Archiv des Autors: Geerd Heinsen

SAIMIR PIRGU

 

Riskante neue Ufer: Eine der schönsten Tenorstimmen unserer Tage stellte sich 2004 mit Angelo casto e bel auf einer Belcanto-CD vor. Ihr Besitzer spielte im Somme 2015, während er ungefähr zur selben Zeit als Don Ottavio in Verona zu hören war, eine neue CD, Il Mio Canto, bei Opus Arte ein. Mit ihr stellt sich nun, wie im März 2016 in Berlin an der DOB,  Saimir Pirgu rund um die Welt in Gesprächskonzerten dem Publikum vor, doch ob dies wirklich Il Suo Canto, wenn auch vielleicht der Zukunft, sein kann und sein sollte, lässt den Hörer nach Anhören des ersten Tracks zweifeln. Während der junge albanische Tenor als Duca und Alfredo auch mit Verdi schöne Erfolge feiern konnte und mit diesen Partien auch auf der neuen CD vertreten ist, lassen Rezitativ und Arie des Gabriele Adorno (Simon Boccanegra) Bedenken aufkommen, ob er mit der einen lirico spinto verlangenden Partie wirklich auf dem richtigen Weg ist. Auf der CD klingt die Mittellage zwar angemessen präsent, beim Vortrag in der Deutschen Oper Berlin war dies nicht so, war der hoch liegende Registerübergang nicht zu überhören, vermisste man die dunkle Fülle einer Verdi-Stimme und fürchtet für die unbestreitbaren Timbrequalitäten des Sängers. Viel besser passt zu ihm die Arie des Rodolfo aus der Bohéme, wo die ausgesprochen lyrische Stimme sich sehr viel nuancierender äußern kann und wesentlich jünger klingt. In der Arie des Faust frappiert die sicherere Höhe mit beachtlicher Fermate, erfreut die innere Gespanntheit, mit der sie interpretiert wird. Auch in der Arie des Sängers aus dem Rosenkavalier kann der Tenor mit schönem Legato üppig schwelgen, und im Lamento des Federico (L´Arlesiana) nimmt er einen schönen Schmerzenslaut an, zeigt seine Qualitäten in der so energisch wie geschmeidig vorgetragenen Arie des Alfredo, mit dem der Sänger im Mai 2016 auch an der Deutschen Oper gastiert. Von der Cabaletta werden beide Strophen gesungen, ein beachtlicher Squillo krönt die Darbietung. „La donna è mobile“  am Schluss der CD ist ein einziges Plädoyer für ein Verbleiben in diesem lyrischen Stimmfach, nicht nur, aber auch wegen des strahlenden Spitzentons, aber vor allem wegen der Leichtigkeit der Emission, die so im dramatischen  Rezitativ des Luisa Miller-Rodolfos nicht wahrnehmbar ist, während der Edgardo mit seinen großen Schluss-Szene wie für die Stimme komponiert erscheint.

Auch die Tracks aus dem französischen Repertoire sind eine reine Hörfreude. Die jugendliche Schwärmerei des Roméo wird ebenso getroffen wie die Melancholie des Werther. Zu den bereits in naher Zukunft  denkbaren Verdi-Rollen gehören der Oronte und der Macduff, auch wenn der Letztere für den schmerzgebeugten Gatten und Vater etwas hell klingt. Insgesamt spricht die CD gegen einen überstürzten Fachwechsel, denn sie verhilft  dem Hörer in ihrem jetzigen Zustand in ihrem angestammten Repertoire zu einer ungetrübten Freude an einer ausgesprochen schönen, aber halt (noch?) durch und durch lyrischen Stimme. Dazu trägt durchaus auch das erfahrene Orchester des Maggio Musicale Fiorentino unter Speranza Scappucci bei (Opus Arte CD 9041 D). Ingrid Wanja  

 

 

Saimir Pirgi: L'Elisir d'Amore/ Szene, Wiener Staatsoper - Photo Michael

Saimir Pirgi: L’Elisir d’Amore/ Szene, Wiener Staatsoper – Photo Michael

Auf seinem erschienenen Soloalbum Il mio canto (Opus Arte) demonstriert Pirgu mit Arien von Verdi, Puccini, Donizetti, Cilea, Gounod, Massenet und Strauss auf beeindruckende Art und Weise, warum er derzeit zur Sänger Top-Riege gehört. Mit Bernd Ostermayer sprach der junge Sänger über Il mio canto, über sein Vorbild und Mentor Luciano Pavarotti, über Traumpartien und mehr.

 

Vor Kurzem ist Ihr Soloalbum Il mio canto mit Arien von Verdi, Puccini, Cilea, Donizetti, Gounod, Massenet und Strauss bei Opus Arte erschienen. Können Sie mehr über dieses CD-Projekt sagen? Im Sommer 2015, als ich mein konzertantes Rollendebüt als Riccardo in Un ballo in maschera unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta gab, erzählte ich Maestro Mehta von der Idee eines neuen Soloalbums und fragte ihn um Rat bezüglich eines guten Orchesters. Er schlug er mir gleich vor, das doch mit „seinem“ Orchester in Florenz zu machen, dem Orchestra des Maggio Musicale Fiorentino, eines der besten Orchester Italiens. Und so habe ich die CD dann letztes Jahr in Florenz aufgenommen, mit der jungen Dirigentin Speranza Scappucci. Speranza kenne ich schon seit Jahren, seit ihrer Zeit als Korrepetitorin an der Wiener Staatsoper. Sie kennt meine Stimme sehr gut und für mich sofort klar, dass ich das Album mit ihr aufnehmen wollte.

 

Saimir Pirgu und Angela Gheorghiu in "La Bohème"/ Liceu Barcellona/ Foto Irina Stanescu

Saimir Pirgu und Angela Gheorghiu in „La Bohème“/ Liceu Barcelona/ Foto Irina Stanescu

Mit Il mio canto wollte ich die volle Bandbreite meiner Stimme zeigen und auf CD festhalten, wozu ich momentan stimmlich und künstlerisch in der Lage bin. Deshalb auch „Il mio canto“, wortwörtlich ins Deutsche übersetzt „mein Gesang“. Meine Stimme ist in den letzten Jahren voller geworden und hat meiner Meinung nach sehr an Farben und dramatischen Nuancen gewonnen. Ich spezialisiere mich immer mehr auf das große italienische und französische Fach und deshalb schien es mir nur logisch, Arien aus Werken aufzunehmen, die ich momentan regelmäßig singe wie auch Arien aus Opern, in denen ich in den kommenden Jahren debütieren werde. Die meisten Werke auf der CD sind ja Teil meines derzeitigen Repertoires, aber Opern wie Luisa Miller oder L’Arlesiana sind Stücke, die ich wirklich gerne bald auch komplett auf der Bühne singen möchte. Was die französischen Arien angeht, habe ich bereits Werther und Roméo ein paar Mal auf der Bühne gesungen und ich denke, dass Faust, aber auch andere französische Partien wie Hoffmann oder Don José, in Zukunft kommen werden.

 

Saimir Pirgu und  Placido Domingo in "La Traviata"/ Metropolitan Opera New York/ FKen Howard

Saimir Pirgu und Plácido Domingo in „La Traviata“/ Metropolitan Opera New York/ Foto Ken Howard

Gibt es abgesehen davon noch weitere Traumpartien? Ich war ja immer sehr vorsichtig, was meine Rollenauswahl anging und habe mir stets Zeit gelassen, bevor ich Angebote für neue Rollen angenommen habe. Es kam für mich nie in Frage, Rollen zu singen, für die ich noch nicht bereit war und die meiner Stimme hätten schaden können. Solche Angebote habe ich immer abgelehnt. Ich erarbeite mir nun langsam auch dramatischere Partien, wie zum Beispiel den Riccardo, den ich wie gerade, wie erwähnt, unter Mehta in Israel mit riesigem Erfolg ausprobiert habe. Ich bin sehr glücklich über die Richtung, in die sich meine Stimme entwickelt. Verdis Otello wäre eine absolute Traumrolle, die ich aber wahrscheinlich leider nie singen werde! Diese Rolle erfordert einfach eine sehr dramatische Stimme, und die werde ich wohl nie haben. Aber ich bin eigentlich wirklich mit den Rollen zufrieden, die ich singe!

 Welche Oper mögen Sie besonders? Ich mag Wagner und den Verismo ganz besonders, aber als lyrischer Tenor werde ich die meisten dieser Partien wohl nie singen können. Eine Oper die ich ganz besonders liebe und wohl nie singen werde (auch wenn ich den Edmondo zu Beginn meiner Karriere an der Wiener Staatsoper gesungen habe) ist Manon Lescaut von Puccini. Ein unglaubliches Stück. 

 

 

Saimir Pirgu/ Foto Paul Scala

Saimir Pirgu/ Foto Paul Scala

Welche Sänger der Vergangenheit sind besonders große Vorbilder für Sie? Sie hatten ja das Glück, dass Sie Luciano Pavarotti als junger Sänger sehr unterstützt hat. Pavarotti war natürlich eines meiner größten Vorbilder, er war ein wichtiger Mentor und guter Freund, mit dem ich mir mein komplettes derzeitiges Repertoire erarbeitet habe. Ich lernte Pavarotti kennen, als ich 19 war und noch am Konservartorium von Bolzano studierte. Er hat mich die Grundlagen des Bel Canto gelehrt und erst viel später wurde mir wirklich bewusst, wie kostbar das Wissen eigentlich war, das er mir vermittelt hat.

 Auch, dass Sie überhaupt eine Gesangskarriere verfolgt haben, ist eigentlich Pavarotti zu verdanken, oder? Nicht nur Pavarotti, sondern den Drei Tenören und dem berühmten Konzert in den Caracalla-Thermen. Ich war etwa 14, als ich die Drei Tenöre zum ersten Mal im Fernsehen sah und war sofort absolut fasziniert. Domingo mochte ich am liebsten, und ich wollte unbedingt einmal so werden wie diese drei Sänger! Ich ging noch zur Schule und lernte Geige zu spielen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass ich eines Tages einmal ein Tenor wie sie werden sollte, aber das war mein großer Traum. Und nur etwas mehr als zehn Jahre später habe ich mit Plácido Domingo an der Met gesungen und war mit Luciano Pavarotti befreundet. Ein großer Traum also, der sich verwirklicht hat!

 

Saimir Pirgu/ "Idomeneo,"/ Zürich Opernhaus/ Foto Suzanne Schwiertz

Saimir Pirgu/ „Idomeneo,“/ Züricher Opernhaus/ Foto Suzanne Schwiertz

 Im Februar 2016 waren Sie als Alfredo in La traviata an der Londoner Royal Opera zu erleben. Eine der Vorstellungen wurde live im Kino übertragen. Was halten Sie von derartigen Kinoübertragungen? Kann man dadurch vielleicht sogar neues Publikum gewinnen? Absolut, ja! Das war nicht die erste Kinoübertragung, bei der ich mitgewirkt habe, und ich bin sehr froh, dass auch diese Traviata aus London in so viele Kinos weltweit übertragen wurde. Kinoübertragungen von Opernvorstellungen haben sich mittlerweile bewährt, besonders auch weil einem ganz neuen Publikum die Oper so näher gebracht wird. Oft haben die Leute nicht die Möglichkeit, ins Theater zu kommen, um dort eine Vorstellung zu sehen. Derartigen Übertragungen sei Dank können mittlerweile alle die schönsten Produktionen daheim oder im Kino anschauen. Auch ich bin ja durch eine Opernübertragung – wenn auch eine Fernsehübertragung – überhaupt erst zur Oper gekommen, eben durch jene vorhin erwähnte Übertragung des Konzerts der Drei Tenöre in den Caracalla-Thermen. Ich bin sicher, dass jede Art von Öffnung der Oper hin zu einem breiteren Publikum dieser Kunstform nur gut tun kann.

Wo kann man Sie im deutschsprachigen Raum in der nächsten Zeit live erleben? Momentan stelle ich Il mio canto auf einer großen Tournee weltweit vor, am 13. März in der Wiener Staatsoper und am 15. März an der Deutschen Oper Berlin. An der Deutschen Oper Berlin stehe ich außerdem am 2. und 6. Mai als Alfredo in La Traviata mit Diana Damrau und Thomas Hampson auf der Bühne, in Wiener Musikverein singe ich am 23. und 26. Mai in Berlioz` Requiem unter Tugan Sokhiev. Bernd Ostermayer

 

Am 13. November 2016 wird Saimir Pirgu der Preis “Premio Verona Lirica” verliehen. Die bisherigen Preisträger der Auszeichnung, die seit fünf Jahren vergeben wird sind Elena Mosuc, Fiorenza Cedolins, Hui He, Francesco Meli und Marco Berti.

 

Saimir Pirgu wird den Preis im Teatro Filarmonico von Verona entgegen nehmen.

 

Der albanische Tenor mit Wahlheimat Italien studierte bei Vito Maria Brunetti in Bozen und perfektionierte seine Technik mit Luciano Pavarotti. Im Alter von 22 wurde er von Claudio Abbado ausgewählt, unter seiner musikalischen Leitung den Ferrando in Così fan tutte zu singen. In selbiger Rolle debütierte er im Jahr 2004 als jüngster Sänger in einer Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen.

 

Engagements in jüngerer Zeit umfassen unter anderem Rigoletto am Royal Opera House London, La traviata an der Metropolitan Opera New York, dem Royal Opera House London, der Staatsoper und Deutschen Oper Berlino, La damnation de Faust am Bolschoi-Theater Moskau, Riccardo in Un ballo in maschera in Tel Aviv dirigiert von Zubin Mehta, L’elisir d’amore an der Wiener Staatsoper und an der Deutschen Oper Berlin, Die Zauberflöte an der Mailänder Scala, La clemenza di Tito an der Pariser Oper, La bohème am Gran Teatre del Liceu Barcelona, Rigoletto in der Arena di Verona, Verdis Messa da Requiem bei den Salzburger Festspielen, im Wiener Musikverein, mit dem Bayerischen Rundfunk, im Concertgebouw Amsterdam sowie im Palau de la Musica Barcelona.

www.saimirpirgu.com

Alle Fotorechte sind im Besitz des Künstlers/ website Saimir Pirgu: http://www.saimirpirgu.com/de/ dazu eine Biographie: Saimir Pirgu (* 1981 in Elbasan): http://www.saimirpirgu.com/de/biography/

 

Büsser/ Weber: „Obéron“ en francais

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Carl Maria von Webers Opern klingen in Französisch enorm singbar, zum Erstaunen von uns teutonischen Nachbarn. Spätestens Christoph Eschenbachs Berlioz-Version des Freischütz (als Freyschutz) aus Paris 2002 (mit der anrührenden Michaeela Kaune und der bezaubernden Annick Massis) zeigte uns die Funktionalität der französischen Fassung und gehört zu den absoluten Schätzen meiner Musiksammlung – zumal die Berlioz´schen Rezitative die Oper singbar und spannend machen. Das gilt auch für eine Euryanthe vom französischen Rundfunk von 1965 mit der resoluten Andrée Esposito neben Alain Vanzo. Nun aber gibt´s auch noch einen Obéron in Französisch, in einer vom Dirigenten Henri Büsser eingerichteten Rezitativfassung für die Pariser Oper 1955 unter dem genialen André Cluytens, der eine erste Equipe beschwingt und total überzeugend bei Malibran Music leitet. Es ist dies der Mitschnitt einer Aufführung im Januar 1955, mit einer lustigen Einleitung für die Radio-Hörer. Vom Oberon gibt es ja kaum eine befriedigende Industrie-Aufnahme, die historischen (meist Rundfunk und live) sind alle irgendwie langweilig und natürlich bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet. Die modernen Stereo-Einspielungen leiden an Erzählern, weil man dem Text der Dialoge nicht traute, oder eben an den langweilig gebotenen Dialogen selbst (EMI, RCA, DG) und an den ungeeigneten Stimmen (Nilsson, Domingo – monströs, Deborah Voigt & Co. nicht minder) – trotz einiger Einzelschönheiten (Peter Seifert als Hüon zum Beispiel neben einer zu ehrgeizigen Inga Nielsen).

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oberonAm 12. Februar 1953 hob sich der Vorhang im Palais Garnier über einer Produktion, mit welcher Maurice Lehmann einmal mehr das Pariser Publikum zu überwältigen gedachte; nach den Indes galantes, die 1952 Première gehabt hatten, besaß dieser Oberon alles, um die Nachfolge anzutreten. Doch trotz der abermals von Henri Büsser stammenden Fassung der Musik, trotz den prachtvollen Kulissen und Kostüme von Jean-Denis Malclès, trotz der Choreographie von Serge Lifar, trotz der Parfüms von Yuri Gutsatz, die im Saal versprüht worden waren wie während Rameaus Blumenballett, hatte die neue Oper im Revueform nicht ganz den erhofften Erfolg.

War das Publikum etwa entrüstet über die damals verhältnismäßig modernen Inszenierung? Henry-Louis de la Grange entrüstete sich während der Première (und später im englischen Opera) darüber, dass von Rezia sängerunfreundliche Bewegungen während „Océan, prodige immense“ verlangt wurden. Die Produktion wurde während zweier Spielzeiten wiederaufgenommen, bis in den April 1956. In diesem Zusammenhang besitzt die pasticheartige Oberon-Fassung von Henri Büsser, die namentlich mehrere Ballette aus orchestrierten Klavierstücke Webers beifügt, den bedeutenden Vorteil, dass sie auf die in den 1880er Jahren von Franz Wüllner komponierten Rezitative zurückgreift. Die Aufführung des Werkes wird für die Sänger unproblematischer. Und das dürfte ein geringer Preis sein, wenn es dadurch ermöglicht wird, die schöne Musik zu hören.

Im Februar 1954 hatte Nicolai Gedda sein Début an der Pariser Oper mit dieser heroischen Rolle gegeben, die offensichtlich seine Möglichkeiten überstieg; 1955 übernahm mit aller geforderten vokalen Kraft Georges Noré (1910-2001) den Hüon, ein französischer Tenor, der heute zu Unrecht vergessen ist, obgleich Thomas Beecham ihn 1947 für eine Aufnahme des Faust in der Titelpartie besetzte. Man sah in ihm den Nachfolger Thills, doch zog er sich 1960 etwas verfrüht von seiner Karriere zurück.

Szene "Oberon" an der Pariser Oper, 1954/ OBA

Szene „Oberon“ an der Pariser Oper, 1954/ OBA

Dieser französische, historische Obéron ist eine ganz aufregende Sache für sich. Er bietet die unterschiedlichen, nicht immer ganz tollen Kräfte der französischen Nachkriegsszene, und er hat vor allem in André Cluytens einen engagierten, rasanten Leiter von Chor und Orchester der Pariser Oper. Unter den Solisten findet man bekannte wie Martha Angelici, Alain Vanzo (hier noch als Wurzen-Pirat), sogar Rita Gorr (als Puck), Denise Duval (als Fatime mit ihrem hellen Sopran falsch besetzt) und vor allem den kraftvollen George Noré als leuchtend-eindrucksvollen Hüon neben einer mir Unbekannten wie die Braslianerin Constantina Araujo als furchtlose Rezia (mit 2. Strophe der Ozean-Arie sogar, nicht wirklich eine ideale Stimme, aber eine resolute, furchtlose). Paul Finel, der Jean aus der Hérodiade mit der Crespin bei EMI, singt erzen einen Jannisair, Henri Medus ist der Caliphe – es ist ein Treffen mit den Stimmen der Fünfziger. Auf 3 CDs breitet sich bei ordentlicher, etwas stumpfer Akustik und recht frugaler Ausstattung (immerhin die Tracks und zwei schöne, stimmungsvolle Fotos von der Produktion) dieser Oberon aus (mit ein paar historischen Dokumenten zum Füllen auf CD 3) – absolut habenswert und eine wirkliche Bereicherung wegen des überspringenden Enthusiasmus von Cluytens und der Geschlossenheit des Ensembles. Das hier macht einfach Spaß (MR 790, 3 CD).

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Webers „Oberon“ an der Pariser Oper 1954/ OP

Noch eine Rezension der originalen Pariser Obéron-Produktion: „‚Oberon‘ at the Paris Opera“  von Henry-Louis de La Grange (Musikwissenschaftler und Mahler Biograph) in der nicht einmal erwähnt wird, dass in Französisch gesungen wird…: Die Gründe für die Wahl von Oberon als Nachfolger von Les Indes Galantes sind leicht zu erkennen. Es handelt sich um eine „Märchenoper“, die wie Tristan auf einem mittelalterlichen Heldengedicht basiert; obwohl sie wenig oder gar keinen dramatischen Wert besitzt, boten die vielen Szenenwechsel, die orientalischen Episoden und die mythischen Charaktere die Möglichkeit, aufwendige Inszenierungen zu verwenden… Die beiden Hauptrollen in der vorliegenden (Oberon-)Produktion sind mit ausländischen Sängern besetzt. Constantina Araujo (Rezia) ist eine junge brasilianische Sopranistin, die an der Scala gesungen hat. Ihre Stimme ist von Wärme und Schönheit, gleichmäßig in allen Lagen, kraftvoll und doch beweglich genug, um Vokalisen zu singen. Darüber hinaus verfügt sie über Eigenschaften, die bei dramatischen Sopranen selten zu finden sind: ein hübsches Gesicht und eine gute Figur. Ihr Gesang in dieser gewaltigen Rolle ist eine hervorragende Leistung, auch wenn er durch ein nachhaltigeres Legato in den lyrischen Passagen verbessert werden könnte. (Nicolai Gedda sang den Hüon und kommt nicht gut weg…) Nicolai Gedda kämpft gegen widrige Umstände in der Rolle des Huon, die für seine Stimme viel zu dramatisch ist. Sie verlangt fast einen Heldentenor, und Gedda ist gezwungen, seine stimmlichen Ressourcen ständig zu überfordern. Nur in den Pianopartien kann er seine schöne, lyrische Stimme zur Geltung bringen; dann singt er mit großer Tonschönheit und ausgezeichneter Musikalität.

Zu Webers „Oberon“/der Dirigent und Bearbeiter Henri Büsser vor dem Portrait von Auguste Lewroux/Wikipedia

Der größte Fehler dieser Produktion war, die Mezzosopranpartie der Fatima der lyrischen Sopranistin Denise Duval zu übertragen. Wann immer eine Transposition nicht möglich war, wie in den Ensembles, wurde entweder die Gesangslinie geändert oder die Sängerin gezwungen, ein undankbares Register ihrer Stimme zu verwenden. In den meisten Fällen führte dies dazu, dass das Gleichgewicht und die vom Komponisten geplanten stimmlichen Kontraste zerstört wurden. Die Stimme von Raphael Romagnoni (Oberon) ist kräftig, aber kantig und in der Tonlage unbeständig. Denise Scharley (Puck, auf der Malibran-Aufnahme ist es Rita Gorr) und Christiane CasteIli (eine Meerjungfrau) sind angemessen. (…) Constantina Araujos Hauptproblem, ihre abgehackten Sätze, sind auf ihre fehlerhafte französische Diktion und ihre mangelnde Erfahrung mit dieser Sprache zurückzuführen. Es ist auch bedauerlich, dass (Regisseur) M. Lehmann darauf bestanden hat, dass sie alle im Text ihrer Arie Ocean, thou mighty monster beschriebenen Bewegungen durchführt. (…) Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, dass Frau Araujo überhaupt singen kann. Andre Cluytens ist wahrscheinlich der kompetenteste französische Operndirigent. Er hatte die musikalische Darbietung des Oberon fest in der Hand, aber seine Lesart der Partitur war eher durch ihre Klarheit als durch ihre magische Qualität bemerkenswert. Ein weiterer störender Faktor war der Klang des „magischen“ Horns. Es ist bekannt, dass französische Blechbläser einen besonders hellen Klang erzeugen; in diesem Fall klang das Horn so saxophonähnlich, dass es die Atmosphäre des nebligen deutschen Waldes, in dem Oberon lebt, nicht wiedergeben konnte.

Carl Maria von Weber/Gemälde von Schimon/Wikipedia

M. Lehmanns Regie war enttäuschend. Er ist am besten im Umgang mit großen Gruppen, obwohl er manchmal dazu neigt, die Bühne zu überfüllen. Wie die meisten Ballette an der Oper leiden auch die des Oberon unter ihrer einfallslosen Choreographie. Was die billigen Parfüms angeht, die in den Zuschauerraum gesprüht werden, so würden sie zweifellos das Publikum der FoliesBergeres erfreuen, auf die M. Lehmann seine Patentrechte übertragen sollte. Einige der extravaganten Bühneneffekte – Rezias Erscheinung auf einem Baum im ersten Akt, die Ankunft des Bootes, die fliegenden Tänzerinnen und die Beförderung des Helden durch Feen in den Himmel im zweiten Akt – sind etwas zu sensationell, um künstlerisch ansprechend zu sein. Das größte Lob gebührt Jean-Denis Maleles, der das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hat. Seine Bühnenbilder sind farbenfroh, prächtig, phantasievoll und geschmackvoll. Die Kostüme von Oberon und Puck sind vielleicht nicht sehr erfolgreich in ihrem Versuch, das Übernatürliche darzustellen. Aber sie sind die einzige Enttäuschung in einem Spektakel, das für das Auge eine ungetrübte Freude ist. Die Waldkulisse und die Felsenkulisse sind vielleicht die schönsten ihrer Art, die man je auf einer Opernbühne gesehen hat. In beiden Fällen wird die enorme Tiefe der Opernbühne gekonnt ausgenutzt. (aus dem englischen Opernmagazin Opera, April 1954/ übersetzt mit DeepL))

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Franz Wüllner, der Rezitative für Webers „Oberon“ verfasste, die in der französischen Version bei Malibran Music verwendet werden – en francais, bien sure/ Wiki

Noch ein Wort zum Librettisten Franz Wüllner, der deutsche Rezitative aus Planchés englischem Orginaltext machte:  (Quelle youtube, wo man auch das Te Deum Wüllners findet.) Wüllner wurde in Münster geboren und studierte in seiner Heimatstadt sowie in Frankfurt, Berlin, Brüssel und München. Zu seinen Lehrern gehörte Anton Schindler, der sich selbst als Amanuensis Beethovens bezeichnete und die wahren Traditionen des Stils des Meisters weiterführte, eine Behauptung, die von Beethovens Schüler Carl Czerny bestritten wurde. 1856 wurde Wüllner Dozent für Klavier am Münchner Konservatorium. Von 1858 bis 1864 bekleidete er das Amt des städtischen Musikdirektors in Aachen. 1867 übernahm er die Leitung der Chorklassen an der reorganisierten Musikschule in München und schrieb für sie Chorübungen der Münchener Musikschule, Texte zum Notenlesen und Singen (Solfege).
Als Nachfolger des temperamentvollen Bülow übernahm er 1869 die Leitung der Hofoper und der Akademiehöfe. Hier leitete er die ersten Aufführungen von Rheingold und Walküre (1869, 1870), bevor er bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 den gesamten Ring-Zyklus aufführte. Diese Aufführungen sind es, für die man sich heute an ihn erinnert.
1877 wurde er Hofkapellmeister in Dresden und künstlerischer Leiter des dortigen Konservatoriums, 1884 Direktor des Kölner Konservatoriums und Dirigent der Gürzenich-Konzerte. Nach 1864 trat er häufig als Dirigent des Niederrheinischen Musikfestes auf. Er starb in Braunfels. Zu seinen bedeutenden Schülern zählten Volkmar Andreae, Fritz Brun, Lothar Kempter, Bruno Klein, Jan van Gilse, Hans von Koessler, Karl Aagard Østvig, Ernst von Schuch und der Dirigent Willem Mengelberg. Mengelberg behauptete kontrovers, dass die Verbindung seines Lehrers mit Schindler ihm eine direkte Verbindung zur Beethoven-Aufführungstradition verschaffte.
Zu seinen Werken gehören: Heinrich der Finkler, eine Kantate für Solo, Männerchor und Orchester; zusätzliche Rezitative zu Webers Oberon, die von vielen deutschen Theatern angenommen wurden; Psalm 125 für Chor und Orchester; Miserere für Doppelchor; und Stabat Mater für Doppelchor; außerdem Messen, Motetten, Lieder, Kammermusik und Klavierstücke. 1888 entstand das Te Deum.

