Zu den Great Verdi Voices würde man Anneliese Rothenberger, Arleen Auger und Nicolai Gedda nicht spontan zählen, doch sind sie auf der CD gleichen Namens vertreten neben den wirklichen großen Verdi-Stimmen wie die von Carlo Bergonzi oder Piero Cappuccilli.
Es beginnt auf der neuen Compilation-CD aus verschiedenen Jahren bei BR Klassik mit Leontyne Price, die mit dunkel getöntem, obertonreichem Sopran die Ernani-Elvira als aufbrausenden, starken Charakter zeichnet, vor brustigen Tönen in der Tiefe nicht zurück schreckt, die Höhen der Eingangsarie manchmal kurz antippt, sie aber wunderbar ausmusiziert, wenn die Phrase gleich im hohen Register beginnt. Triumphal gestaltet ist der Schluss, während die Intervallsprünge nicht die gleiche Souveränität bekunden. Als zweiter Sopran lässt Julia Varady „La luce langue“ aus Macbeth hören, singt ungemein geschmeidig und zugleich ausdrucksvoll, kann aus dem einzigen von ihr bekannten Schwachpunkt, der Mittellage, ein gestalterisches Plus machen und einen unverwechselbaren Charakter schaffen. Anneliese Rothenberger singt die Arie der Violetta aus dem 1. Akt von La Traviata, der die Reinheit und Klarheit der Sopranstimme, die leichte Höhe, die bereits im Rezitativ reiche Agogik zugutekommen. Die Arie klingt eher leicht verwaschen als nach kultiviertem Legatogesang, insgesamt glaubt man der Sängerin die erfahrene Pariser Lebedame nicht so recht, klingt sie zu brav und unschuldig. Die beiden anderen Akte des Werks würde man von der in einem anderen Fach verdienten Sängerin nicht so gern hören. Auch Arleen Auger ist natürlich keine Verdi-Sängerin, den silbrig klingenden Übermut des Ballo-Oscar („Saper vorreste“) kann man der Stimme allerdings durchaus entnehmen, auch wenn der Sopran betont mädchenhaft klingt. Ganz anders zeichnet Sena Jurinac in der großen Arie der Don Carlo-Elisabetta mit warmem, reifem Klang einen Charakter und ein Schicksal, das dem Hörer zu Herzen geht, ganz leicht werden die Intervallsprünge genommen, „Francia“ klingt so sehnsüchtig, dass es zutiefst berührt, „la pace“ ist schon nicht mehr von dieser Welt. Der letzte Sopran auf der CD ist Margaret Price mit der ersten Arie der Aida, der sie berückende Piani und eine instrumentale Führung der Stimme angedeihen lässt.
Mezzosoprane sind auf der CD nicht vertreten, was man bei einer Verdi gewidmeten eher vermutet hätte. Als erster Tenor bringt Neil Shicoff Ernanis Auftrittsarie zu Gehör, nicht unbedingt das Ideal eines Verdi-Tenors, dazu hat die Stimme einen zu meckernden bis krähenden Klang, aber sehr musikalisch, mit guter Höhe und einheitlichem Timbre. Wohl die schönsten Stimmfarben unter den Tenören seiner Generation hatte José Carreras, der aus Il Corsaro „Tutto parea sorridere“ singt, nobel melancholisch klingend und mit dem notwendigen Peng für die Cabaletta. Stilistisch makellos, geradezu das Ideal eines Verdi-Tenors ist Carlo Bergonzi mit der Arie des Manrico, deren Cabaletta anschließend Franco Bonisolli, berühmt wie berüchtigt dafür, zum Besten gibt. Der Tenor aus Busseto besticht durch den eleganten Fluss der Stimme, die auch zupacken kann, die Beachtung der kleinen Notenwerte und die baritonale Grundlage. Der Südtiroler durch die Bombenhöhe und die Kraftentfaltung, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt. Da ist Nicolai Gedda als Rigoletto-Herzog weniger kraftvoll und eher etwas anämisch, sicher ist diese Partie keine ideale für ihn, der mit schönen mezza voce-Tönen, aber nicht mit erotischem Wollen besticht. Rein vokal gesehen war Wladimir Atlantow vielleicht der beste Otello seiner Generation, auf der CD ist er mit dem Schluss der Oper vertreten, mit dumpfem „Otello fu“, facettenreich, bronzefarben und mit vorzüglicher Diktion.
Bässe finden sich nicht auf der CD, aber die drei Baritone sind tatsächlich die Maßstäbe gesetzt habenden ihrer Zeit. Piero Cappuccilli singt „Cortigiani, vil razza“ mit atemlos klingendem, aber nicht seiendem Rezitativ und toller Fermate, schmerzerfülltem „tu taci, ohimè“ und einem Timbre, das kaum seinesgleichen hat. Renato Bruson beweist mit „Di Provenza il mar“, dass selbst ein abgesungen erscheinendes Musikstück wie neu wirken kann. Dieser Vater ist zudem kein Spießer, sondern mit phantasievoller Phrasierung schmerzerfüllt über den scheinbaren Irrweg, den der Sohn beschritten hat. Ein Falstaff ohnegleichen war zu seiner Zeit Giuseppe Taddei, der aus „L’onore“ mit süffiger voce recitanda ein wahres Kabinettsstück und die aus dem Orchester herausklingenden Scherze sämtlich mitmacht. Alle Sänger wurden mit wechselnden Dirigenten zwischen den Jahren 1962 und 1982 mit dem Münchner Rundfunkorchester aufgenommen (CD BR Klassik 900313). Ingrid Wanja