Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Ausgabe oder Aufnahme?

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The Italian Tenor nannte sich die erste CD von Vittorio Grigolo und das zu Recht, denn nach den vielen Tenören aus dem spanischen Sprachraum oder neben einem Jonas Kaufmann mit baritonaler Grundierung und verschatteter Höhe nahm sich die Stimme des Aretino mit ihren strahlenden Spitzentönen und dem durch und durch tenoralen Timbre wie eine Offenbarung aus. Dazu kamen die jünglingshafte Optik und die leidenschaftliche Darstellung, die eine Identifzierung mit vielen Figuren der italienischen Opernliteratur wie selbstverständlich erscheinen ließen.

Mit den Jahren scheint ein zu skrupelloses Ausloten der sängerischen Möglichkeiten nicht ohne Folgen geblieben zu sein, wie jüngste Auftritte zeigen, was um so mehr darüber staunen lässt, dass die kürzlich auf dem Markt erschienene Sony-CD mit dem Titel Verissimo den Tenor in sehr guter Verfassung zeigt. Des Rätsels Lösung ist das Datum der Aufnahmen (!), die – 2016! – vor immerhin acht Jahren, wie das Booklet ehrlicherweise, aber kleinstgedruckt, verkündet, in einem Prager Studio entstanden und offensichtlich 2023 im italienischen Cavarzere überarbeitet wurden. Trotzdem ist der Titel des Albums Verissimo, wohl noch als eine Steigerung zu Verismo, gleich der Wahrheit verpflichtet, aber auch als Anspruch zu verstehen, man habe es mit einer grundehrlichen Aufnahme von 2023 zu tun, wie auf der Rückseite des Albums zu lesen. Oder ist dies nur das Datum der Ausgabe der CD?

Es beginnt mit „Dai campi, dai prati“ aus Boitos Mefistofele, leider viel zu selten auf der Bühne zu erleben und vom Tenor mit allen Stärken und Schwächen seine Singens ausgestattet als da sind: ein wie weich gespült klingendes Timbre, eine sentimentale, wenn nicht gar sentimentalische Interpretation voller Effekthascherei und willkürlicher Agogik, eher ein falsch verstandener Werther als ein Faust. Aber das Timbre ist schön, die Textverständlichkeit gegeben. Das Schmachtende der Darstellung passt eher zu Osakas Ständchen aus Mascagnis Iris, offeriert angedeutete Glottischläge und eine recht offene Höhe. Ein Zuviel an Sentimentalität bringt  Cielo e mar, ein geheimnisvolles Raunen, das vom Extrem Fortissmo recht abrupt abgelöst wird, insgesamt eher Brüche in der Gesangslinie aufzeigend als eine schöne musikalische Linie, mehr Schmachten als Leidenschaft. Es folgen zwei Arien des Maurizio aus Cileas Adriana Lecouvreur, die in hemmungsloser Gefühlsseligkeit den Verdacht, es handle sich um eine tragische Operette, bestärken könnten. Auch in den beiden Arien des Andrea Chénier überwiegt  zuungunsten des Heldischen, das der Figur auch innewohnt, das orgiastisch Sentimentale.

Der Abschied Turiddus von der Mutter liegt dem Tenor sehr gut in der Stimme, für den Luigi aus Il Tabarro hat er mehr Sensibilität und Sentimentalität als üblich, was auch für die Arie des Johnson aus La Fanciulla del West gilt. Sehr innig klingt „Addio, fiorito asil“ und außergewöhnlich kontrastreich, mit dem Charakter des Pinkerton eher wenig vereinbar. Das „Vesti la giubba“, in dem sich der Tenor nichts schenkt, lässt den Hörer um die schöne Stimme fürchten, und auch Calaf schreit leider bereits beim eigentlich intimen „Non piangere, Liu“ ganz Pechino zusammen. Den Abschluss bildet ein Ave Maria mit der Musik des Intermezzo von Cavalleria Rusticana mit schönem Falsettone-Schluss, aber doch recht süßlichem Charakter. Pier Giorgio Morandi entlockt dem Czech National Symphony Orchestra Klänge angemessener Italianità.

Man kann sich an einem besonders schönen Stimmmaterial in nicht durchweg geschmackvollem Einsatz erfreuen, wenn auch um den Preis, nicht einwandfrei über das Entstehen der CD informiert zu sein. Mehr noch kann man bedauern,  dass Vittorio Grigolo in den Jahren zwischen Aufnahme und dem heutigen Tage nicht pfleglicher mit seiner Stimme umgegangen ist (Sony 88875100342). Ingrid Wanja

Moniuszko und kein Ende

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Fabio Biondis unermüdlicher Einsatz für den polnischen Komponisten Moniuszko geht weiter. Seit Jahren setzt sich der Alte Musik-Spezialist im Rahmen des jährlichen Warschauer Chopin and his Europe– Festivals für den Vater der polnischen Nationaloper ein. Natürlich hat er bei dem Festival mit Aufführungen von Bellinis Norma und Capuleti e i Montecchi, Verdis Macbeth und Corsaro auch ein bisschen das musikalische Vorläufertum erkundet.

Doch seine vom Fryderyck Chopin Institute mit opulenten CD-Büchlein veröffentlichen Aufnahmen im markant roten Hardcover (1 CD NIFCCD 092) gelten selbstverständlich Moniuszko, wozu die italienische Fassung der Halka in der Übersetzung des Moniuszko-Freundes Giuseppe Achille Bonoldi gehören, der idyllische Einakter Der Flößer von 1858, die Hrabina (Die Gräfin) von 1860 sowie der Einakter Verbum nobile (Das Ehrenwort) von 1861. Im August 2022 kam es im Teatr Wielki zu einer Aufnahme eines Werkes, das selbst an Moniuszkos einstiger Wirkungsstätte eine Rarität darstellt: Widma, was so viel heißt wie Die Geister, eine rund einstündige Kantate für Solostimmen, gemischten Chor und Orchester, die auf einem der wichtigsten Dramen von Adam Mieckiewicz (1798-1855) basiert Dziady, der Totenfeier oder Ahnenfeier, die den „vorchristlichen (baltisch-slawischen), schon zur Zeit Mickiewiczs nicht mehr ausgeübten Brauch der Totenverehrung“ bezeichnet. Die vier Teile des Dramas erschienen in den 1820er und 30er Jahren bzw. der erste und unvollendet gebliebene Teil erst 1860. Moniuszko verwendete den zweiten Teil. In der dörflichen Allerseelen- oder Allerheiligenfeier, die mythische und religiöse Bilder und ein nationales Gefühl beschwört, treten der Priester Guślarz auf, ein Mädchen, ein alter Mann, ein Engel (gesungen von zwei Knaben), Eule und Rabe und verschiedene Stimmen/ Erscheinungen.

Inspiriert und angeregt zu dieser hybriden Mischung aus Gesang und Sprache, dramatischer Erzählung und Monodram wurde Moniuszko während seiner Ausbildung in Berlin zwischen 1837 und 1840 durch Carl Friedrich Rungenhagen, Direktor der Berliner Singakademie, der ihn vertraut machte mit den Oratorien von Bach und Händel. Beeindruckt zeigte sich Moniuszko von Mendelssohn-Bartholdys Paulus. Besonderen Einfluss hatte aber die künstlerisch ambitionierte Form der dramatischen Kante in der Art von La damnation de Faust, doch am stärksten war Moniuszko fasziniert von dem Orient-Reisenden und -Kenner Félicien David und seiner Ode-Symphonie Le désert (1844), die von Paris bis St. Petersburg und bereits im Jahr nach der Uraufführung auch in Warschau gefeiert wurde, wo Moniuszko das Werk schließlich 1870 dirigierte. Die Beschwörung der Geister und Ahnen, die in den heidnisch altslawischen Ritualen und im ländlich dörflichen Umfeld gegenwärtig sind, mischen sich in Widma mit christlichen Riten zu bildkräftigen Feiern, die schwer zu begreifen sind. Doch nach der langen Erklärung des Sprechers (der polnische Schauspiel-Star Andrzej Seweryn) gelingt es Fabio Biondi und den Europa Galante-Musikern in den drei Erscheinungen der Intrada eine sowohl notturne solenne wie ländlich feurige Atmosphäre zu erzeugen, eben den spezifischen sanft leuchtenden Moniuszko-Ton und seine national- und identitätstiftende Emphase.

Leider wird der musikalische Fluss immer wieder durch die erst ein Jahr nach dem Konzert aufgenommenen und in Ton und Lautstärke sich stark von den Sängern abhebenden Sprechern und Sprecherinnen gebremst, die sich dann aber auch teilweise wieder mit Wispern und Geräuschen, Gurren und Zwitschern hörspielmäßig gut ins Geschehen mischen; eindrucksvoll Danuta Stenka als alte Eule. Mit seinem hohen Bass, den er machtvoll in das Geschehen schleudert, gelingt es Krzysztof Baczyk das Geschehen zu bündeln und zu konzentrieren und die starke Figur des Guślarz mit seherischer Intensität auszustatten, auch wenn wir im englisch-polnischen Libretto nicht immer genau begreifen, um was es geht. Der junge polnische Bass ist auf jeden Fall eine Entdeckung.

Die Kantate besteht aus zwölf musikalisch sehr unterschiedlichen Teilen, mal geisterhaft beschwörend, dann wieder tänzerisch heiter und idyllisch, wie im Knaben-Gesang der beiden kleinen gen Himmel aufsteigenden Solo-Engel. Mit einer auftrumpfenden Arie greift Pawel Konik mit einem höhensicher geschärften Bariton als gespenstische Erscheinung ins Geschehen, schwelgend wie in einer italienischen Oper ist das von Natalia Rubis mit innigem Ausdruck gesungene junge Mädchen im Barkarole-Duettino mit Guślarz und Chor, während Paulina Boreczko und Roman Chumakin als Eule und Rabe Randgestalten bleiben. Wucht und Ausdruck prägen alle Einwürfe des Podlasie Opera and Philharmonic Choir, die damit die theatralische Qualität des 1865 uraufgeführten Werkes unterstreichen, das nach seit seiner Aufführung in Lemberg 1878 immer wieder szenisch aufgeführt wird. Rolf Fath

 

Ein Bayerischer Lortzing

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Krempelsetzer? Georg Krempelsetzer? Nie gehört! Naja, kaum gehört. Denn seine Operette Der Vetter auf Besuch (auf ein Libretto von Wilhelm Busch) gab´s zumindest ein paarmal im Rundfunk, so beim Bayerischen und auch in Ö1 in den tiefen Fünfzigern (s. nachstehend), flott gesungen im Lortzing- und Biedermeier–Stil eines Kreutzers oder Nessler und von schöner Erfindung, namentlich die Ouvertüre und das rasante Finale. Und nun gibt’s die Nachricht, dass Krempelsetzers Märchenoper Der Rothmantel von 1886 mit dem Libretto von immerhin Paul Heyse in Rosenheim Ende April aufgeführt wird.

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Der Komponist Georg Krempelsetzer/erlesene oper

Dirigent Georg Hermansdorfer und seine Organisation „erlesene oper“, seit langem für die Restaurierung unbekannter Opern bekannt und mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik geehrt, hat – nach vielen anderen Titeln, eben diese Oper ausgegraben. Spannend – finden wir und lassen den Dirigenten selbst zu Worte kommen.

 Der Rothmantel – Entstehung mit zwei Unbekannten: Georg Kremplsetzer (1827 – 1871) ist wohl ein typisches Beispiel für die Situation der Komponisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine spezielle Ausbildung zum Opernkomponisten gab es nicht. Und Kollegen wie Giuseppe Verdi komponierten zuerst Opern – und bei Erfolg ging es auf diesem Weg weiter. Oder er endete ebenso abrupt. Konservatorien entstanden erst nach und nach (z. B.. Paris 1795, Mailand 1807, Prag 1811, Wien 1819, München 1846). Und selbst da erlernte man vor allem Kontrapunktik und sinfonische Satztechnik. Musiktheater lernte man im Alltag eines Opernhauses. Das war der Alltag. Oft in der Provinz.

Georg Kremplsetzer begann als 30-Jähriger mit dem privaten Kompositionsunterricht bei Franz Lachner. Nach sechs Jahren wurde er Kapellmeister des Gärtnerplatztheaters und erhielt den Auftrag, das Eröffnungsfestspiel zu komponieren! Eine steile Karriere! Warum ist er unbekannt? Zum einen starb er bereits mit 44 Jahren, zum anderen sind seine Werke verschollen. Dass sein Librettist und Dichter Paul Heyse (1826 – 1871) heute selbst den Münchnern unbekannt ist, liegt wohl an den Zeitläufen und am heutigen Geschmack.

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Georg Kremplsetzer – ein vergessener bayrischer Komponist. Johann Georg Kremplsetzer wurde am 20. April 1826 in Vilsbiburg als viertes Kind von zehn des ersten bayrischen Tuchfabrikanten geboren. Nur zwei Schwestern überlebten mit ihm das Kindesalter. Er lernte im Betrieb seines Vaters und ging als Volontär nach Sachsen. Dort finden sich in seinem Tagebuch zwischen technischen Anleitungen und Baumwollrechnungen Gedichte und erste Kompositionsversuche, wobei seine musikalische Ausbildung hinter dem Rücken des Vaters ohne dessen Wissen erfolgte. Er organisierte Konzerte, in denen er auch mit seiner viel gelobten Tenorstimme sang. Das Klavierspielen machte ihm jedoch wegen der schweren Handarbeit zeitlebens Probleme.

1853 gründet er eine Manufaktur in Neuötting und heiratete Luise Barbarino, die aus einer angesehenen Kaufmannsfamilie stammte. Erste Kompositionen schickte er Carl Mozart, dem Sohn Mozarts, mit dem er einen regen Briefwechsel pflegte. Dieser beurteilte die Werke des jungen Autodidakten sehr wohlwollend. 1855 ließ er sich den Anteil an seinen Fabriken auszahlen und zog nach München, um bei Franz Lachner Kompositionsunterricht zu nehmen. Auch dieser attestierte ihm Talent  und Ideenreichtum. Ein Zyklus seiner „Landsknechtlieder“ (gedichtet von Franz Graf Pocci) machte ihn in weiten Kreisen bekannt. Josef Rheinberger wurde ihm ebenfalls zum geschätzten Freund und Berater.

