Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Barockes Gefühlslabyrinth

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Francesco Cavallis L´Egisto, uraufgeführt 1643 in Venedig, zählt zu den ersten Werken des Frühbarock, welche in moderner Zeit wiederbelebt wurden. Ein Pionier in dieser Bewegung war Raymond Leppard, der die Favola drammatica musicale bereits 1971 für die Decca aufnahm. 1973 folgte René Jacobs mit seiner Einspielung bei harmonia mundi. Das Label Château de VERSAILLES ist heute führend in der diskographischen Aufarbeitung des barocken Erbes – vor allem natürlich der französischen Kompositionen. Aber auch Werke italienischer Meister stehen im Fokus, wie jetzt die Veröffentlichung von Cavallis L´Egisto belegt. Die Aufnahme entstand im März 2021 in der Opéra Royal du Château de Versailles und wurde auf zwei CDs veröffentlicht, wie stets bei diesem Label von einem prachtvollen Booklet mit farbigen Abbildungen und Einführungstexten in mehreren Sprachen begleitet (CVS076).

Im Libretto von Giovanni Faustini geht es um die erotischen Verflechtungen von zwei Paaren – der arkadischen Hirten Clori und Lidio sowie Egisto und Climene -, ergänzt um den beharrlich an Clori interessierten Hipparco, Climenes Bruder. Dazu gesellt sich die Dienerin Dema, eine komische Travestiefigur, wie sie in der venezianischen Oper des 17. Jahrhunderts Tradition hatte. Sie ist frustriert wegen der entschwundenen Jugend und der immer selteneren sexuellen Abenteuer. Schließlich finden sich im Personal noch mythologische Figuren wie Venere, Apollo und Amore sowie kapriziöse Göttergestalten wie Bellezza und Volupia.

Mit seinem 1998 von ihm gegründeten Ensemble Le Poème Harmonique sorgt Vincent Dumestre für eine vitale, unterhaltsame Interpretation mit reichen Farbkontrasten, zu der auch die im Stil des recitar cantando prägnant artikulierende Sängerbesetzung beiträgt. Der Bari-Tenor Marc Mauillon ist ein empfindsamer junger, in seinen Gefühlen verwirrter Titelheld. Seine Climene ist die französische Mezzosopranistin Ambroisine Bré,  die ihre Partie mit Delikatesse und Wohllaut ausfüllt. Ähnlich kultiviert und angenehm süß klingt die belgische Sopranistin Sophie Junker als ihre Konkurrentin Clori. Ihr Lidio ist der amerikanische Tenor Zachary Wilder mit weicher, schmeichelnder Textur, der Bariton Romain Bockler der sie begehrende Hipparco. Der britische Tenor Nicholas Scott gibt mit lautmalerischen Extravaganzen eine köstliche Karikatur der Dema in ihren Zuständen der Gefühlsverwirrungen. Eine ähnlich hinreißende Studie liefert der Haute-contre David Tricou als La Notte mit exaltierter Stimmgebung und Apollo (18. 094. 24). Bernd Hoppe

„Déjanire“ von Saint-Saens

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Und wieder überrascht uns die umtriebige Firma Palazzetto Bru Zane mit einer weiteren Oper von Saint-Saens, zugegebener Weise mit einer Welt-Ersteinspielung nachdem die Oper bereits 1985 in Monpellier mit Dunya Vezjovic vorgestellt wurde. Déjanire nach Sophokles, wie man den Stoff von Cavalli, Händel oder Dauvergne kennt. Das ist sicher gut und schön, aber angesichts der ins Auge starrenden Lücken im Repertoire der dokumentierten französischen Oper: Ist nun noch eine von Saint-Saens nötig? Schon die kürzlich vorgestellte Ariane hat ihre beträchtlichen Längen. Und nach  Proserpine, Phryné und einem Riesenkontingent von Ascanio bis Timbre d´argent bei anderen Firmen: Ist es nicht langsam genug mit Saint-Saens?

Man schüttelt doch den Kopf ob der Repertoirepolitik des franco-italienischen Hauses (zumal nicht immer wirklich beglückend gesungen wird). Aber selbst angesichts der Seltenheit der Déjanire: gibt es nicht andere, brennendere Titel zur Wiederauferweckung? Etwa  Zampa, Dom Sebastien, eine französische Agnes von Hohenstaufen (eine deutsche gab es am Theater Erfurt!),Charles IV/Halevy (einmal in Combiegne), eine ungekürzte und gut gesungene Juive, Les Fées du Rhin (zuletzt je einmal in Toulon und Biel), Le Freyschütz, Antar/Dupont, Aben-Hamlet/Dubois, La Samaritaine/D´Ollone (Radio), Julien/Charpentier, L´attaque du moulin/Bruneau (ebenfalls am Theater Erfurt!)Marie Stuart/Niedermeyer (gab´s mal in Mini-Ausgabe in Zürich), Lancelot/Joncieres (zuletzt in Toulon), Fervaal/D´Indy (dto. einmal in Montpellier), Monna Vanna/Février (franz. Radio), St Julien l´hospitalier/Erlanger (dto.), und viele, viele mehr (sogar bitte eine, diesmal dritte Reine de Saba/Gounod, weil die vorhandenen entweder klanglich oder besetzungsmäßig nicht ausreichen). Ach ja, um mit Carmen zu sprechen: „C´est ne pas interdit de rever!“ Immerhin kommt eine neue Medée von Cherubini mit Marina Rebeka unter Christophe Rousset ohne Alexandriner von Hoffman aber mit (angeblich) eigenen Rezitativen vom Komponisten selbst … Aber man kann sich des Eindrucks nicht verschließen, dass der Palazetto seine ursprüngliche Richtung verloren hat, die Romantische französische Oper vorzustellen (wie doch das Motto der CD-Reihe verspricht) als das Spektrum sehr viel weiter war.

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„Déjanire“ von Saint-Saens: Kate Aldrich beim Konzert in Monte-Carlo/Foto Fréderic Nebinger Palais Preincier Departement Communication Monte-Carlo

Nun aber zu Déjanire. Die wurde erstmals 1898 für die Riesen-Freiluft-.Arena von Béziers geschrieben, ca. 30 000 Zuschauer und fast ebensoviele Mitwirkende auf der Bühne, eine gigantische Angelegenheit á la Aida (mit wüsten Bühnenbildern). In der zweiten Fassung ging das Werk in das winzige Opernhaus von Monte-Carlo, eine fürwahr musico-logistische Leistung. Für seine (in den Hauptrollen mit Bérziers identische) Besetzung eben dort am 14. März 1911 hatte Saint-Saëns Sängerinnen und Sänger, die zur Crème de la Crème der dramatischen Werke jener Zeit gehörten: die große, in Russland geborene Félia Litvinne als Déjanire, die heute vergessene, aber enorm in ihrer Zeit bekannte französische Sopranistin Yvonne Dubel als Iole (Foto oben), den Tenor Lucien Muratore als Hercule und die Mezzosopranistin Germaine Bailac (de Boria), die den Komponisten bereits mit ihrer Darstellung der Dalila in seiner früheren Oper beeindruckt hatte, als Phénice. Dies waren große Stimmen; sowohl Litvinne als auch Dubel sangen Wagner-Rollen sowie französische und italienische heroische Rollen, und obwohl Muratore nie Wagner gesungen hat, war er als bedeutender singender Schauspieler in großen Rollen bekannt, der sein dramatisches Handwerk durch die Arbeit mit Sarah Bernhardt gelernt hatte.

Für diese Aufnahme hat Bru Zane uns die Äquivalente dieser Sänger im Taschenformat zur Verfügung gestellt. Kate Aldrich (Déjanire, nicht überzeugend, wohl doch schon ausgesungen?), Julien Dran (Hercule, sehr engagiert, vielleicht eine Spur zu klein), Anaïs Constans (Iole sehr klangschön, aber auch mal kanpper auf der Höhe), Jerôme Bouotillier (Philoctète, wirklich sonor und klangschön) und Anna Dowsley (Phénice, etwas unruhig) bewältigen ihre Partien nicht mit der Stimm-Fülle und Virtuosität, die diese Oper idealerweise braucht. Aber zumindest können sie alle gut und mehr als anständig singen. Kate Aldrich in der Titelpartie kann mit stumpfem Mezzo (zu viel und zu groß gesungen, das rächt sich hier einmal mehr) nicht überzeugen. Ihre Kollegen sind mehr als ordentlich und liefern in einer Studioumgebung so viel ab, wie sie können. Aber eine (in den Medien hoch gelobte) konzertante Wirkung im winzigen Saal und schöner Umgebung ist eben nicht dieselbe wie eine rein akustische auf 2 CDs im heimischen Wohnzimmer. Wie sich auch hier zeigt.

Der Bariton Henri Danges/ Philoctète in „Déjanire“/Ipernity

Es gilt für mich hier dasselbe wie bereits auf dieser website vielfach und  für die erwähnte Ariane und andere gesagt: Man wünscht sich da doch Größeres, Divenhafteres, Persönlicheres. Auch musikalisch Substanzreicheres, weniger Aufgewärmtes.  Ich habe mich lange nicht mehr so gelangweilt!

Diese Déjanire-Einspielung ist für mich  ist wie Porsche mit einem VW-Motor. Natürlich ist man interessiert – wenn man nun noch einen Saint-Saens möchte – diese seltene, kaum bekannte Oper in die eigene Sammlung einzufügen und sie zumindest einmal gehört zu haben. Und dafür ist die neue Aufnahme auch ordentlich, seriös musiziert.

Aber diese Art von Opern lebte, wenn schon dünner in der Erfindung,  aber doch zumindest orchestral rauschhaft von dem Glamour der Mitwirkenden anderer Zeiten. Man bräuchte heute einen Pavarotti, jungen Carreras oder auch jungen Kaufmann oder Spyres zusammen mit einer Sutherland, Horne, Scotto oder zumindest Netrebko (in schmerzhafter Abwesenheit französischer Sänger dieses Kalibers, die es seit Régine Crespin nicht mehr gibt). Insofern ist dies für mich – mich allein natürlich nur (und ich weiß, ich werde als ewiger Mäkler betrachtet) – die Schwarz-Weiss-Kopie eines Cinemascope-Films …  G. H.

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Zum Kennenlernen der Oper jedoch nun der Artikel von Vincent Giroud aus dem wie stets luxuriösen 2-CD-Band des Palazzetto, der neben dem französisch-englischen Libretto auch weitere Aufsätze vom Prinzipal Alexandre Dratwicki, Sabine Teulon Lardic und Gabriel Fauré enthält – wieder einmal nichts in deutscher Sprache. Deshalb nachstehend der einführenden Artikel zu Werk und Geschichte in unserer eigenen deutschen Übersetzung mit Dank an M. Dratwicki. G. H.

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Die Entstehung der Déjanire geht auf das Frühjahr 1897 zurück, als Saint- Saëns Fernand Castelbon de Beauxhostes (1859-1934) kennenlernte, einen wohlhabenden Winzer und Amateurmusiker aus Béziers, der ihn einlud, ein Orgelkonzert in der Kathedrale seiner Heimatstadt einlud. Castelbon erzählte Castelbon erzählte dem Komponisten von seinen Plänen, in Béziers ein Festival zu veranstalten, für das er die große Arena zu veranstalten, die damals auf dem Gelände eines antiken Amphitheaters gebaut Amphitheater gebaut wurde, und schlug vor, es im folgenden Jahr mit einem im folgenden Jahr mit einem von ihm selbst komponierten dramatischen Werk zu eröffnen.

