Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Schöner Rücken…

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Völlig überraschend während der Proben zur Münchner Manon und mit nicht einmal fünfzig Jahren viel zu früh verstarb der Dirigent Marcello Viotti, der sich besonders verdient um die Oper gemacht hatte, als er als Generalmusikdirektor im Venezianer Teatro Malibran, nach dem Brand des Fenice vorübergehend das Opernhaus Venedigs, viele fast vergessene französische Oper aufführte. Nicht nur die Erinnerung an diese wunderbaren Aufführungen hat er hinterlassen, sondern auch vier Kinder, die allesamt dem Vater, der selbst Sohn eines Schmieds gewesen war, in ihrer Berufswahl folgten: der Sohn Lorenzo ist Dirigent, der Sohn Alessandro Hornist wie auch die Tochter Milena und Marina Viotti hat bereits eine bedeutende Karriere als Mezzosopranistin „alle spalle“.

Jetzt hat sie eine CD mit Mozartarien aus des Komponisten Opern, aber auch Konzertarien und solche aus geistlichen Werken eingespielt mit Gli Angeli Genéve unter Stephan Macleod. Das Erstaunen des Hörers über die Zusammenstellung vorausahnend, begründet sie die fächerübergreifende Wahl, die sich in Susannas Rosenarie im Verein mit Cherubinos Voi che sapete ausdrückt, mit ihrem Unwillen über die heutige strikte Fächereinteilung, die es so zu Mozarts Zeiten nicht gab, beruft sich zudem auf der Landsmännin Elsa Dreißigs Vorhaben, gleich alle drei Partien aus Le Nozze di Figaro in einem Programm miteinander vereint zu haben. Auch das Esultate, eigentlich sonst von einem leichten Sopran gesungen, sieht Viotti nicht zuletzt wegen des viel beanspruchten Mittelregisters als für ihre Stimme geeignet an. An den Anfang ihres Programms allerdings stellte sie Dorabellas Smanie implacabili, einmal weil es ihre erste Mozartpartie überhaupt war, aber auch weil die Arie die Gabe hat, die Aufmerksamkeit des Hörers auf sich zu ziehen. Einen Einblick bekommt der Leser auch in den Arbeitsprozess der Aufnahme, wenn ihm davon berichtet wird, welche Unterschiede es in der Auffassung vom richtigen Tempo für eine Arie geht. Interessant dürfte es auch für ihn sein zu erfahren, dass Marina  Viotti die italienische Gesangstechnik, die für den Belcanto entwickelt wurde, für anwendbar auch bei Wagner hält, allerdings müsse die Stimme bei Mozart „lighter“ sein.

Bereits bei Dorobellas Arie aus Così fan tutte fällt auf, dass die Sängerin die Extreme, was Tempi und Lautstärke angeht, auslotet, was dem Gemütszustand der neapolitanischen Dame durchaus angemessen ist. Die Sicherheit bei den Intervallsprüngen fällt ebenso auf wie in der folgenden Konzertarie Non temer, amato bene das wunderschön ersterbende morire oder die anmutige Koketterie der gespielten Naivität. Recht flott geht Susanna im Rezitativ vor, aber sie hat es ja auch eilig, endlich ihren Figaro umarmen zu können, poetisch und von leichter Melancholie überschattet erklingt die Arie. Aus Mitridate stammt die Arie des Farnace, für einen Kastraten komponiert, in der die weit gespannten Bogen und die Präsenz des tiefen Registers erfreuen. Sehr schön moduliert werden die Töne in der Arie Cara, lontano ancora, die Diktion ist hier etwas verwaschener, die Koloraturen könnte man sich noch nachdrücklicher denken. Einen wunderschönen Jubelton kann Marina Viotti für das Esultate einsetzen, die instrumental geführte Stimme glänzt auch in der Höhe, kann am Schluss noch einmal schön auftrumpfen. Ein eher schüchtern erscheinendes Leuchten zeichnet Cherubino aus, der Ramiro aus der Finta Giardiniera hat die begehrte lacrima nella voce, und Sestos sanfte Seele offenbart sich in wunderschöner Ebenmäßigkeit. Von harmonischer Zusammenarbeit mit dem Orchester und seinem Dirigenten spricht durchgehend diese vielseitige, die mit dem Booklet geweckten Erwartungen voll erfüllende CD, deren Titel Mezzo Mozart auch ein wenig trotzig klingt und deren Cover darüber rätseln lässt, ob das Tattoo auf dem Rücken den Sängerin ein gefallener Engel oder eine Meerjungfrau ist (Aparté Music AP 350/ 27.07.24). Ingrid Wanja           

Siegfried Lorenz

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Namentlich Besucher der Berliner Staatsoper werden sich an den Sänger Siegfried Lorenz (30. 8. 1945)  erinnern, der am 24. 8. 2024 verstarb. Ein Beitrag bei Wikipedia fasst seine Lebensdaten zusammen.

Siegfried Lorenz studierte von 1964 bis 1969 an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin Gesang und war dort Meisterschüler von Alois Orth. Nach mehreren internationalen Wettbewerbspreisen wurde er 1969 von Walter Felsenstein an die Komische Oper Berlin verpflichtet. Bis 1973 war er dort als lyrischer Bariton engagiert. 1973 wurde er von Kurt Masur, der für Lorenz die Stelle eines „ersten Gesangssolisten“ am Gewandhaus schuf, an das Leipziger Gewandhaus verpflichtet. Lorenz machte sich vor allem auch als Bach-Interpret und Liedsänger einen Namen. Seine Einspielungen der Lieder Franz Schuberts sind mehrfach preisgekrönt.

Von 1978 bis 1992 war Lorenz als erster lyrischer Bariton an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin engagiert. Dort erzielte er unter anderem mit dem Wolfram aus „Tannhäuser“, dem Grafen aus der „Hochzeit des Figaro“, Marquis von Posa aus „Don Carlos“ sowie dem Borromeo aus Pfitzners „Palestrina“ große Erfolge.

Zu seinen CD-Einspielungen gehören Mahlers „Kindertotenlieder“ mit dem Gewandhausorchester unter Kurt Masur, die Schubert-Lieder mit Norman Shetler, die EMI-Einspielung der „Meistersinger von Nürnberg“ (in der Lorenz den Beckmesser singt) unter Wolfgang Sawallisch, die Bach-Solokantate „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ und „Ich habe genug“ mit dem Collegium Musicum Leipzig unter Max Pommer, Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ unter Günther Herbig sowie „Fünf Lieder nach Friedrich Rückert“ mit der Staatskapelle Berlin unter Otmar Suitner.

Lorenz gastierte mit namhaften Orchestern und Dirigenten in Europa, den USA und Japan. 1979 wurde er zum Kammersänger der Deutschen Staatsoper Berlin ernannt und 1982 zum Professor berufen. Von 2001 bis 2003 war er Professor für Gesang an der Musikhochschule Hamburg, seit Oktober 2003 war er Professor für Gesang an der Universität der Künste Berlin. Wikipedia

Bezaubernd

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Sind vier Opernhäuser für eine Stadt wie Berlin nicht genug? Offensichtlich nicht, denn neben der Deutschen Oper, der Staatsoper, der Komischen Oper und der Neuköllner Oper gibt es schließlich noch die Berliner Operngruppe, die einmal im Jahr eine italienische Oper aufführt und dazu hat sich, allerdings sich nicht auf die Gattung beschränkend, auch noch der Klangkörper Eroica Berlin unter seinem Dirigenten Jakob Lehmann gesellt und hat 2022 Gioacchino Rossinis Oper L’Italiana in Algeri halbszenisch aufgeführt. Davon gibt es seit kurzem eine 2-CD-Aufnahme, die dem Hörer viel Freude bereiten kann.

Das Ensemble hat sich erst 2015 gegründet, spielt Musik teilweise auf historischen Instrumenten und zwar meistens im Kino Delphi in Berlin Weißensee, ist aber auch bereits in der Hamburger Elbphilharmonie, dem Linzer Brucknerhaus und der Berliner Philharmonie aufgetreten. Die Musiker halten mehrere Programme, die man buchen kann, bereit, man kann zwischen Bach, Mozart und einem Wagner-Beethoven-Konzert wählen und eventuell Lioba Braun oder Mojca Erdmann hören. Dabei ist nicht nur ein Hörgenuss garantiert, sondern im Eintrittspreis von 20 Euro für die Kammerkonzerte ist jeweils auch ein Getränk inbegriffen.

Die bei PanClassics erschienene Aufnahme ist, wie der Beifall nach den einzelnen Musiknummern beweist, der Mitschnitt von einem Konzert und vereint eine prominente Sängerbesetzung mit einer hochprofessionellen Orchesterbegleitung. Das Zusammenspiel von modernen Holzbläsern und Streichern mit Darmsaiten ist effektvoll und die Begleitung der Rezitative nicht nur mit einem Tasteninstrument , sondern mit Cello, Kontrabass und Hammerklavier macht Sinn.

Bereits in der Sinfonia werden, was Lautstärke und Geschwindigkeit betrifft, alle Kontraste ausgereizt, blitzt Ironie auf, und die Finali werden geschickt in ständiger Steigerung aufgebaut. Die Frische des Spiels, das harmonische Miteinander mit den Sängersolisten versetzen den Hörer zunehmend in gute Laune. Der Neuer Männerchor Berlin ist zwar klein, aber fein.

Von der Lindenoper her bekannt ist der Säger des Mustafa, David Oštrek, der den sexgierigen Herrscher mit einem süffigen „me la voglio goder“ charakterisiert, der die notwendige Agilität für Rossini besitzt und sich nicht nur mit „già d’insolito ardore“ noch einmal zu steigern weiß. Einen stilsicheren, sensiblen Lindoro singt Miloš Bulajić, weiß seinen Tenor in  beachtliche Höhen zu schrauben und ist mit „Languir per una bella“ in seinem vokalen Element. Nur hin und wieder ist die Registerverblendung noch nicht perfekt. Zwei tadellose Baritone sind mit Adam Kutny als Haly und mit Manuel Walser als Taddeo zu hören, sehr sonor der eine in seiner Charakterisierung der italienischen Frauen, geschmeidig der andere in „Ho un gran peso“.

Auch noch in der Höhe  eine schöne Mezzofarbe hat die Stimme von Hannah Ludwig als Isabella, viele warme, weiche Töne, ihre Stimme kann Ironie ausdrücken und in „Per lui che adoro“ ist die Stimme wie aus einem Guss, was bei Intervallsprüngen nicht durchweg der Fall ist, aber bei einer raffinierten Wiederholung mit schönen Verzierungen kaum ins Gewicht fällt. Mit leichter Emission der Stimme und angenehmer Frische erfreuen die Elvira von Polly Ott und die Zulma von Laura Murphy. Was man auf diesen beiden CDs zu hören bekommt, hätte auch an einem der großen Opernhäuser der Stadt kein Missfallen erregt (PanClassics PC 10455). Ingrid Wanja

Solide

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Nicht nur bei den Sopranen Miricioiu, Moşuc oder Moldoveanu (und auch bei dem Tenor gleichen Namens) konnte man sich zusätzlich zu einer italienischen melancholischen dolcezza noch an einem gewissen aparten Etwas erfreuen oder tut es immer noch, was wohl dem Rumänischen in der jeweiligen Stimme geschuldet ist. Entsprechende Erwartungen an die reine Verdi-CD von Ştefan Pop bei Euroarts werden leider enttäuscht, auch wenn man es mit einer hochsoliden, technisch gut fundierten Tenorstimme zu tun hat, die leider  zwar kraftvoll, aber nicht unverwechselbar, nicht mehr der geschmeidige, brillante Duca oder Alfredo, eher schon  der melancholische, mehr (Adorno) oder weniger (Carlo) heldische Spintotenor ist.

Bereits entwachsen scheint der Tenor dem an den Anfang der CD gestellten Duca zu sein, dessen „Quest‘ o quella“ zwar von einer sicheren, wenn auch recht scharfen Höhe Zeugnis ablegt, aber nicht mehr von der wünschenswerten Schlankheit und Biegsamkeit der Stimme, und auch Rezitativ und Arie aus dem zweiten Akt von Rigoletto klingen recht metallisch, wenig geschmeidig, aber durchaus weitgespannte Bögen formend. Die kleinen Notenwerte werden beachtet, klingen aber recht farblos, und im La donna è mobile finden sich Behändigkeit und Brio, aber wenig Eleganz. Auch der Alfredo  ist dem Tenor nicht mehr optimal entsprechend, was eine  ohne Poesie, gequetscht und in der Höhe scharf klingende Arie , bezeugt, während die Cabaletta eher gehetzt als leichtfüßig klingt.

Einen Schritt in Richtung Dramatik geht es mit dem Rodolfo aus Luisa Miller, dessen Rezitativ grell klingt, während die Arie teilweise mit schöner mezza voce gesungen wird, die Wiederholung nicht ohne Schärfen auskommt. Nicht nur der Manrico bemüht sich auch um die kleinen Notenwerte, die allerdings oft nicht wie hingetupft, sondern leicht meckernd erscheinen, während die Phrasierung eine durchweg gut durchdachte und nachvollziehbare ist.

Eine der poetischsten Verdi-Figuren ist der Riccardo aus Un Ballo in Maschera, dem der Tenor die ihm innewohnende Eleganz mit einem eher derben Seemannslied abspricht, allerdings die letzte Arie auch eine schöne Empfindsamkeit offenbart. Dem um seine Familie trauernden Macduff mangelt es zugunsten einer gewissen Wehleidigkeit im Ton an Nobilität, Don Carlo lässt zumindest in der Wiederholung etwas vom „dolce suol di Francia“ anklingen, Gabriele Adorno schließlich stellt die Kontraste in seiner Gemütsverfassung wirkungsvoll heraus. Die schwierigste Partie dürfte der unselige Jacopo Foscari sein, dem die Tenorstimme tragische Empfindsamkeit verleihen kann, auch die entschlossen klingende Cabaletta wird der Figur gerecht. Foresto aus Attila klingt recht grell, kann aber von einem schönen Legato profitieren, der Oronte wurde wohl wegen der effektvollen Pianohöhe an den die CD krönenden Schluss gesetzt. Lawrence Foster lässt das Orchestre Philharmonique de Marseille zu einem durchaus Italianità versprühenden Begleiter des Tenors  werden, der sicherlich ein hochsolider Vertreter seines Fachs ist, das Bedauern über das Hinscheiden eines Bergonzi oder Verstummen eines Carreras aber nicht beenden kann (Euroarts 2011077). Ingrid Wanja     

Genuss bei geschlossenen Augen

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Die mit Abstand größte Aufregung provozierte im Herbst 2022 nicht die Tatsache, dass das Götter-, Menschen-, Zwergendrama von Wagners Ring des Nibelungen von der Regie jedweden Mythos‘ entkleidet worden war, auch nicht, dass anstelle von Daniel Barenboim wegen dessen gesundheitlicher Beeinträchtigung Christian Thielemann das Dirigat an der Staatsoper Berlin übernahm, sondern es war ein halbes Dutzend kuscheliger Kaninchen, das für Aufregung sorgte. Zum aufwändigen Bühnenbild, wohl eine Anstalt zur Erforschung menschlichen Verhaltens darstellend, gehörte neben Konferenzsaal, Stress-Labor, Wartezimmer und anderem auch ein Raum, in dem, so legten es die in Käfigen gehaltenen Säuger nahe, Tierversuche stattfinden. Das oder vielmehr erst die Premierenkritiken riefen PETA auf den Plan und führten zu einer langen Diskussion über vermeintliches Wohl und Wehe der Tierchen und letztendlich zu deren Ersatz durch Stofftiere.

Jetzt gibt es die vier Blurays von den Premieren der Ring-Teile, und deren Betrachter kann sich davon überzeugen, dass es den nun auch in Großaufnahme erscheinenden Kaninchen prächtig ging, sie keinerlei Zeichen von Stress zeigten, sondern unbeeindruckt mümmelten und von dem reichlich vorhandenen Heu schnabulierten. I. W.

