Aber was für eine Geschichte!

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Zwei seiner Bühnenwerke hat Walter Braunfels nach seiner Übersiedlung an den Bodensee geschrieben. Hitlers Machtübernahme hatte seine Karriere beendet, er verlor sein Amt als Direktor der Kölner Musikhochschule, öffentliche Betätigung war ihm verboten, seine Musik wurde auf den Index gesetzt. In der inneren Emigration in Überlingen entstanden Werke, die keine Aussicht auf eine Aufführung hatten: 1933-37 die Verkündigung nach Paul Claudels L‘ annonce faite à Marie/ Mariä Verkündigung, 1938-42 Jeanne D’Arc. Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna, zu der Braunfels selbst das Libretto nach den Prozessakten verfasste. Die Verkündigung wurde 1948 in Köln uraufgeführt, gelangte aber erst 2012 in Kaiserslautern neuerlich auf die Bühne, Jeanne D’Arc wurde sogar erst 2001 in Stockholm uraufgeführt und 2008 erstmals szenisch an der Deutschen Oper Berlin gegeben. 2013 dann folgte die von Capriccio veröffentlichte Aufführung bei den Salzburger Festspielen (2 CD C 5515), die, wie bereits die Uraufführung in Stockholm sowie die deutsche Erstaufführung im selben Jahr in München, von Manfred Honeck dirigiert wurde, der zusammen mit Juliane Banse, die stets seine Johanna war, aber 2011 unter Ulf Schirmer auch die Violaine der Verkündigung gesungen hatte (BR Klassik 900311), zu den erfahrensten Jeanne D’Arc-Interpreten gehört.

In seinem ausgezeichneten Text, der bereits bei anderen Braunfels-Veröffentlichungen bei Capriccio aufgefallen war, lässt Jens Laurson, der übrigens von einer zarten Braunfels-Renaissance spricht, den Dirigenten deshalb ausführlich zu Wort kommen: „Es ist eine Schande, dass die von den Nazis verbannten Künstler immer noch in der Versenkung weilen. Man muss sich einmal ausmalen, wie die Künstler sich gefühlt haben müssen- die, die überlebt haben – als sie darauf gehofft hatten, nach 1945 wieder aufgeführt zu werden, nach all diesen Jahren der Finsternis, nur um zu bemerken, dass nach ihnen nicht länger verlangt wurde. Wie sich das für Braunfels angefühlt haben muss, nach all den Jahren der inneren Emigration. Was für eine Katastrophe für ihn. Aber was für eine Geschichte! Wobei Braunfels‘ Musik so gut ist, dass ich sie auch aufführen würde, wenn es diese Geschichte nicht gäbe“.

Braunfels bezeichnet seine Oper als „Handlung in 3 Teilen und einem Vorspiel op. 57“ bezeichnet. Die drei Teile sind mit „Berufung“, „Triumph“ und „Leiden“ überschrieben, wobei der erste und dritte Teil jeweils aus drei Szenen, der mittlere nur aus einer bestehen. Die rahmenden Chöre des Volkes, „Herrre, hilf, Herre, hilf“ und „Ein Wunder, Ein Wunder“, verleihen dem Werk einen oratorischen Duktus, der durch die Vielzahl der Figuren und den Reichtum der Handlung aufgebrochen wird, die Braunfels auf faszinierende Weise vergegenwärtigt. Laurson spricht von einer schwelgerischen post-romantischen „Tonsprache irgendwo zwischen Die tote Stadt und Salome.. mit einem Schuss Bartók“. Dabei mit vielen pfitznerisch zähen Rezitativen sicher kantiger, auch archaischer, wohl auch instrumental farbig und auftrumpfend und im ersten Finale geradezu orchestral virtuos.

Die Hörer sowie das ORF Radio-Symphonieorchester Wien brauchen etwas, um sich einzuhören und einzuspielen, bis sie von Honecks souveräner und kenntnisreicher Leitung mitgerissen werden. Ausgezeichnet der Bachchor, Kinder- und Festspielchor. Neben der bekannten Geschichte von der Vision der Johanna, der Befreiung von Orleans, der Krönung des Thronfolgers, dem Inquisitionsprozess und der Hinrichtung malt Braunfels eine Beziehung Johannas zu Gilles de Rais aus; vielfach wurde in ihm die Urgestalt des Blaubart erkannt, und Braunfels nimmt sich dieser Legende gerne an. Gilles de Rais galt als einer der reichsten Grundherren Frankreichs, stieg zum Marschall von Frankreich auf und wurde im Oktober 1440 in Nantes hingerichtet, nachdem er sich dazu bekannte über Jahre hinweg Hunderte von Kindern bestialisch zu Tode gequält zu haben.

Johan Reuter singt den zweifelnden und suchenden Gilles de Rais mit markantem und forschem Bassbariton, interessanter scheint der Dauphin Karl von Valois, der in seinem großen Monolog „Ein neuer Morgen, und immer noch die gleiche Nacht“ Resignation und Selbstzweifel offenbart, ohne dass Pavol Breslik dies trotz seines hübschen Tenors zu echter Charakterisierung nutzt. Unter den vielen kleineren Partien, darunter Tobias Kehrer als Vater Jacobus, Martin Ganter als Ritter Baudricourt und Michael Laurenz als Richter Cauchon fallen Norbert Ernst mit prallem Charaktertenor als Schäfer Colin, Wiebke Lehmkuhl mit gutem Alt als Baudricourts Frau und der tenoral aufleuchtende Bryan Hymel als Heiliger Michael, zu dessen Bio das Beiheft bemerkt, dass er sich mehr auf das Unterrichten konzentriert und 2022 Teil der Fakultät des Westminster Choir College wurde. Juliane Banse zeigt sich am 1. August 2013 in der Felsenreitschule als gereifte Johanna, der vor allem die Szenen der Gequälten und Leidenden vor Gericht und im Gefängnis liegen.  Rolf Fath