In München wurde er Mitglied der Künstlervereinigung „Die Jungmünchner“, später der „Argonauten“, in denen er bedeutende Künstler wie Wilhelm Busch, Moritz von Schwind und viele andere kennenlernte. Er war wegen seines lebensfrohen, ehrlichen und bescheidenden Wesens sehr beliebt, was zahlreiche Balladen, Karikaturen und Festgelage zu seinen Ehren bezeugen. Wilhelm Busch lieferte ihm  auch die Textbücher zu seinen ersten Bühnenwerken: „Schuster und Schneider in der Herberge“ und „Die Kreizfarer oder Der Schutzgeist um Mitternacht“. Besonderen Erfolg hatte das Singspiel „Hänsel und Gretel“, das im Karneval 1862 für die Bevölkerung inklusive des Königshofes als Märchen-Maskenfest aufgeführt wurde. Kritiker schreiben, dass Kremplsetzers Musik an „die glücklichsten Schöpfungen Haydns“ erinnern, wobei die Werke Lortzings wohl eher sein Vorbild waren. Auch für den „Akademischen Gesangverein“, den er drei Jahre leitete, komponierte er eine Serie köstlicher Burlesken, tragikomischer Ritterstücke und Possen. Von seinen Künstlerkollegen erhielt er liebevoll den Spitznamen „Gnack“. Ganz München liebte und sang seine volkstümlichen Weisen. (Einen Artikel von Georg Hermansdorfer zu eben diesen Münchner Künstververeinigungen gibts es bei uns später./ G. H.)

Sein Einakter „Der Vetter auf Besuch“ mit dem Libretto von Wilhelm Busch wurde mit großem Erfolg am Residenztheater aufgeführt. Dieses (neben dem „Rothmantel“ und „Schuster und Schneider in der Herberge“) einzig erhalten gebliebene Opus wurde sogar in Berlin zum lang gespielten Repertoirestück, obwohl sich Busch eher abfällig über seine eigenen Libretti äußerte („… somit lege ich dann die Schnurre getrost zu den Todten und wasche meine Hände in Unschuld, so viel das überhaupt möglich ist, wann man einmal in die Sünde eines Operntextes verfallen ist.“).

Librettist und Dichter Paul Heyse/Wikipedia

Durch den Erfolg ermutigt, komponierte Kremplsetzer in sechs Wochen die große romantisch-komische Oper „Franzosen in Gotha“, die trotz Zusage des Hoftheaters nie aufgeführt wurde. Immerhin war sein Ruf nun so groß, dass er als Kapellmeister am neu gegründete „Volkstheater auf Actien“, dem heutigen Gärtnerplatztheater, eine feste Anstellung erhielt, was seine finanzielle Not wesentlich linderte.  Das beliebte Volkstheater wurde 1863 mit seinem Festspiel „Was wir wollen“ eröffnet. Bis 1868 leitete er dort Opern und Operetten (Mit Widerwillen dirigierte er Offenbach!), außerdem komponierte er zahlreiche Gesangseinlagen zu den sehr beliebten Münchnerisch-bayrischen Singspielen, nicht ohne weitere große Opern in Angriff zu nehmen: So entstand 1868 nach dem Libretto von Paul Heyse, den er im Künstlerzirkel „Die Krokodile“ kennengelernt hatte, „Der Rothmantel“, wobei ihn sein Freund Rheinberger kräftig unterstützte. Die Märchenoper wurde in München und Berlin mehrmals erfolgreich aufgeführt.

Doch die finanzielle Schieflage des Actientheaters, die 1870 im endgültigen Bankrott endete, und Intrigen zwangen ihn 1868 München und viele liebgewonnene Freunde, wie die Komponisten Josef Rheinberger, Robert von Hornstein und Max Zenger, den Maler Wilhelm von Kaulbach und den Bildhauer und Erzgießer Ferdinand von Miller. zu verlassen. Mit vielen hatte er gesellige Treffen im Haus Heyse verbracht.

Er ging nach Görlitz, Magdeburg und Königsberg, um dort Kapellmeisterstellen anzunehmen. Dort erkrankte er und kam völlig abgemagert und entkräftet durch eine schwere Lungenkrankheit zu seiner Mutter nach Vilsbiburg zurück, wo er am 8. Juni 1871 starb. In den letzten Tagen hatte er noch eine Festouvertüre für die „Heimkehr der siegreichen Truppen“ (aus dem Deutsch-Französischen Krieg) komponiert.

Er hinterließ nur seine Frau, alle Kinder waren schon früh gestorben. In Daglfing erinnert die „Kremplsetzerstraße“ und in Vilsbiburg der „Kremplsetzerweg“ an ihn. (Georg Hermansdorfer)

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Der Rothmantel – eine heitere romantische Märchenoper von Georg Krempelsetzer, Libretto von Paul Heyse. Mit Andreas Agler, Christina Gerstberg, Kayo Hashimoto, George Vincent, Orchester und Chor der „erlesenen Oper“ und Mitglieder der Ballettschule Bad Aibling; Dirigent Georg Hermansdorfer 

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Wilhelm Busch: Münchner Freunde (2. v. links Krempelsetzer)/Wikipedia

Und als Sohn der Heimatstadt Vilsbiburg  widmet ihm diese per Vilsburger Heimat-Museum auch noch eine Eloge: Georg Kremplsetzers künstlerischer Aufstieg wird von berühmten Leuten begleitet.
„Sehr freue und sehne mich nach dem Augenblick, dieselben unter meiner Clavierbegleitung von Ihnen selbst vorgetragen zu hören. Schon die Wahl des Textes, für sich allein, zeugt und offenbart die Zartheit der Gefühle, welche ich alsogleich in den ersten Augenblicken, die mir in Salzburg das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft zu Theil ward, in Ihnen erkannte.“ Um eine Auswahl Lieder geht es in diesem Brief, der am 2. Juni 1857 von Carl Thomas Mozart in Italien verfasst und „An Wohlgeb. Herrn G. Kremplsetzer, Fabrikbesitzer, Landshut“ adressiert wird. Der ältere Sohn von Wolfgang Amadeus Mozart schickt das Schreiben wohl deshalb nach Landshut, weil Kremplsetzer geschäftliche Aufenthalte dort immer wieder nutzt, bei der dortigen Liedertafel mitzuwirken. Er bringt sich selber das Notenschreiben bei und komponiert für den Landshuter Wanderverein.

Mozarts Gutbefinden scheint für Georg Kremplsetzer der letzte Anstoß zu sein, aus dem bürgerlichen Leben des kleinen Vilsbiburg auszubrechen. Für den am 20. April 1827 in dem stattlichen Anwesen vor dem Oberen Tor geborenen Sohn eines angesehenen Bürgers ist ursprünglich aber ein anderer Lebensweg bestimmt: Er steigt in die elterliche Tuchmanufaktur ein. Doch ?Frau Musica? veranlasst den Dreißigjährigen, den Webstuhl endgültig mit dem Klavierschemel zu vertauschen. Er lässt sich sein Erbe auszahlen und übersiedelt nach München, wo er bei Franz Lachner Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt nimmt. Die bayerische Haupt- und Residenzstadt ist zu dieser Zeit ein Eldorado der Maler, Musiker und Literaten. Der offenbar recht kontaktfreudige Kremplsetzer findet schnell Zugang zur legendären Künstlerszene. Sie nennen ihn „Gnack“

Den 1861 gegründeten Akademischen Gesangsverein dient Georg Kremplsetzer drei Jahre als Chormeister. Im selben Jahr vertont er einige Landsknechtslieder aus der Feder von Franz Graf von Pocci. Schon bald findet Kremplsetzer Zugang zur Künstlervereinigung Jung-München. Hier verpassen sie dem jungen Niederbayern den prägnanten Spitznamen Gnack und hier trifft er auf einen aus dem niedersächsischen Wiedensahl stammenden Maler, Zeichner und Gelegenheitsdichter. Mit Wilhelm Busch als Librettisten produziert Kremplsetzer mehrere Singspiele. Als bekanntestes Werk hat sich die Operette „Der Vetter auf Besuch“ bis in die Gegenwart herübergerettet. Bei der Premiere am 24. Oktober 1863 im Münchner Residenztheater fehlt allerdings der Textdichter. Busch ahnt wohl, dass sein Beitrag von den Theaterkritikern eher zurückhaltend aufgenommen, Kremplsetzers Komposition dagegen in den höchsten Tönen gelobt werden. Wilhelm Busch entdeckt in dem Tondichter aber auch ein Modell; 14 Karikaturen sind bekannt. Ein Teil davon zeigt Kremplsetzer als solchen („Der Compositeur am Morgen“). Daneben verwendet Busch den Typus des kleinen, dicklichen Mannes, dessen kahler Schädel ein einzelnes Haar ziert, in verschiedenen Bildergeschichten.

Gedenktafel in Kempelsetzers Heimatstadt Vilsbiburg/BNA

Kapellmeister am Actien-Volks-Theater: Als am 4. November 1865 am Münchner Gärtnerplatz eine neue Bühne eröffnet wird, überträgt man Georg Kremplsetzer die Stelle eines Kapellmeisters und Haus-Compositeurs. Natürlich stammt auch die Musik zu dem an diesem Tag aufgeführten Festspiels „Was ihr wollt“ aus seiner Feder. Kremplsetzer stürzt sich mit Elan in die neue Aufgabe und erlebt drei produktive Jahre. Dann ist das Haus finanziell ruiniert und mit ihm auch der Kapellmeister. Kremplsetzer muss sein geliebtes Künstlerbiotop verlassen und erlebt freudlose Wanderjahre in Görlitz, Magdeburg und Königsberg. Zudem macht sich eine Lungenkrankheit bemerkbar. Im Jahr 1870 kehrt er ein letztes Mal nach München zurück, um eine Festouvertüre für die siegreichen bayerischen Truppen zu komponieren. Der Tondichter darf sich zwar noch über eine Ehrengabe von König Ludwig II. freuen, erlebt aber die Aufführung der patriotischen Vertonung nicht mehr. Ganz still zieht er sich in sein Geburtshaus in Vilsbiburg zurück, wo er am 6. Juni 1871 im Alter von nur 44 Jahren stirbt.

Info: Georg Kremplsetzer gehört zu den Persönlichkeiten, die in der Sonderausstellung „Vilsbiburger im Porträt“ im Heimatmuseum gewürdigt werden. Im Ausstellungskatalog ist ein umfangreicher Beitrag zu Leben und Werk des Tondichters enthalten.   Mit Dank an das Heimatmuseum Vilsbiburg   

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Georg Hermansdorfer: Der Rothmantel – Inhalt. Eine kleine Stadt am Rhein im 17. Jahrhundert . 1. Akt  Später Abend in einer Schenke. Wie jeden Abend treffen sich die Nachbarn zum fröhlichen Umtrunk in der Schenke. Konrad steigert die Stimmung mit einem Trinklied, als Dr. Melchior, ein vermeintlicher Doktor, den Gastraum betritt. Drei gesprächige Frauen berichten Konrad, dass Meta, die Tochter von Martha Sträubler, bald verheiratet werden soll – allerdings hat jede der Tratschenden eine andere Information. Franz kommt, nachdem er von Martha vom Fenster Metas, die der verarmte Witwer liebt, vertrieben worden ist. Er ist verzweifelt. Dr. Melchior will ein Haus kaufen, allerdings gibt es außer dem Schloss, in dem es spuken soll, kein freies Gebäude. Er glaubt nicht an Gespenster und bietet demjenigen, der das „Gespenst״ vertreibt, eine hohe Belohnung. Jörg berichtet von seinen schrecklichen Erfahrungen mit dem Spuk – er geht in keinem Fall! Franz, der das Geld gut brauchen könnte und nichts zu verlieren hat, unterschreibt einen Vertrag, dass er noch in dieser Nacht den Spuk zu beenden versucht. Alle rüsten sich, um Franz zu seinem schweren Gang zu begleiten. Als er einen Abschiedsbrief an Meta schreibt, kommt diese, um verzweifelt Rat bei ihm zu suchen. Da betritt Martha, die Mutter, mit Dr. Melchior den Raum: Er ist der Auserwählte für Meta. Daraufhin weigert sich Franz, aufs Schloss zu gehen, aber der Vertrag zwingt ihn.

Georg Krempelsetzer: „Der Rothmantel“/Textbuch MDZ

2. Akt Eine Stunde vor Mitternacht im verfallenen Schloss. Die Nachbarn bringen Franz, ausgerüstet mit viel Essen und Trinken, zum Schloss. Nach einem Trinklied lassen sie ihn allein. Um Mitternacht erscheint tatsächlich das Gespenst, der Rothmantel, und rasiert Franz sowohl den Bart als auch die Haare. Durch dessen Verhalten errät Franz, dass auch das Gespenst rasiert werden will. Das ist für den Rothmantel die Erlösung: Nun findet auch er Ruhe. Franz wickelt sich in eine Decke und träumt von einer glücklichen Zukunft. Am Morgen kommen die Nachbarn, um Franz hoffentlich noch am Leben zu finden. Dr. Melchior zahlt die verabredete Summe und die Nachbarn schwören, die Bedingungen des Rothmantels (die Franz erfunden hat!) zu erfüllen. Er will ein Jahr auf Wanderschaft gehen und die Treue Metas prüfen.

3. Akt Ein Jahr später. 1. Szene: In einem Stall. Jörg arbeitet im Stall, als der Wirt ihm Aufträge für die Hochzeit erteilt, die heute Abend im Schloss stattfinden soll: Dr. Melchior heiratet Meta. Als der nun wohlhabende Franz, der just in dem Moment zurückkehrt, das erfährt, ist er erzürnt über die Untreue Metas. Diese erscheint in Männerkleidern, um in letzter Minute zu fliehen, wie es ihr Konrad geraten hatte. Als der unerkannte Franz ihr berichtet, Franz sei tot, bricht sie ohnmächtig zusammen. Beim Erwachen fallen sich beide glücklich in die Arme. Franz droht, die Hochzeit Dr. Melchiors platzen zu lassen. 2. Szene. Kurz vor Mitternacht im Schloss. Dr. Melchior gibt dem Wirt noch Anweisungen für die Hochzeitsfeier, bevor er stolz besingt, dass er nun am Ziel seiner Pläne sei. Die Freundinnen der Braut geleiten die Braut zu ihrem Bräutigam, als plötzlich Franz als Rothmantel verkleidet die Feier stört. Als Dr. Melchior ihn für diesen üblen Scherz vom Bürgermeister entfernen lassen will, berichtet Franz, dass er in Mainz einen Steckbrief des Betrügers und Heiratsschwindlers Dr. Melchior erhalten habe. Dieser wird verhaftet und die beiden Liebenden bekommen nun auch den Segen von Mutter Martha.