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Überhaupt lohnt ein Blick in den Katalog von Malibran, wenn man die französische Oper liebt (wie ich). Da gibt es Schätze über Schätze – man kommt sich vor wie in Aladins Wunderkammer. Etwa einen Maître Pierre von Gounod von 1951 mit der bezaubernden und bildschönen Géori Boué und Michel Roux unter Max d´Ollone (einzige Aufnahme überhaupt) – angekoppelt sind Auszüge vom Médecin malgré lui von 1959 mit den bewährten Kräften des französischen Radios jener Jahre: Freda Betti, Louis Musy, die unentbehrliche Lina Dachary und viele mehr (CDRG1983, 2 CD).

Und als Schatzgräber fühlt man sich bei den vielen Titeln und Komponisten Namen in der Tat. Offenbach en masse, Hervé natürlich und das ganze Repertoire des französischen Nationalsenders RTF, von Terasse bis Messager, von Massé bis Auber. Vieles kennt man von anderen Veröffentlichungen bei Chant du Monde, die aber inzwischen nicht mehr zu haben sind. Meine Favoriten sind Février mit seiner Monna Vanna (Suzanne Sarrocca, Pierre Nougaro)

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1958/ MR 712), Bruneau mit Messidor (Rolland, Cambon 1948/ MR 639) und L´Attaque du Moulin (Bouvier, Lovano 1952/ MR 632), natürlich Berlioz vor allem mit seinen bis heute kaum übertroffenen Troyens unter Beecham (Ferrer, Giraudeau 1947/ CDRG 162) und Sébastien (Crespin, Chauvet, Buenos-Aires 1964/ MR769). Interessant ist auch D´Indys Fervaal (Mollien, Grancher, Le Conte 1962/ MR 771)

sigurd reyer malibranoder Reyers Sigurd (als Vega-Übernahme mit Botiaux/ MR 765). Und natürlich so apokryphe Titel wie Lazzaris Tour de Feu von der Uraufführung in Paris 1944 unter Francois Ruhlmann (CDRG 155), Leroux´ Chémineau (MR 667) oder Paris ou le bon juge von Terrasse (MR 783). Und die Liste der Goodies zieht sich fort, dass dem Sammler das Wasser im Mund zusammen läuft: Faurés Penelope mit der schönen Berthe Monmart von 1951 (MR 699), Faust von Gounod mit der dto. bezaubernden Jacqueline Brumaire und Georges Noré von 1955 (MR 788) und mit dem unübertroffenen Vezzani neben Berthon und Journet (CDRG 104), Bizets Pecheurs de Perles mit Vanzo und Doria dazu Massard (MR 742 in einer Vega-Übernahme) und vieles, vieles, vieles mehr.

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Ein Blick ins Netz in den Katalog von Malibran lohnt sich, die Bestellung ist einfach und sicher. Und eine Lektion in erfüllten, Stimm-Gesichter-reichem und charaktervollem Gesang gibt’s umsonst, auch wenn die technische Wiedergabe-Seite manchmal etwas muffig sein kann. G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Beeindruckende Revitalisierung

Max E. Cencic ist nicht nur Sänger und künstlerischer Leiter des Labels Parnassus, inzwischen ist er auch zum Unternehmer geworden: Seine Wanderoper tritt mit barocken Projekten europaweit auf und besorgt sowohl die Inszenierung als auch die CD-Einspielung. Cencic führte sogar selber Regie bei der von der Presse hochgelobten szenischen Aufführung des Arminio im Rahmen der Karlsruher Händel-Festspiele im Februar 2016. Nun ist bei Decca die Studioaufnahme erschienen, mit der Cencic und sein Label Parnassus umfassend den Dornröschenschlaf dieser Oper über Hermann den Cherusker beenden.

Arminio erlebte seine Uraufführung 1737 – in der Saison, in der Händel sich im vierten Jahr dem ruinösen Konkurrenzkampf mit der Adelsoper stellte. Die Stars der Opera of the Nobility waren der Kastrat Farinelli sowie drei Künstler, die bereits 1736 London verlassen hatten: Farinellis Gesangslehrer und Komponist Antonio Porpora, der sechs seiner Opern zwischen 1733 und 1736 in London aufführte (darunter 1735 Polifemo) sowie die abtrünnigen, früheren Händelstimmen des Kastraten Senesino und der Sopranistin Cuzzoni. Händel reagierte auf die Herausforderung der Adelsoper und stellte für die Saison 1736/37 sein vielleicht ambitioniertestes Programm auf die Beine: Acht Opernproduktionen und vier Konzerte erlebte das Theatre Royal im Covent Garden, Händel selber trug drei statt wie sonst üblich zwei neue Opern bei: Arminio, Giustino und Berenice, dazu gab es Wiederaufnahmen aus dem oratorischen Schaffen (Esther, Deborah, Il trionfo del tempo …). Dennoch gingen beide Opernunternehmen bekanntlich pleite. Händels drei Opern aus der letzten Saison am Covent Garden haftete der Ruf an, schwächere Werke zu sein. Der Händel-Experte David Vickers schreibt im Beiheft zu dieser Aufnahme, dass Arminio „von all seinen späteren Arbeiten für das Londoner Theater am seltensten aufgeführt und auch am wenigsten bekannt ist“. Wer stichhaltige Gründe für dieses Nischendasein sucht, wird kaum fündig. Es wurden dramaturgische Schwächen des Librettos angeführt, die Rezitative wurden radikal gekürzt (ca. von 1300 auf 300 Zeilen), eine Maßnahme, die aus heutiger Sicht dazu beitrug, den Handlungsfluss zu beschleunigen. Auffällig ist die Orchesterbehandlung: Keine Flöten, keine Trompeten, keine Pauke, nur sehr wenige Arien haben solistische Begleitung, im zweiten Akt dürfen die Oboen in einer Arie virtuos auffallen, erst im dritten Akt werden die Hörner benötigt. Ansonsten fast eine Kammeroper, Streicher und Basso Continuo dominieren die Akustik der Oper.

Auch bei der szenischen Produktion der Karlsruher Händel Festspiele zeigte sich dies in einer reduzierten Besetzung: wo sonst ca. 40 Musiker sitzen, kam man nun mit deutlich weniger aus. Arminio ist also keine strahlende Heldenoper, die Schlacht im Teutoburger Wald kommt musikalisch nicht vor, vielmehr erscheint Arminio als Familientragödie, als psychologische Geschichte über Treue und Verrat in Zeiten des Umbruchs. Auf CD liegt Arminio seit 2001 bereits vor: Alan Curtis spielte sie mit seinem Complesso Barocco für Virgin Classics ein, eine Aufnahme, die sich von der Neuproduktion der Decca in mehreren Punkten unterscheidet. Decca hat die bessere Aufnahmeakustik, der Klang ist satter und voluminöser als 15 Jahre zuvor. Dirigent George Petrou und das Originalklangensemble Armonia Atenea musizieren eine hochspannende Interpretation. Wo bei Curtis das Cembalo im Vordergrund steht, dominieren bei Petrou die Streicher, wo Curtis zurückhaltend betont und Affekte den Sängern überlässt, phrasiert Petrou stärker, Affekte werden deutlicher ausgearbeitet, bereits in der Ouvertüre zeigt er einen viel stärker dramatischen Gestus, die ruhelosen und gehetzten Streicher ziehen den Zuhörer unmittelbar ins Geschehen, Pathos, Konflikte und Psychologie werden plastisch herausgearbeitet, auch harsche Klänge scheut der Dirigent nicht. Die Ausdrucksvielfalt und -intensität wird erhöht, das erste Duett „Il fuggir, cara mia vita“ gewinnt bspw. eine ganz andere Dimension: wo die Curtis-Aufnahme lediglich Beklommenheit darstellt, hört man nun Aufregung und Angst. Petrou gelingt in der Neuaufnahme ein doppeltes orchestrales Kunststück: Die Figuren werden menschlicher, die Affekte unmittelbarer, trotz eingeschränkter instrumentaler Vielfalt, langweilt man sich nicht beim Zuhören; der Dirigent schafft dies ohne übertriebene Temposteigerung – abgesehen von individuellen Schwankungen, sind Curtis und Petrou in dieser Hinsicht nicht weit auseinander. Auch sängerisch hat Decca die Nase vorn. Curtis konnte bei der Aufnahme im Jahr 2000 vor allem mit zwei Stimmen überzeugen: Vivica Genaux als Arminio und Geraldine McGreevy als Tusnelda hört man auch heute noch gerne zu.

Die Neuproduktion ist ausgeglichener, für jede Rolle hat man eine individuelle, unverwechselbare Stimme. Man setzt auch wie zu erwarten auf Countertenöre, Curtis hatte noch zwei Sängerinnen für die großen Kastratenrollen Arminio und Sigismondo engagiert. Die Hauptrolle des Arminio übernimmt Max E. Cencic. Eine Rolle, die 1737 für den Altkastraten Domenico Annibali geschaffen wurde und die mit ihren stimmlichen Herausforderungen bei Cencic in besten Händen ist. Die Arien sind von Händel in nobler Haltung komponiert, der germanische Held befindet sich die meiste Zeit in römischer Gefangenschaft, Cencic vermittelt vorbildlich plastisch Aufbegehren, Seelengröße und Todesbereitschaft, man höre sich bspw. seine drei Arien des zweiten Akts „Duri lacci“, „Si, cadrò, ma sorgerà“ und „Vado a morir“ an. Als Arminios Ehefrau Tusnelda lässt die schöne Stimme der kanadischen Sopranistin Layla Claire aufhorchen, sie meistert bravourös die Herausforderung, mehrere Moll-Arien ausdrucksstark gefühlvoll zu singen, „Rendimi il dolce sposo“ am Ende des zweiten Akts ist einer der Höhepunkte der Neueinspielung. Ideal besetzt hat man auch die Rolle des Sigismondo, die von Händel für den Soprankastraten Gizziello komponiert wurde. Mit Vince Yi hat man eine faszinierende Stimme gewählt, die man mit einem weiblichen Sopran verwechseln kann. Yi singt im zweiten Akt die effektvollste Bravourarie der Produktion „Quella fiamma“, die auch als seltene Ausnahme dieser Händel Oper ein virtuoses Solo-Instrument (eine Oboe) fordert. Für Sigismondos Partnerin Ramise hat man mit der warmen Stimme der Mezzosopranistin Ruxandra Donose eine sehr gute Wahl getroffen. Die kleineren Rollen sind auffällig besetzt, dass Bassist Petros Magoulas als Segeste nur eine Arie hat, ist fast schon Verschwendung, ebenso Juan Sancho, der als römischer General Varo im dritten Akt mit „Mira il ciel“ eine der auffälligsten, mit zwei Hörnern, Oboe und Fagott besetzte Arie hat und mit energiegeladenem Tenor überzeugt. Der dritte Countertenor im Bunde ist kein Unbekannter: Xavier Sabata hat nur zwei Arien, die er gewohnt stimmschön und sicher präsentiert. Zusammengefasst: eine lebendige, spannende und empfehlenswerte Neueinspielung mit Referenzstatus. (2 CDs, ca. 150 Minuten, DECCA 478 8764) Marcus Budwitius

Viele unvergessliche Stunden

 

Dem Nachruf der Salzburger Festspiele auf den Tod des bedeutenden Dirigenten Nikolaus Harnoncourt im Alter von 86 Jahren am 5. März 2016 schließen wir uns an und bedauern einmal mehr den Fortgang eines so großen Musikers, operalounge.de: Als vergangenen Sommer Beethovens Missa solemnis unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt am Pult seines Concentus Musicus Wien erklang, war in keinster Weise abzusehen, dass sich damit für die Salzburger Festspiele ein Kreis schließen sollte, der 1992 mit der Aufführung ebenjenes Werkes begonnen hatte: dem Debüt von Nikolaus Harnoncourt bei den Salzburger Festspielen, damals mit dem Chamber Orchestra of Europe. Damals wie heute kompromisslos, aufrüttelnd, überwältigend. Die Nachricht von seinem Tod löst in der ganzen Musikwelt große Betroffenheit aus und auch uns bleibt nur, mit größter Dankbarkeit all jener Sternstunden zu gedenken, mit denen er knapp ein Vierteljahrhundert lang unseren Festspielen wahrhaft Unerhörtes geschenkt hat.

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Christian Jungwirth/ Salzburger festspiele

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Christian Jungwirth/ Salzburger Festspiele

Karriere in Salzburg machte Harnoncourt zuerst auf der anderen Salzachseite. Von 1972 an unterrichtete er Aufführungspraxis und historische Instrumentenkunde als Professor am Salzburger Mozarteum. Der Mozartwoche ist sein erster Auftritt als Dirigent in Österreich zu verdanken, 1980 am Pult des Concertgebouw Orchesters Amsterdam. Auch für sein Debüt mit den Wiener Philharmonikern sorgte die Stiftung Mozarteum. Denn zu seinen Lebzeiten wollte Herbert von Karajan ihn nicht bei den Festspielen sehen. Karajan und Harnoncourt das waren zwei musikalische Welten. Eines hatten sie allerdings gemeinsam. Beiden ging es um die Wahrheit in der Musik, beide waren lebenslang Suchende, aber diese Suche gestaltete sich bei beiden radikal anders.

1992 war es dann endlich soweit, Nikolaus Harnoncourt stand erstmals am Podium der Salzburger Festspiele. Seither folgten Sternstunden in Konzert – darunter ein eigener Beethoven-Zyklus – und unvergessliche Opernproduktionen wie L’incoronazione di Poppea, zweimal Mozarts Le nozze di Figaro sowie Don Giovanni und La clemenza di Tito. Dabei gelang ihm immer wieder in scheinbar Bekanntem unbekannte Momente aufleben zu lassen, scheinbar Vertrautes völlig neu erleben zu lassen und seine Zuhörer zu einer Entdeckungsgemeinschaft zusammenzufügen.

„Die Eröffnungspremiere mit Monteverdis L’incoronazione di Poppea gestaltete sich zu einem persönlichen Triumph des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt“, schrieb Gerhard Rohde am 26. Juli 1993 in der FAZ.

Persönliche Triumphe hatte Harnoncourt viele. Aber trotzdem passte dieser Begriff nicht zu ihm. Um den persönlichen Triumph ging es ihm nie. Um die Kunst ging es ihm, um die Wahrheit. Das hat Nikolaus Harnoncourt so mitreißend, so einzigartig gemacht. „Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt – erzählt – erschüttert – beglückt…Die Schönheit in der Kunst schließt das Gegensätzliche ein und heißt Wahrheit und kann beklemmend sein“, postulierte Harnoncourt in seiner Rede zur Festspieleröffnung 1995. Eine bemerkenswerte Rede, in der er auch nicht davor zurückschreckte unangenehme Wahrheiten auszusprechen und die Verantwortung des Künstlers und des Publikums einmahnte.

Helga Rabl-Stadler und Sven-Eric Bechtolf, Direktorium der Salzburger Festspiele: „Nikolaus Harnoncourt der Fackelträger wird uns fehlen, fehlt uns heute schon. Unser Mitgefühl gilt in dieser dunklen Stunde seiner Familie vor allem seiner Frau Alice. Sie war sein Lebensmensch, seine unersetzliche private und berufliche Partnerin. Beethovens  Neunte Symphonie, die er am 25. Juli bei den Festspielen dirigieren hätte sollen, sei ihm gewidmet. Die schwarze Flagge weht auf unserem Haus, in dem er uns so viele unvergessliche Stunden bereitet hat.“

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Festival Styriarte/ Binder/ Salzburger festspiele

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Festival Styriarte/ Binder/ Salzburger Festspiele

Nikolaus Harnoncourt, 1929 in Berlin geboren, wuchs in Graz auf und studierte Violoncello bei Paul Grümmer und Emanuel Brabec in Wien. Von 1952 bis 1969 war er Mitglied der Wiener Symphoniker, gründete aber parallel dazu im Jahr 1953 den Concentus Musicus Wien, der die Neubewertung der Aufführungspraxis von Musik aus Renaissance, Barock und Klassik maßgeblich mitbestimmte. Zunächst leitete Nikolaus Harnoncourt sein Ensemble zumeist vom Cellopult aus; seit 1970 aber verlagerte er seine Arbeit zunehmend auf die klassische Dirigententätigkeit und nahm Engagements bei anderen Orchestern an. Seine erste Operneinstudierung, Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria, entstand 1971 im Theater an der Wien; seine Verbindung mit dem Zürcher Opernhaus begann ebenfalls in den siebziger Jahren mit einem Monteverdi- und einem Mozart-Zyklus.

Zu den zahlreichen Häusern und Festivals, an dener er als Operndirigent tätig ist, gehören u. a. die Wiener Staatsoper, die Nederlandse Opera Amsterdam und die Salzburger Festspielen, wo er im Sommer 2012 eine neue Zauberflöteherausbrachte.
Im Konzertsaal war er regelmäßiger Gast des Königlichen Concertgebouworkest, des Chamber Orchestra of Europe sowie der Wiener und der Berliner Philharmoniker. Eine enge Partnerschaft besteht mit der styriarte in Graz, die 1985 eigens für ihn gegründet wurde.
Als Autor und Pädagoge vermittelt er seine Erkenntnisse an ein breites Publikum und die nachfolgenden Generationen. Die Diskografie von Nikolaus Harnoncourt beinhaltet nahezu 500 vielfach preisgekrönte Einspielungen.
Für seine Verdienste um das Musikleben wurde er u. a. mit dem Siemens-Musikpreis (2002) und dem Kyoto-Preis (2005) gewürdigt. Er ist Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde, der Konzerthausgesellschaft in Wien sowie der Musikuniversitäten Graz und Wien, außerdem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Edinburgh, der Salzburger Universität Mozarteum und der Hochschule für Musik Köln. (Quelle: Salzburger Festspiele, Pressestelle, Foto oben Marco Borggreve/ Salzburger Festspiele – mit Dank auch für die obigen)

Neue Transparenz

 

Im so umfangreichen wie informativen Booklet zur Doppel-CD zu Bellinis Oper I Capuleti e i Montecchi bei Glossa, live aufgenommen 2014 in Rieti,  beklagt Dirigent Fabio Biondi, dass nicht auch für den romantischen Belcanto wie für das barocke und klassische (womit hier Verdi gemeint ist) Repertoire nach dem authentischen Klang, wie er zu den Ohren der Zeitgenossen gelangte, gesucht wird. Diesen strebt er mit seinem Orchester Europa Galante an, einen durchsichtigeren, kammermusikalischen Ton, wie er nicht zuletzt wegen der größeren Nähe zwischen Sängern und Orchester in den alten Opernhäusern selbstverständlich war. Hand in Hand damit ging eine genauere Beachtung der grafischen Zeichen in den Partituren, Feinheiten, denen man heutzutage nicht nur wegen des massiven Orchesterklangs, sondern auch wegen der Anforderungen, die moderne Regie an die Sänger stellt, nicht mehr gerecht werden kann. Konzertante Aufführungen wie die nicht nur in Rieti und eine originale Orchesterbesetzung sind der Ausweg aus dem Dilemma, den auch Biondi mit seinem Klangkörper gewählt hat.

Natürlich ist bei einem transparenteren Orchesterklang nicht mehr ein Mezzo-Romeo vom Kaliber einer Marilyn Horne vonnöten, aber die Wahl von Vivica Genaux ist dennoch keine glückliche, weil die Stimme zu sopranlastig und allzu leicht für die Hosenrolle ist,  sich damit wenig von der ihrer Giulietta abhebt. Sie klingt ausgesprochen weiblich, ja stellenweise kokett, zu dolce und auch allzu harmlos. Als positiv ist anzumerken, dass die Intervallsprünge gut gelingen, auch wenn dann die Tiefe zu wenig präsent ist, zumindest in den Cabaletten ein kämpferischer Ton angestrebt wird und das Legato sehr schön und ausgeprägt ist. Die Giulietta von Valentina Farcas beginnt mit einem feinen Schwellton, vermag mit ihrem Timbre Charakter und Situation der Rolle gut auszudrücken, ihre Hinfälligkeit ist auf glückliche Weise gepaart mit vokaler Grazie, so im „Ah, non poss’io partir“ oder im „respiro“. Gefährlich für den Romeo wird auch im gemeinsamen Duett der Tenor von Davide Giusti, schlank, dabei durchaus viril und seine Melodien zärtlich ausspinnend, so im „È serbata a questo acciaro“. Die Höhe ist sicher, wenn auch etwas weinerlich klingend. Dumpf klingt der Capellio von Ugo Guagliardo, sonor und markant, mit viel Autorität und Wärme in der Stimme tritt der Lorenzo von Fabrizio Beggi auf. Der Belcanto Chorus unter Martino Faggiani trägt seinen Namen zu Recht (GCD 923404). Ingrid Wanja    

Operette in Wien 1938 bis 1944

 

Im Kunsthistorischen Museum in Wien gab es 2011 eine maßstabsetzende Ausstellung: Die Welt der Operette, mit vielen Exponaten und vielen, vielen klugen Texten, die in einen umfangreichen Ausstellungskatalog einflossen. Der Wiener Musikwissenschaftler und Operettenfachmann Hans-Dieter Roser ist Lesern von operalounge.de kein Unbekannter, hat er doch den köstlichen Artikel zu Weinberln und Zibeben eingebracht, der sich mit der Wiener Operette der Strauß-Zeit beschäftigt. Nun jedoch hat uns Hans-Dieter Roser in seiner Freundlichkeit einen weiteren Artikel überlassen, der sich mit der Wiener Operette während der Nazi-Zeit beschäftigt und der Teil des Katalogs eben für die Wiener Operetten-Ausstellung war. Kevin Clarke von ORCA, der selbst die Wiener Ausstellung mitgestaltete, hatte diesen Beitrag zur Rezeption der Operette in Wien während des Anschlusses Österreichs bereits auf seiner ORCA-website publiziert. Wie danken beiden Herren für ihre Freundlichkeit (Ein Wort zu den Fußnoten findet sich am Ende.). G. H. 

 

Operette: Postcard with a scene from “Gruß und Kuss aus der Wachau,” music by Jara Benesch.

Operette: Postcard with a scene from “Gruß und Kuss aus der Wachau,” music by Jara Benesc/ORCA.

Nun also der Text zur Operette in Wien 1938 – 1944: Am 12. März 1938 nachmittags hatten sich in der Wohnung des Dramaturgen und Regisseurs Kurt Hellmer in Naschmarktnähe ein paar Leute versammelt. Darunter seine Eltern, der erfolgreiche Theaterdirektor Arthur Hellmer, der nach seiner Flucht aus Deutschland seit 1. September 1936 das Theater an der Wien leitete, mit seiner Frau und ein paar Eleven des Theaters, mit denen sich der Sohn angefreundet hatte. Auch der junge Schauspieler Rolf Kutschera gehörte dazu. Durch das offene Fenster hörte man den Lärm von der nahen Mariahilferstraße, wo die Menschen den einziehenden deutschen Soldaten euphorisch zujubelten. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hatte begonnen. Die Hellmers waren Juden und deshalb verständlicherweise aufgeregt. In der Runde befand sich auch der geschätzte musikalische Leiter des Theaters an der Wien, Anton Paulik. Kommentarlos hörte er den erregten Dialogen der existenzbedrohten Menschen zu, die ihn nicht zu betreffen schienen. [1]

Operette: Esther Réthy, Star der Wiener Vorkriegszeit/ kulturpool.at

Operette: Esther Réthy, Star der Wiener Vorkriegszeit/ kulturpool.at

Der Jubel von der Mariahilferstraße läutete das Ende der Operettenhochburg Theater an der Wien ein. Man spielte noch ein paarmal den erst am 8. Februar herausgekommenen „musikalischen Kriminalroman“ Dixie von Karl Farkas und Adolf Schütz nach einer Idee von Guido Freud mit der Musik von Michael Krasznay-Krausz. Nur noch kurz erfreute sich das Publikum an den Hauptdarstellern Lizzie Waldmüller, Oscar Karlweis, Paul Morgan, Emil Stöhr, Manfred Inger, usw. Denn am 17. März wurde das Theater an der Wien als musikalisches Unterhaltungstheater geschlossen, nachdem Bühnenarbeiter ihren Direktor vor dem Bühneneingang in der Lehárgasse auf Anweisung eines Arbeiters in SA-Uniform mit einer Zahnbürste ihre Schuhe reinigen ließen, wie der darüber tief beschämte Eleve Kutschera ohnmächtig mit ansehen musste; ein Eingreifen wäre für ihn lebensgefährlich gewesen. Arthur Hellmer konnte sich nach England absetzen und überlebte – im Unterschied zu seinem Direktionskollegen Dr. Rudolf Beer von der „Scala“, dem ehemaligen Johann-Strauß-Theater in der nahen Favoritenstraße. Nach dem Krieg kehrte Hellmer aus dem Exil zurück und wurde Intendant des Hamburger Schauspielhauses. Die Stadt Frankfurt entschädigte ihn für seine Vertreibung aus seinem dortigen Theater, dem Neuen Theater, das er 1911 mit begründet und bis 1936 geleitet hatte.

