Wer hatte wohl zuerst die Idee, Minnie und Dick mittels eines Ballons der öden Goldgräberlandschaft entfliehen zu lassen? War es Vera Nemirova an der Deutschen Oper Berlin oder Marco Arturo Marelli an der Wiener Staatsoper? Alles spricht für die Deutsche Oper, denn deren Premiere von Puccinis La Fanciulla del West fand bereits 2004 statt, die der Wiener erst 2013. War die Lösung in Berlin eher ein witziger, nicht ernst gemeinter Kontrast zum Sozialdrama, in dem sogar Missbrauch minderjähriger Wanderarbeiter stattfindet, so wirkt in der eher sozialromantischen Inszenierung in Wien, die sich strikt an das Libretto hält, der kunterbunte Ballon wie ein als solcher nicht beabsichtigter Fremdkörper, der sich durchaus nicht über das Happy End lustig machen will. Bedenkenswert ist immerhin die Schlussgeste von Jack Rance, der knapp vor dem Fallen des Vorhangs noch die Ersatzpistole zieht und offen lässt, ob sie gegen die eigene Schläfe oder gegen das Luftgefährt gerichtet wird. Keine andere Produktion aber kann der Wiener streitig machen, dass in ihr der wohl leidenschaftlichste Opernkuss aller Zeiten stattfindet.
Der auch für Bühne und Licht verantwortliche Regisseur verwöhnt das auf schöne Bilder bedachte Auge für den dritten Akt mit einer attraktiven Berglandschaft, nachdem der erste Akt einen Imbisswagen und mehrere Stockwerke Wellblechbaracken, der zweite die aufgeklappte, schlichte Behausung Minnies zeigte.
Gut herausgearbeitet sind in jedem Fall die Charaktere der einzelnen Minenarbeiter, von denen werkbedingt vor allem der umsichtig-diensteifrige Nick von Norbert Ernst mit besonders zu Beginn des 3. Akts besonders angenehm klingendem Tenor und der seinem Namen Ehre machende Sonora von Boaz Daniel besonders positiv auffallen. Ein eher gemütvoller als ausbeuterischer Ashby wird von Paolo Rumetz mit einem gewichtigen Bass ausgestattet. Eine erst im Stadium der werdenden Mutter befindliche Wowkle ist Juliette Mars mit jugendlichem Mezzosopran, während der werdende Vater mit Jongmin Park alle Klischees von einem in weißen Diensten befindlichen Indianer in Westernfilmen erfüllt.
Nicht besser sein könnte die Besetzung der drei wichtigsten Partien. Auch optisch verkörpert Tomasz Konieczny das Raubein von Sheriff optimal, weiß seine inneren wie äußeren Kämpfe ausdrucksvoll darzustellen und hat die richtige Brunnenvergifterstimme voll dramatischer Kraft dazu. Ein überaus charmanter Dick Johnson, bei dem man den verzweifelten Einsatz für sein Leben und das sofortige Ihmverfallensein seitens Minnies nachvollziehen kann, ist Jonas Kaufmann, wahrlich ein delktabler Fremdkörper im Kreis der rauen Goldgräber, so mit einem ganz zarten „non piangerete“ und raffinierter Agogik in „Ch’ella mi creda“. Seine Stimme ist für die Rolle und ganz allgemein für Puccini mit der farbigen, sehr präsenten Mittellage und der strahlenden Höhe besonders geeignet und der Sänger auf dieser DVD in glänzender Form. Eine beherzte Minnie mit roter Kurzhaarfrisur ist Nina Stemme, die auch Kostümbildnerin Dagmar Niefind gern in Rot sieht. Von ihrer Erscheinung geht optisch wie akustisch ein warmes Strahlen aus, der Sopran setzt sich mühelos gegenüber dem Orchester durch, kann aber auch sehr facettenreich bis zum Pianissimo eingesetzt werden. Ihr ist es zu verdanken, dass trotz des Supertenors doch La Fanciullla im Mittelpunkt des Interesses bleibt. Am Dirigentenpult sorgt Franz Welser-Möst sowohl für den üppigen Pucciniklangteppich wie für die exakten Einsätze des Chors, der eigentlich aus lauter Solisten besteht (Sony 88875064069; Foto oben Ausschnitt aus dem Cover der Sony-DVD). Ingrid Wanja