Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Mozarts erster Figaro

 

Immer wieder erscheinen Sänger-Recitals mit Arien, welche Komponisten für berühmte Sänger ihrer Zeit geschrieben haben. Vor allem harmonia mundi hat sich darum verdient gemacht und Anthologien für die Sopranistin Francesca Cuzzoni, die Mezzosopranistin Margherita Durastanti und den Bass Domenico Montagnana veröffentlicht. Aber auch hyperíon engagierte sich schon in der Vergangenheit für diese Thematik, legte beispielsweise eine Platte mit Arien vor, die für den Kastraten Guadagni komponiert wurden, und bringt nun eine Sammlung heraus, die an den Bassbariton Francesco Benucci erinnert. Der um 1745 in Livorno geborene Sänger begann seine Karriere 1768 und trat ab 1777 in den führenden Opernzentren Italiens auf. Der Frascanio in Giuseppe Sartis I contrattempi war eine der ersten Partien, die eigens für ihn geschrieben wurden und dessen Arie „Penso, che per morire“ findet sich natürlich auch auf der neuen CD, Arias for Benucci, des englischen Baritons Matthew Rose (CDA68078). Der Sänger imponiert hier im Wechsel zwischen maskuliner Verve und gekonnten femininen Einlagen im Falsett, lässt eine klangvoll-virile Stimme hören, die über ein ausgeprägtes Fundament in der Tiefe verfügt, was ihn befähigt, auch Mozarts Figaro zu interpretieren. Denn Benucci war der erste Interpret dieser Rolle, wie auch der erste Guglielmo in Così fan tutte. So nehmen deren Arien den Hauptteil dieser CD ein – zu hören sind drei des Figaro, zwei des Guglielmo. Rose singt „Se vuol ballare“ mit verhaltenem Grimm, „Aprite un po’ quegli occhi“ mit erregtem Zorn  –  bleibt aber stets im stilistischen Rahmen eine Bassbaritonbuffos. Für „Non più andrai“ nutzt der Interpret das alternative Rezitativ „Ehi, sor paggio!“, trumpft in der Arie gehörig auf und lässt es auch nicht an spöttischem Unterton fehlen. Als Guglielmo verzichtet er nicht auf die Alternativversion von „Non siate ritrosi“ und trägt stattdessen das weit attraktivere „Rivolgete a lui lo sguardo“ vor. Hier überzeugt er mit flexibler Tongebung und humoristischem Ausdruck. Danach gibt es noch die Arie aus dem 2. Akt, „Donne mie“ und das Duett Guglielmo/Dorabella, „Il core vi dono“, in welchem Katherine Watson ihm mit sinnlicher Stimme assistiert.

Auch Ausschnitte aus Mozarts Don Giovanni finden sich im Programm – Leporellos Registerarie in einer sehr pointierten Wiedergabe und das in Aufführungen fast immer gestrichene Duett Leporello/Zerlina, „Per queste tue manine“ aus der Wiener Version von 1788, in welchem Anna Devin entzückend zwitschert.

Das Programm beginnt der Solist effektvoll mit einer Arie des Titelhelden, „Spirti invisibili“, aus Salieris La grotta di Trofonio, die Benucci 1785 in Wien kreierte – eine ombra-Szene, in welcher finstere Geister und Dämonen angerufen werden. Der Bassbariton findet hier zu fahl-düsteren Stimmungen, die sich zu beschwörenden Ausbrüchen steigern. Von diesem Komponisten folgt später noch ein Ausschnitt aus Axur, re d’Ormus, in der Benucci 1788 die Titelrolle sang und sich damit eher auf ernstem Terrain bewegte. „Idol vano“ hat dramatisch erregten Puls, den der Sänger imponierend vermittelt.

Schließlich erklingen aus Martín y Solers 1786 uraufgeführter und damals ungemein populärer Oper Una cosa rara zwei Arien des Tita – „Ah mal aya“ aus dem 2. und „In quegli anni“ aus dem 1. Akt – im buffonesken Stil, wo Rose seinen  eloquenten Vortragsstil hören lässt.

Begleitet wird der Sänger vom Ensemble Arcangelo unter seinem Dirigenten Jonathan Cohen, welches das Programm auch mit einigen Ouvertüren bereichert, darunter die zu Paisiellos Il re Teodoro in Venezia, die 1784 in Wien zur ersten Aufführung gelangte. Sie erklingt Affekt betont und mit dramatischem Impuls.  Später gibt es noch die zum Figaro und Don Giovanni, in welchen sich das Orchester musikantisch und mit beeindruckender Stimmungsmalerei bewährt. Bernd Hoppe

Geistliches von Graziani bis Rossini

 

Bonifazio Graziani (1604/05 – 1664) war von 1646 bis zu seinem Tod am „Seminario Romano“ und der dazugehörigen Kirche „Il Gesù“, der Mutterkirche der Jesuiten, als Kapellmeister tätig. Wie in der Renaissance und auch noch im folgenden Frühbarock vielfach üblich, hatte er zugleich ein geistliches Amt inne. Von ihm sind ausschließlich Vokalwerke überliefert, die in der Regel von einem oder mehreren Gesangssolisten mit Begleitung verschiedener Instrumente in der lateinischen Messe erklangen. Bei Naxos (8.573256) ist eine Auswahl von fünf Motetten sowie den beiden kürzeren Oratorien „Adae Oratorium“ und „Fill Prodigi Oratoriumi“ erschienen. Das 1996 gegründete US-amerikanische Consortium Carissimi, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, dem Publikum die italienische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts nahe zu bringen, musiziert unter der Leitung von Garrick Comeaux  durchsichtig und vor allem mit bestechender Intonationsreinheit. Das gilt durchweg für die fünf Sängerinnen und vier Sänger sowie für die sechs Instrumentalisten dieser instruktiven Aufnahme, so dass es sich verbietet, einzelne hervorzuheben.

 

porpora brilliant classicsRund hundert Jahre später ist die strenge Madrigalkunst den leichteren, manchmal geradezu verspielt wirkenden Stücken eines Nicola Antonio Porpora (1696 – 1768) gewichen, die dieser für den Mädchenchor des Waisenhauses „Ospedale dei Poveri Derelitti“ in Venedig komponiert hat. Eigentlich liegt die Bedeutung Porporas, Händels starker Konkurrent in London, mit seinen 53 Opern mehr im Bereich der italienischen opera seria. Aber er hat sich eben auch der kleineren Form geistlicher Musik zugewandt, der sich der venezianische Coro Femminile Harmònia (Einstudierung: Nicola Ardolino) gemeinsam mit dem Barockensemble I Musicali Affetti unter dem Dirigenten  Michele Peguri angenommen hat (Brilliant Classics 95159). Die im Frühjahr 2014 eingespielte CD gibt schöne Beispiele der ausgefeilten Kompositionskunst Porporas, der zu Lebzeiten als bedeutender  Kenner der menschlichen Stimme galt und deshalb in ganz Europa als Gesangslehrer gefragt war. Der ausgewogene Klang des mit 13 Sängerinnen kleinen Frauenchors passt ebenso wie der klare, äußerst schlanke Sopran von Paola Crema gut dazu.

 

Seit langem setzt sich Franz Hauk, Organist und Chorleiter in Ingolstadt, für die Musik des dort geborenen und seit 1802 in Bergamo wirkenden Simon Mayr (1763-1845) ein. 2013 hat er mit dem von ihm gegründeten Simon-Mayr-Chor und -Ensemble in der Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria Mayrs Requiem aufgenommen; die Einspielung ist bei Naxos (8.573419-20, 2 CD) erschienen. Im mit knapp zwei Stunden Dauer recht umfangreichen „Requiem summum“, dessen Kompositionsgeschichte im Dunkeln liegt (so Franz Hauk in einem sehr instruktiven Artikel im Beiheft), wird die ganz eigene Musiksprache Mayrs anschaulich deutlich. In ihm verschmelzen „vermeintliche Anleihen oder Zitate“ (bei Haydn und seinem Schüler Donizetti) „jeweils kongenial“, indem Mayr „vermittelt zwischen differenzierter ‚deutscher‘ Instrumentierung und italienischer, aus der Oper geborgter Kantabilität, zwischen fugiertem Kirchenstil und ‚romantischen‘ Ausbrüchen“ (wieder Franz Hauk im Beiheft). Auffällig an der gelungenen Aufnahme sind die Klangausgewogenheit des Chors und das durchsichtige Musizieren des Orchesters. Von den neun durchweg jungen, gut anzuhörenden Solisten( z.B. das koloratur- und verzierungsfreudige „Christe eleison“) gefallen besonders die norwegische Konzertsängerin Siri Karoline Thornhill mit blitzsauberem, in allen Lagen abgerundetem Sopran („Ingemisco“), die jeweils klarstimmigen Tenöre Markus Schäfer und Robert Sellier sowie der in „Tuba mirum“ machtvoll auftrumpfende und in „Oro supplex“ weich strömende Bariton von Martin Berner (begleitet von ausgezeichnetem Horn-Solo!).

 

Wohl auch deshalb, weil man kein kostspieliges Orchester braucht, wird Rossinis Petite Messe Solennelle von kleineren Chören gern aufgenommen – und das inzwischen in kaum übersehbarer Zahl. Die New Chamber Singers unter Andrea Cappelleri konnten daran auch nicht vorbeigehen und haben das schöne Alterswerk im April 2013 in der Kirche der Bruderschaft San Vitale in Assisi eingespielt, veröffentlicht bei Brilliant Classics (94459). Der in Rom ansässige Chor, entwickelt recht fülligen Chorklang, was aber auch der halligen Akustik des Aufnahmeorts geschuldet sein dürfte. Als klanglich nicht immer ausgeglichenes Solisten-Quartett gestalten Sandra Pastrana (mit leuchtendem Sopran), Gabriella Sborgi (mit klangprächtigem Mezzo – „Agnus Dei“!), Davide Giusti (mit lyrisch geführtem Tenor) und Carlo Lepore (mit unpassend röhrendem Bass) die Messe solide, alle sicher begleitet von Filippo Farinelli, Sabina Belei (Klaviere) und Riccardo Bonci (Harmonium).

