Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Eine Stimme für drei

 

Vierfach ziert das Portrait von Sabine Devielhe das Cover ihrer CD mit dem Titel Mozart-The Weber Sisters, einmal ist es die Interpretin „privat“, dahinter im Schatten ist diese als Josepha, als Aloysia und als Constanze Weber zu sehen. Es fehlt die vierte Schwester, Sophie, denn diese sang wohl nicht, hat aber doch eine Beziehung zu Mozart gehabt: Sie hielt die Hand des Sterbenden, wie das Booklet zu berichten weiß. Josepha war eine gefeierte Primadonna, die erste Königin der Nacht, Aloysia, ebenfalls eine bedeutende Sängerin, Mozarts große, unerwiderte Liebe und Constanze seine Ehefrau, die, weniger brillant als Künstlerin, doch auch bisweilen auftrat und für die Mozart einige seiner Stücke schrieb.

Nach eigenem Bekunden kommt der Sopran Devielhes dem der Aloysia am nächsten, wohl auch deshalb gibt es in dem ihr gewidmeten Block von Tracks kein instrumentales, sondern ausschließlich vier Gesangsstücke. Das erste ist „Non so d’onde viene“, in dem die Stimme gut anspricht, auch im Piano, und in dem das Wissen um die Bedeutung der Rezitative bei Mozart hörbar wird. Der Sopran hat einen keusch-spröden Klang, huscht manchmal über die Konsonanten hinweg und weiß mit feinen Trillern zu punkten. Für „Vorrei spiegarti“ wird die Stimme weicher, windet sie zarte Tongirlanden. Einen dramatischeren Ton nimmt sie für „Popoli di Tessaglia“ an, wird sie zupackender und erscheint wie von Tragik umflort. Die reichen Verzierungen werden in den Dienst der Expression gestellt. Konventionell wie der Anlass, zu dem es wohl komponiert wurde, klingt „Nehmt meinen Dank“.

Als Hommage an Josepha singt die Sopranistin „Der Hölle Rache“, deren Koloraturen man zwar manchmal nachdrücklicher, kaum aber leichtgängiger zu hören bekommt. Dass sich die Sängerin auf die Dramatischste der Schwestern einzustellen versucht, bemerkt man an dem stärker zupackenden Ansatz bereits bei „Schon lacht der holde Frühling“.

Für die noch Gesang studierende Constanze war das Solfeggio gedacht, außerdem sang sie das auf sie zugeschnittene „Et Incarnatus est“ aus der Messe KV 427. Ihm wird die Sängerin mit sanfter Schönheit und inniger Schlichtheit gerecht.

Als eine Art Prolog sind den den drei Schwestern zugeordneten Nummern einige französische Stücke vorangestellt, von dem Pariser Aufenthalt Mozarts stammend. Nicht nur in der Begleitung der Sängerin, sondern auch in mehreren Instrumentalnummern können das Orchester Pygmalion und sein Dirigent Raphaël Pichon auf angenehme Art auf sich aufmerksam machen (Erato 0825646016259). Ingrid Wanja 

 

„Die Räuberbraut“von Ferdinand Ries

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Eine der spannendsten Perioden der deutschen Musik- und vor allem Opernentwicklung ist die Übergangszeit von der Vor-Klassik zur Romantik, also von J. Chr. Bach/ Mozart zum frühen Wagner, stilistisch ebenso wie politisch – und Oper ist ja immer auch ein Spiegel der sozial-politischen Entwicklungen. Beethoven gilt als der Titan unter den Komponisten der Zeit, aber zwischen seiner Leonore/Fidelio und Wagners Holländer ist eben ein breites und lohnendes Spektrum an Opernkompositionen zu finden, das nicht nur die etwas bekannteren wie Werke von Weber, Marschner oder Spohr aufweist, sondern eben auch vergessene wie die von Ferdinand Ries, der zwar als Komponist von Instrumentalwerken spärlich im Bewusstsein geblieben ist, der aber auch – und nicht zu Unrecht – zur deutschen Opernlandschaft dieser Epoche beigetragen hat. Während jedoch Titel wie La Muette de Portici oder Médée heute durchaus öfter gespielt werden, ist eine Oper wie Die Räuberbraut eine Unbekannte geblieben. Umso dankenswerter sind die Bemühungen der Rundfunkanstalten (in diesem Falle der WDR) und der CD-Firmen (außerordentlich lobenswert wie meist: cpo), diese weißen Flecken auf der Opernlandkarte zu beleben. Im Folgenden also ein Artikel über Die Räuberbraut von Ferdinand Ries, den uns die Autorin Kerstin Schüssler-Bach liebenswürdiger Weise zur Verfügung stellte. G. H.

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Der Komponist Ferdinand Ries/ Wiki

Der Komponist Ferdinand Ries/ Wiki

Zwei edle Rivalen, ein fieser Verschwörer, eine heldenhafte Frau: Mit der Räuberbraut landete Ferdinand Ries, damals eine europäische Berühmtheit, 1828 einen Überraschungserfolg. Der Opernerstling des gebürtigen Bonners wurde in vielen deutschen Städten, sogar in Paris, Amsterdam und London, gespielt. Die Nachwelt behielt Ries vor allem als Schüler und Biograph Beethovens in Erinnerung. Doch Die Räuberbraut zeigt, dass er durchaus effektvoll für die Bühne zu schreiben wusste.

Selbst in den ausführlichsten Opern-Speziallexika findet sich heute kaum mehr eine Spur der Räuberbraut von Ferdinand Ries. Unsterblichkeit sicherte sich der Komponist aus Bonn vor allem durch seine Freundschaft mit Beethoven, den er 1801 in Wien auf Empfehlung seines Vaters kennenlernte – Ries Senior war einst der Bonner Violinlehrer Beethovens gewesen. Der junge Ries wurde Freund und Famulus des Genies und überlieferte in seinen posthum veröffentlichten „Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven“ ein lebendiges Porträt des Titanen. Jenseits dieser prägenden Erfahrung verfolgte Ries durchaus eine eigene glänzende Karriere. Als Klaviervirtuose gab er Tourneen in Skandinavien und Russland, in London machte er Fortune als Dirigent, Geschäftsmann und Bewerber um die Hand einer reichen Engländerin. 1824 zog er zurück nach Godesberg, von wo aus er sich auf den Niederrheinischen Musikfesten nachdrücklich für Beethovens Musik einsetzte und zu einem der populärsten Musiker des Rheinlands avancierte. Drei Jahre später siedelte Ries nach Frankfurt um und gab weiterhin Konzerte in Italien, Frankreich und England. Sein unerwarteter Tod mit nur 53 Jahren riss ihn aus einem ausgefüllten Leben und Schaffen als Pianist, Pädagoge und Komponist von Sinfonien, Opern und Klavierwerken.

"Die Räuberbraut": zeitgenössische Illustration zu Schillers "Räubern"/ Schiller-Archiv

„Die Räuberbraut“: zeitgenössische Illustration zu Schillers „Räubern“/ Schiller-Archiv

Mit der Räuberbraut, uraufgeführt 1828 in Frankfurt am Main, gab Ries seine Visitenkarte als Opernkomponist ab. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er dem Bruder Joseph annonciert, dass „mein Opera Text schon in Arbeit sei“: Verfasser war der Koblenzer Dichter Johann Joseph Reiff. Das Libretto ist allerdings nicht der erhoffte Wurf: Ries findet zwar „mehrere Sachen darin sehr schön“, beharrt aber darauf, dass „bedeutend am ganzen gewiß geändert werden muß“. Dennoch kann er dem Freund Franz Wegeler im März 1827 die Fertigstellung einiger Nummern ankündigen: „meine Frau, die allein allen Operen die Mozartsche und Beethovische vorzieht behauptet sie sey ganz entzückt davon.“ Mitten in die Arbeit an der Räuberbraut fällt die Nachricht von Beethovens Tod: „ich kann dir nicht sage, wie leid es mir thut“, schreibt Ries seinem Bruder: „ich hätte ihn so gern einmal wiedergesehen“.

Diskussionen um die Librettogestalt reißen nicht ab: Ries vermisst Kürze, Abwechslung und den „guten Theater Effekt“. Er bittet Freund Wegeler um dramaturgische Mithilfe: „das Ding muß am Ende krachen: und ich hoffe, es wird es auch, damit Sie, Freund Reiff und der arme Kompositeur belohnt werden.“ Auch andere Kollegen bittet Ries um kritische Durchsicht seines Opernerstlings: „Ich hoffe, das Sprichwort wird sich nicht an mir bewährt finden: Der Esel will aufs Eis gehen.“ Bei Testläufen im Freundeskreis stößt die Musik der Räuberbraut auf Begeisterung. Da aber die Kritik am Libretto anhält, holt Ries im September 1827 den Frankfurter Musiker und Schriftsteller Georg Döring ins Boot. Der rät kurzerhand zu einer so grundlegenden Umarbeitung, dass Ries fürchtet, seinen ursprünglichen Librettisten Reiff zu brüskieren. Die ganze Oper scheint zum Scheitern verurteilt, aber Ries will nicht aufgeben: „Allein außer Spohr haben wir jetzt keinen deutschen Opern Compositeur von Bedeutung, es könnte also eine sehr bedeutende Sache für meine Zukunft sein.“ Döring schlägt vor, das neue Libretto ganz ohne Namen zu veröffentlichen. So geschieht es – Reiff allerdings, zutiefst beleidigt, gibt seinen originalen Text später separat heraus. Die zum großen Teil bereits fertige Musik musste Ries nun dem völlig umgearbeiteten Libretto von Döring nachträglich anpassen. Angesichts der immer noch reichlich vorhandenen Schwächen und mangelnden Motivierungen mag man sich den Urzustand kaum ausmalen.

"Die Rüberbraut": Wilhelmine Schröder-Devrient, die berühmte "Fidelio"-Leonore ihrer Zeit, sang die Laura in Berlin/ bno.no

„Die Räuberbraut“: Wilhelmine Schröder-Devrient, Wagnersängerin und berühmte „Fidelio“-Leonore ihrer Zeit, sang die Laura in Berlin/ bno.no

Ries wagt nun auch, das Libretto Dörings zur Reklame zu verschicken und berichtet stolz, wie selbst der hochberühmte Louis Spohr und andere Kollegen „sich viel davon versprechen wollen.“ Terzett und Räuberchor machen im Dezember 1828 bei einer konzertanten Aufführung bereits Furore, während Ries noch am Finale komponiert. Die avisierte Uraufführung für Frühjahr 1829 fällt allerdings aus – Streitigkeiten um die Besetzung und Bezahlung der weiblichen Hauptrolle führen zum Abbruch der Proben: „Es ist mir ein fürchterlicher Strich durch die Rechnung“, stellt Ries entnervt fest. Doch die mehrfach verschobene Uraufführung wird endlich am 15. Oktober 1829 vom Frankfurter Publikum „mit ungeheurem Beyfall“ angenommen, meldet Ries seinem Bruder: „Das Haus war zum Ersticken voll. Meine Frau hat fast den ganzen Abend geweint, und mein Haus ist seit der Zeit noch nicht leer von Freunden geworden“.

Auch bei Premiere sucht Ries den „Effekt“, streicht Nummern, die in den Proben zu „fatiguant“ wirken und opfert ganze Chöre und Szenen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dem „schönen Charakter“ des Räuberhauptmanns Roberto, der „alle Mädchen Herzen gewonnen“ habe. Geschäftstüchtig sorgt Ries auch für eine Verbreitung der Melodien – „alles brummt sie hier schon nach“ – durch Bearbeitungen. Doch der Triumph der Räuberbraut droht eine Eintagsfliege zu werden: Krankheiten und Intrigen verhindern weitere Aufführungen in Frankfurt. Ries verhandelt sofort mit anderen Theatern und muss ein halbes Jahr warten, bis das Werk im März 1829 zum zweiten Mal in Frankfurt gegeben wird. Die nächste Aufführung findet im Juli in London statt, wo Ries’ Name immer noch einen guten Klang besitzt. Und auch in zahlreichen anderen deutschen Städten von Aachen bis Leipzig geht die Räuberbraut über die Bühne – überall höchst erfolgreich.

"Die Räuberbraut": zeitgenössische Illustration zu Schillers "Räubern"/ Schiller-Archiv

„Die Räuberbraut“: zeitgenössische Illustration zu Schillers „Räubern“/ Schiller-Archiv s. o.

Im Februar 1830 dirigiert Ries das Werk in Köln: „schon beim Heraustreten wurde ich vom ganzen Publicum, Orchestre mit Tusch rauschend empfangen“, schreibt er seinem Bruder. „Für diese Mittel“, meinte er mit einem Seitenhieb auf die bescheidenen Kölner Verhältnisse, sei es „eine außerordentliche Aufführung“ gewesen. Als Ries seine Novität 1831 in Berlin vor dem preußischen König vorstellt, schöpft er aus anderen Ressourcen: die große Gesangstragödin Wilhelmine Schröder-Devrient, gefeierte „Fidelio“-Leonore und spätere Uraufführungssängerin in drei Wagner-Opern, gestaltet die Laura, fast 100 Mann Chor und ein Ballett stehen ihm zur Verfügung.

In der Uraufführungs-Rezension der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ hallt die Begeisterung der Zeitgenossen über das „herrliche Tonwerk“ und den Triumph der „vaterländischen Muse“ wider: Der ungenannte Rezensent preist schon die Ouvertüre als „neue und originelle Schöpfung“, lobt dann sowohl den „poetischen“ Chor der Landleute wie die „wilde Kraft“ des Räuberchors und die „melodische Anmuth“ von Fernandos Kantilene. Sowohl die kleineren Genrestückchen wie Gianettinas Kavatine im spanischen Bolero-Gewand oder die „charakteristische Kraft“ des Räuberlieds im 3. Akt als auch die großen Solonummern finden Beifall des Kritikers: Die große Arie der Laura im 1. Akt, in der sie hin- und hergerissen um Entscheidung ringt, setzt er „kühn den gefeyertsten Tonproductionen dieser Art an die Seite“. Schließlich preist er die „romantisch-schauerliche“ Wirkung der Räuberhauptmann-Arie und die „unerschöpfliche Jubelkraft“ des Finales, in dem alles „auf Kraftentwicklung berechnet“ sei.

"Die Räuberbraut": Gefangennahme des Räubers Franz Lechtweis 1792 in der gleichnamigen Höhle bei Wiesbaden/ lechtweis.de

„Die Räuberbraut“: Gefangennahme des Räubers Anton Lechtweis 1792 in der gleichnamigen Höhle bei Wiesbaden/ lechtweis.de

Tatsächlich bietet Die Räuberbraut einen guten Querschnitt durch die damals aktuelle Opernliteratur: Eine Prise Freischütz mit schwarzer Romantik und volkstümlichen Männer- und Bauernchören, eine Dosis Rossini’schen Ziergersang in den Romanzen des verliebten Offiziers Fernando, Mantel-und-Degen-Ambiente für den Räuberchef Roberto, ein Widerschein der heroischen Fidelio-Leonore in der aufopfernden und mit hohen C’s gekrönten Gestalt der Laura. Dazu ein fernes historisches Italien als Schauplatz, wie es zeitgleich Spohrs Pietro von Abano oder Aubers Stumme von Portici boten, nebst politischen Anspielungen auf die Befreiung des Landes von der Knute des Tyrannen. Keine 15 Jahre nach den napoleonischen Befreiungskriegen fand auch diese Botschaft aufmerksame Hörer. Ries sah sich als Komponist im Dienste der deutschen Opernentwicklung – dies freilich auch in Opposition zum allmächtigen Berliner Generalmusikdirektor Gaspare Spontini, auf dessen Nachfolge er sich vergeblich Hoffnung machte.

"Die Räuberbraut": Prototyp des verwegenen Räubers war Rinaldo Rinaldini, hier auf einer Darstellung des Neuruppiner Bilderbogens/Wiki

„Die Räuberbraut“: Prototyp des verwegenen Räubers war Rinaldo Rinaldini, hier auf einer Darstellung des Neuruppiner Bilderbogens/Wiki

Trotz aller Abstrusitäten der Handlung, die oft über bloße Standardsituationen und Versatzstücke nicht herauskommt, weiß Ries doch immer wieder zu überraschen: Ein wahrer Theatercoup ist die Erschießung des Intriganten Pietro durch Roberto oder der „Töt erst sein Weib!“-Furor der leonorenhaften Laura, die ins Duell der Rivalen eingreift. Zumindest die Hauptfiguren sind in allem Strettageschmetter abwechslungsreich gezeichnet: Der heroischen Laura fehlt es auch nicht an melancholisch-sentimentalen Zügen bis hin zur unverzichtbaren Gebetsszene, und ihr sonst so koloraturreicher Liebhaber Fernando punktet mit der zündenden Bravournummer einer Polonaise.

In Weimar erlebte auch Goethe 1830 eine Aufführung der Räuberbraut. Des Geheimrats spöttisches Urteil über die Erfolgsoper überlieferte Mendelssohn: „die enthielte Alles, was ein Künstler jetzt brauche, um glücklich zu leben: einen Räuber und eine Braut.“ Freilich barg sie auch durchaus breitenwirksame Musik. Man kann einige Passagen des Stücks sogar als Scharnier zwischen Beethoven und dem frühen Wagner ansehen. Ries’ Lehrer hätte wohl die Pastorale des 1. Aktes, manchen Brio-Furor und den finalen Freudenchor als seinen Einflussbereich reklamiert. Und bei einigen Ornamenten oder Gebetsszenen lässt sich gut nachvollziehen, aus welchen heute fast vergessenen frühromantischen Quellen Wagner schöpfte.

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"Die Räuberbraut" als volkstümliche Moritat/ leierkaschtama.de

„Die Räuberbraut“ als volkstümliche Moritat/ leierkaschtama.de

Die Handlung/ 1. Akt: An seinem Geburtstag verrät der Graf von Viterbo, dass er als Opfer einer politischen Intrige fliehen muss. Ausgerechnet sein Ziehsohn Pietro verriet ihn bei dem Usurpator, der das Land besetzt hält. Der Graf vertraut seine Tochter Laura dem Schutz des Castellans Anselmo und dessen Tochter Gianettina an./ Pietro will sich das Kopfgeld für den Grafen selbst sichern und hofft auf die Unterstützung Robertos. Der unerschrockene Räuberhauptmann hat noch eine alte Rechnung mit dem Grafen offen: Als unstandesgemäßer Bewerber um Lauras Hand wurde er einst zurückgewiesen und verbannt. Aber der Räuberchef jagt den Intriganten fort. / Roberto trifft auf Laura: auch sie ist jetzt vogelfrei und damit seinesgleichen. Er bietet an, ihren Vater zu retten – wenn sie ihn heiratet. Nach tiefster Gewissensqual entscheidet sich Laura schließlich für Robertos Plan. / Soldaten unter Führung der Offiziere Fernando und Carlo wollen den Grafen verhaften. Roberto bringt den Grafen in letzter Sekunde aus dem Schloss. Fernando findet in einem Bild Lauras Ähnlichkeit mit der schönen Unbekannten, die er vor einem Jahr in Palermo aus Lebensgefahr rettete. Als Laura kommt, erkennt er sie sofort. Bevor Pietro ihr Geheimnis verraten kann, wird er von Roberto erschossen.

2. Akt: Laura sinnt über ihr verlorenes Glück nach. Durch Giannetta erfährt sie, dass der Vater noch im Schlossgewölbe ist und nun mit ihr gemeinsam fliehen will. / Fernando versucht, Lauras Identität zu lüften, doch sie will den Vater nicht verraten und verleugnet die Bekanntschaft in Palermo. / Carlo hat herausbekommen, dass Laura eine Räuberbraut sei, was Fernando in Liebeszweifel stürzt. / Roberto und seine Räuberbande wollen Fernando töten. Aber Laura bittet um sein Leben und schwört erst jetzt, im Gegenzug Robertos Braut zu werden. / Roberto führt den gefangenen Fernando in das Gewölbe, wo er Abschied von Laura nimmt.

3. Akt: Die Räuber feiern ihr freies Leben. Roberto führt den Grafen zu einer Barke und befiehlt, dass er schon übersetzt; Laura werde nachkommen. Laura ahnt, dass sie ihren Vater nicht wiedersieht. Fernando ist Laura gefolgt, aber sie gesteht ihm, dass sie als Räuberbraut für Roberto bestimmt sei. Die Rivalen duellieren sich, Laura wirft sich dazwischen. Im Handgemenge zwischen Soldaten und Räubern wird Roberto verwundet. Im Sterben gibt er seine Räuberbraut frei für Fernando. Die Soldaten haben den Grafen gefangengenommen, doch auch sein Schicksal wendet sich zum Guten: Carlo verkündet, dass der Usurpator das Land verlassen musste und die Haftbefehle für dessen politische Gegner aufgehoben sind. Alle feiern die Freiheit, der Graf segnet das Paar Laura und Fernando. Kerstin Schüssler-Bach

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"Die Räuberbraut": Erroll Flynn wurde in moderner Zeit zum Ingegriff des Edlen Räubers (wie hier als Robin Hood) und des edelmütigen Freibeuters/ Wiki

„Die Räuberbraut“: Erroll Flynn wurde in moderner Zeit zum Ingegriff des Edlen Räubers (wie hier als Robin Hood im gleinnamigen MGM-Film) und des edelmütigen Freibeuters/ silverscreenblogspot

Den vorstehenden Artikel übernahmen wir mit freundlicher Genehmigung von Kerstin Schüssler-Bach dem Programmheft der konzertanten Aufführung beim WDR 2011, wie er auch im Booklet zur Übernahme der Aufführung bei cpo (777 655-2) erschien. Eine Besprechung der CD findet sich mit weiteren Vokalwerken Werken von Ferdinand Ries findet sich nachstehend, auch Die Räuberbraut. Foto oben: Philipp Otto Runge: „Wir drei“/ 1931 verbrannt/ Wikipedia

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Und nun von Ferdinand Ries: Die Räuberbraut sowie zwei Oratorien: Von den drei Opern, die der Beethoven-Schüler und -Freund Ferdinand Ries komponiert hat, ist – soweit ersichtlich –nur sein zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert sehr erfolgreicher Erstling Die Räuberbraut (1828) auf CD erschienen. Von „Liska oder die Hexe von Gyllensteen“ existiert nur eine Aufnahme der Ouvertüre, von der „Nacht von Libanon“ findet man keine Einspielung. Das Libretto der „Räuberbraut“ weist wie so manche romantische Opern Abstrusitäten auf, wird aber durch die überaus effektvolle Komposition sozusagen geadelt. Hier gibt es volkstümliche Männer- und Bauernchöre, die an den nur wenige Jahre vor der „Räuberbraut“ uraufgeführten „Freischütz“ erinnern, mit Laura eine heroische Frauenfigur à la Leonore sowie belcantistische Gesangslinien in Ensembles und in Fernandos Romanzen, der die geliebte Laura zum Happyend erringt. All dies kann man in der gut gelungenen Aufnahme des WDR Sinfonieorchesters Köln unter Howard Griffiths nachhören, die bei cpo (777 655-2, 2 CD) erschienen ist und nur die musikalischen Nummern enthält. Angehängt ist eine Ballettmusik, bestehend aus sechs kurzen Tänzen, die wohl zur Oper gehört. Aus dem sonst sehr instruktiven Beiheft ergibt sich nicht, ob das Ballett oder Teile davon überhaupt – und wenn ja, an welcher Stelle im Ablauf – getanzt wurde. Auch fehlt jeglicher Hinweis auf die Dialoge.

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ries säuberbraut cpoMit sicherem Gespür für die jeweils vorherrschende Stimmung, sei es die Schlichtheit der Romanzen, seien es die hochdramatischen Aufschwünge, führt der englische Dirigent das ausgezeichnete Orchester, die Gesangssolisten und den vorzüglichen WDR Rundfunkchor Köln (Einstudierung: David Marlow) durch die frühromantische, vielschichtige Partitur. An der Spitze des insgesamt ausgeglichen gut besetzten Ensembles steht als Laura Ruth Ziesak, die sich ihren jugendlich-frischen Sopran erhalten hat und zudem durch höhensichere, dramatische Effekte beeindruckt. Mit hellem, charakteristisch gefärbtem Tenor gefällt Thomas Blondelle, der als Fernando die nicht wenigen Koloraturen und Verzierungen gekonnt präsentiert. Fernandos Gegenspieler, der Räuberhauptmann Roberto, ist bei dem dunkel getönten Bass von Yorck Felix Speer gut aufgehoben. Mit noblem, ebenmäßig geführtem Bariton singt Jochen Kupfer Lauras Vater, den gefangenen Grafen, der zum Ende natürlich frei kommt und dem jungen Paar seinen väterlichen Segen gibt. Die Nebenpartien werden von Julia Borchert (Gianettina), Christian Immler (Anselmo), Konstantin Wolff (Carlo) und Dirk Schmitz (Pietro) ohne Fehl gesungen.

