Der britische Pianist Graham Johnson hat sich bei hyperion bereits ein Denkmal gesetzt: er hat im Rahmen der „hyperion Schubert Edition“ zwischen 1987 und 1999 alle Schubert-Lieder eingespielt (37 CDs), zwischen 1995 und 2007 wurden alle Schumann-Lieder aufgenommen (10 CDs). Zahllose namhafte Sänger verschiedener Generationen konnte Johnson über die Jahre für seine CDs gewinnen, bspw. Janet Baker, Ann Murray, Arleen Auger, Brigitte Fassbaender, Margaret Price, Christine Schäfer, Juliane Banse, Dorothea Röschmann, Kate Royal oder Thomas Hampson, Peter Schreier, Christoph Prégardien, Mark Padmore, Simon Keenlyside u.v.a.m. Seit 2008 sind nun alle Lieder von Johannes Brahms im Fokus. In den bisherigen fünf Aufnahmen, die nicht eine chronologische Ordnung haben, sondern die Veröffentlichungsreihenfolge der Lieder widerspiegeln und damit quasi Brahms` beruflicher Karriere folgen, sangen bisher Angelika Kirchschlager, Christine Schäfer, Simon Bode, Robert Holl und Christopher Maltman.
Im zuletzt erschienenen sechsten Teil ist Ian Bostridge zu hören, der meines Wissens zum ersten Mal eine CD mit Liedern von Brahms vorlegt. Er präsentiert die neun Lieder und Gesänge op.32, vier Lieder op.96 und 15 weitere Einzelwerke zwischen op.47 und op.107 (in der Summe 28 Lieder) auf seine typische, sorgfältige und durchdachte Weise. Bei Bostridge klingen Brahms‘ oft ernste und von Konflikten umschattete Lieder intim und sehr persönlich, er schafft eine Nähe und Dramatik, die neugierig macht und der man beim Zuhören gebannt folgt. Das makellose und beredte Spiel von Johnson machen ihn zum gewohnt gleichberechtigten Partner. Das Beiheft besticht durch Ausführlichkeit. Jedes einzelne Lied wird von Graham Johnson vorgestellt und besprochen, allerdings nur in englischer Sprache. „Dunkel klingen meine Lieder!“ ist die Schlusszeile eines von Brahms vertonten Gedichts von Adolf Frey – sie könnte dieser gelungenen Einspielung als Titel taugen. (hyperion, CDJ33126).
Lieder & Bagatellen heißt der aussagekräftige Titel, den Tenor Werner Güra und Pianist Christoph Berner ihrer CD gegeben haben. Zu hören sind sechs Bagatellen für Klavier und neun Lieder von Ludwig van Beethoven. Knapp 80 Lieder vertonte er zwischen 1783 und 1823, also im Spannungsfeld zwischen verklingendem Rokoko und erblühender Romantik. Das älteste Lied der hier vorliegenden Auswahl ist auch das berühmteste: „Adelaide“; weiterhin erklingen zwei weitere Frühwerke – „Zärtliche Liebe“ und „Der Kuß“. Beethovens mittlere Periode sind durch „Lied aus der Ferne“, „Wonne der Wehmut“ und „An die Hoffnung“ op.32 vertreten. Am Übergang zur späten Schaffensphase stehen „An die ferne Geliebte“, „An die Hoffnung“ op.94 sowie mit „Resignation“ ein Lied, das Beethovens Verzweiflung angesichts des Gehörverlusts verdeutlicht und mit seiner Ausdruckssprache auf das Spätwerk verweist, zu denen auch die zu hörenden Bagatellen gehören. Die nicht in chronologischer, Reihenfolge, sondern wie zufällig angeordnet wirkende Werke der CD ergeben also einen interessanten Querschnitt durch Beethovens Schaffensphasen, die auch durch die beiden verschiedenen Versionen von „An die Hoffnung“ verdeutlicht wird – die frühere (op.32 von 1805) eröffnet die CD, die ältere (op.94 von 1815) beschließt sie. Der lyrische und sanfte Tenor von Werner Güra besticht durch Leichtigkeit. Er gibt den Liedern mit sicheren Höhen und feinen Nuancen einen sinnenden und nachdenklichen Charakter, der selten dramatisch aufbegehrt, es sind eher Seufzer und Bedrückung sowie Zartheit und Zärtlichkeit, die die Stimmungen prägen und deren Bandbreite exemplarisch von den gegensätzlich gewählten Liedern „Resignation“ und „An die Hoffnung“ sowie der empfindsamen „Adelaide“ bestimmt sind. Pianist Berner ist für die Abwechslung zuständig: er spielt auf einem historischen Fortepiano von 1847, einem Hammerflügel der Firma Streicher und überzeugt nicht nur als Liedbegleitung, sondern auch bei den sechs Bagatellen op.126. (harmonia mundi, HMC902217). Marcus Budwitius