Operette: Katalog zur Wiener Ausstellung 2011

Operette: Katalog zur Wiener Ausstellung 2011/Amazon

Am Theater an der Wien gastierten in den folgenden Wochen noch die Löwingerbühne und eine Gruppe von Eleven und Jungschauspielern (darunter Josef Meinrad) mit dem Schauspiel Gymnasiasten von Walter Hans Boese. Das in seiner Anlage völlig anders gedachte Stück war vom Autor im Hinblick auf eine Aufführungsgenehmigung durch den von den neuen Machthabern eingesetzten kommissarischen Leiter des Theaters an der Wien, dem ehemaligen Chorsänger Georg Ringhofer, auf die neue politische Situation umgeschrieben worden. Das Stück hatte vorher, wie auch seine Interpreten, nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. Die Tarnung gelang perfekt, weil man auch noch Vizekanzler Edmund Glaise-Horstenau und Vize-Gauleiter Minister Hubert Klausner für den Ehrenschutz gewinnen konnte; die Einnahmen stellte man der Volksspende des Wiener Gauleiters Bürckel zur Verfügung.

Am 31. Mai 1938 war dann endgültig Schluss an der Wienzeile. Die Stadt Wien kaufte das Theater zwar noch den privaten Eigentümern Marischka-Karczag ab, hatte aber offensichtlich kein Interesse an einer Wiederbelebung. Erst in der Nachkriegszeit wurde das Haus als Ausweichquartier für die bombardierte Wiener Staatsoper zu neuem Leben erweckt und aus unerfindlichen Gründen noch einmal den alten Eigentümern abgekauft. Da auch das Carl-Theater in der Praterstraße seit 1929 geschlossen war, hatte die Stadt Wien nun zwei wichtige und traditionsreiche Operettenzentren verloren.

 

Der Dirigent Anton Paulik/ Comérdie Musical

Operette in Wien 1938 – 1944/ der Dirigent Anton Paulik/ Comédie Musical

Schluss mit Shimmy! Warum sich Anton Paulik (1901-1975) an jenem bewussten Nachmittag so unbetroffen gezeigt hatte, sollte Eleve Kutschera während der Gymnasiasten-Zeit von seinem kommissarischen Direktor, der das Stück inszenierte, erfahren: Paulik habe bereits vor dem Anschluss illegal der Partei angehört. Das war etwas fahrlässig und politisch nicht korrekt formuliert. Denn Paulik hatte als gebürtiger Karpatendeutscher dem Sudetendeutschen Heimatbund angehört, wie er auch in einem Fragebogen korrekt vermerkte.[2] Der SDHB war eine in Deutschland und Österreich wirkende, vorwiegend aus Sudetendeutschen bestehende überparteiliche Interessengemeinschaft, die in der Tschechoslowakei verboten war und die für die Sudetenländer das Selbstbestimmungsrecht forderte, wie es Präsident Wilson 1919 proklamiert hatte. Die Tschechen verweigerten dieses Recht den Karpaten- und Sudetendeutschen, mit deren Partei sich schließlich 1935 die 1929 gegründete Karpatendeutsche Partei, die vorher eher nach Deutsch-Österreich orientiert war, aus wahlarithmetischen Gründen zusammenschloss und deren gesamtdeutsche Orientierung übernahm.

Bruno Granichsteadten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Operette: Bruno Granichstädten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Da offensichtlich nicht nur Direktor Ringhofer „Heimatbund“ mit „illegalen Nazis“ gleichsetzte, erklärt sich auch, warum der hochbegabte Dirigent Paulik, der an der Wien seit 1921 die synkopierten Jazz-Partituren jüdischer Komponisten wie Kálmán, Oscar Straus, Granichstädten und Ábrahám zum Erfolg geführt hatte und dafür von der Presse einhellig in den höchsten Tönen gelobt wurde, dennoch schnell mit den höheren Weihen eines Staatstheater-Engagements belohnt wurde und bereits am 17. Mai 1938 an der Staatsoper einen Ballettabend mit der Kröller-Choreographie von Bacchusfest (auf die Musik von Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus), Les petits riens und Coppelia dirigieren durfte – zunächst noch als Gast. Er habe sich mit den Philharmonikernsehr gut verstanden“, war zu lesen [3]. Was einen Spezialisten für jazzige Balletteinlagen, der von unten das Tempo vorgab, allerdings zu einem Dirigenten klassischer Ballette prädestinierte, der sich den Tempowünschen der Tänzer anpassen musste, vermochte nur die Partei zu sagen. Es war einfach so, wie der österreichische Historiker Oliver Rathkolb konstatierte, dass ein arger Partei-Protektionismus bei der Bestellung frei gewordener Positionen herrschte. Die Staatsoper hatte ihre jüdischen Dirigenten Bruno Walter, Karl Alwin und Felix von Weingartner verloren, brauchte also Ersatz. Schon für 9. Juni war Paulik für eine als Festvorstellung für den Kontinentalen Reklame-Kongress programmierte Fledermaus angesetzt, also einer historischen Form der Operette – statt wie bisher als kongenialer Leiter von zeitgenössischen Jazz- und Revuewerken. 55 Vorstellungen dieser Operette bis zur Theatersperre 1944 sollten es dann noch am Ring für ihn werden[4]. Es folgten Dirigate von ebenfalls „klassischen“ Operetten wie BoccaccioLand des LächelnsNacht in VenedigWiener Blut und Zigeunerbaron neben verschiedenen Opern. Die Operetten-Aufführungen machten Paulik endgültig zum unangefochtenen Operettenspezialisten, der er auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod in Wien bleiben sollte. Offensichtlich trat er nie offiziell der NSDAP bei und fiel auch durch keinerlei positive Kommentare zum Regime auf, das ihm aber Mitarbeiter zuführte, die er nach 1945 sofort wieder in seine Produktionen integrierte (z. B. das NSDAP-Mitglied Kattnig[5]). Auffällig auch seine Nachkriegsdistanz zu Werken jüdischer Komponisten, mit deren Operetten er einst seine Karriere begonnen hatte.

 

Operette: "Ännchen von Tharau"/ Sheetmusic/ Sammlung Schulz

Operette: „Ännchen von Tharau“/ Sheetmusic/ Sammlung Schulz

Die Stunde der Wienerlieder: Eine derartige öffentliche Zurückhaltung in nationalsozialistischen Belangen konnte der Operetten- und Wienerlieder-Komponist Heinrich Strecker (1893-1981) nicht für sich in Anspruch nehmen. Er war zwar schon vor 1938 mit einigen Wienerliedern und einer Operette sehr erfolgreich. Das Werk hieß Mädel aus Wien, eine „Wiener Operette“ – sicher als bewusster Kontrast zur Internationalität der Operette der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre so bezeichnet. Aber auch dabei war nicht ohne einen verstorbenen jüdischen Librettisten auszukommen: Robert Bodanzky [6], nach dem Joe Gribitz und Fritz Gerold das Buch schrieben. Und wegen Bodanzky als Autor sowie Napoleon und französischer Offiziere als Hauptfiguren des Stückes verschwand das durchaus erfolgreiche Werk bereits in der Nazizeit wieder von den Spielplänen. [7] Die Uraufführung hatte am 20. Jänner 1932 im Bürgertheater an der Vorderen Zollamtsstraße im 3. Bezirk stattgefunden.

Streckers Biographen bemühen sich krampfhaft, seine Hinwendung zum Nationalsozialismus zu vertuschen, indem sie alle seine politischen Aktivitäten vor dem Anschluss und danach [8], inklusive seiner „Jubelkompositionen“ wie “Deutsch-Österreich ist frei!” und “Wach auf, deutsche Wachau!” von 1938 schlichtweg nicht erwähnen. Sie erklären das Engagement Streckers für die NSDAP mit seinem Lebensweg: „Als ehemaliger Offizier der k. u. k. Armee, der … die Erniedrigungen, denen das besiegte Volk ausgesetzt war, nie vergessen konnte, glaubte er, dass der Anschluss für seine Heimat einen gute Sache sei.“ [9]

Operette in Wien 1938 - 1944: Heinrich Strecker/ Orca

Operette in Wien 1938 – 1944: Heinrich Strecker/ Orca

Auf Grund seiner frühen politischen Einstellung scheint die Wiener Operettenszene vor dem Anschluss zu ihm auf Distanz gegangen zu sein, denn seine bekanntesten Operetten, Ännchen von Tharau (1933) und Der ewige Walzer (1937) wurden im Deutschen Reich uraufgeführt und auch viel gespielt. Erst im Juni 1938, bei der ersten Reichs-Theaterfestwoche in Wien nach dem Anschluss, wo an der Staatsoper am 18. Juni eine Neuinszenierung des Zigeunerbaron durch Alfred Jerger unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm Premiere hatte, der allerdings schon bei der zweiten Vorstellung die Produktion an Anton Paulik abgab, also nur „Zugpferd“ zum Auftakt der Woche war, kam Strecker wieder zu Wiener Aufführungsehren. Die Volksoper, die sich schon vorher teilweise der Operette verschrieben hatte, musste ebenso einen festlichen Beitrag leisten, um die Heimkehr der Ostmark ins Reich zu feiern: Man brachte bereits vorweg am 18. Mai Streckers Ewigen Walzer in einer Inszenierung von Otto Langer unter der musikalischen Leitung von Franz Schönbaumsfeld heraus[10], für die der ebenfalls längst den Nationalsozialisten nahestehende Architekt Kurt Richter das Bühnenbild geschaffen hatte, der nach dem Krieg nur mehr als Bühnenbildner des Salzburger Marionettentheaters Fuß fassen konnte. Nach 100 Aufführungen übersiedelte die Produktion ins Stadttheater in der Skodagasse im 8. Bezirk, einer der ehemaligen Marischka-Bühnen, auf denen die großen, nach amerikanischem Vorbild geschaffenen Benatzky-Farkas-Grünbaum-Revuen in den Zwanzigerjahren Triumphe gefeiert und später das jazzige Weiße Rössl seine Wiener Erstaufführung erlebt hatte.

"Operette": Reichte bis in die Nachkriegszeit hinüber: "Der ewige Walzer" als Film/ Sammlung Schulz

„Operette“: Reichte bis in die Nachkriegszeit hinüber: „Der ewige Walzer“ als Film/ Sammlung Schulz

Der ewige Walzer bot wie Schwarzwaldmädel von Leon Jessel, das Hitler gern laut Schirachs Kulturreferent Thomas als seine Lieblingsoperette – noch vor der Lustigen Witwe im Ranking – gewählt hätte, wenn nicht der Komponist getaufter Jude gewesen wäre, alles das, was die Nationalsozialisten als Ideal ihrer Operettendramaturgie bestimmt hatten: Innigkeit, Sauberkeit, Heimatverbundenheit. Alles Parameter, die die Operette der Dreißigerjahre auf Ihrem Weg zu einem europäischen Musical zurück auf das biedere deutsche Singspiel fallen ließen, als dessen Inbegriff Ännchen von Tharau gelten konnte – so wie Der ewige Walzer als blasse Wiedergeburt der klassischen Wiener Operette.

 

Wohin mit der Operette in Wien? Der Blick war definitiv rückwärtsgewandt: Die sogenannte „klassische Wiener Operette“ war das dramaturgische und musikalische Operettenziel der Nazis, Stücke aus dem 19. Jahrhundert bzw. solche, die mit einer entsprechenden Aura umgeben waren, also auch zeitgenössische Werke, die diesem Retro-Ideal nacheiferten. Die reichsdeutschen theatralischen „Denker“ Schlösser[11], Ziegler[12] – und wie auch immer sie hießen -, sprangen da raffiniert auf den Zug auf, den die nicht nationalsozialistischen jungen Theatermacher in Gang gesetzt hatten. Der Regisseur und Theaterleiter Oscar Fritz Schuh [13] artikulierte diese Tendenz in seinen Memoiren ganz unverblümt: „Einig waren sich die Regisseure der sogenannten seriösen Kunstgattungen, daß nicht klassische Operetten abgeschafft werden müßten. Wir haßten ‚Gräfin Mariza‘ und die ‚Czárdás-Fürstin‘ (sic!) und taten alles, was in unserer Macht stand, leichte Musen dieser Art nicht zu fördern. Es gelang uns nicht. Es ist bis heute nicht gelungen.“ [14] Wobei offensichtlich die beiden Kálmán-Werke (1924, bzw. 1915) hier als Synonym für die Operette der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre stehen.

Die Volksoper – ursprünglich als Sprechbühne konzipiert – hatte bereits unter der Direktion Rainer Simons, der ab September 1904 die allmähliche Hinwendung zu einer Musikbühne vollzog, als Ausweichquartier mit Gastspielen des Theaters an der Wien 1905 der Operette Tür und Tor geöffnet, bevor man am 25. Jänner 1907 mit der Fledermaus, dirigiert von Alexander von Zemlinsky, die erste eigenständige Operettenproduktion des Hauses auf die Beine stellte. Während der wirtschaftlichen Zwangslage in der Ersten Republik waren die Operetten die finanzielle Rettung des Hauses, so dass man unter der Direktion Gruder-Guntram 1925 sogar eine Fusionierung des Carltheaters mit der Volksoper erwog [15]. Das Carltheater wurde geschlossen – die Volksoper überlebte. So passierte es, dass den deutschen Truppen unter dem damaligen Direktor Jean Ernest als Pächter des Theatervereins Volksoper Wien Gruß und Kuss aus der Wachau von Jara Benesch am 12. März 1938 entboten wurden, eine Revue-Operette, die der Führer angeblich so gar nicht schätzte, mit Autoren (Hugo Wiener und Fritz Löhner-Beda) und Interpreten (Bühnenbildner Karl Josefovics und Cissy Kraner), die nicht seinen Rasse-Vorstellungen entsprachen.

Operette: Friedl Czepa, Publikumsliebling der Wiener Jahre 1938 - 1944

Operette: Friedl Czepa, Publikumsliebling der Wiener Jahre 1938 – 1944/ORCA

Die Stadt Wien übernahm schnellstens die Volksoper als Eigentümerin, installierte den vom Deutschen Opernhaus Berlin flugs herbei geeilten Kammersänger Anton Baumann als parteitreuen Intendant und änderte das gesamte Leitungsteam. Baumann war ein Sohn des gleichnamigen Gastwirts, Landtagsabgeordneten, Bezirksvorstehers des 18. Bezirks und ersten Präsidenten des bereits erwähnten Stadttheatervereins. 1941 verstarb Kammersänger Baumann unerwartet. Als seinen Nachfolger für das wohlbestellt hinterlassene Institut setzte Reichsstatthalter Baldur von Schirach den Kulturamtsleiter der Stadt Wien, Oskar Jölli ein, ebenfalls ein Gastwirts- und Fleischersohn aus der Steiermark und ein überzeugter Nazi. [16] Jölli hatte eine Karriere als Konzertsänger hinter sich und war nach dem Anschluss aus Berlin, wo er beim deutschen Rundfunksender schon die Nähe der Nationalsozialisten gesucht hatte, nach Wien zurückgekommen und über eine Tätigkeit beim Reichssender Wien ins Rathaus übersiedelt. Zu Kriegsende schied er durch Selbstmord aus dem Leben.

Hatte das Haus am Währingergürtel nach ausführlicher Renovierung unter Baumann bis Dezember 1941 noch „Städtische Wiener Volksoper“ geheißen, wurde es nun unter Jölli in „Opernhaus der Stadt Wien“ umbenannt. Und Schluss war natürlich mit der frivolen Operette! Man spielte, wenn überhaupt, das, was die Nazis unter „klassischer Wiener Operette“ verstanden neben Oper und Spieloper, auf denen der Hauptakzent lag. Nach Streckers „Belohnung“ mit der Erstaufführung des Ewigen Walzers brachte Baumann als erste Operetten-Neuinszenierung Silvester 1938 Heubergers Opernball heraus.

Operette: "Der Vogelhändler" von Carl zeller/ Sammlung Schulz

Operette: „Der Vogelhändler“ von Carl zeller/ Sammlung Schulz

Im Produktionsteam [17] finden sich zwei politisch saubere Namen, die auch nach dem Krieg noch bestimmend im Wiener Theaterleben sein sollten: Fritz Klingenbeck, der gemeinsam mit Erich Rauch die von Henry Thiel dirigierte Aufführung inszenierte und nach der Rettung des Theaters an der Wien vor der drohenden Umwandlung in eine Großgarage 1962 dessen erster Direktor wurde, und der Bühnenbildner und Reinhardt-Enthusiast Walter von Hoesslin, nach dem Krieg Ausstattungsleiter der Wiener Volksoper, an der er eine vielgepriesene Operettenrenaissance einleiten sollte, wovon später zu berichten sein wird. Ob die Aufführung allerdings so ganz den Vorgaben der braunen Denker entsprochen hat, darf man bezweifeln, wenn man liest, dass der 2. Akt mit Hilfe der Drehbühne zu einer „großen, prächtigen Revue“ [18] wurde, in der „scharmante (sic!) langbeinige Cancanetten … die prunkvolle Freitreppe hinauf und herab“ tanzen, „ein schicker Tenor … sein rosiges Putzerl mit einem anachronistischen Song“ anschmachtet, „eine Orgelpfeife steppender Kellner … Knockaboutspäße“ treibt und „überall, in den Foyers und Korridoren, … phantasievolle Masken ihr regiemäßig organisiertes heiteres Unwesen“ [19] treiben. Der verpönte Revueoperetten-Regisseur Erik Charell und sein verbotenes Weißes Rössl ließen thematisch grüßen! Und das Musical Hello, Dolly! mit seinem Kellner-Galopp lugte auch schon um die Ecke! Baumann frönte einfach formal dem entsexualisierten Berliner Revue-Stil, der schon vor dem Anschluss das Wiener Unterhaltungstheater infiziert hatte. So wie es auch der Operettenregisseur Fritz Fischer in München tat, dessen Revueversion der Lustigen Witwe mit Johannes Heesters unter Peter Kreuders musikalischer Leitung sogar den Führer entzückte.

Am 8. März 1940 erfuhr dann Die Fledermaus, ein viel gespieltes Repertoirestück der Volksoper seit 1907 und von den Nazis als „Krönung der Operette“ betrachtet, eine umjubelte Neuinszenierung. Der Musikchef des Hauses, Dr. Robert Kolisko dirigierte, Alois Hofmann und Fritz Klingenbeck hatten in einem Bühnenbild von Hoesslin (Kostüme: Erni Kniepert) Regie geführt (Choreographie: Dia Luca). Natürlich kam wieder die in ihrer ästhetischen Wirkung noch unverbrauchte neue Drehbühne zum Einsatz, besonders im 2. Akt, wo die Gäste des Prinzen Orlofsky aus dem Zuschauerraum kamen – ebenso wie Frosch (Ernst Tautenhayn) im 3. Akt, der bei seinem Gang auf die Bühne vor der Loge des Direktors zur Freude des Publikums knickste. Aus Rezensionen ist noch das „Klima“ der Aufführung zu erahnen, die in den Dialogen modernisiert worden war: „Während Rentier Eisenstein (Alfred Hügert) mit seinem Notar Falke (Georg Oeggl) Arm in Arm über die Bühne tänzeln, … löst der Ausspruch Eisensteins ‚Kraft durch Schönheit‘ donnernde Salven der Heiterkeit aus … Wenn im zweiten Akt Eisenstein und Frank (Alois Pernerstorfer) [20] streiten, ob sie zusammenpassen wie Zarah und Leander oder Robinson und Caruso, dann merkt man, dass hier der Text nicht alt sein kann.“ [21] „Die Fledermaus ist ein einmal geglücktes Kristallisationsprodukt aus überschäumendem, herzwarmem Humor, blühenden Melodien Grundkräften und blitzenden, geschliffenen Rhythmen. Die Wiedergabe der Volksoper ruhte auf diesen drei.“ [22] In dieser Aufführung trafen zum ersten Mal drei Namen zusammen, die nach dem Krieg den Operettenstil der Volksoper entscheidend bestimmen sollten: Dia Luca, Hoesslin und Kniepert. Auch das spätere Ehepaar Emmi (dann: Emmy) Funk als Konzertsängerin und in Rundfunkproduktionen, Alois Pernerstorfer an der Wiener Staatsoper.

Operette: "Schwarzwaldmädel" von Léon Jessel (der auf dem Wilmersdorfer Friedhof begraben liegt)/ Sammlung Schulz

Operette: „Schwarzwaldmädel“ von Léon Jessel (der auf dem Wilmersdorfer Friedhof begraben liegt)/ Sammlung Schulz

Direktor Jölli brachte nur eine Neuinszenierung einer Operette heraus, und zwar am 30. Jänner 1942 Zellers Vogelhändler. Textlich wurde das Stück vom Regisseur Dr. Alfred Walter stark bearbeitet und musikalisch von Parteimitglied Rudolf Kattnig (1895-1955) eingerichtet und mit eigenen Kompositionen – z. B. einem Mondscheinballett – ergänzt.[23] Kattnig war der Volksoper als Gast verbunden. Die Anregung für die Bearbeitung lieferte eine Münchner Fassung des Werkes von 1933 durch die Herren Quedenfeldt, Brügmann und Bauckner. Zum Unterschied zu München spielte der Wiener Vogelhändler in Tirol[24], aus der Kurfürstin wurde eine Erzherzogin, zu der Walter den Erzherzog erfand, den es als Kurfürst bei den jüdischen Originallibrettisten noch nicht gibt, machte das Prodekan-Duett zu einem Duett zwischen Christl und Adam[25] und ließ Adam in einem Prolog das Publikum begrüßen. Die durchaus vorhandene Frivolität des Originals wurde auf ein Minimum reduziert, bzw. mit Nostalgie überspielt. Denn auf „gerade deutsche Charakterbildung“ [26] wurde Wert gelegt. Zwei Jahre davor hatte sich auch die UFA des Vogelhändler-Stoffes unter dem Titel Rosen in Tirol mit Johannes Heesters und Marte Harell unter der Regie von Géza von Bolváry angenommen – auf Basis eines ebenfalls total umgeschriebenen Drehbuchs.

Dr. Alfred Walter und Rudolf Kattnig sollte man nach dem Krieg bei Operettenproduktionen noch öfters begegnen. So inszenierte Dr. Walter die Uraufführung von Peter Kreuders Madame Scandaleuse mit UFA-Star Zarah Leander 1958 am Raimundtheater Wien (Kreuder war kurzfristig Parteimitglied und hat sich sehr vom braunen Regime benutzen lassen). Rudolf Kattnig wurde von Anton Paulik immer wieder zu musikalischen Einrichtungen von Operetten an der Volksoper herangezogen und schließlich als bedeutender österreichischer Musiker offiziell durch die Verleihung des Professorentitels, des Ehrenringes der Stadt Villach (1955) und der Benennung einer Straße in Klagenfurt geehrt. Für ihn hatte sich bereits in der Ersten Republik (Schreiben vom 18.11.1935) der Dirigent Leopold Reichwein, glühendes NSDAP-Mitglied seit 1932, eingesetzt. Er, der nach dem Anschluss mit einem Fest-Engagement an der Wiener Staatsoper und der Leitung der Dirigentenklasse an der Wiener Musikakademie belohnt wurde, bat den Hilfsbund der Deutsch-Österreicher in München, für sein Münchner Konzert mit einer Uraufführung Kattnigs, „eines hochbegabten österr. Nationalsozialisten“, Reklame zu machen.[27] Ein Rätsel bleibt, warum es zwischen 1938 und 1944 in Wien zu keiner Aufführung von Kattnigs Hauptwerk Balkanliebe (1937 in Leipzig uraufgeführt) kam.

 

Operette: Arthur Seyß-Inquart standing next to Adolf Hitler in Vienna, 1938. (Photo: Bundesarchiv Bild 119-5243)/ ORCA

Operette: Arthur Seyß-Inquart standing next to Adolf Hitler in Vienna, 1938. (Photo: Bundesarchiv Bild 119-5243)/ ORCA

Ist ein Opernhaus ein idealer Platz für Operette? Betrachtet man das eingeschränkte Operettenrepertoire der Volksoper von 1938 – 1944, wird einem klar, dass damit das Publikum nicht zufrieden sein konnte, denn noch immer hatten Operetten in dieser bitteren Zeit eine große Zugkraft: „Wer eine deutsche Operette geschmackvoll und musikalisch sorgfältig zu inszenieren versteht, der trägt wie jedes Komödientheater zur Unterhaltung und Aufheiterung oft gerade derjenigen breiten Kreise des Volkes bei, die im eigenen schweren Lebens­kampf der heiteren und ausgelassenen Muse besonders herzlichen Dank wissen“, meinte dazu Hans Severus Ziegler [28].

Da konnte auch die Staatsoper mit bescheidenem Zugriff auf das politisch mögliche Repertoire nicht aushelfen. Die Operettenproduktionen des Hauses am Ring durften außerdem bis 1938 nicht gerade als große Erfolge verbucht werden, denkt man nur an die Uraufführung von Lehárs Giuditta im Jahre 1934, auch wenn dieses Stück mit Richard Tauber noch fünf Tage vor dem Anschluss, am 7. März 1938, auf dem Spielplan stand.[29] Wie sehr man nach Operette in Wien nach dem Anschluss „gierte“, zeigt allein schon die Tatsache, dass am Ring zwischen 13. März und 31. Dezember 1938 die alte Inszenierung der Fledermaus von 1894 im historischen Brioschi-Bühnenbild 38mal gespielt wurde, wogegen diese Produktion zwischen 1. Jänner 1932 bis 12. März 1938 nur 34mal zu sehen war.[30] Die Inszenierung war erst am 31. Dezember 1937 von Alfred Jerger aufgefrischt, von zu vielen Späßen „gereinigt“ und im zweiten Akt mit Drehbühne modernisiert worden. Josef Krips hatte diese Silvester-Aufführung dirigiert – dann noch dreimal, bevor Anton Paulik bis zur Theatersperre 1944 übernahm, da sich die Wiener Opernwelt eben durch die „Verabschiedung“ von 92 Mitgliedern [31] gründlich verändert hatte.