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Auswahl von Kompositionen für das Gärtnerplatztheater  München (UA = Uraufführung, WA = Wiederaufnahme): Was wir wollen Festspiel in einem Akt zur Eröffnung des „Volkstheaters auf Actien“          Text: Hermann Schmid ; Der Tatzlwurm oder das Glöckl vom Birkenstein  UA 06.02.1866  Volksstück mit Gesang und Tanz in 3 Aufzügen (WA 1881 + 1882 + 1894); Nur Fidel! Oder Eine Reise nach München UA 16.01.1867   Posse mit Gesang und Tanz in 6 Bildern  Text: L[udwig] Held; Almenrausch und Edelweiß UA 31.03.1867  Volksstück in 6 Bildern und Vorspiel Text: Hermann T. von Schmid;  (WA 1886/ 1891 50. Vorstellung); Die Geister des Weins UA 06.04.1867    Operette mit Tanz in einem Aufzug  Text: Aimé Wouwermans; Ein alter Praktikus UA 04.06.1867  Liederspiel in einem Aufzug [??]  Text: Otto Mylius; Das Oktoberfest unterm Dach  UA 13.10.1867 ; Komische Szene mit Gesang Text: [??] Erdmann; Das Orakel von Delphi UA 30.11.1867  Parodistische Operette in 4 Bildern [1865]    Text: Franz von Ziegler; Such! Verloren oder Die Reise nach Abenteuern UA 15.03.1868 Große Posse mit Gesang in 5 Bildern  Text: Friedrich Droll

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Dokumente: Den Vetter auf Besuch von Georg Kremplsetzer (mit dem Text von Wilhelm Busch) gab es in einer Fernsehsendung (25. 9. 1953), die live von der ‚Funk- und Fernseh-Ausstellung 1953‚ aus Hannover im NWDR Hamburg gesendet wurde. Die Mitwirkenden waren: Wilhelm, der Müller – Adolf Meyer-Bremen / Margaret, die Müllerin – Ursula Zollenkopf / Nanette, die Base – Christine Görner / Fridolin, der Vetter – Willy Langel / Ein Chor der Bauern / Das Hamburger Kammerorchester / Dirigent: Gerhard Maasz / Szenenbild: Karl-Hermann Joksch / Regie: Herbert Junkers. Das kurze Singspiel (Dauer: 40 Minuten) wurde für das Fernsehen musikalisch bearbeitet von Walter Girnatis und trug den Titel „Vetter sein dagegen sehr…“.

Zusätzlich zur TV-Sendung aus dem Jahre 1953 von Georg Kremplsetzers „Der Vetter auf Besuch“ – weitere Fernseh-Inszenierungen und  Rundfunksendungen Singspiels:  Den Rundfunksendungen liegt eine Bearbeitung von Bernd Alois Zimmermann (!) zugrunde und beide stammen aus dem Jahr 1960.; sodann „Der Vetter auf Besuch“ (Georg Kremplsetzer): Der Müller – Wilhelm Schirp / Die Müllerin – Ursula Zollenkopf / Die Base – Clementine Mayer / Der Vetter – Willi Brokmeier / Das Kleine Unterhaltungsorchester des Südwestfunks Baden-Baden / Dirigent: NN / Bearbeitung: Ludwig Kusche / TV-Regie: Karlheinz Hundorf (Sendung am 15. 11. 1961); dto.: Der Müller – Robert Titze / Die Müllerin – Elisabeth Pack / Die Base – Ruth-Margret Pütz / Der Vetter – Willy Langel / Das Rundfunkorchester Hannover des Norddeutschen Rundfunks / Dirigent: Willy Steiner / Der Erzähler ist Klaus Schwarzkopf. Eine Rundfunk-Aufnahme des NDR (Niedersächsisches Landesstudio Hannover).; dto.: Der Müller – Andreas Camillo Agrelli / Die Müllerin – Hetty Plümacher / Die Base – Edith Mathis / Der Vetter – Karl Wolters / Das Berner Stadtorchester / Dirigent Luc Balmer. Eine Aufnahme von Radio Beromünster. (Dank an unseren Leser Carl Meffert).

Die österreichische Radio-Aufnahme von 1959 stammt aus Innsbruck und wurde in diesem Jahrhundert wiederholt ausgestrahlt. Es wirkte das Innsbrucker Städtische Orchester, Dirigent war Walter Hindelang, dazu  Mitglieder des Chores des Tiroler Landestheaters sowie als Solisten Dagmar Hartel (Die Müllerin) Edith Boewer (Prosa), Eva Ortbauer (Nanette) Christl Lorenz (Prosa), Richard Itzinger (Der Müller) Axel, Corti Prosa u.a.; aufgefunden und für den Funk eingerichtet von Hans Hömberg. Sendedaten: 26. Dezember 1959 (Dank an Tina Tengel ). G. H.

 

Donizettis „Esule di Roma“

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Wieder einmal ist Opera Rara, der Motor für Donizetti-Aufnahmen und -Pflege in neuerer Zeit, zu der eigenen Basis zurückgekehrt, für die sie gegründet wurde. Diesmal ist es Donizettis Frühwerk L´Esule di Roma, bislang nur durch die immer noch sehr respektable Bongiovanni-Live-Aufnahme aus Savona aus den Achtzigern (1986, davon später mehr) und eine Mitschnitt aus London 1982 dokumentiert. Die neue nun in der kritischen Ausgabe von Roger Parker und Ian Schofield.

Der englische Neuaufnahme aus dem letzten Jahr (2023) folgte eine konzertante Aufführung in London, die mit warmem Beifall bedacht wurde. Carlo Rizzi stand und steht nun am Pult der Britten Sinfonia und des Opera Rara Chorus, und in den Hauptrollen hört man außer Nicola Alaimo (lustigerweise mit gleichem Nachnamen wie sein Rollenvorgänger Simone und zudem der einzige Italiener im Ensemble, als Murena) eine Völkervielfalt von Kollegen, darunter die inzwischen hochgehandelte Albina Shagimuratova als Argelia, Sergey Romanovsky als Settimo, Luiz Calvert i Pey/ Publio, Kezia Bienek/Leontina sowie André Henriques/Lucio & Fulvio. 

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Donizettis „Esule di Roma“, London 2023/Nicola Alaima und Albina Shagimuratova/ Foto Russel Duncan/Opera Rara

Unser italienischer Rezensent Jacopo Orlandi schrieb damals über das Konzert: „(…) Die Figur des Murena steht im Mittelpunkt von Donizettis Experiment aus seiner Frühzeit. Stimmlich liegt es an Nicola Alaimo, der Figur des Senators auf seinem Weg von der Schuld zur Reue, durch Angst und Qualen, dramatische Kraft zu verleihen. Der italienische Bariton gibt der Rolle mit einer für eine konzertante Aufführung wirklich bemerkenswerten Ausdrucksintensität und einem Einsatz der stimmlichen Mittel eine große Glaubwürdigkeit. Die Ausstrahlung ist weich, der Gesang musikalisch, die Diktion sorgfältig, das Volumen ausgezeichnet. Schon in der Arie des ersten Aktes („Per lui..nel mentre..avea…“) erscheint Alaimo von Gewissensbissen geplagt, und im Delirium des zweiten Aktes („Entra nel circo“) wirkt er regelrecht halluziniert, unterstreicht die deklamierten Phrasen nachdrücklich und mündet dann in eine Cabaletta, in der er mit einer Beweglichkeit, die die wirbelnden Seelenqualen in Musik umsetzt, einen wirkungsvollen dramatischen Höhepunkt schafft. Am Ende brach das Publikum in lautes Gebrüll aus.

Sergey Romanovsky sang die Rolle des Septimius mit großer Klasse, achtete auf Nuancen und blieb stilistisch relevant. Am besten ist er in der Gefängnisszene mit einer Doppelarie, in der er bei „S’io finor, bell’idol mio“ exzellentes Cantabile zeigt, und er ist stimmlich fest in den hohen Lagen und entschlossen in der Phrasierung von „Si scenda alla tomba“.

Albina Shagimuratova, die 2021 von der Times als „neue Königin des Belcanto“ betitelt wurde, bewies zweifellos einige Belcanto-Qualitäten, wie z. B. die Fähigkeit, hohe Töne und Obertöne zu dämpfen und zu verstärken, Phrasen gut zu verbinden und die anmutige Beweglichkeit des Schlussrondos („Ogni tormento“) leicht zu dehnen, obwohl ihre Diktion in den virtuosen Passagen nicht immer deutlich ist.

Lluís Calvet singt die Rolle des Publio mit guter Homogenität und einer ordentlichen Portion Autorität in der Akzentuierung. In „Se della patria“ wirkte er selbstbewusst und gelassen. Vielleicht leidet er unter dem Vergleich mit Alaimo, was das stimmliche Gewicht angeht. Bemerkenswert waren auch die Beiträge von Kezia Bienek als Leontina und André Henriques in der Doppelrolle des Lucio/Fulvio in den Nebenrollen.

Carlo Rizzi ist derjenige, der diese Wiederaufnahme musikalisch interessant und möglich gemacht hat, vierzig Jahre nach den ersten Wiederaufnahmen in der Neuzeit. Er sorgte für einen sauberen, kompakten, suggestiven und niemals lauten Klang; triumphale Momente und Chöre (ein Lob an die Herren des Opera Rara Chors) wurden elegant wiedergegeben; die erzählerische Handlung und das Drama wurden angemessen hervorgehoben und die Sänger wurden in die Lage versetzt, ihr Bestes in Bezug auf Ausdruck und Phrasierung zu geben. (…)“

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Es sind diese Bemerkungen die Diktion sorgfältig (Alaimo) im Gegensatz zu  „obwohl ihre Diktion in den virtuosen Passagen nicht immer klar ist“ (Shagimuratova), die mich die Aufnahme noch einmal genau auch und vor allem auf Italianità, eben italienisches Flair,  Diktion und Spannung durchhören ließ, wenngleich ich den Bewertungen der rein gesanglichen Leistungen wenig hinzufügen habe. Aber die Neueinspielung bringt mich doch zu grundsätzlichen Erkenntnissen, dass das Spezifische, in diesem Fall das  Italienische, die Verankerung des Ausdruck in der Sprache des Gesangs, mir seit einiger Zeit zu schwinden scheint. 

Simone Alaimo/Spotify

Was auch in dieser verdienstvollen Opera-Rara-Aufnahme durchschlägt. Bei aller Wertschätzung der mehr als lobenswerten Bemühungen der Firma: Der alte Live-Mitschnitt aus Savona bringt viel mehr an Drama, an Identität, an Empathie, an Teilhabe am Geschehen herüber, trotz etwas muffiger Technik (und so toll ist die neue nun auch nicht). Im Hause war das für mich eine der spannendsten Opernaufführungen jener Jahre. Leider sah man den netten Löwen nicht am Ende …

Simone Alaimo kann mit Nicola S.  allemal und überragend mithalten, klingt jünger, beweglicher, saftiger, gesunder, und eben auch jeden Meter Belcanto-erfahren. Zudem hat er das Gewisse Etwas in der Stimme (mehr tenorgefärbter Bariton als Bass, ein schöner basso-cantante eben), das ihn einzigartig, nachhaltig erinnerbar macht. Er schafft mit Worten, gibt Worten eine Bedeutung, nuanciert und modelliert einen fiesen, gefährlichen, greifbaren, lebendigen Bühnen-Charakter. Nicola Alaimo ist ganz sicher mehr als kompetent und in diesem Fach viel unterwegs, wortdeutlich absolut. Dennoch, seine Höhe ist mir zu streng und die dunkle Stimme selbst mir eher zu allgemein, zu unmemorabel – seine tollen Schluss-Szene des Wahnsinns (in der Folge der Rossini-Bad-Guys eines Assurs) bleibt bei allem Einsatz der von Simone S. drastisch hinterher. Der hat einfach mehr Persönlichkeit, macht mehr aus der Partie. 

Donizettis „Esule di Roma“ in Savona/BG

Cecilia Gasdia ist ihrer neuen Kollegin in meinen Ohren durch ihren dunklen, erregenden, leuchtendem Sopran und mit vor allem – und darauf kommt es mir hier an – wortdeutlicher Empathie mit der Rolle drastisch überlegen. Die eine ist die Argelia und die andere singt sie „nur“ (fairerweise muss man auf die Bühnenkondition in Savona hinweisen, was gegenüber dem Studio ein Vorteil an Interpretation ist). Und letztere singt  wie ihre Kollegin Jessica Pratt oder andere der internationalen Szene. Technisch sicher lobenswert, stilistisch diskutabel und empathisch eher blande, routiniert. Und zudem mit ihrem russisch orientierten, unruhig-weißen Sopran für mich wirklich keine Freude. Und sie fängt jetzt schon an zu „kullern“. Ich find sie, wie oft bei den Sopranen von Opera Rara, eine riskante Wahl.

Bei den Tenören ist Romanovsks Settimio seinem Kollege rein stimmlich wirklich an Glanz überlegen und eine wirkliche Wucht. Ich war ganz hingerissen von seinem attraktiv-erregendem Gesang, der Farbe, des Ausdrucks, das hat man lange nicht mehr gehört. Ernesto Palacio war dagegen immer recht trocken a l´espagnolo, aber doch auch er ausdrucksmäßig sehr eingebunden in die szenische Aufführung. Die übrigen in Londons Neu-Aufnahme sind mehr als zufriedenstellend.

Aber ich war  nie ein Fan von Carlo Rizzi, der natürlich das bessere Orchester dirigiert, aber der zum Teil quälend langsam die Spannung killt und die Rezitative streckt, dann wieder sich mit viel Gerumse durch die lauten Passagen arbeitet. Massimo de Bernart bleibt dagegen federnder, rasanter, das Drama vorantreibender. Und so schlecht ist die Combo in Savona nun nicht.

Und – wie einer unserer Leser hinweist – vermisst man bei dieser Einspielung als Appendix die nachkomponierte Tenorarie für Rubini – es wäre sehr interessant, sie hören zu können.

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Der Tenor Bruce Brewer singt den Settimio 1982 auf der Londoner Aufnahme von Donizettis „Esule di Roma“.