Im Folgenden nun die Besprechungen der vier Einzelopern auf DVD bei Unitel. Den Beginn macht – natürlich – Das Rheingold, und die obige Überschrift gilt nach Beurteilung der Rezensentin für alle vier Teile. G. H.

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Das Rheingold: Daniel Barenboim hatte sich, obwohl der letzte Ring noch im Schillertheater seine Premiere erlebt hatte und der der Deutschen Oper fast zeitgleich nach vielen Jahrzehnten im Zeittunnel Götz Friedrichs entstand, zum 80.Geburtstag einen neuen Ring gewünscht. Erfahrungen mit einem brutalisierten Parsifal und einem banalisierten Tristan jeweils in der Regie von Dmitri Tcherniakov hatten ihn offensichtlich nicht geschreckt, und auch sein Nachfolger am Dirigentenpult zeigte sich mit dem entzauberten, banalisierten Ring dieses Regisseurs einverstanden. Dessen Vorzüge bestehen darin, dass die  Charaktere nicht verändert wurden, ihre Nachteile, dass ihr Verhalten nicht nachvollziehbar ist, umso weniger, wenn, um nur einige Beispiele zu nennen, Alberich nach Verlust von Gold und Ring, wobei es zwar diesen, ansonsten aber weder Rhein noch Walhalla, weder Kröte noch Riesenschlange, in die Gummizelle abgeführt wird. Wie konnte er da Hagen zeugen? Das Geschehen gipfelt in einem albernen Kindergeburtstag mit Luftschlangen und Minifeuerwerk.

Wenn es dann zum Schlussapplaus kommt, staunt, wer die Premiere erlebte, nicht schlecht, welch stürmischen Beifall Rolando Villazon für seinen banalen, von Stimmproblemen geplagten Loge erhält, obwohl er doch heftig ausgebuht wurde, allerdings  schlimmer, als hier wahrnehmbar, war. Wurde da nachgebessert? Der noch vielheftigere Buh-Sturm für das Regieteam wird hingegen unterschlagen, so getan, als wäre dies gar nicht auf der Bühne erschienen.

Hin- und hergerissen zwischen dem unterschiedlichen Sinneseindrücken, die Auge und Ohr vermitteln, das eine beleidigend, das andere umschmeichelnd, schaltet das Gehirn auf Resignation oder Rebellion. Im Falle Rheingold an der Lindenoper ist die Beschränkung auf das Hören anzuempfehlen, denn was Christian Thielemann im Orchestergraben zaubert ist sensationell, auch weil der Klang der Staatskapelle, deren Chef er bald sein wird, sowohl zu Wagner wie zu seinen Klangvorstellungen optimal passt. Dass der Dirigent über dem Klangrausch die Bedürfnisse der Sänger nicht vergisst, ist zusätzlich lobenswert.

Ein Wotan, der akustisch alles das ist, was er szenisch nicht sein darf, bildet mit Michael Volle das Zentrum der Aufführung, ein machtvoller, stimmschöner, hoch diszipliniert eingesetzter Bariton. Weniger edler im Timbre und damit rollengerecht als Alberich und insgesamt vorzüglich ist Johannes Martin Kränzle, als Mime lässt Stephan Rügamer bedauern, dass er nicht der Loge sein darf. Mika Kares macht mit samtschwarzem Bass die Liebessehnsucht des Fasolt glaubwürdig, Peter Rose mit derberem Material die Sucht nach dem Gold, die Fafner plagt. Lauri Vasar und Siyabonga Maqungo als Donner und Froh lassen keinen Wunsch übrig. Sensationell gut mit weichem, verführerischem Alt gibt Anna Kissjudit eine Erda, zu der der Regie nur eingefallen ist, dass sie irgendwie zum Personal gehört. Claudia Mahnke war bereits als Fricka in Frankfurt aufgefallen und bestätigt in Berlin den überaus günstigen Eindruck. Anett Frisch muss als Freia verklemmt sein, singt aber schön, die Rheintöchter sind mit den Stimmen von Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja fein aufeinander abgestimmt. Eingekauft haben wohl alle Damen im GUM der Vor-Putin-Zeit (Elena Zaytseva).    Mit geschlossenen Augen und offenen Ohren ist ein Wagner-Hochgenuss garantiert (Unitel 809904).

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Die Walküre – ernüchternde Optik. Vielleicht war es gar keine so schlechte Entscheidung, Dmitry Tcherniakov für das Inszene-Setzen von Wagners Ring an die Staatsoper Berlin zu engagieren, denn wie wäre wohl der Schlussapplaus für die Walküre ausgefallen, hätte sich zu der wunderbaren akustischen Umsetzung der Partitur durch Christian Thielemann auch noch eine optisch ansprechende gesellt?! Vielleicht hätten Wände und Dachkonstruktion des Hauses einem noch machtvolleren Beifallssturm nicht standgehalten, als er für Sänger und Orchester und ganz besonders für den Dirigenten ertönte und gar nicht mehr enden wollte.  So aber wurden die Gemüter wohl immer wieder abgekühlt durch einen Siegmund als entflohener Sträfling mit wenig schmeichelhaftem Steckbrief,  das Ehepaar Hunding in einem Tiny-Haus auf dem Gelände der Forschungsanstalt E.S.C.H.E  angesiedelt, in dem aber auch Wotan und Brünnhilde zeitweise zu hausen scheinen, sich jedenfalls zuhause fühlen, denn sie wissen, wo das Bier im Kühlschrank zu finden ist. Da rafft Sieglinde vor der Flucht noch sämtliche Textilien zusammen, leert Siegmund den Kühlschrank bis auf besagte zwei Flaschen, und Nothung landet in der Plastetasche. Da fällt dem Opernfreund doch gleich Manon Lescaut beim Zusammenraffen der Kleinodien ein. Längst ist es gang und gäbe, auf der Bühne seine Notdurft zu verrichten, was in diesem Fall Hunding tut, während Sieglinde und Siegmund ihre Flucht durch zwei Etagen mit gefühlt hundert schlagenden Türen vollziehen , vorbei an unzähligen Kaninchenställen mit „echten“ Tieren darin und schließlich Hunding als Unschuldslamm da steht, denn es sind Wachleute, die sich Siegmunds bemächtigen und Wotans „Geh!“ als völlig ungerechtfertigt erscheinen lassen. Unspektakulärer als die an der Lindenoper kann keine Walküre sein, denn anstelle eines Feuers, das die schlafende Brünnhilde umlodert, malt diese nur kleine Flämmchen auf die vielen die Bühne füllenden Stühle und bleibt hellwach. Lustig wird es immer, wenn allzu Alltägliches den Mythos ad absurdum führen will, wie das Babyfläschchen, das Brünnhilde der werdenden Mutter zusteckt und den Zuschauer sich die profane Frage stellen lässt, ob die darin enthaltene Milch wohl bis zu Entbindung  genießbar bleibt. Mit all diesen putzigen Einfällen wird klar, dass die Regie  sich beharrlich weigert, anzuerkennen, dass das Personal des Ring sich nicht auf Menschen beschränkt, sondern es  lässt die Götter nicht nur menschlich, sondern durchweg allzu menschlich erscheinen, entzieht der Musik die Unterstützung durch eine adäquate Optik auf der Bühne. Der Genuss der Bluray ist allerdings bei weitem dem Live-Erlebnis vorzuziehen, denn da durch die vielen Nahaufnahmen der Sänger das sie umgebende Ambiente weitgehend ausgeblendet wird, kann dieses seine störende Wirkung weniger entfalten und den Genuss des Hörens nicht so stark beeinträchtigen.

Was sich im Orchestergraben unter der Leitung von Christian Thielemann abspielt, ist allerdings so phantastisch in seiner Klarheit, seinem Reichtum an Agogik, von zartesten Gespinsten bis zum brillanten Klangrausch reichend, der umso beeindruckender ist, als er aus einer auch ganz zurückhaltenden und die Sänger schonenden Grundhaltung erwächst.

Eine ganz großartige Leistung vollbringt Michael Volle als Wotan mit einer breiten Scala von zarten bis hin zu urgewaltig mächtigen Klängen, sein Göttervater ist akustisch um einige entscheidende Grade edler als die Regie ihn haben wollte. Ihr Rollendebüt als Brünnhilde gibt Anja Kampe und ist eine so resolute wie sensible Walküre, auch im extremen Forte nie schrill, sondern unangestrengt und warm klingend, strahlend in der Höhe und substanz-und nuancenreich in der Mittellage. Ihre Halbschwester Sieglinde, verkörpert durch Vida Miknevičiūté,  prunkt mit einer helleren, ausgesprochen „blonden“ Stimme und rührt durch ihre empfindsame Darstellung. Auch optisch ist sie die Sieglinde, die man sich immer gewünscht hat, und das „hehrste Wunder“ erscheint tatsächlich als ein solches.   Claudia Mahnke in spießiger Gewandung verleiht der Fricka vokale Würde mit einem frei strömenden Mezzosopran. Mika Kares hat für den Hunding fast eine zu schöne, auf jeden Fall aber auch hochpräsente Bassstimme. Eher gefallen als bei der Premiere kann der Siegmund von Robert Watson mit auch hier  kraftvollen, aber nicht mehr unangenehm  klingenden Wälserufen, dem Tenor fehlt hier weniger das  Strahlende, das auch vom Publikum bei der Premiere vermisst wurde, wie Unmutsäußerungen bewiesen. Etwas unausgeglichen lassen sich die Walküren vernehmen, aus deren Kreis immer noch Clara Nadeshdin als Gerhilde angenehm herausragt (Unitel 810104).

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Siegfried – im nicht vorhandenen Wald nichts Neues. Zum dritten Mal das gleiche Spiel: Man kann gar nicht genug bekommen von Wagners Musik, dargeboten von der Staatskapelle unter Christian Thielemann, getragen und dennoch ungemein spannungsvoll, die Details auskostend und doch nie den großen Spannungsbogen aus den Augen verlierend, rauschhaft aufbrausend und doch nie die Sänger zudeckend- und auf der Bühne das inzwischen bis zum Überdruss sterile, langweilige, lächerliche Treiben in der Forschungsanstalt Dr.Wotans, in den Regisseur Dmitri Tcherniakov den Göttervater uminterpretierte .Immer krasser klafft von Bluray zu Bluray der Abgrund zwischen der rauschhaften musikalischen Darbietung und der kalten Ödnis der Szene. Hatte man zunächst noch seine Neugier wegen der ständig wechselnden Schauplätze befriedigen können, so langweilt und verärgert nun zusätzlich ihre ständige Wiederkehr, wird die Kluft zwischen den Intentionen des Librettisten/Komponisten und den Erwartungen zumindest eines Teils der Zuschauer und der Realisierung auf der Bühne der Staatsoper immer tiefer.

Hatte man im Rheingold noch mit einer Mischung aus Neugier und Unmut die ständig wechselnden, aber nie zum Stück passenden, perfekt realisierten, aber im Kontrast zur Musik stehenden Schauplätze zur Kenntnisgenommen, in der Walküre sich allmählich Langeweile angesichts der immer wiederkehrenden Optik eingestellt, so verfällt man angesichts der ständigen Banalisierung in totale Resignation und wünscht sich anstelle der Bluray lieber eine die Illusion erhaltende CD.  Wie gehabt ergeht sich die Regie in einer Mischung aus Läppischem wie dem Erwecken der Erda mit einer Tasse Kaffee oder dem im Jogginganzug die mit einer Alufolie bedeckten Brünnhilde erweckenden Siegfried, der er mal mit extrem karikierenden Operngesten, mal mit lässiger Schlappsigkeit seine Liebe erklärt. Ob er auch das gequälte Kind mit augenscheinlichem Migrationshintergrund auf dem Filmband, das zu den ersten Takten der Musik läuft, ist, sei dahingestellt.

Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Ring-Teilen mit fast genereller Superbesetzung  stellt sich nun auch pures Tenorglück ein: Andreas Schager singt unermüdliche Schmiedelieder mit strahlender Höhe und substanzreicher Mittellage, so dass man fürchtet, er habe sich bereits damit verausgabt, kann aber immer wieder mit frappierender Durchschlagskraft und schier unermüdlichem Höhenglanz  überraschen. Als Wanderer ist Michael Volle nun völlig vergreist und hinfällig und von Freia wohl nicht mehr mit Äpfeln bedacht,  vokal hingegen eine Pracht von einem Bariton, der unermüdlich strömt und einen beachtlichen Kontrast zum körnigeren Stimmmaterial von Johannes Martin Kränzle bildet, dem es als Alberich optisch noch schlechter geht mit Rollator und Asthmaspray. Peter Rose singt einen imponierenden Fafner, der wohl nicht, wie oft üblich, verstärkt werden muss. Stephan Rügamer gibt einen darstellerisch fein ausgefeilten Mime mit hochpräsentem Charaktertenor. Victoria Randem ist nicht ein Waldvogel, sondern eine Krankenpflegerin mit Vogelmarionette, hat für diese einen betörend schönen Stimmklang, aber eine arg verwaschene Diktion. Anna Kissjudit wirkt als Erda etwas weniger präsent als im Rheingold, aber unverkennbar besitzt sie einen wunderbar samtigen, dunkel lodernden Alt. Anja Kampe sang als Debütantin alle drei Brünnhilden mit jeweils zwei Tagen Pause zwischen den einzelnen Teilen des Rings. Das ist eine heikle Aufgabe, die sie auch in dieser Aufnahme grandios bewältigt mit einem hell leuchtenden, exakt konturierten,  bis in die höchsten Höhen einheitlich gefärbten Sopran schöner Farbe. Nicht leichter wird ihre und auch die Aufgabe anderer Sänger, wenn das musikalische Pathos, das emphatische Singen  immer wieder von einer ironisierenden Darstellung konterkariert werden muss.  Es wird einiger Mut dazu gehören, sich auch dem letzten Teil des Zyklus auszusetzen, der von allen der letzten Jahre derjenige sein dürfte, an dem Bühne und Musik am wenigsten miteinander zu tun hatten (Unitel 810304).

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Götterdämmerung – Brünnhilde kündigt. Was soll man noch sagen oder besser schreiben, was noch nicht gesagt/geschrieben worden ist nach dem vierten Abend von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen, von dem nun auch noch eine Bluray erschienen ist? Fortgesetzt wird in gnadenloser Konsequenz die Säkularisierung, man könnte auch sagen die Verhohnepiepelung sowohl von Werk wie von Publikum mit einem Rheingold ohne Rhein und Gold, einer Walküre ohne Wunschmaid, mit einem Siegfried, der eher ein Taugenichts ist als ein naiver Held, einer Götterdämmerung ohne Götter, die in Walhall verglühen. Nicht nur, dass das gesamte Werk aus der schillernden Vielfalt von Göttern, Riesen über Menschen bis zu den Schwarzalben eingeebnet wird mit der Wahl einer zweifelhaften, menschen-wie tierverachtenden Forschungsanstalt als einzigem Schauplatz, in der Natur, ob Wald oder Tierwelt, nur noch als Pappfigur existiert. So wie Wotan als Strafe  für ihren Ungehorsam die Gottheit von Brünnhilde küsste, so prügelt Dmitri Tcherniakov den Mythos aus der Tetralogie, ersetzt sie nicht einmal durch eine reale Welt, sondern den Antimythos, eine entmenschte Menschenwelt. Niemand glaubt mehr an die Asen, den Mythos, aber die Musik beglaubigt ihn, und sie sollte respektiert werden. Nachdem in den Opernhäusern sämtliche Tabus gebrochen und dafür neue, bei ihrem Bruch noch strenger geahndete errichtet wurden, könnte man allmählich dazu zurückkehren, wenn nicht dem Text, so doch der Musik mehr zu vertrauen, nicht gegen sie zu inszenieren.  Da setzt es schon etwas in Erstaunen, dass man, obwohl auch die vierte Bluray wieder Absonderlichkeiten  wie den Trainingsraum eines Basketballteams, wohl die Werksmannschaft von E.S.C.H.E, offerierte, in dem der Mord an Siegfried, dem Hagen eine Fahnenstange in den Rücken stößt, stattfindet, übrigens mit „echtem“ Blut, Wotan und Erda noch einmal herumgeistern und die Nornen uralt und mit vielerlei Bresten behaftet sind. Brünnhilde und Siegfried haben Hundings bzw. Mimes Häuschen bezogen, Brünnhilde findet aus dem Bademantel zwischen Bett und Couch gar nicht mehr heraus. Komischerweise lädt man sich nicht mehr innerlich gegen diese Regiescherze aus, zum  einen wohl, weil sie nicht an die Substanz der Handlung und der Charaktere gehen, zum anderen, weil die Musik einfach zu stark ist und weil ihre Realisierung unter Christian Thielemann jede Optik erträgt, sich zu unbändiger, unbesiegbarer Kraft entfaltet.