Lucien Muratore als Hercule in „Déjanire“ an der Pariser Opéra/Atelier Nadar/Ipernity

Nach Phryné (1893) hatte Saint-Saëns jedoch erwogen, die Oper aufzugeben und kehrte nur zurück, um die Frédégonde seines Freundes Guiraud zu vollenden, die die 1895 im Palais Garnier ein kläglicher Misserfolg war. Obwohl er anfangs mit der Akustik unter freiem Himmel rechnen musste, war er dennoch daran interessiert, was er selbst als „die Wiederherstellung des antiken Theaters“ bezeichnete. Saint-Saëns verfügte über umfangreiche Kenntnisse der klassischen Kultur und begeisterte sich für die antike Welt; er hatte seine persönliche Interpretation der musikalischen Begleitung der griechischen griechischen Tragödie im Jahr 1893 mit seiner Bühnenmusik zu Sophokles‘ Antigone in der von Paul Meurice und Auguste Vacquerie für die Comédie-Française Française. Nachdem er mit Castelbon die Möglichkeiten der Arena erprobt hatte, wandte er sich an seinen Lieblingsmitarbeiter Louis Gallet, der ihm das den Tod des Herkules vorschlug. In formaler Hinsicht sollte das Werk gesungene Chöre und Orchesternummern sowie ein Ballett im letzten Akt, aber die Rollen in der eigentlichen Tragödie sollten gesprochen werden.

 In diesem Gewand wurde das Stück mit dem Titel Déjanire und dem Untertitel „tragédie lyrique“ am 28. August 1898 in der Arena von Béziers mit großem Erfolg uraufgeführt. Die junge Cora Laparcerie vom Théâtre de l’Odéon (die spätere Mme Jacques Richepin) spielte die Titelrolle, Georges Dorival, ebenfalls vom Odéon, als Hercule und Eugénie Segond-Weber von der Comédie-Française, als Iole. Saint-Saëns selbst dirigierte die musikalischen Abschnitte. Déjanire wurde im Dezember desselben Jahres sechsmal im Odéon aufgeführt. desselben Jahres unter der Leitung von Édouard Colonne mit derselben Besetzung aber mit einer leichteren Orchester- und Chorbesetzung.

Die Wiederaufnahme erfolgte 1899 in Béziers, 1901 in Toulouse und wurde im darauf folgenden Jahr in Bordeaux aufgeführt. Obwohl Saint-Saëns mit der Erfahrung in Béziers zufrieden war, hatte er sich der sich inzwischen mit der Oper versöhnt, erwog aber bald  Déjanire von 1898 in eine echte, durchgehend gesungene tragédie lyrique zu verwandeln. Doch zunächst schien die Aufgabe zunächst unüberwindbar, denn er hatte seinen Mitarbeiter Gallet verloren, der am 16. Oktober 1898 verstorben war. Als es darum ging, ein Theater für das Projekt zu finden, verstand er sich schlecht mit dem Direktor der Pariser Opéra (Palais Garnier), Pedro Gailhard, trotz des Erfolgs von Les Barbares im Jahr 1901, und auch mit Albert Carré, der 1898 die Nachfolge von Léon der 1898 die Nachfolge von Léon Carvalho als Direktor der Opéra-Comique angetreten hatte.

Bühnenbild für „Déjanire“ an der Pariser Opéra 1911/Gallica

Doch die Aussichten verbesserten sich 1904, als der Komponist eine neue Zusammenarbeit mit der Opéra de Monte-Carlo begann. Dieses von Charles Garnier errichtete Haus (erbaut und 1879 eingeweiht), stand seit 1893 unter der Leitung von Raoul Gunsbourg. Er war eine schillernde Persönlichkeit rumänischer Herkunft und hatte eine abenteuerliche Karriere hinter sich, bevor er seinen letzten Posten als Leiter  des Grand-Théâtre de Lille antrat. Mit einem beträchtlichen Budget und der Unterstützung von Prinz Albert I. und Prinzessin Alice, einer wohlhabenden Amerikanerin, deren Familie mit dem Dichter Heinrich Heine verwandt war, machte Gunsbourg das Fürstentum zu einem der wichtigsten Zentren der zeitgenössischen Oper in den ersten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts, von Massenets Le Jongleur de Notre-Dame (1901) bis zu Ravels L’Enfant et les sortilèges (1925).

Saint-Saëns‘ erste Komposition für Monte Carlo war das einaktige „poème lyrique“ Hélène, für das er selbst das Libretto nach den antiken Quellen über Helena von Troja schrieb; es wurde im Februar 1904 im Fürstentum uraufgeführt.

Bühnenbild für Déjanire“ an der Pariser Oper 1911/Gallica

Nachdem er sich selbst bewiesen hatte, dass er der Aufgabe gewachsen war, konnte er nun die Umarbeitung der Déjanire in eine Oper als realisierbares Projekt betrachten. Dieses Projekt wurde jedoch durch andere Arbeiten verzögert, darunter eine zweite Oper für Monte Carlo, L’Ancêtre, die im Februar 1906 uraufgeführt wurde. Endlich bekam er dank eines dritten günstigen Faktors, nämlich der Ernennung von André Messager und Leimistin Broussan zum Nachfolger Gailhards als Direktor der der Pariser Opéra im Jahr 1908. Als sowohl Messager, mit dem er eine gute persönliche Beziehung hatte (der jüngere Komponist hatte auf seine Bitte hin Rezitative für Phryné komponiert), als auch der Fürst von Monaco und Gunsbourg eine neue Oper von ihm verlangten, bot Saint-Saëns die Déjanire neu zu besetzen, und der Vorschlag für diesen gemeinsamen Auftrag wurde angenommen.

Die Komposition der zweiten Déjanire begann im Dezember 1909 in Kairo, wo der Bruder des Khediven, Mohammed Ali Pascha, dem Komponisten einen Flügel in seiner Villa auf der Insel Roda zur Verfügung stellte. Das Werk wurde im März 1910 in Monte Carlo und Cannes vollendet, und die Partitur wurde im September von Durand veröffentlicht. Das Libretto wurde von  Calmann-Lévy zu Beginn des folgenden Jahres zur Zeit der Aufführung in Monte Carlo herausgegeben und trägt den Namen von Saint-Saëns als Ko-Autor mit Gallet auf dem Titelblatt. Merkwürdigerweise wird die Déjanire von 1911 als „Wiederaufnahme“ (Reprise) bezeichnet, obwohl es sich um ein wirklich neues Werk handelt.

Félia Litvinne als Déjanire / Gallica

Diese Verwechslung hat sich seither in zahlreichen Nachschlagewerken wiederholt. Das Libretto von Gallet, das Saint-Saëns – mit einer wichtigen Ausnahme – nur in formalen Aspekten änderte, war hauptsächlich von Sophokles‘ Trachiniae inspiriert und in geringerem Maße von Hercules Oetaeus, einem römischen Stück aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., dessen Zuschreibung an Seneca seit langem umstritten ist. Gallet bewahrte die Grundzüge des ursprünglichen Mythos, der auch im neunten Buch der Metamorphosen von Ovid auftaucht: Dejanira, die Frau des Herkules, glaubt, die Liebe ihres Mannes zurückgewinnen zu können, der sich in seine junge Gefangene Iole verliebt hat, und schenkt ihm zu diesem Zweck eine Tunika die einst mit dem Blut des Zentauren Nessus getränkt war, einem der vielen Opfer des Herkules. vielen Opfern. Doch das Blut verwandelt sich in ein Gift, das Herkules verbrennt, sobald er das Kleidungsstück angezogen hat, so dass er unter Qualen stirbt.

Nach dem Beispiel von Rotrous´ Hercule mourant ou la Déjanire (1634) hat Gallet die die Figur des Hyllus, des Sohnes von Herkules und Dejanira, nicht aus den antiken Quellen übernommen. Herkules und Dejanira, dem der sterbende Held befahl, Iole zu heiraten und so die Dynastie der Herakliden (Heracleidae) zu gründen, von denen die Dorer ihre Abstammung behaupteten. Die Opernadaptionen von Cavalli (Ercole amante, 1662, Libretto von Abbé Buti), Händel (Hercules, 1745, Libretto von Thomas Broughton) und Dauvergne (Hercule mourant, 1761, Libretto von Marmontel) gingen so weit, Hyllus zum Rivalen seines Vaters zu machen indem er ihn sich ebenfalls in Iole verliebt. Gallet führte eine Abwandlung ein, indem er diese Rolle Philoctetus übertrug, der, obwohl er mit den Herkules-Mythen in Verbindung gebracht wird, aber weder in Sophokles‘ Stück noch in Hercules Oetaeus, und der in Rotrou einfach ein Vertrauter des Helden ist.

Die Handlung dreht sich also um ein Quartett:  Déjanire ist eifersüchtig auf Hercule, der Iole liebt, die Philoctète liebt und von ihm geliebt wird. Eine fünfte Figur, die von Gallet erfunden wurde, ist Phénice, Déjanires Amme und Vertraute von Déjanire (die auch die Gabe der Prophezeiung besitzt). Was den Ort der Handlungbetrifft:  Gallet, der zweifellos mit der geografischen Lage der in den Quellen erwähnten Städte vertraut ist, siedelt nicht wie Sophokles diese in Trachis, sondern im Palast von Oechalia an, eine jener Städte, die von Herkules erobert wurde und deren König Eurytos, Vater von Iole, er gerade getötet hat.

Als Saint-Saëns den Text 1898 für die Vertonung überarbeitete, änderte er den Schluss in einem wichtigen Punkt: Während in Gallets Stück die Déjanire, entsetzt über ihren Irrtum, ihre Absicht ankündigt, Selbstmord zu begehen (wie in Trachiniae und Hercules Oetaeus), so klagt sie in der Oper zwar am Ende, aber es wird nichts mehr ihr Schicksal gesagt. Wir können also davon ausgehen, dass sie überlebt, wie das schon in Cavallis Oper der Fall war.

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„Déjanire“ 1898 in der Arena von Béziers /Gallica

Die Hauptaufgabe des Komponisten bestand darin, einen ursprünglich für die Deklamation konzipierten Text  „singbar“ zu machen. Wie er in einem Artikel in der Zeitschrift Zeitschrift Musica im November 1911 erklärte er: „Ein Text, der für die Deklamation gedacht ist, und ein Text, der zum Singen bestimmt ist, sind nicht dasselbe“. Das Problem war nicht Gallets meist ungereimter Blankvers: Saint-Saëns, trotz seiner erklärten Vorliebe für traditionelle poetische Formen, respektierte diese Wahl. Es war vielmehr eine Frage des Beschneidens, Verdichtens und manchmal des Ausdehnens den Erfordernissen der Gesangslinie zu kürzen, zu verdichten und manchmal zu erweitern, „sogar das Tempo bestimmter Szenen“. Das von ihm angeführte Beispiel, aus dem hier nur ein Auszug zitiert werden soll, zeigt die Richtigkeit seines Urteils und seinen Geschmack, denn er den Text seines Mitarbeiters in jeder Hinsicht verbessert. In der Szene zwischen Iole und Déjanire am Anfang des zweiten Aktes hatte Gallet geschrieben: Tu viendras seulement, enchaînée à mon char, Captive du héros, c’est-à-dire la mienne, Vivre au palais de Calydon. Et je m’y souviendrai que tu fus presque reine! Toi, tu te souviendras que, moi vivante, Hercule ne peut pas connaître une autre épouse! Saint-Saëns hat dies wie folgt umgeschrieben: Mais tu viendras, enchaînée à mon char, Désormais ma captive, Vivre au palais de Calydon. Là, je te ferai voir que, moi vivante, Hercule ne peut avoir une autre épouse!

