Musikalischer Lebenslauf

 

Aufnahmen aus den besten Jahren des Baritons Yuri Mazurok hat die Russische Firma Melodia auf einer CD versammelt (MEL CD 10 02393). Das Archiv des einstigen Staatslabels der Sowjetunion dürfte reich bestückt sein. Mehr und mehr Titel werden gehoben und gelangen auch auf den westeuropäischen Markt. Mazurok, 1931 geboren und 2006 gestorben, gehört zu den begabtesten und berühmtesten Opernsängern, die sein Land hervorbrachte. Auch im Westen hatte er einen hervorragenden Ruf. Gastspiele führten ihn an die Met, nach London, Wien und in andere musikalische Zentren. Mit russischen Partien war er genau so erfolgreich wie mit Verdi oder Puccini. Escamillo in der von Franco Zeffirelli inszenierten und von Carlos Kleiber dirigierten Carmen an der Wiener Staatsoper von 1978 lief auch im deutschen Fernsehen und hat sich auf DVD erhalten.

Das Arioso des Mazeppa aus der gleichnamigen Oper von Peter Tschaikowski steht am Beginn der CD. 1971 ist diese Aufnahme entstanden. Die Stimme klingt noch vergleichsweise hell und metallisch, fast tenoral. Sie hat einen hervorragenden Sitz in allen Lagen, die bestens verblendet sind. Nahtlos gelingt ihm der der Aufstieg in die Höhe. Wer auch nur ein paar Brocken Russisch versteht, erkennt, wie deutlich und genau dieser Sänger agiert. Das ist hohe Schule des Gesangs ohne akademische Attitüde. Zehn Jahre später klingt er mit der Ballade des Tomski aus Pique Dame, die unmittelbar auf Mazeppa folgt, geschmeidiger. In dieser Gegenüberstellung, die vielleicht nur zufällig ist, wird die Entwicklung und Reife des Baritons deutlich. Neben Tschaikowski gibt es Rubinstein (Dämon), reichlich Rimski-Korsakov (Sadko, Zarenbraut, Schneeflöckchen) und Mussorgski (Chowanschtschina). Und auch der Onegin, der in seiner Laufbahn eine feste Größe gewesen ist, fehlt nicht. Die Einspielung der Arien aus dem ersten Akt, in der er Tatiana Einblick in seine unbestimmten Gefühle und persönlichen Konflikte gibt, habe ich nie so eindringlich gehört wie von Mazurok. Sein Verdi, für den Mazurok besonders berühmt war, klingt für meinen Geschmack gelegentlich etwas zu gepresst, zu hart und zu körnig. Dafür gebricht es nicht an Ekstase. Zu hören ist er als Jago, Renato und Luna. Die CD gleicht einem musikalischen Lebenslauf.

Obwohl die Aufnahmen einen größeren Zeitraum umfassen, sind sie klanglich sehr gut aufeinander abgestimmt. Es gibt leine akustischen Brüche. Alles in allem ist der Sound perfekt. Nicht einmal kommt der Gedanke auf, dass es sich ja den Jahren nach um historische Aufnahmen handelt. Das Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters wird jedes Mal von Mark Ermler geleitet. Rüdiger Winter