Überraschend taucht ganz zum Schluss, wenn Brünnhilde nicht den Scheiterhaufen besteigt, Hagen nicht im Rhein ertrinkt, weil er das Gold erhaschen will, ein Schriftzug auf mit einem Text Wagners, den er nicht vertont hat: „Von Wiedergeburt erlöst zieht nun die Wissende hin. Alles Ewigen seliges Ende, wiss’t ihr, wie ich‘s gewann? Trauernder Liebe tiefstes Leiden schloss die Augen mir auf, enden sah ich die Welt.“ Das heißt jedoch nicht, dass auch Brünnhilde endet, sie zieht mit einer Handtasche unter Zurücklassung von Siegfrieds Leichnam samt Grane-Plüschtier davon. Hat wohl einfach die Arbeit am Forschungsinstitut E.S.C.H.E satt.

Herausragend sind wieder die Leistungen der meisten Sänger. Gewiss kommt Anja Kampe streckenweise an ihre Grenzen, hatte manche schrille Höhe zu verantworten, aber auch die unbedingte  Glaubwürdigkeit für die schwierige Partie, herrlich farbige Klänge in der Mittellage und immer ein Leuchten in der Sopranstimme, dazu atemberaubende Intervallsprünge in ebensolcher Sicherheit. Einen zarten lyrischen Sopran kann Mandy Fredrich für die Gutrune einsetzen und dazu die von der Regie wohl gewünschte Tussi-Optik. Violeta Urmana war einmal eine hochgeschätzte Wagner- und Verdisängerin, inzwischen erscheint die Stimme nicht mehr wie aus einem Guss, weist Brüche auf und klingt vergleichsweise fahl als Waltraute.  Von den Nornen können besonders die tieferen Stimmen mit denen von Noa Beinart und Kristina Stanek gefallen, während das Vibrato von Anna Samuil als Dritte Norn doch etwas zu ausgeprägt ist. Wie ein vokales Frischebad wirken die Rheintöchter Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja.

Andreas Schager ist auch in dieser Aufnahme  unermüdlich Kraftreserven hervorzaubernd ein unangestrengt und souverän wirkender Siegfried mit strahlendem Heldentenor, manchmal den Eindruck erweckend, er wolle unbedingt auf das bereits Vollkommene noch eins draufsetzen. Dazu ist er ohne Einschränkungen ein überaus jugendlicher übermütiger Draufgänger und dazu offensichtlich noch tänzerisch begabt. Für den schwachen, hier aber nicht durchweg unsympathischen Gunther setzt Lauri Vasar einen farbigen, geschmeidigen Bariton ein. Darf er deswegen überleben?  Mika Kares ist auch als Hagen von umwerfender Basspotenz.  Nein, Schiesser-Feinripp ist es wohl nicht, was Alberich als einziges Stück Textil trägt, dagegen hätte sich wohl die Firma erfolgreich gewehrt. Vokal kann  Johannes Martin Kränzle beglaubigen, was  bereits Lobendes über ihn gesagt wurde. Und Christian Thielemann am Dirigentenpult?  Es ist einfach phantastisch, wozu die Staatskapelle unter ihm fähig ist, Siegfrieds Rheinfahrt ( zum Glück bei geschlossenem Vorhang) und der Trauermarsch müssen einem einfach  die Tränen in die Augen treiben. Eine gebändigte Wucht sind die Mannen unter Martin Wright (Unitel 810504). Ingrid Wanja

Celestina Casapietra

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Vor allem die Besucher der Berliner Staatsoper werden sich an die italienische Sängerin Celestina Casapietra (23. August 1938) erinnern, die am 10. August 2024 verstarb. Sie war von 1965 bis 1993 Mitglied der Berliner Staatsoper war und trat an führenden europäischen Opernhäusern. Ihr Repertoire reichte von Koloraturrollen bis hin zu Wagners Elsa in Lohengrin und Giordanos Maddalena in Andrea Chénier, die an der Seite von Franco Corelli als DVD erschien.

Geboren am 23. August 1938 in Genua,kam Casapietra schon früh mit der Oper in Berührung, nahm als Kind Klavierunterricht und sang mit 15 Jahren Verdis Requiem im Chor. Sie studierte Gesang am Konservatorium von Genua und am Mailänder Konservatorium bei Gina Cigna. Casapietra debütierte 1961 am Teatro Nuovo in Mailand in Giordanos Mese mariano. Sie gewann 1963 Preise bei Wettbewerben in Mailand und Rom und trat an den italienischen Opernhäusern in Genua, San Remo, Pisa und Venedig sowie an der Opéra National de Lyon auf. In Italien machte sie die Bekanntschaft mit dem Dirigenten Herbert Kegel, der sie nach Leipzig holtge und dort förderte.

1964 fiel Casapietra von dem Dirigenten Otmar Suitner auf, als sie in Wagners Parsifal auftrat. Er überzeugte sie, an die Berliner Staatsoper in (Ost-)Berlin zu gehen. Dort trat sie ab 1965 auf, zunächst als Kurtisane in Paul Dessaus Die Verurteilung des Lukullus, Fiordiligi in Mozarts Così fan tutte, Donna Anna in Mozarts Don Giovanni, und Woglinde in Wagners Ring-Zyklus. Sie trat dort ebenfalls als Leonore in Beethovens Fidelio, Agathe in Webers Der Freischütz, Elsa in Wagners Lohengrin, Tatjana in Tschaikowskis Eugen Onegin und Maddalena in Giordanos Andrea Chénier auf. 1971 sang sie die Titelrolle in Massenets Manon an der Seite von Peter Schreier als Des Grieux in der Inszenierung von Horst Bonnet  und unter der Leitung von Arthur Apelt. Außerdem trat sie in Berlin als Cleopatra in Händels Giulio Cesare, Alice Ford in Verdis Falstaff, Liú in Puccinis Turandot[ und Elisabeth in Wagners Tannhäuser auf.

Die Staatsoper Berlin verlieh ihr den Titel der Kammersängerin. Casapietra gastierte am La Fenice in Venedig, an der Wiener Staatsoper, an der Bayerischen Staatsoper in München, an der Hamburgischen Staatsoper und am Bolschoi-Theater in Moskau. Bei den Salzburger Festspielen trat sie von 1969 bis 1971 in Cavalieris Rappresentatione di Anima et di Corpo auf. Bei der Mozartwoche 1984 in Salzburg verkörperte sie die Vitellia, 1985 in Dublin die Marschallin und 1986 beim Festival von Las Palmas die Elisabeth in Tannhäuser. In Amsterdam trat sie 1986 als Yü-Pei in Zemlinskys Der Kreidekreis auf. 1994 trat sie in Genua in Puccinis Tosca und in Lyon in der Titelrolle der Ariadne auf Naxos auf.

Casapietra war seit 1966 mit dem Dirigenten Herbert Kegel verheiratet, mit dem sie einen Sohn, Björn Casapietra, hat, der in Genua geboren wurde und einen italienischen Pass besitzt. Casapietra und Kegel galten in den 1960er Jahren in der DDR als Glamourpaar und ließen sich 1983 scheiden. Sie hatte Wohnsitze in Berlin und in Sori, Ligurien. Ebendort starb sie am 10. August 2024 im Alter von 85 Jahren.

Casapietra nahm 1971 die Rolle der Fiordiligi in der deutschen Fassung von Così fan tutte auf, mit Suitner als Dirigent der Staatskapelle Berlin. 1973 erschien ihre Maddalena auf einer DVD von Giordanos Andrea Chénier für Hardy Classic neben Franco Corelli in der Titelrolle und Piero Cappuccilli.

Zu ihren Aufnahmen des Konzertrepertoires gehören Bachs h-Moll-Messe unter der Leitung ihres Mannes im Jahr 1975 mit dem Rundfunkchor Leipzig und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig.  1990 sang sie das Sopransolo in Mendelssohns Lobgesang in einer Gesamtaufnahme seiner Sinfonien für Eurodisc, wobei Kurt Masur das Gewandhausorchester dirigierte.

Außerdem wirkte sie in dem DEFA-Opernfilm Gala unter den Linden (DDR, 1977) mit und spielte die Rolle der Gesangslehrerin in Arnaud des Pallières‘ Film Drancy Avenir (1997). (engl. Wikipedia/ Foto Bachtrack)

GABRIELA SCHERER

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Ob als Senta, Fidelio, Chrysothemis oder Donna Elvira: Gabriela Scherer macht sich im Moment in einem breiten Repertoire einen Namen. Der Sommer steht für die Schweizer Sopranistin mit der Senta in Düsseldorf, ihrem Bayreuth-Debüt als Gutrune und Sieglinde im „Ring an einem Abend“ in Graz ganz im Zeichen Richard Wagners, auf den sie sich aber keinesfalls festlegen möchte. Beat Schmid traf sie zu einem Gespräch über kommende Aufgaben, warum eine gesunde, schlanke Stimmführung wichtig ist, Entwicklungen im Opernbetrieb, die Sorgen machen und vieles mehr. Auf seine Fragen antwortete sie wie nachstehend.

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Gabriela Scherer: Sommer 2024 in Bayreuth/Foto Harald Schäfer

Im August singen Sie zum ersten Mal in Bayreuth, und zwar in der doch recht polarisierenden „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz. Was sind Ihre Eindrücke dieser „Götterdämmerung“ und wie ist die Arbeit mit Valentin Schwarz und seinem Team?Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich im voraus nicht den kompletten Ring von Valentin Schwarz gesehen habe. Ich habe mir natürlich die Götterdämmerung angeschaut und hatte auch ein paar Fragen dazu. Wir hatten von Anfang an gleich so eine tolle offene Arbeitsatmosphäre und mir wurde sehr klar erklärt, was seine Idee ist. Und ich muss sagen, ich finde seine Arbeit und die von seinem großartigen Team wirklich bereichernd. Das Besondere finde ich, dass jede einzelne Person in diesem Ring eine ganz eigene Tragik in sich trägt. Dazu kommt, dass die Arbeitsweise einerseits hoch konzentriert ist, aber auch einfach riesigen Spass macht. Ich verstehe, dass es immer wieder sehr viele kritische Stimmen gegenüber dem sogenannten „modernen Regietheater“ gibt, aber ich bin gleichzeitig auch der Meinung, dass man sich trotzdem erst einmal einer Idee gegenüber neutral öffnen sollte. Und wenn man dann wirklich gar nicht dahinter stehen kann, muss man so fair sein und die Produktion verlassen. Aber ich muss sagen, hier war ich sofort von der tiefgründigen, fantasievollen aber auch sehr humorvollen Art von Valentin Schwarz angetan und möchte seine Idee so gut wie möglich umsetzen. Und das ganze Team im Hintergrund, wie z.B. der großartige Kostümbildner Andy Besuch, bringen wirklich eine sensationelle Produktion auf die Bühne.
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Und wie ist die Arbeit mit Simone Young? Ich habe vor sehr vielen Jahren schon einmal an der Bayerischen Staatsoper mit Simone Young gearbeitet und habe mich riesig darauf gefreut, sie wieder zu sehen und mit ihr wieder zu arbeiten. Sie ist eine großartige Künstlerin und Frau, wir hatten eine fantastische Zeit, tolle Gespräche, wunderbare und sehr inspirierende Proben und ich nehme sehr viel von dieser Zusammenarbeit mit.
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Gabriela Scherer: Elsa in „Lohengrin“ an der Oper Leipzig mit Klaus Florian Vogt/Foto Kirsten Nijhof

Sie singen diesen Sommer ausschließlich Wagner: Senta, Gutrune und Sieglinde. Würden Sie sich als „Wagnersängerin“ bezeichnen? Was muss eine Sopranistin für Wagner mitbringen? Ich würde mich wirklich nicht als Wagnersängerin bezeichnen, falls es so etwas überhaupt gibt. Gelernt habe ich die sogenannte italienische Technik, und auch mit meinem Coach und meiner Lehrerin arbeiten wir an sehr viel unterschiedlichem Repertoire, Legato, einer gesunden, schlanken Stimmführung… Alles Punkte, die zu einem gesunden Wagner-Singen dazu gehören, aber oftmals wird das so nicht gesehen. Ich höre sehr oft auch von jüngeren Kollegen: „Ich habe eine riesige Stimme, bin wie gemacht für Wagner“, und das ist leider absolut falsch. Natürlich kann eine Stimme, die das leichte Sopranfach singt wie z.B. eine Zerlina nicht eine Isolde singen, aber für Wagner braucht es so viel mehr als nur ein großes Volumen. Ganz im Gegenteil, man braucht einen klaren und kühlen Kopf, um genau zu wissen, wie man sich eine Rolle so einteilt, dass man am Ende noch genug Kraft hat. Dann ist es unheimlich wichtig, sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, ein gesundes Legato beizubehalten und trotzdem deutlich zu sprechen. Daran arbeite ich gerade sehr und es ist der einzige Weg, immer wieder an diesen Dingen professionell zu arbeiten. Und auch wenn das manchmal etwas zu kurz kommt: Bei Wagner gibt es alles. Von einem absoluten Pianissimo bis zu den größten Ausbrüchen. Das sollte man sehr ernst nehmen und nur das macht die Rolle meiner Meinung nach am Ende interessant und lebendig.

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.Die Sieglinde, die Sie im August in Graz singen, wird ein Rollendebüt sein. Was sind die stimmlichen Herausforderungen dieser Partie und wie werden Sie die Rolle anlegen? Die Sieglinde ist insofern eine sehr besondere Herausforderung für mich, weil die Rolle sehr viel in der Mittellage geschrieben ist. Und das ist vom Mezzofach kommend gar nicht so einfach, denn ich möchte nicht zurückfallen in gewisse Angewohnheiten, die ich als Mezzo hatte. Wie z.B. in der Mittellage zu groß oder zu dunkel singen. Auf der anderen Seite ist das meine Stimme und ich muss einfach sehr intensiv daran arbeiten, wie ich klug an diese Lage gehe. Denn der Sound des Orchesters ist oft sehr geballt und die Gefahr, dass man in der Mittellage zu viel gibt, ist groß. Andererseits sollte man auch gehört werden, und das ist in der Mittellage gar nicht immer so einfach. Aber ich habe zum Glück großartige Hilfe beim Einstudieren dieser Rolle von meinem Coach.
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Gabriela Scherer: Senta an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/ Foto Hans-Jörg Michel

Im deutschen Fach singen Sie auch viel Strauss, wie etwa die Ariadne, Chrysothemis oder im September die Vier letzten Lieder. Sind weitere Strauss-Partien wie Kaiserin, Marschallin oder Salome geplant? Ich freue mich unsagbar auf die Vier letzten Lieder von Strauss. Gerade gestern habe ich daran gearbeitet und musste wieder feststellen, wie allumfassend und großartig dieser Mensch komponiert hat. Das ist jedesmal ein ganz eigenes Universum, welches sich öffnet, wie er die Sprache vertont. Das berührt mich immer wieder zutiefst. Obwohl der Komponist meine erste große Strauss-Partie war, ist mir kaum eine Rolle so nah wie die der Ariadne. Strauss hat wunderbar für die Stimme geschrieben, wenn ich wünschen könnte, dann wären sehr viele Strauss Partien in meinem Kalender… Aber tatsächlich ist bisher wenig Strauss geplant, viel mehr Wagner. Was einerseits schön ist, aber mich auch immer wieder ein bisschen traurig macht. Sobald man Wagner singt, ist man schon ein stückweit in einer Schublade und da versuche ich sehr dagegen zu arbeiten. Die Marschallin und irgendwann auch die Salome sind definitiv auf meiner Wunschliste für die Zukunft. Und gerne wieder viele Ariadnes.