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„Déjanire“: Mlle. Bourgeois von der Pariser Oper singt die “Hymne an Eros” in der Arena von Béziers 1898/ Ipernity

Was die Musik selbst betrifft, so sind einige der Änderungen lediglich kosmetischer Natur. Saint-Saëns verrät in demselben Artikel, warum er sich dazu veranlasst sah die Rolle des Herkules – ein Bass bei Händel, ein basse-taille (Bariton) bei Cavalli und Dauvergne – für einen Tenor zu schreiben, nachdem beschlossen worden war, ihm die Épithalame im vierten Akt: der/die Koryphäe, der/die diese Nummer 1898 sang, war der Tenor Valentin Duc aus Béziers (der Schöpfer von Paladilhe’s Patrie! im Palais Garnier 1886), und obwohl sie nun dem Helden zugewiesen war konnte es aufgrund seiner Position in der Partitur nicht transponiert werden. Dieses Epithalamium („Viens, ô toi, dont le clair visage“) ist der einzige Auszug aus dem Auszug aus dem Werk, der 1911 von dem berühmten puertoricanischen Tenor Antonio Paoli in französischer Sprache aufgenommen wurde und der den Samson an der Scala gesungen hatte. obwohl nicht bekannt ist, ob diese Aufnahme in irgendeinem Zusammenhang mit der Uraufführung der Oper im selben Jahr hatte.

In der Tat war es eine weitgehend neue Partitur, selbst die Orchester- und Chorpassagen aus dem Jahr von 1898 übernommenen (laut Hugh Macdonald etwa ein Viertel der Musik), wurden neu orchestriert und manchmal in eine andere Tonart transponiert. Das Präludium ist anders, auch wenn es wie sein Vorgänger, das Anfangsthema von Saint-Saëns‘ symphonischer Dichtung La Jeunesse d’Hercule zitiert, die 1877 von Colonne uraufgeführt wurde und deren Coda auch in der auch in der Apotheose, mit der die Oper endet, auftaucht. Auch ist der getanzte Chor des vierten Aktes ebenfalls nicht mit dem in Béziers aufgeführten identisch.

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Fotoeindrücke von Déjanire“ in Béziers: Représentations aux Arènes de_[…]Bois-Guillot_Antoinette/ Gallica

Die Uraufführung von Déjanire im Grand-Théâtre de Monte-Carlo am 14. März 1911 war ein Ereignis, das dem Ruf des Komponisten entsprach, und die Reaktion des Publikums scheint enthusiastisch gewesen zu sein. Sie wurde von Gunsbourg selbst inszeniert und von Léon Jehin dirigiert, dessen Frau, Blanche Deschamps-Jehin, die erste Dalila im Palais Garnier im Jahr 1892 war. Die Titelrolle wurde von Félia Litvinne gesungen, selbst eine Dalila, deren Stimme, die gewöhnlich als dramatischer Sopran bezeichnet wird, eher dem Typus des „Falcon“-Soprans entsprach (nach der Sängerin Cornelie Falcon, ein „kurzer“ Sopran/ G. H.); sie wurde in St. Petersburg geboren und war eine Schülerin von Pauline Viardot. Sie sang auch die Rolle der Catherine d’Aragon in der Wiederaufnahme von Henri VIII. an der Opéra im Jahr 1909 und wirkte bei der Premiere von L’Ancêtre in Monte Carlo mit. Hercule war der Tenor Lucien Muratore, ein gebürtiger Marseiller, der seit seinem Debüt 1902 Debüt an der Opéra-Comique in Reynaldo Hahns La Carmélite zum führenden Tenor der Opéra geworden war. Die in Rennes geborene lyrische Sopranistin Yvonne Dubel spielte die Iole, der Bariton Henri Dangès sang den Philoctète, und die Mezzosopranistin Germaine Bailac war die Phénice.

Litvinne, Muratore und Dangès behielten ihre Rollen für die Pariser Premiere im Palais Garnier am 22. November desselben Jahres, diesmal mit Yvonne Gall als Iole und der Altistin Lyse Charny als Phénice, eine Künstlerin, die Saint-Saëns besonders schätzte. Unter vier Augen hat der Komponist, der mit der Inszenierung und der musikalischen Darbietung in Monte Carlo zufrieden gewesen zu sein scheint, keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit mit dem gemacht, was er in Paris gesehen und gehört hatte, und vor allem mit den allzu statischen Tempi von Messager (die Saint-Saëns an dem einzigen Abend, an dem er auf dem Podium stand, zu korrigieren versuchte).

„L´arrivé de Déjanire“, Stich zur Aufführung 1889 in Béziere/Gallica

Déjanire wurde fünfmal in Monte Carlo aufgeführt, mit zwei zusätzlichen Aufführungen im folgenden Jahr, aber nur siebzehn Mal im Palais Garnier zwischen 1911 und 1913. Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, dass das Werk von den Opernhäusern gemieden wurde. Es gab aber eine Erstaufführung in Brüssel im Dezember 1912 (mit Claire Friché in der Titelrolle), im folgenden Jahr in Lyon, Dessau (!) (Durand hatte auch eine deutschsprachige Fassung veröffentlicht) Algier, Kairo, Marseille, Bordeaux, Enghien und Aix-les-Bains Bains und Cannes im Jahr 1914. Die Aufführungen in Marseille, bei denen Muratore die Gelegenheit hatte, seine Rolle auf heimischem Boden zu erleben, bereiteten Saint-Saëns die größte Freude. Die Chicago Opera Association gab die nordamerikanische Erstaufführung am 9. Dezember 1915 unter der Leitung ihres musikalischen Chefdirigenten Cleofonte Campanini und wieder mit Muratore, diesmal unterstützt von der sardischen Sopranistin Carmen Melis als Déjanire und dem Bariton Alfred Maguenat als Philoctète. Einige Quellen erwähnen Aufführungen in New York, vielleicht von denselben Künstlern, aber es ist schwierig, eine Spur davon zu finden. Der Krieg und das Fehlen einer Partitur in italienischer Sprache erklären, warum die Karriere des Werks so kurzlebig war, obwohl sie so erfolgreich begann. Nur eine moderne Aufführung ist bekannt, die 1985 beim Montpellier-Radio France Festival stattfand, unter der Leitung von Serge Baudo mit der kroatischen Sopranistin Dunja Vezjovic in der Titelrolle (die als Radiomitschnitt Sammlern bekannt ist/G. H.) (Foto oben: Yvonne Dubel als Déjanire 1911 an der Opéra de Monte-Carlo/ Gallica) . (…) Vincent Giroud/DeepL/Red. G. H..

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Überraschender Repertoire-Ausflug

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Das Label Château de VERSAILLES ist spezialisiert auf die Einspielungen französischer Barockopern. Lully, Rameau, aber auch Mondonville, Destouches und Boismortier stehen im Zentrum der Aktivitäten – Händel ist eher die Ausnahme. Umso mehr Aufmerksamkeit gilt der Einspielung einer Oper des Halleschen Meisters, wie jetzt seinem Poro, re delle Indie, uraufgeführt 1731 im King´s Theatre London. Die Aufnahme entstand im März 2023 in den Salles des Croisades du Château de Versailles und wurde auf drei CDs veröffentlicht (CVS 123). Das Libretto von Metastasio behandelt den Edelmut, den Alessandro, König von Mazedonien, gegenüber seinem Widersacher, dem indischen König Poro, übt und dem von ihm Besiegten die Freiheit schenkt.

Die Veröffentlichung ist auch von Interesse, weil das Werk auf dem Musikmarkt nicht allzu häufig vertreten ist. Das verwundert, weil das Dramma per musica reich ist an herrlicher Musik – an melodischen Arien, wunderbaren Liebesduetten, gefühlvollem Schmelz und heroischem Pathos. Als Referenzaufnahme gilt noch immer Fabio Biondis Produktion bei Opus 111 von 1994, die inzwischen aus dem Karalog gestrichen ist. Zudem gibt es mit dem Ensemble Il Groviglio ein noch junges Ensemble für Alte Musik zu hören, das der Tenor Marco Angioloni 2018 gründete. Neben seiner Funktion als Dirigent der neuen Händel-Einspielung wirkt der Sänger in dieser auch solistisch mit – sogar in der zentralen Rolle des Alessandro mit. Sein Gegenspieler Poro ist mit dem amerikanischen Countertenor  Christopher Lorey besetzt. Als dessen Schwester Erissena tritt Giuseppina Bridelli in Erscheinung. Die auf Alte Musik spezialisierte Mezzosopranistin imponiert mit pastosen Tönen. Poros Verlobte Cleofide singt die Sopranistin Lucía Martín Cartón mit schön aufblühender Stimme Der französische Counter Paul-Antoine Bénos-Dijan adelt die Partie des Gandarte, Erissenas Verlobten. Der junge Bassist Alessandro Ravasio als Alessandros Leutnant Timagene komplettiert die Besetzung (10. 04. 24). Bernd Hoppe

Mary, Marianna, Maria

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Am 2. Dezember 2023 wäre Maria Callas hundert Jahre alt geworden. Nicht ihr Geburtsland, die USA, sondern ihr Herkunftsland, in das ihre Familie, allerdings ohne den Vater,  1937 zurück kehrte, Griechenland, hielt aus diesem Anlass beachtliche Ehrungen für sie bereit. So wurde die Zweieuromünze mit ihrem Konterfei versehen, wurde das Zimmer des Dekorateurs George Grandpierre, in dem sie ihre letzten Jahre in Paris verbrachte, in einem eigens für sie eingerichteten Museum in Athen nachgestellt. „Voller Stolz und Liebe“ widmet man sich ihrem Andenken, wozu auch ein Film gehört, der im Rahmen des Festivals griechischer Filme im Berliner Kino Babylon gezeigt wurde. Dieser widmet sich nicht der Diva mit internationaler Karriere, nicht der Geliebten, ebenso wie sie berühmte Männer wie Onassis und Giuseppe Di Stefano, der erstaunlichen Verwandlung vom dicklichen hässlichen Entlein zum strahlenden Schwan mit Hilfe oder doch nicht eines Bandwurms, der von den Medien gepflegten Feindschaft mit Renata Tebaldi, sondern der Jahre 1938 bis 1945 und der späteren Rückkehr nach Griechenland.