 

Brazilian Adventures hyperionUnd dann gibt es da noch etwas Besonderes, und zwar geistliche Musik aus Brasilien: Unter dem Titel Brazilian Adventures hat hyperion (CDA68114) geistliche Werke aus dem kolonialen Brasilien veröffentlicht. Im Zentrum stehen die Weihnachtsmesse von José Maurício Nunes Garcia (1767-1830) und die Missa a 8 vozes e instrumentos von André da Silva Gomes (1752-1844). Außerdem sind zwischen die einzelnen Teile der beiden Messen „eingestreut“ acht Chor-Miniaturen mit südamerikanisch anmutenden Rhythmen (Anonymous: „Matais de incéndios“) sowie kurze Werke von José Joaquim Emerico Lobo de Mesquita (1746-1805), Theodoro Cyro de Souza (1761-?) und Luís Álvares Pinto (1719-1789).  Durch die Flucht des portugiesischen Hofs vor Napoleon und Verlegung der Hauptstadt nach Rio de Janeiro Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt der mulattische Priester Nunes Garcia Kontakt zur europäischen Musik. Der Autodidakt schuf eine ganze Reihe geistlicher Werke auch größeren Umfangs, wie z.B. das Requiem für die portugiesische Königin Maria I. Silva Gomes. Er kam im Gefolge des Bischofs Dom Manuel da Conceicao 1774 nach Brasilien, wo er bis zu seinem Tod als Kapellmeister an der Kathedrale von Sao Paulo wirkte. Jeffrey Skidmore, Gründer und musikalischer Leiter des englischen Ensembles Ex Cathedra, sieht die CD als Hommage an die brasilianischen Musiker und Musikwissenschaftler an, die er bei seinen Konzertreisen in Brasilien kennenlernen durfte und die ihn mit ihrem Enthusiasmus für ihr musikalisches Erbe angesteckt haben. Das zwölfköpfige, auch in den Soli ausgesprochen schlankstimmige Ensemble musiziert die hierzulande unbekannten Werke gemeinsam mit den ausgezeichneten Instrumentalisten in beeindruckender Klarheit und Transparenz, eine wirklich hörenswerte Einspielung. Gerhard Eckels

Gut gelaunter Untergang

 

Als Fan der Barock-Oper muß man das Heidelberger Theater und sein Programm Winter in Schwetzingen (der dieses Jahr zum 10. Mal stattfindet) einfach mögen: Das reizende kleine Rokokotheater im benachbarten Schwetzingen ist der passende Ort für diese Opern. Heidelberg hat im Rahmen seiner Programmlinie der neapolitanischen Opernschule Raritäten von Alessandro Scarlatti (Marco Attilio Regolo, 2011), Nicola Porpora (Polifemo, 2012), Tommaso Traetta (Ifigenia in Tauride, 2013) und Niccolò Jommelli (Fetonte, 2014) gezeigt. Dieses Jahr folgt nun der Komponist Leonardo Vinci in einer Bearbeitung von Händel. Librettist Pietro Metastasio erschuf mit Didone abbandonata eines seiner beliebtesten Werke, das bemerkenswerterweise ohne lieto fine schließt: Äneas zieht weiter, Karthago wird zerstört, die zurückgelassene Dido stirbt. Über 60 mal wurde das Libretto vertont, zum ersten mal 1724 von Domenico Sarro, gefolgt von Tommaso Albinoni, Nicola Porpora und Vinci, dessen Version bereits im Januar 1726 in Rom uraufgeführt wurde. Händel arrangierte Vincis Oper 1737 als Pasticcio für Aufführungen in London: er behielt die Ouvertüre und eine Sinfonia (in Schwetzingen gestrichen), kürzte und strich Arien und Rezitative, veränderte die Reihenfolge und ergänzte sieben Arien von anderen Komponisten (Vivaldi, Hasse, Geminiano Giacomelli sowie eines Unbekannten).

Vincis "Didone Abbandonata" in Schwetzingen/ Szene/ Foto Annemone Take

Vincis „Didone abbandonata“ in Schwetzingen/ Szene/ Foto Annemone Take

Für die Schwetzinger Inszenierung (die 2016 auch bei den Händel Festspielen in Halle in Bad Lauchstädt aufgeführt wird) wurden weiterhin einige Dacapos, ein Rezitativ und eine Arie gestrichen, die Handlung erscheint aufs Nötigste reduziert. Didone abbandonata benötigt nur noch etwas mehr als zwei Stunden reine Spieldauer. Das Ergebnis kann sich (dennoch oder deshalb – je nach Standpunkt) hören lassen: Karthago geht für den Zuhörer schmissig und gut gelaunt unter. Da die ergänzenden Arien überwiegend Bravourstücke sind, die die Sänger im besten Licht erscheinen lassen sollten, erhält man kaum den Eindruck dramaturgischer Folgerichtigkeit. Viele unpersönliche Gleichnisarien lassen dazu selbst für eine Barockoper ungewöhnlich wenig Charakterisierung zu. Wo man bei der tragischen Wahl Äneas‘ zwischen Pflicht und Liebe und dem verzweifelten Ende Didos große Lamenti und todernste Konflikte erwartet, hört man stattdessen überwiegen rasche und und thematisch zu unbeteilgte Koloraturarien. Die Musik ist also alles andere als unglücksdurchdrungen: die virtuosen Arien erzeugen Freude und gute Laune beim Zuhören. Bemerkenswert abrupt endet Vincis Oper: wer eine große Arie der Dido erwartet (und dabei vielleicht auch Berlioz‘ Trojaner im Ohr hat), wird erneut überrascht: ein emotionaler Ausbruch, die Ankündigung des Untergangs und ihres Tods – und dann fällt der Vorhang unvermittelt.

Diese hörenswerte Arien-Hitparade ist in ein unaufregend inszeniertes Operngewand gekleidet. Zu sehen ist eine Einheitsbühne (Bühne und Kostüme: Hugo Holger Schneider, Margrit Flagner) – ein fast leerer lehmfarben-beiger Innenraum, in dem die Regisseurin Yona Kim die Handlung konventionell arrangiert. Sie erzählt dabei nur sparsam und reduziert, die Figuren werden symbolisch in Beziehung gesetzt: wer singt, drückt meistens gegenüber anderen auf der Bühne anwesenden Personen seine Stimmungen aus, oft fuchtelt man mit Messer und Schwert, um zu drohen oder zeigen, wen man gerne aus dem Weg räumen wollte, aber es passiert fast nichts – der Regie gelingt es nicht, hinter die Fassade blicken zu lassen, Facetten und Brüche aufzudecken. Das schablonenhafte konzipierte Pasticcio bleibt szenisch und psychologisch eindimensional und erzeugt keine Spannung, das Bühnengeschehen stört aber auch kaum beim Zuhören. Im Orchestergraben sitzt kein auf alte Musik spezialisiertes Ensemble, sondern Musiker des Philharmonischen Orchesters Heidelberg. In den vergangenen Jahren war dies immer wieder ein Manko, gerade auch, weil man im benachbarten Karlsruhe die renommierten Händel Festspiele und im Festspielhaus Baden-Baden hochkarätige Ensemble zu hören bekommt. Dieses Jahr gelingt die Aufführung bemerkenswert gut, die 19 Musiker unter der Leitung von Gerd Amelung spielen engagiert, dynamisch flexibel und sind im Klang näher an Originalklang-Gruppierungen gerückt. Und auch sängerisch ist man auf hohem Niveau, vor allem die drei Hauptfiguren sind mit sehr guten Stimmen besetzt, die sich auch an größeren Häusern hören lassen können: Rinnat Moriah als Dido sowie die beiden Countertenöre Kangmin Justin Kim als Aeneas und Terry Wey als Jarba hinterlassen einen ausdrucksstarken und koloratursicheren Eindruck. Ergänzt werden sie in den kleineren Rollen solide durch Elisabeth Auerbach als Selene, Namwon Huh als Araspe und Polina Artsis als Osmida. (Weitere Aufführungen: Di 12.01.2016, Fr 15.01.2016, Do 21.01.2016, Sa 23.01.2016, So 31.01.2016 und Fr 05.02.2016). Marcus Budwitius

 

Vincis "Didone Abbandonata" in Schwetzingen/ Szene/ Foto Annemone Take

Vincis „Didone abbandonata“ in Schwetzingen/ Szene/ Foto Annemone Take

 

Foto oben: Vincis „Didone abbandonata“ in Schwetzingen/ Szene/ Foto Annemone Take

Bewegend: Gauvin & Jaroussky

 

Nicht viele Aufnahmen von Händels Partenope (Uraufführung 1730 in London) finden sich im Katalog ­ – bekannt sind die erste Einspielung von 1978 unter Sigiswald Kuijken mit Krisztina Laki in der Titelrolle, eine spätere unter Christian Curnyn mit Rosemary Joshua sowie eine DVD-Aufzeichnung unter Lars Ulrik Mortensen mit Inger Dam Jensen. Zeit also für eine Neuproduktion, zumal mit Karina Gauvin eine Interpretin der Titelpartie zur Verfügung stand, die für das barocke Fach seit einiger Zeit die erste Wahl bedeutet. Sie adelt dann auch diese Veröffentlichung auf drei CDs bei Erato (0825646090075) mit ihrem noblen Sopran von wunderbarer Leuchtkraft, technischer Perfektion und differenziertem Ausdrucksspektrum. Sie porträtiert die Königin von Neapel, begehrt von drei Liebhabern – Arsace, Armindo und Emilio –, als Charakter zwischen Herrscherin und Frau ungemein eindringlich. Ihr flirrend-sinnliches Timbre verhilft sogleich Partenopes Auftritt mit der Arie „L’amor ed il destin“, deren Worte das Leben der Königin prägnant umreißen, zu starker Wirkung – Koloraturläufe, formuliert mit Energie und Attacke. „Io ti levo“ gegen Ende des ersten Aktes ist dagegen von eher introvertiertem Charakter und stellt das fraulich-reife Timbre der Sopranistin in helles Licht. Im 2. Akt sind die beiden Arien „Care mura“ und „Voglio amare“ kontrastreich – erstere von inniger Lyrik, die zweite mit einem ganzen Füllhorn von Ausschmückungen ein Zeugnis beständiger Liebe und einer der vokalen Höhepunkte der Aufnahme. Dazu gehört später auch „Qual farfalletta“, wo der flatternde Nachtfalter lautmalerisch mit vielen Trillern und anderem Zierwerk illustriert wird und Gauvins Gesangskunst auf den Olymp hebt. „Spera e godi“ im dritten Akt pendelt zwischen Zuneigung (für Armindo) und Abscheu (gegenüber Arsace), lässt auch hysterische Untertöne und veristische Anklänge hören. Ganz von Wohllaut erfüllt ist dann wie der ihre letzte Arie, „Sì, scherza, sì“.

