetreter denn ein machtvoller Göttervater wie einst Hans Hotter und George London, aber mit interessantem Timbre. 2020 soll er gar in Bayreuth den Wotan geben. Mit Susan Bickley hat man eine ungewöhnlich ansprechende Fricka an Bord, die sich von früheren Rolleninterpretinnen schon dadurch abhebt, dass sie ihr eine sympathischere Erscheinung verleiht. Vor allem darstellerisch überzeugend sind Will Hartmann als Loge und Nicky Spence als Mime; sie machen stimmliche Defizite durch Intensität gleichsam wett. Auch die kleineren Rollen fallen nicht ab. Dies gilt besonders für die Riesen (mächtig und sonor Reinhard Hagen – der einzige Muttersprachler in der Besetzung – als Fasolt und Clive Bayley (etwas an Matti Salminen erinnernd als Fafner), aber auch für Donner und Froh (David Stout und David Butt Philip), für Freia (Emma Bell) und für Erda (Susanne Resmark), mit Einschränkungen auch für die drei etwas ältlich klingenden Rheintöchter (Sarah Tynan, Madeleine Shaw und Leah-Marian Jones). Ausfälle gibt es keine, die deutsche Diktion ist soweit vorbildlich und akzentfrei.
Insgesamt wird Elders Neueinspielung zwar keine der etablierten Referenzaufnahmen ablösen (darunter Keilberth, Solti und Karajan), doch braucht sie auch keine Vergleiche zu scheuen, besonders nicht aus jüngerer Zeit. Aufgrund des prachtvoll ausgelegten Orchesterparts und des umsichtigen Dirigats, die dank des exzellenten Klanges richtig zur Geltung kommen, kommt man kaum umhin, auch dieses Rheingold in der Diskographie weit vorne einzuordnen. Daniel Hauser