Auch an die echte Pionierarbeit von Dirigent Leslie Head (L´Esule di Roma London 1982) soll erinnert werden, wo Katia Ricciarelli (obwohl als Italienerin nicht die Wortdeutlichste, aber eben rollen-empathisch eine Gewinnende) neben einem sensationellen Bruce Brewer und einem wirklich erstaunlich resonanten, wortdeutlichen und engagierten John Paul Bogart damals die Londoner Belcanto-Fans rasen ließen. Insofern bringt Opera Rara mal wieder eine Doublette (bzw. Triplette) auf den Markt…

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Was also möchte ich sagen? Das altmodische Wort Italianità fällt mir erneut ein. Diese neue Esule di Roma ist mir persönlich zu international, wenngleich weitgehend gut gesungen, wirklich! Nur reißt sie mich nicht vom Hocker (aber ich galt schon immer als schwierig). Denn eigentlich sollte ich als Belcanto-Liebhaber mich freuen, diese wirklich spannende Oper neu zu hören. Wenngleich das dicke Booklet zur Neuaufnahme mal wieder keinen deutschen Artikel-Text enthält (nur eine deutsche Inhaltsangabe, bei den drei deutschsprachigen, finanzstarken EU-Ländern doch ein Versäumnis). Ich freue mich über das italienisch-englische Libretto (das auch Bongiovanni bereits vorweisen konnte), dazu über einen  hochinformativen Artikel von Eleonora Di Cintio über das Alte Rom auf der neapolitanischen Bühne des 19. Jahrhunderts sowie den wie stets profunden Text von Roger Parker, den er uns sehr liebenswürdiger Weise nachstehend überlassen hat. Danke Roger! G. H.

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Das Joch des Finales – Donizettis experimentelle Visitenkarte. Eine gängige Erzählung über Gaetano Donizetti (1797-1848) stellt seine ernsten Opern aus den 1820er Jahre, die meist für die neapolitanischen Theater geschrieben wurden, als – um es kurz zu machen – das Werk eines Gesellen, der notwendigerweise ein Nachfolger von Rossini. Der Durchbruch soll dann mit Anna Bolena kommen, geschrieben 1830 für Mailand geschrieben wurde und sich von dort aus über die gesamte italienische Halbinsel und in die großen europäischen Hauptstädten und ebnete damit den Weg für die großen Erfolge der nächsten zehn Jahre, darunter Lucrezia Borgia und Lucia di Lammermoor. Eine solche Geschichte, die sicher nicht zufällig ist, passt genau mit unserem heutigen Donizetti-Repertoire, in dem die erste ernstzunehmende Oper, die regelmäßig Anna Bolena die erste ernsthafte Oper ist, die regelmäßig wiederaufgenommen wird. Mit   anderen Worten, sie ist ein Kompliment an die zeitgenössischen Operngewohnheiten.

Gaetano Donizetti/ Opera Rara Archive

Ein genauerer Blick (und ein genaueres Hinhören) auf einige dieser ernsten Opern aus den „vergessenen Neapolitanischen 1820er Jahre, in denen L’esule di Roma zufälligerweise ein Paradebeispiel ist, zeigt ein anderes Bild. Wie zu dieser Zeit üblich, wissen wir nur wenig über die Entstehung der Oper. Der Librettist war Domenico Gilardoni, Donizettis wichtigster Mitarbeiter in dieser Zeit. Das Thema, das sie wählten, basierte auf Luigi Marchionnis Theaterstück Il proscritto romano (Venedig, 1820), das seinerseits auf einem früheren französischen französischen Stück über Androkles und den Löwen (eine Geschichte, die in Italien bereits in vielen Formen bekannt war). Umbenannt in L’esule di Roma (ein anderes Wort für „Exil“, denn proscritto hatte im Neapel der 1820er Jahre unangenehme politischen Implikationen im Neapel der 1820er Jahre), wurde die Oper am Neujahrstag im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt. Neapel am Neujahrstag 1828 uraufgeführt. Sie wurde sofort zu einem Publikumserfolg erklärt, und dass, obwohl die obwohl die erste Aufführung von einem großen Kontingent des neapolitanischen Hofes besucht wurde: königliche Persönlichkeiten, deren Anwesenheit oft die Reaktionen ihrer treuen Untertanen zu dämpfen vermochte.

Bühnenbild für Donizettis „Esule di Roma“ von Sanquirico/Wikipedia

In der darauffolgenden Spielzeit wurde das Stück noch etwa 20 Mal aufgeführt und blieb dann bis ins neapolitanischen Repertoire bis in die 1840er Jahre hinein – eine einzigartige Leistung in dieser sich schnell verändernden Opernzeit. Zeiten. Ein Teil dieses anfänglichen Erfolges muss natürlich den Hauptsängern zu verdanken gewesen sein, die alle Tenor Berardo Winter als Settimio, der Verbannte des Titels, die Sopranistin Adelaide Tosi als seine geliebte Argelia und, als bester von allen, Bassbariton Luigi Lablache als Argelias Vater Murena, der von der Tatsache gequält wird, dass seine Machenschaften für Settimios Verbannung verantwortlich sind.

Das Außergewöhnlichste an der Rezeption ist jedoch, dass – obwohl die Oper vor einem Publikum gespielt wurde vor einem Publikum gespielt wurde, das im Allgemeinen als konservativ und traditionsbewusst gilt, das sich gerne an die Zeiten zurückerinnert, als die „neapolitanische Schule“ eindeutig an der Spitze der italienischen Musik stand die „neapolitanische Schule“ eindeutig an der Spitze der italienischen Musik stand – es waren gerade die innovativsten, gewagtesten Aspekte von Donizettis neuen Oper, die das Publikum und die Kritiker begeisterten.

Adelaide Tosi war die erste Argelia In Donizettis „Esule di Roma“/ Wikipedia

Im Mittelpunkt dieser Innovation steht die Figur der Murena. Anders als der übliche, unbeugsame Patriarch des Melodramas, wie er in Gilardonis Libretto dargestellt wird, ist von Anfang an eine schwankende, instabile Figur, voller Reue und Reue und Angst vor seiner vergangenen Schuld. In Anlehnung an diesen neuen Aspekt des Librettos hat Donizetti die Instabilität Murenas mit Begeisterung in seine Musik für die Figur einfließen. Selbst in Murenas konventionellsten Momenten, wie etwa in seiner zweisätzigen Arie, die in die eröffnende Introduzione, neigt er immer wieder zu unvorhersehbaren Ausbrüchen und ungewöhnlichen vokalen Effekten. Sowohl der langsame Satz und die Cabaletta dieser Eröffnungsarie („Per lui… nel mentre“ und „M’appare mai sempre“) weisen praktisch keine Spur einer durchgehenden lyrischen Linie auf, da die einleitenden Sätze in beiden in beiden Fällen kaum mehr als eine Anhäufung deklamatorischer Ausrufe, deren aufgeregte Orchestrierung das Gefühl der Unruhe nur noch verstärkt. Die Arie von Murena im zweiten Akt („Entra nel Circo… Ahi misero“) treibt diesen unkonventionellen Stil noch weiter auf die Spitze: Die Anhäufung von Schuldgefühlen hat Murena in dieser Phase des Dramas in den Wahnsinn getrieben: in einer bemerkenswerten Vorwegnahme Vorgriff auf Donizettis berühmte Wahnsinnsszenen aus den 1830er Jahren ist der stimmliche Diskurs der Figur aus unzusammenhängenden Erinnerungsfragmenten und entsetzten Antizipationen der Zukunft, die seine Bosheit in Gang gesetzt hat.

Im Vergleich zu Murena sind die beiden jungen Liebenden eher konventionelle Charaktere. Argelia ist vom Gesangsstil her am deutlichsten Rossinisch, besonders im Finale der Oper, in dem das Happy End der Handlung durch ein so genanntes Rondo finale („Ogni tormento, qual Ogni tormento, qual nebbia al vento“) zelebriert wird, wobei die Soprankoloraturen die Wiederherstellung der Ordnung in einem gefährlich instabilen Zustand. (Man stellt sich vor, dass der König von Neapel, der über das revolutionäre Königreich der beiden Sizilien‘ herrschte, bei dieser Auflösung wohl zufrieden geseufzt hätte.)

Berardo Winter war der Settimio in der Uraufführung/Litho von Josef Kriehuber – eigenes Foto einer Originallithographie aus der eigenen Sammlung von Peter Geymayer, gemeinfrei/Wikipedia

Es überrascht vielleicht nicht, dass Argelia in ihrem Duett mit ihrem Vater im zweiten Akt am berührendsten ist, in dem ihre sanfte melodische Sprache eine eminent dramatische Funktion bei der Beruhigung ihres aufgewühlten Elternteils zu beruhigen. Ihr verbannter Geliebter Settimio ist ein komplexerer Fall. Seine Arie und sein Duett mit Argelia im ersten Akt zeigen ebenfalls einen Charakter, der an die Rossinische Gesangskunst erinnert, wenn auch mit weit weniger weniger ornamentalem Überschwang. Aber, zumindest in der Form, in der die Oper uraufgeführt wurde, verschwindet er verschwindet er in der zweiten Hälfte praktisch aus dem Geschehen und kehrt erst ganz zum Schluss zurück, um seine unwahrscheinliche, von einem Löwen unterstützte Flucht aus dem römischen Kolosseum. Es ist also keine Überraschung, dass bei der Donizetti bei der allerersten Wiederaufnahme der Oper an der Mailänder Scala im Juli 1828 die Figur ausbalancierte, ja bereicherte, indem er Settimio (wiederum gesungen von Winter) mit einer „Gefängnisszene“ versah, einer Nummer, die wir in dieser eine Nummer, die wir in diese Aufnahme aufnehmen. Ein komplexes orchestrales Bild des „oscuro sotterraneo“ in dem Settimio auf seine Verurteilung wartet, geht eine weitere zweisätzige Arie voraus, in der er seine Liebe zu Argelia bekräftigt seine Liebe zu Argelia bekräftigt und am Ende dem Schicksal im Angesicht des Todes trotzt.

Doch trotz all dieser fesselnden Arien und Duette gab es eine weitere Nummer, die in vielerlei Hinsicht die gewagteste Nummer der Oper war, die die Aufmerksamkeit des Publikums besonders auf sich zog. Mehrere Rezensenten wiesen darauf hin, dass in der Mitte der Oper, am Ende des ersten Akts, wo die Konvention ein sogenanntes concertato-Finale, bei dem Chor, Solisten und Orchester zu einem grandiosen Schluss.

Donizetti brach mit der Tradition und schloss den Akt ab mit einem langen Terzetto für die drei Hauptpersonen („Ei stesso… La mia vittima“), in dem – wieder einmal – Murenas Instabilität die stimmlichen Gesten in bemerkenswertem Maße dominiert. Komponisten in dieser Zeit in Italien widersprachen oft auf eigene Gefahr den Erwartungen des Publikums, aber die dramatische Wirkung des Terzetto war beispiellos. Hier ist eine Rezension der ersten Aufführungsserie, typisch in der Extravaganz des Lobes für das Terzetto: „Jeder der drei Hauptdarsteller, mit der Kraft des canto declamato und der Energie der Handlung im Schlusstrio des ersten Aktes, das zu Recht als Donizett’sches Meisterwerk bezeichnet wurde, zu Tränen. Der Senator [Murena] konfrontiert sein Opfer; Settimio macht seinem Verfolger Vorwürfe Argelia ist hin- und hergerissen zwischen kindlicher und romantischer Liebe. Aber am Ende des ersten Aktes rief das Publikum, um seine volle Zustimmung zum Ausdruck zu bringen, die beiden rief das Publikum am Ende des ersten Aktes sowohl die Sänger als auch den Komponisten heraus, um seine volle Zustimmung zu bekunden.“

Der berühmte Bass Luigi Lablache sang den Murena in der Premiere/Portrait von Francois Buchot 1831/Wikipedia

In dieser und den folgenden Kritiken wird deutlich, dass das Publikum nicht nur das ungewöhnliche formale Experiment des Terzetto bewundert des Terzetto (der Verzicht auf das concertato) bewunderten, sondern auch über die Art und Weise die Art und Weise, wie es Donizetti gelang, die sehr unterschiedlichen stimmlichen Charaktere der drei Hauptdarsteller zu bewahren und gleichzeitig das Gefühl der melodischen Ausdehnung des Belcanto zu vermitteln, für das die italienische für die die italienische Oper berühmt war. In einem halb scherzhaften Brief an seinen verehrten Lehrer Simone Mayr berichtete Donizetti über die außerordentliche Resonanz auf das Stück und erwähnte, dass sein Erfolg ihn ermutigte ihn ermutigte, weiter zu experimentieren und sich dem zu entziehen, was er „das Joch des Finales“ nannte.

Die Fortführung dieser Erkundung würde ein Projekt für die Zukunft sein, insbesondere während der bemerkenswerten Reihe weiterer experimenteller Opern, die Donizetti in den späten Jahren für Neapel schrieb 1820er Jahre, Werke wie Il Paria, Il diluvio universale und Imelda de‘ Lambertazzi. Aber es besteht kaum ein Zweifel dass L’esule di Roma den Weg wies. Mehr noch, sie erwies sich als die bei weitem populärste der Oper des Komponisten in den 1820er Jahren: Innerhalb von sechs Jahren wurde sie in mehr als 30 italienischen Städten aufgeführt, und wurde zusätzlich in London, Wien und Madrid uraufgeführt.

Die Verfolgung der Rezeption von L’esule durch Libretti und anderem Material zu verfolgen, ist ein faszinierendes Unterfangen. Wir haben bereits gesehen, dass Donizetti im Sommer 1828 eine neue Tenorarie für Settimio im zweiten Akt lieferte. Als die Oper Ende desselben Jahres mit dem großen Tenor Giovanni Battista Rubini in der Rolle des Settimio nach Neapel zurückgebracht wurde mit dem großen Tenor Giovanni Battista Rubini, verpflichtete ihn der Komponist mit einer alternativen Arie im zweiten Akt, die seinem außergewöhnlichen Können besser entsprach. seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Und dann, für eine Wiederaufnahme von L’esule 1840 in seiner Heimatstadt Bergamo, lieferte Donizetti dem damaligen Settimio, Domenico Donzelli, eine weitere Version der Arie. (Bedauerlicherweise sind diese beiden zusätzlichen Arien für Settimio nur als Vokalpartitur überliefert und können und können daher nicht als Anhänge zu unserer Aufnahme hinzugefügt werden). Es ist typisch für diese Zeit, dass viele andere Wiederaufnahmen den relativ bescheidenen Umfang der Oper ausnutzten, um weitere Lieblingsarien und Arien und Duette einfügten, entweder aus früheren Werken Donizettis oder aus solchen anderer Komponisten. Auf diese Weise wurden in den Aufführungen von L’esule in den 1830er Jahren Werke von Balducci, Bellini, Celli, Conti, Costa, Mercadante, Pacini, Rossini und zweifellos zahlreichen anderen: ein glorreiches Fest der Tatsache, dass das zeitgenössische Publikum in Italien und anderswo das „Ereignis“ mehr schätzte als das „Werk“, und sich nur selten von der Sorge um die Integrität des Werks von seinem Opernvergnügen abhalten ließ.