Arsace, Prinz von Korinth, ist mit Philippe Jaroussky der zweite Star der Besetzung. Er singt ihn mit vokaler Reinheit und Schönheit. Sein erstes Solo, „O Eurimene“, ist erfüllt von schmeichelndem Wohllaut, das zweite, „Sento amor“, überrascht mit ungewohnten Farbnuancen. „È figlio il mio timore“ am Ende des ersten Aktes ist ein bewegtes Stück, angereichert mit virtuosen Koloraturen, das die Bravour des Sängers herausstellt. Ihm fällt das Finale des 2. Aktes zu mit der aufgewühlten Arie „Furibondo il mio core“, wo der Interpret zwar mit den Koloraturläufen brilliert, aber im Ausdruck den Charakter dieser Szene nicht ganz trifft. In „Ch’io parta?“ und „Ma quai note“ im 3. Akt zeigt er dann wieder seine Stärke in introvertiert-schwebenden Wiedergaben dieser Arien.

Armindo ist mit der Sopranistin Emöke Baráth besetzt, die die sehnsuchtsvolle Auftrittsarie des Prinzen von Rhodos, „Voglio dire“, mit schwärmerischer Empathie vorträgt, in „Bramo restar“ mit schmerzlicher Wehmut berührt und in „Non chiedo“ ihr berückend-liebliches Timbre hören lassen kann. Emilio, Prinz von Cuma, wird dagegen von einem Tenor wahrgenommen. John Mark Ainsley bringt seine reiche Erfahrung in diesem Repertoire ein, überzeugt mit flüssigen Koloraturläufen und vermag noch immer glaubhaft, eine Liebhaberrolle auszufüllen. Ein Beispiel für seine dramatische Gestaltungskunst ist „Barbaro fato, sì“ im zweiten Akt, das dazu mit vehementen Koloraturgirlanden seine ungebrochene Virtuosität zeigt. Für die in Barockopern üblichen Verwirrungen sorgt Rosmira, Prinzessin von Zypern und frühere Geliebte Arsaces, die in männlicher Verkleidung als Eurimene auftritt. Die Mezzosopranistin Teresa Iervolino bringt einen willkommen dunklen Farbtupfer ein mit interessant androgynem Ton, der auch einem Counter gehören könnte.

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In ihrer ersten Arie, „ Se non ti sai spiegare“, erfreut sie mit kultiviertem Vortrag, in der zweiten, „Un’ altra volta“, mit vehementer Erregung und erweist sich insgesamt als willkommene Bereicherung der barocken Sängerriege. Rosmira fällt die letzte Nummer des ersten Aktes zu, das von Hörnerschall eingeleitete und begleitete „Io seguo sol fiero“ – eine klassische aria da caccia, in welcher Iervolina gebührend auftrumpfen kann. Auch „Furie son dell’alma mia“ im 2. Akt gibt ihr Gelegenheit, Gefühle wie Eifersucht und Zorn mit furioser Attacke zum Ausdruck zu bringen. „Quel volto mi piace“ im 3. Akt bringt dann wieder eine beschwingte Note ein. Luca Tittolo als Ormonte, Hauptmann der Wachen Partenopes, ist die tiefste Stimme im Ensemble und dieser mit bislang unbekannter Sänger gleichfalls eine positive Überraschung mit seinem wunderbar sonoren, flexiblen Bass von sinnlichem Klang. Seine Arie „T’appresta forse Amor“ ist neben der akzentuierten Wortbehandlung auch durch den hintergründigen Unterton ein Glanzstück.

Mit Il Pomo d’Oro ist ein renommiertes Ensemble der Alte-Musik-Szene angetreten, das von Willkommener Zuwachs in der Diskographie geleitet wird. Der Dirigent setzt die schillernde Vielfalt der Musik ins beste Licht, die Musik klingt federnd, delikat und artikuliert. Die Komposition lässt in den instrumentalen Teilen (Ouverture, Sinfonie, Marche) das Orchester zu prächtiger Wirkung kommen mit martialischen Klanggemälden und vehementem Bläsersturm.

Als Anhang bringt die Einspielung ein alternatives Finale für die Wiederaufnahme der Oper im Dezember 1730 mit Senesino, in welchem Arsace die letzte Arie zufällt und der Titelheldin lediglich ein Rezitativ. Jaroussky kann in diesem „Seguaci di Cupido“ noch einmal brillieren. Bernd Hoppe

Gottfried Cervenka

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Mit großer Trauer erfuhren wir vom Tode Gottfried Cervenkas, und mit Dank an die FREUNDE DER MUSIK GAETANO DONIZETTIS in Wien bringen wir den folgenden Nachruf des eminenten Wiener Musikwissenschaftlers und Weggefährten Clemens Höslinger, der im Journal der österreichischen Donizetti-Gesellschaft erscheint. Wir von operalounge.de schließen uns in unserem Bedauern über den Tod dieses so kenntnisreichen und liebenswürdigen Opern-Fachmanns in Betroffenheit an und werden Gottfried Cervenka und seine ebenso unterhaltsamen wie hochinformativen ORF-Sendungen zu historischen Sängern vermissen. G. H.

Ein lieber und liebenswürdiger Freund ist verstorben, viel zu früh verstorben, ein guter, hilfsbereiter Mensch voll Offenheit und Ehrlichkeit. Wie lange wir uns kannten? Dreißig, vierzig Jahre oder noch länger? Gottfried war immer da, wo es Schallplatten gab, schon damals beim legendären („legendär“ – eines von Gottfrieds Lieblingswörtern) Roland Teuchtler, in dessen „Fundgrube“ (Schottengasse 3a) sich Wiens Schallplatten-Enthusiasten zusammenfanden. Die Arrivierten ebenso wie die Novizen. Wie Teuchtler wurde auch er Schallplattenhändler und Sammler von Tonaufnahmen berühmter Sänger von einst und heute. Wobei das „Einst“ bei ihm im Vordergrunde stand. Seine Sammlung von CDs, Schallplatten, Tonbändern, Privataufnahmen wuchs ins Uferlose. Wenn man ihn in seinem Heim besuchte, erst in Wien, zuletzt in Mödling, dann dröhnte das ganze Haus von Opernmusik und Operngesang. Das war sein irdisches Paradies: Opernmusik und die Stimmen von einst, zum Teil auch von jetzt.

 Durch das „Historische Opernkonzert“ kamen wir einander näher. Ich habe Gottfried Cervenka damals an den Österreichischen Rundfunk empfohlen, wir machten durch Jahre abwechselnd die Sendungen. Seit 1996 übernahm Gottfried die Sendung allein und wurde für lange Zeit – exakt bis zu seinem Todestag am 15. Dezember 2015 – der populärste Opern-Moderator im Österreichischen Rundfunk. Die Cervenka-Sendung hatte ihr treues Publikum, sie hatte auch ihr eigenes Profil. Man hörte dort ausgesprochene Raritäten, die er mit unglaublichem Spürsinn da und dort aufgetrieben hatte. Ein wichtiges Element war auch seine Sprechstimme, die er sich fachmännisch schulen ließ und die so angenehm vertraulich klang.

 Gottfried war kein „Kenner“ im akademischen Sinn, er wollte das auch gar nicht sein, auch kein Spezialist für Gesangskunst- und technik, er war durch und durch Amateur, also Liebhaber. Vielleicht war seine Wirkung deshalb so groß, weil jeder in ihm einen Liebenden erkennen musste. Er war wie ein großes Kind, das mit Bewunderung und Staunen an seinen Gesangs-Idolen hing. Seine Texte hielten sich von jeder intellektuellen Affektiertheit frei,  den Gebrauch abstruser Fremdwörter, die Zitate von Modephilosophen und sonstige Klügeleien – das alles  war ihm fern, das überließ er gerne seinen Fachkollegen aus Deutschland. Da das Musikpublikum allerorten in erster Linie aus Normalverbrauchern – und dies im besten Sinn des Wortes – besteht, war er der richtige Dolmetsch für sein klanghistorisches Spezialfach. So war er auch ein Feind von Inszenierungs-Kapriolen auf der Opernbühne, weil er darin eine Verhöhnung seiner geliebten und geheiligten Kunstsphäre sah. In letzter Zeit sah man ihn daher nur selten als Opernbesucher. In gewissem Sinn war er ein Volksbildner, denn was er aus seinem privaten Fundus hervorholte – das ORF-Archiv verwendete er nur selten – hatte großen Informationswert. So war es richtig, dass ihm im Jahr 2008 der Professortitel verliehen wurde. Gottfried bereitete sich stets gründlich auf die Sendungen vor, er besaß eine profunde Handbibliothek, und es ist ihm – im Gegensatz zu anderen Moderationen – fast nie ein Lapsus passiert. Auch für Humor hatte er viel übrig und präsentierte am Faschingsdienstag alljährlich eine Auswahl komischer, auch unfreiwillig komischer Aufnahmen.