Es geht auch nicht um den noch seiner Uraufführung entgegensehenden Film von Pablo Larrain mit Angelina Jolie in der Hauptrolle oder den ebenfalls noch nicht fertigen Film von Niki Caro mit Noomi Rapace als Maria, sondern um ein besonders für die Griechen heikles Kapitel, die Besetzung durch italienische und deutsche Truppen in den Vierzigern. Die französische Sopranistin Germaine Lubin wurde wegen ihrer Auftritte vor deutschen Soldaten in Paris und in Bayreuth nach dem Krieg inhaftiert und musste Frankreich für einige Jahre verlassen, obwohl es viele Zeugen für ihre Hilfe für von den Nazis Verfolgte gab.

Maria Kalegoropoulos: Leronore/“Fidelio“/Athen 1944/Tosi

Kirsten Flagstad sang nicht einmal in Nazideutschland und erlitt trotzdem Verfolgung im Nachkriegsnorwegen. Maria Callas, damals noch Gesangsstudentin und Schülerin von Elvira de Hidalgo, so wie übrigens auch die Mezzosopranistin Arda Mandikan, die gemeinsam mit Maria Callas ihr Debut und das mit nur fünfzehn Jahren im  Athen erlebte. Sie war wie die Callas ein Teenager, als diese vor deutschen und italienischen Offizieren als Tosca, Marta in Tiefland oder Fidelio-Leonore (in Griechisch) auftrat. Mandikan wird im Verlauf des knapp zweistündigen Films immer wieder Zeugnis ablegen vom Schicksal der Callas und mit ihr die Rückkehr nach Griechenland, als Adalgisa 1960 im Freilichttheater von Epidaurus, erleben, wenn die inzwischen zum Weltstar gewordene Callas die öffentliche Meinung von totaler Ablehnung zu ebenso totaler Anbetung umwandeln kann.

Der Film von von Vasilis Louras und Vasilis Louras The Unsung Greek Years of Callas mit englischen Untertiteln zu griechischem Dialog oder umgekehrt geht chronologisch vor und lässt viele Zeitzeugen oder zumindest deren Nachkommen oder Schüler zu Wort kommen, so auch den Sohn des deutschen Dirigenten Hans Hörner, der 1944 den griechisch gesungenen Fidelio in Athen dirigiert hatte, den die Callas nach dem Krieg besuchte, die Freude darüber ausdrückend, dass er trotz der Kriegsereignisse noch am Leben war. Die Übersiedelung der in den USA geborenen (Maria Anna Sophia Cecilia getaufte, Mary oder Maryanne genannte) Callas zurück nach Amerika auf Wunsch des Vaters (der als erfolgreicher Drogeriebesitzer nach der Trennung der Eltern in New York geblieben war) war einmal den instabilen Nachkriegs-Verhältnissen in Griechenland mit kommunistischen Aufständen, der Feindseligkeit von Ensemblemitgliedern und der Zurückstufung in der Sängerhierarchie der Athener Oper geschuldet, die spätere Rückkehr dann wohl noch mehr als dem griechischen Herzen, das sie in ihrer Brust schlagen hörte, der Liebe zu Onassis zu verdanken.

Maria Kalegeropoulos und Evangelos Mangliveras in "Tiefland" April 1944 Athen/Tosi

Maria Kalegoropoulos und Evangelos Mangliveras in „Tiefland“, Athen 1944/ Tosi

Einem sommerlichen Aufenthalt hat der Film eines seiner wertvollsten Zeugnisse zu verdanken, ein improvisiertes „Voi lo sapete, o mamma“ der Santuzza nur mit Klavierbegleitung,  neben den nicht zu bezweifelnden Qualitäten der Stimme auch die Binsenwahrheit bestätigend, dass man sich vor dem Singen einsingen sollte. Noch interessanter und wegen seiner hohen Qualität sehr berührend ist ein bisher unveröffentlichtes „Son giunta“ der Forza-Leonora, das die Callas kurz vor ihrem Tod in ihrer Pariser Wohnung repetierte. Da klingt die Stimme, und das meint auch der Kommentator, besser, d.h. frischer als bei ihren späten Auftritten mit Di Stefano.

Der Film ist faktenreich, seinem Sujet zugeneigt, aber ihm nicht unkritisch gegenüber, und er zeichnet ein farbiges, vielseitiges und Interesse am Sujet wach haltendes oder erweckendes Bild seiner Protagonistin. Er war im Rahmen des Greek Film Festival in Berliner Kino Babylon 2024 zu sehen. Ingrid Wanja/ G. H.

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PS: Absolut nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das Buch The Unknown Callas: The Greek Years von Nicholas Petsalis-Diomidis (Hal Leonard Corporation; Illustrated Edition, neu herausgegeben 2001; ISBN-13 – ‎978-3100244130). Dies ist ein besonders spannendes Buch über die Callas, weil die zum Teil beklemmend zu lesenden Details über die italienische und schlimmer noch deutsche Besatzung Athens mehr als deutlich geschildert wird. Hunger-Leichen lagen in den Straßen, und die deutschen Besetzer schossen bei der geringsten Gelegenheit (danach kam der Widerstand und schoss ebenfalls) – kein Ruhmesblatt für uns hier. Die Callas und ihre Mutter Evangelina sowie Schwester Jackie hatten jeweils italienische und dann deutsche Liebhaber, die sie vor dem Schlimmsten schützten. Und sie studierte Tiefland und Leonore mit ihrem Freund ein. Das reich illustrierte Buch, voll mit Zeitzeugen-Aussagen (Mireille Flery, Zoe Vlachopoulou, Constantin Stellakis und auch Arda Mandikian) und hervorragend recherchiert, ist absolut habens- und lesenswert. Und ein Exkurs in deutsch-griechischer Geschichte. Diese und andere Sänger eben dieser Vorkriegszeit sind in der repräsentativen Sammlung beim Hamburger Archiv für Gesangskunst zu hören (dazu unser Artikel bei operalounge.de)..

Aber ganz eigentlich und ungeschlagen ist der bewegende Film Maria über Callas (Regie: Tom Volf, Studiocanal 2021) mit sensationellen und bislang unbekannten Live-Rollen-Aufnahmen, auch aus den griechischen Jahren.

Dazu unser Beitrag zum 100. Geburtstag von Maria Callas mit einer Auswahl an Buchempfehlungen (Foto oben Maria Kalegoropoulos und Stelios Athenaios in „Ho Protomastoras“/Athen 1944/Tosi). G. H.

Thriller bei Pentatone

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Ich hatte mich nie sonderlich für Stephen King interessiert. Weder für die Filme noch für die Bücher. Das Versäumte lässt sich nun leicht nachholen. Der amerikanische Komponist und Pulitzer-Preisträger Paul Moravec (*1957) hat im Auftrag der Minnesota Opera einen der berühmtesten, wenn nicht gar den berühmtesten Roman Kings für die Bühne eingerichtet. „Stephen King’s novel The Shinng ist naturally operatic. The story strikingly dramatizes three oft he most basic elements of opera – love, death, and power“. In diesem Sinn hätte Moravec natürlich aus jedem Plot einer Vorabendserie eine Oper machen können. Allerdings ist The Shining nicht die erste Oper nach Stephen King; bereits 2013 wurde in San Francisco Tobias Pickers Dolores Claiborne nach dem gleichnamigen Roman (1992) uraufgeführt. Moravecs Librettist Mark Campell hat allerdings einen sehr guten Job gemacht, hat verdichtet und den zeitlichen Ablauf der Ereignisse im Overlook-Hotel gestrafft, in dem der trockene Alkoholiker Jack Tarrance eine Hausmeisterstelle antritt, um wieder sein Leben in den Griff zu bekommen und seine schriftstellerische Arbeit aufzunehmen. Anders als dutzende von Opern, für die Campbell ebenfalls Libretti verfasst hat, gelangte The Shining nach seiner Uraufführung im Mai 2016 in Saint-Paul und einer Produktion der Colorado Opera nach Covid-19 bedingter Verspätung auch in Kansas City zur Aufführung, wo nach mehreren ausverkauften Aufführungen im Kauffman Center for the Performing Arts im März 2023 die Produktion unter dem Dirigenten Gerard Schwarz mitgeschnitten wurde (Pentatone 2 CD PTC 5187036).

Vergesst Jack Nicholson, vergesst Stanley Kubrick. Moravec und Campbell bemühten sich tatsächlich, den Film, mit dem King keineswegs zufrieden war, hinter sich zu lassen und zum Roman (1977) zurückzukehren. Campbell hat die handelnden Figuren klar beschrieben, Jack Tarrance, seine Frau Wendy und ihren sechsjährigen Sohn Danny, dazu den Koch, Manager sowie Hausmeister des Hotels. Ebenso die Erscheinungen von Jacks gewalttätigem Vater Mark Terrance und früheren Hotelgästen, -Besitzern- und Mitarbeitern. In zwei Akten von rund 65 und 45 Minuten und sieben bzw. zehn Szenen und Epilog, die sich mit Ausnahme des acht Monate später spielenden Epilogs zwischen September und November 1975 im besagten Hotel in Western Colorado abspielen, hält sich das klaustrophobische Gruseln im bekömmlichen Rahmen. Szenisch mögen die Szenen der Lebenden und Toten, trostlose Gegenwart und festliche Vergangenheit des Hotels eine Herausforderung sein, musikalisch bietet Moravec brav illustrierende Hausmannskost, gesungenes Aufsagetheater sozusagen.

Man muss das wohl sehen – und nicht nur hören. Die einst als „One hell of a ride“ angekündigte Oper ist alles andere als ein Todesritt, sondern eine handwerklich souverän gearbeitete Oper, in der Edward Parks mit seinem sauberen Mozart- und Rossini-Bariton und seinem rührenden Abschied „I love you, Wendy, I love you, Danny“ einen weniger grellen Psychopathen Jack Tarrance zeichnen kann und Kelly Kaduce seiner Ehefrau Wendy mit ihrem Glittersopran hinreichend Kraft und Durchsetzungsvermögen gibt. Schwarz bringt das rund ein Dutzend Sänger schmalerer Partien, den Lyric Opera of Kansas City Chorus und die Kansas City Symphony zum Leuchten.    R. F.

Erstmals nach 185 Jahren

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Seit vielen Jahren nicht mehr aus dem Berliner Opernerleben wegzudenken sind die halbszenischen Aufführungen selten oder nie in der Hauptstadt zu erleben gewesener italienischer Opern durch den und mit dem Dirigenten Felix Krieger, erst im Radialsystem an der Spree, inzwischen längst aber im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Vom Belcanto mit Donizettis Maria di Rohan oder Betly, über Verdi mit Oberto, Masnadieri, Stiffelio und Puccini mit Edgar bis hin in den tiefen Verismo mit Mascagnis Iris oder Zanetto reichen die teilweise inzwischen auf CD erhältlichen Aufführungen, die im vergangenen Jahr von einer Uraufführung gekrönt wurden.