Dieser stetige Strom von Wiederaufführungen endete in den frühen 1840er Jahren. Neue Formen des Operndramas, nicht zuletzt von Donizetti selbst, hatten sich allmählich entwickelt. Zum Zeitpunkt der letzten Aufführung Jahrhundert, 1869 in Neapel, war L’esule di Roma nicht mehr als eine historische Kuriosität.

Aber die Zeit, die seither vergangen ist, und die zusätzliche Perspektive, die wir jetzt auf Donizettis Donizettis gesamten kompositorischen Werdegang haben, kann der Oper neue Bedeutung verleihen. Wenn sie sympathisch präsentiert wird, ist sie wird sie zu einem Schlüsselwerk in der Entwicklung des Komponisten: eine Oper, die ihm ein neues Publikum ein neues Publikum sowohl in Italien als auch darüber hinaus gewann, aber auch neue Formen Formen der vokalen Expressivität, die die Grenzen des Genres erweitern und Donizetti zu einer in seiner unendlichen Reise der kompositorischen Erneuerung. c 2024 Roger Parker/DeepL

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Der Autor und Musikwissenschaftler Roger Parker/ Foto OR/ Russell Duncan

Roger Parker ist der Repertoireberater von Opera Rara. Er ist emeritierter Professor für Musik am King’s College London, nachdem er zuvor in Cornell, Oxford und Cambridge unterrichtet hatte. Er ist General Editor (mit Gabriele Dotto) der kritischen Donizetti-Ausgabe, die von Ricordi herausgegeben wird. Seine jüngsten Bücher sind Remaking the Song: Operatic Visions and Revisions from Handel to Berio (University of California Press, 2006) und A History of Opera: The Last Four Hundred Years (Penguin, UK/Norton, US, 2012), die er gemeinsam mit Carolyn Abbate geschrieben hat. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Musik in London in den 1830er Jahren. Von 2013 bis 2018 war er am King’s Direktor des ERC-finanzierten Projekts „Music in London, 1800-1851″/ Opera Rara

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Abbildung oben: Innenraum der Basilika in Pompeji, Design von Alessandro Sanquirico für Pacinis  Oper L´Ultimo Giorno di Pompeii, 1827/ Wikipedia

Warum?

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Kaum ein rennomierter Sopran, der nicht die Mimi und kaum ein berühmter Tenor, der nicht den Rodolfo sang, selbst der Belcanto-Purist Alfredo Kraus bekannte sich zu dieser nie wiederholten Jugendsünde, und Monteserrat Caballé legte sich noch als würdige Matrone auf das Sterbebett der Grisette. Da  bedarf es schon einigen Mutes, noch eine Gesamtaufnahme von Puccinis La Bohème und dazu noch aus dem italienfernen Dublin von der dortigen Irish National Opera auf den Markt zu bringen.

Es ist auch das Liebespaar, das den Zuhörer mit zunehmendem Befremden an seinem traurigen Schicksal teilnehmen lässt, nicht weil es über hässliche, schlecht ausgebildete Stimmen verfügen würde, sondern weil diese, in beiden Fällen angenehm und technisch versiert, einfach zu leicht für Puccini sind, was wiederum zur Folge hat, das das Orchester streckenweise allzu verhalten, Puccini gemäße Üppigkeit vermissen lassende Vorsicht walten lassen muss. So stehen eine zaghafte, vorsichtige Begleitung und ein unverhofftes üppiges Aufblühen  ziemlich unverbunden neben-, nein, nacheinander, Spannungsreiches wechselt ab mit schüchtern Zurückhaltendem, auch im ersten Akt ein teilweise langsames, im zweiten Akt ein teilweise sehr flottes Tempo. Auf keinen Fall kann man dem Dirigenten Sergio Alapont vorwerfen, er nehme keine Rücksicht auf die Solisten.

Das geschieht ganz besonders auch bei der Begleitung zu „Mi chiamono Mimi“, wo Celine Byrne eine zarte Sopranstimme mit blassen Farben vernehmen lässt, ein helles, eher kindliches Timbre, das in der Höhe eher spitzig als aufblühend klingt, zwar berührend in seiner Fragilität, aber halt nicht einer Puccinistimme angemessen ist. Viele Phrasen werden schön ausgesungen, im 3. Akt ist die Stimme von schmerzlicher Innigkeit, aber insgesamt doch eher einem leichteren Fach zuzuordnen. Das gilt auch für den Rodolfo von Merunas Vitulskis, einem lyrischen Tenor mit dünner, blässlicher, wenn auch sicherer Höhe, der die Arie im ersten Akt empfindsam interpretiert, für deren zweiten Teil ein zartes Aufblühen zur Verfügung hat, im dritten Akt Phrasen von schöner Melancholie singt und sich zum Schluss des ersten Akts eines allerdings nicht von Puccini komponierten hohen Tons rühmen kann. Da geht die Partnerin natürlich hoffnungslos unter. Im Duett mit dem Bariton im vierten Akt klingt die Stimme wenig italienisch im Unterschied von der des Marcello, gesungen von David Bizic, der über eine markante und farbige, dazu geschmeidige Stimme verfügt. Elegant und verführerisch singt Anna Devin die Musetta des zweiten Akts, eher geziert als innig klingt ihr Gebet im vierten Akt. John Molloy kann mit Collines Mantellied eher angenehm auffallen als Ben McAteer mit der Schilderung des Papageienmordes. Schrecklich chargierend gibt sich Eddie Wade als Benoit, angenehmer als Alcindoro. Angemessen durchdringend ist die Stimme von Fearghal Curtis, der den Parpignol singt. Elaine Kelly gebührt ein Sonderlob für das Zusammenhalten des Chors im 2. Akt. Alles in allem ist das eher eine Aufnahme von lokaler als von internationaler Bedeutung (Signum Classics SIGCD702). Ingrid Wanja

Sinfonisches

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Von Ottorino Respighi hört man häufig seine sinfonischen Dichtungen aus Italiens Metropole oder auch seine Antiche danze ed arie. Seltener aufgeführte Werke des eher konservativen Komponisten hat das Sinfonieorchester Wuppertal schon 2000 unter seinem damaligen Chefdirigenten George Hanson eingespielt. Im Zentrum steht neben der Rossiana das 1930 entstandene Metamorphoseon modi XII, bestehend aus Thema mit zwölf Variationen. In diesem Auftragswerk zum 50-jährigen Jubiläum des Boston Symphony Orchestra wollte Resphighi die liturgische Schlichtheit der Gregorianik zu orchestraler Klangfülle ausweiten, was ihm mit gekonnter, abwechslungsreicher Instrumentation gelang. Die zwölf Variationen in allen zwölf Kirchentonarten geben unterschiedlichen Instrumentalsolisten und –gruppen des Orchesters reichlich Gelegenheit, ihr Können zu beweisen. Die in allen Gruppen ausgezeichneten Wuppertaler Sinfoniker zeigen mit gut beherrschter Virtuosität hohes Niveau. Die freundliche, 1925 in Hamburg uraufgeführte Orchestersuite Rossiniana huldigt dem berühmten Komponisten-Vorgänger in vier Sätzen: Nach Capri e Taormina – Barcarola e Siciliana folgen ein längeres Lamento und ein Intermezzo, die zu der abschließenden, flott servierten Tarantella führen. Auch in dieser freundlichen Suite zeigt sich die Qualität des Sinfonieorchesters Wuppertal, für die sicher auch der langjährige Chefdirigent George Hanson mit verantwortlich war. Als Ersteinspielung erklingt außerdem die Burlesca per Orchestra von 1906, mit der sich Respighi allmählich durch impressionistische Anklänge von seinen großen Vorbildern Rimski-Korsakow und Richard Strauss löste. Darüber hinaus enthält die CD die im Auftrag von Arturo Toscanini 1930 entstandene orchestrale Bearbeitung der Passacaglia d-Moll von Johann Sebastian Bach. Insgesamt gibt die gelungene Einspielung Einblicke in das sinfonische Schaffen Respighis mit seiner überaus vielseitigen Instrumentationskunst (MDG 102 2299-6). Gerhard Eckels

Solide Höllenfahrt

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Gerade mal fünf Jahre ist es her, dass zum Jubiläumsjahr 2019 eine Fülle von Aufnahmen der Werke von Héctor Berlioz „ausgegraben“ wurde und erschien. Nun haben das London Philharmonic Orchestra & Choir mit dem Mitschnitt einer Aufführung in der Southbank Centre’s Royal Festival Hall im Februar 2023 eine grundsolide Aufnahme der Oper La damnation de Faust vorgelegt. Das Werk ist bekanntlich eine Mischung aus Chor-Sinfonie, Oratorium und Oper, sodass man auf eine Szenerie getrost verzichten kann.

Schon beim ersten Hören fällt die hohe Qualität des London Philharmonic Choir auf (Einstudierung: Neville Creed). Er löst seine vielfältigen Aufgaben mit perfekter Ausgewogenheit, besonders im Schlusschor sowie in den Herrenchören wie dem Chor der Trinker und den Chören der Soldaten und der Studenten. Im Osterchor zeichnen ihn Jubeltöne aus, während Fausts Traum im 2. Teil gibt es ausgesprochen sanfte Tongebung und gewaltige Wildheit im Choeur de damnés et de demons. Der US-amerikanische Tenor John Irvin lässt als Faust wie selbstverständlich höhensichere, heldische Töne hören, hat aber auch schöne lyrische Passagen vorzuweisen, wie z.B. im 3.Teil in der Arie Merci, doux crépuscule und im großen Solo, bevor es in die Hölle geht. Sehr flexibel führt der englische Bariton Christopher Purves seinen markant charakterisierenden Bariton durch die Partie des Mephistopheles, wobei die Höhen manchmal verengt klingen. Auffällig ist die ruhige, lyrische Stimmführung, wenn er Faust in den Schlaf versetzt, in dem ihm dann Marguerite erscheint, und die glanzvolle Virtuosität der Sérénade. Voll timbriert und durchschlagskräftig ist der Mezzosopran von Karen Cargill; obwohl die Schottin ihre Stimme nicht durchweg abgerundet zu führen weiß, gefällt sie mit Marguerites träumerisch verhalten interpretierten Chanson gothique Le roi de Thulé und der Romance zu Beginn des 4.Teils. Jonathan Lemalu ergänzt sicher als Brander mit bassgrundiertem Timbre seines Baritons.

Das London Philharmonic Orchestre unter seinem souveränen Chefdirigent Edward Gardner zeigt hohes Niveau in allen Gruppen, wenn es die bei Berlioz häufigen Farbwechsel in immer wieder faszinierender Instrumentierung erklingen lässt, wie im effektvollen marche hongroise und in der rasanten Höllenfahrt  (LPO-0128, 2 CDs). Gerhard Eckels

In langer Reihe

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Die mythische Figur der Médée stand im Zentrum der Barocktage 2023 an der Berliner Staatsoper. Nach der Version von Luigi Cherubini gab es ebenfalls die von Marc-Antoin Charpentier (wie berichtet).  Nun erscheint bei ALPHA-CLASSSICS (1020) eine Einspielung dieser Oper:  Médée –  Tragédie en musique von 1693,  auf drei CDs mit vorzüglicher Ausstattung, aufgenommen im März 2023,   eine Koproduktion mit dem Centre de musique baroque de Versailles. Die hochrangig besetzte Einspielung wird geadelt vom Ensemble Le Concert Spirituel unter Hervé Niquet, das wieder einen ganz individuellen Klang hören lässt und hier eine seiner besten Aufnahmen vorlegt – theatralisch, geschärft, aber auch elegant und maßvoll. Mitreißend in ihrem Schwung und der rhythmischen Verve sind die vielen orchestralen Zwischenspiele/Tänze wie Loure, Canaries, Menuet en Rondeau, Passepied, Ritournelle, Fanfare, Sarabande, Passacaille und Chaconne.

Die Oper wird dominiert von der Titelrolle. Nach Jill Feldman bei harmonia mundi 1984 und Lorraine Hunt bei Erato 1995 ist Véronique Gens in unserer Zeit die erste Wahl. Sie übertrifft ihre Vorgängerinnen durch Noblesse, Würde, die dramatische Kraft und den existentiellen Ausnahmezustand im Ausdruck. Auch das übrige Ensemble ist von außerordentlichem Niveau – Cyrille Dubois als Jasón mit Facetten der Falschheit, Schäbigkeit, aber auch Zärtlichkeit, Judith van Wanroij als verletzliche Creusa, Hèléne Carpentier als eindringliche Nérine und Thomas Dolié als markanter Créon mit imposanter Stimmfülle (20. 03. 24). Bernd Hoppe 

Valerie Eickhoff im Gespräch

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Die junge Mezzosopranistin Valerie Eickhoff hätte es sich für ihr CD-Debüt auch einfacher machen können. Doch warum mit schönen Bravourstücken brillieren, wenn es jenseits der Komfortzone auch „brennendere“ Themen gibt. In heutigen kriegstrunkenen Tagen sind die Exil-Texte von Bertolt Brecht und die von Hanns Eisler dazu komponierte Musik für das „Hollywood Songbook“ ein aufwühlendes Statement.

Zusammen mit dem Pianisten Eric Schneider hat sich Valerie Eickhoff diesem Repertoire angenommen, das er während seines amerikanischen Exils verfasste. Hier fand er Zuflucht vor den Nazis und dem Zweiten Weltkrieg, doch auch in den USA war Eisler wegen seiner Kapitalismuskritik nicht gut gelitten. Die Distanz zum weltkriegsgebeutelten Europa mag für den Komponisten fruchtbar gewesen sein, um die Botschaft von Brechts Texten durch die Musik noch eindringlicher zu bündeln.