Gottfried Cervenka (29. August 1947 – 15. Dezember 2015) war ein Anbeter, ein immerzu Begeisterter, man kannte ihn gar nicht anders als enthusiastisch für diese oder jene Stimme, er war unersättlich, konnte gar nicht genug hören und hörend genießen. Es stimmt zwar, dass Gottfried am 15. Dezember 2015 verstorben ist, doch es wäre ein schöner Gedanke, dass er in ein Belcanto-Jenseits eingegangen ist. In ein Jenseits  voll der herrlichsten Opernmelodien und der prachtvollsten Gesangsstimmen. Clemens Höslinger

Foto oben: so präsentierte sich Gottfried Cervenka seinen Fans auf seiner Facebookseite 

Brunetti und das Teatro La Fenice

 

 Der Vorhang teilte sich langsam in der Mitte, und Flavia Petrelli glitt durch die Öffnung. Sie trug Rot, ein leuchtendes Rot, und ein Diadem, das ihren Sturz in den Fluss unversehrt überstanden hatte. Ihr Blick schweifte über das Publikum, und ein Ausdruck freudiger Verblüffung erhellte ihr Gesicht. Für mich? All dieser Aufruhr für mich? Endlich ist Flavia Petrelli ans Teatro La Fenice zurückgekehrt, wo sie zuletzt 1992 die Violetta gesungen hatte. Diesmal singt sie die Tosca, wie der Kenner unschwer erraten wird. Die Aufführung steht unter keinem guten Stern, wie der Donna Leon-Leser ebenso unschwer erraten wird. Im Venezianischen Finale war sie seinerzeit eine der zahlreichen Verdächtigen, die von Commissario Brunetti befragt wurden, nachdem der Stardirigent vor dem letzten Akt der Traviata tot in seiner Garderobe aufgefunden worden war.

Das Teatro la Fenice/ Palco-Scenico/ Foto Michele Crosera

Das Teatro La Fenice/ Palco-Scenico/ Foto Michele Crosera

Diesmal ist sie die Primadonna und steht im Mittelpunkt von Brunettis Recherchen im neuen Roman „Endlich mein“ der Donna Leon. Bienenfleißig hat Donna Leon seit ihrem Erstling ihren treuen, vor allem deutschen Lesern alljährlich einen neuen Kriminalroman geliefert und sie damit zu intimen Kennern der Lagunenstadt gemacht. Auch am präsentablen Kochbuch hat es zwischenzeitlich nicht gefehlt, damit der Leser, der oftmals mehr Gefallen an Paola Brunettis Kochkünsten fand an als den Spannungsbögen der Autorin, der Commissario-Gattin, die uns ebenso wie die mittlerweile ins Studentenalter gekommen Kinder Chiara und Raffi ans Herz gewachsen sind, in der Küche quasi über die Schulter schauen konnte. In diese Familie wird nun kurzzeitig auch die Petrelli aufgenommen, die Brunetti und Paola wie alte Freunde begrüßt, als sie diese am Ende einer Tosca-Aufführung am Bühneneingang abholen.

donna leon endlich mein diogenesDie Petrelli wurde gefeiert, konnte beim Schlussapplaus über einen Teppich gelber Rosen schreiten, die auf die Bühne herabregneten, und hatte in ihrer Garderobe dutzende Vasen mit ebenfalls großen gelben Rosen vorgefunden. Doch es sind ausgerechnet diese Rosen die ihr Angst machen bzw. die Tatsache, dass ihr keiner erklären konnte, wie sie in die Garderoben kamen. Auch vor der Tür ihres Appartements im Palazzo eines Freundes liegt ein Bouquet von der Größe eines Autoreifens, wo dem niemand weiß, wie es dahin gelangen konnte. Flavia Petrelli fühlt sich bedroht. Ein Fall für einen Freund, wie es Brunetti ist, der zuhören kann. Mit altmeisterlicher Bedächtigkeit, mit Gespür für Stimmungen, Nuancen und Gefühle, für die kleinen Schwankungen des Alltags, entwirft Leon die Gespräche des Kommissarios wie Szenen auf einer Theaterbühne. Manchen mag das altmodisch und langweilig erscheinen, was einige Romane in dieser Reihe zweifellos auch waren. Doch wo findet man einen sympathischeren Kommissar als den Familienmenschen Brunetti, der sich ebenso leidenschaftlich mit der Lektüre antiker Geschichtsschreiber beschäftigt wie die Literaturprofessorin Paola mit Henry James. Thriller schreibt Leon nicht, sie liefert aber eine kluge Gesellschaftsbeschreibung, bei der nicht nur jeder beschrittene Winkel in Venedig stimmt, sondern sie auch vor den wahren Problemen wie Korruption, Vorteilnahme und Vetternwirtschaft, Umwelt- und Fleischskandalen, Asylpolitik, Minderheitenproblemen und Kindesmissbrauch nicht zurückschreckt; und sie besitzt ein feines Gespür für die nicht nur architektonischen Risse der Lagunenstadt.

Bei der Opernliebhaberin Leon stimmen auch alle Beschreibungen vom Treiben hinter der Bühne, sie gewährt Einblicke in den Alltag eines reisenden Stars, der Bewunderung und Verehrung genießt, Nachstellungen ausgesetzt ist – denn um Stalking geht es in Endlich mein (Diogenes Verlag, 307 Seiten, ISBN 978-3-257-80367-9), der einsam und heimatlos ist, und ihre Beschreibung einer Tosca-Aufführung, die Brunetti und sein Assistent zum Schutz der Diva von der Seitenbühne des La Fenice miterleben, dürfte sich bald in jedem Programmheft zur Oper wiederfinden: „Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung“, hörte er plötzlich Vianello neben sich. „Das ist einfach wunderbar!“ „Ein Bekehrter, dachte Brunetti, sagte aber: „Ja, allerdings, oftmals jedenfalls. Wenn sie gut sind, gibt es kaum etwas Besseres.“ „Und wenn nicht?“, fragte Vianello, aber es klang nicht so, als ob er sich das vorstellen konnte. „Gibt es auch kaum etwas Besseres!“, sagte Brunetti.

Das Teatro La Fenice/ Decke/ Foto Michele Crosera

Das Teatro La Fenice/ Decke/ Foto Michele Crosera

Donna Leon ist eine Liebhaberin der Barockoper, was die Beschreibung einer jungen Mezzosopranistin, die sich an Händel versucht, und den folgenden Dialog zwischen Brunetti und Paola erklärt: „Ich würde sie gerne mal in etwas hören, wo die Musik nicht so…“ Brunetti wusste nicht, wie er sich aus diesem Satz noch herauswinden konnte“ „Unseriös ist?“, schlug Paola vor. Diesmal war er es, der kicherte. Rolf Fath

 

Foto oben: Tosca-Szene an der Met 1914, aus dem Victrola Book of Operas, New York ca 1914, Wiki

Tanti affetti

 

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, heißt eine ökonomische Weisheit, und die zwischen zwei Tenören führt zu ungeahnten Höchstleistungen. Hatte der Beginn von Rossinis Donna del Lago an der Met mit den knallbunten Farben, Türkis für den Himmel, Ocker für die Erde, nur Museales in der Optik angedroht, rissen die Leistungen der Sänger und des Dirigenten zunehmend hin, und die Konkurrenzsituation zwischen Juan Diego Flórez und John Osborn, beide glücklos verliebt  in die Titelheldin, führte nicht nur zu bewundernswertem Virtuosentum auf dem vokalen Sektor, sondern auch zu ungewohntem darstellerischem Einsatz besonders bei dem Peruaner, der noch recht gemessen und unter Einsatz von Opernstandardgesten begann, sich aber zu ungeahnter Leidenschaft steigerte und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss.

Eine Art Lucia mit glücklichem Ausgang, garniert mit etwas Ernani, sprich großmütigem königlichem Verzicht, bildet den Inhalt der Rossini-Oper, die sogar nach drei Tenören verlangt, während der Mezzosopran die glückliche Braut heimführt (eigentlich Soprane wie Cecilia Gasdia oder Katia Ricciarelli), hier aber mit Joyce DiDonato besetzt, die sich zunehmend auch geeigneter Sopranpartien bemächtigt. Optisch macht sie das dreifache Umworbensein nachvollziehbar, und auch vokal ist sie eine großartige Interpretin bis hin zum so strahlenden wie innigen Schlusspunkt mit „Tanti affetti“, hat sie mehr Wärme als viele Soprane und trotzdem keine Höhenprobleme für die Partie, namentlich das Finale. Die Besetzung mit einem Mezzosopran ist auch deswegen nicht problematisch, weil Daniela  Barcellona in der Partie des geliebten Malcolm dunklere Farben und mehr Metall in der Stimme hat und sich damit von ihrer Partnerin angemessen abhebt. Die nicht brustig klingende Tiefe und die mühelosen Intervallsprünge zeichnen ihre Leistung besonders aus. Juan Diego Flórez klingt als König Giacomo alias Uberto edler als sein ebenfalls glückloser Rivale, singt sehr dynamisch und die zweite Strophe von „Oh fiamma soave“ zumindest zu Beginn in feinem Piano. John Osborns Tenor in der Rolle des Rodrigo erscheint heller als der des Kollegen, seine Acuti sind bewundernswert sicher und sogar mit Schwelltönen versehen. Der Dritte im Tenorbunde ist Eduardo Valdes mit durchdringendem Charaktertenor als Serano. Dumpf äußert sich Oren Gradus als Vater und abtrünniger Königsanhänger Duglas, hellen Sopranglanz bringt Olga Makarina als Albina in die Produktion ein. Wie die Sängerprotagonisten ist auch Dirigent Michele Mariotti mit Pesaro-Weihen versehen und man hört es dem Orchester an. Das Produktionsteam Paul Curran (Regie) und Kevin Knight (Szene und Kostüme) sorgt dafür, dass „la regia funziona“ und die gesamte Optik nichts verdirbt (Blu-ray Erato 0825646046997). Ingrid Wanja         

Stella Doufexis

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

Die Mezzopranistin Stella Doufexis erlag am 15. Dezember ihrem Krebsleiden. Nicht nur Berliner erinnern sich mit Bewunderung an ihre Auftritte an der Komischen Oper Berlin und an anderen Häusern. Nachstehend ein Nachruf ihrer Münchner Agentur, die sie in ihrem künstlerischen Wirken als Freundin betreut hat. Den Worten schließen wir uns an. Was für ein Verlust! G. H.