Der Operettenspielplan der Staatsoper wurde – wie schon erwähnt – noch im Juni 1938 mit dem Zigeunerbaron des in der Zwischenzeit klammheimlich arisierten [32] Johann Strauß Sohn erweitert, ein wegen seiner Kriegsthematik und angeblichen Opernnähe damals sehr geschätztes Stück. Denn Giuditta konnte man ohne gefeierte Hauptdarsteller, die schon auf der Flucht waren, nicht weiterspielen. Nach der geglückten Fledermaus-Restaurierung war wieder Alfred Jerger für die Inszenierung verantwortlich, für die Robert Kautsky das Bühnenbild (unter heftigem Drehbühneneinsatz) und Alfred Kunz die Kostüme entworfen hatten. Wie schmerzlich der sängerische Aderlass der Staatsoper war, zeigt die Tatsache, dass man für den Barinkay Karl Friedrich von der Düsseldorfer Oper holen musste. Esther Réthy gab die Saffi, auch wenn „ihr vornehm kultivierter Sopran für die Partie etwas zu zart“ war. Reichsminister Dr. Goebbels soll der Aufführung dennoch heftig applaudiert haben.[33] Réthy und Paulik, der ab der zweiten Vorstellung von Böhm übernahm, wurden später ein Paar, Réthy außerdem das Zentrum vieler Rundfunkoperetten (besonders von Lehár), die noch heute auf CD vertrieben werden.

Operette: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Operette: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Am 7. Juni 1939 folgte die nächste neue Staatsopern-Operette, Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß Sohn (am Ring bis 1935 in der Fassung des Juden Erich Wolfgang Korngold unter der Regie des Juden Lothar Wallerstein gegeben, wo in der Premiere von 1929 Maria Jeritza die Annina, Lilly Claus (Frau Dostal!) die Barbara und Hubert Marischka den Caramello sangen). Diesmal hatte die Inszenierung der auch Regie führende Direktor der Wiener Staatsoper seit 1. September 1936, der Salzburger Erwin Kerber, übernommen. Das Bühnenbild schuf wieder Robert Kautsky, die Kostüme diesmal Ulrich, der Sohn des berühmten Bühnenbildners Alfred Roller. Erwin Kerber hängt ein zwiespältiger Ruf nach. Einerseits setzte er willig die Forderungen der Nationalsozialisten um, andrerseits war er entlassenen Kollegen behilflich, Engagements zu finden, oder schützte sie auf andere Weise. Kein Wunder also, wenn nach der Venedig-Premiere zu lesen war: „Wiener Theaterkultur und Wiener Musikgeist haben in dieser Aufführung, zu reiner und heiterer Wirkung verbündet, zugleich aufs eindrücklichste gezeigt, was auch die Wiener Staatsoper zur gesamtdeutschen Bühnenkunst aus dem unerschöpflichen Vorrat unserer besonderer Gaben beitragen kann.“ [34] Das war für die Parteiführung in Berlin, die einen kulturellen Sonderweg Wiens im Einvernehmen mit dem Führer nicht zulassen wollte, eine bittere Pille, erfreute nur Dr. Seyß-Inquart und Bürckel, die in der Aufführung waren. Dass die Ablöse der „jüdischen“ Korngold-Fassung zu einem solchen Resultat führen könnte, einem „Wiener Kulturimperialismus“ [35], hatte man in Berlin nicht erwartet. „Unterschwelliger ‚Österreich-Patriotismus‘ wurde beim Publikum immer spürbarer, ohne dass deswegen ein aktiver Widerstand gegen das NS-Regime entstanden wäre. Aber der jahrhundertealte Gegensatz Wien-Berlin teilte selbst die Nationalsozialisten in zwei Lager.“ [36]

Unter Pauliks Leitung sangen Esther Réthy die Barbara, Maria Reining die Annina, Helge Roswaenge und Anton Dermota alternierend den Herzog und Josef Witt im Wechsel mit Richard Sallaba den CaramelloDie bisherigen Besetzungen zeigen deutlich, dass in diesen Vorstellungen an den großen Opernhäusern der Ruck passierte, der die Operettenproduktionen aus dem Bereich der singenden Schauspieler à la Marischka in den Bereich der Opernsänger verschob, also eine Gewichtsverteilung vornahm, die dem Genre nicht gut tat, weil es die Operette in eine Scheinseriosität katapultierte, aus der sie sich auch nach dem 2. Weltkrieg kaum mehr befreien und den Weg zurück in eine heitere Frivolität finden konnte. Die Vorstadtunterhaltung wurde stadtfein, denn Theater an der Wien und Carl-Theater wurden trotz der Schleifung der Basteien um den Ersten Bezirk noch immer als Vorstadttheater empfunden. In dieser Nacht in Venedig 1939 erinnerte nur mehr Fritz Imhoff als Pappacoda an diese ursprüngliche Heimat der Operette.

Operette: "Rosen in Tirol" mit Gitta Alpar und Johannes Heesters/ Sammlung Schulz

Operette: „Rosen in Tirol“ mit Gitta Alpar und Johannes Heesters/ Sammlung Schulz

Am 20. Februar 1940 hatte man in der Staatsoper den letzten Zigeunerbaron gespielt. An Zigeuner sollte offensichtlich nicht mehr erinnert werden. Denn Anfang 1940 hatte die Verfolgung von Sinti und Roma einen neuen Höhepunkt erreicht. Also konnte man sie gerade in der Ostmark nicht romantisch auf der Opernbühne erscheinen lassen. Als Ersatz setzte man Boccaccio von Franz von Suppé mit einer Neuinszenierung am 5. April 1940 an. Offensichtlich hatte man auch damit wenig Freude, denn wenn da Boccaccio schon im ersten Finale singt: „Mögen sie mein Werk verbrennen, Wahrheit lässt sich nicht verkennen, wird nie vergehn, muss als Phönix auferstehn“ [37], dann konnte das beim Publikum nur unliebsame Erinnerungen an die Bücherverbrennung von 1933 wecken, die man in angespannten Kriegszeiten am wenigsten brauchte. Die politisch absolut unverdächtigen Bearbeiter Alexander Steinbrecher (1910-1982)[38] und Victor Pruscha, (1888-1966) der Regisseur der Produktion, vorher Intendant in Graz, hatten es unternommen, das Stück für die Staatsoper „neu einzurichten, textlich, musikalisch. Es ist da manches geändert, gekürzt worden.“ [39] Im Grunde hatte man nur die Fassung von Artur Bodanzky aus dem Jahre 1932, die vorher schon an der Met in New York zu sehen war, adaptiert und dabei sogar die Bodanzkyschen Rezitative übernommen.[40] Sie entsprachen dem Operettenverständnis der Nationalsozialisten, weil sie die burleske Operette zur Spieloper umfunktionierten. Anton Paulik stand am Pult, Else Schulz sang die Titelpartie, Dora Komarek, die als Dora Komar auch beim Film Karriere machen sollte, Fiametta. War die Titelpartie als Hosenrolle etwa auch ein Grund dafür, dass man das Maß an Frivolität in Kriegszeiten überschritten sah? Oder hat man vielleicht doch an der Bücherverbrennung Anstoß genommen? Jedenfalls verschwand die Operette nach fünf Vorstellungen. Interessant ist jedoch, dass in der bereits zitierten Rezension auch steht, was der Opern-Operette bis heute zum Verhängnis wurde und wird: „Die Opernsänger bringen die Leichtigkeit des Stils, das ganze lockere Operettenwesen selten so, daß man vergißt, was sonst ihre Aufgabe, was ihr gewohnter Umkreis ist.“ Und die Rezitativ-Version verstärkte noch die fälschliche Hinwendung der Operette zur Spieloper. Aber Pruscha scheint da schon der irrigen Idee besessen nachgehangen zu sein, die er nach dem Krieg als – salopp gesagt – „Vordenker“ den Volksopern-Direktoren Salmhofer und Juch einflößte, die goldene und silberne Operette an Opernhäusern anzusiedeln, da diese Werke – wie es Juch dann formulierte – „eine Vollendung der Interpretation“ verlangen, „die nur ein großes Opernhaus erfüllen kann“. [41]

Am 30. April 1940 leitete Anton Paulik noch einmal eine einzelne Vorstellung von Das Land des Lächelns aus Anlass des 70. Geburtstages von Franz Lehár. Dafür wurde die alte Inszenierung des bereits 1938 emigrierten jüdischen Regisseurs Lothar Wallerstein im Bühnenbild von Robert Kautsky aus dem Fundus geholt, ohne natürlich Wallersteins Namen zu nennen. Victor Pruscha hatte dafür zu zeichnen. Dabei handelte es sich um eine ganz neue Produktion, die zwischen 30. Jänner und 23. Februar 1938 nur fünfmal gegeben worden war. Auch der musikalische Chef der Produktion, der sie neben Lehár dirigierte, der Jude Karl Alwin, war bereits in Mexiko. Franz Völker sang in dieser Festvorstellung den Sou-Chong, Esther Réthy die Lisa.

Operette: Der Librettist Richard Genée/Wiki

Operette: Der Librettist Richard Genée/Wiki

Mit Beginn der neuen Spielzeit kam auch ein neuer Staatsoperndirektor aus Hamburg, der den „Wiener Schlendrian“ in Ordnung bringen sollte: Heinrich Karl Strohm. Er sollte nur kurz Direktor sein, da er psychische Probleme bekam und von Schirach, der inzwischen Reichsstatthalter geworden war, abgesetzt wurde. Wahrscheinlich geht aber die letzte Operetten-Neuinszenierung der Staatsoper vor der Theatersperre noch auf Strohms Planung zurück. Sein aus Hamburg mitgebrachter Oberspielleiter Oscar Fritz Schuh brachte sie am 10. Jänner 1943 im Redoutensaal der Hofburg in Bühnenbildern und Kostümen von Wilhelm Reinking unter der musikalischen Leitung von Anton Paulik heraus:Wiener Blut. Wieder waren die Opernsänger dabei, die Paulik für Operette geeignet hielt und teilweise auch nach dem Krieg in der Volksoper einsetzte: Esther Réthy, Dora Komarek, Emmy Loose, Richard Sallaba, Fritz Krenn und erstmals in einer Operette auch Erich Kunz.

 

Kraft durch Freude mit Operette!  Trotz all dieser Anstrengungen um die Operette in Staats- und Volksoper hatte aber schon vorher, 1938, Gauleiter Josef Bürckel erkannt, dass er der Operettenmetropole Wien wieder ein reines Operettentheater geben müsse, um den substanzraubenden Abgang so vieler jüdischer Größen des Genres und die damit verbundene Repertoirereduzierung halbwegs aufzufangen. Dafür wurde das Raimundtheater ausersehen. Bis 7. April 1938 hatte Direktor Franz Zwonik versucht, das Haus als volkstümliche Stätte der Unterhaltung zu führen. Er musste aus finanziellen Gründen aufgeben. Es entstand der Plan, im Raimundtheater eine „Deutsche Bühne“ zu errichten, die der beliebte Sänger und Schauspieler Ernst Tautenhayn (1873-1944) [42] leiten wollte, der aber keine Konzession erhielt. Das Haus wurde mit Gastspielen u.a. von der Salzburger Marionettenbühne und dem Theater in der Josefstadt (Frauen in New York von Clare Boothe Luce) bis 10. Februar 1938 über Wasser gehalten. Danach blieb es geschlossen und sollte in eine Großgarage umgewandelt werden [43]. Das blieb dem Raimundtheater durch die Kulturabteilung der Deutschen Arbeitsfront erspart. Der neue Eigentümer und Rechtsträger hieß nun: „D.A.F“, NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, Amt Feierabend. Als Intendanten für diese parteieigene Operettenbühne wurde von Dr. Goebbels der parteitreue Intendant des Stadttheaters Fürth, Willy Seidl (1900-?) [44], eingesetzt. Erfreulich, aber noch lange nicht ein Grund, so zu jubeln, wie es die beiden Strecker-Biographen Wieser und Ziegler tun: „So rettete die Organisation KdF ein Wiener Theater“. [45]

Operette: "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß/ Sammlung Schulz

Operette: „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß/ Sammlung Schulz

Die Neue Freie Presse erläuterte Seidls Spielplanabsichten: „Er gedenkt das Theater als Pflegestätte der großen Wiener Operette zu führen, vorerst der klassischen, … und dann später, mit eingeführter und geschulter Spielgemeinde, in immer stärkerem Maße der Arbeiten zeitgenössischer Komponisten sich anzunehmen.“ [46] Als Herzenswunsch Seidls wird eine Aufführung des vergessenen Aschenbrödels von Johann Strauß Sohn angeführt, wobei dem Direktor und dem Journalisten nicht bewusst gewesen zu sein schien, dass es sich bei Aschenbrödel um ein Ballett handelt.

Willy Seidl eröffnet das Haus nach einem Umbau durch Architekt Fritz Zeymer, der dem Raimundtheater sogar eine, vom Führer nie betretene, Führerloge bescherte, am 16. November 1938 mit Karl Millöckers Klassiker Der Bettelstudent in einer Inszenierung des Grazers Robert Nästlberger (1886-1942) [47], einst gefeierter Bonvivant und Operettensänger, jetzt Oberspielleiter der Operette am Raimundtheater (Choreographie: Lilo Engbarth), in Dekorationen des an der Volksoper künstlerisch aufgefallenen Walter von Hoesslin, nun für kurze Zeit fest engagierter Bühnenbildner des Hauses (Kostüme: Alfred Kunz), unter der musikalischen Leitung des neuen 1. Kapellmeisters Franz Herburger (2. Kapellmeister war Fritz Zwerenz). [48] Seidl schien besser als der vom Berliner Metropoltheater und Admiralspalast verwöhnte Baumann an der Volksoper gewusst zu haben, was die neuen Machthaber wünschen: „Die Inszenierung … verfiel nicht in den stilstörenden Fehler, das garnicht (sic!) üble Buch von Zell und Genée in eine Revue aufzulösen. Die geschmackvolle Bearbeitung Karl Hagemanns führt die lustspielartige Handlung mit fester Hand durch.“ [49]

Operette: Der Sänger Heinz Conrads/ ORF Archiv

Operette: Der Sänger Heinz Conrads/ ORF Archiv

Kurze Zeit später wäre Millöckers Polen-Operette nicht mehr so glatt auf den Spielplan gekommen und wären die Librettisten nicht mehr so offen genannt worden, obwohl man bei toten jüdischen Autoren nicht so genau hinsah. Mit dem parteisicheren Lehár stand man allerdings vor dem gleichen Problem: Am 14. Februar 1939 hatte Der Graf vonLuxemburg am Raimundtheater Premiere.[50] Auch hier waren die Autoren (Bodanzky, Stein und Willner) Juden. Hier zog man sich auf den Begriff einer Neufassung zurück. Lehár soll musikalische Korrekturen und Erweiterungen vorgenommen [51] „… und dazu noch neue Nummern von blendender Melodik und Rhythmik geschrieben“ [52] haben. Am 16. Mai 1939 folgte in Anwesenheit des Komponisten[53] Paul Linckes Frau Luna [54] als viel bestaunte Ausstattungsrevue – sicher um die Achse Berlin-Wien zu dokumentieren. Interessant, dass Seidl diese Werke Lehárs und Linckes mit „klassischer“ Operette gleichsetzte, obwohl Frau Luna ursprünglich eine frivole Burleske war.

Zum 8. Februar 1940 zog dann Streckers nationalsozialistische Musteroperette Ännchen von Tharau in Wien ein [55] (im Wiener Raum später nur noch in Streckers Wohnort Baden bei Wien aufgeführt, wo man am 1. Dezember 1973 die 4000. Aufführung der Operette feierte – laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins). Schluss mit der synkopierten Revue! Hatten doch schon die Breslauer Neuesten Nachrichten nach der Uraufführung 1933 geschrieben: „Als Schöpfer zahlreicher … Wiener Lieder versteht sich Strecker auf die flotten Marschrhythmen, die das militärische Milieu zu beglaubigen haben, ebenso wie auf die gefühlvollen Partien, in denen melodiös das Herz zum Herzen spricht.“ [56] Außerdem stellte man beruhigend fest, dass der Komponist „die Saxophone nicht jazzmäßig“ verwende. In der Rolle des Simon Dach war in Wien zum ersten Mal Tony Niessner auf der Bühne des Raimundtheaters zu sehen, nach dem Krieg vielbeschäftigt an verschiedenen Wiener Theatern und im Funk, deshalb von Kollegen scherzhaft „Staatsbuffo“ [57] genannt.

Operette: "Auf der Lahmgruaben..." von Heinz Strecker/ Sammlung Schulz

Operette: „Auf der Lahmgruaben…“ von Heinz Strecker/ Sammlung Schulz

Zwischen Deutschland und Russland bestand noch der 1939 abgeschlossene Nichtangriffspakt. Also konnte man als linientreues Haus im Frühjahr 1940 noch problemlos Lehárs Zarewitsch mit dem ständig in Wunschkonzerten erprobten Wolgalied am Vorabend des 70. Geburtstags des Komponisten ansetzen, dem Gauleiter Bürckel zu diesem Festtag den Ehrenring der Stadt Wien dedizierte. Die Operette, deren beide Librettisten aus Rassegründen unnennbar waren – Heinz Reichert war schon 1938 nach Amerika emigriert, Béla Jenbach hatte sich in einem Keller in der Kaunitzgasse versteckt – kam am 29. April 1940 heraus. Regie unter der Gesamtleitung von Intendant Seidl wieder Nästlberger in einem Bühnenbild und mit Kostümen von Alfred Kunz. Am Pult stand, wie schon beim Ännchen, Wolfgang Friebe. Für die beiden Hauptrollen waren junge Gäste engagiert: die bildschöne tschechische Sängerin Jarmila Ksirova, die es nach dem Krieg in die DDR verschlug, wo sie noch Operettenfilme für die DEFA drehte, und Alfredo di Liddo. Beide sangen „nicht nur mit ‚Schmalz‘, sondern auch mit innerer Erstaufführungserregung“ [58]. Seidl war beim Ännchen offensichtlich zur Einsicht gekommen, dass es ohne Revueelemente doch nicht so gut geht, frönte wieder seinem Ausstattungsfuror, ließ Kosackenmädel tanzen, eine Balalaika-Gruppe auftreten und das Publikum durch eine ausgefuchste Lichtregie verblüffen. [59] Dazu gab es noch eine Solotanz-Einlage von Greta Sedlmayr, die Das Kleine Blatt sogar in einem bikiniartigen Kostüm als Attraktion abbildete. Hatte sich Seidl etwa gar dazu entschlossen, wieder Sex in die Operette einziehen zu lassen?

Ende 1940 war die Spielplanauswahl für eine KdF-Institution schon etwas schwierig geworden. Und so ganz ohne Revue ging es eben nicht – weder bei der arisierten Operette noch bei den Klassikern. Seidl entschied sich für Salzburger Nockerln, heute unter dem Titel Saison in Salzburg bekannt, einer Operette des von den Nazis als Ersatz für den emigrierten Juden Paul Ábrahám geförderten Fred Raymond (eigentlich Raimund Friedrich Vesely) und eine ziemlich unverschämte Kopie des verbotenen Weißen Rössls.

Operette: Mizzi Zwerenz 1907 als Fanni Steingruber in der Operette "Ein Walzertraum"/ Wiki

Operette: Mizzi Zwerenz 1907 als Fanni Steingruber in der Operette „Ein Walzertraum“/ Wiki

Raymond hatte mit dem Lied Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren 1925 seinen Durchbruch gehabt und war bei Kriegsbeginn der Propaganda-Abteilung des Militärsenders Belgrad zugeteilt worden. Die Nockerln kamen am 20. Dezember 1940 „farbenfroh und ausgelassen“ [60] zur Erstaufführung in der Ostmark, nur zwei Jahre nach der Uraufführung in Kiel. Eigentlich war eine Aufführung in Wien schon 1938 geplant gewesen, doch hatte das Kulturamt der Stadt Wien im ewigen politischen Gerangel mit der Reichskulturkammer in Berlin die Produktion des Stückes verhindert, „weil es den Titel ‚Salzburger Nockerln‘ hatte und ‚darin für die heutige Zeit zuviel vom Essen die Rede sei.“ [61] Die Inszenierung entstand mit dem Leading-Team des Zarewitsch, besetzt zum Großteil mit hauseigenen Kräften und dem Buffo-Paar Elfi König (Vroni) und Tony Niessner (Toni) an der Spitze.[62]

Willy Seidl verlegte sich danach auf die angekündigten Operettenuraufführungen. Warum er nichts von Parteimitglied Kattnig spielte? Nicht zu erklären! Warum er nichts von dem von der NDSAP tolerierten [63] Nico Dostal (1895-1981) auf den Spielplan setzte, erklärt der Komponist allerdings in seiner Selbstbiographie mit seiner zu geringen Würdigung einer riesigen Hakenkreuzfahne im Fürther Büro Seidls. [64] So kam der Niederösterreicher Dostal in Wien zwischen 1938 und 1944 nur mit zwei musikalischen Lustspielen (Eva im Abendkleid und Verliebtes Dreieck) im Renaissancetheater in der Neubaugasse zur Aufführung.

Am 30. April 1941 hatte eine Operette des Oberspielleiters Nästlberger mit der Musik von August Pepöck Premiere: Der Reiter der Kaiserin. Nästlberger, 1941 schon Intendant des Mellini-Theaters in Hannover, hatte das Buch nach einem Roman von Alfons von Czibulka (Der Kerzlmacher von St. Stephan) verfasst. Einige Werke des Romanciers waren nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus verboten. Der Reiter spielt 1759 in Wien und Schlesien. Die Operette erfüllte voll und ganz den Kanon der Forderungen der Nazis an eine gute Operette und wurde Pepöcks erfolgreichstes Werk. Nästlberger konnte sich des Erfolges nicht lang erfreuen; er verstarb 1942 in Hannover.

Operette: "Liebe in der Lerchengasse"/ stadtteilgeschichten.net

Operette: „Liebe in der Lerchengasse“/ stadtteilgeschichten.net

Am 26. November 1941 fand dann die erste Vorstellung einer Operette von Walter Hauttmann, Millionenhochzeit, mit der Musik von Erik Jaksch statt. Beide Autoren waren natürlich Parteimitglieder. Erik (Erich) Jaksch (1904-1976) war bereits 1927 den Nationalsozialisten illegal und 1938 dann offiziell beigetreten[65], wobei er als Legitimation angab, durch Verbreitung verbotener Zeitschriften in der Zeit vor 1938 zur Beförderung der Ziele der Partei beigetragen zu haben. Dr. Walter Hauttmann, ein 1900 in Leoben geborener Schauspieler, war seit Februar 1940 Parteigenosse. Er schien sich noch mehr für die Nazis engagiert zu haben, da er sogar als „besonderer Geheimnisträger beim WKKdo XVII“ in Aussicht genommen war und dabei vom Kreisleiter der NSDAP als „national eingestellt“ bewertet wurde. [66] Die Millionenhochzeit handelt von zwei verfeindeten Metallkonzernen, die der pfiffige Abteilungschef eines Unternehmens wieder durch eine Heirat miteinander versöhnt. Das Stück ist ziemlich flach, die Figuren sprechen einen bis zur Parodie gestelzten Dialog. Schwer vorstellbar, dass dieser durch Fritz Imhoff und Louise Kartousch in den Komikerrollen bei der Premiere „vergoldet“ werden konnte. Im dritten Akt verwirrt sich auch noch die Dramaturgie des Stückes durch die Einführung einer beinahe absurd wirkenden Doppelrolle. Dennoch fand die Millionenhochzeit großen Anklang, besonders in Hamburg, und wurde mehr als 700mal gespielt [67]. Ein Beweis dafür, wie sehr das Publikum in dieser Zeit nach Unterhaltung lechzte, selbst wenn sie noch so platt war.

Die nächste Uraufführung am 19. Dezember 1942 galt neuerlich einer Demonstration der Achse Wien-Berlin. Es war die Neubearbeitung der Berliner Operette Olly-Polly von Walter Kollo auf ein Buch von Arnold & Bach und Willy Kollo aus dem Jahre 1925, die nun Sohn Willi (eigentlich Arthur), der auch Komponist war, unter dem Titel Ich bin in meine Frau verliebt herausbrachte. Willi Kollo (1904-1988), der Vater des Tenors René Kollo, war natürlich auch Parteimitglied.