Das hochmotivierte Duo beweist auf dieser Aufnahme ein tiefes intuitives Verständnis von Texten und der Musik. Valerie Eickhoff mit ihrem Mezzosopran und Eric Schneider als kraftvoll akzentuierender Klavierspieler machen in den insgesamt 48 Einzelstücken dieses CD-Programms hörbar gemeinsame Sache.

Der komplexe Kompositionsstil des Schönberg-Schülers mit seinen kantigen Intervalle und schroffen Tonlagenwechseln, Anflügen von Dodekafonie und Jazz-Elementen ist für die junge Mezzosopranistin Herausforderung genug, welcher sie sich, was hörbar ist, vorbehaltlos annimmt. Flexibel navigiert Valerie Eickhoffs Stimme durch die Registerwechsel und Intervallsprünge, was die Höhen mit expressionistischem Drängen auflädt, während in der Mittellage Momente von eine aufrichtig empfindender Lyrik imemr wieder tief berühren. Auch Eric Schneider hat sich tief in die Sache eingehört, um auf dem Flügel mächtige Klangräume bereitzustellen und der Dramatik genug dynamische Kraft zu geben. Es ist ein Kosmos, in dem neben aller verstörenden Wucht auch viel musikalische Schönheit und menschliche Innigkeit lebt. Eisler wusste bei aller Modernität auch immer, effektvoll und un-akademisch die Töne zu setzen – und nie einen zu viel davon. Immer wieder überraschende Wendungen stehen für das ständig lauernde Doppelbödige, was auch nicht selte ins Bodenlose fallen lässt.

Niemals geriet Hanns Eisler in Versuchung, Brechts lakonische Worte durch Musik zu verwässern oder zu romantisieren. Tief berührende emotionale Momentaufnahmen wie im Stück „Der Sohn“ fächern eine breite Palette von Emotionen auf, die von unschuldiger Liebe bis hin zu Verzweiflung und Bitterkeit reicht. Kindliche Lyrik schwingt in Valerie Eickhoffs Stimme, etwa in der Liebeserklärung „An den kleinen Radioapparat“, aus dem im nächsten Moment wieder das Gebrüll der Kriegspropaganda scheppert. „Auf der Flucht“ suggeriert durch ruhelos pochende Klaviertöne ein auswegloses Drängen. Zwei Inschriften-Tafeln inspirierten expressive Miniaturen über die anonymen Gefallenen im Krieg. „Über den Selbstmord“ beginnt wie eine zärtliche Elegie, bevor das finale Wort, in dreifachem Fortissimo von Stimme und Klavier herausgeschleudert, die Brutalität eines solchen Aktes hervorhebt.

Die Hollywood-Elegien markieren eine kleine Welt für sich im „Hollywood-Songbook“. Hier geht es spürbar metaphorischer zur Sache. Die „Anakreontischen Fragmente“ sorgen für zusätzlichen Reiz dadurch, dass Valerie Eickhoffs Gesang hier auch mal auf englisch und französisch zu erleben ist. Das finale Stück mit dem Titel „Sturmesnacht“ ist anders als alles, was vorher war: Jetzt nimmt die Mezzosopranistin den Druck und die Spannung weitgehend heraus, dass es fast wie ein schlichter Choral anmutet. Brecht wagt hier einen im wortwörtlichen Sinne entwaffnenden Ausblick: Die Menschen werden es vielleicht schaffen, die ganzen Hitlers der Weltgeschichte zu überwinden. Aber sie müssen sich bemühen. Tun sie das?

Eine ironische Randnote im Zusammenhang mit der Aufnahme dieser bedeutenden Musik hätte vielleicht Bertolt Brecht zu einem weiteren Text inspiriert: Valerie Eickhoff und Eric Schneider mussten sich mit der Aufnahme dieses Stücke-Marathons beeilen. Denn das Rosbaud-Studio des SWR, ein musikhistorisch bedeutsamer, akustisch exquisiter und allemal würdiger Ort für so ein Unterfangen, wurde kurz danach abgerissen (Ars152096548;.). Stefan Pieper

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Anlässlich der neuen CD führte Stefan Pieper auch ein Gespräch mit der Sängerin: Diese zeitlose Botschaft lässt mich über die Gegenwart nachdenken“ Die Mezzosopanistin Valerie Eickhoff, im Jahr 1996 in Herdecke geboren und aktuell als Gast an der Düsseldorfer Oper am Rhein engagiert und längst international gefragt, hat sich mit bemerkenswerter Konsequenz auch dem Liedfach angenommen. Jetzt gerade hat sie zusammen mit dem Pianisten Eric Schneider ihre Debut-CD vorgelegt – Hanns Eislers Zyklus „Hollywood-Songbook“ nach Texten von Bertolt Brecht ist in aktueller Zeit ein erschütterndes, pazifistisches Statement. Was sie antreibt und bewegt und wo sie in ihrer jungen Karriere noch alles hin will, erläuterte sie im Gespräch mit Stefan Pieper für opera lounge. Am 28. März gibt es ein CD-Präsentationskonzert im Pianosalon Cristophori. 

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Sie sind gerade erst aus Hongkong zurückgekehrt. Was haben Sie erlebt? In Hongkong debütierte ich in der Rolle der Dryade bei einem Gastspiel der Bayerischen Staatsoper. Es war meine erste Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper. Wir haben „Ariadne auf Naxos“ aufgeführt, es war großartig neben etablierten Größen der Opernwelt, auf der Bühne zu stehen. Kurz zuvor feierte ich mein Konzert Debüt in Italien mit Liedern von Gustav Mahler. Wir haben drei Konzerte in Florenz, Livorno und Pisa unter der Leitung von Emmanuel Tjeknavorian. Die Atmosphäre in Hongkong war einzigartig. Auch die Toskana bot eine wunderschöne Kulisse für die Konzerte – und das Publikum war von den Liedern begeistert.

Wie fühlen Sie sich jetzt, wo Ihre Debüt-CD veröffentlicht ist? Diese Veröffentlichung ist ein aufregender Moment für mich. Ich bin sehr dankbar, dass dieses Album ab sofort erhältlich ist. Es war eine intensive und lohnende Erfahrung, diese Lieder aufzunehmen und ich hoffe, dass sie den Hörern genauso viel Freude bereiten werden, wie sie mir beim Aufnehmen gemacht haben.

Wie kam es dazu, dass Sie sich für das Hollywood-Songbook von Hanns Eisler entschieden haben? Es fühlte sich einfach von Anfang an richtig an. Die Texte und die Themen, die da behandelt werden, könnten aktueller gar nicht sein und berühren mich sehr. So traurig das ist. Es ist wichtig, dass solche Botschaften gehört und verstanden werden, auch wenn sie oft erschütternd sind. Die Musik von Eisler und das Hollywood-Songbook transportieren so etwas auf eine raffinierte Art und Weise. Das ist einfach es wert, entdeckt zu werden.

Wollen Sie bewusst aus einer gewissen Komfortzone raus mit diesem Debut? Ich habe mir gedacht, warum soll ich jetzt eine weitere von ganz vielen Best-of-Mezzo-Sopran-Arien-CDs als Debüt-Aufnahme herausbringen, wenn es so etwas doch schon von so vielen Leuten gibt. Also mache ich doch lieber etwas, was es noch nicht gibt und was auch zeitgeschichtlich gerade sehr relevant ist. Hinzu kommt, dass es meine Erachtens noch keine Komplettaufnahme dieser Werke von einer Frau bislang gegeben hat.

Wo sind Sie dieser Musik zum ersten Mal begegnet und wie ging es dann weiter? Das erste Mal bin ich mit Eisler in Berührung gekommen, als ich für das Robert-Schumann-Fest in Düsseldorf einen Liederabend gestalten sollte. Der Veranstalter schlug vor, einige Lieder aus dem Hollywood-Songbook mit einzubeziehen. Daraufhin habe ich den Pianisten Eric Schneider gefragt, der bereits eine CD mit Eisler-Liedern aufgenommen hatte, und wir haben uns gemeinsam mit dem Repertoire auseinandergesetzt. Obwohl diese Lieder ganz anders als Schubert oder Schumann sind, passten sie gut zu mir und meiner künstlerischen Ausrichtung. Wir haben zunächst einen Teil des Hollywood-Songbooks aufgenommen und dann beschlossen, das gesamte Album einzuspielen. Insgesamt haben wir fünf Tage für die Aufnahmen gebraucht, aufgeteilt in zwei Blöcke. Der erste Block fand im Februar 2023 statt, der zweite im August. Dazwischen war ich im Juni oder Juli nochmal in Berlin, um den zweiten Teil vorzubereiten und dort zu proben.

Was machen die Lieder aus dem Hollywood-Songbook mit Ihnen? Beim ersten Hören denkt man vielleicht nur, dass es schöne Lieder sind. Aber wenn man genauer hinhört, erkennt man, worum es wirklich geht und welche Botschaften transportiert werden. Oft erlebt man dann einen bestürzenden Aha-Moment. Sozusagen als Bonustrack zum Hollywood-Songbook habe ich Eislers Lied „In Sturmesnacht“ hinzugefügt, da es mir wegen seiner klaren Aussage sehr am Herzen liegt: Wenn wir alle zusammenhalten, sind wir stärker als autoritäre Regime wie Hitler oder vielleicht auch in der heutigen Zeit Putin. Diese zeitlose Botschaft berührt mich sehr und lässt mich über die Gegenwart nachdenken.

Können Sie ein paar Herausforderungen beim Singen bestimmter Lieder beschreiben? Ich kann mir vorstellen, Eislers Kompositionsstil ist fürs Singen etwas gewöhnungsbedürftig. Ein Stück, das mir sofort in den Sinn kommt, ist „Später Triumph“. Beim Singen fühlt es sich zunächst unangenehm und sperrig an, aber genau das war wohl die Absicht des Komponisten. Der Text verstärkt dieses Unbehagen. Aber genau darum geht es: Eine eindringliche Bildkraft zu transportieren, die jeder empfindet, der das Stück hört.

Wie sind Sie auf das Label Ars gekommen und wie war die Erfahrung damit? Ich hatte vor circa zwei Jahren Kontakt mit Frau Schumacher vom Label Ars, nach dem ARD-Wettbewerb. Damals hatten wir bereits überlegt, gemeinsam ein Projekt zu realisieren, aber zu dieser Zeit war alles noch recht vage und ich hatte kein klares Ziel vor Augen. Als wir dann mit der Idee für diese Debüt-CD kamen, habe ich Frau Schumacher erneut kontaktiert und sie war sofort begeistert dabei. Ihr Engagement und ihr Interesse an interessantem Repertoire sind wirklich bemerkenswert und ich bin froh, dass wir mit Ars zusammengearbeitet haben.

Wie meistern Sie eine so große Bandbreite zwischen Ihren Opernrollen und einer derart ambitionierten Liedproduktion wie „Hollywood-Songbook“? Es ist für mich eine faszinierende Verschmelzung zweier Welten. Mein Gesangslehrer Konrad Jarnot hat mir immer geraten, auch das Liedrepertoire zu pflegen, und das habe ich beherzigt. Neben meiner Arbeit mit Orchestern und in der Oper ist das Lied für mich eine wichtige Facette meines Gesangs. Es erlaubt mir, meine Stimme auf eine andere Art zu nutzen und verschiedene Nuancen auszudrücken. Etwas erschwerend kommt hinzu, dass im Liedfach der Markt relativ eng ist und es weniger Möglichkeiten gibt. Umso dankbarer bin ich für jede Gelegenheit, die sich auftut. Ein aktuelles Beispiel ist meine Aufführung von Mahlers „Des Knaben Wunderhorn“ in Italien. Solche Projekte sind Balsam für die Seele. Ich liebe auch die Musik von Korngold sehr. Ebenso finde ich Mischformen aus Lied und Arie, wie zum Beispiel Respighis „Tramonto“, finde ich reizvoll. Ich habe dieses circa 15-minütige Werk bereits mit dem Adelphi Streichquartett aufgeführt. Bald folgt eine Version mit einem Streich-Orchester in Zusammenarbeit mit dem Kurpfälzischen Kammerorchester

Sehen Sie in solchen Liedprojekten einen eigenen künstlerischen Freiraum jenseits des Opernbetriebes? Ja, ich sehe in solchen Liedprojekten definitiv einen eigenen künstlerischen Freiraum. Auf der Opernbühne verkörpert man eine Rolle, die oft von Regisseur:innen und Dirigent:innen vorgegeben wird. Im Liedbereich hingegen kann ich selbst entscheiden und meine eigene Interpretation in den Vordergrund stellen. Das ist eine kreative Freiheit, die mir sehr wichtig ist. Natürlich gibt es auch hier einen Duo-Partner, aber letztendlich können wir zusammen eine Interpretation selbst gestalten und ausleben.

Haben Sie bestimmte Bilder im Kopf für Ihre Zukunft als Künstlerin? Ich möchte immer offen für neue Erfahrungen bleiben, denn Neugier ist für das künstlerische Schaffen am wichtigsten. Ich würde gerne an renommierten Opernhäusern wie der La Scala, der Metropolitan Opera in New York und der Wiener Staatsoper auftreten. Auch Konzertorte wie die Carnegie Hall oder die Wigmore Hall stehen auf meiner Liste. Mein Ziel ist es, mit bedeutenden Dirigenten und Dirigentinnen zusammenzuarbeiten und Liederabende in renommierten Konzertsälen zu geben. Seit meinem Engagement in Kopenhagen 2022 habe ich gemerkt, dass mich das Reisen und die Zusammenarbeit mit inspirierenden Menschen glücklich macht. Ich schätze den sozialen Aspekt meines Berufs sehr, da ich ständig neue Menschen kennenlerne und mich dadurch als Künstlerin weiterentwickeln kann. Persönliche Erfahrungen spielen eine entscheidende Rolle beim Erzählen von Geschichten. Es ist schwierig, authentisch und einfühlsam zu sein, wenn man nicht selbst etwas erlebt hat.