Nach langer und schwerer Krankheit ist Stella am 15. Dezember 2015 unerwartet plötzlich gestorben. Wir sind fassungslos und tieftraurig. Stella hatte bis zuletzt die Hoffnung, die Krankheit zu besiegen und ihrer liebsten Beschäftigung, dem Singen, wieder nachgehen zu können. Ihre eigenen Worte waren: „Es gibt immer wieder Wunder und ich werde dieses Wunder sein.“  Wir haben mit ihr gehofft, dass dieses Wunder wirklich wahr wird. Unsere Gedanken und unser ganzes Mitgefühl sind bei Christian Jost und Stellas Familie. Wir im KünstlerSekretariat am Gasteig blicken dankbar auf 15 Jahre inspirierter und fruchtbarer Zusammenarbeit zurück. Mit ihrer hellen lyrischen Mezzostimme hat Stella weltweit das Publikum erfreut, künstlerisch zu Hause fühlte sie sich insbesondere an der Komischen Oper in Berlin, wo sie lange dem Ensemble angehörte. Vor gar nicht langer Zeit spielte sie zwei CDs ein, mit Musik, die ihr besonders am Herzen lag und deren Eigenart und sprachliches Idiom sie wie wenig andere in ihrer Durchlässigkeit zum Klingen bringen konnte: Lieder von Berlioz, Ravel, Chausson und Debussy, die uns nun als ihr künstlerisches Vermächtnis gelten. In ihren Einspielungen und in unseren Herzen wird Stella immer bei uns bleiben und vielleicht von den künstlerischen Sternen auf uns herunterblicken Elisabeth Ehlers, Verena Vetter, Lothar Schacke gemeinsam mit allen unseren Mitarbeitern (KünstlerSekretariat am Gasteig)

Biographie: Die deutsch-griechische Mezzosopranistin Stella Doufexis (15. April 1968 in Frankfurt/M. geboren) war sowohl auf der Opernbühne als auch auf dem Konzertpodium eine der gefragtesten Sängerinnen ihres Fachs. Bei den renommierten deutschen Rundfunk- und Sinfonieorchestern war sie ebenso zu Gast wie u. a. beim BBC Symphony Orchestra, dem Israel Philharmonic Orchestra, Ensemble Intercontemporain, Orchestre de Paris, London Symphony Orchestra und dem Mahler Chamber Orchestra. Dort arbeitete sie mit so namhaften Dirigenten wie Zubin Mehta, Claudio Abbado, Semyon Bychkov, Kent Nagano, Roger Norrington, Christopher Hogwood, Ivor Bolton, Helmuth Rilling, Jukka-Pekka Saraste, Christoph Eschenbach oder Gustavo Dudamel. Eine enge Verbindung bestand außerdem zu den Berliner Philharmonikern.

Mit ihrem breit gefächerten Repertoire vom Barock bis zur Moderne war sie gern gesehener Gast bei diversen Festivals wie z. B. den Salzburger Festspielen, den Festivals von Luzern und Berlin, dem Beethoven Festival Bonn, Wien Modern, Festival Athen, den Londoner Proms, dem Schleswig-Holstein Musik Festival, der Schubertiade Hohenems, dem Aldebourgh Festival, dem Zermatt Festival und dem Jerusalem Chamber Music Festival.

Stella Doufexis gastierte u. a. an der Deutschen Staatsoper Berlin, der Scottish Opera, dem Gran Teatro del Liceu in Barcelona, dem Grand Théâtre de Genève, der Bayerischen Staatsoper München und dem Théâtre de la Monnaie in Brüssel. Die Mezzosopranistin war außerdem der Komischen Oper Berlin eng verbunden und war dort u. a. als Octavian, Cherubino, Niklas, Dorabella, Medea, Hamlet, Xerxes und Carmen zu erleben. Den Octavian sang sie zuletzt in der viel beachteten Rosenkavalier-Neuinszenierung von Christoph Waltz in Antwerpen/Gent und als Mélisande war sie in einer konzertanten Aufführung mit dem Tonkünstlerorchester unter der Leitung von Jun Märkel zu hören.

Stella Doufexis, ausgebildet von Prof. Ingrid Figur und Anna Reynolds und musikalisch stark geprägt durch Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann, war ebenfalls eine renommierte Liedinterpretin und wurde zu Liederabenden in der ganzen Welt eingeladen. Ihr außergewöhnliches und sehr erfolgreiches Rezital Schöne Welt, wo bist Du wurde unter dem Titel Sketches of Greece  als CD veröffentlicht. Ihre CD mit Brahms Liebesliederwalzern wurde mit dem Diapason d’Or ausgezeichnet. Nach der hoch gelobten CD Hamlet Echoes, Lieder von u. a. Loeffler, Liszt, Brahms und Jost wurden zwei CDs mit französischem Repertoire veröffentlicht: eine Orchester-Lieder Aufnahme mit Nuits d‘été von Berlioz, RavelsShéhérazade und dem Poème de l´amour et de la mer von Chausson sowie eine Aufnahme mit Liedern von Debussy, begleitet von Daniel Heide (Poèmes). Letztere wurde in die Bestenliste 02/2013 der Deutschen Schallplattenkritik aufgenommen.  Seit Herbst 2014 hatte die Künstlerin eine Gesangsprofessur an der Musikhochschule in Düsseldorf inne. Sie starb am 15. Dezember 2015 in Berlin. (Quelle KünstlerSekretariat am Gasteig/ Foto oben Monika Rittershaus/ KünstlerSekretariat am Gasteig).

Überwältigendes aus Freiburg

 

Großes Historienkino:  Den Namen Zandonai verknüpfen Opernexperten oft mit einer eher peinlichen Geschichte. Giulio Ricordi, Puccinis Verleger starb 1912, und dessen ebenso ehrgeiziger wie unsympathischer Sohn Tito konnte Puccini nicht ausstehen, er wollte für den Verlag einen Konkurrenten aufbauen, um Puccini zu ärgern. Und so verfasste er kurzerhand selbst einen Operntext nach einem Stück von Gabriele d’Annunzio und verdonnerte Zandonai 1914 dazu, es zu vertonen. Diese Francesca  da Rimini ist also ein verzweifelter Versuch, Puccini etwas entgegenzusetzen. Leider klingt dieser Anti-Puccini dann auch über weite Strecken wie Puccini selbst.

 Immerhin ist bemerkenswert, dass hier ein Stoff gewählt wurde, der eher typisch für die Zeit Donizettis und Bellinis ist – also für den Belcanto. Der Verismo schrieb sich ja auf die Fahnen, eine Oper der kleinen Leute zu sein, gezeigt werden sollten einfache Menschen der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit, keinesfalls Heroen des Mittelalters oder der Antike. Und trotzdem hat fast jeder Verismo-Komponist wenigstens einmal versucht, einen großen Breitwand – Historienschinken auf die Bühne zu bringen. Leoncavallo etwa I Medici, Puccini den Edgar, Mascagni Guglielmo Ratcliff.  Das Problem: Diese Opern waren selten erfolgreich und nie Kassenschlager. Tito Ricordi wollte hier Nägeln mit Köpfen machen und den Bann brechen. Endlich opulentes Historienkino in der Oper!  

Der Stoff der Francesca da Rimini wurde von d’Annunzio dramatisiert und stammt von Dante höchstselbst. Erzählt wird eine blutige Liebesgeschichte, eine Art ins Tragische gewendete Variante des Rosenkavaliers. Francesca soll verheiratet werden mit einem ziemlich widerlichen Typen, dafür sieht aber der Bote des Freiers umso besser aus. Leider verliebt sie sich in ihn. In dieser Version werden dann später beide vom Ehemann erstochen, wie sich das für eine anständige aufgeregte Verismo-Oper gehört.

Aparte Orchestrierung: In den entsprechenden Quellen zu Zandonais Francesca liest man immer, wie unglaublich apart und impressionistisch seine Orchestrierung sei, und dass er hier wirkliches Genie zeige – ich finde das etwas übertrieben. Das klingt so, als wäre den anderen Meister der Zunft nichts Ebenbürtiges eingefallen. Solche Experimente lassen sich auch anderswo finden, bei Respighi etwa. Und auch in Puccinis Madama Butterfly gibt’s sehr aparte Einfälle, die mit dem Impressionismus kokettieren. Immerhin:  Zandonai hat hier eine neue Spielart etabliert, er erfindet ein virtuelles Mittelalter mit einem Facettenreichtum, den ähnliche Werke wie Leoncavallos Medici nicht aufbieten. Er verknüpft etwa alte Instrumente mit Neuer Musik. Das Atmosphärische vieler Szenen der Francesca ist wirklich betörend und tröstet über den zuweilen etwas ledernen Parlando-Stil der schwächeren Szenen hinweg, der dem Hörer der Oper (gerade in den ersten 30 Minuten) einige Fleißarbeit abverlangt.

Überraschung aus Freiburg: Das Werk war vor allem in Italien nie vergessen – die gängigen Aufnahmen sind fast durch die Bank alte Livemitschnitte (nicht zu vergessen die Aufnahmen mit der ganz jungen, unvergleichlichen Gencer, der robusten Caniglia und natürlich der melodramatischen Olivero, aber auch die im ganzen betörende Aufnahme mit Kabaivanska und Domingo unter Eve Queler aus New York; in jüngster Zeit gab es das in Paris mit Alagna und Vassileva, beide zu Recht bejubelt. G. H.).  Die konzertante Freiburger Aufführung vom 17. Juli 2013, nun bei cpo,  war zunächst eine Live-Angelegenheit, eine Produktion des Theaters Freiburg, doch wie oft beim Label cpo ist man vermutlich noch einmal ins Studio gegangen – kein Gehuste stört den Hörgenuss. Und ein Genuss ist der!