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Ebenfalls bei cpo sind Einspielungen der beiden 1829 und 1837 uraufgeführten Oratorien von Ferdinand Ries herausgekommen, Der Sieg des Glaubens (cpo 777 738-2, 2 CD) und Die Könige in Israel (cpo 777 221-2). Diese geistlichen Werke haben musikalisch durchgehend opernhaften Charakter, was für die Dramatik der Handlungen durchaus passend ist. Beide Einspielungen sind 2009 und 2005 im Zusammenhang mit Aufführungen der „Festlichen Tage Alter Musik Knechtsteden“ entstanden. Der Chor hat jeweils viele wichtige Aufgaben, die die „Rheinische Kantorei“ unter „ihrem“ Gründer Hermann Max mit schöner Ausgewogenheit und teilweise mächtiger Klangpracht erfüllt. „Das Kleine Konzert“ bildet jeweils die stets sichere instrumentale Grundlage.

Ries Könige in Israel cpoIm Oratorium Der Sieg des Glaubens wird auf eine Handlung konkreter Figuren verzichtet; vielmehr geht es um einen Diskurs über christliche Inhalte, die Kraft des Glaubens und die Gnade Gottes, ohne dass dabei auf dramatische Entwicklungen verzichtet wird. Im Libretto gibt es zwei Gruppen, die große der Gläubigen, die die kleinere Gruppe der Ungläubigen zur Umkehr bewegen will. Dies gelingt erst mit dem in einem Sopran-Rezitativ beschriebenen Erscheinen eines „Seraphen der Liebe“ und eines „Engels des Glaubens“, die zu Harfenklängen vom Himmel herabschweben. Das Solistenquartett ist von ausgesucht hohem Niveau: Christiane Libors volltimbrierte Stimme passt sehr gut zur dramatisch herausfordernde Sopran-Partie, die sie ausdrucksstark gestaltet. Prägnant deklamierend und die musikalischen Bögen mit seinem lyrischen Tenor nachzeichnend stellt Markus Schäfer klar, dass er musikalisch sorgfältig zu differenzieren weiß. Wiebke Lehmkuhl fügt sich mit ihrem runden Alt ebenso wie Markus Flaig mit charaktervollem Bassbariton gut in die Ensembles ein; beide sind so für gelungene Ausdeutung des ungewöhnlichen Oratoriums mitverantwortlich.

ries sieg des glaubens cpoDas Oratorium Die Könige in Israel behandelt die Auseinandersetzungen zwischen dem machtbesessenen Saul und seinem Nachfolger David. Anders als in Händels Saul steht David im Mittelpunkt, den Markus Schäfer klarstimmig mit tenoralem Glanz versieht. Dagegen geht Harry von der Kamp als Saul mit seinem anfangs allzu braven, nicht immer intonationsreinen Bass erst in der Beschwörung Samuels so richtig aus sich heraus, wenn er auch zu stark forciert. Hier erzeugt der dunkle Alt von Ewa Wolak als Hexe von Endor dämonische Schauer, wozu auch Marek Rzepka mit schwarzem Bass beiträgt. Als Sauls Kinder Michol und Jonathan gefallen Nele Gramß mit schön aufblühendem Sopran und der abgerundete Mezzo von Gerhild Romberger; sicher ergänzt Kai Florian Bischoff als Abner. Gerhard Eckels

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Dan Ettinger

 

Er ist regelmäßig zu Gast in München, Wien und Salzburg, in London, Paris und New York. Bis zum Saisonende ist er noch Generalmusikdirektor am Nationaltheater in Mannheim und seit Beginn der neuen Saison Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker. Mit dem Israeli Dan Ettinger (44) sprach Hanns-Horst Bauer über Stars und Stress, Verantwortung und Vertrauen.

 

Dan Ettinger © Stuttgarter Philharmoniker-Niedermüller

Dan Ettinger © Stuttgarter Philharmoniker-Niedermüller

Ende September vergangenen Jahres haben Sie an der Bayerischen Staatsoper eine Repertoire-Aufführung von Verdis Aida mit sensationeller Topbesetzung dirigiert: Krassimira Stoyanova als Aida und Publikumsliebling Jonas Kaufmann als Radames, beides auch noch szenische Rollendebüts. Wie gehen Sie mit weltweit gefeierten Stars um? Hat man da nicht doch vielleicht etwas Lampenfieber? Mit Jonas Kaufmann habe ich in München  schon vor vier Jahren zusammengearbeitet, damals war er Don José in „Carmen“. Für mich also kein Problem! Ich kenne seine Arbeit, seine Art des Singens. Bevor ich mit einem Künstler arbeite, muss ich allerdings schon wissen, was er braucht. Das kann ich bei den Klavierproben vorab herausbekommen, von denen es allerdings vor Repertoire-Aufführungen leider immer weniger gibt. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, auch bei den szenischen Proben mit Klavier dabeizusein, um die Sänger besser kennzulernen, um, ganz wichtig,  zu sehen und zu spüren, wie sie atmen. Dann kann ich  zum Beispiel entscheiden,  was für ein Tempo ich vorgeben muss. Da ich vor meiner Laufbahn als Dirigent selbst zehn Jahre lang auf der Bühne gesungen habe, weiß ich sehr wohl, um was es geht, worauf es ankommt. Natürlich können Sänger und Dirigent da unterschiedliche Vorstellungen haben.

 Wie bereiten Sie sich auf eine Aufführung mit Topstars vor? Eine Aufführung mit einem Topstar ist natürlich immer eine Herausforderung, die aber die musikalische Arbeit beflügelt. Allerdings versuche ich, mir gar nicht zu viele Gedanken zu machen, das würde nur Stress bedeuten. Auch wenn das wie ein Klischee klingt, für mich ist jede Vorstellung wichtig, egal, wer da in einer Aufführung singt.

Dan Ettinger: "Der Ring des Nibelungen" in der Mannheimer Inszenierung/ Szene/ Arthaus

Dan Ettinger: „Der Ring des Nibelungen“ in der Mannheimer Inszenierung/ Szene/ Arthaus

Kritiker sind an einem solchen Abend vielleicht besonders kritisch. Denken Sie daran, zumindest im Hinterkopf? Natürlich kann man nie wissen, wer in einer Vorstellung sitzt. Auch in Aufführungen nach einer Premiere kann man keinen Knopf aufmachen und locker entspannt sein. Zudem kann heute jeder im Internet ein Kritiker sein und in seinem Blog schreiben, wie und warum ihm eine Aufführung gefallen hat oder nicht. Für mich ist jede Vorstellung die wichtigste, egal wer im Parkett sitzt. Allerdings muss ich schon zugeben, dass der Stress-Level in unserem Beruf schon ziemlich hoch ist.

 Trotzdem lieben Sie ihn? Was ist denn das Schöne, das Besondere, das Aufregende am Dirigent-Sein? Ein Ergebnis live zu hören, das man jahrelang nur in seinem Kopf gehört hat. 80, 120, 200 Musiker zu überzeugen und zu inspirieren, ein Werk zu 90 oder gar 100 Prozent so zu spielen, wie ich mir das vorstelle, das zu erleben, ist wirklich ein unvergleichliches Erlebnis.

 

Probe Stuttgarter Philharmoniker mit Dirigent Dan Ettinger  Foto: Thomas Niedermueller/ niedermueller.de

Probe Stuttgarter Philharmoniker mit Dirigent Dan Ettinger/ Foto: Thomas Niedermueller/ niedermueller.de

Kommt da beim Dirigieren nicht auch ein bisschen ein Gefühl der „Macht“ ins Spiel?  Mich fasziniert die Verantwortung, durchaus auch eine Art von Macht, die ich für die Musiker und natürlich auch für die Sänger auf der Bühne habe. Die Verantwortung für ein Werk teilen Sie in der Oper mit dem Regisseur, der für die meisten Kritiker wichtiger ist als das Musik-Team? Wie empfinden Sie diese Verschiebung?  Das bedauere ich sehr, denn manchmal vergessen die Regisseure ja, dass schon jemand vor ihnen das Libretto ganz grundsätzlich interpretiert hat, und das ist der Komponist! Wenn ein Regisseur das vergisst und versucht, einen Text eigenständig zu deuten, ohne zu respektieren, was der Komponist in der Musik bereits interpretiert hat, das stört mich. Das tut richtig weh.

 

Sie dirigieren an großen Häusern in aller Welt und sind dabei mit vielen unterschiedlichen Inszenierungen konfrontiert worden. Welche Regisseure haben Sie wirklich überzeugt? Einer der Höhepunkte war für mich ganz sicher der Zyklus von Wagners „Ring“ in Mannheim, bildgewaltig inszeniert von Achim Freyer. Ihn zu erleben, war für mich eine äußerst wichtige Lebenserfahrung. Er hat alle 200-prozentig überzeugt, auch wenn seine Arbeit uns anfangs etwas fremd war.

Dan Ettinger 07 Ring-001Im Repertoire-Betrieb werden Sie nicht nur mit den unterschiedlichsten Regie-Arbeiten konfrontiert, sondern sicher auch immer wieder mit Überraschungen? Ganz sicher. An der Met in New York musste ich im vergangenen Jahr  La Bohème in Franco Zeffirellis legendärer Inszenierung, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen hatte, ohne jegliche Probe  vorab dirigieren. Wie packt man so etwas?  Mit viel Vertrauen auf die eigenen Möglichkeiten. Ich muss da meiner eigenen Erfahrung vertrauen, aber auch auf Risiko arbeiten, es geht einfach nicht anders. Ich bin Fatalist. Wenn´s funktioniert, super, wenn nicht, dann lerne ich daraus. Ich habe so viel Repertoire mit mittlerweile über 40 Opern im Gepäck gemacht, um mich an den Häusern zu positionieren, von denen ich immer geträumt habe, wobei ich damals als junger Musiker in Israel eigentlich davon ausgegangen bin, dass das ohnehin nie passieren würde. Mittlerweile versuche ich, älter geworden, an festen Stellen mehr meine eigenen Sachen zu machen, hier in Deutschland etwa als Generalmusikdirektor des Nationaltheaters in Mannheim oder jetzt aktuell der Stuttgarter Philharmoniker. Ich brauche neben dem vielen Reisen rund um den Globus einfach ein Zuhause. Mit einem „eigenen“ Orchester eine eigene Sprache zu entwickeln, das macht mich glücklich.

 

Dan Ettinger ©Stuttgarter Philharmoniker-Niedermüller

Dan Ettinger © Stuttgarter Philharmoniker-Niedermüller

Wie kamen Sie denn überhaupt zum Dirigieren? Eher zufällig. Ich habe zunächst an der Israeli Opera in Tel Aviv eine Sängerkarriere als Bariton gemacht, bis man mir eine Stelle als Chordirektor angeboten hat. Zum Glück hatte ich die Chuzpe zu sagen, wenn schon denn schon, dann will ich den Beruf des Dirigenten auch richtig erlernen. So hat es langsam begonnen. Dabei hat mir Daniel Barenboim, der mich als Assistent und Kapellmeister an die Berliner Staatsoper geholt hat, mit auf den Weg gegeben, dass man schon gute zehn Jahre dirigiert haben müsse, um zu verstehen, um was es geht und sagen zu können: Ich bin ein Dirigent. Und nach zehn Jahren habe ich gemerkt, er hatte recht. Barenboim war, ist und wird es auch immer sein: meine größte Inspiration.

 

 

Dan Ettinger fühlt sich seiner Großmutter verpflichtet/ Ettinger

Dan Ettinger fühlt sich seiner Großmutter verpflichtet/ Ettinger

Wer hat Sie in Ihrer Kindheit zur Musik inspiriert? Zu Hause habe ich immer klassische Musik und Jazz gehört und  natürlich Klavier gespielt, später am Musikgymnasium auch noch Kontrabass.  Aber das musikalische Talent habe ich von meiner Großmutter Erna mitbekommen, die Schauspielerin  war und auch Geige gespielt hat. So hat sie mit meinem Vater zusammen damals den Holocaust überlebt. Ihr Talent hat sie und meinen Vater im Lager gerettet. Wie genau, darüber haben wir nie gesprochen.  (Dan Ettinger zeigt auf seinem iPhone ein Foto seiner Großmutter, der er, wie er sagt, wirklich sehr ähnlich sieht.)

 

Richard Wagner, dessen kompletten Ring Sie in Mannheim und Tokyo dirigiert haben, ist in Ihrer Heimat Israel nach wie vor verpönt. Ein Problem für Sie? Der Holocaust ist für uns ein Trauma, das man nicht bekämpfen kann. Ich habe nie versucht, Wagner in Israel zu spielen. Wofür? Für einen Skandal? Trotzdem kritisiere ich dieses Tabu, weil wir dadurch eine Riesenlücke in unserer musikalischen Ausbildung haben. Aber eine Riesenlücke hat damit auch unser Publikum.

 

Sie verlassen Mannheim zum Ende der laufenden Spielzeit. Welche Erfahrungen haben Sie an Ihrer ersten Stelle als Generalmusikdirektor und Chefdirigent gemacht? Ich kann gar nicht beschreiben, wieviel ich in diesen sieben Spielzeiten gelernt habe, und das nicht nur, was die Musik betrifft. Die Dimensionen übersteigen das Einstudieren einer Partitur. Toll und gleichzeitig schwer ist die Kombination zwischen künstlerischer und menschlicher Verantwortung.

 

Dan Ettinger: "Der Ring des Nibelungen" in der Mannheimer Inszenierung/ Szene/ Arthaus

Dan Ettinger: „Der Ring des Nibelungen“ in der Mannheimer Inszenierung/ Szene/ Arthaus

Worin liegt der Reiz, Chefdirigent eines Orchesters zu sein, noch wenige Monate in Mannheim und seit Beginn der neuen Spielzeit für vorerst mal drei Jahre in Stuttgart bei den Philharmonikern? Dass alle meine musikalische Sprache reden, ohne dass ich jedesmal erklären muss, um was es geht. Da bin ich, wie vorher schon gesagt, zu Hause.

Wie vermitteln Sie dem Orchester diese Ihre Sprache? Früher war es mehr körperlich mit Mimik und Gestik, heute kann ich vieles aus der Lebenserfahrung heraus mit Worten erklären. Mein Dirigat im Konzert ist allerdings auch weiterhin sehr körperbezogen, wobei ich meine „Choreographie“ überhaupt nicht vorbereite, wie mir manchmal  vorgeworfen wird. Die kommt einfach aus der Musik heraus.

 

Dan Ettinger©Hanns-Horst Bauer

Dan Ettinger©Hanns-Horst Bauer

Ihre erste Begegnung mit den Stuttgarter Philharmonikern… …war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns sofort gut verstanden. In den ersten Monaten meiner Arbeit hier fühle ich mich darin bestätigt. Mein Ziel ist es, das Orchester in vertrauensvoller Zusammenarbeit weiter voranzubringen, neu zu profilieren und auch im Rahmen der finanziellen Mittel verstärkt international zu präsentieren.

 

Dan Ettinger 06 Ring 2CD - ars sonandi-001Dirigenten arbeiten meist bis ins hohe Alter. Deshalb sei abschließend die Frage erlaubt, welchen Traum Sie sich in ferner Zukunft noch erfüllen wollen.  Der Traum hat ganz sicher etwas mit Oper zu tun. Aber zunächst will ich nach einem Burnout im vergangenen Jahr etwas kürzer treten und mich spirituell wieder zu mir selbst zurückbringen.

 

 

Vita: Dan Ettinger wurde am 10.Juni 1971 in Cholon (Israel) geboren und wohnt heute in Mannheim. Seine musikalische Ausbildung erhielt er an der Thelma Yellin High School of the Arts in Giv’atayim. 1993 gewann er den ersten Preis als Bariton beim François Shapira Wettbewerb und war von 1995 – 1998 Mitglied der Israeli Opera Tel Aviv, wo er wichtige Rollen des lyrischen Baritonfachs verkörperte. 1999 wurde er Chorleiter und Dirigent an der New Israeli Opera Tel Aviv und war  von 2002-2003 Erster Gastdirigent beim Jerusalem Symphony Orchestra. Von 2003-2009 arbeitete er als Kapellmeister und Assistent von Daniel Barenboim an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Während dieser Zeit war er auch ein Jahr lang Chefdirigent des Israel Symphony Orchestra, dessen Erster Gastdirigent er heute noch ist. 2009 übernahm er die Stelle des Generalmusikdirektors am Nationaltheater Mannheim.  Von 2010-2015 war er zusätzlich Chefdirigent des Tokyo Philharmonic Orchestra.  Mit Beginn der Saison 2015/16 übernahm er das Amt des Chefdirigenten und Generalmusikdirektors der Stuttgarter Philharmoniker.  Dan Ettinger gastiert regelmäßig an der Bayerischen Staatsoper, der Wiener Staatsoper, Royal Opera Covent Garden London, Opéra National de Paris, Metropolitan Opera New York und bei den  Salzburger Festspielen.

 CD und DVD (Auswahl):  Wagner Der Ring des Nibelungen in der Inszenierung von Achim Freyer (Arthaus 7 DVDs), Wagner Der Symphonische Ring (2CDs),   Diana Damrau Coloraturas (Virgin Classics 1CD), Adrianne Pieconka Puccini (Orfeo 1CD). Foto oben: Dan Ettinger © Hanns-Horst Bauer

Baroque Down Under

 

Wer Opern-Fan ist, dem muss Australien sympathisch sein, immerhin ist es gerade die Oper, das Sydney Opera House, das das bekannteste Gebäude eines ganzen Kontinents und ein architektonisches Wahrzeichen wie bspw. Tower Bridge, Eiffelturm, Freiheitsstatue und Brandenburger Tor geworden ist. Australische Sänger findet man inzwischen auch an vielen bundesdeutschen Opernhäusern, doch wie ist es eigentlich um das Musikleben Down Under bestellt? Die vorliegende CD von Glucks Iphigenie en Tauride des australischen Labels Pinchgut LIVE hat einiges Interessante zu bieten, beginnend mit der Erkenntnis, dass es in Sydney die Pinchgut Opera gibt, die sich auf Barock und Frühklassik konzentriert und in der City Recital Hall auftritt. Seit der Gründung hat man Pionierarbeit für frühe Opern in Australien geleistet und 16 Werke produziert: Händels Semele (2002), Purcells The Fairy Queen (2003), Monteverdis Orfeo (2004), Rameaus Dardanus (2005), Mozarts Idomeneo (2006), Vivaldis Juditha Triumphans (2007), Charpentiers David et Jonathas (2008), Cavallis Ormindo (2009), Haydns L’anima del filosofo (2010), Vivaldis Griselda (2011), Rameaus Castor et Pollux (2012), Cavallis Giasone (2013), Salieris Rauchfangkehrer (2014), Glucks Iphigénie en Tauride (2014), Vivaldis Bajazet (2015) und Grétrys L’amant jaloux (2015). Haydns Armida und Händels Theodora stehen 2016 auf dem Plan der Pinchgut Opera. Ein ambitioniertes Programm, das auch jedem deutschen Opernhaus sehr gut zu Gesicht stehen würde. Seit 2014 wagt man sich an zwei jährliche Produktionen, ein Zeichen für Popularität und geschickte Vermarktung – man hat stets auch Radioübertragungen organisiert und fast alle Opern auch auf CD eingespielt, zuerst bei ABC Classics, seit wenigen Jahren hat man ein eigenes Label Pinchgut LIVE.

Pinchgut Opera  "Iphigenie en Tauride"/  Caitlin Hulcup/  Director Lindy Hume Designer Tony Assness Conductor Antony Walker/  Dress rehearsal photographed at Angel Place, Sydney December 2014/ Pinchgut Opera

Pinchgut Opera „Iphigenie en Tauride“/ Caitlin Hulcup/
Director Lindy Hume/ Designer Tony Assnes/ Conductor Antony Walker// Dress rehearsal photographed at Angel Place, Sydney/ December 2014/ c Pinchgut Opera

Das größte Plus dieser australischen Rarität ist das Originalklang-Orchester: das Orchestra of the Antipodes, das seit 2004 für Pinchgut spielt und auch in Konzerten auftritt bzw. bereits einige CDs einspielt hat, u.a. mit Händels Messiah, Duette und Arien von J.S. Bach sowie dessen Brandenburgische Konzerte oder Mozarts Requiem. Es setzt sich aus Musikern zusammen, die weltweit in bekannten Ensembles gespielt haben, u.a. bei Les Arts Florissants, dem Orchestra of the Age of Enlightenment, der Academy of Ancient Music, Florilegium, The English Concert, Il Giardino Armonico, Les Talens Lyriques und dem Venice Baroque Orchestra. Man bedient sich sowohl historischer Nachbauten als auch Originalinstrumente, das Programmheft enthält eine Liste mit Ursprung und Baujahr aller verwendeter Instrumente. Das Orchestra of the Antipodes und sein Dirigent Antony Walker (der übrigens auch künstlerischer Leiter der Pinchgut Opera und der Washington Concert Opera sowie Musikdirektor der Pittsburgh Opera ist) spielen flexibel auf der Höhe der Originalklang-Zeit, rhythmisch effektvoll, aber nicht so farbenreich und differenziert wie bspw. in der Referenzaufnahme von Marc Minkowski. Die Balance der Aufnahmeakustik ist allerdings auch nicht optimal, man hört nicht plastisch, sondern flächig in den Orchestergraben, die Live-Aufnahme einer Bühnenproduktion aus der City Recital Hall hat hörbar nicht optimale Voraussetzungen. Sängerisch hört man eine ordentliche und gute Leistung, die auch in einem großen europäischen Opernhaus ein Erfolg wäre.

Pinchgut Opera  "Iphigenie en Tauride" / Szene/  Caitlin Hulcup Director Lindy Hume Designer Tony Assness  Dress rehearsal photographed at Angel Place, Sydney December 2014

Pinchgut Opera „Iphigenie en Tauride“ / Szene/ Dress rehearsal photographed at Angel Place, Sydney
December 2014/ c Pinchgut Opera

Die australische Mezzosopranistin Caitlin Hulcup überzeugt mit warmer, voller Stimme als psychisch verwundete Iphigenie, bemerkenswert gut gelingen ihr sowohl die stimmlich zarten und klagenden Farbgebungen als auch die hochdramatischen Ausbrüche, sie zeigt etwas weniger expressive Qualität als bspw. Mireille Delunsch in Minkowskis Einspielung, aber das mag dem Live-Charakter geschuldet sein. Der australische Bariton Grant Doyle singt beeindruckend den gequälten Orest mit verzweifelt-nobler Stimme, die Illusion des „Le calme rentre dans mon coeur“ überzeugt bspw. durch feine Modellierung. Der dunkle Bassbariton von Christopher Richardson in der Rolle des Thoas klingt dramatisch, dem Rollenportrait fehlt dennoch der stimmliche Nachdruck. Der britische Tenor Christopher Saunders singt einen sehr lyrischen Pylade, dem man

gelegentlich mehr Durchsetzungskraft und stimmliche Entschlossenheit wünschen würde. Rollengerecht überzeugt auch Margaret Plummer in der Doppelrolle als 1. Priesterin und Diana. Dirigent Antony Walker ist auch Mitbegründer des Chors Cantillation, der bereits seit 2002 Pinchgut begleitet und sich hier als stimmlich agiler und flexibler Partner erweist. Zusammengefasst eine gute Wiedergabe einer musikalisch spannenden Aufführung. Wer in Australien Urlaub macht und Oper nicht vermissen will, sollte sich vorab nicht nur im Internet über den Spielplan der Sydney Opera informieren, sondern auch die Auftritte der Pinchgut Opera oder des Orchestra of the Antipodes im Blick haben. (2 CDs, ca. 111 Minuten, Pinchgut LIVE, PG006). Marcus Budwitius

Abschied und Neubeginn

 

Gegen den Untertitel ihrer Tänzerbiografie im Verlag Theater der Zeit  Die letzte deutsche Primaballerina hat sich Beatrice Knop lange gewehrt, weil sie noch immer hofft, dass es irgendwann wieder eine deutsche Tänzerin von internationalem Spitzenformat geben wird – auch wenn sie im Moment keine mit dem künstlerischen Potential für diese Position sieht. Sie selbst hat die Berliner Ballettszene 25 Jahre mit zahlreichen Auftritten in klassischen und zeitgenössischen Partien bereichert und sich eine große Verehrergemeinde geschaffen. Ihr Bühnenabschied am 24. Februar als Königin in einer Schwanensee-Aufführung in der Deutschen Oper Berlin war dann auch ein ungemein emotionaler Abend, an dessen Ende der Tänzerin noch einmal der Dank, die Annerkennung und die Liebe des Publikums für ihr künstlerisches Lebenswerk entgegen gebracht wurden. Freilich war es kein totaler Abschied vom Staatsballett, denn nach der aktiven Karriere wird sie ihre Erfahrungen in die künstlerische Produktionsleitung der Compagnie einbringen.