Sie haben neben vielen anderen Wettbewerben, ja auch den ARD-Wettbewerb erfolgreich absolviert. Was für Möglichkeiten und Wege hat er Ihnen eröffnet? Ich frage deswegen, weil dieser Wettbewerb ja von massiven finanziellen Einsparplänen bedroht ist. Ja, ich habe kürzlich mit einer Vertreterin des Wettbewerbs gesprochen und erfahren, dass die Zukunft des Wettbewerbs unsicher ist. Vor allem dieser Wettbewerb ist meines Erachtens extrem wichtig für die Sichtbarkeit und Vernetzung junger Musikerinnen und Musiker. Für meine bisherige Entwicklung waren auch noch andere Wettbewerbe von Bedeutung – zum Beispiel „Neue Stimmen“ sowie der Concours musical international de Montréal, Kanada. Dort durfte ich wieder einmal die Erfahrung genießen, in einer schönen Halle mit einem Orchester zu singen. Solche wertvollen Erfahrungen bereichern immer wieder das Leben.

Was steht als nächstes an? Ich stehe vor meinem Rollen Debüt als Angelina in „La Cenerentola“ in Düsseldorf an der Deutschen Oper am Rhein. Direkt danach habe ich ein Konzert in Mannheim mit dem SWR, bei dem wir die Wesendonck-Lieder mit Kammerorchester und „Il Tramonto“ von Respighi aufführen werden. Ganz besonders freue ich mich auf mein CD-Präsentationskonzert am 28. März im Piano-Salon Christophori in Berlin. Das ist eine großartige Gelegenheit, die Lieder live zu präsentieren und mit dem Publikum zu teilen. Ich hoffe, dass viele Freunde und Interessierte dabei sein können. Im Mai gebe ich mein Konzertdebüt in Spanien. Zusammen mit dem Pianisten Hartmut Höll werde ich am 21. Mai einen Liederabend in Barcelona bei Life Victoria geben (alle Photos Valerie Eickhoff).

Endlich

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Der einzige Makel dieser beglückenden Aufnahme oder, um im Bilde zu bleiben, der einzige Schatten, der auf sie fällt, ist der Titel, den man sich bei Erato für die neue Arien-CD von Michael Spyres hat einfallen lassen: In the Shadows, dazu ein grauschwarzes Cover, auf dem Spyres mit starr nach oben gerichtetem Blick wie zur Geisterbeschwörung aufruft (Erato 5054197879821).

Es geht schlichtweg um Komponisten im Schatten Wagners, um „those who formed the foundation of his compositional aesthetic and sculpted the framework of vocal writing that would become the Wagnerian tenor“. Und Spyres selbst spricht im Beiheft richtigerweise von Einflüssen, „Ich entdeckte, dass mein Weg zu Wagner über ein verflochtenes Netzwerk von Einflüssen verläuft, die ihn geprägt haben. Mit wenigen Ausnahmen war das Repertoire, das mich am meisten bewegte und herausforderte, Musik, die den jungen Wagner selbst inspirierte“. Im Schatten Wagners standen zu Lebzeiten weder Méhul noch Weber, weder Auber noch Meyerbeer und schon gar nicht Spontini, Rossini und Bellini, dessen Norma Wagner bekanntlich außerordentlich bewunderte. Manches davon ist heute freilich vergessen.

Umso schöner, dass Spyres und Christophe Rousset das Augenmerk auf die eine oder andere Rarität lenken. Dazu gehört gleich zu Beginn Josephs leidenschaftliche Arie „Vainement Pharaon“ aus Etienne Méhuls gleichnamiger Opéra comique von 1807, in der Spyres die Eingangsphrasen souverän gestaltet und sie nahtlos in den ariosen und leidenschaftlich gesteigerten Teil überführt. Auf diese Weise wirkt die Arie wie eine Vorlage zu Beethovens Florestan, dessen orchestralen Teil Rousset und Les Talens Lyrique ebenso behutsam ausmalen wie Spyres das Rezitativ und schließlich die ekstatischen, leicht gebremsten Aufschwünge „ein Engel Leonore“ und „führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich“. Die verflixt schwere Arie klingt, bei aller flüssigen Aufbau, stellenweise etwas vorsichtig, auch ist die Stimme etwas angedickt und in der Höhe nicht ganz frei. Auf Beethoven folgt, chronologisch korrekt, der Leicester aus Rossinis Elisabetta. Dazu Spyres, „Es war Rossinis musikalische Gestaltung der Rolle des Earl of Leicester in Elisabetta, regina d’Inghilterra (1815) mit der innovativen Verschmelzung von Koloratur und einem dramatischen Tenor als romantischen Protagonisten, – quasi ein Vorläufer des Stimmfachs des jugendlichen Heldentenors – , die den Gesangsstil veränderte und Meyerbeer bei seiner Gestaltung des Adriano in Il crociato in Egitto (1824) tiefgreifend beeinflusste“. Bei Rossini bewegt sich Spyres, der auf der Aufnahme dann auch die großartige, von den tiefsten Tiefen bis zu den höchsten Höhen reichende Szene „Suona funerea“ mit Chor aus Meyerbeers Crociato folgen lässt, auf dem vertrauten Terrain seiner frühen Erfolge.

Michael Spyres zu seinen Aufnahmen von „In the shadows“ bei Warner/youtube

Erstmals gehört hatte ich ihn mit Rossini 2007 in Bad Wildbad als Alberto in La Gazzetta, in der er bereits alle Mitwirkenden an stilistischer Versiertheit übertraf, doch Sensation machte im folgenden Jahr sein Otello, bei dem er neben der baritonalen Grundlage bis zu den sicher platzierten Höhen Klangfülle und Schönheit, vokale Energie und gestalterische Phantasie auf triumphale Weise verband. Sein Rossini-Katalog erweiterte sich in Bad Wildbad noch um Néoclès und den Arnold in Guillaume Tell, stets auf hohem, wenngleich nicht ungetrübten Niveau. Toll ist auf der aktuellen CD die furiose, von Les Talens Lyrique zugespitzte Attacke des Leicester. Die Leichtigkeit der frühen Jahre freilich ist dahin.

Als Webers Max verbindet Spyres sowohl sensible Seelentöne wie dramatische Aufwallungen zu einer bravourösen Gesangsnummer. Eine sichere, feste Höhe demonstriert er als Aubers Masaniello aus La muette de Portici, eine Besonderheit ist – als World-premiere recording in the original German – der Heinrich aus Spontinis preußischer Festtagsoper Agnes von Hohenstaufen; die Arie quält sich allerdings genauso mühsam wie der Text des Hohenstaufen-Chronisten Ernst Raupach „Der Strom wälzt ruhig seine dunklen Wogen“.

„In the shadows“: Dirigent Christophe Rousset/Warner

Welch ein Unterschied dann der mit heroischer Geste und martialischer Wucht draufgängerisch gestemmte Pollione aus Bellinis Norma, in der Julien Henric als Schwertträger Flavio assistiert. Mit einem Ausschnitt aus Hans Heiling weist Spyres nachdrücklich auf die Bedeutung von Marschner hin, dessen Szene des Konrad „Gönne mir ein Wort der Liebe“ geradezu den Erik vorwegnimmt. Spyres singt allerdings den wie eine Fleißarbeit wirkenden Arindal in Wagners Die Feen. Rienzi („Allmächt’ger Vater, blick herab“) und Lohengrin („Mein lieber Schwan“) schließlich erscheinen im Zusammenspiel mit den anderen Arien und Komponisten zwar nicht in neuem Licht, aber doch als konsequente Weiterentwicklung eines Gesangsstils, dessen Verankerung in den innovativen Werken der Übergangszeit vom 18. zu 19. Jahrhundert zu finden ist, was Spyres in der feinen Artikulation, den skrupulösen Steigerungen und den bravourös angelegten Höhepunkten belegt.  Rolf Fath

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Dazu auch die Rezension von Rolf Fath zum ersten Lohengrin von Michael Spyres in Strasbourg in der Rubrik „Die besondere Oper“.

Rares vom Donizetti Festival

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2022 hievte DonizettiOpera, also das Donizetti Festival in Bergamo, ein Werk aus der Versenkung, das seit seiner Uraufführung vor exakt zweihundert Jahren nie wieder gespielt wurde. Das Melodramma semiserio Chiara e Serafina gilt als einer der größten Misserfolge Donizettis, mit dem sich der damals 25jährige im Herbst 1822 jede Chance verbaute, an der Mailänder Scala Fuß zu fassen. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis er im Dezember 1833 mit Lucrezia Borgia die Scala-Schande ausmerzte. Wieder schrieb ihm Felice Romani den Text, dem Donizetti für Chiara e Serafina, o sia Il pirata das französische Melodram La Cisterne (1809) des seinerzeit populären Charles Guilbert de Pixérécourt, des „Corneille der Boulevards“, empfohlen hatte. Das umfangreiche Stück um die auseinander-gerissenen Schwester Chiara und Serafina ist Verwechslungs-, Verkleidungs- und Intrigenstück sowie Schauer- und Rettungsoper, vermischt also alle Moden der Zeit zu einem unterhaltsamen zweieinhalbstündigen Zweiakter, dem allerdings schon bei den ersten vier Aufführungen die Zuschauer der Scala davonliefen. Heute mag man das großherziger sehen. Auf jeden Fall ist es verdienstvoll, dass DonizettiOpera das Werk in seiner den Frühwerken Donizettis gewidmeten Reihe #200 zu retten versuchte. Und heutige Hörter und Zuschauer reagieren möglicherweise großherziger auf die Musik des jungen Donizetti, der den Schablonen und Mustern seiner Zeit durch eine ausgesuchte Instrumentation und aufwendige Ensembles – das erste Finale und das Sestetto am Ende des zweiten Aktes – durch seine Melange aus Melancholie und Zärtlichkeit ein eignes Flair zu geben versuchte.

Regisseur, Ausstatter und Kostümbildner Gianluca Falaschi unternahm jedenfalls alles, um das Publikum von der unbedingten Kraft des Stückes zu überzeugen. Pures Amüsement, ohne Logik, doch nicht ohne Hintersinn. Falaschis szenisches Potpourri holt vom Boulevard- und Unterhaltungstheater, von Revue und Show, Kleinkunst und Varieté des 19. und frühen 20. Jahrhunderts alles auf die Bühne, was Effekt macht und dekoriert diese mit allem, was Thema und Fundus hergeben von der runden Insel samt Palmen, Kreuzfahrtschiff, schaumgekrönten Wellen, weißen Wölkchen vor blauem Himmel bis zur furchterregenden Zisterne und maroden Burg. Bevölkert wird das Schautheater von Tanz-Girls in Glitzer-Petticoats, feschen Matrosen (Coro dell’Accademia Teatro alla Scala) und Menschen, die allesamt ihre roten Bäckchen auf weiß geschminkten Gesichtern, langen Nasen und vorstehenden Kinnpartien Spazierenführen. Das ist nostalgisch ausgebleicht wie ein liebevoll restauriertes Musical.

Das Stück scheint kompliziert. Chiara und ihr fälschlicherweise des Verrats angeklagter Vater Don Alvaro wurden von Piraten verschleppt und auf einer Insel festgesetzt. Serafina verblieb derweil in der Obhut von Don Alvaros Feind Don Fernando, der Serafina heiraten will, um an ihr Vermögen zu kommen. Serafina liebt aber Don Ramiro, den Sohn des Bürgermeisters. Soweit die Vorgeschichte. Nach zehn Jahren gelingt Chiara und ihrem Vater die Flucht. Sie stranden an der Küste Mallorcas, wo sie auf Don Meschina, Lisetta und ihre Mutter Agnes treffen, die so etwas wie das Faktotum des verlassenen Schlosses Belmonte ist. Don Fernando muss rasch handeln und heuert den Piraten Picaro an, der Serafina die Heirat mit ihm schmackhaft machen soll. Schließlich landen alle irgendwann in der Zisterne, die dem ursprünglichen Stück den Titel gab, bevor es zum absehbaren Happy End kommt und durch ein wieder aufgefundenes Dokument sogar die Unschuld des Don Alvaro bewiesen wird.

Ich hätte nicht erwartet, dass die DVD (Dynamic 37987) die bei der Premiere nicht unbedingt mitreißende Aufführung im Teatro Sociale in Bergamos Oberstadt, derart animierend einfangen würde. Das liegt aber vor allem an Sesto Quatrini und seinem Originalklangorchester Gli Originali, die Donizettis Musik und seine ambitionierten Instrumentaldetails so gustös und rhythmisch schwerelos präsentieren, dass der Hörer davongetragen wird. Vor allem in dem swingenden Duett Serafinas mit Don Ramiro „Come più dolce il zeffiro“, dem Porzellanpüppchen und dem Frack tragenden Conférencier, der kleinstimmig zuckersüßen Fan Zhou und dem tenoral durchdringenden Hyun-Seo Davide Park. Die Tanzbein schwingende Operetten-Lust steigert sich noch in Serafinas Szene mit dem Piraten in der schmucken weißen Kapitäns-Uniform „Per vederli o mia figliuola“, wobei Sung-Hwan Damien Park mit höhenstark beweglichem Bariton in der für Antonio Tamburini geschriebenen Paraderolle des Picaro glänzt. Sie alle kommen von der Accademia Teatro alla Scala, wodurch der einstige Misserfolg wieder mit der Stätte der Uraufführung in Berührung kommt, und erhielten von Pietro Spagnoli ihren letzten Schliff. Der erfahrene Buffonist selbst glänzt in der Partie des Don Meschino durch vokale Vis comica. Neben der im ersten Finale durch ihre intensive Gestaltung herausstechenden Greta Doveri als Chiara machen Valentina Pluzhnikova mit ihrem originellen Mezzosopran als groteske Lisetta und die dunkel tönende Mara Gaudenzi als skurrile Agnese großen Effekt.  Rolf Fath

Pure Labsal

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Es  ist nicht er, Andreas Scholl, der Urvater aller deutschen Countertenöre, sondern es ist Jochen Kowalski, aber auf eine mittlerweile jahrzehntelange Karriere in diesem Fach kann der 57jährige mittlerweile auch zurückblicken und legt nun eine CD mit Invocazioni Mariane vorwiegend aus dem neapolitanischen Raum  und dem 18. Jahrhundert vor. Mit dem Sänger, der wie ein Mönch in eine schwarze Kutte gekleidet und zudem noch vor einem düsteren Hintergrund posiert,  scheint das Cover vor allem der schmerzgebeugten Mutter des Gekreuzigten Tribut zu zollen, in Wahrheit aber begegnet dem Hörer auch Maria als Trösterin und Anwältin der Bedrückten. In einem im Booklet nachlesbaren Gespräch legt der Säger auch Wert darauf zu betonen, dass sein Auftritt nicht als Travestie zu verstehen ist, sondern dass er sich in die Rolle der Maria hineinversetzt hat („humanity before gender“). Außerdem richtete er seine Interpretation  danach aus, dass man sich die Stücke auch als Opernarien vorstellen könnte, in denen der Wunsch nach mütterlicher Liebe oder aber der Schmerz der Mutter zum Ausdruck kommt. Zum Ziel gesetzt hat er sich nach eigenem Bekunden auch, seine Kunst nicht wie Kunst wirken zu lassen.