Dalinda nennt sich Gaetano Donizettis Oper, und auf dem Cover der von dem Label Oehms herausgegebenen Doppel-CD finden sich neben lateinischen auch arabische Schriftzeichen für den Namen der Titelheldin. Diese war nämlich eigentlich nicht eine persische Fürstin, sondern die allgemein bekannte Papsttochter und angebliche Giftmischerin, Blutschänderin und Ehebrecherin Lucrezia Borgia, über die, basierend auf einem Drama Victor Hugos, Felice Romano das Libretto verfasst, Donizetti die Musik komponiert hatte und die an der Mailänder Scala mit zunächst bescheidenem, aber wachsendem Erfolg uraufgeführt worden war und die in Paris auch dem Publikum, aber nicht Hugo gefiel. Schlimmere Querelen aber gab es in Neapel, wo die Zensur trotz vieler Änderungen und Verlegungen in alle möglichen Zeiten und Milieus ihr Placet verweigerte, so dass der Komponist und der Librettist der Angelegenheit schließlich müde wurden und Dalinda, der letzte Vorschlag zur Güte, nie aufgeführt wurde. Musikalisch sind die beiden ersten Akte von Lucrezia Borgia und Dalinda fast identisch, der dritte Akt jedoch wurde von Donizetti fast vollkommen neu komponiert, so dass am 14. Mai 2022 tatsächlich vollkommen neue Musik erklingen konnte. Die Handlung wurde in die Zeit des Dritten Kreuzzugs verlegt und von Venedig und Ferrara nach Persien, es bleiben  Mutter und fern von ihr aufgezogener Sohn sowie der eifersüchtige Ehemann Acmet, der eine ehebrecherische Liebe zwischen beiden argwöhnt und ihren Tod beschließt. Wie der ursprüngliche Gennaro hat auch der Ildemaro einen treuen Freund, der Mezzosopran singt, zur Seite, wurden aus den übermütigen italienischen Adligen nun Kreuzritter. Verschärft wird die Handlung durch die Glaubensgegensätze und die Tatsache, dass Gennaro aus einer früheren Ehe stammt, Ildemaro hingegen der Fehltritt mit einem Christen sein muss. Die vielen Rettungsversuche führten letztendlich dazu, dass aus einem zumindest zu großen Teilen historisch beglaubigten Stoff ein wildes Schauermärchen wurde, was jedoch den musikalischen Wert des Werks in keiner Weise mindert, wohl aber die Wahl einer nur akustischen Übermittlung der immer sehr klug gestalteten Aufführungen der Operngruppe nachvollziehbar werden lässt.

Dalinda galt lange Zeit als verschollen, bis die italienische Musikologin Eleonora di Cintio Bruchstücke in Archiven entdeckte, zusammenfügte und der Verlag Casa Ricordi, die auch über eine Dependance in Berlin verfügt, die Herstellung einer vollständigen Partitur ermöglichte.

Wer fast alle Aufführungen der Berliner Operngruppe erlebt hat, kann nur über deren Entwicklung staunen, darüber wie sich der unüberhörbare Enthusiasmus von Chor und Orchester erhalten, ja noch verstärkt hat und gleichzeitig eine mit den institutionellen Orchestern der Stadt vergleichbare Professionalität und Virtuosität, im Erreichen von Italianità kaum zu überbietende Qualität erreicht hat. Das zeigt sich bereits bei der Sinfonia voller Brio und Slancio, es zeigt sich beim rücksichtsvollen Begleiten der Solisten und beim Spannen großer Bögen, beim nie Nachlassen an Intensität. Auch der Chor vermag in diesem Sinne mitzuhalten und verdient großes Lob.

Von Anfang an legte die Berliner Operngruppe großen Wert auf angemessene Sängersolisten, arbeitete doch schon im Radialsystem ein Francesco Ellera D’Artegna mit ihr zusammen. Für die Titelpartie von Dalinda braucht es einen echten dramatischen Koloratursopran, den man mit Lidia Fridman gefunden hatte, die über ein melancholisches, in keiner Weise anonymes Timbre verfügt, Intervallsprünge mühelos meistert, kultiviert auch bei rasanten Tempi bleibt und mit einem schmerzlich umflorten „È spento“ die Oper beschließt. Davor kann sie noch einmal, Donizetti hat seine Soprane mit wunderbaren Schlussmonologen versehen, für einen Höhepunkt der Aufnahme sorgen. Lediglich am Schluss des ersten Akts gerät das Vibrato etwas außer Kontrolle. Eigentlich bereits die schweren Verdi-Kaliber wie Radames singt der Tenor Luciano Ganci, der, vergleicht man mit berühmten Gennaros, eher ein Aragall als ein Kraus ist. Er phrasiert gut, kostet Fermaten gekonnt aus und hat eine schöne Nachdenklichkeit für das Gebet des Ildemaro. Er ist leidenschaftlich in der Cabaletta, singt ein zärtliches „mia madre“ und erfreut mit einem beachtlichen Spitzenton. Durch eine gute Diktion und das Timbre eines Brunnenvergifters ist auch der ansonsten im Buffofach tätige Paolo Bordogna mit schöner Phrasierung ein hochachtbarer Acmet. Als Ugo d’Asti erfreut Yajie Zhang mit mildem Mezzo, könnte nur in die Cabaletta ihrer Arie mehr grinta einbringen. Keinerlei Ausfall gibt es in dem umfangreichen Herrenensemble.

Der nächste Auftritt der Berliner Operngruppe findet am 2. Juni 2024 mit Puccinis Jugendwerk Le Villi in beachtlicher Besetzung und natürlich mit Felix Krieger am Dirigentenpult statt. Das ist  ärgerlicherweise auch der Tag der Premiere von Chowanschtschina in der Staatsoper (Oehms Classics 989 2 CDs). Ingrid Wanja        

Winterreise szenisch

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Wohl alle Sängerinnen und Sänger haben sich irgendwann einmal mit Schuberts Winterreise auseinandergesetzt; auch Bearbeitungen gibt es immer wieder. Nun hat sich der Regisseur Christof Loy gemeinsam mit der schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter dem Liederkreis auf ganz andere Weise genähert: Im Februar 2022 gab es im Theater Basel eine szenische Bearbeitung von Schubert-Liedern, die sich unter dem Titel Eine Winterreise in einer Art Kaleidoskop mit Schuberts Leben und den in seinen Liedern zum Ausdruck gekommenen Gefühlen beschäftigt. Von der Aufführung am 21. Februar 2022 im Theater Basel wurde ein Mitschnitt gefertigt, den NAXOS als DVD herausgebracht hat. Wenn sich der Vorhang öffnet, sieht man in einen dunklen, mit warmen Braunfarben getäfelten Raum, in dessen Mitte ein Hammerflügel steht. Das Bühnenbild von Herbert Murauer soll von den Ballhäusern aus dem Ende des 19. Jahrhunderts inspiriert sein, in dem sich jetzt Stühle stapeln und die Decke baufällig ist. Die Sängerin tritt als Er auf und stellt, wie Loy es ausdrückt, Schuberts Seele dar. Daneben bewegen sich vier Tänzerinnen und Tänzer als Der Doppelgänger Nicolas Franciscus, Kristian Alm als Schuberts Freund Schober sowie als Viola Giulia Tornarolli und Matilda Gustafsson als Die Kurtisane. Neben fünf einzelnen Liedern, einigen aus der Müllerin und dem Schwanengesang werden aus der titelgebenden Wintereise nur sechs Lieder verwendet. Dazu kommen wenige Instrumentalstücke und kurze nicht vertonte Text-Fragmente aus Der Traum von Schubert und aus Wilhelm Müllers Epilog zu Die schöne Müllerin. Im Zentrum des Abends stehen die nachdrücklichen Interpretationen von Schuberts Liedern durch Anne Sofie von Otter und den in Liedbegleitung besonders profilierten Pianisten Kristian Bezuidenhout. Hier erweist sich nun die hohe Gestaltungskunst der Sängerin, die z.B. in Im Abendrot, Nachtstück oder „Einsamkeit“ ihren immer noch schlanken, in allen Lagen abgerundeten Mezzo mit perfektem Legato in wunderbarer Ruhe fließen lässt. Auch führt sie die Stimme bruchlos und ungemein flexibel durch die schnelleren Lieder wie die Taubenpost oder Die Post aus der Winterreise. Ebenso ausdrucksstark gelingen ihr und dem kongenialen Begleiter in dichtem partnerschaftlichem Musizieren die dramatischeren Lieder wie Der Lindenbaum oder Der Doppelgänger. Zu allem sind die Tänzerinnen und Tänzer in Bewegung, um die „zeitlosen Themen wie Erinnerung, Vergänglichkeit und Todesangst“ (Christof Loy) tänzerisch darzustellen. Schubert hat allerdings in seinen Liedern die jeweiligen Stimmungen, zu denen auch depressive Melancholie gehört, kompositorisch so genial gestaltet, dass sie meiner Meinung nach keiner zusätzlichen pantomimischen oder tänzerischen Illustration bedürfen. Am Schluss erhielten alle Mitwirkenden starken, begeisterten Applaus (NAXOS 2.110751).  Gerhard Eckels 

Musik für das Ospedaletto

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Die vier Ospedali Grandi Venedigs boten über Jahrhunderte Bedürftigen ein Heim und sogar eine musikalische Ausbildung – waren es Bettler, Kranke, Findelkinder oder Obdachlose. Der renommierte neapolitanische Komponist Nicola Antonio Porpora zählte neben Antonio Vivaldi zu den musikalischen Berühmtheiten, deren Karrieren mit den Ospedali in Verbindung standen. Er unterrichtete zwischen 1729 und 38 am Incurabili, zwischen 1742 und 43 am Pietà und zwischen 1742 und 47 am Derelitti, auch Ospedaletto genannt. Dort traf er die begabte Altistin Angiola Moro, la „Anzoletta“, für die er anspruchsvolle Solopartien schuf.

GLOSSA/Note 1 hat nun eine CD herausgebracht, die im September 2022 in Brixen entstand (GCD 923537). Solistin ist die italienische Mezzosopranistin/Altistin Josè Maria Lo Monaco, die vom Ensemble Stile Galante unter Leitung von Stefano Aresi begleitet wird. Sie interpretiert zwei virtuose Motetten und ein Salve Regina, von Porpora zwischen 1744 und 45 komponiert.

„Placida surge, Aurora“ besteht aus vier Sätzen wie auch „Qualis avis cui perempta“. Die erste Motette beginnt mit einem munter beschwingtem Thema und verlangt der Interpretin wegen der langen Bögen große Atemreserven und wegen der anspruchsvollen Verzierungen ein virtuoses Vermögen ab. Lo Monaco wird diesen Ansprüchen beeindruckend gerecht. Zudem lässt sie erkennen, dass das historische Vorbild neben der außerordentlichen Begabung einen beachtlichen Stimmumfang gehabt haben muss. Die Komposition endet mit einem jubelnden „Alleluia“, in welchem die Stimme funkeln kann.

Das Salve Regina ist siebensätzig und beginnt mit einem getragenen, ernsten Satz, dessen Titel dem Werk den Namen gab. Lo Monacos Stimme klingt hier recht larmoyant, um nicht zu sagen wimmernd. Einen günstigeren Eindruck hinterlässt sie in dem energisch auftrumpfenden 2. Satz, „Ad te clamamus“, in welchem zudem die virtuosen Koloraturgirlanden imponieren. Krönender Abschluss ist das wiegende „O clemens“, kommt der tiefe Mezzo (oder hohe Alt) in seiner reizvoll herben Struktur hier doch bestens zur Geltung.