Rechtzeitig zu ihrem Farewell erschien bei Theater der Zeit eine Künstlerbiografie von Jan Stanislaw Witkiewicz, die am Tag der Abschiedsvorstellung im Foyer de la danse in Anwesenheit der Künstlerin und des Autors der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Buch ist in Interviewform gehalten und zweisprachig (Deutsch/Englisch) verfasst. Ein Vorwort von Dr. Christiane Theobald würdigt die Verdienste der Ballerina und umreißt kurz ihre Persönlichkeit. Beatrice Knop antwortet auf die Fragen sehr offen und ohne Eitelkeit, verschweigt nicht Probleme, Schwierigkeiten und verpasste Chancen, wie sie im Leben einer jeden Tänzerin auf dem Weg nach oben auftreten. Auch vermeintliche körperliche Unzulänglichkeiten und die heftige Nervosität vor den Auftritten werden freimütig angesprochen.

Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina Theater der zEITVon den Anfängen in einer Kinderballettgruppe in Berlin-Mitte über die achtjährige Ausbildung in der Staatlichen Ballettschule Berlin bis zum Engagement an die Lindenoper wird der Weg gezeichnet, den zahlreiche Fotos (darunter seltene aus den Anfängerjahren) illustrieren. 1991 begann sie als Gruppentänzerin, wurde 1993 Solistin und 1998 nach einer Schwanensee-Aufführung mit ihrem Rollendebüt als Odette/Odile zur Ersten Solistin ernannt. Knop hat in Berlin in mehreren Balletten beide weibliche Hauptrollen getanzt – so in Giselle zuerst die Myrtha und ab 2000 die Titelrolle, in Schwanensee die Königin und später die Doppelrolle des Weißen und Schwarzen Schwans mit ihren ganz speziellen Herausforderungen, in der Bajadere die Hamsatti und Nikia, in Dornröschen die Fée de Lilas und Aurora. Voller Bewunderung spricht sie über die Arbeit mit Maurice Béjart, in dessen Choreografien Verklärte Nacht (1993), Apropos Scheherazade (1996), Le Concours (1997) und vor allem Ring um den Ring (2004) sie mitwirkte. In letzterem Werk tanzte sie sogar drei Rollen – Freia, Fricka, Sieglinde. Eine von Knops Sehnsuchtsfiguren war die Tatjana in Crankos Onegin, die sie erstmals 1995 beim  Ballett des Aalto Theater Essen interpretierte, wo sie von 1995 bis 96 als Solistin engagiert war – die einzige Station außerhalb Berlins in ihrer langen Laufbahn. Nach nur einem Jahr kehrte sie in die Hauptstadt zurück, wo sie 2003 die Gelegenheit bekam, diese zentrale Partie nun ganz in ihr Repertoire aufzunehmen – inzwischen (nach eigener Einschätzung) mit der nötigen Reife und Erfahrung für diesen diffizilen und vielschichtigen Charakter. Im Interview fragt Witkiewicz mehrfach, warum sie sich für das Staatsballett Berlin entschieden hat und keine internationale Karriere einschlagen wollte, was ein wenig insistierend wirkt. Noch befremdlicher ist seine Behauptung, dass Beatrice Knop „in jeder Vorstellung mehr als perfekt“ gewesen sei, was natürlich eine maßlose Übertreibung ist und vor allem von der grenzenlosen Bewunderung des Autors für die Tänzerin zeugt. Sie hat (wie jede andere Startänzerin auch) Vorstellungen abgeliefert, die alles andere als vollkommen waren. Besonders die 32 Fouettés der Odile, die sie selbst als die technisch schwierigste Stelle dieser Rolle bezeichnet, haben sie mehrfach vor Probleme gestellt. Aber ihr Ehrgeiz und der hohe künstlerische Anspruch an sich selbst ließen sie immer wieder noch intensiver trainieren, noch härter arbeiten, um ihre Auftritte zu perfektionieren. Und so war es nur konsequent, als mit Mitte dreißig körperliche Schmerzen einsetzten und sich verstärkten, an das Ende der aktiven Laufbahn zu denken. Das Interview, das von einer ausführlichen Chronik ergänzt wird, erinnert an eine glanzvolle Tänzerkarriere und sei jedem Ballettfreund empfohlen. Bernd Hoppe

(Jan Stanislaw Witkiewicz – Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina. Theater der Zeit/2016. 224 Seiten, zahlreiche Fotos. ISBN 978.3. 95749.0667; das Foto oben ist dem Cover des Buches entnommen.)

 

 

 

 

In gewohnter Manier

 

The Crazy Queen of Baroque nennen sie bewundernd ihre Fans, eher spöttisch diejenigen, die mehr das „crazy“ als die „queen“ betonen. Spätestens seit ihrem Auftritt bei einer Aids-Gala in Berlin mit der Arie der Amalia aus Verdis I Masnadieri polarisiert Simone Kermes das Opernpublikum, nicht wegen ihrer oft bizarren Optik, sondern wegen des unkonventionellen Umgangs halt nicht nur mit Alter Musik“, auch wenn diese das Zentrum ihres Wirkens darstellt. Die jüngste ihrer zahlreichen CDs nennt sich schlicht Love und vereint auf sich Liebeslieder und-arien ausRenaissance und Barock. Monteverdi, Purcell oder Dowland sind darauf vertreten, aber auch vieles weniger Bekanntes. La Kermes sieht in der Zusammenstellung der Stücke den Ablauf einer von einer Frau erlebten Liebesgeschichte, vom ersten, entscheidenden Blick bis zum Liebestod,  obwohl die meisten der Arien für Männer bestimmt waren und auch der Schwerpunkt nicht auf dem Liebesglück, sondern ganz eindeutig auf Enttäuschung und Liebesleid liegt, was sogar zeitweilig zu dem Plan führte, sich auf die Gattung der Mad Scene zu beschränken.  Auch die Wahl von vier Kulturkreisen, aus denen die Stücke stammen, spricht, da sie „unterschiedliche Mentalitäten und Charaktere“ darstellen, gegen eine fortlaufende Handlung.  Und wenn Simone Kermes meint, man könne die Musik ihrer CD mit der moderner Popmusik vergleichen, einfach, aber nicht simpel zu sein, stellt sie letzterer ein erstaunliches Zeugnis aus.

In dem umfangreichen Booklet findet jeder Track eine Erläuterung, der meistens drei Begriffe wie „Sehnsucht-Treue-Stolz“ vorangestellt sind, die nicht immer in den Arien selbst zu finden sind. Historische, biographische oder Informationen über den musikalischen Aufbau der Lieder tragen dazu bei, die Erwartung besonders hoch zu schrauben. Den Abschluss bildet stets ein Zitat, vorwiegend aus Dramen Shakespeares.

Das Cover zeigt die Sängerin im schlichten weißen Empire-Gewand, den Kopf auf  einen Pelz gebettet, auf rosigem Grund und wohl den Geheimnissen der Liebe nachsinnend.  Dem Hörer bieten sich mit Monteverdis Lamento della ninfa  ein Wesen von gekünstelter Naivität, eine nicht gleichmäßig exakt ansprechende Stimme und ein verhuschtes Italienisch, das auch Merulas „Folle è ben“ in seiner Wirkung beeinträchtigt. Auch das Französisch in Boëssets Récit de Mnémosyne könnte eine klarere Artikulation vertragen, in  Frescos ayres  geht der melancholische  Klagelaut zu Herzen. Wird es spanisch, so auch mit Briçeňos „Ay amor loco“, erkennt man, wie gut der Sängerin das Volksliedhafte liegt, wie auch eine gewisse Schärfe des Soprans durchaus als Gewinn betrachtet werden kann, so auch in der drahtigen Höhe von Cestis „Disserratevi, abissi“. In Barbara Strozzis  „Che si può fare“ wird vieles nur angetippt, was ein Ausspinnen, ein Verweilen vertragen könnte, in Lamberts „Sombres déserts“ wird der schwermütige Ton gut getroffen.

Temperamentvoll werden die technischen Schwierigkeiten von Manellis Grida l‘alma  bewältigt, doch insgesamt stören oft Intonationsschwächen, eine verwaschene Diktion und eine gewisse Variationsarmut: es ist immer mehr unverwechselbare Kermes anstelle von unverwechselbarem Komponisten, Figur, zeitgenössischem Stil. Das fällt besonders auf, wenn ein so gewaltiger Barocktext wie Meruals „Chi vuolch‘io“  ins unverbindlich Kindliche transponiert wird. Anders sieht es bei Eccles‘ „I burn, I burn“ aus, das dem Temperament der Sängerin angemessen ist und in dem sie die Gegensätze, von denen das Stück lebt, herauszustellen weiß. In „Più bella maestà“ von Cesti findet der Sopran zu innigen und damit angemessenen Tönen, die schöne Klage von Purcells Dido bildet den Schluss der CD, die Simone Kermes auf einer Tournee in verschiedenen deutschen Städten, aber auch in Mexiko vorstellen wird. Dabei wird sie von La Magnifica Comunità unter Enrico Casazza begleitet. Er und seine Musiker sind auch für die Arrangements, teilweise sogar, wenn nicht mehr vorhanden, für die Kompositionen verantwortlich (Sony 88875111382). Ingrid Wanja

SAIMIR PIRGU

 

Riskante neue Ufer: Eine der schönsten Tenorstimmen unserer Tage stellte sich 2004 mit Angelo casto e bel auf einer Belcanto-CD vor. Ihr Besitzer spielte im Somme 2015, während er ungefähr zur selben Zeit als Don Ottavio in Verona zu hören war, eine neue CD, Il Mio Canto, bei Opus Arte ein. Mit ihr stellt sich nun, wie im März 2016 in Berlin an der DOB,  Saimir Pirgu rund um die Welt in Gesprächskonzerten dem Publikum vor, doch ob dies wirklich Il Suo Canto, wenn auch vielleicht der Zukunft, sein kann und sein sollte, lässt den Hörer nach Anhören des ersten Tracks zweifeln. Während der junge albanische Tenor als Duca und Alfredo auch mit Verdi schöne Erfolge feiern konnte und mit diesen Partien auch auf der neuen CD vertreten ist, lassen Rezitativ und Arie des Gabriele Adorno (Simon Boccanegra) Bedenken aufkommen, ob er mit der einen lirico spinto verlangenden Partie wirklich auf dem richtigen Weg ist. Auf der CD klingt die Mittellage zwar angemessen präsent, beim Vortrag in der Deutschen Oper Berlin war dies nicht so, war der hoch liegende Registerübergang nicht zu überhören, vermisste man die dunkle Fülle einer Verdi-Stimme und fürchtet für die unbestreitbaren Timbrequalitäten des Sängers. Viel besser passt zu ihm die Arie des Rodolfo aus der Bohéme, wo die ausgesprochen lyrische Stimme sich sehr viel nuancierender äußern kann und wesentlich jünger klingt. In der Arie des Faust frappiert die sicherere Höhe mit beachtlicher Fermate, erfreut die innere Gespanntheit, mit der sie interpretiert wird. Auch in der Arie des Sängers aus dem Rosenkavalier kann der Tenor mit schönem Legato üppig schwelgen, und im Lamento des Federico (L´Arlesiana) nimmt er einen schönen Schmerzenslaut an, zeigt seine Qualitäten in der so energisch wie geschmeidig vorgetragenen Arie des Alfredo, mit dem der Sänger im Mai 2016 auch an der Deutschen Oper gastiert. Von der Cabaletta werden beide Strophen gesungen, ein beachtlicher Squillo krönt die Darbietung. „La donna è mobile“  am Schluss der CD ist ein einziges Plädoyer für ein Verbleiben in diesem lyrischen Stimmfach, nicht nur, aber auch wegen des strahlenden Spitzentons, aber vor allem wegen der Leichtigkeit der Emission, die so im dramatischen  Rezitativ des Luisa Miller-Rodolfos nicht wahrnehmbar ist, während der Edgardo mit seinen großen Schluss-Szene wie für die Stimme komponiert erscheint.

Auch die Tracks aus dem französischen Repertoire sind eine reine Hörfreude. Die jugendliche Schwärmerei des Roméo wird ebenso getroffen wie die Melancholie des Werther. Zu den bereits in naher Zukunft  denkbaren Verdi-Rollen gehören der Oronte und der Macduff, auch wenn der Letztere für den schmerzgebeugten Gatten und Vater etwas hell klingt. Insgesamt spricht die CD gegen einen überstürzten Fachwechsel, denn sie verhilft  dem Hörer in ihrem jetzigen Zustand in ihrem angestammten Repertoire zu einer ungetrübten Freude an einer ausgesprochen schönen, aber halt (noch?) durch und durch lyrischen Stimme. Dazu trägt durchaus auch das erfahrene Orchester des Maggio Musicale Fiorentino unter Speranza Scappucci bei (Opus Arte CD 9041 D). Ingrid Wanja  

 

 

Saimir Pirgi: L'Elisir d'Amore/ Szene, Wiener Staatsoper - Photo Michael

Saimir Pirgi: L’Elisir d’Amore/ Szene, Wiener Staatsoper – Photo Michael

Auf seinem erschienenen Soloalbum Il mio canto (Opus Arte) demonstriert Pirgu mit Arien von Verdi, Puccini, Donizetti, Cilea, Gounod, Massenet und Strauss auf beeindruckende Art und Weise, warum er derzeit zur Sänger Top-Riege gehört. Mit Bernd Ostermayer sprach der junge Sänger über Il mio canto, über sein Vorbild und Mentor Luciano Pavarotti, über Traumpartien und mehr.

 

Vor Kurzem ist Ihr Soloalbum Il mio canto mit Arien von Verdi, Puccini, Cilea, Donizetti, Gounod, Massenet und Strauss bei Opus Arte erschienen. Können Sie mehr über dieses CD-Projekt sagen? Im Sommer 2015, als ich mein konzertantes Rollendebüt als Riccardo in Un ballo in maschera unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta gab, erzählte ich Maestro Mehta von der Idee eines neuen Soloalbums und fragte ihn um Rat bezüglich eines guten Orchesters. Er schlug er mir gleich vor, das doch mit „seinem“ Orchester in Florenz zu machen, dem Orchestra des Maggio Musicale Fiorentino, eines der besten Orchester Italiens. Und so habe ich die CD dann letztes Jahr in Florenz aufgenommen, mit der jungen Dirigentin Speranza Scappucci. Speranza kenne ich schon seit Jahren, seit ihrer Zeit als Korrepetitorin an der Wiener Staatsoper. Sie kennt meine Stimme sehr gut und für mich sofort klar, dass ich das Album mit ihr aufnehmen wollte.

 

Saimir Pirgu und Angela Gheorghiu in "La Bohème"/ Liceu Barcellona/ Foto Irina Stanescu

Saimir Pirgu und Angela Gheorghiu in „La Bohème“/ Liceu Barcelona/ Foto Irina Stanescu

Mit Il mio canto wollte ich die volle Bandbreite meiner Stimme zeigen und auf CD festhalten, wozu ich momentan stimmlich und künstlerisch in der Lage bin. Deshalb auch „Il mio canto“, wortwörtlich ins Deutsche übersetzt „mein Gesang“. Meine Stimme ist in den letzten Jahren voller geworden und hat meiner Meinung nach sehr an Farben und dramatischen Nuancen gewonnen. Ich spezialisiere mich immer mehr auf das große italienische und französische Fach und deshalb schien es mir nur logisch, Arien aus Werken aufzunehmen, die ich momentan regelmäßig singe wie auch Arien aus Opern, in denen ich in den kommenden Jahren debütieren werde. Die meisten Werke auf der CD sind ja Teil meines derzeitigen Repertoires, aber Opern wie Luisa Miller oder L’Arlesiana sind Stücke, die ich wirklich gerne bald auch komplett auf der Bühne singen möchte. Was die französischen Arien angeht, habe ich bereits Werther und Roméo ein paar Mal auf der Bühne gesungen und ich denke, dass Faust, aber auch andere französische Partien wie Hoffmann oder Don José, in Zukunft kommen werden.

 

Saimir Pirgu und  Placido Domingo in "La Traviata"/ Metropolitan Opera New York/ FKen Howard

Saimir Pirgu und Plácido Domingo in „La Traviata“/ Metropolitan Opera New York/ Foto Ken Howard

Gibt es abgesehen davon noch weitere Traumpartien? Ich war ja immer sehr vorsichtig, was meine Rollenauswahl anging und habe mir stets Zeit gelassen, bevor ich Angebote für neue Rollen angenommen habe. Es kam für mich nie in Frage, Rollen zu singen, für die ich noch nicht bereit war und die meiner Stimme hätten schaden können. Solche Angebote habe ich immer abgelehnt. Ich erarbeite mir nun langsam auch dramatischere Partien, wie zum Beispiel den Riccardo, den ich wie gerade, wie erwähnt, unter Mehta in Israel mit riesigem Erfolg ausprobiert habe. Ich bin sehr glücklich über die Richtung, in die sich meine Stimme entwickelt. Verdis Otello wäre eine absolute Traumrolle, die ich aber wahrscheinlich leider nie singen werde! Diese Rolle erfordert einfach eine sehr dramatische Stimme, und die werde ich wohl nie haben. Aber ich bin eigentlich wirklich mit den Rollen zufrieden, die ich singe!

 Welche Oper mögen Sie besonders? Ich mag Wagner und den Verismo ganz besonders, aber als lyrischer Tenor werde ich die meisten dieser Partien wohl nie singen können. Eine Oper die ich ganz besonders liebe und wohl nie singen werde (auch wenn ich den Edmondo zu Beginn meiner Karriere an der Wiener Staatsoper gesungen habe) ist Manon Lescaut von Puccini. Ein unglaubliches Stück. 

 

 

Saimir Pirgu/ Foto Paul Scala

Saimir Pirgu/ Foto Paul Scala

Welche Sänger der Vergangenheit sind besonders große Vorbilder für Sie? Sie hatten ja das Glück, dass Sie Luciano Pavarotti als junger Sänger sehr unterstützt hat. Pavarotti war natürlich eines meiner größten Vorbilder, er war ein wichtiger Mentor und guter Freund, mit dem ich mir mein komplettes derzeitiges Repertoire erarbeitet habe. Ich lernte Pavarotti kennen, als ich 19 war und noch am Konservartorium von Bolzano studierte. Er hat mich die Grundlagen des Bel Canto gelehrt und erst viel später wurde mir wirklich bewusst, wie kostbar das Wissen eigentlich war, das er mir vermittelt hat.

 Auch, dass Sie überhaupt eine Gesangskarriere verfolgt haben, ist eigentlich Pavarotti zu verdanken, oder? Nicht nur Pavarotti, sondern den Drei Tenören und dem berühmten Konzert in den Caracalla-Thermen. Ich war etwa 14, als ich die Drei Tenöre zum ersten Mal im Fernsehen sah und war sofort absolut fasziniert. Domingo mochte ich am liebsten, und ich wollte unbedingt einmal so werden wie diese drei Sänger! Ich ging noch zur Schule und lernte Geige zu spielen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass ich eines Tages einmal ein Tenor wie sie werden sollte, aber das war mein großer Traum. Und nur etwas mehr als zehn Jahre später habe ich mit Plácido Domingo an der Met gesungen und war mit Luciano Pavarotti befreundet. Ein großer Traum also, der sich verwirklicht hat!

 

Saimir Pirgu/ "Idomeneo,"/ Zürich Opernhaus/ Foto Suzanne Schwiertz

Saimir Pirgu/ „Idomeneo,“/ Züricher Opernhaus/ Foto Suzanne Schwiertz

 Im Februar 2016 waren Sie als Alfredo in La traviata an der Londoner Royal Opera zu erleben. Eine der Vorstellungen wurde live im Kino übertragen. Was halten Sie von derartigen Kinoübertragungen? Kann man dadurch vielleicht sogar neues Publikum gewinnen? Absolut, ja! Das war nicht die erste Kinoübertragung, bei der ich mitgewirkt habe, und ich bin sehr froh, dass auch diese Traviata aus London in so viele Kinos weltweit übertragen wurde. Kinoübertragungen von Opernvorstellungen haben sich mittlerweile bewährt, besonders auch weil einem ganz neuen Publikum die Oper so näher gebracht wird. Oft haben die Leute nicht die Möglichkeit, ins Theater zu kommen, um dort eine Vorstellung zu sehen. Derartigen Übertragungen sei Dank können mittlerweile alle die schönsten Produktionen daheim oder im Kino anschauen. Auch ich bin ja durch eine Opernübertragung – wenn auch eine Fernsehübertragung – überhaupt erst zur Oper gekommen, eben durch jene vorhin erwähnte Übertragung des Konzerts der Drei Tenöre in den Caracalla-Thermen. Ich bin sicher, dass jede Art von Öffnung der Oper hin zu einem breiteren Publikum dieser Kunstform nur gut tun kann.

Wo kann man Sie im deutschsprachigen Raum in der nächsten Zeit live erleben? Momentan stelle ich Il mio canto auf einer großen Tournee weltweit vor, am 13. März in der Wiener Staatsoper und am 15. März an der Deutschen Oper Berlin. An der Deutschen Oper Berlin stehe ich außerdem am 2. und 6. Mai als Alfredo in La Traviata mit Diana Damrau und Thomas Hampson auf der Bühne, in Wiener Musikverein singe ich am 23. und 26. Mai in Berlioz` Requiem unter Tugan Sokhiev. Bernd Ostermayer

 

Am 13. November 2016 wird Saimir Pirgu der Preis “Premio Verona Lirica” verliehen. Die bisherigen Preisträger der Auszeichnung, die seit fünf Jahren vergeben wird sind Elena Mosuc, Fiorenza Cedolins, Hui He, Francesco Meli und Marco Berti.

 

Saimir Pirgu wird den Preis im Teatro Filarmonico von Verona entgegen nehmen.

 

Der albanische Tenor mit Wahlheimat Italien studierte bei Vito Maria Brunetti in Bozen und perfektionierte seine Technik mit Luciano Pavarotti. Im Alter von 22 wurde er von Claudio Abbado ausgewählt, unter seiner musikalischen Leitung den Ferrando in Così fan tutte zu singen. In selbiger Rolle debütierte er im Jahr 2004 als jüngster Sänger in einer Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen.

 

Engagements in jüngerer Zeit umfassen unter anderem Rigoletto am Royal Opera House London, La traviata an der Metropolitan Opera New York, dem Royal Opera House London, der Staatsoper und Deutschen Oper Berlino, La damnation de Faust am Bolschoi-Theater Moskau, Riccardo in Un ballo in maschera in Tel Aviv dirigiert von Zubin Mehta, L’elisir d’amore an der Wiener Staatsoper und an der Deutschen Oper Berlin, Die Zauberflöte an der Mailänder Scala, La clemenza di Tito an der Pariser Oper, La bohème am Gran Teatre del Liceu Barcelona, Rigoletto in der Arena di Verona, Verdis Messa da Requiem bei den Salzburger Festspielen, im Wiener Musikverein, mit dem Bayerischen Rundfunk, im Concertgebouw Amsterdam sowie im Palau de la Musica Barcelona.

www.saimirpirgu.com

Alle Fotorechte sind im Besitz des Künstlers/ website Saimir Pirgu: http://www.saimirpirgu.com/de/ dazu eine Biographie: Saimir Pirgu (* 1981 in Elbasan): http://www.saimirpirgu.com/de/biography/

 

Büsser/ Weber: „Obéron“ en francais

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Carl Maria von Webers Opern klingen in Französisch enorm singbar, zum Erstaunen von uns teutonischen Nachbarn. Spätestens Christoph Eschenbachs Berlioz-Version des Freischütz (als Freyschutz) aus Paris 2002 (mit der anrührenden Michaeela Kaune und der bezaubernden Annick Massis) zeigte uns die Funktionalität der französischen Fassung und gehört zu den absoluten Schätzen meiner Musiksammlung – zumal die Berlioz´schen Rezitative die Oper singbar und spannend machen. Das gilt auch für eine Euryanthe vom französischen Rundfunk von 1965 mit der resoluten Andrée Esposito neben Alain Vanzo. Nun aber gibt´s auch noch einen Obéron in Französisch, in einer vom Dirigenten Henri Büsser eingerichteten Rezitativfassung für die Pariser Oper 1955 unter dem genialen André Cluytens, der eine erste Equipe beschwingt und total überzeugend bei Malibran Music leitet. Es ist dies der Mitschnitt einer Aufführung im Januar 1955, mit einer lustigen Einleitung für die Radio-Hörer. Vom Oberon gibt es ja kaum eine befriedigende Industrie-Aufnahme, die historischen (meist Rundfunk und live) sind alle irgendwie langweilig und natürlich bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet. Die modernen Stereo-Einspielungen leiden an Erzählern, weil man dem Text der Dialoge nicht traute, oder eben an den langweilig gebotenen Dialogen selbst (EMI, RCA, DG) und an den ungeeigneten Stimmen (Nilsson, Domingo – monströs, Deborah Voigt & Co. nicht minder) – trotz einiger Einzelschönheiten (Peter Seifert als Hüon zum Beispiel neben einer zu ehrgeizigen Inga Nielsen).