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Sie lassen sich, obwohl sie viel „schweres“ deutsches Fach singen, darauf aber nicht festlegen. Im Mai haben Sie mit Marc Minkowski Donna Elvira in „Don Giovanni“ gesungen, im Dezember folgt sogar Ihre erste Pamina. Wie lässt sich das mit Wagner und Strauss vereinen? Die Gefahr, diese gesunde Linie zu verlassen, ist bei Wagner sehr groß, allein schon durch den großen Orchesterklang, der einem entgegenkommt. Da hat man oft fälschlicherweise das Gefühl, mit Lautstärke dagegen ankämpfen zu müssen. Natürlich gibt es Ausbrüche und die sollte man auch (kontrolliert) genießen, aber es ist völlig falsch, mit Volumen gegen ein Orchester versuchen anzukämpfen. Wenn die Stimme Obertöne hat, trägt sie, auch im Piano, über jedes Orchester.
Bei Mozart besteht diese Gefahr nicht, gleichzeitig ist es die perfekte Kontrolle, ob man die Stimme noch gesund und flexibel führen kann.
Außerdem muss ich sagen, dass Mozart neben Strauss mein absoluter Liebling ist, ich habe jede einzelne Sekunde in jeder Vorstellung mit Marc Minkowski so genossen und aufgesogen. Das ist einfach der Himmel auf Erden. Und hält die Stimme jung und beweglich.
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Auch Verdi- und Puccinirollen haben Sie im Repertoire. Ist in dieser Richtung weiteres geplant? Ich freue mich riesig, dass ich in Zukunft Verdis Alice Ford singen werde. Wo kann ich noch nicht verraten, aber das ist wirklich eine neue, tolle Herausforderung. Ich wünsche mir allerdings nichts mehr, als bald einmal die Desdemona zu singen. Diese Rolle ist ganz oben auf der Wunschliste, aus verschiedenen Gründen. Ich glaube, auch wenn das für Menschen, die mich nur im Wagner Fach gehört haben seltsam klingen mag, dass die Desdemona mir auf den Leib geschrieben ist, auch von ihrem ganzen Wesen. Ich singe sie oft zum Einsingen und finde dabei sofort meinen Stimmsitz.

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Sie sind Mutter von zwei Kindern, Ihr Mann Michael Volle ist wie Sie viel unterwegs. Wie lässt sich eine Karriere als freischaffende Sängerin mit der Familie vereinbaren? Ich war die ersten Jahre nur zuhause und habe dann sehr langsam wieder angefangen zu arbeiten, manchmal nur zwei Produktionen im Jahr, wovon vieles Wiederaufnahmen mit wenigen Proben waren. Ich bin in erster Linie Mutter, meine Kinder sind das größte Glück und ich möchte am liebsten keine einzige Sekunde mit ihnen verpassen. Gerade jetzt, wo ich langsam spüre, wie sie älter werden. Seit ca. zwei Spielzeiten arbeite ich sehr viel. Die Arbeit ist wunderbar, und ich bin sehr dankbar, aber die Zeit mit meinen Kindern ist sehr wertvoll und ich möchte für sie da sein. Konkret hieß das in den letzten Monaten, dass ich sehr sehr viel Auto gefahren bin. Oft nachts, um für ein paar Stunden bei meinen Kindern zu sein, alles zu regeln was zu hause ansteht. Es muss ja alles organisiert und geplant sein, der Hund muss versorgt werden, das Haus, die Wäsche der Kinder, Verabredungen… Und ganz zu schweigen von den Teenagersorgen, die besprochen werden müssen. Das war seit letztem November eine große Herausforderung und ich bin wahnsinnig froh, dass wir das alles geschafft haben.

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Gabriela Scherer: Elisabetta in Don Carlo an der Oper Leipzig/ Foto Kirsten Nijhof

Das Bild von Opernsängerinnen- und sängern hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr geändert und es wird immer mehr Wert auf den szenischen Aspekt gelegt. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Ich bin, um ehrlich zu sein, manchmal etwas besorgt, in welche Richtung sich unser Geschäft entwickelt. Früher gab es diese Generation Sänger, die einfach in Ruhe Zeit hatten, sich Rollen zu erarbeiten, die viel Erfahrungen gemacht haben und große Persönlichkeiten wurden. Ich habe als Kind und Studentin viele solcher Sänger z.B. im Opernhaus Zürich sehr bewundert. Und da waren viele Sänger dabei, die auch großartige Schauspieler waren. Denken Sie mal an Agnes Baltsa als Carmen, dieser Blick, dieses Bewusstsein für das, was man tut. Ich habe das Glück gehabt, mit Doris Soffel zu arbeiten, mehrfach, und diese Frau weiß so genau, was sie auf der Bühne macht. Jeder Blick, jede Bewegung sitzt. Darf ich ganz ehrlich sein? Heute geht es sehr oft darum, dass man möglichst jung ist und möglichst schnell so laut wie möglich singt und ins dramatische Fach geht. Und ja, auch wie schlank man ist. Aber wo bleibt der gesunde Aufbau der Stimme? Die Erfahrung, das Charisma und die Persönlichkeit? Kann ich wirklich mit 28 schon eine Salome, Isolde, einen Hans Sachs, Wotan oder geschweige denn eine Brünnhilde singen? Man kann in diesem Alter vielleicht die Töne stemmen, aber auch da ist die Frage, wie lange. Und weiß ich wirklich, wovon ich da singe?

.Ich habe bei einem Jubiläumskonzert in Zürich auf einer leeren Bühne einmal eine Szene aus Boris Godunov gesehen. Matti Salminen ging langsam an einem Stock auf die Bühne. Er sang ohne eine große selbstdarstellende Show diese Rolle. Bei jedem Wort wissend was er singt und es war einer der größten Momente für mich. Das sind für mich Sängerpersönlichkeiten. Da braucht es keinen Salto auf der Bühne, das Charisma und die Erfahrung und die Persönlichkeit sind so groß, dass es die Seele tief berührt. Und das soll Oper meiner Meinung nach. Leider muss heute alles sehr schnell gehen…
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.Gibt es Traumpartien, die Sie bisher noch nicht gesungen haben? Wie gesagt, meine absolute Traumpartie ist die Desdemona. Und wie ich sagte, würde ich mir sehr wünschen mehr Strauss zu singen, die Marschallin zum Beispiel. Ein weiterer großer Wunsch wäre Mozarts Vitellia. Und mehr Verdi. Und von Wagner darf sehr gerne die Elsa wieder öfter auf dem Kalender stehen. Die Elisabeth wird kommen, der Vertrag ist unterzeichnet, aber erst in ein paar Jahren. 🙂

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.Wo können wir Sie nach dem Sommer auf der Bühne sehen? Im September singe ich zum ersten Mal die „Vier letzten Lieder“ mit den Stuttgarter Philharmonikern beim Festival international de musique Besançon. Im Oktober folgt dann eine kleine Tournee mit Liszts „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ mit dem Hungarian National Philharmonic Orchestra im Wiener Musikverein, Concertgebouw Amsterdam, in Brüssel und Budapest. Anschließend bereite ich mich auf ein Rollendebüt vor, auf das ich mich ganz besonders freue, auf meine erste Pamina in der „Zauberflöte“ in der wundervollen Inszenierung von August Everding an der Staatsoper Unter den Linden im Dezember und Januar. Dann werde ich einige Sentas singen, szenisch an der Deutschen Oper Berlin und in Düsseldorf, konzertant in Luxemburg und Brüssel. Und dazwischen werde ich mein Debüt am Teatro Real in Madrid in einem Wagner-Konzert geben. (Privatfotos: Harald Hofmann).

Grenzüberschreitendes

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Im Jahr 2019 fand an der Universität von Leeds eine von Derek B. Scott und Anastasia Belina organisierte Konferenz statt. Sie trug den Titel „Gaiety, Glitz and Glamour, or Dispirited Historical Dregs? A Re-evaluation of Operetta“ (für weitere Informationen klicken Sie hier). Anstatt alle Beiträge dieser Konferenz zu veröffentlichen, haben Bruno Bower, Elisabeth Honn Hoeberg und Sonja Starkmeth interessante Themen ausgewählt (und einige neue eigene Aufsätze hinzugefügt), die unter dem Titel Genre Beyond Borders: Neubewertung der Operette. Der 250 Seiten starke Band ist vor kurzem – von vielen unbemerkt – als Routledge-Buch zum stolzen Preis von 130+ Euro erschienen. Wir haben Kurt Gänzl gebeten, es für uns zu rezensieren. Was er unter der Überschrift zu sagen hat, lesen Sie hier: „Eine moderne Operettenbuchbesprechung“. Kevin Clarke/Operetta Research

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Nun also Kurt Gänzl: Ich mache das nicht mehr oft. In den 1980er Jahren war ich der ?Mr. Musiktheater/Operette“ des Planeten. Ich habe zwei der drei maßgeblichen Werke zu diesem Thema geschrieben. Sie sind fast ein halbes Jahrhundert später immer noch maßgebend. Aber die Autoren des 21. Jahrhunderts, die sich mit diesem Thema befassen – und sie scheinen heutzutage wie Flechten auf einem Felsen zu wachsen – sind von einer anderen Sorte. Gerry Bordman, Richard Norton, Florian Bruyas, John Franceschina, die ungarischen Gelehrten, Otto Schnedereit … wir haben Fakten festgehalten. Die neue Generation zieht es vor, zu „analysieren“, zu „diskutieren“, zu „theoretisieren“ und, so fürchte ich, zu oft zu erfinden. Und unsere Fakten zu nutzen (wenn es passt), um eine Theorie zu ‚unterstützen‘ oder eine Sache voranzutreiben. Wir lehnen uns also einfach zurück und lassen sie weitermachen. Das ist eine ganz andere Welt.

Die meiste Zeit bevorzuge ich immer noch unsere Welt … aber hey, die Leute machen Karriere mit dem neuen Weg. Und gelegentlich taucht einer auf, der etwas Solides und wirklich Investigatives zu bieten hat. Und gelegentlich bringt jemand, der rückwärtsgewandt ist, denselben alten, unwahren Schund heraus, der vor Jahrzehnten als „Geschichte“ durchging. Nun, dieser Band enthält Beispiele für beide Extreme.

Ich kenne einen der vierzehn Mitwirkenden persönlich. Die biografischen Notizen zu den anderen habe ich nicht gelesen. Absichtlich. Ich frage mich, woher der/die Herausgeber einige von ihnen haben. Nein, das will ich nicht wissen!

Das habe ich nach achtstündiger Lektüre an einem sonnigen Montag an der autralischen Küste geschrieben …

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die richtige Person bin, um diesen Wälzer zu lesen und zu rezensieren. Der Titel ist abschreckend. Es scheint sich um ein modisches ‚Seminar‘ zu handeln. Universitätsähnliches Zeug aus mehreren Händen. Alles, was ich und meine Werke sind und nicht waren. Ein französischer Band mit ähnlichem Inhalt, der aus einer Reihe von Chatshows von Mons Yon stammt, hat mir jedoch punktuell Freude bereitet und neue Informationen geliefert, so dass ich hoffe, dass dieser Band dasselbe leisten wird.

Also los. Hmmm. Die Titel der Teile sehen nicht vielversprechend aus. Klasse“, „Geschlecht“, „Identität“, „Sexualität“, „Politik“ … alles Schlagworte des 21. Jahrhunderts … aber ich sehe einige interessante Titel ohne Schlagworte… nicht vorschnell urteilen, Kurt.

Ohmeingott! Musikalische Beispiele. Und Zahlen. Nicht vorschnell urteilen, Kurt. Lies.

Einleitung. So voller ‚Referenzen‘. Diese Kompendien scheinen wie Wikipedia-Artikel zu sein. Sie bestehen aus Fußnoten, in denen die Schriften anderer Leute zitiert werden. Warum hören und lesen die Autoren nicht einfach die Originaltexte, anstatt Teile dessen zusammenzukleben, was andere (zu Recht oder allzu oft zu Unrecht) anderswo gesagt haben?

Und, oh je, übermäßiger Nachdruck auf die zeitweilig modernste aller Opéras-Bouffes (nicht Opérettes“), L’Étoile. Ich denke, ich werde einfach zu den Artikeln übergehen.

Der erste klingt interessant. Und relevant. The Operetta Seasons Considerably Decreased our Losses‘ könnte sich auf fast jedes Opernhaus in Großbritannien und wahrscheinlich auch anderswo in der heutigen Zeit beziehen. Nun, ändern Sie ‚Operette‘ in ‚Musiktheater‘ … wie ich es tue, denn niemand hat mir jemals den Unterschied zufriedenstellend erklärt.

Wie auch immer der Rest aussehen mag, Artikel Nr. 1 (eigentlich Nr. 2) von Matteo Paoletti rechtfertigt für mich die Veröffentlichung und Lektüre der gesamten Sammlung. Die darin gesammelten und enthaltenen Informationen sind ein Augenöffner, selbst für diesen sehr alten Studenten. Man muss sich zwar über den einen oder anderen langen Satz und das eine oder andere große Wort hinwegsetzen … aber hey! das ist es allemal wert. Und wusste ich überhaupt, dass Florodora in Italien produziert wurde?

Natürlich könnte ich ohne die 3-4 Seiten „Das habe ich von hier gestohlen“-Listen leben, die dem Text folgen. Ich habe sie übersprungen. Sig Paoletti, Ihre Arbeit kann auch ohne sie für sich stehen. Ich erwarte (wenn Sie sich beeilen, ich bin fast 80) Ihre vollständige Geschichte des italienischen Operetten-/Musiktheaters. Sie können es schaffen! Kurt Gänzl Operetta Research/ Kurt von Gerolstein/ 15. Juli 2024) 

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Bruno Bower, Elisabeth Honn Hoeberg und Sonja Starkmeth: Genres beyond Border; 264 Pages 50 B/W Illustrations Published December 18, 2023 by Routledge ISBN 9781032184258). Im Originalbeitrag finden sich einzelne Betrachtungen, die wir für operalounge.de gekürzt haben, der vollständige Artikel findet sich dann bei Operetta Research/G., H.)

Futter für die Fans

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Rund vier Jahrzehnte hindurch konnte der Franco-Bonisolli-Fan in der Gewissheit leben (so in einem alten Interview zu lesen), sein Idol strebe nichts mehr an, als eines Tages Goethes Faust im Original lesen zu können, nun erweist sich das als Illusion, denn im zwei Jahrzehnte nach des italienischen Tenors Ableben erschienenen Buch von Gregor Hauser mit dem Titel Franco Bonisolli, Tenor ohne Grenzen erfährt man, dass es Die Wahlverwandtschaften des Dichterfürsten sind, die an erster Stelle auf der Leseliste des Sängers standen, der wie kein zweiter die internationale Opernfangemeinde spaltete. Bewunderten die einen seine stupenden, gern auch zusätzlich eingelegten Spitzentöne, seine Generosität im Fortesingen, seine allen Klischees vom attraktiven bagnino bis hin zum auf behaarter Brust baumelnden Goldkreuz entsprechende Optik und seine sich in Kniefällen vorm Gesamtpublikum oder auch einzelnen Damen äußernde Ergebenheit gegenüber seinen Anhängern, so verachteten die anderen die egoistische Eitelkeit , die sich gerade in dem allen äußerte, die sich einen Deut um Gesamtwerk und Kollegen kümmerte.

