„Bravo“ für eine dicke Stecca dürfte es in der Mailänder Scala zuvor noch nie gegeben haben, wurde doch selbst Luciano Pavarotti in der Premiere von Don Carlo für eine solche ganz kleine erbarmungslos ausgebuht, während Jonas Kaufmann für das Versagen der Stimme in „Nessun dorma“ frenetisch gefeiert wurde. Allerdings handelte es sich dabei bereits um die sechste Zugabe nach einem umfangreichen Konzert, und im regulären Programm hatte der deutsche Tenor bereits bewiesen, dass die Arie ihm keinerlei Probleme bereitet. So konnte Kaufmann auch mit einem entschuldigenden, lächelnden Achselzucken über das Malheur hinweggehen und außerdem bei der Wiederholung beweisen, dass das Hinaufklettern in die Höhe ihm keine Probleme bereitet. Überhaupt dürfte der Sänger sich nicht zuletzt durch die sympathische Art, in der er das kleine Missgeschick wie die Beifallsstürme, über die er sich zugleich so ehrlich wie bescheiden zu freuen schien, die Zuneigung des Publikums erworben haben. Auch als eine Art Entschädigung für die Absagen der Cavalleria, die von weit her Angereiste in Verzweiflung gestürzt hatte, gedacht, wurde das reine Puccini-Konzert im Juni 2015 zu einem Sensationserfolg, zeigte es doch den Tenor in vorzüglicher Verfassung und fast frei von den diskutablen Besonderheiten der Stimmführung, die manchen Puristen früher gestört hatten.
Die von Brian Large höchst selbst betreute DVD lässt Jonas Kaufmann zunächst den Mailänder Dom bewundern, durch die Galleria zur Scala spazieren, an einer der altmodischen Straßenbahnen Mailands vorbei, den Pförtner des Opernhauses grüßen und den Zuschauersaal des berühmten Opernhauses bewundern. So wird der überrascherderweise mit einem trotz noch jugendlichen Alters teilweise weißen Vollbart Gezierte auch gleich noch zum launigen Moderator, der von seinen Anfängen als Jaquino am Haus berichtet. Bei diesem denkwürdigen Konzert gibt es auch einen Debütanten am Haus, den Dirigenten Jochen Rieder, der vom Publikum freundlich aufgenommen wird.
Das Programm ist chronologisch aufgebaut, beginnt also mit Le Villi nach dem Einstieg des Orchesters mit einem Preludio Sinfonico noch aus der Konversatoriumszeit des Komponisten. Danach folgt die Arie des Rodolfo, in der Kaufmann die heldisch und baritonal klingende Mittellage unter Beweis stellen kann, eine gewisse Verhangenheit des Timbres gut zur Stimmung des Werks passt und sich zeigt, dass die Passaggioprobleme von einst überwunden sind, die Diktion perfekt ist und die Agogik nicht wie zeitweise eine überstrapazierte, sondern angemessene ist. Als Edgar erfreut der Sänger mit einer wahren Schmetterhöhe, lässt „la soave vision“ tatsächlich als solche hören und bemüht in der Höhe nicht mehr das Falsettone. Gleich zwei Arien gibt es aus Manon Lescaut, wo in „Donna non vidi mai“ auch der eine und andere Ton gestemmt wird, „Manon Lescaut mi chiamo“ vielleicht noch gewonnen, wenn wirklich „sussurato“ gesungen, hätte und im „Guardate“ des dritten Akts ein beeindruckender Squillo zu bewundern ist dem „chiedo pietà“ kaum jemand widerstehen könnte und die erste große Applauswoge provoziert. Etwas zu hauchig werden in „E lucevan le stelle“ die dolci baci besungen, ansonsten ist der Kontrast zwischen der träumerischen Erinnerung und der Verzweiflung am Schluss sehr beeindruckend. Während der Sänger während des Nachspiels noch in Ergriffenheit verharrt, gerät das Publikum bereits aus dem Häuschen, fängt sich aber im Respekt für den Künstler und die Musik noch einmal, um dann umso begeisterter Applaus zu spenden. Ungeheuer kraftvoll schließt der offizielle Teil mit Fanciulla („Or son sei mesi“) und dem unverzichtbaren „Nessun dorma“, wobei ersteres ungeheuer kraftvoll, aber nie in Schreien ausartend, die populäre Arie aus Turandot sehr differenzierend gesungen wird mit einer schönen mezza voce für die Wiederholung, einem leuchtenden Piano für „splenderà“ und einer Steigerung des dreifachen „vincerò“ vom Piano ins Fortissimo, bei dem das Publikum hörbar den Atem anhält.
Beinahe so umfangreich, zumindest für den Sänger, wie der offizielle Teil sind die Zugaben mit „Recondita armonia“, das von einem Decrescendo auf „sei tu“ gekrönt und mit einem großen Rosenstrauß aus dem Publikum belohnt wird. „Che ella mi creda“ (jetzt geht dem Zuhörer auf, warum es im offiziellen Teil fehlte) erfreut mit sicherem Spitzenton und nicht nur damit. Mit zwei Saloncanzonen geht es weiter, mit „Ombra di Nube“ und, von einem Jubelaufschrei begrüßt, mit „Non di scordar di me“. Danach die oben erwähnte Wiederholung von „Nessun dorma“….und so hätte es ewig weitergehen können… (Sony DVD 888 751 302 49). Ingrid Wanja