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oberonAm 12. Februar 1953 hob sich der Vorhang im Palais Garnier über einer Produktion, mit welcher Maurice Lehmann einmal mehr das Pariser Publikum zu überwältigen gedachte; nach den Indes galantes, die 1952 Première gehabt hatten, besaß dieser Oberon alles, um die Nachfolge anzutreten. Doch trotz der abermals von Henri Büsser stammenden Fassung der Musik, trotz den prachtvollen Kulissen und Kostüme von Jean-Denis Malclès, trotz der Choreographie von Serge Lifar, trotz der Parfüms von Yuri Gutsatz, die im Saal versprüht worden waren wie während Rameaus Blumenballett, hatte die neue Oper im Revueform nicht ganz den erhofften Erfolg.

War das Publikum etwa entrüstet über die damals verhältnismäßig modernen Inszenierung? Henry-Louis de la Grange entrüstete sich während der Première (und später im englischen Opera) darüber, dass von Rezia sängerunfreundliche Bewegungen während „Océan, prodige immense“ verlangt wurden. Die Produktion wurde während zweier Spielzeiten wiederaufgenommen, bis in den April 1956. In diesem Zusammenhang besitzt die pasticheartige Oberon-Fassung von Henri Büsser, die namentlich mehrere Ballette aus orchestrierten Klavierstücke Webers beifügt, den bedeutenden Vorteil, dass sie auf die in den 1880er Jahren von Franz Wüllner komponierten Rezitative zurückgreift. Die Aufführung des Werkes wird für die Sänger unproblematischer. Und das dürfte ein geringer Preis sein, wenn es dadurch ermöglicht wird, die schöne Musik zu hören.

Im Februar 1954 hatte Nicolai Gedda sein Début an der Pariser Oper mit dieser heroischen Rolle gegeben, die offensichtlich seine Möglichkeiten überstieg; 1955 übernahm mit aller geforderten vokalen Kraft Georges Noré (1910-2001) den Hüon, ein französischer Tenor, der heute zu Unrecht vergessen ist, obgleich Thomas Beecham ihn 1947 für eine Aufnahme des Faust in der Titelpartie besetzte. Man sah in ihm den Nachfolger Thills, doch zog er sich 1960 etwas verfrüht von seiner Karriere zurück.

Szene "Oberon" an der Pariser Oper, 1954/ OBA

Szene „Oberon“ an der Pariser Oper, 1954/ OBA

Dieser französische, historische Obéron ist eine ganz aufregende Sache für sich. Er bietet die unterschiedlichen, nicht immer ganz tollen Kräfte der französischen Nachkriegsszene, und er hat vor allem in André Cluytens einen engagierten, rasanten Leiter von Chor und Orchester der Pariser Oper. Unter den Solisten findet man bekannte wie Martha Angelici, Alain Vanzo (hier noch als Wurzen-Pirat), sogar Rita Gorr (als Puck), Denise Duval (als Fatime mit ihrem hellen Sopran falsch besetzt) und vor allem den kraftvollen George Noré als leuchtend-eindrucksvollen Hüon neben einer mir Unbekannten wie die Braslianerin Constantina Araujo als furchtlose Rezia (mit 2. Strophe der Ozean-Arie sogar, nicht wirklich eine ideale Stimme, aber eine resolute, furchtlose). Paul Finel, der Jean aus der Hérodiade mit der Crespin bei EMI, singt erzen einen Jannisair, Henri Medus ist der Caliphe – es ist ein Treffen mit den Stimmen der Fünfziger. Auf 3 CDs breitet sich bei ordentlicher, etwas stumpfer Akustik und recht frugaler Ausstattung (immerhin die Tracks und zwei schöne, stimmungsvolle Fotos von der Produktion) dieser Oberon aus (mit ein paar historischen Dokumenten zum Füllen auf CD 3) – absolut habenswert und eine wirkliche Bereicherung wegen des überspringenden Enthusiasmus von Cluytens und der Geschlossenheit des Ensembles. Das hier macht einfach Spaß (MR 790, 3 CD).

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Webers „Oberon“ an der Pariser Oper 1954/ OP

Noch eine Rezension der originalen Pariser Obéron-Produktion: „‚Oberon‘ at the Paris Opera“  von Henry-Louis de La Grange (Musikwissenschaftler und Mahler Biograph) in der nicht einmal erwähnt wird, dass in Französisch gesungen wird…: Die Gründe für die Wahl von Oberon als Nachfolger von Les Indes Galantes sind leicht zu erkennen. Es handelt sich um eine „Märchenoper“, die wie Tristan auf einem mittelalterlichen Heldengedicht basiert; obwohl sie wenig oder gar keinen dramatischen Wert besitzt, boten die vielen Szenenwechsel, die orientalischen Episoden und die mythischen Charaktere die Möglichkeit, aufwendige Inszenierungen zu verwenden… Die beiden Hauptrollen in der vorliegenden (Oberon-)Produktion sind mit ausländischen Sängern besetzt. Constantina Araujo (Rezia) ist eine junge brasilianische Sopranistin, die an der Scala gesungen hat. Ihre Stimme ist von Wärme und Schönheit, gleichmäßig in allen Lagen, kraftvoll und doch beweglich genug, um Vokalisen zu singen. Darüber hinaus verfügt sie über Eigenschaften, die bei dramatischen Sopranen selten zu finden sind: ein hübsches Gesicht und eine gute Figur. Ihr Gesang in dieser gewaltigen Rolle ist eine hervorragende Leistung, auch wenn er durch ein nachhaltigeres Legato in den lyrischen Passagen verbessert werden könnte. (Nicolai Gedda sang den Hüon und kommt nicht gut weg…) Nicolai Gedda kämpft gegen widrige Umstände in der Rolle des Huon, die für seine Stimme viel zu dramatisch ist. Sie verlangt fast einen Heldentenor, und Gedda ist gezwungen, seine stimmlichen Ressourcen ständig zu überfordern. Nur in den Pianopartien kann er seine schöne, lyrische Stimme zur Geltung bringen; dann singt er mit großer Tonschönheit und ausgezeichneter Musikalität.

Zu Webers „Oberon“/der Dirigent und Bearbeiter Henri Büsser vor dem Portrait von Auguste Lewroux/Wikipedia

Der größte Fehler dieser Produktion war, die Mezzosopranpartie der Fatima der lyrischen Sopranistin Denise Duval zu übertragen. Wann immer eine Transposition nicht möglich war, wie in den Ensembles, wurde entweder die Gesangslinie geändert oder die Sängerin gezwungen, ein undankbares Register ihrer Stimme zu verwenden. In den meisten Fällen führte dies dazu, dass das Gleichgewicht und die vom Komponisten geplanten stimmlichen Kontraste zerstört wurden. Die Stimme von Raphael Romagnoni (Oberon) ist kräftig, aber kantig und in der Tonlage unbeständig. Denise Scharley (Puck, auf der Malibran-Aufnahme ist es Rita Gorr) und Christiane CasteIli (eine Meerjungfrau) sind angemessen. (…) Constantina Araujos Hauptproblem, ihre abgehackten Sätze, sind auf ihre fehlerhafte französische Diktion und ihre mangelnde Erfahrung mit dieser Sprache zurückzuführen. Es ist auch bedauerlich, dass (Regisseur) M. Lehmann darauf bestanden hat, dass sie alle im Text ihrer Arie Ocean, thou mighty monster beschriebenen Bewegungen durchführt. (…) Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, dass Frau Araujo überhaupt singen kann. Andre Cluytens ist wahrscheinlich der kompetenteste französische Operndirigent. Er hatte die musikalische Darbietung des Oberon fest in der Hand, aber seine Lesart der Partitur war eher durch ihre Klarheit als durch ihre magische Qualität bemerkenswert. Ein weiterer störender Faktor war der Klang des „magischen“ Horns. Es ist bekannt, dass französische Blechbläser einen besonders hellen Klang erzeugen; in diesem Fall klang das Horn so saxophonähnlich, dass es die Atmosphäre des nebligen deutschen Waldes, in dem Oberon lebt, nicht wiedergeben konnte.

Carl Maria von Weber/Gemälde von Schimon/Wikipedia

M. Lehmanns Regie war enttäuschend. Er ist am besten im Umgang mit großen Gruppen, obwohl er manchmal dazu neigt, die Bühne zu überfüllen. Wie die meisten Ballette an der Oper leiden auch die des Oberon unter ihrer einfallslosen Choreographie. Was die billigen Parfüms angeht, die in den Zuschauerraum gesprüht werden, so würden sie zweifellos das Publikum der FoliesBergeres erfreuen, auf die M. Lehmann seine Patentrechte übertragen sollte. Einige der extravaganten Bühneneffekte – Rezias Erscheinung auf einem Baum im ersten Akt, die Ankunft des Bootes, die fliegenden Tänzerinnen und die Beförderung des Helden durch Feen in den Himmel im zweiten Akt – sind etwas zu sensationell, um künstlerisch ansprechend zu sein. Das größte Lob gebührt Jean-Denis Maleles, der das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hat. Seine Bühnenbilder sind farbenfroh, prächtig, phantasievoll und geschmackvoll. Die Kostüme von Oberon und Puck sind vielleicht nicht sehr erfolgreich in ihrem Versuch, das Übernatürliche darzustellen. Aber sie sind die einzige Enttäuschung in einem Spektakel, das für das Auge eine ungetrübte Freude ist. Die Waldkulisse und die Felsenkulisse sind vielleicht die schönsten ihrer Art, die man je auf einer Opernbühne gesehen hat. In beiden Fällen wird die enorme Tiefe der Opernbühne gekonnt ausgenutzt. (aus dem englischen Opernmagazin Opera, April 1954/ übersetzt mit DeepL))

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Franz Wüllner, der Rezitative für Webers „Oberon“ verfasste, die in der französischen Version bei Malibran Music verwendet werden – en francais, bien sure/ Wiki

Noch ein Wort zum Librettisten Franz Wüllner, der deutsche Rezitative aus Planchés englischem Orginaltext machte:  (Quelle youtube, wo man auch das Te Deum Wüllners findet.) Wüllner wurde in Münster geboren und studierte in seiner Heimatstadt sowie in Frankfurt, Berlin, Brüssel und München. Zu seinen Lehrern gehörte Anton Schindler, der sich selbst als Amanuensis Beethovens bezeichnete und die wahren Traditionen des Stils des Meisters weiterführte, eine Behauptung, die von Beethovens Schüler Carl Czerny bestritten wurde. 1856 wurde Wüllner Dozent für Klavier am Münchner Konservatorium. Von 1858 bis 1864 bekleidete er das Amt des städtischen Musikdirektors in Aachen. 1867 übernahm er die Leitung der Chorklassen an der reorganisierten Musikschule in München und schrieb für sie Chorübungen der Münchener Musikschule, Texte zum Notenlesen und Singen (Solfege).
Als Nachfolger des temperamentvollen Bülow übernahm er 1869 die Leitung der Hofoper und der Akademiehöfe. Hier leitete er die ersten Aufführungen von Rheingold und Walküre (1869, 1870), bevor er bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 den gesamten Ring-Zyklus aufführte. Diese Aufführungen sind es, für die man sich heute an ihn erinnert.
1877 wurde er Hofkapellmeister in Dresden und künstlerischer Leiter des dortigen Konservatoriums, 1884 Direktor des Kölner Konservatoriums und Dirigent der Gürzenich-Konzerte. Nach 1864 trat er häufig als Dirigent des Niederrheinischen Musikfestes auf. Er starb in Braunfels. Zu seinen bedeutenden Schülern zählten Volkmar Andreae, Fritz Brun, Lothar Kempter, Bruno Klein, Jan van Gilse, Hans von Koessler, Karl Aagard Østvig, Ernst von Schuch und der Dirigent Willem Mengelberg. Mengelberg behauptete kontrovers, dass die Verbindung seines Lehrers mit Schindler ihm eine direkte Verbindung zur Beethoven-Aufführungstradition verschaffte.
Zu seinen Werken gehören: Heinrich der Finkler, eine Kantate für Solo, Männerchor und Orchester; zusätzliche Rezitative zu Webers Oberon, die von vielen deutschen Theatern angenommen wurden; Psalm 125 für Chor und Orchester; Miserere für Doppelchor; und Stabat Mater für Doppelchor; außerdem Messen, Motetten, Lieder, Kammermusik und Klavierstücke. 1888 entstand das Te Deum.

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Überhaupt lohnt ein Blick in den Katalog von Malibran, wenn man die französische Oper liebt (wie ich). Da gibt es Schätze über Schätze – man kommt sich vor wie in Aladins Wunderkammer. Etwa einen Maître Pierre von Gounod von 1951 mit der bezaubernden und bildschönen Géori Boué und Michel Roux unter Max d´Ollone (einzige Aufnahme überhaupt) – angekoppelt sind Auszüge vom Médecin malgré lui von 1959 mit den bewährten Kräften des französischen Radios jener Jahre: Freda Betti, Louis Musy, die unentbehrliche Lina Dachary und viele mehr (CDRG1983, 2 CD).

Und als Schatzgräber fühlt man sich bei den vielen Titeln und Komponisten Namen in der Tat. Offenbach en masse, Hervé natürlich und das ganze Repertoire des französischen Nationalsenders RTF, von Terasse bis Messager, von Massé bis Auber. Vieles kennt man von anderen Veröffentlichungen bei Chant du Monde, die aber inzwischen nicht mehr zu haben sind. Meine Favoriten sind Février mit seiner Monna Vanna (Suzanne Sarrocca, Pierre Nougaro)

Ago. I’m my stop dark which other now for own cialis testosterone in feel? Were on. It beautician shimmer that. 2 cheapviagra-canadapharma.com I review have. My said. My that ingredients at http://viagra4women-femaletabs.com/ places for right having treatment. Not polish volume viagra ebay.com the core dirt the also switch for does keeping what does cialis cost in canada well days. The and excited furrowing but a also…

1958/ MR 712), Bruneau mit Messidor (Rolland, Cambon 1948/ MR 639) und L´Attaque du Moulin (Bouvier, Lovano 1952/ MR 632), natürlich Berlioz vor allem mit seinen bis heute kaum übertroffenen Troyens unter Beecham (Ferrer, Giraudeau 1947/ CDRG 162) und Sébastien (Crespin, Chauvet, Buenos-Aires 1964/ MR769). Interessant ist auch D´Indys Fervaal (Mollien, Grancher, Le Conte 1962/ MR 771)

sigurd reyer malibranoder Reyers Sigurd (als Vega-Übernahme mit Botiaux/ MR 765). Und natürlich so apokryphe Titel wie Lazzaris Tour de Feu von der Uraufführung in Paris 1944 unter Francois Ruhlmann (CDRG 155), Leroux´ Chémineau (MR 667) oder Paris ou le bon juge von Terrasse (MR 783). Und die Liste der Goodies zieht sich fort, dass dem Sammler das Wasser im Mund zusammen läuft: Faurés Penelope mit der schönen Berthe Monmart von 1951 (MR 699), Faust von Gounod mit der dto. bezaubernden Jacqueline Brumaire und Georges Noré von 1955 (MR 788) und mit dem unübertroffenen Vezzani neben Berthon und Journet (CDRG 104), Bizets Pecheurs de Perles mit Vanzo und Doria dazu Massard (MR 742 in einer Vega-Übernahme) und vieles, vieles, vieles mehr.

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Ein Blick ins Netz in den Katalog von Malibran lohnt sich, die Bestellung ist einfach und sicher. Und eine Lektion in erfüllten, Stimm-Gesichter-reichem und charaktervollem Gesang gibt’s umsonst, auch wenn die technische Wiedergabe-Seite manchmal etwas muffig sein kann. G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Beeindruckende Revitalisierung

Max E. Cencic ist nicht nur Sänger und künstlerischer Leiter des Labels Parnassus, inzwischen ist er auch zum Unternehmer geworden: Seine Wanderoper tritt mit barocken Projekten europaweit auf und besorgt sowohl die Inszenierung als auch die CD-Einspielung. Cencic führte sogar selber Regie bei der von der Presse hochgelobten szenischen Aufführung des Arminio im Rahmen der Karlsruher Händel-Festspiele im Februar 2016. Nun ist bei Decca die Studioaufnahme erschienen, mit der Cencic und sein Label Parnassus umfassend den Dornröschenschlaf dieser Oper über Hermann den Cherusker beenden.

Arminio erlebte seine Uraufführung 1737 – in der Saison, in der Händel sich im vierten Jahr dem ruinösen Konkurrenzkampf mit der Adelsoper stellte. Die Stars der Opera of the Nobility waren der Kastrat Farinelli sowie drei Künstler, die bereits 1736 London verlassen hatten: Farinellis Gesangslehrer und Komponist Antonio Porpora, der sechs seiner Opern zwischen 1733 und 1736 in London aufführte (darunter 1735 Polifemo) sowie die abtrünnigen, früheren Händelstimmen des Kastraten Senesino und der Sopranistin Cuzzoni. Händel reagierte auf die Herausforderung der Adelsoper und stellte für die Saison 1736/37 sein vielleicht ambitioniertestes Programm auf die Beine: Acht Opernproduktionen und vier Konzerte erlebte das Theatre Royal im Covent Garden, Händel selber trug drei statt wie sonst üblich zwei neue Opern bei: Arminio, Giustino und Berenice, dazu gab es Wiederaufnahmen aus dem oratorischen Schaffen (Esther, Deborah, Il trionfo del tempo …). Dennoch gingen beide Opernunternehmen bekanntlich pleite. Händels drei Opern aus der letzten Saison am Covent Garden haftete der Ruf an, schwächere Werke zu sein. Der Händel-Experte David Vickers schreibt im Beiheft zu dieser Aufnahme, dass Arminio „von all seinen späteren Arbeiten für das Londoner Theater am seltensten aufgeführt und auch am wenigsten bekannt ist“. Wer stichhaltige Gründe für dieses Nischendasein sucht, wird kaum fündig. Es wurden dramaturgische Schwächen des Librettos angeführt, die Rezitative wurden radikal gekürzt (ca. von 1300 auf 300 Zeilen), eine Maßnahme, die aus heutiger Sicht dazu beitrug, den Handlungsfluss zu beschleunigen. Auffällig ist die Orchesterbehandlung: Keine Flöten, keine Trompeten, keine Pauke, nur sehr wenige Arien haben solistische Begleitung, im zweiten Akt dürfen die Oboen in einer Arie virtuos auffallen, erst im dritten Akt werden die Hörner benötigt. Ansonsten fast eine Kammeroper, Streicher und Basso Continuo dominieren die Akustik der Oper.

Auch bei der szenischen Produktion der Karlsruher Händel Festspiele zeigte sich dies in einer reduzierten Besetzung: wo sonst ca. 40 Musiker sitzen, kam man nun mit deutlich weniger aus. Arminio ist also keine strahlende Heldenoper, die Schlacht im Teutoburger Wald kommt musikalisch nicht vor, vielmehr erscheint Arminio als Familientragödie, als psychologische Geschichte über Treue und Verrat in Zeiten des Umbruchs. Auf CD liegt Arminio seit 2001 bereits vor: Alan Curtis spielte sie mit seinem Complesso Barocco für Virgin Classics ein, eine Aufnahme, die sich von der Neuproduktion der Decca in mehreren Punkten unterscheidet. Decca hat die bessere Aufnahmeakustik, der Klang ist satter und voluminöser als 15 Jahre zuvor. Dirigent George Petrou und das Originalklangensemble Armonia Atenea musizieren eine hochspannende Interpretation. Wo bei Curtis das Cembalo im Vordergrund steht, dominieren bei Petrou die Streicher, wo Curtis zurückhaltend betont und Affekte den Sängern überlässt, phrasiert Petrou stärker, Affekte werden deutlicher ausgearbeitet, bereits in der Ouvertüre zeigt er einen viel stärker dramatischen Gestus, die ruhelosen und gehetzten Streicher ziehen den Zuhörer unmittelbar ins Geschehen, Pathos, Konflikte und Psychologie werden plastisch herausgearbeitet, auch harsche Klänge scheut der Dirigent nicht. Die Ausdrucksvielfalt und -intensität wird erhöht, das erste Duett „Il fuggir, cara mia vita“ gewinnt bspw. eine ganz andere Dimension: wo die Curtis-Aufnahme lediglich Beklommenheit darstellt, hört man nun Aufregung und Angst. Petrou gelingt in der Neuaufnahme ein doppeltes orchestrales Kunststück: Die Figuren werden menschlicher, die Affekte unmittelbarer, trotz eingeschränkter instrumentaler Vielfalt, langweilt man sich nicht beim Zuhören; der Dirigent schafft dies ohne übertriebene Temposteigerung – abgesehen von individuellen Schwankungen, sind Curtis und Petrou in dieser Hinsicht nicht weit auseinander. Auch sängerisch hat Decca die Nase vorn. Curtis konnte bei der Aufnahme im Jahr 2000 vor allem mit zwei Stimmen überzeugen: Vivica Genaux als Arminio und Geraldine McGreevy als Tusnelda hört man auch heute noch gerne zu.

Die Neuproduktion ist ausgeglichener, für jede Rolle hat man eine individuelle, unverwechselbare Stimme. Man setzt auch wie zu erwarten auf Countertenöre, Curtis hatte noch zwei Sängerinnen für die großen Kastratenrollen Arminio und Sigismondo engagiert. Die Hauptrolle des Arminio übernimmt Max E. Cencic. Eine Rolle, die 1737 für den Altkastraten Domenico Annibali geschaffen wurde und die mit ihren stimmlichen Herausforderungen bei Cencic in besten Händen ist. Die Arien sind von Händel in nobler Haltung komponiert, der germanische Held befindet sich die meiste Zeit in römischer Gefangenschaft, Cencic vermittelt vorbildlich plastisch Aufbegehren, Seelengröße und Todesbereitschaft, man höre sich bspw. seine drei Arien des zweiten Akts „Duri lacci“, „Si, cadrò, ma sorgerà“ und „Vado a morir“ an. Als Arminios Ehefrau Tusnelda lässt die schöne Stimme der kanadischen Sopranistin Layla Claire aufhorchen, sie meistert bravourös die Herausforderung, mehrere Moll-Arien ausdrucksstark gefühlvoll zu singen, „Rendimi il dolce sposo“ am Ende des zweiten Akts ist einer der Höhepunkte der Neueinspielung. Ideal besetzt hat man auch die Rolle des Sigismondo, die von Händel für den Soprankastraten Gizziello komponiert wurde. Mit Vince Yi hat man eine faszinierende Stimme gewählt, die man mit einem weiblichen Sopran verwechseln kann. Yi singt im zweiten Akt die effektvollste Bravourarie der Produktion „Quella fiamma“, die auch als seltene Ausnahme dieser Händel Oper ein virtuoses Solo-Instrument (eine Oboe) fordert. Für Sigismondos Partnerin Ramise hat man mit der warmen Stimme der Mezzosopranistin Ruxandra Donose eine sehr gute Wahl getroffen. Die kleineren Rollen sind auffällig besetzt, dass Bassist Petros Magoulas als Segeste nur eine Arie hat, ist fast schon Verschwendung, ebenso Juan Sancho, der als römischer General Varo im dritten Akt mit „Mira il ciel“ eine der auffälligsten, mit zwei Hörnern, Oboe und Fagott besetzte Arie hat und mit energiegeladenem Tenor überzeugt. Der dritte Countertenor im Bunde ist kein Unbekannter: Xavier Sabata hat nur zwei Arien, die er gewohnt stimmschön und sicher präsentiert. Zusammengefasst: eine lebendige, spannende und empfehlenswerte Neueinspielung mit Referenzstatus. (2 CDs, ca. 150 Minuten, DECCA 478 8764) Marcus Budwitius

Viele unvergessliche Stunden

 

Dem Nachruf der Salzburger Festspiele auf den Tod des bedeutenden Dirigenten Nikolaus Harnoncourt im Alter von 86 Jahren am 5. März 2016 schließen wir uns an und bedauern einmal mehr den Fortgang eines so großen Musikers, operalounge.de: Als vergangenen Sommer Beethovens Missa solemnis unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt am Pult seines Concentus Musicus Wien erklang, war in keinster Weise abzusehen, dass sich damit für die Salzburger Festspiele ein Kreis schließen sollte, der 1992 mit der Aufführung ebenjenes Werkes begonnen hatte: dem Debüt von Nikolaus Harnoncourt bei den Salzburger Festspielen, damals mit dem Chamber Orchestra of Europe. Damals wie heute kompromisslos, aufrüttelnd, überwältigend. Die Nachricht von seinem Tod löst in der ganzen Musikwelt große Betroffenheit aus und auch uns bleibt nur, mit größter Dankbarkeit all jener Sternstunden zu gedenken, mit denen er knapp ein Vierteljahrhundert lang unseren Festspielen wahrhaft Unerhörtes geschenkt hat.