Auf ein gewisses Interesse dürfte das Buch, das sich zwischen akribischem Nachforschen und hingebungsvollem Fangeplauder bewegt, auf jeden Fall stoßen, und es macht durchaus nicht nur Schluss mit bisher gepflegten Urteilen, sondern bestätigt auch vieles bisher Bekannte, so die Ansicht des Portraitierten, moderne Regie sei so verachtenswert wie ein eventueller Versuch, auf ein Rembrandtgemälde eine Jeans zu malen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. An erster Stelle steht eine akribische Untersuchung der frühen Jahre, die Blütezeit nimmt weit weniger Platz ein, und das Comeback nach der durch die lange Krankheit der ersten Gattin, Sally,  verursachten Karrierepause wird zwar in diesen Teil auch aufgenommen, aber erst im zweiten durch Zeitzeugen wie einen der Brüder, den Freund Gunnar Grässl und den Hamburger Manager Wolfgang Schmitt, den Bericht von Susanna Dal Monte, die dem Star  zum Comeback in Wien verhalf,  ausführlich geschildert. Hier finden sich auch die Erinnerungen des für die berühmten Dreikönigskonzerte und den Titel Wiener Kammersänger wesentlich verantwortlichen Ehepaars Vetrovsky und ein aufschlussreiches Interview mit Dirk Schauß, der ein Konzert mit dem Star und dessen zweiter Gattin, der Polin Agnieszka Sobocinska, in Bamberg organisierte und interessante Erfahrungen à la Himmelfahrtskommando mit dem alternden Tenor machte.

Dem Leser wird das Unterscheiden von Quelle, Sekundärliteratur und verbindenden Texten dadurch leicht gemacht, dass unterschiedliche Schrifttypen verwendet werden, interessant sind die oft sehr vorsichtigen, Vorbehalte nur unzureichend verbergenden Aussagen von Zeitgenossen, die teilweise recht gewunden klingen in dem Bestreben, nichts Abfälliges zu äußern, Originalzitate Bonisollis wie:“Ich gebe halt immer noch etwas drauf“, klingen da schon realistischer, was aber wirklich das Buch äußerst lesenswert macht ist die ehrliches Erstaunen weckende Vielseitigkeit des Tenors in frühen Karrierejahren, die in Spoleto, übrigens gleichzeitig mit denen Renato Brusons, ihren schillernden Anfang nahmen und mit Namen wie Menotti, Zeffirelli, Visconti verbunden sind und mit Rollen in The Saint of Bleeker Street, Mozarts La Clemenza di Tito, Rossinis Assedio di Corinto und Franco Manninos Luisella. Das ist wirklich interessant, auch wenn man über ein Urteil wie über Massenets Des Grieux mit :“..und sein Erscheinungsbild entsprach natürlich ganz dem eleganten Chevalier“ ebenso schmunzeln mag wie über „glasklare, ansatzlose Spitzentöne“, die ebenso frappieren wie „das Anschleifen der Töne“ als angebliches Markenzeichen von Bonisollis Gesangsstil. Immerhin versteigt sich der Verfasser nicht  zu einer Kritik über die Berliner Fanciulla, in der Bonisolli dafür einst dafür bewundert wurde, dass er trotz blutender Wunde noch die Leiter zum Hängeboden in Minnies Gemach erklimmen konnte. Dafür zeigt sich ein gewisser Hochmut, wenn konstatiert wird:„Nun war er einem Theater dieser Größe aber entwachsen.“ Damit ist Brüssels Monnaie gemeint. Auch eine Tournee nach „Belgien (inklusive Deutschland), Niederlande und Schottland“ erweckt Befremden. Geschmeichelt fühlen kann sich auf jeden Fall der deutsche Leser, wenn er von der Vorliebe Bonisollis nicht nur für Goethe, sondern auch für Wagner, dessen Tristan er zu gern gesungen hätte, erfährt, dem er sich verwandt fühlte, weil dieser „Grenzen sprengte wie er selbst“.

Der Verfasser hat viel über Leben und Wirken von Bonisolli erfahren und weiß es mit viel Zuneigung zu „unserem Franco zu würzen, auch wenn häufig weniger Tatsachen als ein „ man bekommt das Gefühl“, „kann man sich aber gut vorstellen“, „vielleicht begann er in der Küche“ die Unsicherheit darüber verraten, was wirklich geschah.

Den Schluss des Buches, ehe es zum üblichen Anhang kommt, bilden Aussagen von Kollegen (besonders bemerkenswert Bernd Weikl), Journalisten, Manager und  von drei Fans aus Linz und bekunden mit ihren Aussagen, dass der Sänger nicht vergessen ist, sondern noch immer eine treue Gemeinde, trotz nicht mehr Bestehens der Amici di Franco Bonisolli, hat.  Und diese Gemeinde wird sicherlich nicht zuletzt wegen der vielen Fotos an diesem Buch ihre Freude haben (Marheinicke-Verlag 2024, 292 Seiten, ISBN 978 3 947403 48 6). Ingrid Wanja

Gerd Feldhoff

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Mit großem Bedauern hörte ich vom Tode eines meiner Lieblingsbaritone jener Berliner Jahre des Lernens und Hörens an der Deutschen Oper Berlin, Gerd Feldhoff, Felsen im Heldenbariton-Fach, unvergessener Barak (weit vor meiner kritischen Einschätzung von Fischer-Dieskau), Alfonso vom Dienst ebenso wie Gunther, Wanderer, Pizarro,  Wozzeck, Hans Sachs, Amfortas, Jochanaan, Kurwenal und in manchen anderen Rollen, die seine ganz wunderbare Stimmführung und Charakterdarstellung zeigten. Ohne ihn ging an manchem Abend nichts, und wir im 3. Rang empfanden es als gewisse Demütigung für ihn, dass er wie andere Hausbesetzungen den illustren Gästen (so FiDI) weichen musste. Seine sonore, schön- und reichtimbrierte Stimme ist mir heute noch im Ohr. Umso mehr freute ich mich, wenn ich ihn später auch oft in Wiesbaden hörte, unter anderem ebenfalls als Barak. Er war und ist ein Teil meines musikalischen Lebens, und ich bin ihm dankbar für viele Abende des intensiven Opernerlebens. Er stand für Qualität. Einen wie ihn gibt es einfach nicht mehr. Geerd Heinsen

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Die Deutsche Oper Berlin trauert um Gerd Feldhoff (1931 – 2024). Der Neubau an der Bismarckstraße war kaum eingeweiht, da stand er schon hier auf der Bühne: Der Bariton Gerd Feldhoff sollte zu den Sängern gehören, die der Deutschen Oper Berlin ihr Leben lang verbunden blieben. Nachdem er – damals noch in der Interimsspielstätte im Theater des Westens –  bereits 1961 in der Titelpartie von Mozarts DIE HOCHZEIT DES FIGARO hier debütiert hatte, wurde Feldhoff ab 1963 festes Ensemblemitglied. Der Dirigent Karl Böhm vertraute ihm hier schnell auch die Baritonrollen des schweren Fachs an wie den Barak in DIE FRAU OHNE SCHATTEN, der zeitlebens seine Lieblingspartie bleiben sollte.

Und obwohl Einladungen nach New York, München und Wien, nach Salzburg und Bayreuth folgten, hielt Feldhoff, der vor seinem Gesangsstudium eine Lehre als Werkzeugmacher absolviert hatte, der Deutschen Oper Berlin bis zu seinem Bühnenabschied 1999 die Treue: Mit seinen 1360 Auftritten, unter anderem als Wozzeck, Hans Sachs und Amfortas, als Jochanaan, Pizarro und Wanderer, prägte er das Haus. Nun ist Feldhoff, der ab 1970 auch den Titel „Berliner Kammersänger“ trug, am 4. April im Alter von 92 Jahren verstorben. Die Deutsche Oper Berlin wird ihrem langjährigen Ensemblemitglied ein ehrendes Angedenken bewahren. (Quelle: Deutsche Oper Berlin)

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Dazu ein Auszug aus dem unersetzlichen Wikipedia: Gerd Feldhoff (* 29. Oktober 1931 in Radevormwald; † 4. April 2024 in Fürth) war ein deutscher Opernsänger (Bariton). Gerd Feldhoff machte zunächst eine Lehre zum Werkzeugmacher, bevor er sich im Alter von 23 Jahren für den Sängerberuf entschied. Seine ersten Gesangsstudien wurden durch die Stadt Radevormwald finanziell unterstützt. Sein Gesangsstudium absolvierte er an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold bei Frederick Husler, auf dessen Vermittlung Feldhoff für sein weiteres Studium ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes erhielt.

Nach zweijährigem Studium wurde er von Wolfram Humperdinck, damals Leiter der Opernschule und Oberspielleiter am Landestheater Detmold, als Cover für die Rolle von Zar Peter I. in Zar und Zimmermann engagiert, den er in der Folgezeit in etwa 40–50 Vorstellungen am Landestheater Detmold sang. In Detmold sang er unterschiedliche Partien, u. a. Marcello in La Bohème, Amonasro in Aida, René in Ein Maskenball und den Julius Caesar.

1959 gab er als Titelheld in Figaros Hochzeit sein Debüt am Opernhaus Essen, wo er bis 1962 im Ensemble verblieb. Ab 1961 gehörte er dem Ensemble der Oper Frankfurt an und hatte einen Gastiervertrag mit der Hamburgischen Staatsoper. Carl Ebert, der damalige Intendant der Deutschen Oper Berlin (DOB), hörte Feldhoff 1960 in Essen als Figaro und engagierte ihn daraufhin sofort nach Berlin.

1961 gab Feldhoff, noch als Gast, und wiederum als Mozart-Figaro, sein Hausdebüt an der Deutschen Oper Berlin, die damals noch in der Interimsspielstätte im Theater des Westens beheimatet war. Ab 1963 war Feldhoff dann festes Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, der er bis zu seinem Bühnenabschied im Jahr 1999 ohne Unterbrechung über 35 Jahre angehörte. Seine erste Premiere als festes Ensemblemitglied war im Juni 1963 wiederum der Figaro in Figaros Hochzeit. Im Februar 1964  sang er an der Deutschen Oper Berlin unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm mit großem Erfolg erstmals den Barak in der Strauss-Oper Die Frau ohne Schatten, der in seinen weiteren Karrierejahren zu seiner persönlichen Lieblingspartie wurde. An der Deutschen Oper hatte er insgesamt 1.360 Auftritte, unter anderem als Wozzeck, Hans Sachs, Amfortas in Parsifal, Jochanaan in Salome, Pizarro in Fidelio und als Wanderer in Siegfried. 1969 wirkte er in Berlin in der Uraufführung der Oper 200 000 Taler von Boris Blacher mit.[6] Im März 1972 sang er an der Deutschen Oper Berlin in der deutschen Erstaufführung der Oper Der Besuch der alten Dame von Gottfried von Einem den Alfred Ill.[7] In der Spielzeit 1977/78 übernahm er die Titelrolle in einer Cardillac-Neuinszenierung unter der musikalischen Leitung von Marek Janowski.[8] In der Spielzeit 1979/80 war er der Kurwenal in einer Neuproduktion von Tristan und Isolde (Regie: Götz Friedrich) mit Daniel Barenboim als Dirigent.[9] 1996 sang er an der Deutschen Oper Berlin noch einmal in mehreren Repertoirevorstellungen den Kurwenal in Tristan und Isolde. Gegen Ende seiner Karriere war er an der DOB häufig als Vater in Hänsel und Gretel besetzt. Im Mai 1999 nahm er mit der Rolle des Kurwenal in einer von Christian Thielemann geleiteten Tristan-Aufführung seinen Abschied von der Bühne.

Feldhoff gastierte an zahlreichen Opernbühnen im In- und Ausland. 1960 trat er erstmals am Teatro Colón in Buenos Aires auf. 1964/65 sang er bei den Salzburger Festspielen den Harlekin in Ariadne auf Naxos.[10][11] In den Jahren 1966–82 gastierte er an der Wiener Staatsoper als Musiklehrer in Ariadne auf Naxos, als Alfonso in Così fan tutte, als Kothner in Die Meistersinger von Nürnberg, als Pizarro, als Orest in Elektra und als Kardinal Borromeo in Palestrina.

Bei den Bayreuther Festspielen war er 1968/69 als Amfortas in Parsifal und als Kurwenal in Tristan und Isolde zu hören. In der Spielzeit 1971/72 wurde er an die Metropolitan Opera in New York verpflichtet, wo er den Kaspar in einer Neuinszenierung der Oper Der Freischütz sang.

Im Mai 1984 gastierte er am Opernhaus Nürnberg als Pizarro in einer Gala-Vorstellung, bei der Jeannine Altmeyer (Leonore) und Karl-Heinz Thiemann (Florestan) seine Partner waren. 1985 sang er am Opernhaus Zürich die Titelrolle in Mathis der Maler. 1992 trat er am Staatstheater Karlsruhe als Barak auf.

Weitere Gastspiele gab er in Kopenhagen, Helsinki, Amsterdam, Montreal, Mexico-Stadt und bei den Schwetzinger Festspielen. Mit den Ensembles der Deutschen Oper Berlin und der Wiener Staatsoper nahm er auch an deren Japan-Tourneen teil.

Gerd Feldhoff verfügte über einen „sonoren, von kraftvoller Dramatik geprägten Bariton“ (Kutsch/Riemens), der insbesondere im Rollenfach des Heldenbaritons hervorragend zur Geltung kam. Tondokumente mit Gerd Feldhoff sind u. a. auf den Labels Eurodisc (Sebastiano in Tiefland-Gesamtaufnahme, Querschnitt aus Der Evangelimann), Deutsche Grammophon (Lulu von Alban Berg, Kothner), Philips (9. Sinfonie von Beethoven) und HMV-Electrola (Mathis der Maler) erschienen.

1970 wurde Gerd Feldhoff zum „Berliner Kammersänger“ ernannt. Auch sein jüngerer Bruder Heinz Feldhoff (1938–2010) war als Opern- und Konzertsänger tätig (Foto oben: Gerd Feldhoff als Barak an der Deutschen Oper Berlin/DOB/Crohner)Wikipedia

Harmonie von Optik und Akustik

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In Berlin konnte, nein musste das Publikum vor einigen Monaten erleben, wie eine märchenhafte, träumerische, schillernde und facettenreiche Musik niedergemacht wurde von einer Regie, die aus dem Märchenwald eine Schmuddel-WG, aus dem königlichen Palast ein Neureichen-Loft mit Blick auf den Berliner Fernsehturm und aus der Nixe Rusalka ein von niemandem gelittenes queres Wesen machte und damit auch der Musik jeden Zauber auszutreiben versuchte. In Londons Covent Garden  gab es ein Jahr zuvor eine Rusalka-Produktion   zu bestaunen, in der Optik und Akustik aufs Schönste miteinander harmonierten, die eine die andere in ihrer Wirkung nicht nur zur Geltung kommen ließ, sondern sie unterstützte (Creators und Directors  Natalie Abraham und Ann Yee). Sie ist jetzt bei opus arte erschienen und das weniger als spärliche Booklet ist das Einzige, was man an ihr aussetzen kann.

Zu Beginn und am Schluss schweben Wassermann und Nymphen über dem mit Seerosen bewachsenen Teich, die Beleuchtung von Paule Constable ist so stimmungsvoll wie es die Kostüme von Annemarie Wood, besonders das für den Wassermann, sind, und die Choreographie von Ann Yee charakterisiert Nymphen wie Hofgesellschaft gleichermaßen zutreffend. Viel Symbolik, so die weiße Marmorbank im Schloss, in die ein verdorrter Ast integriert ist, erleichtert den Zugang zum Gehalt des Märchens. Die Gummitiere im Schloss wirken wie eine Karikatur natürlicher Wesen, Irrlichter über dem Wasser hingegen sind voller Zauber (Bühne Chloe Lanford) .