Operetten: Elfie König, hier in Kreislers "Sissi"/ kulturpool.at

Operette: Elfie König, hier in Kreislers „Sissi“/ kulturpool.at

Die letzte Premiere am Raimundtheater vor der allgemeinen Theatersperre bedeutete wieder einen dramaturgischen Schwenk in die Seidlschen Anfänge und brachte Carl Michael Ziehrers Fremdenführer auf die Bühne. Er wurde am 29. April 1943 allerdings nicht in der Originalfassung, sondern in einer Neufassung durch Walter Hauttmann und Erik Jaksch gespielt werden, Autoren, die offensichtlich den nationalsozialistischen Operettenstil mit ihrer Millionenhochzeit hervorragend getroffen hatten. Die ursprüngliche Operette von Leopold Krenn und Karl Lindau entsprach zu wenig dem Zeitgeist, obwohl gerade der Schauspieler und Bühnenschriftsteller Lindau, der eigentlich Gemperle hieß, gebührend gewürdigt hätte werden müssen. War doch sein Großvater der Gründer der ersten Wiener Kaffeesurrogat-Fabrik – und inzwischen war ja das Lebensmittel-Surrogat-Zeitalter angebrochen. Aber da kam in diesem Original ein sehr komischer Fürst Tagala von Indopur vor – das konnte man nicht brauchen. Und auch nicht einen Herrn Weisskopf. Der musste in Paradeiser umbenannt werden. Man sang zwar immer noch „O Wien, mein liebes Wien“ im ¾-Takt, aber dennoch dominierte jetzt der 4/4-Takt des Militärs auf der Bühne, und der Walzer wurde im ersten Finale durch die Burgmusik verdrängt. Was wurde da nicht alles den Soldaten unterstellt: „Wer ist fesch und schneidig, nur das Militär!“ oder „Ja, das macht die Uniform, imponiert den Frau’n enorm!“ oder „Mädel, Mädel, hör‘ mich an, lass Dir etwas raten: Findest einen feschen Mann nur bei den Soldaten“. Aber auch auf die Sittsamkeit wurde nicht vergessen: „Die kleine Susi, die will kein G’schpusi“. [68]

 

Operette: Gruselige 50er mit Peter Alexanders Version der "Salzburger Nockerln" bei Poyldor/hitparade.ch

Operette: Gruselige 50er mit Peter Alexanders Version der „Salzburger Nockerln“ bei Poyldor/hitparade.ch

Operettenmetropole Wien: Aber nicht nur Staatsoper, Opernhaus der Stadt Wien (Volksoper) und Raimundtheater widmeten sich zwischen 1938 und 1944 der Operette. Auch in den verbleibenden Privattheatern kam sie zum Zug. Die erste Operettensaison unter großdeutscher Anleitung lief recht zögerlich an. Staats- und Volksoper waren ja in erster Linie für Oper zuständig, das Raimundtheater noch nicht umgebaut. So fand die erste Operettenpremiere am 31. Oktober 1938 in der „Komödie“, dem heutigen Metro-Kino in der Johannesgasse, statt und galt der im „Altreich“ bereits oft gespielten Retro-Operette Liebe in der Lerchengasse von Arno Vetterling auf ein Libretto des Parade-Librettisten dieser Jahre, Hermann Hermecke. Er stammte aus dem braunen Dunstkreis Heinz Hentschkes vom Berliner Metropoltheater der 1930erjahre. Hermecke hatte viele erfolgreiche Operetten im Stile der nationalsozialistischen Dramaturgie geschrieben. Das in Fortsetzung der Possentradition Walter Kollos auf den deutschen Markt zugeschnittene Stück war für Wien überarbeitet worden. Die Gastspieldirektion Hans von Pott [69] als Theaterpächter hatte auch die Wiener Operettenlegende Mizzi Zwerenz für die Rolle der Euphrosyne Schnakenbrück geb. Pamperl verpflichtet. Für die musikalische Leitung zeichnete Dr. Wolfgang Russ-Bovelino [70], nach dem Krieg als Musikreferent der Stadt Wien tätig. „Die kleine Bühne erscheint zwar durch etwa vier oder fünf Personen bereits beängstigend gefüllt, aber das hat andrerseits den Vorteil, dass zwischen Darsteller und Publikum sehr leicht ein guter Kontakt entsteht … Wohl sind die Stilmittel einzelner Interpreten für den kleinen Raum zu großartig.“ [71] Trotz der Enge leistete man sich auf dem Nudelbrett von Bühne auch ein Ballett, das die ehemalige Solotänzerin und Ballettmeisterin der Wiener Staatsoper Hedy Pfundmayr leitete . [72]

Noch eine kleine Bühne, die Kammerspiele in der Rotenturmstraße, brachte nur wenige Wochen später (am 21.März 1939) eine typische opérette légère heraus, die sie bescheiden und sprachbereinigt musikalisches Lustspiel nannten: Lisa, benimm Dich! von Hans Lang auf ein Buch des oberösterreichischen Schauspielers und Schriftstellers Ernst Friese und des Wiener Kabarettautors Rudolf Weys. Unter der Regie von Parteimitglied Hanns (auch Hans) Schott-Schöbinger [73], der auch in einer Hauptrolle mitspielte, brillierte in der Titelrolle seine damalige Ehefrau Friedl Czepa, eine bildhübsche, überaus begabte junge Schauspielerin, an der Seite ihres nachfolgenden Ehemannes (ab 1942) Rolf Wanka.

Hans-Dieter Roser/Foto Anne Oppermann/ORCA/Roser

Operette/ der Autor: Hans-Dieter Roser/Foto Anne Oppermann/ ORCA/Roser

Die jeweiligen Ehepaare waren sich in ihrer Begeisterung für Adolf Hitler einig, wofür Friedl Czepa mit der Leitung des Bürgertheaters von 1940 an bis zur Theatersperre belohnt und nach dem Krieg mit Berufsverbot bestraft wurde. Sie hatte mit dem musikalischen Lustspiel Warum lügst Du, Cherie? von Siegfried Tisch und Hans Jan Lengsfelder (Musik: Leonhard Märker) ihren künstlerischen Durchbruch in Wien. Über ihre bezaubernde Wirkung in dieser Rolle schwärmen noch heute sehr alte Menschen, die sie damals gesehen haben [74]. Ins Schwärmen hatte sie auch Gauleiter Bürckel gebracht, mit dem sie eine heftige Liaison verbunden haben soll. [75] So war er natürlich auch an der Seite von Reichsstatthalter Seyß-Inquart zur Premiere von Lisa geeilt. Bürckel durfte schon bald seine Lisa auch am Stadttheater in der Skodagasse bewundern.

Denn inzwischen hatte die schon erwähnte Gastspieldirektion von Pott zur Komödie auch das Stadttheater ab 28. Jänner 1939 mit Ernst Tautenhayn als künstlerischem Leiter übernommen. Man griff auf einen Erfolg aus der Komödie zurück, übertrug die Regie Tautenhayn in einem Bühnenbild von Willy Bahner, kürzte, besetzte um und spielte weiter sehr erfolgreich Liebe in der Lerchengasse. Nach Hans von Pott folgte als Direktor Anton Tiller. Er wollte es noch einmal mit der von den Machthabern nicht geschätzten Revue probieren und eröffnete am 22. Dezember 1939 mit An der schönen blauen Donau. Dem Unternehmen war kein Erfolg beschieden. Man warf der Produktion eine „falsche Wienerliedverzücktheit“ [76] vor. Das Wienertum war zu dick aufgetragen. Trotz des Misserfolgs hielt Tiller die Blaue Donau drei Monate auf dem Spielplan, bevor am 15. März 1940 wieder die unverwüstliche Lisa mit Friedl Czepa Einzug hielt, die auch in der zweiten Serie, glänzend besucht, bis Ende Mai laufen sollte. Nun hatte Rolf Wanka die Regie übernommen und Josef Menschik spielte den Peter. 26 Vorhänge gab es bei der Premiere dieser Wiederaufnahme. [77]

Operette: "Gruß und Kuss aus der Wachau" auch als Film/ swyrl.tv

Operette: „Gruß und Kuss aus der Wachau“ auch als Film/ swyrl.tv

Und noch ein drittes Mal kam Lisa, benimm dich! auf die Bretter! Tillers Vertrag wurde nach einer neuerlichen Revue nicht verlängert. Jetzt war die große Stunde von Friedl Czepa gekommen. Sie wurde die „erste weibliche Theaterdirektorin Großdeutschlands“ [78] und stand in dieser neuen Funktion, mit der sie die Nationalsozialisten für so viel treue Dienste auszeichneten, am 26. September 1938 wieder als Hauptdarstellerin auf der Bühne. Die musikalische Leitung hatte Bruno Uher.

Friedl Czepa (1898-1973), die bis zur Theatersperre 1944 Direktorin des Stadttheaters blieb, spielte neben Lustspielen immer wieder Operetten. So kam Ende Jänner 1942 die Operette Veilchenredoute auf ein Libretto von Hans Adler heraus, der fälschlicherweise zunächst von den Nationalsozialisten für einen Juden gehalten worden war, bis er den Ariernachweis erbrachte. Die Musik stammte von Charles Cerné nach Motiven von Richard Genée. Neben der Direktrice wirkte der Tenor Richard Sallaba von der Staatsoper als Gast mit. Die Inszenierung besorgte ein Gast vom Burgtheater, der nach dem Krieg sehr berühmte deutsche Schauspielregisseur und Theaterdirektor Hans Lietzau, der seit 1939 am Burgtheater engagiert war.

Operette: der Sänger Richard Sallaba/ kulturpool.at

Operette: der Sänger Richard Sallaba/ kulturpool.at

Nach der Veilchenredoute gab es ab Ende März 1943 ein Singspiel Walzerträume auf ein Buch von Tilde Binder und Ernst Friese mit der Musik von Bruno Uher nach Motiven von Josef Strauß. Um Strauß – von Rolf Wanka gespielt – drehte sich die Handlung, also wieder ein Fall von „Wiener Kulturimperialismus“, den Berlin nicht litt, um der Stadt Wien keinen kulturellen Vorrang einzuräumen, und für den, generell gesehen, der aus dem Altreich importierte Kulturreferent Schirachs, Walter Thomas [79], verantwortlich gemacht und gefeuert wurde, obwohl der eigentliche Drahtzieher der Reichsstatthalter persönlich war, wie Minister Goebbels sehr wohl wusste. Der Titel war in Erinnerung an Oscar Straus sicher als Provokation gewählt, denn die politische Einstellung der Autoren war eindeutig. Litten sie doch unter dem braunen Diktat der Prinzipalin. [80] Die Walzerträume wurden von Friedrich Neubauer inszeniert, der 1920 in Nürnberg Ernst Tollers Masse Mensch mit seiner Botschaft, kein Mensch dürfe Menschen töten, um eine Idee durchzusetzen, zur Uraufführung gebracht hatte.

1943 kam noch eine zweite Operette auf den Spielplan des Stadttheaters:Mädel im Frack (Susi schwindelt) von Ernst Friese und Rudolf Weys mit der Musik von Hans Lang. Darin konnte der junge Heinz Conrads einen großen Erfolg als böhmakelnder Primgeiger feiern (3. November 1943). Und kurz vor der Theatersperre, am 14. Juli 1944, hatte Lehárs Friederike mit Richard Sallaba in der Tauber-Rolle Premiere.

Operette: Robert Valberg/ kulturpool.at

Operette: Robert Valberg/ kulturpool.at

Noch ein Theater sollte sich im Wien der Nazizeit der Operette widmen: das Bürgertheater an der Vorderen Zollamtsstraße im 3. Bezirk. Es war bereits fünf Jahre nach seiner Eröffnung als Schauspielhaus 1910 in eine Operettenbühne umgewandelt und mit Der unsterbliche Lump von Edmund Eysler (Libretto: Felix Dörmann) eröffnet worden, der es auf 408 Vorstellungen brachte. Eysler blieb Hauskomponist und experimentierte trotz all seiner wienerischen Gemütlichkeit sogar mit Jazzmusik, die die Zeit zu bestimmen begann. Ab 1926 kamen vermehrt die vom Publikum begehrten Revueoperetten unter Farkas zur Aufführung, daneben aber auch weiter traditionelle Operetten, wie eben 1931 Heinrich Streckers Mädel aus Wien, wo schon die biedere rückläufige Dramaturgie der Nationalsozialisten vorgezeichnet war. Dieser stilistische Mischmasch trieb kuriose Blüten: Kurz vor dem Anschluss gab es eine rustikale Ausstattungsrevue Der Bauernkalender(15. Februar 1938), dem gleich nach dem Anschluss (19. März 1938) die erste Operettenproduktion der Exl-Bühne folgte, einer sehr renommierten seriösen Tiroler Bauernbühne, die das Bürgertheater bespielte: Die Toni – der Bua (Musik vom Haus-Kapellmeister Karl Meise). Man nannte es natürlich nicht Operette, sondern „Ein lustiges Spiel mit Musik in 8 Bildern“. An den acht Bildern ist zu erkennen, dass selbst hier noch der Revuegedanke in verkleinerter Form herumspukte. Schwer vorstellbar, dass das schlüpfrige Sujet [81] am Vorabend von Führers Geburtstag den braunen Kulturreformatoren gefiel. Verständlich, dass das Theater ab Spielzeitende bis April 1942 geschlossen wurde. Es wurde umgebaut. Der bis dahin grüne Zuschauerraum, dem viele durchgefallene Autoren die Schuld für den Flop gaben, weil ein Theater innen eben nicht grün zu sein habe [82], wurde rot-weiß-gold. Nach dem Umbau verpachtete man das Haus als Privattheater an Robert Valberg, der einen gemischten Spielplan zur Ablenkung vom Kriegsalltag bieten wollte und auf musikalischem Sektor in geduldeter Subordination mit der Revue kokettierte. Die von Hanns Schott-Schöbinger und Rudolf Weys für den 17. April 1942 ausgerichtete Eröffnungsrevue Ringstraßen-Melodie wurde von der gleichgeschalteten Presse zwar nicht gut besprochen, erfreute sich aber eines regen Publikumszuspruchs. Im Ensemble befanden sich Künstler, die dem braunen Regime nicht gerade positiv gegenüberstanden und immer wieder verdeckten geistigen Widerstand leisteten, was das Publikum offensichtlich zu würdigen wusste. Vieles konnte man sich nur unter einem Direktor Valberg erlauben, der NSDAP-Mitglied war, Landesleiter der Reichstheaterkammer und Kulturbeirat der Stadt Wien – eine schillernde Persönlichkeit, der einerseits die Schuld am Selbstmord Rudolf Beers zur Last gelegt wurde, der andrerseits Beer aber auch den Zugriff auf seine Konten und die Flucht ermöglichen wollte [83] und den Marcel Prawy immer wieder als Ermöglicher seiner Emigration dankbar erwähnte.

Operette: Die "Balkanliebe" schaffte es bis in die Nachkriegszeit, namentlich rudolf Schock war ein Protagonist für dieses Repertoire/ youtube

Operette: Die „Balkanliebe“ schaffte es bis in die Nachkriegszeit, namentlich Rudolf Schock war ein Protagonist für dieses Repertoire/ youtube

Auch Landser hätten’s gern frivol! Betrachtet man alle Operettenproduktionen der Jahre 1938 bis 1944, so muss man feststellen, dass Operette in Wien weiter als gewichtiges Kultur-Produkt behandelt wurde, auch wenn Richard Strauss in einer Beschwerde an Dr. Goebbels über einen Grazer Kulturrat und einen unbedeutenden Komponisten noch so schäumte: „Kann man diese edlen Zeitgenossen nicht ins Nürnberger Opernhaus einsperren und zu lebenslänglichen Lehár, Kálmán, Leo Fall, Stolz oder wie diese musikalischen Hochstapler und Volksvergifter sonst noch heißen, verurteilen?“ [84] Allerdings waren die Nationalsozialisten in Wien nicht sehr erfolgreich mit der Schaffung einer speziellen nationalsozialistischen Operette, wie sie Reichsdramaturg Schlösser gefordert hatte. Die neuen Operetten drehten nur formal das Rad der Zeit zurück unter Benützung neuer ästhetischer Errungenschaften. Dadurch fiel die Repertoireausdünnung durch den Verlust der verbotenen jüdischen Autoren, der Sujets um kriegsfeindliche Nationen und vor allem durch den Verzicht auf die Crème der jüdischen Operettendarsteller, die dem Genre das notwendige Prickeln, das stimulierend Doppeldeutige und Subversive gaben, besonders auf. Das Genre war nur dort erfolgreich, wo es auf arische Interpreten zurückgreifen konnte, die ihr Handwerk bei jüdischen Kollegen gelernt hatten – und diese ganz bewusst, teils sogar schamlos kopierten, was besonders für die unzähligen Tauber- und Massary-Kopisten gilt. Keine Wiener Operettenuraufführung zwischen 1938 und 1945 hat die Zeit überlebt.

Die meisten neu geschaffenen Wiener Operetten der Nazis schlummern heute in Archiven. Da hat sich einmal Hermann Bahrs Satz: „Wien ist eine willensschwache Stadt, die sich jedem unterwirft, der ihr seinen Willen aufzwingt“ [85] nicht erfüllt. Verschwunden waren jedoch nach 1938 und definitiv nach 1945 der Hauch des Verruchten, die Frivolité, die Groteske und das deutlich Parodistische. Die Operette war jugendfrei geworden – und blieb es bis in die Gegenwart. Verhängnisvoll war auch die mit Vehemenz geförderte Liaison der Operette mit der Spieloper, die bis in unsere Tage dominierend geblieben ist. Sie hat aber andrerseits den Plagiatszustand und manchmal die Plagiatsunverblümtheit der „braunen“ Werke entlarven geholfen, weil Opernsänger die dünne Substanz nicht veredeln konnten, da das Metier zu sehr auf Klangereignisse reduziert und ihm die Extra-Dimension genommen wurde. Mit dieser hatten die OperetteninterpretInnen vor 1933/38 das Genre erst zum Ereignis und letztlich zur eigenständigen Kunst gemacht. Das mag auch der Grund sein, warum die Wiener Parteiführung trotz aller Bemühungen um die Operette nicht Komponisten förderte, die von der Berliner Kulturführung als Ersatz für die vertriebenen jüdischen Größen „erfunden“ worden waren. Sie hatten in Wien zwischen 1938 und 1944 nur marginale Bedeutung. Hans-Dieter Roser

 

Ein Wort zur Präsentation: Der sehr umfangreiche Apparat an Fußnoten und Anmerkungen, mit dem natürlich Hans-Dieter Roser seinen Artikel im Original ausgestattet hat, erscheint uns für einen „Nachdruck“ in operalounge.de zum umfangreich. Wir liefern ihn aber gerne per e-mail an Interessierte nach, der Autor möge uns verzeihen. G. HFoto oben: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Ein Torso – warum?

 

Für Donizettianer wartet Opera Rara mit einem bitter-süßen Bonbon auf: Donizettis Oper Le Duc d´Albe. „Den gibt`s doch schon!“ – murmeln nun manche und denken an die nicht wirklich aufregende Antwerpener Aufführung von 2012 bei Dynamic (CD und Video), die durch das angeklebte Finale entstellt wird, das Giovanni Battistelli im Auftrag von der Vlaamse Opera komponiert hatte und das mit seinem gläsernen Flagiolettieren so gar nicht zu der Musik Donizettis passt. In operalounge.de haben wir oft über die problematische Notenlage und die Entstehung dieser Oper berichtet. Nicht zuletzt Alex Weatherson von der englischen Donizetti Gesellschaft hat über das „Blutige Beil des Grafen Alba“ geschrieben und auf die unüberwindlichen Schwierigkeiten hingewiesen, weite Teile des 3. Aktes und namentlich den 4. Akt des Duc d´Albe zu rekonstruieren. Opera Rara hat nun eine neue Einspielung vorgelegt, bei der nur das wirklich Vorhandene aufgenommen wurde (wie Roger Parker in seinem nur-englischen Artikel begründet). Warum nun bei OR so ein Torso eingespielt wurde, den es ja – umfangreicher – als CD-Aufnahme mit Ergänzungen bei Dynamic gibt, und zudem erst vor kurzem aufgenommen, weiß der Himmel.

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und "Fertigsteller" des Duca/HeiB

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und „Fertigsteller“ des „Duca“/HeiB

Ach was ist dies für ein tolles Werk. Dicht und konzise, Verwertungsstelle anderer Donizetti-Opern (namentlich die berühmte Tenorarie „Ange si pur!“), schmissig in den Soli und Ensembles („Libertée chérie“), machtvoll mit Chören ausgestattet, dicht an den Martyrs und – so will mir scheinen – noch spannender als diese. Hinweisend auf Kommendes: Was für ein Jammer, dass der Duc d´Albe nicht fertig gestellt wurde. Niemand kann mir vorwerfen, kein Fan von Operara Rara zu sein, die wir mit operalounge.de stets gestützt haben. Aber die „lässlichen“ Aufnahmen mehren sich (vd. La Colombe oder Le Portrait de Manon), und mir scheint dies nun rausgeworfenes Geld zu sein, zumal die neue Besetzung bis auf Spyres eher „nur“ ordentlich/funktional ist. Angela Meade (als Hélène) ist nicht wirklich eine geborene Donizetti-Diva… Ihre Stimme fällt in die Kategorie „amerikanische Soprane“ der Cheryl-Studer-Sorte: sehr obertonreich, waberig an den Rändern, künstlich dunkel gesungen, um die Dramatik zu erreichen. Und sie beginnt sich in die Noten hineinzuschleifen, was der Figur nicht hilft und der unruhig werdenden, etwas amorphen Stimme auch nicht. David Stout braucht ein wenig Zeit zum Aufwärmen und gibt dann einen soliden, theatralisch-stimmlich nicht sonderlich markanten Sandoval (der Procida der späteren Verdi-Fassung). Und auch Laurent Naouri will mir leichtgewichtig, nicht mit genügend Authorität als Titelsänger scheinen. Sicher, er ist Franzose, und das hört man mit Diktion-Gewinn, aber er lässt Tiefe und Sonores vermissen und bleibt im Ganzen zu wenig prägnant, zu wenig zerrissen in seiner Vaterrolle und zu wenig gebieterisch als Besatzungschef. Die beiden Getreuen Carlos und Daniel sind mit Trystan Griffith und Giancarlo Burato unauffällig besetzt. Dazu kommen Robin Tritschler und Dawid Kimberg. Nein, es ist Michael Spyres, der hier wie in den kürzlich erschienenen Martyrs die Ehre Donizettis hochhält, der grandios das Heroische mit dem Lyrischen verbindet und der ein exemplarisches Französisch singt (er neigt zum Plärren in den offenen Vokalen). Immer wenn er drann ist (wie in seinen Soloauftritten oder Duetten/Ensembles – so in A1/Sz. 7 „Je suis libre“) geht die Post ab, wird´s megaspannend, wippt der Fuß. Er ist der Felsen, auf dem die Aufnahme steht und bei dem die Musik zu ihrem schmissigen Leben erwacht. Mark Elder am Pult des renommierten Hallé-Orchesters macht einen eher anständigen Job, funktional und mir zu wenig flexibel, bodenblastig und eher verdi-nah – das betrifft auch den leistungsstarken Chor. Der stützt unter Stephen Harris erfreulich die vorhandenen zwei Akte lang. Aber man würde nicht meckern, hätte man mehr vor sich. So ist eben nach dem 2. Schluss.

„Le Duc d´Albe“ an der Vlaamse Opera 2012/© Vlaamse Opera/Annemie Augustijns

An ordentlichen italienischen Live-Aufnahmen ist nicht wirklich Mangel. Mal abgesehen von der ersten mit der Mancini von der RAI 1953 (ehemals Melodram), der verschiedenen unter Eve Queler u. a. sowie der abenteuerlichen Schippers-Version (der Akt 3 und 4 zusammen legt) bietet sich als Stereoaufnahme die aus Montpellier 2007 bei Accord an, ordentlich gesungen und im Ganzen befriedigend. Warum nahm man also nicht das Original-Hinterlassene auf und ergänzte das Fehlende mit der von Matteo Salvi erstellten Version, aber mit dem französischen Libretto? Dann hätte man die ganze Oper. Nicht eben ganz original – aber wer möchte bitte schön sein Geld für nur 2 Akte einer seltenen 4-Akte-Oper ausgeben, die es so bereits mehr oder weniger – passabel – gibt? Nur die Fans von Michael Spyres? Wie auch immer: nun ist die neue Aufnahme auch in Deutschland (Note 1) auf dem Markt. Nachstehend der Pressetext von Opera Rara. Zum Werk und seiner problematischen Genesis empfielt sich der erwähnte Artikel von Alexander Weatherson bei uns. G. H.

 

 

(The Hallé Orchestra, Mark Elder, conductor; Angela Meade; Michael Spyres; Laurent Naouri; Gianluca Buratto; David Stout; Trystan Llŷr Griffiths; Robin Tritschler; Dawid Kimberg; Stephen Harris, Chorus Master; Opera Rara Chorus; ORC54)

Walter Knoeff

 

Mit Bestürzung erfuhr ich die Nachricht vom Tode meines Freundes, des Musikproduzenten und Pioniers Walter Knoeff. 1943 geboren, starb er am 3. März 2016, ganz plötzlich, wie mir berichtet wurde. Nun ist auch meine Generation in dem Alter, wo man plötzlich Freunde verliert und der Tod „die Reihen lichtet“, wie nicht nur der Dichter sagt. Aber Walters Tod kam so überraschend, weil wir noch vor zwei Wochen über eines seiner vielen CD-Projekte korrespondiert hatten, zu dem ich ihm Material liefern wollte. Er leitete die von ihm ins Leben gerufene Download-Opern-Firma opera-club.net, deren Aufnahmen wir in operalounge.de vielfach besprochen und gelobt haben.

Walter Knoeff mit Cristina Deutekom und Freunden/ facebook Walter Knoeff

Walter Knoeff mit Cristina Deutekom und Freunden/ facebook Walter Knoeff

Walter war einer der kenntnisreichsten Sammler von Opern- und Vokalaufnahmen, den ich kannte. Er hatte vor Jahren CD-Firmen wie Verona, Gala, Ponto und andere gegründet, deren Livemitschnitte in meist bester Sound-Qualität die Fans zu wohlfeilen Preisen erfreuten. In gewisser Weise führte er die Arbeit der Pionierin Ina Delcampo von Melodram fort und wartete immer wieder mit Überraschungen auf, auch weil er Zugang zu den Archiven der Rundfunkanstalten hatte und dort Schätze hob – Elisabeth Schwarzkopfs Abende in Amsterdam, viel von Nelly Miricioiu, Cristina Deutekom und Jan Derksen, eine ganze Sonderedition für Maria Callas – seine Beiträge zu den Schätzen aus Holland und Europa sind Legion, und schon dafür danke ich ihm und sicher unendlich viele andere auch.

Walter hatte kein einfaches Leben. Nach einer familienbedingt problematischen Kindheit bei Pflegeeltern in Lateinamerika wandte er sich in Holland und den USA der Psychiatrie zu, graduierte in Amerika und arbeitete dort wie auch in Amsterdam in der klinischen Neurologie und Psychiatrie am AMC. Ein anstrengender und Kräfte zehrender Job. „Nebenbei“ hatte er auch Regie bei Operettenaufführungen geführt und trat am holländischen Radiosender, dem Concertzender, mit seiner sonntäglichen Sendung “De Diva op de Erwt” hervor, wo er immer wieder Seltenes und Beliebtes vorstellte. Dorthin lud er mich mehrfach ein, um mit mir über meine Lieblingsaufnahmen zu plaudern – in Deutsch, wofür  ihn sein sehr zahlreiches Hörer-Publikum sehr bewunderte (in Deutschland  umgekehrt kaum vorstellbar).