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Christian Jungwirth/ Salzburger festspiele

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Christian Jungwirth/ Salzburger Festspiele

Karriere in Salzburg machte Harnoncourt zuerst auf der anderen Salzachseite. Von 1972 an unterrichtete er Aufführungspraxis und historische Instrumentenkunde als Professor am Salzburger Mozarteum. Der Mozartwoche ist sein erster Auftritt als Dirigent in Österreich zu verdanken, 1980 am Pult des Concertgebouw Orchesters Amsterdam. Auch für sein Debüt mit den Wiener Philharmonikern sorgte die Stiftung Mozarteum. Denn zu seinen Lebzeiten wollte Herbert von Karajan ihn nicht bei den Festspielen sehen. Karajan und Harnoncourt das waren zwei musikalische Welten. Eines hatten sie allerdings gemeinsam. Beiden ging es um die Wahrheit in der Musik, beide waren lebenslang Suchende, aber diese Suche gestaltete sich bei beiden radikal anders.

1992 war es dann endlich soweit, Nikolaus Harnoncourt stand erstmals am Podium der Salzburger Festspiele. Seither folgten Sternstunden in Konzert – darunter ein eigener Beethoven-Zyklus – und unvergessliche Opernproduktionen wie L’incoronazione di Poppea, zweimal Mozarts Le nozze di Figaro sowie Don Giovanni und La clemenza di Tito. Dabei gelang ihm immer wieder in scheinbar Bekanntem unbekannte Momente aufleben zu lassen, scheinbar Vertrautes völlig neu erleben zu lassen und seine Zuhörer zu einer Entdeckungsgemeinschaft zusammenzufügen.

„Die Eröffnungspremiere mit Monteverdis L’incoronazione di Poppea gestaltete sich zu einem persönlichen Triumph des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt“, schrieb Gerhard Rohde am 26. Juli 1993 in der FAZ.

Persönliche Triumphe hatte Harnoncourt viele. Aber trotzdem passte dieser Begriff nicht zu ihm. Um den persönlichen Triumph ging es ihm nie. Um die Kunst ging es ihm, um die Wahrheit. Das hat Nikolaus Harnoncourt so mitreißend, so einzigartig gemacht. „Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt – erzählt – erschüttert – beglückt…Die Schönheit in der Kunst schließt das Gegensätzliche ein und heißt Wahrheit und kann beklemmend sein“, postulierte Harnoncourt in seiner Rede zur Festspieleröffnung 1995. Eine bemerkenswerte Rede, in der er auch nicht davor zurückschreckte unangenehme Wahrheiten auszusprechen und die Verantwortung des Künstlers und des Publikums einmahnte.

Helga Rabl-Stadler und Sven-Eric Bechtolf, Direktorium der Salzburger Festspiele: „Nikolaus Harnoncourt der Fackelträger wird uns fehlen, fehlt uns heute schon. Unser Mitgefühl gilt in dieser dunklen Stunde seiner Familie vor allem seiner Frau Alice. Sie war sein Lebensmensch, seine unersetzliche private und berufliche Partnerin. Beethovens  Neunte Symphonie, die er am 25. Juli bei den Festspielen dirigieren hätte sollen, sei ihm gewidmet. Die schwarze Flagge weht auf unserem Haus, in dem er uns so viele unvergessliche Stunden bereitet hat.“

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Festival Styriarte/ Binder/ Salzburger festspiele

Nikolaus Harnoncourt/ Foto Festival Styriarte/ Binder/ Salzburger Festspiele

Nikolaus Harnoncourt, 1929 in Berlin geboren, wuchs in Graz auf und studierte Violoncello bei Paul Grümmer und Emanuel Brabec in Wien. Von 1952 bis 1969 war er Mitglied der Wiener Symphoniker, gründete aber parallel dazu im Jahr 1953 den Concentus Musicus Wien, der die Neubewertung der Aufführungspraxis von Musik aus Renaissance, Barock und Klassik maßgeblich mitbestimmte. Zunächst leitete Nikolaus Harnoncourt sein Ensemble zumeist vom Cellopult aus; seit 1970 aber verlagerte er seine Arbeit zunehmend auf die klassische Dirigententätigkeit und nahm Engagements bei anderen Orchestern an. Seine erste Operneinstudierung, Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria, entstand 1971 im Theater an der Wien; seine Verbindung mit dem Zürcher Opernhaus begann ebenfalls in den siebziger Jahren mit einem Monteverdi- und einem Mozart-Zyklus.

Zu den zahlreichen Häusern und Festivals, an dener er als Operndirigent tätig ist, gehören u. a. die Wiener Staatsoper, die Nederlandse Opera Amsterdam und die Salzburger Festspielen, wo er im Sommer 2012 eine neue Zauberflöteherausbrachte.
Im Konzertsaal war er regelmäßiger Gast des Königlichen Concertgebouworkest, des Chamber Orchestra of Europe sowie der Wiener und der Berliner Philharmoniker. Eine enge Partnerschaft besteht mit der styriarte in Graz, die 1985 eigens für ihn gegründet wurde.
Als Autor und Pädagoge vermittelt er seine Erkenntnisse an ein breites Publikum und die nachfolgenden Generationen. Die Diskografie von Nikolaus Harnoncourt beinhaltet nahezu 500 vielfach preisgekrönte Einspielungen.
Für seine Verdienste um das Musikleben wurde er u. a. mit dem Siemens-Musikpreis (2002) und dem Kyoto-Preis (2005) gewürdigt. Er ist Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde, der Konzerthausgesellschaft in Wien sowie der Musikuniversitäten Graz und Wien, außerdem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Edinburgh, der Salzburger Universität Mozarteum und der Hochschule für Musik Köln. (Quelle: Salzburger Festspiele, Pressestelle, Foto oben Marco Borggreve/ Salzburger Festspiele – mit Dank auch für die obigen)

Neue Transparenz

 

Im so umfangreichen wie informativen Booklet zur Doppel-CD zu Bellinis Oper I Capuleti e i Montecchi bei Glossa, live aufgenommen 2014 in Rieti,  beklagt Dirigent Fabio Biondi, dass nicht auch für den romantischen Belcanto wie für das barocke und klassische (womit hier Verdi gemeint ist) Repertoire nach dem authentischen Klang, wie er zu den Ohren der Zeitgenossen gelangte, gesucht wird. Diesen strebt er mit seinem Orchester Europa Galante an, einen durchsichtigeren, kammermusikalischen Ton, wie er nicht zuletzt wegen der größeren Nähe zwischen Sängern und Orchester in den alten Opernhäusern selbstverständlich war. Hand in Hand damit ging eine genauere Beachtung der grafischen Zeichen in den Partituren, Feinheiten, denen man heutzutage nicht nur wegen des massiven Orchesterklangs, sondern auch wegen der Anforderungen, die moderne Regie an die Sänger stellt, nicht mehr gerecht werden kann. Konzertante Aufführungen wie die nicht nur in Rieti und eine originale Orchesterbesetzung sind der Ausweg aus dem Dilemma, den auch Biondi mit seinem Klangkörper gewählt hat.

Natürlich ist bei einem transparenteren Orchesterklang nicht mehr ein Mezzo-Romeo vom Kaliber einer Marilyn Horne vonnöten, aber die Wahl von Vivica Genaux ist dennoch keine glückliche, weil die Stimme zu sopranlastig und allzu leicht für die Hosenrolle ist,  sich damit wenig von der ihrer Giulietta abhebt. Sie klingt ausgesprochen weiblich, ja stellenweise kokett, zu dolce und auch allzu harmlos. Als positiv ist anzumerken, dass die Intervallsprünge gut gelingen, auch wenn dann die Tiefe zu wenig präsent ist, zumindest in den Cabaletten ein kämpferischer Ton angestrebt wird und das Legato sehr schön und ausgeprägt ist. Die Giulietta von Valentina Farcas beginnt mit einem feinen Schwellton, vermag mit ihrem Timbre Charakter und Situation der Rolle gut auszudrücken, ihre Hinfälligkeit ist auf glückliche Weise gepaart mit vokaler Grazie, so im „Ah, non poss’io partir“ oder im „respiro“. Gefährlich für den Romeo wird auch im gemeinsamen Duett der Tenor von Davide Giusti, schlank, dabei durchaus viril und seine Melodien zärtlich ausspinnend, so im „È serbata a questo acciaro“. Die Höhe ist sicher, wenn auch etwas weinerlich klingend. Dumpf klingt der Capellio von Ugo Guagliardo, sonor und markant, mit viel Autorität und Wärme in der Stimme tritt der Lorenzo von Fabrizio Beggi auf. Der Belcanto Chorus unter Martino Faggiani trägt seinen Namen zu Recht (GCD 923404). Ingrid Wanja    

Operette in Wien 1938 bis 1944

 

Im Kunsthistorischen Museum in Wien gab es 2011 eine maßstabsetzende Ausstellung: Die Welt der Operette, mit vielen Exponaten und vielen, vielen klugen Texten, die in einen umfangreichen Ausstellungskatalog einflossen. Der Wiener Musikwissenschaftler und Operettenfachmann Hans-Dieter Roser ist Lesern von operalounge.de kein Unbekannter, hat er doch den köstlichen Artikel zu Weinberln und Zibeben eingebracht, der sich mit der Wiener Operette der Strauß-Zeit beschäftigt. Nun jedoch hat uns Hans-Dieter Roser in seiner Freundlichkeit einen weiteren Artikel überlassen, der sich mit der Wiener Operette während der Nazi-Zeit beschäftigt und der Teil des Katalogs eben für die Wiener Operetten-Ausstellung war. Kevin Clarke von ORCA, der selbst die Wiener Ausstellung mitgestaltete, hatte diesen Beitrag zur Rezeption der Operette in Wien während des Anschlusses Österreichs bereits auf seiner ORCA-website publiziert. Wie danken beiden Herren für ihre Freundlichkeit (Ein Wort zu den Fußnoten findet sich am Ende.). G. H. 

 

Operette: Postcard with a scene from “Gruß und Kuss aus der Wachau,” music by Jara Benesch.

Operette: Postcard with a scene from “Gruß und Kuss aus der Wachau,” music by Jara Benesc/ORCA.

Nun also der Text zur Operette in Wien 1938 – 1944: Am 12. März 1938 nachmittags hatten sich in der Wohnung des Dramaturgen und Regisseurs Kurt Hellmer in Naschmarktnähe ein paar Leute versammelt. Darunter seine Eltern, der erfolgreiche Theaterdirektor Arthur Hellmer, der nach seiner Flucht aus Deutschland seit 1. September 1936 das Theater an der Wien leitete, mit seiner Frau und ein paar Eleven des Theaters, mit denen sich der Sohn angefreundet hatte. Auch der junge Schauspieler Rolf Kutschera gehörte dazu. Durch das offene Fenster hörte man den Lärm von der nahen Mariahilferstraße, wo die Menschen den einziehenden deutschen Soldaten euphorisch zujubelten. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hatte begonnen. Die Hellmers waren Juden und deshalb verständlicherweise aufgeregt. In der Runde befand sich auch der geschätzte musikalische Leiter des Theaters an der Wien, Anton Paulik. Kommentarlos hörte er den erregten Dialogen der existenzbedrohten Menschen zu, die ihn nicht zu betreffen schienen. [1]

Operette: Esther Réthy, Star der Wiener Vorkriegszeit/ kulturpool.at

Operette: Esther Réthy, Star der Wiener Vorkriegszeit/ kulturpool.at

Der Jubel von der Mariahilferstraße läutete das Ende der Operettenhochburg Theater an der Wien ein. Man spielte noch ein paarmal den erst am 8. Februar herausgekommenen „musikalischen Kriminalroman“ Dixie von Karl Farkas und Adolf Schütz nach einer Idee von Guido Freud mit der Musik von Michael Krasznay-Krausz. Nur noch kurz erfreute sich das Publikum an den Hauptdarstellern Lizzie Waldmüller, Oscar Karlweis, Paul Morgan, Emil Stöhr, Manfred Inger, usw. Denn am 17. März wurde das Theater an der Wien als musikalisches Unterhaltungstheater geschlossen, nachdem Bühnenarbeiter ihren Direktor vor dem Bühneneingang in der Lehárgasse auf Anweisung eines Arbeiters in SA-Uniform mit einer Zahnbürste ihre Schuhe reinigen ließen, wie der darüber tief beschämte Eleve Kutschera ohnmächtig mit ansehen musste; ein Eingreifen wäre für ihn lebensgefährlich gewesen. Arthur Hellmer konnte sich nach England absetzen und überlebte – im Unterschied zu seinem Direktionskollegen Dr. Rudolf Beer von der „Scala“, dem ehemaligen Johann-Strauß-Theater in der nahen Favoritenstraße. Nach dem Krieg kehrte Hellmer aus dem Exil zurück und wurde Intendant des Hamburger Schauspielhauses. Die Stadt Frankfurt entschädigte ihn für seine Vertreibung aus seinem dortigen Theater, dem Neuen Theater, das er 1911 mit begründet und bis 1936 geleitet hatte.

Operette: Katalog zur Wiener Ausstellung 2011

Operette: Katalog zur Wiener Ausstellung 2011/Amazon

Am Theater an der Wien gastierten in den folgenden Wochen noch die Löwingerbühne und eine Gruppe von Eleven und Jungschauspielern (darunter Josef Meinrad) mit dem Schauspiel Gymnasiasten von Walter Hans Boese. Das in seiner Anlage völlig anders gedachte Stück war vom Autor im Hinblick auf eine Aufführungsgenehmigung durch den von den neuen Machthabern eingesetzten kommissarischen Leiter des Theaters an der Wien, dem ehemaligen Chorsänger Georg Ringhofer, auf die neue politische Situation umgeschrieben worden. Das Stück hatte vorher, wie auch seine Interpreten, nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. Die Tarnung gelang perfekt, weil man auch noch Vizekanzler Edmund Glaise-Horstenau und Vize-Gauleiter Minister Hubert Klausner für den Ehrenschutz gewinnen konnte; die Einnahmen stellte man der Volksspende des Wiener Gauleiters Bürckel zur Verfügung.

Am 31. Mai 1938 war dann endgültig Schluss an der Wienzeile. Die Stadt Wien kaufte das Theater zwar noch den privaten Eigentümern Marischka-Karczag ab, hatte aber offensichtlich kein Interesse an einer Wiederbelebung. Erst in der Nachkriegszeit wurde das Haus als Ausweichquartier für die bombardierte Wiener Staatsoper zu neuem Leben erweckt und aus unerfindlichen Gründen noch einmal den alten Eigentümern abgekauft. Da auch das Carl-Theater in der Praterstraße seit 1929 geschlossen war, hatte die Stadt Wien nun zwei wichtige und traditionsreiche Operettenzentren verloren.

 

Der Dirigent Anton Paulik/ Comérdie Musical

Operette in Wien 1938 – 1944/ der Dirigent Anton Paulik/ Comédie Musical

Schluss mit Shimmy! Warum sich Anton Paulik (1901-1975) an jenem bewussten Nachmittag so unbetroffen gezeigt hatte, sollte Eleve Kutschera während der Gymnasiasten-Zeit von seinem kommissarischen Direktor, der das Stück inszenierte, erfahren: Paulik habe bereits vor dem Anschluss illegal der Partei angehört. Das war etwas fahrlässig und politisch nicht korrekt formuliert. Denn Paulik hatte als gebürtiger Karpatendeutscher dem Sudetendeutschen Heimatbund angehört, wie er auch in einem Fragebogen korrekt vermerkte.[2] Der SDHB war eine in Deutschland und Österreich wirkende, vorwiegend aus Sudetendeutschen bestehende überparteiliche Interessengemeinschaft, die in der Tschechoslowakei verboten war und die für die Sudetenländer das Selbstbestimmungsrecht forderte, wie es Präsident Wilson 1919 proklamiert hatte. Die Tschechen verweigerten dieses Recht den Karpaten- und Sudetendeutschen, mit deren Partei sich schließlich 1935 die 1929 gegründete Karpatendeutsche Partei, die vorher eher nach Deutsch-Österreich orientiert war, aus wahlarithmetischen Gründen zusammenschloss und deren gesamtdeutsche Orientierung übernahm.

Bruno Granichsteadten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Operette: Bruno Granichstädten mit seiner Frau Rosalie/HafG

Da offensichtlich nicht nur Direktor Ringhofer „Heimatbund“ mit „illegalen Nazis“ gleichsetzte, erklärt sich auch, warum der hochbegabte Dirigent Paulik, der an der Wien seit 1921 die synkopierten Jazz-Partituren jüdischer Komponisten wie Kálmán, Oscar Straus, Granichstädten und Ábrahám zum Erfolg geführt hatte und dafür von der Presse einhellig in den höchsten Tönen gelobt wurde, dennoch schnell mit den höheren Weihen eines Staatstheater-Engagements belohnt wurde und bereits am 17. Mai 1938 an der Staatsoper einen Ballettabend mit der Kröller-Choreographie von Bacchusfest (auf die Musik von Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus), Les petits riens und Coppelia dirigieren durfte – zunächst noch als Gast. Er habe sich mit den Philharmonikernsehr gut verstanden“, war zu lesen [3]. Was einen Spezialisten für jazzige Balletteinlagen, der von unten das Tempo vorgab, allerdings zu einem Dirigenten klassischer Ballette prädestinierte, der sich den Tempowünschen der Tänzer anpassen musste, vermochte nur die Partei zu sagen. Es war einfach so, wie der österreichische Historiker Oliver Rathkolb konstatierte, dass ein arger Partei-Protektionismus bei der Bestellung frei gewordener Positionen herrschte. Die Staatsoper hatte ihre jüdischen Dirigenten Bruno Walter, Karl Alwin und Felix von Weingartner verloren, brauchte also Ersatz. Schon für 9. Juni war Paulik für eine als Festvorstellung für den Kontinentalen Reklame-Kongress programmierte Fledermaus angesetzt, also einer historischen Form der Operette – statt wie bisher als kongenialer Leiter von zeitgenössischen Jazz- und Revuewerken. 55 Vorstellungen dieser Operette bis zur Theatersperre 1944 sollten es dann noch am Ring für ihn werden[4]. Es folgten Dirigate von ebenfalls „klassischen“ Operetten wie BoccaccioLand des LächelnsNacht in VenedigWiener Blut und Zigeunerbaron neben verschiedenen Opern. Die Operetten-Aufführungen machten Paulik endgültig zum unangefochtenen Operettenspezialisten, der er auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod in Wien bleiben sollte. Offensichtlich trat er nie offiziell der NSDAP bei und fiel auch durch keinerlei positive Kommentare zum Regime auf, das ihm aber Mitarbeiter zuführte, die er nach 1945 sofort wieder in seine Produktionen integrierte (z. B. das NSDAP-Mitglied Kattnig[5]). Auffällig auch seine Nachkriegsdistanz zu Werken jüdischer Komponisten, mit deren Operetten er einst seine Karriere begonnen hatte.

 

Operette: "Ännchen von Tharau"/ Sheetmusic/ Sammlung Schulz

Operette: „Ännchen von Tharau“/ Sheetmusic/ Sammlung Schulz

Die Stunde der Wienerlieder: Eine derartige öffentliche Zurückhaltung in nationalsozialistischen Belangen konnte der Operetten- und Wienerlieder-Komponist Heinrich Strecker (1893-1981) nicht für sich in Anspruch nehmen. Er war zwar schon vor 1938 mit einigen Wienerliedern und einer Operette sehr erfolgreich. Das Werk hieß Mädel aus Wien, eine „Wiener Operette“ – sicher als bewusster Kontrast zur Internationalität der Operette der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre so bezeichnet. Aber auch dabei war nicht ohne einen verstorbenen jüdischen Librettisten auszukommen: Robert Bodanzky [6], nach dem Joe Gribitz und Fritz Gerold das Buch schrieben. Und wegen Bodanzky als Autor sowie Napoleon und französischer Offiziere als Hauptfiguren des Stückes verschwand das durchaus erfolgreiche Werk bereits in der Nazizeit wieder von den Spielplänen. [7] Die Uraufführung hatte am 20. Jänner 1932 im Bürgertheater an der Vorderen Zollamtsstraße im 3. Bezirk stattgefunden.

Streckers Biographen bemühen sich krampfhaft, seine Hinwendung zum Nationalsozialismus zu vertuschen, indem sie alle seine politischen Aktivitäten vor dem Anschluss und danach [8], inklusive seiner „Jubelkompositionen“ wie “Deutsch-Österreich ist frei!” und “Wach auf, deutsche Wachau!” von 1938 schlichtweg nicht erwähnen. Sie erklären das Engagement Streckers für die NSDAP mit seinem Lebensweg: „Als ehemaliger Offizier der k. u. k. Armee, der … die Erniedrigungen, denen das besiegte Volk ausgesetzt war, nie vergessen konnte, glaubte er, dass der Anschluss für seine Heimat einen gute Sache sei.“ [9]

Operette in Wien 1938 - 1944: Heinrich Strecker/ Orca

Operette in Wien 1938 – 1944: Heinrich Strecker/ Orca

Auf Grund seiner frühen politischen Einstellung scheint die Wiener Operettenszene vor dem Anschluss zu ihm auf Distanz gegangen zu sein, denn seine bekanntesten Operetten, Ännchen von Tharau (1933) und Der ewige Walzer (1937) wurden im Deutschen Reich uraufgeführt und auch viel gespielt. Erst im Juni 1938, bei der ersten Reichs-Theaterfestwoche in Wien nach dem Anschluss, wo an der Staatsoper am 18. Juni eine Neuinszenierung des Zigeunerbaron durch Alfred Jerger unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm Premiere hatte, der allerdings schon bei der zweiten Vorstellung die Produktion an Anton Paulik abgab, also nur „Zugpferd“ zum Auftakt der Woche war, kam Strecker wieder zu Wiener Aufführungsehren. Die Volksoper, die sich schon vorher teilweise der Operette verschrieben hatte, musste ebenso einen festlichen Beitrag leisten, um die Heimkehr der Ostmark ins Reich zu feiern: Man brachte bereits vorweg am 18. Mai Streckers Ewigen Walzer in einer Inszenierung von Otto Langer unter der musikalischen Leitung von Franz Schönbaumsfeld heraus[10], für die der ebenfalls längst den Nationalsozialisten nahestehende Architekt Kurt Richter das Bühnenbild geschaffen hatte, der nach dem Krieg nur mehr als Bühnenbildner des Salzburger Marionettentheaters Fuß fassen konnte. Nach 100 Aufführungen übersiedelte die Produktion ins Stadttheater in der Skodagasse im 8. Bezirk, einer der ehemaligen Marischka-Bühnen, auf denen die großen, nach amerikanischem Vorbild geschaffenen Benatzky-Farkas-Grünbaum-Revuen in den Zwanzigerjahren Triumphe gefeiert und später das jazzige Weiße Rössl seine Wiener Erstaufführung erlebt hatte.

