Handel mit Händel

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Hätte Barrie Kosky die Inszenierung von Händels „dramatic oratorio“ Saul an der Komischen Oper nicht einem Kollegen überlassen, dann hätte es den auf der Bühne am Harmonium agierenden Komponisten wahrscheinlich nicht gegeben, war er doch bereits, wenn auch nicht sich drehend, sondern in den Wolken thronend, in Harry Kupfers Produktion von Giustino zu sehen gewesen. In Glyndebourne allerdings war er 2015 noch nicht bekannt und konnte neben dem Kerzenmeer zu Beginn des zweiten Teils den mit Abstand heftigsten Beifall einheimsen in einer Aufführung, die auch sonst bemerkenswert durch Opulenz glänzte und mit sorgfältiger, einleuchtender Personenführung überzeugte. Überwältigend ist auch auf der Blu-ray die im ersten Teil quietschbunte, im zweiten düster dunkle Kostümierung von Solisten und Chor vorwiegend in leicht karikierendem Rokoko mit nur schüchtern hin und wieder auftauchender barocker Allongeperücke, die naturalistische Gestaltung abgeschlagener Köpfe, sei es der Goliaths oder der Sauls, sind es die reichlich Milch spendenden Brüste der Hexe von Endor, und allein schon die festlich gedeckte Tafel am Hofe Sauls mit dekorativem Schwan ist einen Applaus wert (Katrin Lea Tag). Wie von ihm gewohnt ist die Führung des Chors durch Kosky phänomenal, und auch die unverzichtbaren Tillerboys (Choreographie Otto Pichler) mit lasziven Bewegungen dürfen am Hof von König Saul nicht fehlen. Es sind ihrer sechs, und sie bieten, vom Kaiser Rotbart bis zum südländischen Beau, alles, was das weibliche oder männliche Auge begehrt.

Dass die ausufernde Optik die Musik nicht erschlägt, dafür sorgt schon einmal Ivor Bolton, der mit dem Orchestra oft he Age of Enlightenment akustischen Glanz, Straffheit und Eleganz zaubert, für barocke Authentizität sorgt und selbst den viel strapazierten Trauermarsch wie frisch komponiert erscheinen lässt.

Erfreulich kompetent sind auch die Sänger, angefangen mit dem der Titelpartie, Christopher Purves, der, optisch eine Art Talleyrand, mit machtvoller Stimme, die auch zu brillanten Koloraturen fähig ist, neben dieser auch den Samuel singt. Frisch und glockenrein singt Iestyn Davies den Sympathieträger David, dessen apathisch wirkende Verstörtheit er auch darstellerisch vermitteln kann. Als irrer Pierrot mit Krallen entspricht Benjamin Hulett optisch wenig dem Abner, weiß aber akustisch nicht nur diesem, sondern auch dem High Priest und zwei weiteren kleinen Partien gerecht zu werden. Einen schönen lyrischen Tenor mit auch guter Mittellage hat Paul Appleby für den unglückseligen, hochsympathischen Jonathan. Die Töchter Sauls sind die zunächst hochnäsige, später Sympathien weckende Merab, für die Lucy Crowe einen eher herben Sopran mit guter Mittel-, aber schwächelnder tiefer Lage einsetzt, in ihrer Arie im zweiten Teil jedoch voll überzeugen kann. Die liebliche Michal ist Sophie Bevan mit klarem, kühlem, instrumental eingesetztem Sopran. Der Chor scheint wie der der Komischen Oper Berlin aus Chorsolisten zu bestehen. Und die Engländer haben halt die angemessenen Stimmen für den Hallenser Komponisten, den sie sich als einen George Frideric Handel zu eigen zu machen suchen (Opus arte 807205D). Ingrid Wanja