Seit zwanzig Jahren arbeitet Scholl mit der Accademia Bizantina zusammen, die von Ottavio Dantone in Ravenna gegründet wurde und nun von Alessandro Tampieri geleitet wird, der  von der ersten Geige aus dirigiert. Besucher des noblen Festivals von Ravenna, das Riccardo Muti ins Leben gerufen hatte, kennen dieses Orchester und wissen seine Qualitäten zu schätzen. Auch Andreas Scholl arbeitet regelmäßig und seit bereits zwanzig Jahren mit dem Klangkörper zusammen.

Bereits beim Anhören der ersten Tracks, Ausschnitte aus Nicola Porporas Il trionfo della divina giustizia ne‘ tormente e morte di Gesù Cristo, ist man erfreut über Frische, Reinheit und Farbigkeit der Stimme, die ein junges Timbre vermuten lässt. Davor erklingt festlich glänzend die Sinfonia. Eine zarte, pure Klage, die die Stimme als reines Instrument wirken lässt, kann man in „Occhi mesti“ vernehmen, im „Per pietà“ wird das Rezitativ fein ziseliert dargeboten. In schöner, schmerzlicher Klarheit lässt sich Leonardo Vincis Oratorio Maria Dolorata vernehmen, schwerelos schwebend und von reinem, tröstlichem Klang. Im „Tutti sono del materno seno“ faszinieren die Intervallsprünge. Es folgt Pasquale Anfossis Salve Regina als schöner Dialog der Stimme mit den variationsreich eingesetzten Instrumenten. Vivaldis Stabat Mater schließlich ist von wunderschöner Getragenheit. Das Anhören der CD befriedigt den ästhetischen Anspruch und tut darüber hinaus der Seele gut (Naive V 5474). Ingrid Wanja   

Spannende Reiseoper

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Wohl zu allen Zeiten reisefreudig waren, glaubt man der Opernliteratur, die Italienerinnen, auch wenn die Rossinis (von 1813) nicht freiwillig gleich bis nach Algier reiste und die weit weniger bekannte Domenico Cimarosas erst auf der Suche nach dem untreu geglaubten Geliebten bis nach London gelangte. Auch dem Dirigenten und dem Regisseur der Frankfurter Aufführung aus dem Jahre 2021 war das Werk nicht bekannt, Il Matrimonio segreto ein Begriff, dem Dirigenten allerdings auch ein Flötenkonzert des Italieners. Dieser lässt in L’Italiana in Londra (1778) in einem Londoner Hotel fünf Personen, die typisch für das Land ihrer Herkunft sein sollen, aufeinandertreffen (und an Rossinis Viaggio a Reims erinnern): die titelgebende Italienerin aus Genua, deren Landsmann aus Neapel, einen englischen Lord, einen holländischen Geschäftsmann und die Inhaberin der Herberge. Typisch für die Oper vor Rossini ist, dass die Liebhaber der beiden Damen über tiefe Stimmen verfügen, während der offensichtlich Ältere und unbeweibt Bleibende von einem Tenor gesungen wird.

Die Frankfurter Produktion siedelt in dem zweckmäßigen Bühnenbild von Paul Steinberg das Geschehen in einem Hotel der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts an mit noch einer Telefonzelle, einem Tresen und begrenzt von einer drehbaren Rückwand mit geographischem Muster. Die Kostüme (Doey Lüthi) sind teils witzig wie für die Wirtin, teils glamourös wie für die Italienerin, die zum Schluss wie ein aufgeplusterter Flamingo über die Bühne schwebt, und für die Männer die jeweilige Nation vertretend, d.h. der Neapolitaner in Grün-Weiß-Rot, mit Goldkettchen und Brustbehaarung. In seinem Gehabe allerdings gleicht er trotz aller Bemühungen eher einem kanadischen Holzfäller als einem Südländer. Natürlich wird in London viel Tee getrunken, und man hüllt sich auch gern in die damals allerdings noch nicht existierenden Flaggen. Mit immer neuen Einfällen weiß die Regie das Publikum bei der Stange zu halten, Monty Python, Brian Rix oder Linder Sterling scheinen Pate gestanden zu haben, und alle fünf Sänger sind mit sichtbarer und hörbarer Begeisterung dabei.

Auch die hoch amüsante akustische Seite lässt den Streit darüber, ob Cimarosa zweitrangig, weil zu vorhersehbar, sei, als müßig erscheinen, denn der auch am Hammerklavier begleitende Leo Hussain weiß die Erfahrung des Frankfurter Orchesters mit älterer Musik zu nutzen und sorgt für eine frische, durchsichtig erscheinende, temperamentvolle Begleitung. Auch die Rezitative sind unterhaltsam, da durchaus auch den Zuschauer von heute interessierende Themen berührend.

Einen hellen, zarten Sopran, der auch einer Blonde gut anstehen würde, hat Bianca Tognocchi für die liebeskranke Wirtin, die sich schließlich doch den dem Aberglauben verfallenen Neapolitaner sichert. Einen lyrischen, kühlen und höhensicheren Sopran setzt Angela Vallone für die titelgebende Livia ein, ist sehr attraktiv und hat mit „Dunque per un infido la libertà perdei?“ die bemerkenswerteste Szene. Mit präzisem  Charaktertenor und sicherer Höhe gestaltet Theo Lebow den Holländer, Iurii Samoilov ist der zu Unrecht treulos geglaubte Milord mit etwas dumpfem, aber sehr beweglichem Bariton, Gordon Bintner hat die sonorere, prägnantere dunkle Stimme für den Don Polidoro. Alle gemeinsam bilden ein hochkompetentes, sich einander ergänzendes Solistenensemble, das den Zuschauer für mehr als zweieinhalb Stunden bei der Stange halten kann (Naxos NBD0155). Ingrid Wanja   

Deutsch-Polnisch-Italienisches

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Viel weniger bekannt als die drei Tudor-Opern Gaetano Donizettis ist Gioachini Rossinis Elisabetta regina d’Inghilterra, für Neapel komponiert und deshalb von vornherein unter einem schlechten Stern stehend, denn der erträumte Protegé, Napoleons Schwager, Marschall und König von Neapel, Jerome Murat, war gerade vom Thron der beiden Sizilien verjagt worden, und die Bourbonen waren zurückgekehrt. Trotzdem war das Werk durchaus ein Erfolg, irritiert allerdings heutige Hörer dadurch, dass die Sinfonia identisch ist mit der vom Barbiere di Siviglia, zu der sie in ihrer munteren Beschwingtheit weit eher zu passen scheint als zu der mit einem Verzicht auf den geliebten Leicester endenden Oper des Schwans von Pesaro. Die endet nicht so blutig wie Donizettis Maria Stuarda, die den Grafen zwischen zwei Königinnen stehend zeigt, bei Rossini ist er bereits glücklich verheiratet, einer Intrige  des Herzogs von Norfolk ausgesetzt, aber dem Schafott entgehend, weil sich Elisabetta dafür entscheidet, der Liebe zu entsagen und nur noch Landesmutter zu sein. So hat sie zwar am Schluss auch ihre große Szene, aber die ist anders als bei Donizettis Roberto Devereux nicht eine des Verzichts, sondern eine der Selbstbesinnung.

Wirft man einen ersten Blick auf das Cover der bei Naxos erscheinenden CD, denkt man, es handele sich dabei um eine polnische Produktion, denn Orchester und Chor sind die aus Krakau. Auch in der polnischen Stadt wurden Teile der CD aufgenommen, inszeniert wurde aber in Bad Wildbad zu den Rossini-Festspielen im Jahre 2021. Auf westlichen Bühnen bedient man sich noch immer gern aus dem ehemaligen Ostblock stammender Orchester und Chöre, so auch in Martina Franca, deren Mitglieder gern ihr Können an Orten, wo andere Urlaub machen, zur Schau stellen. Die Inszenierung stammte übrigens vom Begründer der Rossini-Festspiele Jörg Schönleber, für deren Authentizität lange Jahre Alberto Zedda und William Matteuzzi garantierten.

Den Genuss der beiden CDs wesentlich erhöhen kann die Lektüre des Booklets, das vom Rossini-Kenner Reto Müller gestaltet wurde und wertvolle Informationen über das Werk liefert. Zwar gibt es kein Libretto im Booklet, aber eine sehr ausführliche Inhaltsangabe auch in deutscher Sprache.

Die anspruchsvolle Partie der Elisabetta ( komponiert für Isabella Colbran) wird  hier nun von  Serena Farnocchia gesungen, die einen sehr jung klingenden, leuchtenden Sopran dafür einsetzen kann, auch in der Höhe meistens angenehm zart, unter Druck auch einmal schrill werdend, insgesamt wünscht man sich, obwohl die Sängerin zunehmend an ihrer Aufgabe zu wachsen scheint, etwas mehr Majestät in der Stimme, obwohl sie sich bemüht, ihr einen intriganten Anstrich zu geben, ehe der Entschluss zum Verzicht gereift ist.  Matilde, die Gattin des umschwärmten Leicester, ist ebenfalls ein Sopran, Veronica Marini, und gestaltet sehr schön die Verzierungen ihrer Partie, empfindsam klingt ihr „Sento un’interna voce“, sie klingt zugleich anmutig und virtuos.

Es gibt nicht vier, wie im Otello, aber immerhin drei Tenöre, die des Intriganten wurde sogar für Manuel Garcia komponiert. Merit Süngü, der eher ein Charaktertenor ist, singt einigermaßen virtuos, aber mit wenig Substanz in der sich manchmal nur mit Mühe gegenüber dem Orchester durchsetzenden Stimme. Leicester ist Patrick Kabongo mit weichem, fein konturiertem Tenor, mit guter Höhe und dem Wissen um die Bedeutung der Rezitative. Die Spitzentöne sind kraftvoll, sein „Sposa amata“ klingt empfindsam, allerdings darf man mit einem Rockwell Blake oder Chris Merrill nicht vergleichen, aber Bad Wildbad war ja nie berühmt für Starauftritte, sondern für die Entdeckung und Förderung junger Talente, was hoch verdienstvoll ist. Eher ein Stichwortgeber ist der Guglielmo von Luis Aguilar, aber er scheint ein schönes Timbre zu besitzen.

Für Italianità im Orchester sorgt Antonino Fogliani, der Chor war wohl nicht  immer optimal für eine Aufnahme platziert, schlägt sich aber  achtbar. Da die wie die Sinfonia aus anderen Opern Rossinis stammenden Tracks aus weniger bekannten Werken stammen, stört der Pasticcio-Charakter der Elisabetta kaum (Naxos 2 CD. 8.660538-9). Ingrid Wanja

A te, Puccini

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In letzter Zeit fast ausschließlich Puccini und von ihm fast ausschließlich Mimi gesungen hat Angela Gheorghiu, die sich im zum Teil selbst gestalteten Booklet zu ihrer Aufnahme von des Luccheser Canzonen noch auf die Eloge der New York Sun beruft, die sie als „the world’s most glamorous and gifted opera star“ bezeichnete, während ein anderes Urteil ihr bescheinigte, „she penetrates the hearts“. Auch mit ihren Auftritten vor gekrönten Häuptern schmückt sich der Sopran aus Rumänien gern, selbst mit denen vor einem, dem eine Krönung nie zuteil wurde wie dem Monarchen aus ihrem Heimatland.

Die CD mit siebzehn Tracks, die 2023 in Lucca aufgenommen wurde und  zum 100. Todestag des Komponisten erscheint,  zeichnet sich durch die weltweit erste Einspiellung von Melanconia aus, deren Text vom Opernlibrettisten Antonio Ghislanzoni stammt, und es gelingt der Sängerin, die Kontraste zwischen den „astri radianti“ und dem „gel eterno“ durch den Wechsel der Stimmfarben wirkungsvoll herauszustellen. Auch dem in ähnlicher Stimmung sich bewegenden Morire? überzeugt eine schöne Nachdenklichkeit, die die Stimme auch einmal wirkungsvoll aufblühen lässt.

Über diese Fähigkeit verfügt Gheorghiu auch bereits beim einleitenden A te des Sechzehnjährigen, allerdings sind auch eine verwaschene Diktion  und Züge von Manierismus unüberhörbar und eine Überfrachtung des Stückleins mit überbordender Agogik. Das von einem Harmonium begleitete Salve Regina wird sehr theatralisch aufgefasst, man bemerkt eine ausgeprägte Effekthascherei und ist verstimmt. Als Storiella bezeichnete der Komponist die Geschichte von einem Paar, das sich über einem Liebesroman der eigenen Liebe bewusst wird. Darin Francesca und Paolo zu erkennen, ist etwas gewagt, da  sie allzu heiter erscheint. Sehr schön einfühlsam erklingt A una morta, in dem die Stimme den Flug der Seele nachzuvollziehen scheint. Mit recht scharfer Extremhöhe, hochdramatisch die Kontraste hervorhebend, wird Mentia l’avviso interpretiert, erstaunlich erscheint, dass Sole e amore auch mit der von Tod und Abschied sprechenden Szene aus dem dritten Akt von La Bohéme vereinbar sind. Wie ein stolzes Bekenntnis klingt Inno a Diana und lässt den Sopran mit seinen Stimmfarben spielen. Dass sie über ein klangvolles Piano verfügt, beweist Gheorghiu mit É l’uccellino, die Melancholie von Terra e mare wie das stolze Sichaufbäumen, von dem Canto d’anime erzählt, werden in den entsprechenden Canzoni hörbar, allerdings auch eine gewisse Schärfe. Schlicht und einfach, wie es sich gehört, interpretiert der Sopran Casa mia, sanft und einschmeichelnd den Sogno d’or und mit frischer Unbekümmertheit ohne chauvinistischen Beiklang den Inno a Roma.

A te, Puccini heisst die als persönliche Gabe an den Komponisten gedachte CD, der sich sicherlich über das Geschenk einer so schönen Frau gefreut hätte.

Keinen erfahreneren und besseren Begleiter als Vincenzo Scalera kann man sich am Klavier vorstellen (SIGCD780: Ingrid Wanja