Walter war ein praller, lebensnaher Mann, ein Epikuräer – er liebte das gute Essen und kochte sehr gern. Seine Dinnereinladungen waren berühmt, und er gab seine raffinierten Rezepte gerne weiter – ein Genussmensch, umgeben von wunderbaren antiken Bildern in seinem gemütlichen Haus in Hoorn.

Ach Walter, Du wirst mir fehlen. Diese wunderbaren Gespräche gespickt mit Apercus in seinem hochpersönlichen Deutsch, diese satte Lachen und diese frechen, wachen und jungen Augen! Was für ein Verlust! G. H. 

Thomas Volle

 

Als ich Thomas Volles Stimme das erste Mal hörte (in der Berliner Version von Davids Oper Herculanum in den Sophiensäälen 2013), war da was an seinem gutgeführten und interessant timbrierten Tenor, das mich anrührte – was ja für einen Sänger das Ideale ist, sein Gegenüber so zu erreichen. Er hat was in der Stimme, etwas sehr Persönliches, sehr Menschliches, das mich sofort „ansprang“ und mich dazu animierte, den attraktiven wuschelköpfigen jungen Mann um ein Gespräch zu bitten, das wir dann doch in schriftlicher Form machten. Und das Ergebnis zeigt einen sehr bewussten, sehr nachdenklichen jungen Sänger, der über sich, seine Stimme und seine Kunst reflektiert. Es war doch – für mich – eine Begegnung der besonderen Art. G. H.

 

Thomas Volle, Guido G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle, Guido/ Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

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Warum singen Sie? Was ist Singen für Sie, welche Gefühle/Reaktionen/Vorgänge werden ausgelöst? Singen und Musik sind mein „Schlüssel“, mein „Schleusenöffner“. Singen erfüllt mich, ist mein vielleicht wichtigstes, präzisestes und direktestes persönliches Ausdrucksmittel und Zugang zu meinen Emotionen, da es alles transportiert, gewollt oder nicht. Und Singen bereitet mir dieses besondere Glücksgefühl, das Gefühl „zu fliegen“, in Musik zu „schwimmen“. Dennoch bedeutet Singen Arbeit mit und an sich selbst, sich mit sich selbst intensiv zu beschäftigen, die richtige Balance zwischen Kopf und Bauch zu finden, sich zu entwickeln, körperlich zu arbeiten.

Thomas Volle, Tamino W.A. Mozart, „Die Zauberflöte“, Schärdinger Sommeroper, Österreich

Thomas Volle als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“, Schärdinger Sommeroper, Österreich/ Foto privat

Was lernt man als junger Sänger? Technik! Wann, wo, wie findet man sie? Wie die eigene Stimme? „Hier bin ich“, wo fühlen Sie sich wohl? Man lernt unglaublich viel über sich selbst! Technik, Theorie, szenischer Unterricht, Partienstudium, etc. – das sind alles sehr wichtige „Werkzeuge“. Der vielleicht entscheidende Lernprozess in meinem Fall war und ist die tägliche Beschäftigung mit mir selbst: mit meiner Stimme, meinem Körper, es geht um ganzkörperliche Fitness, gezieltes Muskeltraining, Muskelstimulanz, Aufwärmen und zielgerichtetes Einsingen, Anspannung und Entspannung. Ohne diese Grundlagen geht es nicht. Dann Beschäftigung mit meiner Psyche: schauen, dass es einem gut geht, dass ich „in Stimmung“ bin, Freude am Singen – auch wenn es einem gerade überhaupt nicht gut geht, Nervosität, Ruhe (bewahren), Selbstvertrauen, Konzentration, Kontrolle und „Loslassen“, genießen, reagieren, Emotionalität. Alles Dinge, die mitspielen. Wie funktioniere ich? Was brauche ich, damit es mir gut geht, damit ich mich gut fühle? Alles, damit ich so singen und „erzählen“ kann, wie ich will und kann. Eine spannende, intensive, gelegentlich echt frustrierende, aber doch so erfüllende Beschäftigung mit mir selbst! Um die eigene Stimme zu finden, bedarf es wohl einer Kombination aus all dem, aus der aufmerksamen Beschäftigung mit sich selbst, aus vielen (Selbst-)Erfahrungen und der für einen individuell passenden Technik, vermittelt durch den oder die passenden Lehrer. Dazu das Ausprobieren, Riskieren, Fehler machen dürfen. Und Geduld haben, sich die nötige Zeit geben! Wohl fühle ich mich, wenn ich spüre, dass „alles passt“, dass die Balance stimmt, dass ich im „flow“ bin, ich loslassen und genießen kann – da spielt es nicht unbedingt eine Rolle, ob Konzertpodium oder Opernbühne, Unterrichtsraum oder im stillen Kämmerlein zuhause. Das ist dann dieser Idealzustand, den man unentwegt sucht, dieser Zustand, der einen glücklich und diesen Beruf so außergewöhnlich macht. Das ist einfach wunderbar und erfüllend – und macht süchtig!!

 

Thomas Volle/ Foto © Matthias Keste

Thomas Volle/ Foto © Matthias Kestel

Umgang mit eigener Stimme? „Freund“? „Last“? Morgens testen? Superempfindlichkeit der Tenöre? Weißer Schal…? Ich glaube, ich bin kein typischer Sänger, wenn die Frage auf die typischen Vorurteile zielt… Ich bin vom Typ her ein ruhiger, eher introvertierter Mensch und habe meine eigene Art, diesen Beruf zu leben. So wie jeder andere das auch auf seine eigene Art macht. Äußerlichkeiten sind nicht unwichtig, aber sicher nicht das Wichtigste. Bestimmte „Erwartungsverhaltensweisen“ zu erfüllen, liegt mir nur bedingt. Jeder schafft sich, glaube ich, eine Art „System“, welches er braucht, um gut zu sein, Schutzmechanismen, Rituale etc.. Für mich gehören da Vorbereitung, Aufwärmen und Einsingen nach einem routinierten Muster dazu. Da weiß ich, das sind „meine“ Übungen, die funktionieren und die bringen mich und meine Stimme in die richtige „Stimmung“.Ich bin kein Übervorsichtiger, was den Umgang mit meiner Stimme angeht. Ich versuche, möglichst normal und unkompliziert damit umzugehen. Selbstverständlich achte ich darauf, dass ich und meine Stimme gesund bleiben! Ich kann aber auch mal gut ein paar Tage nicht singen, andere Dinge tun, das Leben genießen, ohne dass es mich stresst, nicht zu singen oder singen zu können. Klar, der Zeitpunkt kommt dann schon wieder, wo es kribbelt und juckt und ich singen will. Aber solche Pausen haben sich als unglaublich wertvoll erwiesen. Danach geht es dann meist sogar besser als zuvor. Insofern, meine Stimme ist mein „Freund“. Klar bleiben gewisse Einschränkungen nicht aus, aber das ist ok und die nehme ich in Kauf. Ja, das ist schon spannend, was für besonderen Menschen man in diesem Beruf begegnet – und Sänger sind da gerne mal eine besondere „Spezies“. Manchmal sehr anstrengend, oft imponierend und inspirierend, Individualisten, viele tolle Kollegen und Freunde habe ich kennengelernt. Und die Tenöre mit dem „weißen Schal“, die gibt es, wörtlich und im übertragenen Sinne. Und davon lebt das ganze Business ja auch ein gutes Stück weit. Aber wie gesagt, das muss und soll jeder so machen, wie es individuell passt. Authentisch muss es sein, sonst funktioniert es nicht. Tenöre stehen unter einer besonderen Spannung, Sing- und Sprechstimme liegen sehr weit voneinander entfernt, wir singen sozusagen in einer „unnatürlichen“ Lage. Das macht die ganze Angelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes spannend. Und das überträgt sich auch so auf den Zuhörer. Diese angesprochenen stereotypen Äußerlichkeiten sind daher bestimmt auch ein gewisser Schutz, vielleicht ein Signal des „Besonderen“, zugleich aber eben auch die Erfüllung einer gewissen Erwartung. Ach so: „Stimme morgens antesten“? Ja! Nicht immer, aber durchaus immer wieder. Es lebt sich entspannter, wenn man weiß, dass sie „da“ ist und funktioniert…!

 

Thomas Volle, Stefanus T. Jennefelt, „Paulus“ Berlin

Thomas Volle, Stefanus in T. Jennefelts „Paulus“/ Foto Andreas Schoelzel

Sie haben eine lange Liste von Lehrern und Meisterkursen: was bleibt da fürs Eigene? Gerhaher warnt vor Lehrern, die „Eigenes“ eliminieren – wo/wie/wann findet man sich? Diesbezüglich habe ich gelernt, dass jede sängerische Entwicklung eine individuelle ist. Der Idealfall wäre auf den ersten Blick vielleicht, den „einen“ Lehrer zu finden, der zu 100% passt und der einem alles mitgeben und vermitteln kann, was man für das fordernde Sängerleben braucht. Das ist heute aber einfach extrem schwer und vielleicht sogar unrealistisch oder unmöglich. Da muss jeder den eigenen Weg finden. Die Warnung vor der Gefahr, zu viele Lehrer und „Köche“ zu haben, kann ich nachvollziehen. Das muss aber nicht zum Nachteil sein. In meinem Falle lief und läuft die Entwicklung über verschieden Phasen und Impulse. Ich bin jemand, der viel „aufsaugt“, speichert und gewissenhaft arbeitet. Auch wenn ich zum Teil hart lernen und herausfinden musste, was zu mir passt, mich weiterbringt und was nicht oder nur bis zu einem bestimmten Punkt, bin ich für jeden Impuls dankbar. Alle haben beigetragen zu dem Sänger und Menschen, der ich jetzt bin und der sich noch weiter entwickelt. Ich kenne mich besser als noch vor einigen Jahren. Dass „Eigenes“ in diesem Prozess verloren ging, glaube ich nicht. Vielmehr hat es – und tut es immer noch – mir dabei geholfen, das „Eigene“ zu finden, stimmlich, technisch, psychisch, körperlich, Wege zu finden, mich genau und mannigfaltig und mir entsprechend auszudrücken. Wie gesagt, da ist jeder verschieden. Sicherlich stimmt, dass das Schüler-Lehrer-Verhältnis ein sensibles ist. Speziell als junger Sänger ist man formbar, Vertrauen ist die Basis. Da den richtigen Weg zwischen diesem Vertrauen, äußeren Einflüssen und Meinungen sowie gesundem Selbstvertrauen und Selbsteinschätzung zu finden, ist eine große Herausforderung. Zumindest war und ist es das für mich. Wie man sich findet? Zeit ist ein wichtiger Faktor. Erst vor wenigen Wochen im Unterricht hatte ich wieder ein solches „Aha-Erlebnis“. Plötzlich hat man etwas gefunden und verstanden, mit einem Male funktioniert etwas, ist etwas ganz leicht. Etwas, was man über die Jahre immer wieder gehört hat, was verschiedene Leute auf verschiedene Art und Weise, mit verschiedenen Worten und Bildern versucht haben, einem zu vermitteln. Man war aber (noch) nicht so weit, es zu verstehen oder umsetzen zu können. Und jetzt war die Zeit reif, man war bereit – ein Glücksgefühl! Natürlich muss man sich durch kontinuierliche Arbeit sich selbst die Grundlage dafür schaffen, für diese Momente bereit zu sein.

 

 Thomas Volle als Nureddin in Cornelius’  Oper „Der Barbier von Bagdad“/  Landestheater Coburg/   © Andrea Kremper


Thomas Volle als Nureddin mit Michael Lion in Cornelius’ Oper „Der Barbier von Bagdad“/ Landestheater Coburg/ © Andrea Kremper

Sie haben eine lange Repertoireliste für einen jungen Sänger. Haben Sie eine gute Agentur? Machen Sie vieles selbst? Ich weiß gar nicht, ob meine Repertoireliste ungewöhnlich lang ist. Ich habe einfach über die Jahre, auch vor dem Studium schon, versucht, „mitzunehmen“ was sinnvoll war. Ich war neugierig und offen und habe so viele Einblicke gewonnen, sehr viel gelernt, tolle und schwierige Erfahrungen gemacht und mir nach und nach das Repertoire erarbeitet. „Lehrjahre“! Trotzdem, selbst wenn ich Stücke oder Partien schon öfter gesungen habe, muss ich sie bei jedem Mal wieder meinem Entwicklungsstand anpassen, manchmal regelrecht neu lernen. Anstrengend, aber wichtig und erfrischend. Ja! Eine gute Agentur ist vor allem für den Opernbereich unerlässlich. Das ist eine Welt, die ihre eigenen Regeln hat, ohne „Zugangshilfe“ und kompetente Unterstützung sowie Kontakte ist es – meiner Erfahrung nach – fast aussichtslos. Im Konzertbereich geht bei mir noch ein guter Teil in Eigenregie. Über bestehende Kontakte, mehr und mehr und in größerem Rahmen, aber auch über „empfohlen werden“. Das ist natürlich optimal. Ein Gedanke ist durchaus, auch speziell für den Konzertbereich eine passende und gute Agentur zu finden, auch um da vielleicht die Möglichkeit zu haben, das oder die nächst höheren Level zu erreichen. Auch für meinen neuen weiteren „Markt“ in Schweden werde ich eine Agentur benötigen, die dort etabliert ist. Ich bin dran!

 

Thomas Volle und Peter Schreier: Penig/Chemnitz/ Chemnitzer Barockorchester unter der Lleitung vonMozartpreisträger feiert 10-Jähriges Bestehen/ Foto: Wolfgang Schmidt

Thomas Volle und Peter Schreier: Das Chemnitzer Barockorchester unter der Leitung des Mozartpreisträgers feierte mit dem „Weihnachtsoratorium“ sein  10-Jähriges Bestehen/ Foto: Wolfgang Schmidt

Rollen – wo sehen Sie sich? Lyrisch, oder doch mehr/größer? Ich sehe mich durchaus noch in der Entwicklung. Es passiert nach wie vor viel, ich entdecke nach wie vor Neues und freue mich über jeden weiteren Schritt. Schön zu sehen und fühlen und hören, dass die Arbeit Früchte trägt und mich weiter bringt. Mozart, Rossini, Händel, Donizetti und hier und da auch schon etwas „größer“, da sehe ich mich im Moment. Dann wird sich zeigen, wo die Stimme hin will, das Potential und die Voraussetzungen für Größeres hat sie. Ich bin gespannt und offen, französisches Fach, deutsches Fach, wir werden sehen. Ein bekannter Sänger meinte nach einer Probe für ein Konzert mit Mahlers Lied von der Erde in Dresden vor zwei Jahren, den „kommenden Lohengrin zu hören…Das wäre natürlich ein Traum – aber das wird die Zeit zeigen, da lasse ich mal noch einige Jahre ins Land ziehen und erstmal weit die Finger davon. Aber träumen darf man ja…!

 

Thomas Volle © Andreas Schoelzel

Thomas Volle © Andreas Schoelzel

Moderne Musik: Unterschiede zum konventionellen Repertoire? Ein Wort zu Regisseuren? Eigene Vorstellungen? Konflikte? Ein deutlicher Unterschied ist der Arbeitsaufwand. Meist benötige ich für die Erarbeitung zeitgenössischer Musik einfach mehr Zeit. Die Herausforderungen sind mannigfaltig, ungewohnte, manchmal grenzwertige stimmliche Anforderungen, komplexe Harmonik, komplizierter Rhythmus, gewöhnungsbedürftige Stimmführung, spannende (Zusammen-)Klänge, Töne, Geräusche, Text – alles will und muss verstanden und „trainiert“ werden. Hat man den Punkt erreicht, an dem alles „intus“ ist, sind die Unterschiede zum konventionellen Repertoire nicht mehr so groß. Gute und weniger gute Stücke und Kompositionen hat es immer gegeben, heute haben es zeitgenössische Werke vielleicht schwerer, angenommen zu werden – obwohl es in der Musikgeschichte genügend Beispiele gibt, dass Werke erst lange Zeit nach ihrer Entstehung populär und anerkannt wurden. In den meisten Fällen, in denen ich mit moderner Musik zu tun hatte, beschränkte sich die Arbeit leider auf ein Konzert oder ein Projekt, danach „verschwand“ das Werk wieder. In vielen Fällen sehr schade, nicht zuletzt weil der Aufwand wie gesagt sehr groß war. Und manche Stücke es wirklich verdient hätten, weiter gespielt und gehört und erlebt zu werden. Auch der Faktor „wie verkauft sich das Stück“ ist ein nicht unwesentlicher. Ich muss sagen, dass ich bisher mit Regisseuren fast durchweg gute und bereichernde Erfahrungen gemacht habe. Ich versuche, immer offen zu sein, mich von guten Ideen überzeugen zu lassen und Dinge auszuprobieren, an Grenzen zu gehen. Meine Erfahrung ist einfach, dass ich dadurch auch viel für und über mich gelernt habe. Auch wo meine Grenzen liegen, was ich kann und was ich nicht kann, was ich will und was ich nicht will, was mir hilft und was nicht, sängerisch und auf der Bühne agierend. Eigene Vorstellungen einbringen, eigene Ideen entwickeln, Dinge anbieten, das gehört absolut dazu und ist wichtig. Man steht ja selbst auf der Bühne mit seiner eigenen Persönlichkeit und Eigenheiten, die eine Rolle formen und ausfüllen. Der Regisseur schaut „von außen“, das meiste kommt von einem selbst. Muss es auch, damit es authentisch wird. Klar gibt es dabei gelegentlich Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, verschieden Charakter prallen aufeinander. Aber jeder ist in letzter Konsequenz für sich selbst verantwortlich. Das musste ich lernen. Dazu musste ich auch erst ein paar Mal „auf die Schnauze fallen“.

 

Thomas Volle, Guido; G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle, Guido; G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Die Schwedenschiene – das ist interessant, darüber würde ich gerne mehr erfahren! Ja, die Schwedenschiene. Die hat sich so ergeben, das war nicht geplant. 2012 habe ich die Partie des „Guido“ in Donizettis erster offizieller und weitgehend unbekannter Oper Enrico di Borgogna in einer Produktion der Vadstena Akademien in Schweden gesungen. Durch den Dirigenten Olof Boman, mit dem ich davor schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, und den Belcanto-Spezialisten Peter Berne hatte ich unabhängig von einander von diesem Projekt erfahren. Dort war man auf der Suche nach einem geeigneten Tenor für die ziemlich anspruchsvolle Partie des Guido. Beide haben mir das zugetraut, ich habe vorgesungen und die Rolle bekommen. Das Projekt war für mich sicher eines der schönsten, aber auch anstrengendsten Opernprojekte bisher. Ein ganzer Sommer in Schweden, in einem Schloss am See, tolle Kollegen, richtig gute Musik. Und ich habe dort meine Freundin kenngelernt, die Schwedin ist. So kam eines zum andern. Mittlerweile verbringe ich sehr viel Zeit in Schweden, meine Familie ist dort und ich bin dabei, einen neuen, zusätzlichen Markt zu entdecken. Ich empfinde es als tolle Chance, mich dort „neu“ präsentieren zu können, neue Kollegen, andere Traditionen, neue Eindrücke und Impulse – sehr bereichernd. Im Konzertbereich geht es schon ganz gut voran und ich freue mich über und auf richtig schöne Aufgaben, etwa als Solist in Konzerten mit dem Eric Ericson Kammarkör oder Konzerte an der Seite von großen Sängerinnen wie Nina Stemme oder Hillevi Martinpelto. Ich hoffe sehr, dass es in naher Zukunft auch klappt auf dem schwedischen Opernmarkt und ich auch dort „einen Fuß in die Tür“ bekomme.

 

Brauchen Sänger einen Lebensmittelpunkt? Sie haben eine kleine Tochter, wie wird das? Weniger reisen? Ich bin überzeugt davon, dass sich jeder „Sänger“ erst einmal als „Mensch“ wohl fühlen muss, um gut in seinem Beruf zu sein. Ob dazu ein fester Lebensmittelpunkt gehört, muss jeder für sich selbst entscheiden. Das muss ja auch nicht immer und unbedingt ein fester Ort sein. Ich fühle mich auf jeden Fall sehr wohl, so wie es jetzt gerade ist! Meine Familie und meine Freunde, die sind mein Lebensmittelpunkt. Eine eigene Familie, Vater einer kleinen Tochter zu sein, das empfinde ich als großes Glück, das ist ein Geschenk, das ist Leben. Und Verantwortung. Das erfüllt mich, macht mich glücklich, das ist auch die Grundlage für meinen Beruf. Wie sich das im einzelnen auswirkt, werden wir sehen und als Familie entscheiden. Natürlich will ich so viel Zeit als irgend möglich mit meiner Familie verbringen und für sie da sein, das hat Priorität. Durch meine freischaffende Tätigkeit konnten wir das bislang gut organisieren und arrangieren.

 

Thomas Volle als Nerone in  Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin  © Ernst Fesseler

Thomas Volle als Nerone in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“, Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin/ © Ernst Fesseler

Oper – Konzert, Unterschiede? Lied: Gestaltung und Kontrolle über alles im Gegensatz zu Oper/Konzert? Lied: eigener Ausdruck und Gestaltungschancen? Winterreise etc. Lieblingskomponisten? Reifen und neu gestalten? Unterschiede gibt es natürlich wesentliche, keine Frage! Trotzdem empfinde ich keine große Diskrepanz zwischen Oper und Konzert oder Lied, zumindest was das Singen angeht. Auch wenn ich das erst lernen musste: alles erfordert „richtiges“ Singen. Sprich, alles will und muss mit der „eigenen“ Stimme gesungen werden, unabhängig von eigenen und äußeren Erwartungen, wie es zu klingen hat. Die gestalterische Freiheit und Individualität, die ich beim Liedgesang empfinde, haben eine besonderen Reiz für mich. Das macht schon sehr viel Spaß, als „alleiniger“ Sänger die „eigene Geschichte“ zu erzählen, die ganz eigene Interpretation darzubieten, in den eigenen Emotionen zu schwelgen. Wenn man dazu den richtigen Klavierpartner hat, dann ist das einfach wunderbar. Irgendwie wie Oper, nur individueller und freier, und nicht minder dramatisch! Konzerte machen einen großen und wichtigen Teil meiner Tätigkeit aus. Als Konzertsänger habe ich meine ersten Erfahrungen als Solist gemacht, das begleitet mich schon lange Zeit. Und soll es auch weiterhin. Das Repertoire ist so unglaublich reich und bunt, über alle Epochen, oft Neues, neu Entdecktes, aber auch die Werke, die immer wiederkehren – das Bach’sche Weihnachtsoratorium oder die Passionen zu Ostern, das gehört einfach dazu und ist schön und spannend, immer wieder auf´s Neue. Das Agieren auf der Opernbühne, darstellerisch und sängerisch, mit Orchester, mit Kostüm und Kulissen, interagieren, sich „austoben“, sich ganz hineinbegeben, eine ganze Partie erarbeiten, all das ist unglaublich intensiv und erfüllend, macht süchtig. Ich will und kann das eine dem andern nicht vorziehen, dazu mache ich alles einfach zu gerne und empfinde die Vielfalt als absolut bereichernd. Demnächst steht wieder einmal Schuberts Die schöne Müllerin auf dem Programm, worauf ich mich sehr freue. Das ist eine extreme Herausforderung, knapp eine Stunde Musik, in der man in einen ganz eigenen Kosmos eintaucht und eine berührende, tiefgründige Geschichte erzählt – aber eben auch fast eine Stunde am Stück singt, mit allen „Höhen und Tiefen“, unterschiedlichsten sängerischen Herausforderungen, Konzentration und Ausdauer sind gefragt, außerordentlich fordernd. Aber großartig! Und macht viel Lust auf mehr: die Winterreise steht als nächstes an, ich bin sehr gespannt darauf und freue mich aufs Einstudieren und „Eintauchen“. Die letzten Wochen habe ich viel Zeit damit verbracht, verschiedenste Aufnahmen anzuhören, das ist schon wahnsinnig spannend, interessant und inspirierend. Ich habe keinen Lieblingskomponisten, keinen, den ich über alle anderen stellen würde. Das ändert sich interessanterweise auch immer ein wenig, je nachdem womit man sich gerade beschäftigt oder wen man (neu) entdeckt. Bach spielt schon eine große Rolle in meinem Tun, mit seiner Musik bin ich ein Stück weit aufgewachsen und sie begleitet mich stets. Brahms’ Musik berührt mich sehr, Puccinis Klangwelt fasziniert mich, Wagners Opern interessieren mich mehr und mehr. Insofern, große Bandbreite und offen für Neues – ich kann mich für Musik aller Epochen und Stile begeistern. (Die Fragen stellte Geerd Heinsen)

 

www.thomasvolle.de https://www.youtube.com/watch?v=pKT73-6TUUU https://www.youtube.com/watch?v=yj97A0Y9QdQ

 

Thomas Volle, "Der Barbier vpon Sevilla" mit Gabriela Künzler/Landestheater Coburg

Thomas Volle als Nureddin in „Der Barbier von Bagdad“ mit Gabriela Künzler/Landestheater Coburg/ Foto Andrea Kremper

Und hier noch eine umfangreiche und beeindruckende Biographie des Tenors: Thomas Volle, in Nürtingen geboren, erhielt seinen ersten Gesangsunterricht bei den Aurelius Sängerknaben Calw, wo er als Knabe in Mozarts Zauberflöte schon früh Bühnenerfahrung sammeln konnte. 2002 begann er sein Gesangsstudium bei Thomas Quasthoff, zunächst an der Hochschule für Musik Detmold, ab 2004 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, wo er u.a. auch Mitglied der Liedklasse von Wolfram Rieger war. Anschließend absolvierte er ein Aufbaustudium (Konzertexamen) bei Berthold Schmid an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. Der junge Tenor ist Preisträger des „Frankfurter Mendelssohn-Preis 2008“ und war mehrfach erfolgreich beim Wettbewerb „Jugend musiziert“, 2001 war er auf Einladung des Deutschen Musikrates Teilnehmer der „European Summer Academy for Chamber Music“ in Blonay (Schweiz). Er absolvierte verschiedene Meisterkurse bei Charlotte Lehmann, 2007 nahm er an der Masterclass „The Art of Song“ in der Carnegie Hall in New York teil. Bereits mehrere Male war er Gast bei der Biennale Alter Musik in Berlin und beim Bachfest Leipzig und sang bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, den Telemann-Tagen Magdeburg, dem Zermatt Festival, dem Internasjonale Kirkemusikkfestival Oslo sowie dem Christmas Sibirian Festival Novosibirsk oder den „Niedersächsischen Musiktagen“. Thomas Volle wirkte in zahlreichen Opernproduktionen mit, die ihn beispielsweise an das Théâtre des Champs-Elysées Paris, die Opéra de Lille, La Monnaie Brüssel, das Landestheater Detmold, das Landestheater Coburg, die Städtischen Bühnen Bielefeld oder das Schlosstheater Rheinsberg führten, und war Mitglied der Jungen Kammeroper NRW und Niedersachsen. In Berlin war er unter anderem als Oebalus in Mozarts Apollo und Hyazinth zur Wiedereröffung des Bodemuseums und in Produktionen der Hochschule für Musik Hanns Eisler als Xerxes in der gleichnamigen Oper von Händel, in Puccinis Gianni Schicchi in der Partie des Rinuccio oder als Nerone in Monteverdis L’incoronazione di Poppea zu erleben. Er war als Ferrando in Mozarts  in der Jahresproduktion der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig zu hören, eine Produktion der Sasha Waltz&Guests Dance Company und des ensemble modern führte ihn mit der Uraufführung von P. Dusapins Passio nach Paris ans Théâtre des Champs-Elysées. In den letzten Jahr war Thomas Volle etwa als Tamino in Mozarts Zauberflöte beim Festival „Schärdinger Sommeroper“ (Österreich) oder bei der Uraufführung von T. Jennefelts Paulus in Berlin zu erleben, es folgten u.a. weitere Vorstellungen von Dusapins Passio in La Monnaie Brüssel sowie die Partie des Pastore in Monteverdis Orfeo im HAU1 Berlin oder die Partie des Guido in Donizettis Enrico di Borgogna in einer Produktion der „Vadstena Akademien“ (Schweden).