Auch mit der Sängerbesetzung kann man hochzufrieden sein. Asmik Grigorian ist eine anmutige Rusalka, in deren Stimme Sehnsucht und Melancholie vernehmbar sind, die in der makellosen Höhe schön aufblühen kann und die im Forte nie angestrengt klingt. Wie in Mondlichtschimmer getaucht erscheint der Sopran beim berühmten Lied an den Mond. Wunderbar spielt sie, wie aus dem selbstsicher sich in seinem Element bewegenden, in wasserfarbene Schleier gehüllten Naturwesen ein unsicher umher stakendes Kurzhaar-Girl im Hosenanzug wird, auf dessen Rücken die Wunde, die der Austausch der Stimme mit der Menschenseele mit sich brachte, sich nicht schließen will.

Beinahe schon einen Heldentenor erfordert die Figur des Prinzen, der von David Butt Philip deshalb auch weniger durch lyrischen Schmelz überzeugen muss als mit Durchhaltevermögen, das er in schönem Maße besitzt, auch wenn die Stimme nicht in allen Registern einheitlich klingt, manche Phrase recht offen erklingt. Viel Saft und Kraft hat der Hajny von Ross Rangobin in seinem farbigen Bariton, der Küchenjunge von Hongni Wu wirkt streckenweise überfordert, hat aber auch Momente voller Frische und Jugendlichkeit, tadellos sind die drei Nixen Vuvu Mpofu, Gabriele Kupšyté und Anne Marie Stanley. Durch Mark und Bein geht der Wehe-Ruf des Wassermanns von Aleksei Isaev, dessen Bass von dunkler Farbe geradezu überströmt. Emma Bell ist eine reife Fremde Fürstin, die weniger durch die Optik als durch die Wärme und Rundheit ihres Mezzosoprans fasziniert. Die Hexe Jezbaba findet in Sarah Connolly ihre optisch wie akustisch angemessen bizarre Verkörperung. Der Zauberer am Dirigentenpult ist Semyon Bychkov, der es aus dem Orchestergraben locken und verführen, klagen und jubeln lässt und der in keinem Augenblick gegen eine die Musik denunzierende Optik ankämpfen muss (opus arte 807322D). Ingrid Wanja

Harte Arbeit

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„Laßt mich euch ihr menschenbrüder wie es war erzählen“, sagt Max, der ehemalige SS-Offizier Dr. jur Maximilian Aue. Was nun beginnt ist keine Märchenstunde, sondern bereits nach wenigen Augenblicken ein gellendes, schreiendes Chaos mit einem wütenden und kreischenden Akteur, der von Bach und Couperin erzählt, von seiner Homosexualität, „auf den Reisen sind es männer, die mich nehmen mich als frau“, von der Mechanik des Tötens „einer schließt die eisentür, einer dreht am hahn die hand“ und von seinem Tick, „Ich muss kotzen rasch verzeiht. Das begann im Krieg. Ein tick“. Nun ja. Der Text ist größtenteils nicht zu verstehen. Die Musik des seit 2002 in Paris lebenden spanischen, zeitweise am IRCAM lehrenden Komponisten Hèctor Parra fährt mit brachialer Gewalt und Wucht durch die von Händl Klaus aufgetürmten Textmassen, die dieser aus dem 1400-Seiten-Roman von Jonathan Littell als Libretto herausschnitt. Den Titel der 2006 erschienenen französischen Ausgabe des Romans, der zwei Jahre später in Deutschland als Die Wohlgesinnten herauskam, behielt Parra für sein größtenteils auf Deutsch gesungenes, sechstes großes Werk für das Musiktheater bei.

Die Uraufführung des von Aviel Cahn beauftragten Werks erfolgte 2019 in Gent, wo auch der Mitschnitt des Dreiakters entstand (3 CD b.records LBMU62). Inszeniert wurde die mit Nürnberg und Madrid koproduzierte Aufführung von Parras katalanischem Landsmann Calixto Bieto, der – den Bildern nach – die Bühne in drei Stunden in ein Schlachthaus verwandelte.

Der Roman verwendet fiktive und reale Personen, gegliedert ist er in Kapitel, deren Bezeichnungen einer barocken Suite entsprechen, was die Oper getreu übernimmt.  Im kurzen Anfangskapitel denkt Max Aue über sein Leben während des Kriegs und seine Schuld nach. Unter falscher Identität lebt er jetzt in Frankreich, leitet eine Spitzenfabrik und hat zwei Kinder, Zwillinge. Die folgenden Abschnitte spielen alle während der Kriegszeit: in Babi Jar, Stalingrad, Antibes, Auschwitz, Pommern und Berlin während des Zusammenbruchs, immer wieder trifft er auf seinen Freund und Förderer, den SD-Mann Thomas Hauser, seine Schwester Una, mit der ein inzestuöses Verhältnis unterhielt, deren Ehemann, den Komponisten Berndt von Üxküll, seine Mutter und deren neuen Gatte, die er während seines Besuchs mit einer Axt ermordet, weshalb forthin die Kriminalbeamten Weser und Clemens, die ihn für schuldig halten, verfolgen, sowie den uralten fanatischen Nationalsozialisten Dr. Mandelbrod. Der Titel des vielfach verschlungen und beziehungsreichen Romans bezieht sich auf die Eumeniden des Aischylos, die Orest wegen des Muttermordes jagen. Die Orte und die Handlung lassen sich kaum auf Anhieb erkennen, derart verschachtelt hat Händl Klaus den Romantext und offenbar kunstvoll neu zusammengesetzt.

Immerhin lassen sich einige Personen klanglich ausmachen, so der von dem lyrischen Bariton Günter Papendell gesungene Thomas, die Una der in extreme Bereiche singkreischenden, eisig exakten Schweizerin Rachel Hanisch, Natascha Petrinskys leicht hysterische Mutter, und immer wieder das aus zwei Frauen- und zwei Männerstimmen bestehende Quartett. Der amerikanische Tenor Peter Tantsits ist zu bewundern für die hochtenorale Kraft, Energie und das schiere Durchhaltevermögen, mit der er einerseits den hochkultivierten Ästheten und Bach-Bewunderer und andererseits den psychisch derangierten und manipulativen Mörder Max und dessen Perversionen darstellt und grenzüberschreitend von Falsett bis Schreien alle stimmlichen Extravaganzen ausreizt. Der Text ist auch bei ihm kaum zu verstehen. Peter Rundel bemüht sich um eine gewisse Durchsichtigkeit der Stimmen aus Chor und Nebenfiguren und ist sich mit Choeurs und Orchestre Symphonique de L‘Opera Ballett Vlaanderen offenbar bewusst, dass sie hier ein Werk zur Aufführung bringen, dessen Bedeutung sich vielleicht erst viel später herausstellt. Die flächigen, schrammenden und heulenden Orchestertutti, die Parra, in immer neuer sadomasochistischer Saftigkeit aufbaut, lassen an Strauss‘ Elektra denken: Mutter und Stiefvater von Max stehen für Klytämnestra und Aegisth. Nur sehr sparsam setzt Parra kurze schimmernde Nachtklänge mit Harfe, Celesta und Englischhorn ein, die von der Brutalität niedergemetzelt scheinen.  (21. 07. 24)             R.F.

Karneval für die Pompadour

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Mit der Weltersteinspielung von Jean-Joseph Cassanéa de  Mondonvilles Ballet héroique Le Carnaval du Parnasse kehrt das Label Château de VERSAILLES nach Ausflügen in italienische Gefilde zu seinem Stammrepertoire – der französischen Barockmusik – zurück. Die Aufnahme entstand im März 2023 in Namur und wurde auf zwei CDs veröffentlicht, wie stets bei dieser Firma in prachtvoller Ausstattung (CVS122). 1749 wurde das Werk an der Pariser Académie royale de musique uraufgeführt – mit großem Erfolg und in Rivalität zu Rameaus Oper Zoroastre, die im selben Jahr Premiere hatte. Das Textbuch von Jean-Louis Fuzelier schlägt einen leichten, tändelnden Ton an. Im Prologue wetteifern Clarice mit pathetischem Melos und Florine mit italienischer Bravour anlässlich der Rückkehr des Frühlings. Momos, der Gott des Spottes (David Witczak mit autoritärem Bass), und Thalie, die Muse der Komödie (Gwendoline Blondeel), garantieren humoristischen Schwung. Der als Schäfer verkleidete Apollon bringt einen pastoralen Ton ein. Die Handlung in drei Akten stellt zwei Paare vor, die der Liebe entfliehen wollen, in Verkleidung ihr aber nachgeben.

Die Partitur des Carnaval ist der Marquise de Pompadour gewidmet, die bei Hofe als die „Ministerin des guten Geschmacks“ galt. Jeder Akt endet mit einem Divertissement, in welchem sich Tänze, Chöre und Arietten abwechseln. Die rhythmische Verve und melodische Anmut  der Musik stellt Alexis Kossenko mit dem Ensemble Les Ambassadeurs – La Grande Écurie effektvoll heraus. Die Musik atmet Brillanz und Vitalität, ist den Sängern inspirierende Folie. Hinreißend in ihrer Spritzigkeit und Rasanz sind die Tänze – Tambourin, Menuet, Marche, Ritournelle, Chaconne und Contredanse. Der Choeur de Chambre de Namur bezaubert in reizenden Nummern, wie „Que ton retour assure“ im Prologue oder „Que votre gloire“ am Ende des 1. Aktes.

Die Besetzung dominiert Blondeel als Florine (neben ihrer energischen Thalie), der die technisch schwierigsten Arien zugeordnet sind. Gleich im Prologue singt sie das zauberhafte „Augelletti voi amate“ mit den imitierten Vogelstimmen und lässt dabei ihren klaren, leuchtenden Sopran mit sicherer Extremhöhe hören. Hélène Guilmettes Sopran gibt der Licoris vitalen Umriss. Mit beeindruckender Präsenz und einem bis zum Heulen ausgereizten Tenor wartet Mathias Vidal als Apollon und Berger auf. In den Nebenrollen überzeugen Hasnaa Bennani mit feinem Sopran als Clarice und Euterpe sowie Adrien Fournaison mit sonorem wie flexiblem Bass als Dorante. CVS sei Dank für diese Wiederentdeckung (27. 07. 24)! Bernd Hoppe

Michele Carafas „Masaniello“

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In jüngster Zeit hatte der französische Komponist Daniel Esprit Auber reichlich fortune, aufgeführt und auch eingespielt worden zu sein. Seine Muette de Portici, eigentlich die einzige seiner vielen heute noch gespielten Opern (es ist die mit dem neapolitanischen Fischer Masaniello, der bei der Brüsseler Premiere nicht nur die  Choristen des Monnaie, sondern auch das aufgeheizte Volk vor dem Theater in Wallung versetzte und angeblich eine Revolution auslöste). Aubers Volkaufstand mit tanzender, aber stummen Titelfigur  erreichte sogar Dessau und die kleineren Theater in Deutschland; die Pariser Opéra gab 2012 eine prachtvolle Vorstellung davon, und selbst wenn man mit June Anderson nicht glücklich wird ist doch die ältere EMI- (und nun Warner-) -Aufnahme ein seriöses  akustisches Dokument mit diskutabler Besetzung (auch Alfredo Kraus ist da nicht wirklich der Tenor zum Träumen; und Fans haben natürlich weitere Live- und Radioaufnahmen der Oper, die in London oder Paris mehrfach gegeben wurde, davon  später mehr). Dennoch – Auber ist – wie nun auch mit einer weiteren Naxos-Ouvertüren-CD – recht gut bedient.

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Zu Carafas „Masaniello„: Der Komponist Michele Carafa/ Stich von Maurin/ Wikipedia

Aber da gibt es ja noch einen anderen Masaniello, eben jenen von Michele Carafa von 1827 (Masaniello ou Le pêcheur napolitain), der sich nach anfänglichen Aufstieg nicht gegen den Konkurrenten Aubers durchsetzen konnte. Er galt aber lange als die erfolgreichere Oper dieses Sujets, so wie Carafa in seiner Zeit zu den wirklichen Großen der italienischen und französischen Oper gehörte.

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Das hochverdienstvolle Festival Rossini in Wildbad hat nun in diesem Sommer (19. 26. 28. Juli 2024) erstmals in moderner Zeit Carafas Masianello (konzertant) aufgeführt – eine wahre Pionierleistung in einer langen Reihe von ebensolchen beim Festival (Besetzung: Leona – Catherine Trottmann, Masaniello – Mert Süngü, Torellas – Luis Magallanes, Ruffino – Nathanael Tavernier, Theresia – Camilla Carol Farias, Matteo – Hyunduk Kim, Gouverneur/Giacomo – Francesco Bossi; Pedro/Un charlatan – Massimo Frigato, Musikalische Einstudierung – Cecile Restier; Dirigent – Nicola Pascoli; eine Produktion von Passionart und der Filharmonia K. Szymanowskiego Krakowie;. Eine Rezension von Rolf Fath gibt es nachstehend, gefolgt von einem Artikel zum Werk und seiner Geschichte von Olivier Bara. Und auf eine akustische Aufnahme hofft man heiß. Wie spannend doch die Welt der Oper ist – hatte jemals jemand vor der Pariser Aufführung 2012 etwas von Carafas  Masaniello gehört? Wir nicht, müssen wir gestehen. G. H.

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Rolf Fath: Während in zwei Wochen auf und an der Seine bereits die Eröffnung der Olympischen Spiele 2024 stattfindet, wehte im Juli ein Hauch von Paris durch den Nordschwarzwald. Rossini selbst, Wildbads berühmter Kurgast, ließ sich für seine Bäderbehandlung 1856 mehrere Wochen Zeit. Ein Sportsmann war er sicherlich nicht. Bewegungen vermied er tunlichst. Wenn er sich regelmäßig zu Ausflüge im Bois de Boulogne mit Michele Carafa traf, ritt der neapolitanischen Adelige und Offizier auf seinem Pferd, während es sich Rossini in seiner Kutsche bequem machte. Sie waren gut befreundet, seit sie in Neapel das seinerzeit beste Opernhaus der Welt erobern wollten. Beide verschlug es in den 1820er Jahren nach Paris. Der perfekt französisch sprechende Bonapartist Carafa, der auch die französische Staatsbürgerschaft annahm, konnte an der Opéra-Comique, die fortan sozusagen seine künstlerische Heimstatt blieb, sofort mit Französischen loslegen, während Rossini zögernd mit französischen Umarbeitungen früherer Werke und einer Festkantate begann, aus der er dann seine erste originale französische Oper Le Comte Ory filterte.

Von Anbeginn der Festspiele war es die Wildbader Absicht, den Rossini-Kosmos durch Werke seiner Zeitgenossen zu erweitern und auszuleuchten. Dazu gehörte u.a. 2006 die Beaumarchais-Fortsetzung I due Figaro Michele Carafas, der nun mit seinem erstmals seit mehr als 150 Jahren wieder aufgeführten Masaniello groß herauskommt. Interessant auch insofern als der aus dem neapolitanischen Hochadel der Carafa di Colobrano stammende Carafa mit dem Aufstand der Fischer, die 1647 gegen Machtmissbrauch und übermäßige Steuerlast rebellierten, einen Stoff behandelte, in dem Mitglieder seiner Familie eine unrühmliche Rolle spielten. Die Oper kam am 27. Dezember 1827 an der Opéra-Comique heraus. Exakt zwei Monate später folgte an der Opéra Aubers Die Stumme von Portici, die den gleichen Stoff behandelte und nicht nur 1830 nach einer Aufführung in Brüssel die Besucher in eine derart aufgeheizte Stimmung brachte, welche letztlich den Belgiern die Unabhängigkeit von Holland brachte, sondern auch den Startschuss zur Gattung der Grand opéra setzte. Der immer geschickte Rossini wiederum lieferte mit seinem Guillaume Tell ein prägendes Beispiel hierzu.