Diese Francesca hat mich wirklich umgehauen.  Man erwartet eben nicht unbedingt perfekt gesungenen Verismo aus Freiburg. Und doch bekommt man genau das.  Allen voran ist Christina Vasileva als Francesca eine absolute Wucht. Ich kannte sie vorher nicht, jetzt steht ihr Name bei mir auf einer Merkliste – ein kehliger, kräftiger, dunkel getönter Sopran, der ein bisschen an die ganz junge Daniela Dessi erinnert, einfach wie gemacht für diese Sorte Oper. Tenor Martin Mühle als Paolo wandelt ein wenig auf den Spuren Mario del Monacos, aber daran ist nichts falsch, wenn man wirklich so souverän und leidenschaftlich wandelt wie er. Und auch die restlichen Sänger klingen wirklich beeindruckend. Und auch die übrigen sind hervorragend.

Fabrice Bollon hat seine Freiburger Philharmoniker für diese Aufnahme komplett italianisiert und arbeitet die originellen Seiten der Partitur wunderbar heraus. Eine exzellente und glutvolle Umsetzung eines nicht immer überzeugenden, aber über weite Strecken packenden Werks der Moderne (2 CD, cpo 777960-2). Matthias Käther

Politische Barockmusik

 

Kantaten und Oratorien hatten im Barock oft auch einen konkreten politischen Zweck, zwei CDs eher unbekannter Komponisten zeigen Auftragswerke mit dieser Funktion jenseits von Repräsentation und Jubel. Es handelt sich dabei um qualitativ gute Gebrauchsmusik, kurzweilig zu hören und ein Beleg für die handwerkliche Güte, die man in der barocken Breite entdecken kann. Giovanni Paolo Colonna (1637-1695) verbrachte sein Leben größtenteils in seiner Heimatstadt Bologna und trat dort erst als Organist, Kapellmeister, Musiklehrer und Komponist in Erscheinung sowie als Mitbegründer und Leiter der Accademia dei Filarmonici. Unter seinen Schülern waren die Opernkomponisten Francesco Gasparini und Giovanni Battista Bononcini (in dessen Oper Astianatte es am King’s Theatre in London 1727 zur handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen den Händel’schen Opernstars Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni kam). Colonna komponierte auch Opern, allerdings nur fünf, vor allem aber viel Kirchenmusik, darunter mindestens 13 Oratorien, von denen nur sechs erhalten sind. L’Assalone ist aus dem Jahr 1684 und handelt von einen politisch-familiären Thema: Assalone (Absalom) war einer der jüngeren Söhne des biblischen Königs David und versuchte, seinen Vater vom Thron zu stürzen, weil dieser ein Unrecht nicht hart genug bestraft hatte. Der Versuch scheiterte und endete für Absalom fatal. Die ganze Geschichte findet sich im 2. Buch Samuel. Aufgeführt wurde dieses Oratorium (und andere von Colonna) erstmals in Modena, für den musikliebenden Herzog Franceso II. aus dem Adelsgeschlecht der d’Este, der anscheinend in Hassliebe mit seiner Mutter verbunden war, die selber gerne regiert hätte – eine Geschichte, die der David-Absalom Beziehung fern ähnelte und am 10. Jahrestag der Machtübernahme des Herzogs als barockes Oxymoron gespielt wurde. Das Oratorium hatte hier eine politisch mahnende Funktion. Das 63-minütige Werk ist mit fünf Stimmen und sieben

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Musikern (Trompete, Streicher und Continuo) besetzt und besteht aus 16 Rezitativen, 14 Arien, drei Chorsätzen, einem Duett und einer Sinfonia. Colonnas Musik ist unterhaltsam durch kurze Einzelstücke und abwechslungsreiche Strukturen und von guter Qualität, wie so viele Entdeckungen aus dieser Epoche. Sängerisch bietet man ein homogenes Ensemble auf, vor allem der Bassist Mauro Borgioni sticht als Davide mit kultivierter Stimme hervor. Daneben sind Sopranistin Laura Antonaz als Assalonne sowie Elena Biscuola (Achitofele/Ioabbe), Alberto Allegrezza (Consigliere) und Elena Bertuzzi (Testo) zu hören. Dirigentin Maria Luisa Baldassari leitet vom Cembalo das kleine Ensemble Les Nations und erzielt einen animierten Klang. (1 CD, Tactus, TC 630302)

La Gloria, Roma e Valore Lulier fra bernardoDie Kantate La Gloria, Roma e Valore, uraufgeführt 1700 in Rom, stammt von Giovanni Lorenzo Lulier (1662-1700). Der Römer, Musiker und Komponist Lullier wurde gefördert vom aus Venedig stammenden Kardinal Ottoboni, der wohl auch dieses Werk in Auftrag gegeben hatte und ein berühmter Mäzen war. In seiner Hauskapelle musizierten Größen wie Corelli und die Scarlattis, Alessandro Scarlatti vertonte mindestens sechs Libretti des Kardinals. Es handelt sich bei dieser Erstaufnahme um ein feierliches Werk zur Huldigung des neuen venezianischen Botschafters in Rom. Drei allegorische Figuren: der Ruhm, Rom und die Größe und Macht der päpstlichen Stadt verherrlichen berühmte Venezianer in Rom, der römische Wolf beugt sich ehrerbietend vor dem venezianischen Löwen – eine Machtfantasie, um einen scheinbaren Zusammenhalt der Venezianer zu demonstrieren. Doch tatsächlich war Ottoboni bei den wichtigen Entscheidungen autonom und ohne Rücksichtnahme auf die Anliegen der Republik Venedig. Es handelt sich um ein Gelegenheitswerk, das durch Zufall den Lauf der Zeiten überstand. Das Manuskript der Partitur fand sich in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek und war früher im Besitz des Musikwissenschaftlers Friedrich Chrysander. Die Kantate besteht aus 31 Stücken, eine zweisätzige Sinfonia von Arcangelo Corelli zu Beginn (und zwar aus seinem Concerto grosso opVI/7; wieso sie verwendet wird, erklärt das knappe Beiheft nicht), 15 Rezitative, 13 Arien und ein Duett reichen für 59 Minuten Musik. Auch hier gibt es eine schnelle und flüssige Abfolge, kurzweilige Barockmusik ohne Auffälligkeiten, überzeugend musiziert von den dreizehn Musikern (Continuo, Streicher und eine Flöte) I Musicali Affetti unter der Leitung des Barockgeigers Fabio Missaggia, der auch sein Instrument virtuos in Szene setzt. Die zwei Soprane Chiara Balasso und Lia Serafini sowie Contertenor Matteo Pigato singen engagiert, ohne hervorzustechen. (1 CD, fra bernardo, fb1505643). Marcus Budwitius

Mattiwilda Dobbs

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

Die farbige amerikanische Koloratursopranistin Mattiwilda Dobbs (* 11. Juli 1925 in Atlanta, Georgia) starb am 8. Dezember 2015. Sie erhielt bereits als Kind Musikunterricht, spielte ab sieben Jahren Klavier und sang im Chor bei Kirchenkonzerten. Dobbs besuchte das Spelman College und studierte zunächst Gesang in ihrer Heimatstadt Atlanta. Sie setzte danach ihre Ausbildung von 1946 bis 1950 bei Lotte Lehmann in New York und anschließend von 1950 bis 1952 bei Pierre Bernac in Paris fort. 1947 erhielt sie den Marian Anderson Award für junge, farbige Sänger. 1947 begann sie ihre Gesangskarriere, zunächst ausschließlich als Konzertsängerin, mit einem Konzert in Mexiko-Stadt. 1951 gewann sie den Internationalen Gesangswettbewerb in Genf. 1952 erfolgte ihr Bühnendebüt beim Holland Musik Festival in der Oper Le Rossignol von Igor Strawinsky. 1953 gastierte sie an der Mailänder Scala als Elvira in der Oper L’Italiana in Algeri von Gioachino Rossini.[4] Von 1954 bis 1956 sang sie beim Glyndebourne Festival, unter anderem 1954 die Zerbinetta in Ariadne auf Naxos und 1956 die Konstanze. Im Oktober 1953 debütierte sie an der Covent Garden Opera in London als Waldvogel in Richard Wagners Siegfried. Im Januar 1954 sang sie dort die Olympia in Hoffmanns Erzählungen. Im Mai 1954 gastierte sie mit großem Erfolg in der Oper Der goldene Hahn von Nikolai Rimski-Korsakow. Weitere Gastspiele erfolgten dort in der Saison 1955/1956 und 1959.

Mattiwilda Dpnns als Olympia/ Foto georgiaencyclopedia.org

Mattiwilda Dobbs als Olympia/ Foto georgiaencyclopedia.org

Nachdem Marian Anderson als erste Farbige 1955 einmalig an der Metropolitan Opera in New York aufgetreten war, wurde Mattiwilda Dobbs die erste afro-amerikanische Sängerin, die regelmäßig an diesem Haus auftrat. Dobbs war von 1956 bis 1964 festes Ensemblemitglied an der Metropolitan Opera. Sie debütierte 1956 dort als Gilda in Giuseppe Verdis Oper Rigoletto. 1959 hatte sie dort großen Erfolg als Olympia. Weitere Rollen waren Konstanze, der Page Oscar in Un ballo in maschera, die Zerlina in Don Giovanni und die Titelpartie in Lucia di Lammermoor.

Von 1961 bis 1963 war sie Mitglied der Hamburgischen Staatsoper. Dort debütierte sie Ostern 1961 ebenfalls als Olympia. Im Mai 1963 gastierte sie an der Wiener Staatsoper als Zerbinetta. Sie gastierte außerdem am Bolschoi-Theater in Moskau (1959), an der San Francisco Opera (1955), am Théâtre de la Monnaie in Brüssel (1954), am Teatro Comunale in Florenz (1961) und von 1957 bis 1973 regelmäßig an der Königlichen Oper Stockholm und bei den Festspielen von Drottningholm (daher auch der berühmte Rosenkavalier mit Schwarzkopf und Söderström unter Varviso, 1966). 1974 zog sie sich von der Opernbühne zurück.