Thomas Volle als Guido in Donizettis „Enrico di Borgogna“/ Foto Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle als Guido in Donizettis „Enrico di Borgogna“/ Foto Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Zuletzt debütierte Thomas Volle u.a. als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni sowie in der Partie des Nureddin in P. Cornelius’ Der Barbier von Bagdad am Landestheater Coburg. Sein umfangreiches Repertoire als Konzert- und Oratoriensänger umfasst u.a. Monteverdis Marienvesper, Bachs Passionen, Oratorien und die Messe in h-Moll sowie zahlreiche Kantaten, Händels Messias, Haydns Schöpfung, Mozarts Messen und Requiem, Mendelssohns Paulus und Elias oder Honeggers Le Roi David. Er konzertierte mit Orchestern wie der Akademie für Alte Musik Berlin, der Lautten Compagney Berlin, dem Elbipolis Barockorchester, Drottningholms Barockensemble, Helsinki Baroque Orchestra, dem Leipziger Barockorchester, dem Scharoun-Ensemble, dem Solistenensemble Kaleidoskop, dem Konzerthausorchester Berlin, den Deutschen Philharmonikern, der Staatskapelle Halle, dem Akademisches Symphonieorchester Novosibirsk oder etwa dem Orquesta Filarmónica De Cámara Madrid sowie mit Chören und Ensembles wie dem Eric Ericsons Kammarkör, Dresdner Kammerchor, „I Fagiolini“, dem Philharmonischen Chor Köln, der Berliner Singakademie, der State Russian A. Yurlov Choir Capella, den Aurelius Sängerknaben Calw, dem Cäcilien-Chor Frankfurt oder der „Singakademie zu Berlin“. Seine rege Tätigkeit im Konzertbereich führt ihn regelmäßig ins Ausland und er sang in Konzerthäusern wie der Novosibirsk Philharmonia, Stockholms Konserthus, der Berliner Philharmonie, der Kölner Philharmonie, dem Konzerthaus Berlin oder der Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld. Dabei arbeitete Thomas Volle mit Dirigenten wie Marcus Creed, Peter Schreier, Robert Hollingworth, Franck Ollu, Gintaras Rinkevičius, Olof Boman, Roland Kluttig, Wolfgang Katschner, Fredrik Malmberg, Florian Heyerick, Ralf Popken oder Wolfgang Helbich. Intensiv widmet sich Thomas Volle auch dem Liedgesang und kann dabei auf ein breit gefächertes Repertoire zurückgreifen. Zuletzt präsentierte er mit der Pianistin Katharina Landl Schuberts Die schöne Müllerin in Rattenberg (Österreich), ebenso war er in Dresden mit Mahlers Das Lied von der Erde zu hören oder gab als „Artist in Residence“ der „Vadstena Akademien“ in Vadstena (Schweden) mit dem Pianisten Magnus Svensson einen Liederabend mit einem rein schwedischen Programm. Zudem arbeitet Thomas Volle immer wieder mit verschiedenen Ensembles wie etwa dem Athesinus Consort, dem Vocalconsort Berlin oder Cappella Amsterdam; und nun im März 20016  gibt es einen Auftritt in der Alten Oper Frankfurt. (Quelle www.thomasvolle.de; Foto oben Thomas Volle als Nerone in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“; HfM Hanns Eisler, Berlin/ © Bella Lieberberg)  

 

Thomas Volle/ Portrait Lauttencompagney/ Foto Volle

Thomas Volle/ Foto privat

Hexe auf dem Fahrrad

 

Seine Maskerade gilt als die dänische jokes about viagra Nationaloper schlechthin, viel weniger bekannt ist auch in seinem Heimatland sein zweites Musikdrama, Saul og David, das 2015 zum 150. Geburtstag von Carl Nielsen an der Oper Kopenhagen neu einstudiert wurde, indem man der alten, traditionellen Inszenierung eine „moderne“, in die Jetztzeit verlegte folgen ließ. Verantwortlich zeichnet dafür David Pountney, dessen Bühnen- und Kostümbildner Robert Innes Hopkins die aus dem Alten Testament überlieferte Geschichte in einem felsartigen Rund spielen lässt, in das Kammern gehauen wurden, in denen die israelitischen Familien, alle mit Fernseher ausgestattet, als vielbeschäftigter Chor hausen, die Solisten unter mehr oder weniger prachtvollen Umhängen Uniformen, mit mehr oder weniger Orden verziert, tragen und zu den Zwischenmusiken ein Ballett, das wohl Sitzungen des Weltsicherheitsrats darstellen soll, deutlich macht, wie man hilflos mit Resolutionen und gegenseitigen Beschuldigungen Kriege zu verhindern sucht ( Choreographie Rebekka Lund). Dazu gibt es Videos von Flüchtlingen – ach, wie aktuell! Steht am Beginn das archaische Stieropfer und genericviagra100mg-quality.com fließt aus dem von der Decke herunterhängenden Tierkadaver reichlich Blut, so rammt sich am Schluss anstelle des vom Libretto vorgesehen Schwerts der sieglose Saul einen vom Himmel herab schwebenden Fleischerhaken in die Brust und findet viagra cialis for sale so ein unrühmliches Ende. Auch verkehrs- und waffentechnisch ist man in dieser Produktion up to date, wenn die Hexe von Endor per Fahrrad das Weite sucht, nachdem sie schnapstrinkend und kettenrauchend Saul sein böses Schicksal verkündigt hat, oder wenn gern order generic cialis online canada und häufig mit Maschinenpistolen herumgefuchtelt wird.

Normalerweise bringt man David mit Goliath in Verbindung, was hier nur am Rande und nicht auf der Bühne sichtbar eine Rolle spielt. buy generic cialis online In der Oper geht es um die Rivalität zwischen dem Staatengründer Saul und David, der es für ihn unternimmt, den das Staatswesen bedrohenden Goliath zu besiegen, und dem zum Dank dafür unterstellt wird, er trachte dem König nach Leben und Reich. Eine wichtige Rolle spielt auch der Saul zürnende Prophet Samuel, der ihm, von oben genannter Witwe aus dem Totenreich zitiert, seinen baldigen Tod verkündet. Außer Saul geht auch sein sanfter, stets um Vermittlung bemühter Sohn Jonathan zugrunde, während seine Tochter Michal als Gattin Davids seine Nachfolge antritt und das Volk glücklich und zufrieden in eine rosige Zukunft blickt. Musikalisch ist die 1902 uraufgeführte Oper der Spätromantik verpflichtet, mit reicher Harmonik im Orchesterpart, eher deklamatorischem generic-cialiscanadarx Stil für die Solisten, abgesehen von lyrischen Passagen wie dem Duett von Michal und David und den Gesängen des David. Dankbare Aufgaben hat der quantitativ wie qualitativ stark geforderte Chor zu bewältigen. Michael Schǿnwandt ist der einfühlsame Sachwalter für diese Musik.

Saul og David DacapoVon sehr unterschiedlicher Qualität sind die Sängerleistungen. Überragend ist Johan Reuter als Saul mit machtvollem Bariton, der sich im langen Solo nach dem Fluch Samuels und in der Klage um den toten Sohn wundervoll entfalten kann. Geschmackssache ist sicherlich der David von Niels Jǿrgen Riis, dessen Dauergrinsen und Lausbubengehabe schwer zu ertragen sind, der körperlich eher einem Goliath zuneigt, dessen Tenor aber zumindest streckenweise strahlen kann wie der junge Morgen, den er besingt, und der auch in seiner uneigennützigen

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Aufruf zur Klage um den toten Saul vokal überzeugen kann. Stimmlich blass ist hingegen der Tenor Michael Kristensen, zu weiß und flach, allerdings anrührend in seinem ständigen Bemühen um Frieden. Sehr dunkel, wenn auch etwas schütter klingend, verkündet Morten Staugaard als Samuel dem Saul sein übles Schicksal. Zu reif sind optische Erscheinung wie Sopranstimme von Ann Petersen, die penetrant gequetscht klingt und über eine nur schwach ausgeprägte Mittellage verfügt. Mehr Freude bereitet der Mezzosopran von Susanne Resmark, die eine kernige Witwe singt. Eine zarte Mädchenstimme hat Pernille Bruun für die namenlose junge Frau. Einen sehr angenehmen Bariton setzt Leif Jone Φlberg für den treuen Abner ein. Es lohnt sich, das Werk kennen zu lernen (Dacapo 2.110412). Ingrid Wanja

Mythos Kundry

 

In der Handelsausgabe ihrer zwei Jahre zuvor an der Freien Universität Berlin in den Fächern Theater- und Musikwissenschaft eingereichten Dissertation präsentiert Chikako Kitagawa zahllose Aspekte der Kundry aus Richard Wagners Parsifal, einer der rätselhaftesten und umstrittensten Figuren der gesamten Opernliteratur.

Kundry: Amalie Materna/ isoldes-liebestod.net

Kundry: Amalie Materna/ i-soldes liebestod.net

Nach einer Einleitung zu den Begriffen Figur und Emotionalität und zur Methodik strukturieren vier große, reichlich unterteilte Kapitel das Problemfeld: 1) Strukturen weiblicher Emotionalität – Frauenfiguren in Wolfram von Eschenbachs Parzival; 2) Zu Wagners Konzeption und Gestaltung Kundrys; 3) Zur Rezeption der Figur Kundrys und 4) – sagen wir, gleichsam die Probe aufs Exempel – Kundry in der gegenwärtigen Inszenierungspraxis, mit Resümee. Eine Zusammenfassung und ein Anhang über die drei Kundry-Darstellerinnen des Uraufführungsjahres 1882, einige Abbildungen zu den besprochenen Aufführungen, zwei von Willy Poganys Jugendstil-Illustrationen und ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis, das einen fragen lässt, was der Verfasserin zum Thema nicht unter die Augen gekommen ist, runden diese klar strukturierte Arbeit ab. (Und die insgesamt 1390 Anmerkungen und Verweise stehen gottseidank direkt unter den betreffenden Textpassagen.)

Einleitung: In der Einleitung umreißt die Verfasserin das kunsttheoretische Konzept Figur, speziell in Dichtung, Dramentheorie und auf der Bühne, und den Begriff der – historisch, kulturell und gesellschaftlich bedingten – (weiblichen) Emotionalität und skizziert sie das weite Feld, das Vor- und Entstehungsgeschichte von Wagners Parsifal, seine Rezeption in Kritik und Wissenschaft und seine Realisierung auf der Bühne für ihren Versuch über Kundry bereitstellen.

1. Kapitel erfahren die drei Frauenfiguren Cundrîe, Sigune und Orgeluse aus Wolframs Parzival, die von Wagner zu seiner Kundry verdichtet wurden, eine nähere Betrachtung. Sigune kündet Parzival Name und Herkunft und wirft ihm mangelndes Mitleid mit Amfortas vor. Sie stirbt trauernd über den Tod ihres Geliebten. Orgeluse vereinigt „betörende Schönheit und eine ungewöhnliche Derbheit des sprachlichen Ausdrucks“ 1. Hochmütig und provokant fordert sie die männliche Gesellschaft heraus. Auch trauert sie tief um ihren ermordeten Mann, aber sie zeigt sich im Unterschied zu Sigune zur inneren Verwandlung fähig. Das wilde und hässliche Äußere Cundrîes und ihre „männliche“ Gelehrtheit machen sie zu einer Ausgegrenzten der höfischen Gesellschaft. Trotzdem ist sie die Gralsbotin – und zugleich orientalischen, vielleicht ‚heidnischen‘ Ursprungs. Ihr Leiden ist kein Leiden um den Tod eines Geliebten, sondern ein heftiges Leiden an der Mitleidlosigkeit Parzivals (und der ganzen Gralsgesellschaft), einer Sünde gegen den Kern der christlichen Botschaft. Die Rolle des Erzählers und die Körper- und Raumdarstellung bei Wolfram werden behandelt, weil auch sie zur Darstellung der Emotionen dienen. Wagner hat nun die Geschichte in ein anderes Medium übersetzt, wobei die Erzählerrolle in unvergleichlicher, subtilster Weise durch die Musik übernommen wird.

Kundry: Régine Crespin/isoldes-liebestod.net

Kundry: Régine Crespin/isoldes-liebestod.net

Am ausführlichsten kommen natürlich – im 2. KapitelWagners Konzeption und Gestaltung Kundrys zur Sprache. Als Verdichtung der drei Frauenfiguren Wolframs ist sie eine zerrissene Gestalt, „eine personifizierte Paradoxie“ (Dietmar Holland) und damit eine „Schwellenfigur der Moderne“, die in Wagners letztem Werk („quasi eine[r] Summe seines Bühnenschaffens“) Elemente oder Spuren von noch mehr Figuren aus jüdisch-christlicher, indisch-buddhistischer und germanisch-skandinavischer Kultur in sich birgt: Eva, Herodias, Maria Magdalena, Ahasver, Prakriti, Kundalini, Grundryggia und – aus Wagners eigenem Tannhäuser – Venus und Elisabeth. Wie also eine solche Figur in all ihrer Pluralität darstellen?

Zunächst – buchstäblich bei ihrem ersten Auftritt – ist sie „ein wildes Weib“, exotisch, eine Außenseiterin, und vom Unbewussten getrieben, bis in ihre Sprache und sprachlich-musikalische Artikulation hinein. Schockierend waren für das damalige Publikum ihr Schreien und Lachen im II. Akt, abgewechselt durch ihre – von Klingsor befohlene – Rolle als Verführerin, mit der sie – nach selbigem Klingsor vergeblich – ihre ‚Erlösung’ durch Parsifal erzwingen will.

Nicht weniger befremdlich ist danach ihr Schweigen im 3. Akt – in der Operngeschichte eine singuläre Erscheinung. Umso ausführlicher sind Wagners Regieanweisungen, noch ergänzt von den von Heinrich Porges gemachten Probenaufzeichnungen, und umso beredter natürlich ist seine Musik, die Kundrys un- und unterbewussten Regungen zur Sprache bringt, ein „tönendes Schweigen“ (Wagner an Mathilde Wesendonck 1859). Die Ausführungen der Verfasserin zur Gestalt Kundrys gehen mithin nicht nur vom Text (inner- und außerhalb des Dramentextes) aus, sondern sind immer mit der Analyse musikalischer Strukturen verschränkt und kulminieren unter Berufung auf Wendell Kretzschmar aus Thomas Manns Doktor Faustus darin, dass Kundry, „die Büßerin in der Hülle des Zauberweibes“ (T.M.), „zur Symbolfigur der Musik überhaupt“ werde.

Kundry: Kirsten Flagstad/isoldes-liebestod.net

Kundry: Kirsten Flagstad/isoldes-liebestod.net

Das 3. Kapitel behandelt die überaus disparate Rezeption des Parsifal, bzw. der Kundry, durch Kritik und Wissenschaft von der Uraufführung 1882 – durch Eduard Hanslick, Hermann Kretzschmar und andere – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die von Wagner schon in der Konzeption der Figur angelegte Komplexität und Vieldeutigkeit werden in der Kritik potenziert. Religiöse, metaphysische, nationalistische, antisemitische und eine reiche Palette an psychologischen Deutungen – von Hysterikerin zur Femme fatale – blühen auf. Historisch spielen dabei ein paar Daten eine wichtige Rolle: 1913, der Ablauf der ‚Schutzfrist‘ und die darauf folgende explosionsartige Verbreitung des Parsifal über die Opernhäuser der Welt; 1945, genauer gesagt die Zeit entweder vor oder nach der Shoah, besonders die seit den 1960er Jahren gestellte Frage, inwieweit Wagners OEuvre antisemitische Züge trägt. Dabei ist ausgerechnet Kundry die einzige weibliche Figur, der ein besonderes Interesse gilt. Aber gerade die sorgfältige Analyse der Verfasserin beweist, dass viele Argumente, die Kundry als antisemitisch inspirierte, bzw. konzipierte Figur ausweisen wollen, nicht ohne Vorurteil auskommen und interpretationstechnisch vor allem musikalisch fragwürdig sind. Kundry als eine Hysterikerin zu qualifizieren, mag ihre Berechtigung haben, aber gerade das Diffuse des um 1900 oft bemühten Begriffs, der damals direkt mit der höchst beunruhigenden Infragestellung der Geschlechter-, bzw. Genderrollen zusammenhängt, macht eine Fixierung Kundrys auf diese ‚Krankheit‘ zugleich erhellend und diskutabel.

Kundry-Mythos: Gawein und der verwundete Ritter/ Neuschwanstein/Wiki

Kundry-Mythos: Gawein und der verwundete Ritter/ Neuschwanstein/Wiki

Die Femme fatale, die manipulative „verführerische Frau, die ihren Partnern oft zum Verhängnis wird“ (Brockhaus 1995), ist eine uralte Figur, die aber aus denselben patriarchatserschütternden Gründen wie die Hysterikerin im Fin de siècle um 1900 hochaktuell wird in Kunst, Literatur und Musiktheater: Salome, Lulu und – als frühe, die Moderne quasi vorwegnehmende Figur – Kundry, eine Erscheinung, von Männern begehrt und gefürchtet, die mehr über den männlichen krisengeschüttelten Blick als über weibliche Eigenschaften aussagt. Kundry ist aber – anders als die Titelfiguren von Salome und Lulu – nicht nur Verführerin, die (deshalb!) ein grausames Ende erleidet, sondern auch eine erlösungsbedürftige Büßerin, die allerdings in Wagners Regieanweisung am Ende auch stirbt…

Das 4. und letzte Kapitel „beleuchtet aus einer theaterwissenschaftlichen Perspektive die sich wandelnden Darstellungen Kundrys in der Inszenierungspraxis der letzten zwanzig Jahre“. Die Verfasserin beschreibt zunächst die Schwierigkeiten, die die Umsetzung eines Theater- bzw. Operntextes, trotz der Bindung an die Partitur, über die Inszenierungsschritte in die Realität der Bühnenpräsenz erfährt, wobei der Arbeit des Regisseurs eine eigene künstlerische Autonomie zukommt. Eine Aufführung setzt immer auf neue Weise „Kopräsenz, Gegenwart, Gesellschaft und Publikum voraus“ und kann „unter Berücksichtigung des geschichtlichen Abstandes“ auch „Deutungen der bisherigen Rezeptionsgeschichte in Frage“ stellen und überbieten. Das macht das oft gescholtene sogenannte ‚Regietheater‘ eigentlich un-vermeidlich – eben weil eine sogenannte ‚Werktreue‘ die historische Distanz des Publikums natürlich nie ausschalten könnte.

Kundry: Martha Moedl/isoldes-liebestod.net

Kundry: Martha Moedl/isoldes-liebestod.net

Die vier behandelten Inszenierungen, „die in der Geschichte der Operninszenierungen besondere Bedeutung erlangt haben“, sind: Robert Wilson 1991 in Hamburg („Jenseits der Interpretation“), Peter Konwitschny 1995 in München („Der verwandelte Gral“), Christoph Schlingensief 2004[-2007] in Bayreuth („Die Grenzgängerin“) und Calixto Bieito 2010 in Stuttgart („Schritte ins Offene“).

Jenseits der Interpretation: Robert Wilsons „postdramatisches Theater“ setzt „auf Distanz und radikale Reduktion“ (wie das japanische Nō-Theater), spricht in Bildern statt (heftiger) Bewegung und Emotionsdarstellung. Es versucht „dem Publikum nichts aufzudrängen. Interpretation ist Sache der Zuschauer“ (R.W.). Gerade Kundrys komplizierte Emotionalität äußert sich nur selten in Bewegung und Expressivität (und wenn, dann umso beeindruckender), sondern spricht sich in der Musik aus. Mit dieser extremen Reduktion der szenischen Darstellungsmittel nähert sich Wilson paradoxerweise Wagners „unsichtbarem Theater“ (Wagner zu Cosima, 23.09.1878).

Kundry: Milka Ternina/isoldes-liebestod.net

Kundry: Milka Ternina/isoldes-liebestod.net

Der verwandelte Gral: Peter Konwitschny geht davon aus, dass ein Werk klüger sei als sein Autor: „Dadurch, dass sich der Kontext um ein Werk [im Laufe der Zeit] verändert, ist es möglich, dass ein Werk andere, neue Seiten, die in ihm stecken, preisgibt als zu seiner Entstehungszeit“ (P.K.). In der Tradition Felsensteins und Brechts basiert Konwitschny seine Interpretation und ihre Übertragung auf die Bühne auf einer umfassenden Analyse und Ausdeutung des Werks, in erster Linie der Partitur, die gleichsam als Regieanweisung fungiert. Er betrachtet das Theater als „ein Korrektiv für die Gesellschaft, eine menschen- und wertbildende Institution(P.K., Hervorhebung P.K.). Kundry ist bei ihm die Figur, die die Lust-, Kör-per- und Frauenfeindlichkeit der Gralswelt (ein getreues Abbild des Geschlechterkonflikts am Ende des 19. Jahrhunderts) entgegengesetzt wird, ja, zum Gral selbst erhöht – wie Wagner sich 1858 an Mathilde Wesendonck richtet: „Wo find‘ ich dich, du heil’ger Gral?“. Mit seinem Konzept schließt sich Konwitschny dem Wagner seiner Revolutionsschriften (um 1850) an und beurteilt die „liebesfeindliche Ideologie der Gralsritter“ als „den schwersten und schwerwiegendsten dramaturgischen Fehler, der Wagner je unterlaufen ist“, aber „ein nötiger Fehler, um die Wahrheit zugunsten einer bestimmten Ideologie zu verfälschen“ (P.K. gegenüber der Verfasserin 2009). Und weil Parsifal sich der Gralswelt anschließt, muss Kundry sterben – eliminiert, ausgeschlossen von der Männerwelt.

Kundry:Olive Fremstad/isoldes-liebestod.net

Kundry:Olive Fremstad/isoldes-liebestod.net

Die Grenzgängerin: Christoph Schlingensiefs Bayreuther Inszenierung ist als Gegensatz zu Robert Wilsons äußerster Reduktion ein anderes Beispiel des „postdramatischen Theaters“: voller Bilder, Projektionen, Texte, Figurenverdopplungen, Statisten, für manchen Zuschauer/Kritiker als Ganzes oder in Details abstoßend, in ständiger Verwandlung begriffen, manchmal sogar von Aufführung zu Aufführung. Weit entfernt von einer linear erzählten Geschichte bildet diese Bilderflut auf der Bühne ein Abbild der Welt und – zusammen mit Wagners Musik! – ein Raum-Zeit-Kontinuum voller Assoziationsräume für den beteiligten Zuschauer. Gerade die Figur der Kundry „erfährt […] schwindelerregende, ständige Rollenwechsel“, neben „Verdopplungen durch wechselnde Statistinnen“ – unweit Wagners eigener Konzeption und Beschreibungen dieser Figur! Cosima Wagner notiert 1880 aus Wagners Mund: „Alles schreit […], hier verliert es sich in Anmut, dort in den Tod – überall der Schrei, die Klage“. Also nicht nur Kundry schreit, sondern alle Figuren im Parsifal, ja, die ganze Schöpfung und Verfasserin zieht aus ihren Beobachtungen den Schluss: „Alle Lebewesen tragen das gleiche Leiden in sich […]. ‚Alle‘ meint in dieser Insze-nierung gerade auch Prostituierte, Behinderte, Menschen der sogenannten Dritten Welt: Personen, die aus dem Blickwinkel der Herrschenden nicht auf die Opernbühne gehören“. Konsequenterweise scheint sich „nach Schlingensiefs Lesart […] Erlösung, wenn überhaupt, im Tod zu vollziehen […]. So mündet die Inszenierung darin, daß nicht nur Kundry stirbt, sondern auch die anderen Hauptfiguren den Tod finden“.

Kundry: Christa Ludwig/isoldes-liebestod.net

Kundry: Christa Ludwig/isoldes-liebestod.net

Schritte ins Offene: Konsum, Sex, Gewalt, Müll und Werbung: Calixto Bieitos Inszenierungen spielen in der Tradition Felsensteins im Hier und Heute, um „der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten“ (C.B.).  Die Sexualproblematik – ohnehin ein Stoff vieler Opern – ist im Parsifal Thema. Inmitten einer sexualfeindlichen, ideologisch festgefahrenen, gewalttätigen, konsumsüchtigen, sie abweisenden Männergesellschaft (sowohl in der Gralsburg als im Zaubergarten) ist Kundry – wie bei Konwitschny – „eine lebensnahe Frau“ und verkörpert trotz ihrer Leiden Humanität, indem sie hilfsbereit und solidarisch ist und damit „einen Kerngedanken christlichen Glaubens“ verwirklicht: „praktizierte Nächstenliebe“. Aber Bieitos Parsifal endet nicht etwa im Happy End der Sentimentalität. Nachdem schon während des Vorspiels – nach Wagner selbst eine „Klage des liebenden Mitleids“ – die arme, obdachlose Kundry ihre Jacke einer nackt umherirrenden schwangeren Frau (Herzeleide?) geschenkt hat, bleibt sie am Schluss, nach Abgang der „Erlösung dem Erlöser“ singenden Männer, allein zurück, schwanger, illusionslos, aber zukunftsträchtig.