Die zweite Motette besteht wie die erste aus einem Rezitativ, zwei Arien (der schmerzlichen „Qualis avis cui perempta“ und der hoffnungsvollen „Da per Te, Virgo Regina“) sowie dem finalen „Alleluia“, welches das Album in heiterer Virtuosität enden lässt.

Das Programm der CD wird ergänzt durch Porporas populäres Cellokonzert in G-Dur mit vier Sätzen, womit eine Tradition aufgegriffen wird, welche am Ospedaletto gepflegt wurde – nämlich die Aufführung von Vokalwerken mit Cellokonzerten zu kombinieren, weil der virtuose Cellist Niccolosa Fanello im Orchester wirkte. In der GLOSSA-Einspielung wurde der Solopart Agnieszka Oszanca übertragen, die ihn gleichermaßen mit Bravour wie Empfindungsreichtum ausfüllt. Bernd Hoppe

Virtuos

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Seine gesamte, zugegebenerweise nur kurze Schaffenszeit hindurch hat Wolfgang Amadeus Mozart neben Opern und Orchesterstücken auch separat existierende Konzertarien komponiert oder Gesangsstücke als Ersatz für Arien in bereits bestehenden Opern anderer Komponisten, oft ausgerichtet auf die vokalen Fähigkeiten mit ihm befreundeter Sängerinnen wie Aloysia Weber, erst Angebetete, später Schwägerin, oder für Josepha Duschek in Prag, wobei die reinen Konzertarien länger sind und ihnen ein Rezitativ vorangestellt ist.

Mit erst dreizehn Jahren komponierte Mozart A Berenice-Sol nascente als Ergänzung zu einer bereits bestehenden Oper, und auf der CD mit dem lyrischen Koloratursopran Lisette Oropesa, begleitet von Il Pomo d’Oro unter Antonello Manacorda überzeugen mit den ersten Takten der festliche Klang des Orchesters wie die glänzende und schillernde Stimme der Solistin. Mit leicht melancholischem Touch bedenkt diese die Arie mit recht dramatischen Koloraturen, variiert fein bei der Wiederholung, lässt die Extremhöhen im günstigsten Fall kristallin, im ungünstigen leicht gläsern erklingen, wobei die Fähigkeit zum Virtuosen stets unangefochten bleibt.

Für Aloysia in einer Kastratenpartie war Non so d’onde viene bestimmt, eine Arie, in der ein Clistene sein Bedauern über die Verurteilung seines Sohnes ausdrückt. Eher wie die eines Jünglings als die eines Vaters klingt die Stimme der Oropesa, bruchlos sicher die Register durchmessend. Für Josepha Duschek komponierte Mozart gleich nach Don Giovanni in Prag Resta, oh cara, für eine Oper Jamellis bestimmt und den Abschied in den Tod eines Titanus, der die geliebte Proserpina nicht ehelichen darf, darstellend, empfindsam im Rezitativ und tragisch umflort in der Arie die Nähe zu einer Donna Anna nicht verleugnend und von Oropesa perfekt ausgeführt.

Der späteren Sängerin der Dorobella, Luisa Villeneuve, war eine Arie, Chi sá, chi sá,  zugedacht, die Oropesa virtuos bewältigt. Für ein privates Konzert in München war Misera, dove son! bestimmt, dessen heroischem Aufbäumen der Sopran perfekt stand hält. Ebenfalls eine Replacement Arie ist Voi avete un cor fedele mit interessantem Stimmungswechsel zwischen Ironie und Übermut und beides vom Sopran unüberhörbar zum Ausdruck gebracht.

Wirkungsvoll herausgearbeitet werden die Kontraste in Ah, lo prevedi, in dem sich Andromeda, ihren Retter Perseus tot glaubend, kontrastreich an ihre unterschiedlichen Partner wendet. Aus dieser Arie stammt das titelgebende Ombra Compagna. Auch in Vado, ma dove? wechseln die Stimmungen, wird einmal Entschlossenheit, einmal inniges Fühlen unverwechselbar zum Ausdruck gebracht.

Den Schluss bildet eine Für Aloysia begonnene und erst zehn Jahre später fertiggestellte Arie ohne Rezitativ auf einen Text Metastasios (L’eroe cinese) in eher heiterer Virtuosität, denn das schlimme Ende, das der Held nimmt, ist noch fern (PTC 5786 885). Ingrid Wanja     

Das Orchester als Protagonist

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Die Oper heißt Katya Kabanova, aber sie müsste eigentlich Die Wolga oder Das Unwetter oder Der aufgehende Mond heißen, so wie die Textvorlage Ostrowskis, nach der Leos Janaček  sein Werk schuf, Das Gewitter heißt. Nicht die Sänger sind die Protagonisten, sondern das Orchester, das alle diese wunderbaren Naturereignisse zaubert und das es nur als konsequent erscheinen lässt, dass die unglückliche Titelheldin sich dem Sog des allgegenwärtigen Gewässers nicht entziehen kann und den Tod in ihm sucht. Die zweite Gesamtaufnahme einer Janaček-Oper nach Das schlaue Füchslein durch Simon Rattle und das London Symphony Orchestra ist ein Wunder an Naturstimmungen und macht einmal mehr deutlich, dass jede Produktion, die die Natur aussperrt wie die Inszenierung von Andrea Breth für die Berliner Staatsoper 2014 im Schillertheater ein Irrtum ist,   so dass man dem Dirigenten seine Mitwirkung an demselben eigentlich nicht verzeihen dürfte. Neben dem üppigen, farbigen Orchesterklang nimmt sich der ariose Sprechgesang zumindest streckenweise weniger ausdrucksstark aus, vermittelt sich die Sehnsucht der Katya nach Liebe im Intermezzo des ersten Akts mindestens ebenso stark wie in ihrem Gesang. Akustische Wunderwerke werden vollbracht im sanften Umspielen der Stimmen im zweiten Akt (schließlich ist der Dirigent mit einer Sängerin verheiratet), im Aufbau der Spannung vor dem Gewitter, im einfühlsamen Begleiten der Schilderung Katyas, wenn sie sich an ihre glücklichere Jugend erinnert.

Das Werk ist eine Huldigung Janačeks an seine 35 Jahre jüngere Liebe Kamila Stösslova, eine verheiratete Frau, die unerreichbar für ihn blieb, und es ermutigt auch nicht gerade zu einem Seitensprung, denn die Männer erweisen sich durch die Bank als schwach, selbst der herrisch auftretende Dikoj, der sich seiner Verantwortung entziehende Boris oder Katias Mann Tichon, der sich als Muttersöhnchen erweist und seine Ehefrau der herrischen Schwiegermutter, die wiederum abhängig vom Urteil der Gesellschaft ist, ausliefert.

Die konzertante Aufnahme stammt vom 11. und 13. Januar 2023, vor Jahren gab es bereits in der Berliner Phiharmonie ein Konzert unter Simon Rattle mit Karita Mattila als Katya und Deborah Polaski als Kabanicha. Letztere wird nun vom ebenfalls einstigen Wagnersopran Katarina Dalayman gesungen, die sowohl matronenhafte wie hysterische Töne vernehmen lässt, zugleich weinerlich und aggressiv klingen kann und zugleich Täterin wie Opfer zu sein scheint. Es gibt drei Tenöre, von denen der Tichon von Andrew Staples das angenehmste Timbre besitzt, eine gute Mittellage und nur in der Höhe etwas enger werdend. Den Liebhaber Boris, der Katia feig im Stich lässt, wird von Simon O’Neill mit heller, lyrischer, auch scharf werdender Stimme gesungen. Emanzipierter gibt sich der Kudrjas von Ladislav Elgr, Muttersprachler mit typisch slawischem Tenor, der das mährische Volkslied wie mit einer Naturstimme singt. Ihm folgt nach Moskau die Warwara von Dirigentengattin Magdalena Kožená mit leuchtendem  Timbre die relativ kleine Partie der Warwara aufwertend. Sein Freund Kulgin ist Lukaš Zeman mit sonorem Bariton. Resignation und Untertänigkeit vermittelt trotz nur kurzen Auftritts der Mezzosopran von Claire Barnett-Jones in der Partie der Glasa. Zunächst polternd und dann zunehmend auch in Weinerlichkeit versinkend zeigt der Bassbariton von Pavlo Hunka für den Dikoj Fassade wie Innerstes einer zwiespältigen Persönlichkeit.

Viele Facetten der unglücklichen Katya kann der Sopran von Amanda Majeski, einer Amerikanerin, die 2019 mit großem Erfolg als Katya an Covent Garden debütierte, vermitteln. An der Met ist sie vor allem als Mozartsängerin bekannt, in Chicago sang sie aber auch die Marschallin und die Meistersinger-Eva. Für Katia besitzt der Sopran einen schönen Glockenton, kann er bruchlos aufblühen in weit gespannten Bögen und lotet er ein weites Spektrum zwischen zarter Klage und stählernem Aufbegehren aus. Bei einer solchen Leistung erscheint dem Hörer das Urteil Simon Rattles, es handle sich bei ihr um die  „Katya der Stunde“ nicht als Publicity, sondern zustimmungsfähige Überzeugung, gerechtfertigt (LSO L500889 25ACD). Ingrid Wanja

In barocker Stilistik

In der Passionszeit häufig aufgeführt werden die Matthäus-Passion und die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach; von der früher Bach zugeschriebenen Lukas-Passion nimmt man inzwischen an, dass das Werk größtenteils nicht von Bach selbst komponiert wurde. Bleibt noch eine Passion nach dem Evangelisten Markus: Nach Wikipedia wurde die Markus-Passion von J. S. Bach am Karfreitag 1731 in Leipzig uraufgeführt; außerdem erklang diese Passion in von Bach etwas überarbeiteter Fassung am Karfreitag 1744.

Obwohl die Musik verschollen ist, blieb das Libretto von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, mit dem Bach vielfach zusammengearbeitet hat, vollständig erhalten. Zur Komposition nimmt man an, dass es sich – anders als bei den beiden berühmten Passionen – wohl um eine Parodie handelte, also hatte Bach, wie er es nicht selten tat, Teile von bereits zuvor komponierten Werken wiederverwendet. Bis in die jüngste Zeit wurde versucht, andere Arien aus Bachs Kantaten zu identifizieren und ihnen die Texte der Markuspassion zu unterlegen, so z.B. auch aus der ebenfalls von Bach mehrfach aufgeführten und dabei auch bearbeiteten Hamburger Markuspassion Reinhard oder Gottfried Keisers. Wikipedia zählt zehn solcher umfassenden Versuche auf, u.a. von Tom Koopman (1999).

Nun zur Neuvertonung des Picander-Librettos durch den 1981 geborenen Schweizer Musiker Nikolaus Matthes: Die erste Gesamtneuvertonung des Textes von Picander in barocker Stilistik entstand in den Jahren 2019/2020; im März 2023 wurde die neue Markuspassion in vier Schweizer Städten uraufgeführt. Die vorliegende Aufnahme ist aus Mitschnitten der Generalprobe, der Uraufführung in Zürich und der letzten Aufführung der Konzertreihe in Luzern zusammengefügt. Dies kann man dem umfangreichen, substanzreichen Booklet entnehmen; bei Interesse sei auf die informative Website verwiesen.