Als Gesangslehrerin wirkte sie, zunächst als Gastprofessorin, 1972 bis 1974 an der Texas University in Austin, von 1975 bis 1976 an der University of Illinois, 1976 bis 1977 an der University of Georgia und von 1977 bis 1991 an der Howard University in Washington.

Dobbs war zweimal verheiratet. Ihr erster Ehemann Luis Rodriguez starb 1954. 1957 heiratete sie in New York den schwedischen Journalisten, Drehbuchautor und Schauspieler Bengt Janzon und zog mit ihm nach Schweden, wo sie bis 1973 lebte. An ihrem Koloratursopran, der auf einigen Aufnahmen festgehalten ist, bewunderte man die brillante Technik und den ausdrucksvollen Vortrag. (Quelle Wikipedia)

 

Mattiwilda Dobbs TestamentMattiwilda Dobbs ist auf Dokumenten der 50er und 60er vertreten, wo ihre kindlich-keusch klingende Sopranstimme gut herüber kommt. Viele Aufnahmen wurde für kleinere Labels wie MMS oder Vanguard, Oceanic, Nixa etc gemacht. So auf den Pêcheurs de Perles unter Leibowitz 1951 bei ehemals Oceanic/ Everest u. a., La Jolie fille de Perth 1956 live unter Beecham bei EJS, Zaide/ Leibowitz 1952 Oceanic u. a.,  oder auf den Contes d´Hoffmann 1958 unter Le Conte mit Simoneau und Rehfuss bei MMS/ Epic u. a. sowie Un Ballo in Maschera 1951 unter Leibowitz mit Ethel Semser und Jean Borthayre bei Renaissance/ MMS u. a.; bei Testament ist eine CD mit Liedern und Arien von ihr herausgekommen, und zwei   frühe Solo-LPs kursieren unter Sammlern. G. H.

„Farewell Joan“

 

Allein schon die grasgrüne glitzernde Tüllwolke, in der Dame Joan Sutherland auf das Fest des Prinzen Orlofsky auf der Bühne von Covent Garden schwebt, ist eine Sensation, die allerdings nicht auch darin besteht, dass La Stupenda Adele oder Rosalinde singt, so wenig wie die sie begleitenden Marilyn Horne und Luciano Pavarotti zum Cast von Strauß‘ Fledermaus gehören, sondern special guests sind, die den Abschied der Australierin von der Bühne feiern, während Sutherlandgatte Richard Bonynge auch bei diesem letzten Auftritt seiner Frau das Orchester leitet. Irritationen auslösen könnte allerdings das Cover, das Sopran und Tenor singend zeigt und das tun sie im zweiten Akt, in der Pavarotti seine langjährige Partnerin und in gewisse Weise auch Entdeckerin mit dem Lamento des Federico, die Adalgisa der Norma Sutherland sie mit der Arie der Dalila ehrt. Auch gemeinsam treten Sopran und Tenor mit „Parigi, o cara“ und Sopran und Mezzo mit Rossinis „Serbami ognor si fido“ auf. Schließlich singt La Sutherland das ganz schlichte „Home, sweet home“ ganz schlicht und sehr anrührend. Primaballerina Viviana Durante und Primoballerino Stuart Cassidy ehren die Sängerin mit dem Frühlingsstimmenwalzer (Choreographie Frederick Ashton). Nach der Vorstellung erscheinen die drei Starsänger noch einmal auf der Bühne, Leuchtbuchstaben wünschen ein „Farewell Joan“, und Unmengen von Luftballons, Luftschlangen und Konfetti regnen auf Bühne, Orchestergraben und Zuschauer nieder, denn es gibt nicht nur einen Abschied, sondern auch Silvester, den des Jahres 1990, zu begehen. .

joan sutherland arthausMan kann aber auch eine ganz normale Fledermaus  sehen und hören, das heißt allerdings anormal insofern, dass ein ungemein prächtiges, bis ins letzte Detail historisch getreues Bühnenbild von  Julia Trevelyan Oman zu bestaunen ist, so prachtvoll, dass man den Ballsaal zum Schluss der Oper noch einmal das Gefängnis ablösen lässt, und die Kostüme stehen dem Bühnenbild in nichts nach.

Weniger sensationell ist die Besetzung, vor allem kann sich der Frosch von John Sessions, der aktuelle Ereignisse des Jahres 1990 auf die Schippe nimmt, nicht mit den Wiener Fröschen aufnehmen, stolziert stocksteif an der Rampe entlang, und von Slibowitz keine Spur. Der beste Sänger ist mit dem balsamischen Bariton von Anthony Michaels-Moore der Dr. Falke, und auch Altus Jochen Kowalski als Orlofsky ist mit schöntimbrierter, geschmeidiger Stimme ein Gewinn, bleibt jedoch seiner Rolle etwas die Zwielichtigkeit des Charakters schuldig. Bonaventura Bottone hat für den pseudoitalienischen Tenor weder Stimmschmelz noch optische Attraktivität.  Louis Otey hat Letzteres, aber einen recht steifen Tenor für den Doktor Eisenstein. Eric Garrett ist ein angemessen komischer Frank. Nicht mehr und nicht weniger als in jeder Hinsicht solide, und das ist etwas wenig, zeigt sich Judith Howarth als Adele, während Nancy Gustafson unangefochten Rosalindes Csárdás singt. London calling, eben nur.

Einen vierten Akt gibt es ausnahmsweise mit „A Farewell to Joan Sutherland“ mit der Polka Donner und Blitz, einer Ansprache des damaligen Intendanten Jeremy Isaaks und den Dankesworten der Diva – dann erklingt noch einmal die Ouvertüre, und es war auch für den Betrachter vor dem Fernsehschirm ein schöner Abend. Als Bonus sind der Blu-ray Disc drei Aufnahmen aus dem Konzert in Sidney hinzugefügt (Trovatore-Leonora, Lucia und Norma mit ihren Arien/ Blu-ray Arthaus 109162). Ingrid Wanja      

Michelangelo auf Russisch

 

Bereits russische geistliche und Volkslieder, außerdem Lieder von Tschaikowski, Rachmaninov, Mussorgsky und Taneyev hat der russische Bariton Dmitri Hvorostovsky bei Ondine eingespielt, die vom Flügel begleiteten Aufnahmen sämtlich mit Ivari Ilja am Piano. Auf seiner neuesten CD widmet er sich Werken von Shostakovich und Liszt, wobei letzterer lediglich mit den drei bekannten Kompositionen auf Sonette von Petrarca vertreten ist, während die Lieder des russischen Komponisten weniger bekannt sind. Sie wurden auf von ins Russische übersetzte ebenfalls Sonette von Michelangelo geschrieben, im Booklet befinden sich zudem englische Übersetzungen sowohl aus dem Russischen wie für Liszt aus dem Italienischen.

Für Istina (Wahrheit) legt der Sänger viel Bitterkeit in die Stimme, wandelt sie, eine etwas ins Graue spielende Farbe wählend, in der letzten Strophe in Resignation umschlagend und sich eine schöne Fermate am Schluss gestattend. Bereits hier fällt auf, wie sparsam die Klavierbegleitung ist, man meint oft, sie sei mit einem Finger zu bewältigen. Für Utro (Morgen) erwartet der Hörer wohl Strahlendes, aber auch hier bleibt die melancholische Grundstimmung erhalten, die der Bariton mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit des Singens ausstattet. Dynamisch gestaltet ist Ljubov (Liebe), wo auch die Begleitung einen lebhafteren Ton anschlägt. Schöne Klagelaute hat die Stimme für Razluka (Trennung) besonders für „serdtse“ (Herz) und „smerts“ (Tod); für Gnev  übernimmt das Klavier das Schmiedehämmern, während die Stimme metallischer klingt als zuvor.

Die beiden danach folgenden Lieder sind Dante (der allerdings nur im russischen Text erscheint) gewidmet und seinem traurigen Leben im Exil. Hier nimmt der Bariton einen angemessen feierlichen Ton an. In Tvorchestvo (Kreativität) scheint Michelangelo der eigenen Bildhauertätigkeit zu huldigen, was mit männlicher Entschlossenheit markant geäußert wird, während es in Notsch (Nacht) um ein Gespräch zwischen dem Künstler und seinem Auftraggeber Strozzi geht, das der Skulptur Die Nacht gilt und das der Sänger mit zwei leicht unterschiedlichen Stimmen vernehmen lässt. Ein Gebet ist Smerts (Tod), das tief, aber nicht zu tief für die Stimme liegt, in der letzten Strophe viel Bitterkeit durchschimmern lässt. Davon sticht Bessmertie (Unsterblichkeit) mit dem munteren, melodienseligen Klavier erheblich ab, das sich geradezu lustig zu machen scheint über all das vorherige Pathos, das es  aber ganz zum Schluss selbst wieder ertönen lässt.

In anderer Reihenfolge, als im Booklet vermerkt, erklingen die Sonette nach Texten von Petrarca, die Hvorostovsky angemessen opernhaft singt mit ausuferndem „stare i fiumi“ im Io vidi und  wo das Klavier sich zu einem feinen Verklingen entschließt. Eher auf Expressivität bedacht als auf einen balsamischen Klang ist der Sänger in Benedetto sia il giorno, die „lagrime“ erhalten einen beinahe ironischen Beiklang, insgesamt wird man etwas an Verdi-Gesang erinnert. Ein machtvolles Aufbrausen zeichnet den „abbraccio“ in Pace non trovo aus, bei einer gleichzeitigen Steigerung werden die Gegensätze angemessen zum Ausdruck gebracht (Ondine ODE 1277-2). Ingrid Wanja

Zerbrechlicher Händel

 

Mit dem keuschen Blick einer Jungfrau schaut Julia Lezhneva vom Cover ihres  zweiten Soloalbums bei Decca, das ganz Händel mit seinen frühen italienischen Werken gewidmet ist und natürlich auch einen Hit des Komponisten, „Lascia la spina“, aus dem Oratorium Il Trionfo del Tempo e del Disinganno enthält. Die russische Sopranistin singt passend zum Ausdruck auf dem Foto mit asketischem Ton ihres schlanken Soprans: zart, fast zerbrechlich, ganz entrückt – und damit völlig anders als Cecilia Bartoli, deren Vivaldi-Album für die Sängerin der Anstoß für die Beschäftigung mit Barockmusik war. Mit dem Ensemble Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini hat sie versierte Spezialisten der Alte-Musik-Szene zur Seite, die sie inspirieren und tragen.