Kundry: Therese Malten/isoldes-liebestod.net

Kundry: Therese Malten/isoldes-liebestod.net

Die Verfasserin konnte über zwei DVD-Aufnahmen verfügen: die Premiere von Robert Wilson und die Generalprobe von Peter Konwitschny, offenbar keine handelsübliche Aufzeichnungen, sondern Privataufzeichnungen der jeweiligen Opernhäuser. Die beiden anderen Aufführungen hat sie miterlebt und mit Peter Konwitschny und Calixto Bieito hat sie gesprochen. Der Dokumentarfilm von Vadim Jendreyko, Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht, war der Verfasserin offenbar (noch) nicht zugänglich. Es ist sehr bedauerlich, dass es ausgerechnet von diesen interessanten, umstrittenen und sehr unterschiedlichen Parsifal-Inszenierungen keine für jeden seriösen Liebhaber verfügbaren DVD- oder BD-Editionen gibt – genauso wenig wie von der berühmten, aber auch nicht unumstrittenen Bayreuther Inszenierung Stefan Herheims (2008 – 2012 – letztere von ARTE am 11.08.2012 gesendet).

In ihrer Arbeit hat Chikako Kitagawa die vielen, vielen Aspekte, die der Figur der Kundry im Laufe ihrer Entstehung, Konzeption, Ausführung und Rezeption mit mehr oder weniger Berechtigung abgewonnen wurden, sehr sorgfältig gesammelt, geordnet und kommentiert. Sie hat sich dabei auf eine umfangreiche Literatur gestützt, ohne auf eigene Interpretationen und Urteile zu verzichten. Inhalt, Aufbau und Art ihrer Arbeit lassen dabei das Fehlen eines Personenregisters relativ leicht verschmerzen: über die fünfseitige Inhaltsangabe des in vielen kleinen Paragraphen unterteilten Textes und über die dazugehörigen Anmerkungen lassen sich allerhand Details schnell zurückfinden – besonders wenn man das Buch zunächst von Deckel zu Deckel gelesen hat. Und das ist sehr zu empfehlen und ohne Zweifel der Mühe wert. Kurz,  Kitagawa hat eine sehr wertvolle Studie abgeliefert, die eine Bereicherung der Parsifal-Literatur bildet (Zitate ohne Quellenangabe stammen von der Verfasserin.).  Harry Vreeswijk

 

 

Chikako Kitagawa: „Versuch über Kundry. Facetten einer Figur“ bei Peter Lang AC; Frankfurt am Main: Peter Lang Academic Research 2015 : Perspektiven der Opernforschung. Band 22. ; ISBN 978-3-631-65331-9; (auch als E-Book: 978-3-653-04512-3) 

„Lamento“

 

Auch ohne die „Wiederentdeckung“ durch Cecilia Bartoli 2012 gibt es immer wieder – wenn auch nur vereinzelt – Aufnahmen von Agostino Steffani (1654-1728), der in München, Hannover (Henrico Leone und andere Opern), Düsseldorf und Rom wirkte. Steffani verwendete Elemente der französischen, aber auch der deutschen Musik und verband sie geschickt mit italienischen Komponier-Gepflogenheiten seiner Zeit. Neben geistlichen Werken („Stabat mater“!) und Opern veröffentlichte der im Vatikan mit diplomatischen Aufgaben betraute Barockkomponist vor allem Kammerduette, die bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Beliebtheit genossen. Sieben solcher Duette sind bei Brilliant classics (94969) erschienen. Die Sopranistin Elena Bertuzzi und der Tenor Alessio Tosi präsentieren die meist sieben bis acht-minütigen, koloraturreichen Stücke äußerst schlankstimmig, stilecht von drei versierten Instrumentalisten begleitet (Francesco Baroni – Cembalo, Rebecca Ferri – Violoncello, Michele Pasotti – Theorbe).

Schon aus 2010 stammen die von Romina Basso und dem ausgezeichneten Barock-Ensemble Latinitas Nostra unter Markellos Chryssicos aufgenommenen Klagen verschiedener Barock-Komponisten, die naive (V 5390) unter dem Titel Lamento herausgebracht hat. So hört man neben Monteverdis berühmtem „Lamento d’Arianna“ und zwei Instrumentalstücken von Johannes Hieronymus Kapsberger (1580-1651) und Girolamo Frescobaldi (1583-1643) das „Lamento della Regina di Svezia“ von Luigi Rossi (1598-1653), von Giacomo Carissimi (1605-1674) das „Lamento in morte di Maria Stuarda“, von Barbara Strozzi (1619-1677) „Lagrime mie“ sowie „Squarciato appena avea“ von Francesco Provenzale (1624-1704). Mit volltimbriertem, in allen Lagen abgerundetem Mezzo gestaltet die italienische Sängerin die verschiedenen Totenklagen mit Leidenschaft und dramatischer Attacke.

Etwas irritierend ist der TitelLamento der bei Brilliant classics (95299) herausgekommenen CD mit sämtlichen „Mélodies“ von Henri Duparc (1848-1933), ist doch das gut drei-minütige „Lamento“ nur eines der insgesamt 16 Lieder des äußerst selbstkritischen französischen Komponisten, die erhalten geblieben sind. Seine „Mélodies“ gelten als Glanzpunkte in der Geschichte des französischen Sololieds, weil die jeweilige Stimmung und der poetische Reiz des Textes in geradezu vollendeter Weise musikalischen Ausdruck finden. Diese Ausdrucksvielfalt bringt der italienische Opernsänger Andrea Mastroni mit seinem weichen, belcantistisch geführten Bass eindrucksvoll

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zur Geltung, seien es die ruhige Lyrik in „Sérénade“, „Romance de Mignon“, „Chanson triste“ oder im genannten „Lamento“, seien es die mehr erzählenden Baudelaire-Vertonungen „L‘Invitation au voyage“ und „La Vie antérieure“ oder die mit der nötigen dramatischen Attacke vorgetragene wilde Jagd in „Le Galop“, die wie eine Hommage an Schuberts „Erlkönig“ erscheint. Mit „langem Atem“ erklingen die an „Tristan“ erinnernden Mélodies „Extase“ und „Èlégie“ (wegen mancher „Wagnerismen“ hatte Duparc einige Kritik hinnehmen müssen). Der partnerschaftlich am Klavier mitgestaltende Mattia Ometto trägt nachhaltig zum Gelingen der hörenswerten Einspielung bei. Gerhard Eckels

„Man lebt in ihm…“

 

Ein kleines, feines Buch aus einem ebensolchen Verlag, der sich der Herausgabe von Büchern über das Klavierspielen und über Pianisten gewidmet hat, ist ein Reprint der Originalausgabe von Auguste Boissiers Franz Liszt als Lehrer, erstmals 1930 in deutscher Übersetzung von Daniele Thode-von Bülow (Tochter von Hans von Bülow) und nun erneut 2016 erschienen. Neu ist nur die Einführung von Carsten Dürer, der berichtet, wie es zum Unterricht der jungen Tochter Valerie der Verfasserin kam, wobei besonders Mutter, aber auch Tochter zu glühenden Verehrerinnen des Einundzwanzigjährigen werden, so sehr, dass Auguste akribisch Tagebuch führt, natürlich über die Spieltechnik des damals kaum als Komponisten Tätigen, über die Gespräche mit ihm und über seine Unterrichtsmethoden. Der besondere Wert der Aufzeichnungen liegt, so Dürer, darin, dass man zuvor zwar viel über den älteren, aber kaum etwas über den jungen Franz Liszt wusste.

Detaillierter schildert dann Auguste Boissier (1786-1836), wie es ihr dank ihrer begabten Tochter gelang, Liszt zum Unterricht zu bewegen, wie sofort durch Gemeinsamkeiten in den Ansichten über Kunst eine freundschaftliche Beziehung entstand. Anschließend wird nicht nur über 22 von 28 Unterrichtsstunden, die jeweils ungefähr 120 Minuten dauerten, berichtet, sondern auch ein Brief an Augustes Mutter und Ausführungen über Zusammenkünfte außerhalb der Lektionen sind in dem Buch vereint. Die Protokolle über die ersten sechs Stunden gingen übrigens verloren. Deshalb steigt der Leser auch recht plötzlich ein und erfährt einiges über Fugen und gebrochene Akkorde, die Thema der siebten Stunde sind; ebenso wie eine Schilderung des Lisztschen Anschlags, die Haltung seiner Hände beim Spiel, die Art, in der ein neues Klavierstück einstudiert wird, Thema des Berichts sind. Zu den pädagogischen Tricks des jungen Lehrers gehört es auch, seine Schülerin durch den Vortrag eines Gedichts in die zum jeweils zu übenden Stück passende Stimmung zu bringen. Immer wieder betont die Verfasserin, dass Liszt jede Form von Künstlichkeit beim Spiel ablehnt, es erstaunt die reife Leistung des jungen Künstlers beim Beurteilen von Komponistenkollegen, so von Rossini. Mit der zunehmenden Dauer der Beziehung wächst die Bewunderung für Liszt, die einen so schwärmerischen Ausdruck findet, dass man manchmal den Verdacht hat, es handele sich um mehr als um die Verehrung für den Künstler. „Man lebt in ihm, und nicht mehr in sich selbst“, ist eine der Aussagen, und auch „es macht ihm Freude, sich vor zwei in ganz verstehenden Wesen gehen zu lassen“, nährt solche Empfindungen, ehe man sich

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einmal mehr klar macht, dass der Geniekult der Romantik durchaus auch harmlosere Bindungen zuließ. „Er spielte wie ein Gott“, er spielte „überirdisch“ zeigen den Künstler als „ein(en) Mensch(en) von Genie“ und damit der Anbetung wert, jenseits des Begehrens. Davon spricht auch das unschuldige Bekenntnis: “…dass ich ihn von ganzem Herzen lieben musste“, und ohne Neid wird von anderen Verehrerinnen berichtet. Dass Liszt auch Gesellschaftsmensch ist, zeigt sein uneingeschränktes Lob für die Komposition „Die Jagd“ der Auguste.

Für den heutigen Leser ist noch interessanter die genaue Darstellung des perfekten Anschlags, über den Liszt verfügte, und man könnte danach versuchen, einen solchen ebenfalls zu erlernen. Noten-Beispiele für Übungen auf dem Weg zur Vollkommenheit können auch dem heutigen Lernenden von Nutzen sein.

Den Abschluss des Buches bilden einige Briefe von Valerie Boussier, damals schon verheiratete Gräfin Gasparin, an ihren Vater, an Richard Wagner und an Liszt, ihren ehemaligen Lehrer. In ihnen zeigt sich, dass auf fruchtbaren Boden gefallen ist, was Liszt in die Seele des jungen Mädchens pflanzte (124 Seiten, Staccato Verlag, ISBN 978-3-932976-64-3; Foto oben: Franz Liszt, gemalt von Ary Scheffer, 1837/ Wikipedia). Ingrid Wanja

Der Schrei der Eule

 

Bernius dirigiert Schuberts Lazarus, das Linos Ensemble bringt die Kammerfassung vom Lied von der Erde, Anspruchsvolles mit Marie-Nicole Lemieux und Christianne Stotijn!

lazarus schubert carus berniusEin Oratorium von Schubert? Erst 1863 wurde Franz Schuberts einziges Oratorium Lazarus in Wien im Zug eines Schubert-Fiebers, das Stadt erfasst hatte, die sich plötzlich der Modernität des Komponisten bewusst wurde, erstmals aufgeführt. Auch Johannes Brahms zeigte sich davon ergriffen: „Schubert, bei dem man die Empfindung hat, als lebte er noch!… Immer neue Werke sieht man, von deren Existenz man nichts wusste, und die unberührt sind… Das Manuskript des Lazarus … liegt auch, wie viele andere, bei mir und sieht aus, als wäre es gestern geschrieben. Nebenbei gesagt wird das Werk morgen (40 Jahre nach der Entstehung) zum ersten Mal aufgeführt“. Rätselhaft bleiben die Hintergründe der Entstehung: warum griff Schubert 1820 zu einem mehr als 40 Jahre alten Libretto des protestantischen Dichter-Theologen Niemeyer aus Halle, obwohl im katholischen Wien Oratorienaufführungen verboten waren, und warum bricht die Komposition vor der Auferweckungsszene ab; nachzulesen im Beiheft zur Carus-Aufnahme (83 293), die als Mitschnitt eines Konzerts des Kammerchors Stuttgart und der Hofkapelle Stuttgart unter Frieder Bernius im Rahmen des Leipziger Bachfestes am 18. Juni 2013 in der Nicolaikirche entstand. Im gleichen Jahr inszenierte übrigens Claus Guth den Lazarus im Theater an der Wien. Es ist eine schöne Musik, die unter der behutsam souveränen, stilistisch einfühlsamen Leitung von Bernius erklingt, mit Rezitativen, die wie eine arios gesteigerte Rede wirken und die verstehen lassen, weshalb Zeitgenossen das Werk als Zukunftsmusik à la List und Wagner verstanden. Keine Choräle, nur zwei Chöre. Die neutestamentarische Geschichte von der Auferweckung des Lazarus durch Jesus erinnert deshalb ein wenig an ein biedermeierliches Singspiel, etwa die ebenfalls aus dem Jahr 1820 stammenden Zwillingsbrüder – und wie in Schuberts Opern fehlt der dramatische Funken. Außer Lazarus begegnen wir seinen beiden Schwestern Maria und Martha und seinen Freunden Jemina, Nathanael und Simon, die sich in lyrisch reichen, melismensüßen Reden abwechseln.

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Neben dem ausdrucksvollen Tenor von Andreas Weller als Lazarus und dem recht ähnlich klingenden Tenor von Tilman Lichdi als Nathanael tragen Sarah Wegener und Johanna Winkel als Schwestern sowie die Mezzosopranistin Sophie Harmsen als Jemina und der Bassist Tobias Berndt als Simon zum geschlossenen Eindruck der Rarität bei, die Frieder Bernius ohne falsche dramatische Akzente vorstellt; der ausgezeichnete Bernius-Chor wird in diesem Oratorium, wie angedeutet, nicht über Gebühr beansprucht (Carus 83.293/00).

Gewöhnungsbedürftig zumindest ist die „abgespeckte“ Version von Mahlers Das Lied von der Erde, die das Linos Ensemble im Dezember 2008 im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks in Köln unter dem Etikett „Verein für musikalische Privataufführungen“ aufnahm (Capriccio C 5136). Die Geschichte von Arnold Schönbergs 1918 gegründetem Verein, der während seines dreijährigen Bestehens in 117 Konzerten die damalige Moderne vorstellte, referiert Christian Heindl im Beiheft der Aufnahme. Zu den Programmen gehörten auch Kammermusikfassungen von Orchesterwerken, beispielsweise Schönbergs Fassungen von einigen Sinfonien Mahlers sowie der Lieder eines fahrenden Gesellen. Schönbergs 1921 begonnene, aber abgebrochene Bearbeitung von Das Lied von der Erde für 14 Instrumentalisten beendete erst in den 1980er Jahren der Komponist und Musikwissenschaftler Rainer Riehn. Gewiss, man muss sich einhören, um in dem klanglich schmalen Rest Mahlers Farbigkeit und orchestrale Kuppel zu ahnen, was durchaus reizvoll und faszinierend sein kann und sich zunehmend plausibel erschließt, denn viele Details kommen nun ganz anders zum Vorschein, die Tempi sind verblüffend, allerdings fördern die Solisten nicht unbedingt unsere Entdeckungslust.

Die Zeittafel auf der ersten Seite ihres neuen Recitals zeigt es auf einen Blick: alle 23 Titel, die Marie-Nicole Lemieux als Chansons perpétuelles in Anlehnung an Chaussons Chanson perpétuelle aufgenommen hat (naïve V 5355), stammen aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts: Rachmaninoffs Sechs Romanzen, Wolfs Italienisches Liederbuch (Lemieux hat immer nur einige Beispiele

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eingespielt), Faurés Cinq Mélodies de Venise, die Trois Poèmes von Guillaume Lekeu (1870-94) – der sicherlich der Unbekannteste ist – aus den Cinq Mélodies op. 5 und Sept Rondels op. 8 von Koechlin und schließlich Chausson. „Je suis une récitaliste“ bzw. „I am a recitalist“ bekennt die kanadische Altistin im franz.-engl. Beieft und erklärt ihre kluge Programmgestaltung. Allerdings wirkt die Abfolge auch etwas ermüdend, und der weichgepolsterte Samtklang der Lemieux trägt ebenfalls dazu bei, dass man in diesen leisen und weitgespannten Klängen wie in einem ausgeleierten Sofa hinter Samtvorhängen versinkt. Da kommen dann die zupackender, kräftig und vollstimmigen gesungen Rachmaninoff-Lieder und die spritzigen Koechlin-Lieder („La pêche“) gerade rechtzeitig, um uns wieder aufzurütteln. Die Wolf-Beispiele klingen eigenwillig, wenn nicht unschön. Die Lekeu- und Chausson-Lieder werden vom einem Klavierquintett begleitet, wobei der ganz und gar vorsichtige Roger Vignoles Unterstützung durch das Quatuor Psophos erhält.

Christianne Stotijn warner„Most people know of the owl as a symbol of wishdom. To me, the owl calls up philosophical ideas as well: philisophical recognitation of nature, of where we come from“, sagt die niederländische Mezzosopranistin Christianne Stotijn, die ihrem originellen und hochanspruchsvollen If the owl calls againAlbum den Titel eines Gedichts des 2011 gestorbenen amerikanischen Dichters John Haines unterlegte und uns auf ihrer von Joseph Marx über Mussorgsky, Frank Martin, André Caplet, Ravel, Maurice Delage und Frank Bridge bis zu dem Zeitgenossen Fant De Kanter reichenden Sammlung bei Warner Classics (5054196393755) mit geschlossenen Augen und einer Eule entgegentritt als sei sie gerade aus ihrem Hexenhäuschen gekommen (Joseph Breindl, Oliver Boekhoorn, Rick Stotijen, Toon Fret, Antoine Tamestit sind die Begleiter). Als Zauberin, Magierin und hexenhafte Verkleidungskünstlerin, stimmliche Extreme und peinigende Töne nicht scheuend, deren Flut gleichwohl ermattet, durchschreitet Stotijn das gewaltige und anspruchsvolle Pensum, bei dem sie von wechselnden Besetzungen begleitet wird, mit leuchtenden Sopran- und grundigen Mezzotönen. Da sind viele Entdeckungen dabei, darunter die Quatre Poèmes Hindous von Delage, das von der armenischen Duduk begleitete Kaddisj von Ravel, oder die Trois Chants de Noël von Martin. Rolf Fath

Elena Rizzieri

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

 

Die italienische Sopranistin Elena Rizzieri (geboren am, 06. 10. 1922 bei Rovigo) starb am am 17. Februar 2016 im Alter von 93 Jahren in Rom. Sie war eine außerordentlich tüchtige und oft auftretende Sängerin, aber viel ist über sie heute nicht mehr nicht bekannt, außer dass sie auf zahlreichen Aufnahmen der Cetra und des italienischen Rundfunks RAI nach dem Krieg in den 50ern mitwirkte.

Elena Rizzieri mit Renata tebaldi im "Figaro"/ Foto renatatebaldi.com

Elena Rizzieri mit Renata Tebaldi im „Figaro“/ Foto renatatebaldi.com

Sie ist auch die spitzig-resolute Susanna in dem Video „On such a night“ aus Glyndebourne 1956, wo sie neben Sena Jurinac als Susanna auftritt und die Partie von Alda Noni übernahm (in der Live-Aufführung im selben Jahr sang sie neben Joan Sutherland/Contessa, und in der darauffolgenden Gesamtaufnahme der EMI ist sie durch die renommiertere Kollegin Graziella Sciutti ersetzt).

Außerdem war sie in dem italienisch-britischen Film „La Montagna di Cristallo“/ „The Glass Mountain“ (dt. als „Echo der Liebe“, 1949 von Edoardo Anton) zu sehen. (Das schreibt Paul Driscoll in Opera News über den Film: The score is by the incomparable Nino Rota — the main theme is quite striking and almost impossible to forget, as is often the case with Rota’s film work. The opera stars at work are soprano Elena Rizzieri, an attractive artist with a tangy sound whose work is otherwise unfamiliar to me, and the great Tito Gobbi, looking quite handsome and slim at thirty-six, sounding marvelous and handling the English-language dialogue with impressive ease. In an odd twist, Gobbi is meant to be playing himself — „Tito Gobbi of La Scala“ — within the confines of a fictional story but pulls it off with complete conviction. In addition to his work as the hero of The Glass Mountain opera, Gobbi also sings a lullaby of sorts, accompanying himself on the accordion, to a group of wounded soldiers and does so with an almost indecent amount of charm.)

Elena Rizzieri als Violetta/ Foto Calbo

Elena Rizzieri als Violetta/ Foto Calbo

Bei youtube gibt es unter ihrem Namen einige Audio-Beispiele, so als Mimì oder Martha (aus der gleichnamigen Cetra-Aufnahme) und auch einen Film-Ausschnitt aus dem „Glass Mountain“. In den Siebzigern trat sie häufig unter Luciano Sgrizzi und Edwin Loehrer bei RTSI auf und nahm dort einiges von Monteverdi etc. auf.

 

 

Elena Rizzieri als Mimì/ Wiki

Elena Rizzieri als Mimì/ Wiki

Und das schreibt der italienische Tima-Club, bei dem einige Live-Aufnahmen von der Rizzieri erschienen sind: Elena Rizzieri war sehr, sehr hübsch. So sehr, dass man mit ihr einen Film drehen und sie eine Filmkarriere anstreben lassen wollte, und das in einer Epoche, in der die Pampanini (Silvana, damit das klar ist) auf diesem Gebiet die absolute Herrscherin war. Aber ihre große Leidenschaft war der Gesang, und nachdem sie ihre Begabung in einer imponierenden Serie von Konzerten ganz unterschiedlicher Komponisten und Stile bewiesen und auch eine bemerkenswerte Vertrautheit mit den berühmtesten Theatern bewiesen hatte, fand die interessante Erfahrung mit dem Kino nach dem ersten mit ihr gedrehten Film, in dem auch Tito Gobbi mitgewirkt hatte, 1948 ihr Ende, und sie folgte weiter ihrer Straße, die sie mit so großem Erfolg bei Publikum und Kritik beschritten hatte. Mit einem auserlesenen Geschmack begabt und stets elegant, war sie eine wunderschöne und anziehende Violetta in La Traviata, aber auch eine bewegende Butterfly und eine sehr süße Mimi: und unsere CD begleitet sie von den ersten 78er Schallplatten bis zu den Rollen aus den venezianischen Komödien von Wolf Ferrari, deren Charakter sie so präzise traf.
Das Libretto enthält die schöne und umfangreiche Biographie, die von Paolo Padoan geschrieben wurde, dem bekannten Musikologen, der bereits nicht nur viele Texte für unseren Klub geschrieben hat, sondern auch eine höchst glückliche Serie von Büchern über Musiker und Sänger des Veneto, und eine sehr detaillierte Chronologie, verbunden mit einer kompletten Diskographie. Elena Rizzieri lebt(e) in Rom und wechselt zwischen der Hauptstadt und ihrem geliebten Trentino.(Übersetzung Ingrid Wanja)

 

 

Elena Rizzieri als Madama Butterfly/ Foto kijiji/ebay

Elena Rizzieri als Madama Butterfly/ Foto kijiji

Der unerschütterliche Kutsch-Riemens/Großes Sänger-Lexikon/ Sauer-Verlag steuert zudem dieses bei: Rizzieri, Elena, Sopran, * 6.10.1922 Grignano bei Rovigo; sie wurde am Conservatorio Benedetto Marcello in Venedig ausgebildet und war Schülerin von Gilda dalla Rizza. 1945 fand ihr Bühnendebüt am Teatro Fenice von Venedig als Marguerite im »Faust« von Gounod statt. Sie hatte ihre großen

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Erfolge in Partien wie der Liu in »Turandot«, der Mimi in »La Bohème« und der Titelheldin in »Manon« von Massenet. 1948 sang sie bei den Festspielen von Verona. 1948 kam sie an die Mailänder Scala, wo sie als Lucieta in »I quattro Rusteghi« von E. Wolf-Ferrari ihr Debüt hatte. Seitdem war sie immer wieder an der Scala erfolgreich. Gastspiele brachten ihr an vielen italienischen Bühnen von Rang, in Spanien, Portugal, Frankreich und Deutschland bedeutende Erfolge ein. Am 4.5.1949 sang sie beim Maggio musicale von Florenz in der Uraufführung der Oper »Vanna Lupa« von Pizzetti, am 26.2.1958 an der Oper von Rom in der von »Il Tesoro« von Jacopo Napoli. 1952 feierte man sie an der Scala als Traviata und als Susanna in »Figaros Hochzeit«. 1953 Gastspiel in Dublin als Butterfly, 1955-56 sang sie bei den Festspielen von Glyndebourne die Susanna in »Figaros Hochzeit« und die Despina in »Così fan tutte«. 1957 bewunderte man in Paris, 1959 in der Royal Festival Hall in London ihre Gestaltung der Serpina in »La Serva padrona« von Pergolesi.

Schallplatten: Cetra (»Martha« als Partnerin von Ferruccio Tagliavini, »Il segreto di Susanna« von Wolf- Ferrari, »I Zingari« von Paisiello), HMV (»Il Filosofo di Campagna« von Galuppi), MRF (»Il Crescendo« von Cherubini).
[Lexikon: Rizzieri, Elena. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 20490 (vgl. Sängerlex. Bd. 4, S. 2931) (c) Verlag K.G. Saur] / Foto oben: Elena Rizzieri als Massenets Manon/ Foto OBA