Beim Hören der ca. 2 ¾ Stunden dauernden Passion ist man gleich von Beginn an erstaunt, wie sehr sich Matthes in die Kompositionsweise Bachs vertieft, ja sie sich geradezu angeeignet hat. Die Komposition enthält aber auch einige Stücke, die klanglich von Bach abweichen, wie z. B. die melancholische Sinfonia vor Jesu Grablegung. Chor und Instrumentenensemble sind extra für dieses Projekt zusammengestellt, vielfach sind es ausgewiesene Spezialisten für historische Aufführungspraxis. Auffallend ist das groß besetzte  Continuo mit Cembalo, Orgel und Laute, Fagott, Kontrafagott, Violoncelli und Violonen sowie zwei Gamben und verschiedenen Bläsern.

Über die Aufnahme gibt es insgesamt viel Positives zu berichten: So sind die Choräle von wunderbarer Ausgewogenheit und Durchhörbarkeit. Das gilt gleichermaßen im Eingangs- und Schlusschor mit den als Cantus firmus unterlegten Choral-Strophen und den teilweise hochdramatischen, kompositorisch noch zugespitzten Turba-Chören, wie z.B. die kunstvolle Fuge „Gegrüssest seyst du, der Jüden König“. Die durchweg sehr versierten Instrumentalisten musizieren unter Leitung des Komponisten selbst mit durchgehender Transparenz und unterstützt dadurch die Gesangssolisten, die alle hohes Niveau aufweisen. Da sind zunächst die beiden Tenöre Daniel Johannsen und Georg Poplutz zu nennen, die aus „aufführungspraktischen“ Gründen (Nikolaus Matthes) die Rezitative und beide Arien unter sich aufgeteilt haben. Leider ist nicht zu erkennen, wer gerade an der Reihe ist, denn die lyrischen Stimmen sind sich sehr ähnlich. Beide verfügen als allgemein anerkannte Evangelisten über prägnante Artikulation und füllen die lyrischen, teilweise tonmalerischen Passagen („fing an zu zittern und zu zagen“, „er hub an zu weinen“) ebenso überzeugend aus, wie sie die notwendige Dramatik des Passionsgeschehens zur Geltung bringen; auch die beiden Tenor-Arien weisen hohe Gesangskultur auf. Die Worte Jesu sind dem Schweizer Sänger und Chorleiter Daniel Pérez anvertraut, der sie mit hellem, markant deklamierendem, in den wenigen Tiefen nicht so sehr ausgeprägtem Bariton singt. Maya Boog gefällt in ihren beiden, gesangstechnisch anspruchsvollen Arien mit schlankem, intonationsreinem Sopran. Mit volltimbriertem Mezzo präsentiert sich Annekathrin Laabs in der dramatisch zupackenden Arie nach Judas‘ Verrat und der viel Ruhe ausstrahlenden nach Jesu Gefangennahme. Auch der ebenfalls helle Bariton von Matthias Helm passt gut zu seinen beiden Arien, die Reflektion über Jesu Schweigen vor Pilatus und wenn Petrus seine Treue zu Jesu versichert.

Insgesamt sind die „Neue Markuspassion“ und ihre gelungene Aufnahme ein hochinteressantes Unternehmen, das dem Libretto Picanders im Sinne von Johann Sebastian Bach zu neuem Leben verhilft (resonando R-10018, 3 CD).      Gerhard Eckels

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Ein Wort zu Picander: Christian Friedrich Henrici  (Abbildung oben/Wikipedia)hat seinen Ruhm nicht Bach zu verdanken, aber Bach hat ihn unsterblich gemacht. Der Gelegenheitsdichter Christian Friedrich Henrici ps. Picander (1700-1764) war Librettist von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Heute gilt er als mittelmäßiger Lyriker und Dramatiker, was jedoch außer Acht lässt, dass er in den 1830er und 1840er Jahren in Leipzig mit seinen Gedichten für Aufsehen sorgte und zu den bedeutenden Dichtern seiner Zeit zählte. Sein Name findet sich in Biographien seiner Zeit. Nicht umsonst war er ein Hofdichter. Ob sich neben Bach auch andere Komponisten an seinen Texten bedienten, ist bisher nicht erforscht. Auch eine vollständige Übersicht über seine Gedichte, Kantaten und Passionen fehlt. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Bestandsaufnahme selbst vorzunehmen und mit den ersten Zeilen der Couplets als Grundlage für weitere Forschungen zu ergänzen. Picander schrieb die Libretti für die Johannes-Passion (BWV 245), die Matthäus-Passion (BWV 244) und die Markus-Passion (BWV 247), deren Musik nicht gefunden wurde. Hier ist der Schluss einer Passion von Picander aus dem Jahr 1725 abgebildet. Es handelt sich um eine frühere Fassung der Johannes-Passion. Die Urheberschaft der Bach zugeschriebenen Lukas-Passion ist umstritten, aber ihr Text könnte ebenfalls von Picander stammen. (Quelle rodinbook)

Ausnahmestimme

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Selbst wer die Canzoni von Francesco Paolo Tosti gar nicht mag und sie als Salonmusik abqualifziert, muss die bei Tactus erschienene CD mit dessen Vertonungen von Texten Gabriele D’Annunzios mögen, denn sie werden von einer der schönsten und technisch versiertesten italienischen Bassstimmen dargeboten, die augenblicklich auf dem Opernmarkt sind. Diese gehört Michele Pertusi, der seinen Bass von einer mit Rossini und dem Belcanto vertrauten zu einer profunden Verdistimme entwickelt hat und der augenblicklich im Zenit seiner Karriere  stehen dürfte. Wem also zu einem vollkommenen Kunstgenuss nicht nur die zugegeben gefällige Musik, sondern vielleicht noch mehr die manchmal schwülstigen Texte des zudem noch wegen seiner politischen Haltung, seines Umgangs mit Frauen und seiner Hinterlassenschaft Vittoriale am westlichen Gardaseeufer hinderlich sind, kann sich davon überzeugen, dass durch die noble Art der Interpretation durch Pertusi die Stücke geradezu geadelt werden.

D’Annunzio und Tosti fühlten einander schon einmal durch die Herkunft aus den italienischen Abruzzen verbunden, auf die auch das Cover mit einer Gebirgsszene mit Hirtinnen und Ziegen hinweist. Allerdings begegneten sie einander nach den gemeinsam in einem Circolo verbrachten Jahren nur noch selten, denn Tosti lebte lange Zeit in England, hatte auch die britische Staatsbürgerschaft, was man ihm in Italien übel nahm, und D’Annunzio stürzte sich in politische und sogar militärische Abenteuer, so dass er 1916 nach langer Zusammenarbeit mit dem Komponisten zu dessen Tod nur ein Telegramm an die Witwe schickte.

Die Zusammenarbeit begann nicht mit einem Text, den D’Annunzio Tosti überließ, sondern umgekehrt mit zwei Melodien zur Auswahl, für deren eine der Komponist um einen Text des jungen Dichters bat.  Es handelt sich um die 1880 entstandene Visione!, die auch den ersten Track auf den beiden CDs ausmacht und die die Möglichkeit bietet, eine Stimme mit einem ohne Registerbruch  einheitlichen, noblen, balsamischen Timbre zu bewundern, ein tragfähiges Piano, dazu eine Maßstäbe setzende Textverständlichkeit.  Auch wird bereits hier deutlich, wie sensibel das Klavier den Intentionen des Sängers nachspürt.

Im auf die erste Zusammenarbeit von Dichter und Komponist folgenden Vierteljahrhundert entstanden 36 Musikstücke, alle bis auf das erste, bei dem auch ein Cello mitwirkte, mit reiner Klavierbegleitung. Allerdings ist die Vaterschaft D’Annunzios nicht durchweg sicher belegt, da er seine Texte nicht zu signieren pflegte.

Aus den Achtzigern stammen außer Visione! Noch der Zyklus Malinconia und einige Gelegenheitswerke wie Vuoi note o bancanote als Bezahlung für ein Abonnement oder das ironische Buon Capo d’Anno, bei dem in Pertusis Stimme der Schalk aufblitzt, während das folgende Bimbi e neve durch seine Schlichtheit besticht. Vorrei , aber auch Notte bianca erfreuen durch ein perfektes Legato und eine ebensolche Phrasierung. In Dorme la selva aus dem Zyklus Malinconia macht Pertusi  hörbar, wie ein Naturerleben, gefiltert durch Kultur, eine neue Dimension gewinnt. Nicht Sentimentalität, sondern Einfühlsamkeit zeichnet die Interpretation des Italieners aus. Das populäre `A Vucchella besticht durch Schlichtheit und Intimität, die beiden Piccoli Notturni durch sanfte Melancholie.

Es folgen die eigentlich für Mezzosopran geschriebenen Quattro Canzoni d’Amaranta, die einfühlsam dargeboten werden,

Auf der zweiten CD kann man noch einmal bewundern, wie eine an sich große Stimme allen Intentionen bei der Gestaltung der kleinen Form folgt, so bei den beiden Poemette La Sera und Consolazione. Aber sie kann auch hämmernd und stählern klingen wie in E quale casa eguaglia ne la vita.

Der Pianist Raffaele Cortesi bewährt sich nicht nur als sensibler Begleiter, sondern hat im Vorspiel zu La Sera auch die Möglichkeit, als Solist zu glänzen (Tactus TC 842090).  Ingrid Wanja       

Gipfelwerk

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Der Dirigent und Cembalist Christophe Rousset hält Lully für den bedeutendsten französischen Barockkomponisten und widmet sich seinem Oeuvre seit vielen Jahren. Jetzt legt das Label Château de VERSAILLES auf drei CDs (CVS 126) die Einspielung des Atys vor, die mit dem Dirigenten und seinem Ensemble Les Talens Lyriques im Juli 2023 in der Opéra Royal du Château de Versailles entstand. Die Tragédie mise en musique ist des Komponisten viertes von insgesamt elf Werken dieses Genres, uraufgeführt 1676 im Palast Ludwig XIV. in St Germain-en-Laye. Der Text stammt von Philippe Quinault, basierend auf Ovids Metamorphosen. Die Tragödie besteht aus einem Prolog, in dem König Ludwig XIV. als neuer Held gepriesen wird, und fünf Akten, die von der Liebe der Göttin Cybèle zu dem Jüngling Atys erzählen. Dieser verliebt sich zunächst in die Nymphe Sangaride, deren Hochzeit mit Atys´ Freund Celaenus, König von Phrygien, bevorsteht. In einer Traumszene gesteht Cybele Atys ihre Liebe, der sich aber für Sangaride entscheidet. Diese erklärt sich jedoch zur Hochzeit mit Célénus bereit, aber Atys unterbricht die Zeremonie und entschwindet mit der Braut. Aus Rache ruft Cybèle die Furie Alecton herbei, die Atys verhext,  so dass er im Wahn Sangaride für ein Ungeheuer hält und ermordet. Wieder bei Sinnen, tötet er sich selbst und wird von Cybèle in einen Pinienbaum verwandelt. Ein ausgedehntes Divertissement als Trauerklage mit Nymphen, Priestern sowie Wasser- und Waldgöttern bildet den Schluss des Werkes.