Das Programm beginnt mit der jauchzenden Arie des Angelo „Disserratevi, o porte d’Averno“ aus dem Oratorium La Ressurrezione, in welcher die Interpretin jubilierende Koloraturgirlanden hören lässt und mit schier übermenschlicher Kunstfertigkeit überwältigt. Es folgt die Arie der Esilena aus Händels erster italienischer Oper Rodrigo, „Per dar pregio“, in welcher sie auf ihren Ehemann verzichtet und ihn an die Rivalin abtritt, ihm aber dennoch treu bleibt. Hier entwickelt sich ein virtuoser Dialog mit der obligaten Solovioline. Die zweite und letzte Oper des Komponisten war Agrippina, aus der die ausgedehnte Arie der Titelheldin „Pensieri, voi mi tormentate“ in der ursprünglichen Fassung erklingt. Lezhneva zeichnet mit bohrenden Klagelauten ein bemerkenswertes Porträt dieser Frau in ihrem Bestreben, dem Sohn Nerone den Thron zu sichern. Das Orchester stellt noch die gravitätische Sinfonia aus dieser Oper vor, welche im Mittelteil einen erregten Duktus annimmt, was die Musiker mit spannenden dynamischen Kontrasten und Affekten umsetzen. Mit einem Ausschnitt aus der Kantate Apollo e Dafne streift die Sängerin in ihrer Auswahl noch ein weiteres Genre. In der Arie der Titelheldin „Felicissima quest’ alma“ hat sie Gelegenheit, in einem anmutigen Siciliano die Freiheit des Herzens zu preisen. Beispiele lateinischer Kirchenmusik aus Händels Feder sind die Arie „Tecum principium“ aus dem Vesperpsalm Dixit Dominus und die viersätzige Motette Salve Regina. Die klare,  keusche Stimme der Lezhnava mit makelloser Formung aller Ornamente ist für diese Art Musik ideal, erinnert stilistisch und in ihrer Reinheit an die einstige Primadonna der Alten Musik, Emma Kirkby.

Aus dem Trionfo-Oratorium gibt es nach„Lascia la spina“ noch drei weitere Arien. Das atemlose, Affekt reiche „Un pensiero nemico di pace“ singt die Bellezza, wie auch das innige „Tu del Ciel“, während „Come nembo che fugge“  dem Piacere gehört und mit rasenden Koloraturketten das wütende Eingeständnis einer Niederlage darstellt. Die stupende Geläufigkeit, traumwandlerische Sicherheit der Stimmführung und kristalline Reinheit ihres Timbres stellen Julia Lezhneva in die erste Reihe der Barocksängerinnen unserer Zeit, was der Bonus-Track mit dem „Rejoice“ aus dem Messiah eindrucksvoll bestätigt (Decca 478 9230). Bernd Hoppe

Grosses Kopfkino

 

 

Regisseur Fritz Lang verfilmte 1924 in Berlin die Nibelungen – ein gigantisches Ufa-Stummfilmprojekt mit beachtlichem Aufwand, bestehend aus zwei Filmen: Siegfried und Kriemhilds Rache. Nur wenige kennen den Komponisten der dazugehörigen Filmmusik: Gottfried Huppertz (1887-1937) war ein vielseitig begabter Musiker, ausgebildet als Sänger, Pianist und Komponist. Seine Karriere startete er als Opern- und Operettensänger, in zwei frühen Filmen von Fritz Lang hatte er Nebenrollen als Schauspieler, bevor er als Komponist von Filmmusik in Erscheinung trat: neben seinem Erstlingswerk, den Nibelungen, schuf er insbesondere auch die Musik für Fritz Langs Metropolis (1926) – nach dem Ursprungsmythos folgte die Zukunftsvision. Als er mit 49 Jahren früh starb, hinterließ er 47 komponierte Werke mit eigener Opuszahl, darunter neun Filmmusiken, und hatte damit einen wichtigen Grundstein für das Genre gelegt, auf den Hollywood mit Komponisten wie Wolfgang Korngold, Max Steiner und Franz Wachsmann weiter baute. 
Huppertz war anfänglich skeptisch, ob er in Konkurrenz zu Richard Wagners Nibelungen treten sollte. Doch das Drehbuch von Thea von Harbou (Fritz Langs Ehefrau, die bspw. auch das Drehbuch zu Metropolis und ‚M‚ schrieb) hatte nur noch wenige Motive mit Richard Wagners Ring gemein. Sie orientierte sich stärker am Nibelungenlied, Götter spielen in dem Drama um Liebe und Macht keine Rolle, Siegfried erhält den Nibelungenhort nicht vom Drachen, sondern vom später besiegten Nibelung Alberich, das Schwert heißt Balmung, nicht Nothung. Nach Siegfrieds Tod und Brünhildes Selbstmord setzt der zweite Film über Kriemhilds Rache an den Nibelungen ein, bei dem sie eigenhändig Hagen tötet. Fritz Lang bekundete seine Absicht wie folgt: „Es handelte sich um das geistige Heiligtum einer Nation. Es mußte mir also darauf ankommen, in einer Form, die das Heilig-Geistige nicht banalisierte, mit den Nibelungen einen Film zu schaffen, der dem Volke gehören sollte und nicht, wie die ‚Edda‘ oder das mittelhochdeutsche Heldenlied, einer im Verhältnis ganz geringen Anzahl bevorzugter und kultivierter Gehirne. Damit war die Bedingung gestellt, den Nibelungen-Film mit unerbittlicher Strenge von dem Schema der üblichen Kostümfilme loszulösen und ihn auf eine Basis zu stellen, die jenseits des Ausstattungsfilms und des Sensationsfilms stehend, dennoch etwas vom Prunk des ersten und vom hinreißenden Atem des zweiten hatte.“ Fritz Lang bewies Mut und setzte auf den quasi unbekannten Huppertz, um diese Ziele akustisch zu untermalen. Die Partitur ist wie der Film in sieben Gesänge unterteilt, sowohl in Siegfried (und zwar: Wie Siegfried den Drachen erschlug – Wie Volker vor Kriemhild von Siegfried sang und wie Siegfried nach Worms kam – Wie Siegfried Brunhild für Gunther gewann – Wie Brunhild zu Worms einzog und die Könige sich vermählten – Wie nach sechs Monden Siegfrieds Morgengabe, der Nibelungen Hort, zu Worms eintraf, und wie die Königinnen miteinander stritten – Wie Gunther Siegfried die Treue brach – Wie Kriemhild Hagen von Tronje Rache schwur) als auch in Kriemhilds Rache (Wie Kriemhild um Siegfried trauerte und wie König Etzel durch Rüdiger von Bechlarn um sie warb – Wie Kriemhild von der Heimat Abschied nahm, und wie sie von Herrn Etzel empfangen wurde – Wie König Etzel vor Rom lag, und wie Kriemhild ihre Brüder entbieten ließ – Wie Kriemhild ihre Brüder empfing – Wie die Hunnen mit den Nibelungen das Sonnwendfest feierten – Der Nibelungen Not – Der Nibelungen Ende).

Im Zuge der Restaurierung von Fritz Langs Meisterwerke durch die Fernsehsender ZDF und ARTE wurden sowohl die Filmmusik zu Metropolis (mit dem RSO Berlin) als auch die Nibelungen (RSO Frankfurt 2009/10) auf CD eingespielt, beide mal dirigiert von Frank Strobel. Es handelt sich bei den Nibelungen um sage und schreibe 4,5 Stunden Musik für Siegfried (144 Minuten) und Kriemhilds Rache (126 Minuten). Gottfried Huppertz komponierte dazu eine überraschend zeitlos wirkende Musik ohne Exzentrik, über die man sich als Hörer nicht wunderte, würde sie in einem heutigen Film verwendet werden. Reminiszenzen an Wagners Ring sind immer wieder hörbar: Stimmungen, Klänge und Farben erinnern an das große Vorbild, ohne es direkt zu kopieren. Huppertz schuf ein eigenständiges Werk, eine sehr anschauliche Musik, die sich eng an den filmischen Begebenheiten orientiert und auch ohne Film beim Zuhören erahnen lässt, was gerade passieren könnte. Die überwiegend düster gehaltene Sage ist musikalisch für heutige Hörgewohnheiten als szenische Stimmungs- und Beschreibungsmusik nachvollziehbar. Kurz gesagt: eine wirksame Filmmusik, die Kopfkino ermöglicht, wenn man den groben Handlungssträngen der jeweils sieben Gesänge folgt. Im informativen Beiheft erklärt der Dirigent die kompositorischen Besonderheiten: Huppertz verwendet auch Leitmotive, doch nicht wie im Wagnerschen Sinn als Fortspinnungsprinzip, sondern als konsekutive, nebeneinander stehende Bestandteile. Beim einfachen Zuhören kann man die motivische Arbeit und Stringenz der Partitur ohne filmische Bestätigung allerdings oft nur erahnen, am deutlichsten bei Wiedererkennungsmotiven, die bspw. einem Handlungsort zugedacht sind. Das RSO Frankfurt unter der Leitung des Dirigenten Frank Strobel hat mit der in der Tradition spätromantischer Musik stehenden Nibelungen erwartungsgemäß keine Probleme: schillernde Farbigkeit und ein sehr guter Klang runden das sehr gute Bild dieser Ersteinspielung ab. Als symphonisches Großwerk zum An- und Durchhören funktioniert diese Musik dennoch eher portioniert denn als Gesamtwerk am Stück. (4 CD, Pan Classics PC10345)
Markus Budwitius