Spätromantisches

 

Ein herziges Bild: Der kleine Erich Wolfgang schenkt seinem Vater ein Liedchen: „Als Gratulant erschein ich vor Dir lieb‘ Papa! Gib‘ ne kleine Gabe Dir, bitte nimm sie an“. Das war 1907. Der kleine Korngold war zehn Jahre alt. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er sein erstes Lied, „Der Knabe und das Veilchen“, verfasst, einen niedlichen Dialog, der mit „Ei Veilchen, ei Veilchen, warum kommst Du im Mai?“ beginnt. Die beiden Liedchen befinden sich als World Premiere Recordings ebenso auf der Einspielung Sämtlicher Lieder (2 CDs Capriccio C 5252) wie die mit der demutvollen Widmung „So Gott und Papa will“ versehenen Eichendorff-Vertonungen, die Erich Wolfgang seinem Vater zu dessen Geburtstag am 24. Dezember 1910 auf den Gabentisch legte. Der als Kritiker gefürchtete Julius Korngold war offenbar nicht angetan, worauf Erich Wolfgang ein paar Lieder auswählte, drei weitere hinzufügte und sie 1913 zum Zyklus op. 9 zusammenfügte. Insgesamt umspannen die 60 Lieder nahezu Korngolds gesamte Schaffenszeit. Der Großteil wurde in Europa komponiert, für die in Amerika entstandenen Lieder op. 39 nutzt der mittlerweile zum Oscar-Preisträger avancierte Korngold Motive aus seinen Filmmusiken, und das letzte Lied schließlich, „Sonett für Wien“, ist eine ekstatisch pathetische Hommage an die Stadt seiner Jugend, „Du Stadt, du Psalm, aus Gottes Mund erklungen“. Hinzu kommen einige Gelegenheitswerke, Liedchen für die Mutter, ein Walzerlied für die Eltern eines Freundes sowie die „Kaiserin Zita-Hymne“. Viele Lieder sind, wie gesagt, Ersteinspielungen. Dazu Mariettas Lied und das Tanzlied des Pierrot aus Die tote Stadt, in deren Umfeld auch die im Vergleich zu den übrigen kurzen Liedern umfangreichen „Lieder des Abschieds“ op. 14 entstanden.

Bereits die frühen Eichendorff-Lieder nehmen einen aus „Allerseelen“ oder „Ruhe meine Seele“ vertrauten Strauss-Ton auf, doch Korngold lässt die Nachahmung bald hinter sich und zelebriert zunehmend eine eigenständige Ausformung des spätromantisch sinnlichen Klangs. Keine Imitation bietet auch Konrad Jarnot, dessen dunkler Bariton durch die dezidierte Diktion, den gesammelten, doch gespannten Ton und das beschwörende Piano („Mein Sehnen, mein Wähnen“) verblüffend an Dietrich Fischer-Dieskau erinnert, von dem er intensiv betreut wurde. Bei einigen der 2013 und 2014 in Berlin mit der Pianistin Reinhild Mees aufgenommenen Liedern steht ihm Adrianne Pieczonka zur Seite, die als Marietta mir fast ein wenig zu zurückhaltend und in den anderen Liedern zu pauschal klingt. Dennoch erfährt Korngold, einer der letzten Exponenten des österreichischen-deutschen Liedes, das fast zwei Jahrhunderte Bestand hatte“ – so das ausführliche Beiheft (mit allen Liedtexten) –  mit dieser Aufnahme besondere Aufmerksamkeit.

Wurde Korngold zum Grenzgänger zwischen der Alten und der Neuen Welt, so war der zwischen Paris und Leipzig pendelnde, im heutigen Saarland geborene Théodore Gouvy ein Deutsch-Französischer Grenzgänger. Unter eben diesem Titel hatte Palazzetto Bru Zane dem Komponisten Gouvy in seiner wertvollen CD-Reihe im Buchformat kürzlich ein „Portrait“ mit drei CDs mit Kammermusik, sinfonischen und geistlichen Werken gegönnt. Lange zuvor hatte sich bereits in den späten 1990er Jahren Yaron Windmüller (Orfeo) Gouvys Lieder vorgenommen. Das taten im Januar 2014 am Oberlin College and Conservatory auch die Sopranistin MeeAe Nam und der Tenor John Elwes, wobei sich die Aufnahme mit 26 Liedern zahlreicher Ersteinspielungen und „First Recordings in the Original Key“ rühmen kann. Die von Joel Schoenhals begleitete Aufnahme ist sorgfältig, die Sänger spüren den französischen Texten aus dem späten 16. Jahrhundert auf subtile Weise und mit vorsichtiger Tongebung nach. Das ausgesprochen ausführlich informative Beiheft (nur engl.) beinhaltet die Texte der Gedichte von Pierre de Ronsard, der als Gouvys Lieblingsdichter bezeichnet werden kann (immerhin basieren 40 seiner gut 100 Lieder auf Texten Ronsards), und ist dem ehrgeizigen Unterfangen des Toccata Discovery Club (Toccata Classics TOCC 0269) angemessen.   Rolf Fath