Carafa: „Masaniello“ in Wildbad 2024/Konzerteindruck/Foto Patrick Pfeiffer

Dabei geriet Carafas Fischeraufstand trotz riesiger Anfangserfolge etwas unter die Räder. Der in seiner Geburtsstadt und bei Cherubini in Paris ausgebildete Adelige, der zwischen Militärlaufbahn und Opernbühne wechselte und mehr als drei Jahrzehnte am Pariser Konservatorium lehrte, war kein ungeschickter Musiker. Vor allem goss er die Geschichte des Fischers Masaniello, den die Aufständischen zu ihrem Führer machen, in große Tableaus à la Rossini. Die Sprechtexte, welche durch den Ort der Uraufführung opportun waren, machen die Oper zwar etwas länglich, ebenso die Wendungen um die Gefangennahme seiner Frau Léona, der der spanische Graf Torellas nachsteigt; bei Auber wird die Figur zu titelgebenden stummen Schwester Fenella. Aubers Dichter Scribe und Delavigne sind einfach routinierter und gewiefter als die Herren Moreau und Lafortelle, die für Carafa sein vieraktiges Drame historique schufen.

Unter Nicola Pascoli klang die konzertante Aufführung so sauber und in der prallenden Akustik der lang-engen Trinkhalle mit so geballter Dramatik als gehöre die Musik Carafas zum Standardrepertoire des Philharmonischen Chors und Orchesters aus Krakau. Mit dem getragenen Ton der ausgedehnten Ouvertüre im Stil der Rettungsoper um 1800 entfaltet Pascoli ein historisches Panorama, in dem neapolitanische Straßenszenen, Tarantella-Ahnungen, Fischergesänge, kraftvolle Märsche und feurige Duette und schließlich der Ausbruch des Vesuvs ein buntes Tongemälde ergeben. 19 Nummern, davon drei Quartette und drei Duette, zwei Terzette und natürlich die vier großen Finali, bildenden das Gerüst der arios und rezitativisch weitläufig gestalteten Blöcke.

Zu Carafas „Masaniello“ in der Wildbader Trinkhalle/Rossini in Wildbad/Foto Patrick Pfeiffer

Im Mittelpunkt steht eindeutig Masaniello. Die Partie ist von der Barkarole, Kavatine, dem erstem martialischem Finale über die Arie zu Beginn des zweiten Aktes bis zum Wahnsinnsausbruch im Schlussakt eine Tour de Force, die Mert Süngü mit sauber gemeißeltem Tenor und fanfarengleichem Trompetenton souverän meistert, wie ein Florettfechter in der heldischen Attacke, aber auch mit einigen Zwischentönen in den Momenten der Verzweiflung. Interessant daneben der böse hin- und herschwankende, durchtrieben sympathische Intrigant Ruffino, dem man nie böse sein kann, weil ihn der französische Bass Nathanael Tavernier mit rauer Souveränität, auch in den Verzierungen, und lässiger Bonhomie sang. Als Léona ließ Catherine Trottmann einen sich fein und ebenmäßig entfaltenden, doch etwas larmoyanten Sopran erklingen. Der elegante paraguayische Tenor Juan José Medina und Camilla Carol Farias mit apart kullerndem Mezzosopran waren als Masaniellos Bruder und Schwägerin dabei, während die Tenöre Luis Magallanes und Massimo Frigato sowie der Bass Francesco Bossi mehrere Partien übernahmen. Schöne Momente, farbige Szenen, doch auch Längen, kein zwingender Eindruck (19.7.). Rolf Fath (sah außerdem auch noch den Comte Ory am 20. 7. 2024 – dazu sein Bericht in unserer Reihe Festivals 2024).

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Im reichhaltigen Programmheft zur Muette de Portici an der Pariser Opéra-Comique 2012 fanden wir einen informativen Artikel des Lyoneser Musikwissenschaftlers Olivier Bara über eben Carafas Masaniello, den wir mit der liebenswürdigen Erlaubnis des Autors hier in unserer Reihe Die vergessene Oper in eigener deutscher Übersetzung wiedergeben. G. H.

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Zu Carafas „Masaniello“: Frontespiece/Rossini in Wildbad/Programmheft 2024

Olivier Bara – der andere Masianello: Die Rivalität zwischen “Grand-Opéra” und “Opéra-comique” ist alt. Geht sie doch auf die Epoche der “Spectacles forains” zurück, als Vaudevilles und “Comédies en ariettes” bitter mit der Musikakademie um das exklusive Recht, auf der Bühne zu singen, kämpften. Man kannte auf verschiedenen Theatern einige “Doubletten”finden, zuerst als Parodien: zum Beispiel die von Favart 1740 parodierte musikalische Tragödie Pyrame et Thisbé.Aber die Verdopplungen werden zu Duplikaten, wenn dasselbe Thema an der Opera und der Opéra-Comique behandelt wird, auf der einen Seite im großen Stil, auf der anderen Seite im mittleren Stil: so beim berühmten Fall des Pré aux clercs von Hérold (1832), der vier Jahre vorher durch seine auf den Religionskriegen basierende Handlung die Huguenots von Meyerbeer vorwegnimmt. So ist es auch der Fall bei Masaniello von Michele Enrico Francesco Carafa di Colobrano, der am 27. Dezember 1827 am Théâtre Feydeau (Opéra Comique) zwei Monate vor La Muette de Portici von Auber an der Académie royale de musique entstand. Dasselbe Thema: die neapolitanische Revolte von 1647, dieselben historischen Hauptgestalten: Thomas Aniello, Masaniello genannt, dieselbe Handlungsentwicklung: das Scheitern des Volksführers vor dem Hintergrund des Vesuvausbruchs. Beachten wir einen Größenunterschied, der der Opéra Comique den Vorteil der musikalischen Wahrheit sichern hätte müssen: Der Komponist von Masaniello ist der Neapolitaner Michele Carafa de Colobrano, aus dessen Feder das Erlebte die Feuerwerke des Pittoresken transzendieren hätte müssen.

Zu Carafas „Masianello“/ zeitgenössische Darstellung des Fischeraufstandes in Neapel/ L´oro del popolo

Konspiration und Aufruhr: Man hat diese wichtige Figur der Geschichte der romantischen Opéra comique vergessen. Carafa, dessen Gabriella di Vergy von 1816 dem rossinischen Otello in Neapel die Stirn geboten hat. Das Théâtre Feydeau hielt sich an ihn 1821, weil es seine Musik „italianisieren“ wollte, um der Konkurrenz des Théâtre Italien mit seiner Rossiniwelle entgegen zu treten. Wenn auch die Belcantoattacke mit einer unglücklichen Jeanne d’Arc, die Carafa seinem Lehrer Cherubini gewidmet hat, nicht gegriffen hat, kam der Erfolg 1822 mit Le Solitaire (122 Vorstellungen während der Restaurationszeit), dann mit „Le Valet de chambre“ nach einem Libretto von Scribe. Zwei komische Opern und zwei Misserfolge später übernahm Carafa das Libretto des Vaudevillisten Moreau und Lafortelle Masaniello ou le Pêcheur napolitain, ein durch sein historisches und politisches Thema, seine Länge ( 4 Akte) durch sein lokales neapolitanisches Kolorit, für die Opéra Comique gefährliches Werk und den eruptiven Höhepunkt der Handlungsentwicklung  für die Opéra Comique gefährliches Werk, auch durch die Werkbezeichnung „historisches Drama“ (Barba, 1828).

Hat sich das Théâtre Feydeau entschlossen, direkt in Konkurrenz mit der Opéra zu treten und sich mit seinem großen „Opernbruder“ auf einen Wettlauf einzulassen, indem es seinen Masaniello unmittelbar vor dem Werk von Scribe und Auber auf die Bühne brachte? Hat es sich nicht auch auf einen Kampf mit dem Odéon eingelassen, das die Musik von Carafa wegführte, indem es seine milanesische Oper I due Figaro auf Französisch adaptierte? Die Presse von 1827 delektiert sich an diesem Konspirationsklima und nimmt die Kulissengespräche ebenso wie die Publikumsgespräche auf: „Die Kulturwelt hat sich in eine Arena verwandelt, wo unterhalb der Gladiatoren eine ganz spezielle Spezies kämpft und deren Hauptverdienst in ihrer Geschicklichkeit besteht, sich dessen zu bemächtigen, was die Beute der anderen ist“, schreibt der „Courrier des théâtres“ anlässlich der „zwei Masaniellos“ (siehe 12. Oktober 1827). Wer hat wen kopiert? „Wir nicht“, protestieren die beiden Librettisten der Operand Comique am nächsten Tag in derselben Zeitung: Zuerst einmal sei das Thema historisch und gehöre daher allen, weiters wurde unser Drama ab 1825 geschrieben, so behaupten sie und versuchen, öffentlich zu suggerieren, dass Eugène Scribe und Germain Delavigne die wahren Plagiateure seien. In Wahrheit stützen sich alle auf dieselben Quellen: Le Duc de Guise à Naples, ou Mémoires sur les révolutions de ce royaume en 1647 et 1648, herausgegeben vom Grafen von Pastoret im Jahr 1824. Ein musikalisches Drama Masaniello, the fisherman of Naples wurde übrigens von Henry Bishop 1825 in London herausgebracht.

Zu Carafas „Masaniello“ Zoé Prévost war die erste Leona/BNF Gallica

Die vier Librettisten schlachten eine Melodie der Zeit aus, die politisch dem Liberalismus angehört. Das ultraextreme Ministerium von Villèle wird immer mehr angefeindet. Sie wird flüsternd nach dem Sieg der Liberalen in der Deputiertenkammer verbreitet. Zur gleichen Zeit sind auf den Bühnen die „revolutionären“ Themen in Mode: die Verteidigung der Bürgerrechte und der Kampf gegen den Unterdrücker werden gefeiert, 1827 und vor allem 1828 in Guillaume Tell von Puxérécourt am Théâtre de la Gaîté, in Les Trois Cantons am Vaudeville, in „Guillaume Tell“ von Pichat am Théâtre-Français, im „Guillaume Tell“ von Grétry, der von der Opéra Comique wieder aufgenommen wurde, vor dem von Rossini, 1829 an der Opéra. In dieser Vervielfachung der  Guillaume Tell (der von der Abschwächung der Zensur unter dem Ministerium Martignac profitiert) findet sich eine teilweise Antwort auf das Geheimnis des Zwillingswesens des Masaniello: Das Theaterleben, das noch keine genauen Kriterien der künstlerischen Urheberschaft kennt, speist sich von gängigen Themen und nährt so, im Feuer des kulturellen Augenblicks, die Phantasie des Zusehers.

Zu Carafas „Masaniello„: Louis-Auguste Hué war der erste Masianello/ BNF Gallica

Ein Vesuv verschattet den anderen. Im Übrigen unterscheidet sich, wenn man die beiden Libretto genau liest, der Masaniello von Moreau und Lafortelle klar von der Muette de Portici von Scribe und G. Delavigne: Der Vergleich ist faszinierend, so sehr erlaubt er, das Genie von Scribe gegenüber den beiden Herstellern am Théâtre Feydeau zu erkennen. Die letzteren malen das historische Material in den  engen Formen der Opéra-Comique, was ihre  Vorgehensweise und ihre Couplets betrifft. Scribe hingegen nutzt nicht nur die dramatischen Potentiale, sondern auch die visuellen, klanglichen und spektakulären des Themas aus, indem er zusätzlich die Titelfigur der Stummen erfindet, eine Gelegenheit, Pantomime und Tanz in das dramatische und musikalische Geschehen einzubinden. Dadurch verwischt er die hervorstechenden Konturen eines gewagten politischen Themas, indem er, da wo die Librettisten Carafas vervielfachen,  den Diskurs, entsprechend den Zensurwünschen, implizit hält mit Anspielungen auf die heilige Vorsehung, die die Volksrevolten bestrafen kann. Dieser dramaturgische und ideologische Unterschied wurde von den Zensoren erkannt, die die ungeschickte Freizügigkeit, mit  der das Libretto der Opéra Comique das Thema der neapolitanischen Revolte behandelt, der hohen Geschicklichkeit Scribes gegenüberstellen, mit der er jede direkte Anspielung vermeidet. „Die Ruhe des Staates hängst so sehr davon ab, wie unsere Aufgaben mit Vertrauen und Unterwerfung erfüllt werden, folglich soll nichts an diesem Thema die Geister aufwiegeln, man müsse einen solchen Gegenstand sehr vorsichtig behandeln und am Theater sei es noch besser, an nichts zu rühren“, kommentiert die Zensur angesichts von „Masaniello“. Sie erkennt aber dennoch den belehrenden Charakter des Werks von Moreau und Lafortelle: der Tod des Helden am Schluss (in einer Opéra Comique unüblich), der durch die Menge der Revoltierenden getötet wird, stellt ein Beispiel der konservativen Tugenden dar. Das bietet einen Beweis der Gefahr der Revolutionen und des Nachteils, den es mit sich bringt, aus seiner Sphäre herauszutreten“, beruhigt sich der Zensor. Er erlaubt die Muette der Opéra Comique unter der Bedingung, dass Formulierungen wie „zu den Waffen greifen“ oder, schlimmer, „diese Schurken von Steuereintreibern“ gestrichen werden. Die Muette erscheint den Zensoren sogar inoffensiv dank ihrer Titelgestalt: Diese wendet die Handlung vom Politischen mehr in die intime Sphäre. „Die Gefahr für die legitime Autorität, der Volksaufruhr, die Schreie der Revolution, alles verliert sich und wird vergessen beziehungsweise vermischt es sich mit dem Interesse an einer Person. Diese Person ist eine Frau und sie ist stumm. (…) Sie ist es, auf die alle Blicke gerichtet sind, die alle Herzen berührt. Es gibt kaum etwas, das die Gefahren des Themas geschickter umgeht.“ Die Zensoren waren blind dafür, dass, wie man weiß, es Aubers Muette de Portici ist, die durch die heimtückischen Rhythmen ihrer Barcarolen und den kriegerischen Elan ihres „Amour sacré de la patrie“ die belgische Revolution von 1830 auslösen wird.

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Zu Carafas „Masaniello“: Der Tenor Louis Augustin Lemonnier war der erste Comte di Torella/BNF Gallica

Die am Rande der künstlerischen Geschichte verbliebene Opéra-Comique von Carafa hatte zweifellos auch andere Schwächen als nur das Libretto. Die Partitur des Neapolitaners erscheint rau in ihren Rhythmen, eher knapp in ihren Melodien, zu verhalten in ihrem dramatischen Elan durch die Aufeinanderfolge geschlossener Nummern, auch wenn einzelne herausgenommene Stücke einen echten kommerziellen Erfolg hatten, wie die Couplets von Notre-Dame du Mont Carmel. Die Regie der Opéra vom Regisseur Solomé, die von Ciceri nach einer Reise nach Neapel gemalten Dekorationen  lassen die Aufführung in visueller Bescheidenheit verharren trotz der für den Vesuv angewandten technischen Verbesserungen, mit denen man dem „Konkurrenz-Vesuv“ gleichkommen wollte. Es ist auch anzumerken, dass es der Titelrolle im Gegensatz zur Interpretation von Adolphe Nourrit an Eklat, Biss und Kraft gefehlt hat. Der leichte Tenor Ponchard in der Rolle des neapolitanischen Fischers hat nur ein kleines Stimmchen, beklagt die Presse. Die „Muette de Portici“ hat „Masaniello“ verdrängt. Die Oper von Carafa hatte allerdings mehr als 60 Aufführungen in zwei Jahren, ein heftiger, aber vergänglicher Erfolg aufgrund der Ähnlichkeiten der beiden Werke.

Der Autor und Musikwissenschaftlr Olivier Bara/ institution-ville-geneve

Der Titel verschwindet rasch von den Ankündigungen nach 1829, während das Werk von Scribe und Auber die neue Form entwickelt, die unter der Julirevolution eine glänzende Zukunft hat: die große romantische historische Oper, die bald darauf Rossini (Guillaume Tell), dann Halévy (La Juive) und Meyerbeer (Les Huguenots) zur Vollendung bringen werden. Die ästhetische Revolution an der Opéra Comique ist unter der Restauration nicht Masaniello, es ist die Dame blanche von Scribe und Boieldieu,die Matrix der Meisterwerke des „mittleren Genres“ des 19. Jahrhunderts.