Rousset ist für die Musik in ihrer Mischung aus Rezitativen, Airs, Chören und Divertissements der denkbar beste Anwalt. Die lautmalerischen Effekte der Komposition (Echos, Naturschilderungen, Albträume) malt er effektvoll aus, die starken Emotionen des Stückes gibt er mit packender Dramatik wieder. Sein Ensemble Les Talens Lyriques und der Choeur de chambre de Namur (Einstudierung: Thibault Lenaerts) sind exquisite Partner, die seine Vorgaben mit staunenswerter Perfektion umsetzen.

Eine illustre Sängerschar führt der haute-contre Reinoud Van Mechelen in der Titelpartie an, wo er vor allem seine lyrischen Qualitäten demonstrieren kann. Glänzend auch der Bariton Philippe Estèphe als sein Freund und König Célénus. Die Sopranistin Marie Lys als Sangaride singt betörend, Gwendoline Blondeel als ihre Vertraute Doris steht ihr in Idiomatik und vokaler Schönheit nicht nach. Die zentrale Rolle der Cybèle nimmt die Mezzosopranistin Ambroisine Bré wahr und macht ihre Interpretation zum Ereignis. Hier sorgt eine singende Darstellerin für den packenden Entwurf einer Figur – dank ihrer prägnanten Deklamation, der charaktervollen Stimme und der exquisiten Ornamentik.

Die Aufnahme ist ein würdiger Nachfolger von William Christies exemplarischer Aufnahme von 1987 bei harmonia mundi france (30.03.24). Bernd Hoppe

Aus Raum und Zeit

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Dies ist vermutlich der Parsifal des 21. Jahrhunderts. So bald wird es keinen weiteren geben. Die Zeit der bedeutenden Studioaufnahmen ist vorbei. Vorbei auch die Zeiten, in denen eine der großen Firmen einen Mitschnitt mit der Sorgfalt und dem Aufwand herausbringen wird, wie es Sony jetzt nochmals machte, um den Exklusivstar im Spätsommer seiner Karriere in einer seiner besten Partien zu zeigen (Sony 4 CD). Dazu ein luxuriöses Ensemble mit Elina Garanča und Ludovic Tézier bei ihren Kundry- und Amfortas-Debüts und dem bewährten Georg Zeppenfeld als Gurnemanz.

Entstanden ist das dicke, schön bebilderte Hardcover-Buch mit je zwei CDs im vorderen und hinteren Innenteil in Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper. Überhaupt scheinen, mit Ausnahme von Solti, alle großen Parsifal-Aufnahmen von Knappertsbusch über Karajan, Goodall und Barenboim bis Thielemann im Zusammenhang mit Live-Aufführungen entstanden zu sein. Oder mit einem Film. Wie vor gut 40 Jahren Armin Jordans Aufnahme, die zu den Parsifal-Erfahrungen seines Sohns Philippe gehören, der im Beiheft außerdem einen Parsifal-Bezug zu den Passionen Bachs herstellt.

Die von Philippe Jordan dirigierte Wiener Parsifal- Aufführung war eine aus Raum und Zeit gefallene Besonderheit. Eine während des zweiten Lockdowns während der Pandemie ohne Publikum nur für die ORF-Kameras stattgefundene und im Fernsehen übertragene Aufführung. Die beiden am 8. und 11. April 2021 mitgeschnittenen Aufführungen verzichten leider auf die auf dem CD-Aufkleber gepriesene „iconic production by star director Kirill Serebrennikov“. Die Inhaltsangabe, die von der Haftanstalt Monsalvat erzählt, stammt allerdings vom dem damals unter Moskauer Hausarrest stehenden Regisseur. Dafür erhalten wir eine ausgezeichnete, fast möchte man sagen ideale CD-Aufnahme. Jordans nüchterne und prosaische, möglicherweise auch den Aufführungsbedingungen geschuldete sachlich unprätentiöse Herangehensweise ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Ein bisschen business as usual. Und damit gut zu Serebrennikovs Gefängnisalltag passend.

Jordan ist ein achtsamer, unpathetischer Gestalter, der bei ruhig breiten Zeitmaßen – Sony addiert die Zeiten der einzelnen Akte nicht, sie dürften sich aber irgendwo im gewohnten 100-70-75 Minuten-Maß bewegen -, auf Text und Details achtet. Auf diese Weise geraten auch die Gurnemanz-Erzählungen, das lange „Das ist ein andres“ und „Titurel, der fromme Held“ des ersten Aktes, weitgehend spannungsvoll und fast leicht lebendig, was auch an der plastischen Textgenauigkeit von Georg Zeppenfeld liegt, der seinem festruhenden schlanken Bass viele Farben und Nuancen abgewinnt, leise, beschwörend und auffahrend sein kann. Und dessen Gurnemanz im dritten Akt so ungemein resignativ und menschlich mitfühlend ist. Jordan erklärt das Ideal, „Aber im Letzten kann der Dirigent im Parsifal nicht ausschließlich führen, sondern muss vieles geschehen lassen, um dem Werk in seiner gewaltigen Dimension gerecht zu werden“. Die Wiener Philharmoniker genießen die Freiheit und umspielen die Erzählungen so farbenreich wie man es nicht oft hört. Die naseweisen und vorwitzigen Knappen und Ritter sind auffallend gut besetzt, ebenso der Titurel (Stefan Cerny), und die Chöre klingen so machtvoll, wie man es hier erwarten darf. Mit erzener Wucht, jeder Satz ein Manifest, so greift Ludovic Tézier nach Wagner. Sein Amfortas besitzt Autorität, strotzt vor Kraft (Erbarmen! Erbarmen!) und manchmal zu viel Leidensdruck.

Garanča und Kaufmann, die im ersten Akt mehr als nur dienliche Einwürfe geliefert hatten, die lettische Mezzosopranistin dazu noch mit glühender Intensität die „Stimme aus der Höhe“ gesungen hatte, machen den zweiten Akt zum Ereignis. Garanča ist als Kundry vielgesichtig und geheimnisvoll, lyrisch wie dramatisch, sanft wie verführerisch, mit nobler, nie entgleisender Gesangslinie, betörendem Timbre, sinnlicher Mittellage und Höhe. Jonas Kaufmanns baritonal bronzener Tenor, der nur inmitten der stimmig besetzten Blumenmädchen etwas sehr reif klingt, passt ideal dazu. Zwei kostbare Singdarsteller auf der Höhe ihrer Kunst, die mit wissendem Ausdruck die Lockungen des Textes und der Musik vom zartesten Piano bis zu den langen Phrasen aufgeheizter Leidenschaft ausreizen, ohne in vordergründige Exaltiertheit zu verfallen. Das ist ein besonderer Moment. Kaufmann hängt man auch im dritten Akt an den Lippen. Der müde gesungene Klingsor des Wolfgang Koch ist der Schwachpunkt der Aufnahme (alle Fotos von der Wiener und bei Arte gezeigten Produktion/Unitel Trailer/Youtube).  Rolf Fath

Ausgabe oder Aufnahme?

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The Italian Tenor nannte sich die erste CD von Vittorio Grigolo und das zu Recht, denn nach den vielen Tenören aus dem spanischen Sprachraum oder neben einem Jonas Kaufmann mit baritonaler Grundierung und verschatteter Höhe nahm sich die Stimme des Aretino mit ihren strahlenden Spitzentönen und dem durch und durch tenoralen Timbre wie eine Offenbarung aus. Dazu kamen die jünglingshafte Optik und die leidenschaftliche Darstellung, die eine Identifzierung mit vielen Figuren der italienischen Opernliteratur wie selbstverständlich erscheinen ließen.

Mit den Jahren scheint ein zu skrupelloses Ausloten der sängerischen Möglichkeiten nicht ohne Folgen geblieben zu sein, wie jüngste Auftritte zeigen, was um so mehr darüber staunen lässt, dass die kürzlich auf dem Markt erschienene Sony-CD mit dem Titel Verissimo den Tenor in sehr guter Verfassung zeigt. Des Rätsels Lösung ist das Datum der Aufnahmen (!), die – 2016! – vor immerhin acht Jahren, wie das Booklet ehrlicherweise, aber kleinstgedruckt, verkündet, in einem Prager Studio entstanden und offensichtlich 2023 im italienischen Cavarzere überarbeitet wurden. Trotzdem ist der Titel des Albums Verissimo, wohl noch als eine Steigerung zu Verismo, gleich der Wahrheit verpflichtet, aber auch als Anspruch zu verstehen, man habe es mit einer grundehrlichen Aufnahme von 2023 zu tun, wie auf der Rückseite des Albums zu lesen. Oder ist dies nur das Datum der Ausgabe der CD?

Es beginnt mit „Dai campi, dai prati“ aus Boitos Mefistofele, leider viel zu selten auf der Bühne zu erleben und vom Tenor mit allen Stärken und Schwächen seine Singens ausgestattet als da sind: ein wie weich gespült klingendes Timbre, eine sentimentale, wenn nicht gar sentimentalische Interpretation voller Effekthascherei und willkürlicher Agogik, eher ein falsch verstandener Werther als ein Faust. Aber das Timbre ist schön, die Textverständlichkeit gegeben. Das Schmachtende der Darstellung passt eher zu Osakas Ständchen aus Mascagnis Iris, offeriert angedeutete Glottischläge und eine recht offene Höhe. Ein Zuviel an Sentimentalität bringt  Cielo e mar, ein geheimnisvolles Raunen, das vom Extrem Fortissmo recht abrupt abgelöst wird, insgesamt eher Brüche in der Gesangslinie aufzeigend als eine schöne musikalische Linie, mehr Schmachten als Leidenschaft. Es folgen zwei Arien des Maurizio aus Cileas Adriana Lecouvreur, die in hemmungsloser Gefühlsseligkeit den Verdacht, es handle sich um eine tragische Operette, bestärken könnten. Auch in den beiden Arien des Andrea Chénier überwiegt  zuungunsten des Heldischen, das der Figur auch innewohnt, das orgiastisch Sentimentale.

Der Abschied Turiddus von der Mutter liegt dem Tenor sehr gut in der Stimme, für den Luigi aus Il Tabarro hat er mehr Sensibilität und Sentimentalität als üblich, was auch für die Arie des Johnson aus La Fanciulla del West gilt. Sehr innig klingt „Addio, fiorito asil“ und außergewöhnlich kontrastreich, mit dem Charakter des Pinkerton eher wenig vereinbar. Das „Vesti la giubba“, in dem sich der Tenor nichts schenkt, lässt den Hörer um die schöne Stimme fürchten, und auch Calaf schreit leider bereits beim eigentlich intimen „Non piangere, Liu“ ganz Pechino zusammen. Den Abschluss bildet ein Ave Maria mit der Musik des Intermezzo von Cavalleria Rusticana mit schönem Falsettone-Schluss, aber doch recht süßlichem Charakter. Pier Giorgio Morandi entlockt dem Czech National Symphony Orchestra Klänge angemessener Italianità.

Man kann sich an einem besonders schönen Stimmmaterial in nicht durchweg geschmackvollem Einsatz erfreuen, wenn auch um den Preis, nicht einwandfrei über das Entstehen der CD informiert zu sein. Mehr noch kann man bedauern,  dass Vittorio Grigolo in den Jahren zwischen Aufnahme und dem heutigen Tage nicht pfleglicher mit seiner Stimme umgegangen ist (Sony 88875100342). Ingrid Wanja