"Operette": Reichte bis in die Nachkriegszeit hinüber: "Der ewige Walzer" als Film/ Sammlung Schulz

„Operette“: Reichte bis in die Nachkriegszeit hinüber: „Der ewige Walzer“ als Film/ Sammlung Schulz

Der ewige Walzer bot wie Schwarzwaldmädel von Leon Jessel, das Hitler gern laut Schirachs Kulturreferent Thomas als seine Lieblingsoperette – noch vor der Lustigen Witwe im Ranking – gewählt hätte, wenn nicht der Komponist getaufter Jude gewesen wäre, alles das, was die Nationalsozialisten als Ideal ihrer Operettendramaturgie bestimmt hatten: Innigkeit, Sauberkeit, Heimatverbundenheit. Alles Parameter, die die Operette der Dreißigerjahre auf Ihrem Weg zu einem europäischen Musical zurück auf das biedere deutsche Singspiel fallen ließen, als dessen Inbegriff Ännchen von Tharau gelten konnte – so wie Der ewige Walzer als blasse Wiedergeburt der klassischen Wiener Operette.

 

Wohin mit der Operette in Wien? Der Blick war definitiv rückwärtsgewandt: Die sogenannte „klassische Wiener Operette“ war das dramaturgische und musikalische Operettenziel der Nazis, Stücke aus dem 19. Jahrhundert bzw. solche, die mit einer entsprechenden Aura umgeben waren, also auch zeitgenössische Werke, die diesem Retro-Ideal nacheiferten. Die reichsdeutschen theatralischen „Denker“ Schlösser[11], Ziegler[12] – und wie auch immer sie hießen -, sprangen da raffiniert auf den Zug auf, den die nicht nationalsozialistischen jungen Theatermacher in Gang gesetzt hatten. Der Regisseur und Theaterleiter Oscar Fritz Schuh [13] artikulierte diese Tendenz in seinen Memoiren ganz unverblümt: „Einig waren sich die Regisseure der sogenannten seriösen Kunstgattungen, daß nicht klassische Operetten abgeschafft werden müßten. Wir haßten ‚Gräfin Mariza‘ und die ‚Czárdás-Fürstin‘ (sic!) und taten alles, was in unserer Macht stand, leichte Musen dieser Art nicht zu fördern. Es gelang uns nicht. Es ist bis heute nicht gelungen.“ [14] Wobei offensichtlich die beiden Kálmán-Werke (1924, bzw. 1915) hier als Synonym für die Operette der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre stehen.

Die Volksoper – ursprünglich als Sprechbühne konzipiert – hatte bereits unter der Direktion Rainer Simons, der ab September 1904 die allmähliche Hinwendung zu einer Musikbühne vollzog, als Ausweichquartier mit Gastspielen des Theaters an der Wien 1905 der Operette Tür und Tor geöffnet, bevor man am 25. Jänner 1907 mit der Fledermaus, dirigiert von Alexander von Zemlinsky, die erste eigenständige Operettenproduktion des Hauses auf die Beine stellte. Während der wirtschaftlichen Zwangslage in der Ersten Republik waren die Operetten die finanzielle Rettung des Hauses, so dass man unter der Direktion Gruder-Guntram 1925 sogar eine Fusionierung des Carltheaters mit der Volksoper erwog [15]. Das Carltheater wurde geschlossen – die Volksoper überlebte. So passierte es, dass den deutschen Truppen unter dem damaligen Direktor Jean Ernest als Pächter des Theatervereins Volksoper Wien Gruß und Kuss aus der Wachau von Jara Benesch am 12. März 1938 entboten wurden, eine Revue-Operette, die der Führer angeblich so gar nicht schätzte, mit Autoren (Hugo Wiener und Fritz Löhner-Beda) und Interpreten (Bühnenbildner Karl Josefovics und Cissy Kraner), die nicht seinen Rasse-Vorstellungen entsprachen.

Operette: Friedl Czepa, Publikumsliebling der Wiener Jahre 1938 - 1944

Operette: Friedl Czepa, Publikumsliebling der Wiener Jahre 1938 – 1944/ORCA

Die Stadt Wien übernahm schnellstens die Volksoper als Eigentümerin, installierte den vom Deutschen Opernhaus Berlin flugs herbei geeilten Kammersänger Anton Baumann als parteitreuen Intendant und änderte das gesamte Leitungsteam. Baumann war ein Sohn des gleichnamigen Gastwirts, Landtagsabgeordneten, Bezirksvorstehers des 18. Bezirks und ersten Präsidenten des bereits erwähnten Stadttheatervereins. 1941 verstarb Kammersänger Baumann unerwartet. Als seinen Nachfolger für das wohlbestellt hinterlassene Institut setzte Reichsstatthalter Baldur von Schirach den Kulturamtsleiter der Stadt Wien, Oskar Jölli ein, ebenfalls ein Gastwirts- und Fleischersohn aus der Steiermark und ein überzeugter Nazi. [16] Jölli hatte eine Karriere als Konzertsänger hinter sich und war nach dem Anschluss aus Berlin, wo er beim deutschen Rundfunksender schon die Nähe der Nationalsozialisten gesucht hatte, nach Wien zurückgekommen und über eine Tätigkeit beim Reichssender Wien ins Rathaus übersiedelt. Zu Kriegsende schied er durch Selbstmord aus dem Leben.

Hatte das Haus am Währingergürtel nach ausführlicher Renovierung unter Baumann bis Dezember 1941 noch „Städtische Wiener Volksoper“ geheißen, wurde es nun unter Jölli in „Opernhaus der Stadt Wien“ umbenannt. Und Schluss war natürlich mit der frivolen Operette! Man spielte, wenn überhaupt, das, was die Nazis unter „klassischer Wiener Operette“ verstanden neben Oper und Spieloper, auf denen der Hauptakzent lag. Nach Streckers „Belohnung“ mit der Erstaufführung des Ewigen Walzers brachte Baumann als erste Operetten-Neuinszenierung Silvester 1938 Heubergers Opernball heraus.

Operette: "Der Vogelhändler" von Carl zeller/ Sammlung Schulz

Operette: „Der Vogelhändler“ von Carl zeller/ Sammlung Schulz

Im Produktionsteam [17] finden sich zwei politisch saubere Namen, die auch nach dem Krieg noch bestimmend im Wiener Theaterleben sein sollten: Fritz Klingenbeck, der gemeinsam mit Erich Rauch die von Henry Thiel dirigierte Aufführung inszenierte und nach der Rettung des Theaters an der Wien vor der drohenden Umwandlung in eine Großgarage 1962 dessen erster Direktor wurde, und der Bühnenbildner und Reinhardt-Enthusiast Walter von Hoesslin, nach dem Krieg Ausstattungsleiter der Wiener Volksoper, an der er eine vielgepriesene Operettenrenaissance einleiten sollte, wovon später zu berichten sein wird. Ob die Aufführung allerdings so ganz den Vorgaben der braunen Denker entsprochen hat, darf man bezweifeln, wenn man liest, dass der 2. Akt mit Hilfe der Drehbühne zu einer „großen, prächtigen Revue“ [18] wurde, in der „scharmante (sic!) langbeinige Cancanetten … die prunkvolle Freitreppe hinauf und herab“ tanzen, „ein schicker Tenor … sein rosiges Putzerl mit einem anachronistischen Song“ anschmachtet, „eine Orgelpfeife steppender Kellner … Knockaboutspäße“ treibt und „überall, in den Foyers und Korridoren, … phantasievolle Masken ihr regiemäßig organisiertes heiteres Unwesen“ [19] treiben. Der verpönte Revueoperetten-Regisseur Erik Charell und sein verbotenes Weißes Rössl ließen thematisch grüßen! Und das Musical Hello, Dolly! mit seinem Kellner-Galopp lugte auch schon um die Ecke! Baumann frönte einfach formal dem entsexualisierten Berliner Revue-Stil, der schon vor dem Anschluss das Wiener Unterhaltungstheater infiziert hatte. So wie es auch der Operettenregisseur Fritz Fischer in München tat, dessen Revueversion der Lustigen Witwe mit Johannes Heesters unter Peter Kreuders musikalischer Leitung sogar den Führer entzückte.

Am 8. März 1940 erfuhr dann Die Fledermaus, ein viel gespieltes Repertoirestück der Volksoper seit 1907 und von den Nazis als „Krönung der Operette“ betrachtet, eine umjubelte Neuinszenierung. Der Musikchef des Hauses, Dr. Robert Kolisko dirigierte, Alois Hofmann und Fritz Klingenbeck hatten in einem Bühnenbild von Hoesslin (Kostüme: Erni Kniepert) Regie geführt (Choreographie: Dia Luca). Natürlich kam wieder die in ihrer ästhetischen Wirkung noch unverbrauchte neue Drehbühne zum Einsatz, besonders im 2. Akt, wo die Gäste des Prinzen Orlofsky aus dem Zuschauerraum kamen – ebenso wie Frosch (Ernst Tautenhayn) im 3. Akt, der bei seinem Gang auf die Bühne vor der Loge des Direktors zur Freude des Publikums knickste. Aus Rezensionen ist noch das „Klima“ der Aufführung zu erahnen, die in den Dialogen modernisiert worden war: „Während Rentier Eisenstein (Alfred Hügert) mit seinem Notar Falke (Georg Oeggl) Arm in Arm über die Bühne tänzeln, … löst der Ausspruch Eisensteins ‚Kraft durch Schönheit‘ donnernde Salven der Heiterkeit aus … Wenn im zweiten Akt Eisenstein und Frank (Alois Pernerstorfer) [20] streiten, ob sie zusammenpassen wie Zarah und Leander oder Robinson und Caruso, dann merkt man, dass hier der Text nicht alt sein kann.“ [21] „Die Fledermaus ist ein einmal geglücktes Kristallisationsprodukt aus überschäumendem, herzwarmem Humor, blühenden Melodien Grundkräften und blitzenden, geschliffenen Rhythmen. Die Wiedergabe der Volksoper ruhte auf diesen drei.“ [22] In dieser Aufführung trafen zum ersten Mal drei Namen zusammen, die nach dem Krieg den Operettenstil der Volksoper entscheidend bestimmen sollten: Dia Luca, Hoesslin und Kniepert. Auch das spätere Ehepaar Emmi (dann: Emmy) Funk als Konzertsängerin und in Rundfunkproduktionen, Alois Pernerstorfer an der Wiener Staatsoper.

Operette: "Schwarzwaldmädel" von Léon Jessel (der auf dem Wilmersdorfer Friedhof begraben liegt)/ Sammlung Schulz

Operette: „Schwarzwaldmädel“ von Léon Jessel (der auf dem Wilmersdorfer Friedhof begraben liegt)/ Sammlung Schulz

Direktor Jölli brachte nur eine Neuinszenierung einer Operette heraus, und zwar am 30. Jänner 1942 Zellers Vogelhändler. Textlich wurde das Stück vom Regisseur Dr. Alfred Walter stark bearbeitet und musikalisch von Parteimitglied Rudolf Kattnig (1895-1955) eingerichtet und mit eigenen Kompositionen – z. B. einem Mondscheinballett – ergänzt.[23] Kattnig war der Volksoper als Gast verbunden. Die Anregung für die Bearbeitung lieferte eine Münchner Fassung des Werkes von 1933 durch die Herren Quedenfeldt, Brügmann und Bauckner. Zum Unterschied zu München spielte der Wiener Vogelhändler in Tirol[24], aus der Kurfürstin wurde eine Erzherzogin, zu der Walter den Erzherzog erfand, den es als Kurfürst bei den jüdischen Originallibrettisten noch nicht gibt, machte das Prodekan-Duett zu einem Duett zwischen Christl und Adam[25] und ließ Adam in einem Prolog das Publikum begrüßen. Die durchaus vorhandene Frivolität des Originals wurde auf ein Minimum reduziert, bzw. mit Nostalgie überspielt. Denn auf „gerade deutsche Charakterbildung“ [26] wurde Wert gelegt. Zwei Jahre davor hatte sich auch die UFA des Vogelhändler-Stoffes unter dem Titel Rosen in Tirol mit Johannes Heesters und Marte Harell unter der Regie von Géza von Bolváry angenommen – auf Basis eines ebenfalls total umgeschriebenen Drehbuchs.

Dr. Alfred Walter und Rudolf Kattnig sollte man nach dem Krieg bei Operettenproduktionen noch öfters begegnen. So inszenierte Dr. Walter die Uraufführung von Peter Kreuders Madame Scandaleuse mit UFA-Star Zarah Leander 1958 am Raimundtheater Wien (Kreuder war kurzfristig Parteimitglied und hat sich sehr vom braunen Regime benutzen lassen). Rudolf Kattnig wurde von Anton Paulik immer wieder zu musikalischen Einrichtungen von Operetten an der Volksoper herangezogen und schließlich als bedeutender österreichischer Musiker offiziell durch die Verleihung des Professorentitels, des Ehrenringes der Stadt Villach (1955) und der Benennung einer Straße in Klagenfurt geehrt. Für ihn hatte sich bereits in der Ersten Republik (Schreiben vom 18.11.1935) der Dirigent Leopold Reichwein, glühendes NSDAP-Mitglied seit 1932, eingesetzt. Er, der nach dem Anschluss mit einem Fest-Engagement an der Wiener Staatsoper und der Leitung der Dirigentenklasse an der Wiener Musikakademie belohnt wurde, bat den Hilfsbund der Deutsch-Österreicher in München, für sein Münchner Konzert mit einer Uraufführung Kattnigs, „eines hochbegabten österr. Nationalsozialisten“, Reklame zu machen.[27] Ein Rätsel bleibt, warum es zwischen 1938 und 1944 in Wien zu keiner Aufführung von Kattnigs Hauptwerk Balkanliebe (1937 in Leipzig uraufgeführt) kam.

 

Operette: Arthur Seyß-Inquart standing next to Adolf Hitler in Vienna, 1938. (Photo: Bundesarchiv Bild 119-5243)/ ORCA

Operette: Arthur Seyß-Inquart standing next to Adolf Hitler in Vienna, 1938. (Photo: Bundesarchiv Bild 119-5243)/ ORCA

Ist ein Opernhaus ein idealer Platz für Operette? Betrachtet man das eingeschränkte Operettenrepertoire der Volksoper von 1938 – 1944, wird einem klar, dass damit das Publikum nicht zufrieden sein konnte, denn noch immer hatten Operetten in dieser bitteren Zeit eine große Zugkraft: „Wer eine deutsche Operette geschmackvoll und musikalisch sorgfältig zu inszenieren versteht, der trägt wie jedes Komödientheater zur Unterhaltung und Aufheiterung oft gerade derjenigen breiten Kreise des Volkes bei, die im eigenen schweren Lebens­kampf der heiteren und ausgelassenen Muse besonders herzlichen Dank wissen“, meinte dazu Hans Severus Ziegler [28].

Da konnte auch die Staatsoper mit bescheidenem Zugriff auf das politisch mögliche Repertoire nicht aushelfen. Die Operettenproduktionen des Hauses am Ring durften außerdem bis 1938 nicht gerade als große Erfolge verbucht werden, denkt man nur an die Uraufführung von Lehárs Giuditta im Jahre 1934, auch wenn dieses Stück mit Richard Tauber noch fünf Tage vor dem Anschluss, am 7. März 1938, auf dem Spielplan stand.[29] Wie sehr man nach Operette in Wien nach dem Anschluss „gierte“, zeigt allein schon die Tatsache, dass am Ring zwischen 13. März und 31. Dezember 1938 die alte Inszenierung der Fledermaus von 1894 im historischen Brioschi-Bühnenbild 38mal gespielt wurde, wogegen diese Produktion zwischen 1. Jänner 1932 bis 12. März 1938 nur 34mal zu sehen war.[30] Die Inszenierung war erst am 31. Dezember 1937 von Alfred Jerger aufgefrischt, von zu vielen Späßen „gereinigt“ und im zweiten Akt mit Drehbühne modernisiert worden. Josef Krips hatte diese Silvester-Aufführung dirigiert – dann noch dreimal, bevor Anton Paulik bis zur Theatersperre 1944 übernahm, da sich die Wiener Opernwelt eben durch die „Verabschiedung“ von 92 Mitgliedern [31] gründlich verändert hatte.

Der Operettenspielplan der Staatsoper wurde – wie schon erwähnt – noch im Juni 1938 mit dem Zigeunerbaron des in der Zwischenzeit klammheimlich arisierten [32] Johann Strauß Sohn erweitert, ein wegen seiner Kriegsthematik und angeblichen Opernnähe damals sehr geschätztes Stück. Denn Giuditta konnte man ohne gefeierte Hauptdarsteller, die schon auf der Flucht waren, nicht weiterspielen. Nach der geglückten Fledermaus-Restaurierung war wieder Alfred Jerger für die Inszenierung verantwortlich, für die Robert Kautsky das Bühnenbild (unter heftigem Drehbühneneinsatz) und Alfred Kunz die Kostüme entworfen hatten. Wie schmerzlich der sängerische Aderlass der Staatsoper war, zeigt die Tatsache, dass man für den Barinkay Karl Friedrich von der Düsseldorfer Oper holen musste. Esther Réthy gab die Saffi, auch wenn „ihr vornehm kultivierter Sopran für die Partie etwas zu zart“ war. Reichsminister Dr. Goebbels soll der Aufführung dennoch heftig applaudiert haben.[33] Réthy und Paulik, der ab der zweiten Vorstellung von Böhm übernahm, wurden später ein Paar, Réthy außerdem das Zentrum vieler Rundfunkoperetten (besonders von Lehár), die noch heute auf CD vertrieben werden.

Operette: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Operette: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Am 7. Juni 1939 folgte die nächste neue Staatsopern-Operette, Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß Sohn (am Ring bis 1935 in der Fassung des Juden Erich Wolfgang Korngold unter der Regie des Juden Lothar Wallerstein gegeben, wo in der Premiere von 1929 Maria Jeritza die Annina, Lilly Claus (Frau Dostal!) die Barbara und Hubert Marischka den Caramello sangen). Diesmal hatte die Inszenierung der auch Regie führende Direktor der Wiener Staatsoper seit 1. September 1936, der Salzburger Erwin Kerber, übernommen. Das Bühnenbild schuf wieder Robert Kautsky, die Kostüme diesmal Ulrich, der Sohn des berühmten Bühnenbildners Alfred Roller. Erwin Kerber hängt ein zwiespältiger Ruf nach. Einerseits setzte er willig die Forderungen der Nationalsozialisten um, andrerseits war er entlassenen Kollegen behilflich, Engagements zu finden, oder schützte sie auf andere Weise. Kein Wunder also, wenn nach der Venedig-Premiere zu lesen war: „Wiener Theaterkultur und Wiener Musikgeist haben in dieser Aufführung, zu reiner und heiterer Wirkung verbündet, zugleich aufs eindrücklichste gezeigt, was auch die Wiener Staatsoper zur gesamtdeutschen Bühnenkunst aus dem unerschöpflichen Vorrat unserer besonderer Gaben beitragen kann.“ [34] Das war für die Parteiführung in Berlin, die einen kulturellen Sonderweg Wiens im Einvernehmen mit dem Führer nicht zulassen wollte, eine bittere Pille, erfreute nur Dr. Seyß-Inquart und Bürckel, die in der Aufführung waren. Dass die Ablöse der „jüdischen“ Korngold-Fassung zu einem solchen Resultat führen könnte, einem „Wiener Kulturimperialismus“ [35], hatte man in Berlin nicht erwartet. „Unterschwelliger ‚Österreich-Patriotismus‘ wurde beim Publikum immer spürbarer, ohne dass deswegen ein aktiver Widerstand gegen das NS-Regime entstanden wäre. Aber der jahrhundertealte Gegensatz Wien-Berlin teilte selbst die Nationalsozialisten in zwei Lager.“ [36]

Unter Pauliks Leitung sangen Esther Réthy die Barbara, Maria Reining die Annina, Helge Roswaenge und Anton Dermota alternierend den Herzog und Josef Witt im Wechsel mit Richard Sallaba den CaramelloDie bisherigen Besetzungen zeigen deutlich, dass in diesen Vorstellungen an den großen Opernhäusern der Ruck passierte, der die Operettenproduktionen aus dem Bereich der singenden Schauspieler à la Marischka in den Bereich der Opernsänger verschob, also eine Gewichtsverteilung vornahm, die dem Genre nicht gut tat, weil es die Operette in eine Scheinseriosität katapultierte, aus der sie sich auch nach dem 2. Weltkrieg kaum mehr befreien und den Weg zurück in eine heitere Frivolität finden konnte. Die Vorstadtunterhaltung wurde stadtfein, denn Theater an der Wien und Carl-Theater wurden trotz der Schleifung der Basteien um den Ersten Bezirk noch immer als Vorstadttheater empfunden. In dieser Nacht in Venedig 1939 erinnerte nur mehr Fritz Imhoff als Pappacoda an diese ursprüngliche Heimat der Operette.

Operette: "Rosen in Tirol" mit Gitta Alpar und Johannes Heesters/ Sammlung Schulz

Operette: „Rosen in Tirol“ mit Gitta Alpar und Johannes Heesters/ Sammlung Schulz

Am 20. Februar 1940 hatte man in der Staatsoper den letzten Zigeunerbaron gespielt. An Zigeuner sollte offensichtlich nicht mehr erinnert werden. Denn Anfang 1940 hatte die Verfolgung von Sinti und Roma einen neuen Höhepunkt erreicht. Also konnte man sie gerade in der Ostmark nicht romantisch auf der Opernbühne erscheinen lassen. Als Ersatz setzte man Boccaccio von Franz von Suppé mit einer Neuinszenierung am 5. April 1940 an. Offensichtlich hatte man auch damit wenig Freude, denn wenn da Boccaccio schon im ersten Finale singt: „Mögen sie mein Werk verbrennen, Wahrheit lässt sich nicht verkennen, wird nie vergehn, muss als Phönix auferstehn“ [37], dann konnte das beim Publikum nur unliebsame Erinnerungen an die Bücherverbrennung von 1933 wecken, die man in angespannten Kriegszeiten am wenigsten brauchte. Die politisch absolut unverdächtigen Bearbeiter Alexander Steinbrecher (1910-1982)[38] und Victor Pruscha, (1888-1966) der Regisseur der Produktion, vorher Intendant in Graz, hatten es unternommen, das Stück für die Staatsoper „neu einzurichten, textlich, musikalisch. Es ist da manches geändert, gekürzt worden.“ [39] Im Grunde hatte man nur die Fassung von Artur Bodanzky aus dem Jahre 1932, die vorher schon an der Met in New York zu sehen war, adaptiert und dabei sogar die Bodanzkyschen Rezitative übernommen.[40] Sie entsprachen dem Operettenverständnis der Nationalsozialisten, weil sie die burleske Operette zur Spieloper umfunktionierten. Anton Paulik stand am Pult, Else Schulz sang die Titelpartie, Dora Komarek, die als Dora Komar auch beim Film Karriere machen sollte, Fiametta. War die Titelpartie als Hosenrolle etwa auch ein Grund dafür, dass man das Maß an Frivolität in Kriegszeiten überschritten sah? Oder hat man vielleicht doch an der Bücherverbrennung Anstoß genommen? Jedenfalls verschwand die Operette nach fünf Vorstellungen. Interessant ist jedoch, dass in der bereits zitierten Rezension auch steht, was der Opern-Operette bis heute zum Verhängnis wurde und wird: „Die Opernsänger bringen die Leichtigkeit des Stils, das ganze lockere Operettenwesen selten so, daß man vergißt, was sonst ihre Aufgabe, was ihr gewohnter Umkreis ist.“ Und die Rezitativ-Version verstärkte noch die fälschliche Hinwendung der Operette zur Spieloper. Aber Pruscha scheint da schon der irrigen Idee besessen nachgehangen zu sein, die er nach dem Krieg als – salopp gesagt – „Vordenker“ den Volksopern-Direktoren Salmhofer und Juch einflößte, die goldene und silberne Operette an Opernhäusern anzusiedeln, da diese Werke – wie es Juch dann formulierte – „eine Vollendung der Interpretation“ verlangen, „die nur ein großes Opernhaus erfüllen kann“. [41]

Am 30. April 1940 leitete Anton Paulik noch einmal eine einzelne Vorstellung von Das Land des Lächelns aus Anlass des 70. Geburtstages von Franz Lehár. Dafür wurde die alte Inszenierung des bereits 1938 emigrierten jüdischen Regisseurs Lothar Wallerstein im Bühnenbild von Robert Kautsky aus dem Fundus geholt, ohne natürlich Wallersteins Namen zu nennen. Victor Pruscha hatte dafür zu zeichnen. Dabei handelte es sich um eine ganz neue Produktion, die zwischen 30. Jänner und 23. Februar 1938 nur fünfmal gegeben worden war. Auch der musikalische Chef der Produktion, der sie neben Lehár dirigierte, der Jude Karl Alwin, war bereits in Mexiko. Franz Völker sang in dieser Festvorstellung den Sou-Chong, Esther Réthy die Lisa.