Ein kleiner Trost für Carafa: Sein Masaniello hatte in der Provinz eine ansehnliche Karriere, wobei er von seinen kleineren Proportionen und der Einfachheit, mit der er in Szene gesetzt werden konnte, profitierte: weniger Personal, ein weniger „anspruchsvoller“ Vesuv und keine Tanzrolle. Dann also als Alternative  Masaniello oder die Muette der Armen? Olivier Bara/ Übersetzung Ingrid Englitsch

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Zu Carafas „Masaniello“: Tomasso Aniello/Masianello, Illustration for Storia d’Italia by Paolo Giudici (Nerbini, 1929-32)

Inhalt/Erster Akt. Auf dem Markt in Neapel, das unter spa­nischer Herrschaft steht, werden Obst und Fisch verkauft. Die Händler, unter denen sich die schöne Leona befindet, sind von Käufern und Schaustellern umgeben. Der Steuereintreiber Calatravio und seine Schergen kommen, um die Verkaufsab­gabe einzufordern, was den Unmut des Volkes hervorruft. Leona zieht es vor, aus Protest gegen die Übergriffe der Reichen ihre Ware wegzuwerfen, statt sie mit einer Steuer belegt zu verkaufen. Calatra­vio befiehlt ihre Verhaftung, woraufhin das Volk einen Aufstand anzettelt, aber vergeblich versucht, sie zu befreien.

Die Szene wird von Ruffino beobach­tet, einem Genueser, der sich an den Spa­niern rächen will, von denen er sich hin­tergangen fühlt: Er hat die örtliche Regie­rung davon überzeugt, die kleinen Händ­ler zu besteuern, in der Hoffnung, da­durch die Unzufriedenheit und den Zorn des Volkes zu wecken. In Masaniello sieht er einen Neapolitaner, den er manipulie­ren und an die Spitze des erstrebten Auf­stands stellen kann. Unterdessen trifft der spanische Graf von Torellas ein und offen­bart Ruffino seine Liebe, die er zu Leona hegt, seit sie ihm das Leben gerettet hat. Ruffino deutet an, dass Leona seine Liebe erwidert, und rechnet damit, dass die Eifersucht ihres Gatten Masaniello den Hass auf die Fremden noch verstärkt. Masaniello bereitet sich darauf vor, fischen zu gehen. Ruffino erregt seinen Argwohn gegen den Grafen von Torellas. Masaniello berichtet, dass eine Zigeunerin Ruffinos Horoskop bestätigt hat, wonach er als armer Fischer König von Neapel werde, aber hinzufügte, dass der Thron ihn ins Grab bringen würde. Masaniellos Bruder Matteo bringt die Nachricht, dass Leona nur gegen Zahlung von 100 Duka­ten freikommt, eine untragbare Strafe für den verzweifelten Masaniello. In der Zwi­schenzeit rebelliert das Volk gegen den Herzog von Arcos, den Gouverneur von Neapel, und fordert die Rückgabe der von Karl V. gewährten Privilegien, wonach kei­ne neuen Steuern mehr erhoben werden. Masaniello führt die Aufständischen an.

Zu „Carafas „Masianello“: „La rivolta di Masianello“/Gargiulo Domenico Detto Micco Spadaro (1609/ 1675 ca)/ Catalogo generale dei Beni Culturale

Zweiter Akt. In seiner Hütte grollt Masaniello: Die re­voltierenden Neapolitaner haben ihn im Stich gelassen, bevor er Leona befreien konnte. Doch dann treffen Matteo und dessen Frau Theresia ein, um ihm mitzu­teilen, dass das Schiff, das mit den Abga­ben der Neapolitaner beladen nach Ma­drid auslaufen wollte, in Brand gesteckt wurde und dass die Marktfrauen Leona befreit haben. Sie wird im Triumph in die Hütte ihres Mannes getragen, der jedoch gehen muss, da der Aufstand wieder auf­geflammt ist und er unterdessen zum Anführer berufen wurde. Matteo sieht die Prophezeiung über den Aufstieg seines Bruders wahr werden, aber Leona bekräftigt die Demut ihres Mannes und seine Treue zu seiner einfachen Herkunft.

In der Zwischenzeit flüchtet der Graf von Torellas, der dank einer Verkleidung dem Volk entkam, das ihn lynchen wollte, in die Hütte und findet Leona allein, der er so seine Liebe offenbaren kann. Empört und verängstigt hält Leona es für besser, ihn wegzuschicken, aber es gelingt ihr nicht: Ruffino erscheint zusammen mit Giacomo, einem Rebellen aus Pozzuoli. Nachdem er den Grafen erkannt hat, befiehlt er Giacomo dessen Bewachung, während er Masaniello suchen will. Gia­como, der zum Kommandanten der Dörfer zur Unterstützung des neapolitanischen Aufstands ernannt wurde, ist betrunken, und dem Grafen gelingt es leicht, ihm die Ernennung abzunehmen. Torellas und Leona sperren Giacomo in den Keller, als Masaniello erscheint. Torellas gibt sich als Giacomo aus und entkommt unter dem Vorwand, seine Leute zusammenrufen zu müssen. Kurz darauf kommt Matteo zu­sammen mit Theresia und erklärt, dass der Mann, der gerade gegangen ist, nicht Giacomo war; Ruffino kommt dazu und bestätigt, dass dieser in Wirklichkeit der Graf war, was Masaniellos Eifersucht weckt. Doch der Wunsch des Volkes nach Erhebung überwiegt, und Masaniello zieht mit den Aufrührern und Ruffino ab. Leona bleibt mit Theresia und Matteo allein zurück. Als dieser ein Klopfen aus dem Keller hört und die Luke öffnet, kommt der betrunkene Giacomo heraus. Wenig später werden alle vier von der Wache verhaftet und zum Gouverneur gebracht.

Zu Carafas „Masianello“: eben dieser, gemalt von James E. Freeman 1847/Wikipedia

Dritter Akt. In seinem Palast ist der Gouverneur über den Aufstand beunruhigt. Ruffino teilt die Gefangennahme von Masaniellos Angehö­rigen mit, die von ihm selbst denunziert wurden. Der Gouverneur befiehlt ihm, Masaniello zu Verhandlungen in den Pa­last zu bestellen. Dessen Familie wird mit Wohlwollen empfangen und ist erstaunt über den Reichtum des Palastes. Torellas versichert Leona, dass er nichts mit ihrer Gefangennahme zu tun hat. Bald darauf trifft Masaniello ein und beginnt, mit dem Gouverneur zu verhandeln. Das Volk, das sich um ihn sorgt, ruft ihn und randaliert unter den Fenstern; Masaniello beruhigt seine Anhänger und schickt sie weg. Der Herzog erkennt Masaniellos Einfluss auf das Volk und versucht, ihn mit dem Titel eines ständigen Abgeordneten von Neapel und einem üppigen Gehalt an sich zu binden, was dieser aber prompt ablehnt. Masaniello ist über die Anwesenheit Tore­llas‘ und das inzwischen aufgedeckte Doppelspiel Ruffinos außer sich und will aufbrechen. Da gewährt der Gouverneur die Rückgabe der alten Privilegien, wenn die Rebellion beendet wird. Der nunmehr bewachte Ruffino macht durch ein Lied deutlich, dass die Titel der Privilegien falsch sind; Masaniello versteht die Bot­schaft und bricht alle Verhandlungen ab. Dem Gouverneur gelingt es nicht, Masa­niello und seine Familie zu verhaften, bevor das Volk in den Palast einbricht und den Hofstaat zur Flucht zwingt.

Zu Carafas „Masaniello“: Gedenktafel in Neapel: „Eine verlogene Wiedergutmachung für ein vorherbestimmtes Verbrechen: Masaniellos Grabmal befand sich hier, wurde aber 1799 während der neapolitanischen Revolution aus politischen Gründen eines despotischen Herrschers entfernt.“/Wikipedia

Vierter Akt. In dem ihm zur Verfügung gestellten Haus wird Masaniello wie ein König behandelt, und das Volk zeigt seine Dankbarkeit. Die Spanier haben den Neapolitanern die von Karl V. gewährten Privilegien zurückgege­ben. Masaniello vertraut Ruffino an, dass er einen seltsamen Traum hatte, der durch den Wein verursacht wurde, den dieser ihm während der Feierlichkeiten einge­schenkt hatte: Ein Vogel, der der Sonne zu nahe kommt, wird geblendet und stirbt im Taumel. Masaniello versteht das als Warnung des Himmels und Ruffino ver­sucht vergeblich, ihn zum Ruhm zurückzu­rufen. Seine Familie trifft ein und kurz da­rauf auch der Gouverneur sowie der Graf von Torellas, die verlangen, dass der Re­gierungsrat sofort in Masaniellos Haus tagt, da die Landung neuer Truppen im Gange ist. Während der Beratung wird Masaniello jedoch wahnsinnig, als er aus der Ferne das Echo des Volksfestes hört; er sieht sich verraten und rennt hinaus, um sich zu rächen.

Als der Vesuv ausbricht, bedroht Ma­saniello mit dem Schwert in der Hand das Volk, das vergeblich versucht, ihn zur Vernunft zu bringen. Als Leona ein­trifft, wird Masaniello von einer Muske­ten-Salve getroffen und stirbt unter dem Bedauern des Volkes über diese Be­strafung durch den rächenden Himmel. Gianmarco Rossi/ Übersetzung u. Textredaktion Reto Müller

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Wir danken dem Autor Olivier Bara , Professor und Musikwissenschaftler an der Universität Lyon, für die sehr freundliche Genehmigung zur „Übernahme“ seines Artikels aus dem Programmheft zu Aubers Muette de Portici an der Pariser Opera-Comique 2012.  Die Inhaltsangabe übernahmen wir mit Dank aus dem Programmheft zur Aufführung in Bad Wildbad. Abbildung oben: „Masaniello“ (Gemälde von Tommaso Aniello), 1857, von Giuseppe Mazza/1817-1884)/Wikipedia

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge in der Reihe Die vergessene Oper findet sich auf dieser Serie hier.

Heine- und Goethe-Lieder

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Im Frühjahr dieses Jahres standen Heinrich-Heine-Gedichte im Focus einer neuen Einspielung bei ETCETERA. Unter dem Titel Mit Myrten und Rosen präsentieren die belgischen Künstler Werner Van Mechelem (Bass-Bariton) und Sylvie Decramer (Klavier) Lieder von Robert und Clara Schumann sowie Franz Schubert und Felix Mendelssohn Bartholdy. Franz Schubert war der Erste, der Heines Poesie für Liedvertonungen entdeckte. Sechs vorwiegend schwermütige Lieder – erst kurz vor seinem Tod entstanden – lagen Werner Van Mechelem sehr gut: Mit technisch bestens durchgebildeter Stimme, die über einen ausgeglichenen, großen Tonumfang verfügt, überzeugt er besonders in Der Atlas mit dramatischer Steigerung des konzentrierten Gefühls. Das einfühlsame Klaviervorspiel von Sylvie Decramer zu Die Stadt bereitete dem Sänger den Boden, auf dem er seine Interpretation der großen Weite und des Schmerzes ausbreiten konnte. Die meisten Heine-Vertonungen allerdings gibt es von Robert Schumann: Die Dichterliebe und fünf ausgewählte Lieder haben den Weg zur Aufnahme gefunden. Der Start Im wunderschönen Monat Mai wird nach meinem Geschmack zu sehr zelebriert; man muss sich auch erst an die ausgeprägte Artikulation des Sängers gewöhnen, die Vieles zu kontrolliert und künstlich erscheinen lässt (u.a. Das ist ein Flöten und Geigen). Intensiv gestalten die Künstler Ich hab‘ im Traum geweinet mit passend langen Pausen am Schluss; besonders beeindrucken die endlosen Atembögen in Ich will meine Seele tauchen. Einprägsam gelungen ist nach Die alten, bösen Lieder das wie bei Schumann üblich das lange Nachspiel zum Liederkreis. Die beiden Lieder von Clara Schumann Sie liebten sich Beide und Ich stand in dunklen Träumen sind kleine Kostbarkeiten, die mit der notwendigen Schlichtheit geboten werden. Last not least wird die CD ergänzt durch eins der sieben Lieder nach Heine-Gedichten von Felix Mendelssohn-Bartholdy Auf Flügeln des Gesanges. Es ist ein fließendes Lied im 6/8el-Takt, bei dem Träumen unter Palmen am Ganges durch weichen Gesang und perlende Klaviertöne suggeriert wird. Leider ist das instruktive Beiheft mal wieder nur auf Englisch, Französisch und Niederländisch, aber dafür die Liedtexte nur in Deutsch. Allerdings fehlt beim Text des namengebenden Liedes Mit Myrten und Rosen die letzte (6.) Text-Strophe; auf die leere halbe Seite hätte das noch gepasst!  (ETCETERA KTC 1818).

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Ebenfalls noch relativ neu sind die Goethe-Lieder  mehrerer Komponisten, die von Fanie Antonelou und Sofya Gandilyan bei Coviello Classics eingespielt wurden. Wie Letztere im sehr guten Beiheft ausgeführt hat, wollten sie die Zuhörer mitder musikalischen Vielfalt, die Goethe einst umgab, und den Werken seiner Zeitgenossen vertraut machen“. Jedem dieser Komponisten war Goethe persönlich begegnet (außer Mozart). Lieder von Ludwig van Beethoven eröffnen die CD: Nach dem frischen Maigesang zum Auftakt erklingen Drei Gesänge op.83, die es Fanie Antonelou ermöglichen, ihrn klaren, flexiblen Sopran vorzustellen. Auch Sofya Gandilyan am Hammerklavier erfreut mit der geforderten Fingerfertigkeit und impulsgebender Unterstützung für die Sängerin. Intensiver ist ihre Gestaltung u.a. in Sehnsucht (WoO 134 No.4) und Neue Liebe, neues Leben op.75 Nr.2. In Carl Friedrich Zelters Lied Rastlose Liebe kommt das Rastlose sehr gut zur Geltung, was allerdings bei der hohen Tessitura und stürmischen Tempos dieses Liedes an Textverständlichkeit einbüßt; dafür kommt die technische Versiertheit der Pianistin besonders zur Geltung. In Gleich und gleich  kann Fanie Antonelou zeigen, dass sie auch mit leichten Verzierungen und Koloraturen vertraut ist. Johann Friedrich Reichardt hat sich ebenfalls mit Rastlose Liebe beschäftigt, es aber nicht so ideenreich in seiner Komposition umgesetzt. Im Erlkönig hat die Sopranistin die unterschiedlichen Charaktere sehr gut herausgearbeitet. Für dieses Lied und noch vier weitere auf der CD wurde ein anderes Hammerklavier benutzt als für die übrigen, da es wohl eine etwas dunklere Klangfarbe aufweist. Wolfgang Amadeus Mozart hat nur ein Gedicht von Goethe vertont, das berühmte Veilchen KV 476, das hier leichte Intonationstrübungen aufweist. Die Romance der Polin Maria Szymanowska (1789-1831) fällt völlig aus dem Rahmen. Denn es besteht nur ein ganz loser Zusammenhang mit Goethe, der sie als Pianistin und Komponistin schätzte. Die Romance besteht aus einem kurzen französischen Text, den der russische Fürst Galitzin vertont hat, und zu dem die beiden Künstlerinnen eine passende Klavierbegleitung geschaffen haben; dem schließt sich eine fast fünf-minütige Klavierbearbeitung von Szymanowska über die Gesangsmelodie an. Das Beiheft enthält in dem inhaltsreichen Artikel von Sofya Gandilyan auch Interessantes über die Hammerklaviere, die bei der Aufnahme zum Einsatz kamen (Coviello Classics, COV 92313). Marion Eckels