Operette: Der Librettist Richard Genée/Wiki

Operette: Der Librettist Richard Genée/Wiki

Mit Beginn der neuen Spielzeit kam auch ein neuer Staatsoperndirektor aus Hamburg, der den „Wiener Schlendrian“ in Ordnung bringen sollte: Heinrich Karl Strohm. Er sollte nur kurz Direktor sein, da er psychische Probleme bekam und von Schirach, der inzwischen Reichsstatthalter geworden war, abgesetzt wurde. Wahrscheinlich geht aber die letzte Operetten-Neuinszenierung der Staatsoper vor der Theatersperre noch auf Strohms Planung zurück. Sein aus Hamburg mitgebrachter Oberspielleiter Oscar Fritz Schuh brachte sie am 10. Jänner 1943 im Redoutensaal der Hofburg in Bühnenbildern und Kostümen von Wilhelm Reinking unter der musikalischen Leitung von Anton Paulik heraus:Wiener Blut. Wieder waren die Opernsänger dabei, die Paulik für Operette geeignet hielt und teilweise auch nach dem Krieg in der Volksoper einsetzte: Esther Réthy, Dora Komarek, Emmy Loose, Richard Sallaba, Fritz Krenn und erstmals in einer Operette auch Erich Kunz.

 

Kraft durch Freude mit Operette!  Trotz all dieser Anstrengungen um die Operette in Staats- und Volksoper hatte aber schon vorher, 1938, Gauleiter Josef Bürckel erkannt, dass er der Operettenmetropole Wien wieder ein reines Operettentheater geben müsse, um den substanzraubenden Abgang so vieler jüdischer Größen des Genres und die damit verbundene Repertoirereduzierung halbwegs aufzufangen. Dafür wurde das Raimundtheater ausersehen. Bis 7. April 1938 hatte Direktor Franz Zwonik versucht, das Haus als volkstümliche Stätte der Unterhaltung zu führen. Er musste aus finanziellen Gründen aufgeben. Es entstand der Plan, im Raimundtheater eine „Deutsche Bühne“ zu errichten, die der beliebte Sänger und Schauspieler Ernst Tautenhayn (1873-1944) [42] leiten wollte, der aber keine Konzession erhielt. Das Haus wurde mit Gastspielen u.a. von der Salzburger Marionettenbühne und dem Theater in der Josefstadt (Frauen in New York von Clare Boothe Luce) bis 10. Februar 1938 über Wasser gehalten. Danach blieb es geschlossen und sollte in eine Großgarage umgewandelt werden [43]. Das blieb dem Raimundtheater durch die Kulturabteilung der Deutschen Arbeitsfront erspart. Der neue Eigentümer und Rechtsträger hieß nun: „D.A.F“, NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, Amt Feierabend. Als Intendanten für diese parteieigene Operettenbühne wurde von Dr. Goebbels der parteitreue Intendant des Stadttheaters Fürth, Willy Seidl (1900-?) [44], eingesetzt. Erfreulich, aber noch lange nicht ein Grund, so zu jubeln, wie es die beiden Strecker-Biographen Wieser und Ziegler tun: „So rettete die Organisation KdF ein Wiener Theater“. [45]

Operette: "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß/ Sammlung Schulz

Operette: „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß/ Sammlung Schulz

Die Neue Freie Presse erläuterte Seidls Spielplanabsichten: „Er gedenkt das Theater als Pflegestätte der großen Wiener Operette zu führen, vorerst der klassischen, … und dann später, mit eingeführter und geschulter Spielgemeinde, in immer stärkerem Maße der Arbeiten zeitgenössischer Komponisten sich anzunehmen.“ [46] Als Herzenswunsch Seidls wird eine Aufführung des vergessenen Aschenbrödels von Johann Strauß Sohn angeführt, wobei dem Direktor und dem Journalisten nicht bewusst gewesen zu sein schien, dass es sich bei Aschenbrödel um ein Ballett handelt.

Willy Seidl eröffnet das Haus nach einem Umbau durch Architekt Fritz Zeymer, der dem Raimundtheater sogar eine, vom Führer nie betretene, Führerloge bescherte, am 16. November 1938 mit Karl Millöckers Klassiker Der Bettelstudent in einer Inszenierung des Grazers Robert Nästlberger (1886-1942) [47], einst gefeierter Bonvivant und Operettensänger, jetzt Oberspielleiter der Operette am Raimundtheater (Choreographie: Lilo Engbarth), in Dekorationen des an der Volksoper künstlerisch aufgefallenen Walter von Hoesslin, nun für kurze Zeit fest engagierter Bühnenbildner des Hauses (Kostüme: Alfred Kunz), unter der musikalischen Leitung des neuen 1. Kapellmeisters Franz Herburger (2. Kapellmeister war Fritz Zwerenz). [48] Seidl schien besser als der vom Berliner Metropoltheater und Admiralspalast verwöhnte Baumann an der Volksoper gewusst zu haben, was die neuen Machthaber wünschen: „Die Inszenierung … verfiel nicht in den stilstörenden Fehler, das garnicht (sic!) üble Buch von Zell und Genée in eine Revue aufzulösen. Die geschmackvolle Bearbeitung Karl Hagemanns führt die lustspielartige Handlung mit fester Hand durch.“ [49]

Operette: Der Sänger Heinz Conrads/ ORF Archiv

Operette: Der Sänger Heinz Conrads/ ORF Archiv

Kurze Zeit später wäre Millöckers Polen-Operette nicht mehr so glatt auf den Spielplan gekommen und wären die Librettisten nicht mehr so offen genannt worden, obwohl man bei toten jüdischen Autoren nicht so genau hinsah. Mit dem parteisicheren Lehár stand man allerdings vor dem gleichen Problem: Am 14. Februar 1939 hatte Der Graf vonLuxemburg am Raimundtheater Premiere.[50] Auch hier waren die Autoren (Bodanzky, Stein und Willner) Juden. Hier zog man sich auf den Begriff einer Neufassung zurück. Lehár soll musikalische Korrekturen und Erweiterungen vorgenommen [51] „… und dazu noch neue Nummern von blendender Melodik und Rhythmik geschrieben“ [52] haben. Am 16. Mai 1939 folgte in Anwesenheit des Komponisten[53] Paul Linckes Frau Luna [54] als viel bestaunte Ausstattungsrevue – sicher um die Achse Berlin-Wien zu dokumentieren. Interessant, dass Seidl diese Werke Lehárs und Linckes mit „klassischer“ Operette gleichsetzte, obwohl Frau Luna ursprünglich eine frivole Burleske war.

Zum 8. Februar 1940 zog dann Streckers nationalsozialistische Musteroperette Ännchen von Tharau in Wien ein [55] (im Wiener Raum später nur noch in Streckers Wohnort Baden bei Wien aufgeführt, wo man am 1. Dezember 1973 die 4000. Aufführung der Operette feierte – laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins). Schluss mit der synkopierten Revue! Hatten doch schon die Breslauer Neuesten Nachrichten nach der Uraufführung 1933 geschrieben: „Als Schöpfer zahlreicher … Wiener Lieder versteht sich Strecker auf die flotten Marschrhythmen, die das militärische Milieu zu beglaubigen haben, ebenso wie auf die gefühlvollen Partien, in denen melodiös das Herz zum Herzen spricht.“ [56] Außerdem stellte man beruhigend fest, dass der Komponist „die Saxophone nicht jazzmäßig“ verwende. In der Rolle des Simon Dach war in Wien zum ersten Mal Tony Niessner auf der Bühne des Raimundtheaters zu sehen, nach dem Krieg vielbeschäftigt an verschiedenen Wiener Theatern und im Funk, deshalb von Kollegen scherzhaft „Staatsbuffo“ [57] genannt.

Operette: "Auf der Lahmgruaben..." von Heinz Strecker/ Sammlung Schulz

Operette: „Auf der Lahmgruaben…“ von Heinz Strecker/ Sammlung Schulz

Zwischen Deutschland und Russland bestand noch der 1939 abgeschlossene Nichtangriffspakt. Also konnte man als linientreues Haus im Frühjahr 1940 noch problemlos Lehárs Zarewitsch mit dem ständig in Wunschkonzerten erprobten Wolgalied am Vorabend des 70. Geburtstags des Komponisten ansetzen, dem Gauleiter Bürckel zu diesem Festtag den Ehrenring der Stadt Wien dedizierte. Die Operette, deren beide Librettisten aus Rassegründen unnennbar waren – Heinz Reichert war schon 1938 nach Amerika emigriert, Béla Jenbach hatte sich in einem Keller in der Kaunitzgasse versteckt – kam am 29. April 1940 heraus. Regie unter der Gesamtleitung von Intendant Seidl wieder Nästlberger in einem Bühnenbild und mit Kostümen von Alfred Kunz. Am Pult stand, wie schon beim Ännchen, Wolfgang Friebe. Für die beiden Hauptrollen waren junge Gäste engagiert: die bildschöne tschechische Sängerin Jarmila Ksirova, die es nach dem Krieg in die DDR verschlug, wo sie noch Operettenfilme für die DEFA drehte, und Alfredo di Liddo. Beide sangen „nicht nur mit ‚Schmalz‘, sondern auch mit innerer Erstaufführungserregung“ [58]. Seidl war beim Ännchen offensichtlich zur Einsicht gekommen, dass es ohne Revueelemente doch nicht so gut geht, frönte wieder seinem Ausstattungsfuror, ließ Kosackenmädel tanzen, eine Balalaika-Gruppe auftreten und das Publikum durch eine ausgefuchste Lichtregie verblüffen. [59] Dazu gab es noch eine Solotanz-Einlage von Greta Sedlmayr, die Das Kleine Blatt sogar in einem bikiniartigen Kostüm als Attraktion abbildete. Hatte sich Seidl etwa gar dazu entschlossen, wieder Sex in die Operette einziehen zu lassen?

Ende 1940 war die Spielplanauswahl für eine KdF-Institution schon etwas schwierig geworden. Und so ganz ohne Revue ging es eben nicht – weder bei der arisierten Operette noch bei den Klassikern. Seidl entschied sich für Salzburger Nockerln, heute unter dem Titel Saison in Salzburg bekannt, einer Operette des von den Nazis als Ersatz für den emigrierten Juden Paul Ábrahám geförderten Fred Raymond (eigentlich Raimund Friedrich Vesely) und eine ziemlich unverschämte Kopie des verbotenen Weißen Rössls.

Operette: Mizzi Zwerenz 1907 als Fanni Steingruber in der Operette "Ein Walzertraum"/ Wiki

Operette: Mizzi Zwerenz 1907 als Fanni Steingruber in der Operette „Ein Walzertraum“/ Wiki

Raymond hatte mit dem Lied Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren 1925 seinen Durchbruch gehabt und war bei Kriegsbeginn der Propaganda-Abteilung des Militärsenders Belgrad zugeteilt worden. Die Nockerln kamen am 20. Dezember 1940 „farbenfroh und ausgelassen“ [60] zur Erstaufführung in der Ostmark, nur zwei Jahre nach der Uraufführung in Kiel. Eigentlich war eine Aufführung in Wien schon 1938 geplant gewesen, doch hatte das Kulturamt der Stadt Wien im ewigen politischen Gerangel mit der Reichskulturkammer in Berlin die Produktion des Stückes verhindert, „weil es den Titel ‚Salzburger Nockerln‘ hatte und ‚darin für die heutige Zeit zuviel vom Essen die Rede sei.“ [61] Die Inszenierung entstand mit dem Leading-Team des Zarewitsch, besetzt zum Großteil mit hauseigenen Kräften und dem Buffo-Paar Elfi König (Vroni) und Tony Niessner (Toni) an der Spitze.[62]

Willy Seidl verlegte sich danach auf die angekündigten Operettenuraufführungen. Warum er nichts von Parteimitglied Kattnig spielte? Nicht zu erklären! Warum er nichts von dem von der NDSAP tolerierten [63] Nico Dostal (1895-1981) auf den Spielplan setzte, erklärt der Komponist allerdings in seiner Selbstbiographie mit seiner zu geringen Würdigung einer riesigen Hakenkreuzfahne im Fürther Büro Seidls. [64] So kam der Niederösterreicher Dostal in Wien zwischen 1938 und 1944 nur mit zwei musikalischen Lustspielen (Eva im Abendkleid und Verliebtes Dreieck) im Renaissancetheater in der Neubaugasse zur Aufführung.

Am 30. April 1941 hatte eine Operette des Oberspielleiters Nästlberger mit der Musik von August Pepöck Premiere: Der Reiter der Kaiserin. Nästlberger, 1941 schon Intendant des Mellini-Theaters in Hannover, hatte das Buch nach einem Roman von Alfons von Czibulka (Der Kerzlmacher von St. Stephan) verfasst. Einige Werke des Romanciers waren nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus verboten. Der Reiter spielt 1759 in Wien und Schlesien. Die Operette erfüllte voll und ganz den Kanon der Forderungen der Nazis an eine gute Operette und wurde Pepöcks erfolgreichstes Werk. Nästlberger konnte sich des Erfolges nicht lang erfreuen; er verstarb 1942 in Hannover.

Operette: "Liebe in der Lerchengasse"/ stadtteilgeschichten.net

Operette: „Liebe in der Lerchengasse“/ stadtteilgeschichten.net

Am 26. November 1941 fand dann die erste Vorstellung einer Operette von Walter Hauttmann, Millionenhochzeit, mit der Musik von Erik Jaksch statt. Beide Autoren waren natürlich Parteimitglieder. Erik (Erich) Jaksch (1904-1976) war bereits 1927 den Nationalsozialisten illegal und 1938 dann offiziell beigetreten[65], wobei er als Legitimation angab, durch Verbreitung verbotener Zeitschriften in der Zeit vor 1938 zur Beförderung der Ziele der Partei beigetragen zu haben. Dr. Walter Hauttmann, ein 1900 in Leoben geborener Schauspieler, war seit Februar 1940 Parteigenosse. Er schien sich noch mehr für die Nazis engagiert zu haben, da er sogar als „besonderer Geheimnisträger beim WKKdo XVII“ in Aussicht genommen war und dabei vom Kreisleiter der NSDAP als „national eingestellt“ bewertet wurde. [66] Die Millionenhochzeit handelt von zwei verfeindeten Metallkonzernen, die der pfiffige Abteilungschef eines Unternehmens wieder durch eine Heirat miteinander versöhnt. Das Stück ist ziemlich flach, die Figuren sprechen einen bis zur Parodie gestelzten Dialog. Schwer vorstellbar, dass dieser durch Fritz Imhoff und Louise Kartousch in den Komikerrollen bei der Premiere „vergoldet“ werden konnte. Im dritten Akt verwirrt sich auch noch die Dramaturgie des Stückes durch die Einführung einer beinahe absurd wirkenden Doppelrolle. Dennoch fand die Millionenhochzeit großen Anklang, besonders in Hamburg, und wurde mehr als 700mal gespielt [67]. Ein Beweis dafür, wie sehr das Publikum in dieser Zeit nach Unterhaltung lechzte, selbst wenn sie noch so platt war.

Die nächste Uraufführung am 19. Dezember 1942 galt neuerlich einer Demonstration der Achse Wien-Berlin. Es war die Neubearbeitung der Berliner Operette Olly-Polly von Walter Kollo auf ein Buch von Arnold & Bach und Willy Kollo aus dem Jahre 1925, die nun Sohn Willi (eigentlich Arthur), der auch Komponist war, unter dem Titel Ich bin in meine Frau verliebt herausbrachte. Willi Kollo (1904-1988), der Vater des Tenors René Kollo, war natürlich auch Parteimitglied.

Operetten: Elfie König, hier in Kreislers "Sissi"/ kulturpool.at

Operette: Elfie König, hier in Kreislers „Sissi“/ kulturpool.at

Die letzte Premiere am Raimundtheater vor der allgemeinen Theatersperre bedeutete wieder einen dramaturgischen Schwenk in die Seidlschen Anfänge und brachte Carl Michael Ziehrers Fremdenführer auf die Bühne. Er wurde am 29. April 1943 allerdings nicht in der Originalfassung, sondern in einer Neufassung durch Walter Hauttmann und Erik Jaksch gespielt werden, Autoren, die offensichtlich den nationalsozialistischen Operettenstil mit ihrer Millionenhochzeit hervorragend getroffen hatten. Die ursprüngliche Operette von Leopold Krenn und Karl Lindau entsprach zu wenig dem Zeitgeist, obwohl gerade der Schauspieler und Bühnenschriftsteller Lindau, der eigentlich Gemperle hieß, gebührend gewürdigt hätte werden müssen. War doch sein Großvater der Gründer der ersten Wiener Kaffeesurrogat-Fabrik – und inzwischen war ja das Lebensmittel-Surrogat-Zeitalter angebrochen. Aber da kam in diesem Original ein sehr komischer Fürst Tagala von Indopur vor – das konnte man nicht brauchen. Und auch nicht einen Herrn Weisskopf. Der musste in Paradeiser umbenannt werden. Man sang zwar immer noch „O Wien, mein liebes Wien“ im ¾-Takt, aber dennoch dominierte jetzt der 4/4-Takt des Militärs auf der Bühne, und der Walzer wurde im ersten Finale durch die Burgmusik verdrängt. Was wurde da nicht alles den Soldaten unterstellt: „Wer ist fesch und schneidig, nur das Militär!“ oder „Ja, das macht die Uniform, imponiert den Frau’n enorm!“ oder „Mädel, Mädel, hör‘ mich an, lass Dir etwas raten: Findest einen feschen Mann nur bei den Soldaten“. Aber auch auf die Sittsamkeit wurde nicht vergessen: „Die kleine Susi, die will kein G’schpusi“. [68]

 

Operette: Gruselige 50er mit Peter Alexanders Version der "Salzburger Nockerln" bei Poyldor/hitparade.ch

Operette: Gruselige 50er mit Peter Alexanders Version der „Salzburger Nockerln“ bei Poyldor/hitparade.ch

Operettenmetropole Wien: Aber nicht nur Staatsoper, Opernhaus der Stadt Wien (Volksoper) und Raimundtheater widmeten sich zwischen 1938 und 1944 der Operette. Auch in den verbleibenden Privattheatern kam sie zum Zug. Die erste Operettensaison unter großdeutscher Anleitung lief recht zögerlich an. Staats- und Volksoper waren ja in erster Linie für Oper zuständig, das Raimundtheater noch nicht umgebaut. So fand die erste Operettenpremiere am 31. Oktober 1938 in der „Komödie“, dem heutigen Metro-Kino in der Johannesgasse, statt und galt der im „Altreich“ bereits oft gespielten Retro-Operette Liebe in der Lerchengasse von Arno Vetterling auf ein Libretto des Parade-Librettisten dieser Jahre, Hermann Hermecke. Er stammte aus dem braunen Dunstkreis Heinz Hentschkes vom Berliner Metropoltheater der 1930erjahre. Hermecke hatte viele erfolgreiche Operetten im Stile der nationalsozialistischen Dramaturgie geschrieben. Das in Fortsetzung der Possentradition Walter Kollos auf den deutschen Markt zugeschnittene Stück war für Wien überarbeitet worden. Die Gastspieldirektion Hans von Pott [69] als Theaterpächter hatte auch die Wiener Operettenlegende Mizzi Zwerenz für die Rolle der Euphrosyne Schnakenbrück geb. Pamperl verpflichtet. Für die musikalische Leitung zeichnete Dr. Wolfgang Russ-Bovelino [70], nach dem Krieg als Musikreferent der Stadt Wien tätig. „Die kleine Bühne erscheint zwar durch etwa vier oder fünf Personen bereits beängstigend gefüllt, aber das hat andrerseits den Vorteil, dass zwischen Darsteller und Publikum sehr leicht ein guter Kontakt entsteht … Wohl sind die Stilmittel einzelner Interpreten für den kleinen Raum zu großartig.“ [71] Trotz der Enge leistete man sich auf dem Nudelbrett von Bühne auch ein Ballett, das die ehemalige Solotänzerin und Ballettmeisterin der Wiener Staatsoper Hedy Pfundmayr leitete . [72]

Noch eine kleine Bühne, die Kammerspiele in der Rotenturmstraße, brachte nur wenige Wochen später (am 21.März 1939) eine typische opérette légère heraus, die sie bescheiden und sprachbereinigt musikalisches Lustspiel nannten: Lisa, benimm Dich! von Hans Lang auf ein Buch des oberösterreichischen Schauspielers und Schriftstellers Ernst Friese und des Wiener Kabarettautors Rudolf Weys. Unter der Regie von Parteimitglied Hanns (auch Hans) Schott-Schöbinger [73], der auch in einer Hauptrolle mitspielte, brillierte in der Titelrolle seine damalige Ehefrau Friedl Czepa, eine bildhübsche, überaus begabte junge Schauspielerin, an der Seite ihres nachfolgenden Ehemannes (ab 1942) Rolf Wanka.

Hans-Dieter Roser/Foto Anne Oppermann/ORCA/Roser

Operette/ der Autor: Hans-Dieter Roser/Foto Anne Oppermann/ ORCA/Roser

Die jeweiligen Ehepaare waren sich in ihrer Begeisterung für Adolf Hitler einig, wofür Friedl Czepa mit der Leitung des Bürgertheaters von 1940 an bis zur Theatersperre belohnt und nach dem Krieg mit Berufsverbot bestraft wurde. Sie hatte mit dem musikalischen Lustspiel Warum lügst Du, Cherie? von Siegfried Tisch und Hans Jan Lengsfelder (Musik: Leonhard Märker) ihren künstlerischen Durchbruch in Wien. Über ihre bezaubernde Wirkung in dieser Rolle schwärmen noch heute sehr alte Menschen, die sie damals gesehen haben [74]. Ins Schwärmen hatte sie auch Gauleiter Bürckel gebracht, mit dem sie eine heftige Liaison verbunden haben soll. [75] So war er natürlich auch an der Seite von Reichsstatthalter Seyß-Inquart zur Premiere von Lisa geeilt. Bürckel durfte schon bald seine Lisa auch am Stadttheater in der Skodagasse bewundern.

Denn inzwischen hatte die schon erwähnte Gastspieldirektion von Pott zur Komödie auch das Stadttheater ab 28. Jänner 1939 mit Ernst Tautenhayn als künstlerischem Leiter übernommen. Man griff auf einen Erfolg aus der Komödie zurück, übertrug die Regie Tautenhayn in einem Bühnenbild von Willy Bahner, kürzte, besetzte um und spielte weiter sehr erfolgreich Liebe in der Lerchengasse. Nach Hans von Pott folgte als Direktor Anton Tiller. Er wollte es noch einmal mit der von den Machthabern nicht geschätzten Revue probieren und eröffnete am 22. Dezember 1939 mit An der schönen blauen Donau. Dem Unternehmen war kein Erfolg beschieden. Man warf der Produktion eine „falsche Wienerliedverzücktheit“ [76] vor. Das Wienertum war zu dick aufgetragen. Trotz des Misserfolgs hielt Tiller die Blaue Donau drei Monate auf dem Spielplan, bevor am 15. März 1940 wieder die unverwüstliche Lisa mit Friedl Czepa Einzug hielt, die auch in der zweiten Serie, glänzend besucht, bis Ende Mai laufen sollte. Nun hatte Rolf Wanka die Regie übernommen und Josef Menschik spielte den Peter. 26 Vorhänge gab es bei der Premiere dieser Wiederaufnahme. [77]

Operette: "Gruß und Kuss aus der Wachau" auch als Film/ swyrl.tv

Operette: „Gruß und Kuss aus der Wachau“ auch als Film/ swyrl.tv

Und noch ein drittes Mal kam Lisa, benimm dich! auf die Bretter! Tillers Vertrag wurde nach einer neuerlichen Revue nicht verlängert. Jetzt war die große Stunde von Friedl Czepa gekommen. Sie wurde die „erste weibliche Theaterdirektorin Großdeutschlands“ [78] und stand in dieser neuen Funktion, mit der sie die Nationalsozialisten für so viel treue Dienste auszeichneten, am 26. September 1938 wieder als Hauptdarstellerin auf der Bühne. Die musikalische Leitung hatte Bruno Uher.

Friedl Czepa (1898-1973), die bis zur Theatersperre 1944 Direktorin des Stadttheaters blieb, spielte neben Lustspielen immer wieder Operetten. So kam Ende Jänner 1942 die Operette Veilchenredoute auf ein Libretto von Hans Adler heraus, der fälschlicherweise zunächst von den Nationalsozialisten für einen Juden gehalten worden war, bis er den Ariernachweis erbrachte. Die Musik stammte von Charles Cerné nach Motiven von Richard Genée. Neben der Direktrice wirkte der Tenor Richard Sallaba von der Staatsoper als Gast mit. Die Inszenierung besorgte ein Gast vom Burgtheater, der nach dem Krieg sehr berühmte deutsche Schauspielregisseur und Theaterdirektor Hans Lietzau, der seit 1939 am Burgtheater engagiert war.

Operette: der Sänger Richard Sallaba/ kulturpool.at

Operette: der Sänger Richard Sallaba/ kulturpool.at

Nach der Veilchenredoute gab es ab Ende März 1943 ein Singspiel Walzerträume auf ein Buch von Tilde Binder und Ernst Friese mit der Musik von Bruno Uher nach Motiven von Josef Strauß. Um Strauß – von Rolf Wanka gespielt – drehte sich die Handlung, also wieder ein Fall von „Wiener Kulturimperialismus“, den Berlin nicht litt, um der Stadt Wien keinen kulturellen Vorrang einzuräumen, und für den, generell gesehen, der aus dem Altreich importierte Kulturreferent Schirachs, Walter Thomas [79], verantwortlich gemacht und gefeuert wurde, obwohl der eigentliche Drahtzieher der Reichsstatthalter persönlich war, wie Minister Goebbels sehr wohl wusste. Der Titel war in Erinnerung an Oscar Straus sicher als Provokation gewählt, denn die politische Einstellung der Autoren war eindeutig. Litten sie doch unter dem braunen Diktat der Prinzipalin. [80] Die Walzerträume wurden von Friedrich Neubauer inszeniert, der 1920 in Nürnberg Ernst Tollers Masse Mensch mit seiner Botschaft, kein Mensch dürfe Menschen töten, um eine Idee durchzusetzen, zur Uraufführung gebracht hatte.

1943 kam noch eine zweite Operette auf den Spielplan des Stadttheaters:Mädel im Frack (Susi schwindelt) von Ernst Friese und Rudolf Weys mit der Musik von Hans Lang. Darin konnte der junge Heinz Conrads einen großen Erfolg als böhmakelnder Primgeiger feiern (3. November 1943). Und kurz vor der Theatersperre, am 14. Juli 1944, hatte Lehárs Friederike mit Richard Sallaba in der Tauber-Rolle Premiere.

Operette: Robert Valberg/ kulturpool.at

Operette: Robert Valberg/ kulturpool.at

Noch ein Theater sollte sich im Wien der Nazizeit der Operette widmen: das Bürgertheater an der Vorderen Zollamtsstraße im 3. Bezirk. Es war bereits fünf Jahre nach seiner Eröffnung als Schauspielhaus 1910 in eine Operettenbühne umgewandelt und mit Der unsterbliche Lump von Edmund Eysler (Libretto: Felix Dörmann) eröffnet worden, der es auf 408 Vorstellungen brachte. Eysler blieb Hauskomponist und experimentierte trotz all seiner wienerischen Gemütlichkeit sogar mit Jazzmusik, die die Zeit zu bestimmen begann. Ab 1926 kamen vermehrt die vom Publikum begehrten Revueoperetten unter Farkas zur Aufführung, daneben aber auch weiter traditionelle Operetten, wie eben 1931 Heinrich Streckers Mädel aus Wien, wo schon die biedere rückläufige Dramaturgie der Nationalsozialisten vorgezeichnet war. Dieser stilistische Mischmasch trieb kuriose Blüten: Kurz vor dem Anschluss gab es eine rustikale Ausstattungsrevue Der Bauernkalender(15. Februar 1938), dem gleich nach dem Anschluss (19. März 1938) die erste Operettenproduktion der Exl-Bühne folgte, einer sehr renommierten seriösen Tiroler Bauernbühne, die das Bürgertheater bespielte: Die Toni – der Bua (Musik vom Haus-Kapellmeister Karl Meise). Man nannte es natürlich nicht Operette, sondern „Ein lustiges Spiel mit Musik in 8 Bildern“. An den acht Bildern ist zu erkennen, dass selbst hier noch der Revuegedanke in verkleinerter Form herumspukte. Schwer vorstellbar, dass das schlüpfrige Sujet [81] am Vorabend von Führers Geburtstag den braunen Kulturreformatoren gefiel. Verständlich, dass das Theater ab Spielzeitende bis April 1942 geschlossen wurde. Es wurde umgebaut. Der bis dahin grüne Zuschauerraum, dem viele durchgefallene Autoren die Schuld für den Flop gaben, weil ein Theater innen eben nicht grün zu sein habe [82], wurde rot-weiß-gold. Nach dem Umbau verpachtete man das Haus als Privattheater an Robert Valberg, der einen gemischten Spielplan zur Ablenkung vom Kriegsalltag bieten wollte und auf musikalischem Sektor in geduldeter Subordination mit der Revue kokettierte. Die von Hanns Schott-Schöbinger und Rudolf Weys für den 17. April 1942 ausgerichtete Eröffnungsrevue Ringstraßen-Melodie wurde von der gleichgeschalteten Presse zwar nicht gut besprochen, erfreute sich aber eines regen Publikumszuspruchs. Im Ensemble befanden sich Künstler, die dem braunen Regime nicht gerade positiv gegenüberstanden und immer wieder verdeckten geistigen Widerstand leisteten, was das Publikum offensichtlich zu würdigen wusste. Vieles konnte man sich nur unter einem Direktor Valberg erlauben, der NSDAP-Mitglied war, Landesleiter der Reichstheaterkammer und Kulturbeirat der Stadt Wien – eine schillernde Persönlichkeit, der einerseits die Schuld am Selbstmord Rudolf Beers zur Last gelegt wurde, der andrerseits Beer aber auch den Zugriff auf seine Konten und die Flucht ermöglichen wollte [83] und den Marcel Prawy immer wieder als Ermöglicher seiner Emigration dankbar erwähnte.

Operette: Die "Balkanliebe" schaffte es bis in die Nachkriegszeit, namentlich rudolf Schock war ein Protagonist für dieses Repertoire/ youtube

Operette: Die „Balkanliebe“ schaffte es bis in die Nachkriegszeit, namentlich Rudolf Schock war ein Protagonist für dieses Repertoire/ youtube

Auch Landser hätten’s gern frivol! Betrachtet man alle Operettenproduktionen der Jahre 1938 bis 1944, so muss man feststellen, dass Operette in Wien weiter als gewichtiges Kultur-Produkt behandelt wurde, auch wenn Richard Strauss in einer Beschwerde an Dr. Goebbels über einen Grazer Kulturrat und einen unbedeutenden Komponisten noch so schäumte: „Kann man diese edlen Zeitgenossen nicht ins Nürnberger Opernhaus einsperren und zu lebenslänglichen Lehár, Kálmán, Leo Fall, Stolz oder wie diese musikalischen Hochstapler und Volksvergifter sonst noch heißen, verurteilen?“ [84] Allerdings waren die Nationalsozialisten in Wien nicht sehr erfolgreich mit der Schaffung einer speziellen nationalsozialistischen Operette, wie sie Reichsdramaturg Schlösser gefordert hatte. Die neuen Operetten drehten nur formal das Rad der Zeit zurück unter Benützung neuer ästhetischer Errungenschaften. Dadurch fiel die Repertoireausdünnung durch den Verlust der verbotenen jüdischen Autoren, der Sujets um kriegsfeindliche Nationen und vor allem durch den Verzicht auf die Crème der jüdischen Operettendarsteller, die dem Genre das notwendige Prickeln, das stimulierend Doppeldeutige und Subversive gaben, besonders auf. Das Genre war nur dort erfolgreich, wo es auf arische Interpreten zurückgreifen konnte, die ihr Handwerk bei jüdischen Kollegen gelernt hatten – und diese ganz bewusst, teils sogar schamlos kopierten, was besonders für die unzähligen Tauber- und Massary-Kopisten gilt. Keine Wiener Operettenuraufführung zwischen 1938 und 1945 hat die Zeit überlebt.

Die meisten neu geschaffenen Wiener Operetten der Nazis schlummern heute in Archiven. Da hat sich einmal Hermann Bahrs Satz: „Wien ist eine willensschwache Stadt, die sich jedem unterwirft, der ihr seinen Willen aufzwingt“ [85] nicht erfüllt. Verschwunden waren jedoch nach 1938 und definitiv nach 1945 der Hauch des Verruchten, die Frivolité, die Groteske und das deutlich Parodistische. Die Operette war jugendfrei geworden – und blieb es bis in die Gegenwart. Verhängnisvoll war auch die mit Vehemenz geförderte Liaison der Operette mit der Spieloper, die bis in unsere Tage dominierend geblieben ist. Sie hat aber andrerseits den Plagiatszustand und manchmal die Plagiatsunverblümtheit der „braunen“ Werke entlarven geholfen, weil Opernsänger die dünne Substanz nicht veredeln konnten, da das Metier zu sehr auf Klangereignisse reduziert und ihm die Extra-Dimension genommen wurde. Mit dieser hatten die OperetteninterpretInnen vor 1933/38 das Genre erst zum Ereignis und letztlich zur eigenständigen Kunst gemacht. Das mag auch der Grund sein, warum die Wiener Parteiführung trotz aller Bemühungen um die Operette nicht Komponisten förderte, die von der Berliner Kulturführung als Ersatz für die vertriebenen jüdischen Größen „erfunden“ worden waren. Sie hatten in Wien zwischen 1938 und 1944 nur marginale Bedeutung. Hans-Dieter Roser

 

Ein Wort zur Präsentation: Der sehr umfangreiche Apparat an Fußnoten und Anmerkungen, mit dem natürlich Hans-Dieter Roser seinen Artikel im Original ausgestattet hat, erscheint uns für einen „Nachdruck“ in operalounge.de zum umfangreich. Wir liefern ihn aber gerne per e-mail an Interessierte nach, der Autor möge uns verzeihen. G. HFoto oben: Sheet music cover of “Millionenhochzeit,” with music by Erik Jaksch/ ORCA

Ein Torso – warum?

 

Für Donizettianer wartet Opera Rara mit einem bitter-süßen Bonbon auf: Donizettis Oper Le Duc d´Albe. „Den gibt`s doch schon!“ – murmeln nun manche und denken an die nicht wirklich aufregende Antwerpener Aufführung von 2012 bei Dynamic (CD und Video), die durch das angeklebte Finale entstellt wird, das Giovanni Battistelli im Auftrag von der Vlaamse Opera komponiert hatte und das mit seinem gläsernen Flagiolettieren so gar nicht zu der Musik Donizettis passt. In operalounge.de haben wir oft über die problematische Notenlage und die Entstehung dieser Oper berichtet. Nicht zuletzt Alex Weatherson von der englischen Donizetti Gesellschaft hat über das „Blutige Beil des Grafen Alba“ geschrieben und auf die unüberwindlichen Schwierigkeiten hingewiesen, weite Teile des 3. Aktes und namentlich den 4. Akt des Duc d´Albe zu rekonstruieren. Opera Rara hat nun eine neue Einspielung vorgelegt, bei der nur das wirklich Vorhandene aufgenommen wurde (wie Roger Parker in seinem nur-englischen Artikel begründet). Warum nun bei OR so ein Torso eingespielt wurde, den es ja – umfangreicher – als CD-Aufnahme mit Ergänzungen bei Dynamic gibt, und zudem erst vor kurzem aufgenommen, weiß der Himmel.

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und "Fertigsteller" des Duca/HeiB

Matteo Salvi, Ponchielli-Schüler und „Fertigsteller“ des „Duca“/HeiB

Ach was ist dies für ein tolles Werk. Dicht und konzise, Verwertungsstelle anderer Donizetti-Opern (namentlich die berühmte Tenorarie „Ange si pur!“), schmissig in den Soli und Ensembles („Libertée chérie“), machtvoll mit Chören ausgestattet, dicht an den Martyrs und – so will mir scheinen – noch spannender als diese. Hinweisend auf Kommendes: Was für ein Jammer, dass der Duc d´Albe nicht fertig gestellt wurde. Niemand kann mir vorwerfen, kein Fan von Operara Rara zu sein, die wir mit operalounge.de stets gestützt haben. Aber die „lässlichen“ Aufnahmen mehren sich (vd. La Colombe oder Le Portrait de Manon), und mir scheint dies nun rausgeworfenes Geld zu sein, zumal die neue Besetzung bis auf Spyres eher „nur“ ordentlich/funktional ist. Angela Meade (als Hélène) ist nicht wirklich eine geborene Donizetti-Diva… Ihre Stimme fällt in die Kategorie „amerikanische Soprane“ der Cheryl-Studer-Sorte: sehr obertonreich, waberig an den Rändern, künstlich dunkel gesungen, um die Dramatik zu erreichen. Und sie beginnt sich in die Noten hineinzuschleifen, was der Figur nicht hilft und der unruhig werdenden, etwas amorphen Stimme auch nicht. David Stout braucht ein wenig Zeit zum Aufwärmen und gibt dann einen soliden, theatralisch-stimmlich nicht sonderlich markanten Sandoval (der Procida der späteren Verdi-Fassung). Und auch Laurent Naouri will mir leichtgewichtig, nicht mit genügend Authorität als Titelsänger scheinen. Sicher, er ist Franzose, und das hört man mit Diktion-Gewinn, aber er lässt Tiefe und Sonores vermissen und bleibt im Ganzen zu wenig prägnant, zu wenig zerrissen in seiner Vaterrolle und zu wenig gebieterisch als Besatzungschef. Die beiden Getreuen Carlos und Daniel sind mit Trystan Griffith und Giancarlo Burato unauffällig besetzt. Dazu kommen Robin Tritschler und Dawid Kimberg. Nein, es ist Michael Spyres, der hier wie in den kürzlich erschienenen Martyrs die Ehre Donizettis hochhält, der grandios das Heroische mit dem Lyrischen verbindet und der ein exemplarisches Französisch singt (er neigt zum Plärren in den offenen Vokalen). Immer wenn er drann ist (wie in seinen Soloauftritten oder Duetten/Ensembles – so in A1/Sz. 7 „Je suis libre“) geht die Post ab, wird´s megaspannend, wippt der Fuß. Er ist der Felsen, auf dem die Aufnahme steht und bei dem die Musik zu ihrem schmissigen Leben erwacht. Mark Elder am Pult des renommierten Hallé-Orchesters macht einen eher anständigen Job, funktional und mir zu wenig flexibel, bodenblastig und eher verdi-nah – das betrifft auch den leistungsstarken Chor. Der stützt unter Stephen Harris erfreulich die vorhandenen zwei Akte lang. Aber man würde nicht meckern, hätte man mehr vor sich. So ist eben nach dem 2. Schluss.

„Le Duc d´Albe“ an der Vlaamse Opera 2012/© Vlaamse Opera/Annemie Augustijns

An ordentlichen italienischen Live-Aufnahmen ist nicht wirklich Mangel. Mal abgesehen von der ersten mit der Mancini von der RAI 1953 (ehemals Melodram), der verschiedenen unter Eve Queler u. a. sowie der abenteuerlichen Schippers-Version (der Akt 3 und 4 zusammen legt) bietet sich als Stereoaufnahme die aus Montpellier 2007 bei Accord an, ordentlich gesungen und im Ganzen befriedigend. Warum nahm man also nicht das Original-Hinterlassene auf und ergänzte das Fehlende mit der von Matteo Salvi erstellten Version, aber mit dem französischen Libretto? Dann hätte man die ganze Oper. Nicht eben ganz original – aber wer möchte bitte schön sein Geld für nur 2 Akte einer seltenen 4-Akte-Oper ausgeben, die es so bereits mehr oder weniger – passabel – gibt? Nur die Fans von Michael Spyres? Wie auch immer: nun ist die neue Aufnahme auch in Deutschland (Note 1) auf dem Markt. Nachstehend der Pressetext von Opera Rara. Zum Werk und seiner problematischen Genesis empfielt sich der erwähnte Artikel von Alexander Weatherson bei uns. G. H.

 

 

(The Hallé Orchestra, Mark Elder, conductor; Angela Meade; Michael Spyres; Laurent Naouri; Gianluca Buratto; David Stout; Trystan Llŷr Griffiths; Robin Tritschler; Dawid Kimberg; Stephen Harris, Chorus Master; Opera Rara Chorus; ORC54)

Walter Knoeff

 

Mit Bestürzung erfuhr ich die Nachricht vom Tode meines Freundes, des Musikproduzenten und Pioniers Walter Knoeff. 1943 geboren, starb er am 3. März 2016, ganz plötzlich, wie mir berichtet wurde. Nun ist auch meine Generation in dem Alter, wo man plötzlich Freunde verliert und der Tod „die Reihen lichtet“, wie nicht nur der Dichter sagt. Aber Walters Tod kam so überraschend, weil wir noch vor zwei Wochen über eines seiner vielen CD-Projekte korrespondiert hatten, zu dem ich ihm Material liefern wollte. Er leitete die von ihm ins Leben gerufene Download-Opern-Firma opera-club.net, deren Aufnahmen wir in operalounge.de vielfach besprochen und gelobt haben.

Walter Knoeff mit Cristina Deutekom und Freunden/ facebook Walter Knoeff

Walter Knoeff mit Cristina Deutekom und Freunden/ facebook Walter Knoeff

Walter war einer der kenntnisreichsten Sammler von Opern- und Vokalaufnahmen, den ich kannte. Er hatte vor Jahren CD-Firmen wie Verona, Gala, Ponto und andere gegründet, deren Livemitschnitte in meist bester Sound-Qualität die Fans zu wohlfeilen Preisen erfreuten. In gewisser Weise führte er die Arbeit der Pionierin Ina Delcampo von Melodram fort und wartete immer wieder mit Überraschungen auf, auch weil er Zugang zu den Archiven der Rundfunkanstalten hatte und dort Schätze hob – Elisabeth Schwarzkopfs Abende in Amsterdam, viel von Nelly Miricioiu, Cristina Deutekom und Jan Derksen, eine ganze Sonderedition für Maria Callas – seine Beiträge zu den Schätzen aus Holland und Europa sind Legion, und schon dafür danke ich ihm und sicher unendlich viele andere auch.

Walter hatte kein einfaches Leben. Nach einer familienbedingt problematischen Kindheit bei Pflegeeltern in Lateinamerika wandte er sich in Holland und den USA der Psychiatrie zu, graduierte in Amerika und arbeitete dort wie auch in Amsterdam in der klinischen Neurologie und Psychiatrie am AMC. Ein anstrengender und Kräfte zehrender Job. „Nebenbei“ hatte er auch Regie bei Operettenaufführungen geführt und trat am holländischen Radiosender, dem Concertzender, mit seiner sonntäglichen Sendung “De Diva op de Erwt” hervor, wo er immer wieder Seltenes und Beliebtes vorstellte. Dorthin lud er mich mehrfach ein, um mit mir über meine Lieblingsaufnahmen zu plaudern – in Deutsch, wofür  ihn sein sehr zahlreiches Hörer-Publikum sehr bewunderte (in Deutschland  umgekehrt kaum vorstellbar).

Walter war ein praller, lebensnaher Mann, ein Epikuräer – er liebte das gute Essen und kochte sehr gern. Seine Dinnereinladungen waren berühmt, und er gab seine raffinierten Rezepte gerne weiter – ein Genussmensch, umgeben von wunderbaren antiken Bildern in seinem gemütlichen Haus in Hoorn.

Ach Walter, Du wirst mir fehlen. Diese wunderbaren Gespräche gespickt mit Apercus in seinem hochpersönlichen Deutsch, diese satte Lachen und diese frechen, wachen und jungen Augen! Was für ein Verlust! G. H. 

Thomas Volle

 

Als ich Thomas Volles Stimme das erste Mal hörte (in der Berliner Version von Davids Oper Herculanum in den Sophiensäälen 2013), war da was an seinem gutgeführten und interessant timbrierten Tenor, das mich anrührte – was ja für einen Sänger das Ideale ist, sein Gegenüber so zu erreichen. Er hat was in der Stimme, etwas sehr Persönliches, sehr Menschliches, das mich sofort „ansprang“ und mich dazu animierte, den attraktiven wuschelköpfigen jungen Mann um ein Gespräch zu bitten, das wir dann doch in schriftlicher Form machten. Und das Ergebnis zeigt einen sehr bewussten, sehr nachdenklichen jungen Sänger, der über sich, seine Stimme und seine Kunst reflektiert. Es war doch – für mich – eine Begegnung der besonderen Art. G. H.

 

Thomas Volle, Guido G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle, Guido/ Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

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Warum singen Sie? Was ist Singen für Sie, welche Gefühle/Reaktionen/Vorgänge werden ausgelöst? Singen und Musik sind mein „Schlüssel“, mein „Schleusenöffner“. Singen erfüllt mich, ist mein vielleicht wichtigstes, präzisestes und direktestes persönliches Ausdrucksmittel und Zugang zu meinen Emotionen, da es alles transportiert, gewollt oder nicht. Und Singen bereitet mir dieses besondere Glücksgefühl, das Gefühl „zu fliegen“, in Musik zu „schwimmen“. Dennoch bedeutet Singen Arbeit mit und an sich selbst, sich mit sich selbst intensiv zu beschäftigen, die richtige Balance zwischen Kopf und Bauch zu finden, sich zu entwickeln, körperlich zu arbeiten.

Thomas Volle, Tamino W.A. Mozart, „Die Zauberflöte“, Schärdinger Sommeroper, Österreich

Thomas Volle als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“, Schärdinger Sommeroper, Österreich/ Foto privat

Was lernt man als junger Sänger? Technik! Wann, wo, wie findet man sie? Wie die eigene Stimme? „Hier bin ich“, wo fühlen Sie sich wohl? Man lernt unglaublich viel über sich selbst! Technik, Theorie, szenischer Unterricht, Partienstudium, etc. – das sind alles sehr wichtige „Werkzeuge“. Der vielleicht entscheidende Lernprozess in meinem Fall war und ist die tägliche Beschäftigung mit mir selbst: mit meiner Stimme, meinem Körper, es geht um ganzkörperliche Fitness, gezieltes Muskeltraining, Muskelstimulanz, Aufwärmen und zielgerichtetes Einsingen, Anspannung und Entspannung. Ohne diese Grundlagen geht es nicht. Dann Beschäftigung mit meiner Psyche: schauen, dass es einem gut geht, dass ich „in Stimmung“ bin, Freude am Singen – auch wenn es einem gerade überhaupt nicht gut geht, Nervosität, Ruhe (bewahren), Selbstvertrauen, Konzentration, Kontrolle und „Loslassen“, genießen, reagieren, Emotionalität. Alles Dinge, die mitspielen. Wie funktioniere ich? Was brauche ich, damit es mir gut geht, damit ich mich gut fühle? Alles, damit ich so singen und „erzählen“ kann, wie ich will und kann. Eine spannende, intensive, gelegentlich echt frustrierende, aber doch so erfüllende Beschäftigung mit mir selbst! Um die eigene Stimme zu finden, bedarf es wohl einer Kombination aus all dem, aus der aufmerksamen Beschäftigung mit sich selbst, aus vielen (Selbst-)Erfahrungen und der für einen individuell passenden Technik, vermittelt durch den oder die passenden Lehrer. Dazu das Ausprobieren, Riskieren, Fehler machen dürfen. Und Geduld haben, sich die nötige Zeit geben! Wohl fühle ich mich, wenn ich spüre, dass „alles passt“, dass die Balance stimmt, dass ich im „flow“ bin, ich loslassen und genießen kann – da spielt es nicht unbedingt eine Rolle, ob Konzertpodium oder Opernbühne, Unterrichtsraum oder im stillen Kämmerlein zuhause. Das ist dann dieser Idealzustand, den man unentwegt sucht, dieser Zustand, der einen glücklich und diesen Beruf so außergewöhnlich macht. Das ist einfach wunderbar und erfüllend – und macht süchtig!!

 

Thomas Volle/ Foto © Matthias Keste

Thomas Volle/ Foto © Matthias Kestel

Umgang mit eigener Stimme? „Freund“? „Last“? Morgens testen? Superempfindlichkeit der Tenöre? Weißer Schal…? Ich glaube, ich bin kein typischer Sänger, wenn die Frage auf die typischen Vorurteile zielt… Ich bin vom Typ her ein ruhiger, eher introvertierter Mensch und habe meine eigene Art, diesen Beruf zu leben. So wie jeder andere das auch auf seine eigene Art macht. Äußerlichkeiten sind nicht unwichtig, aber sicher nicht das Wichtigste. Bestimmte „Erwartungsverhaltensweisen“ zu erfüllen, liegt mir nur bedingt. Jeder schafft sich, glaube ich, eine Art „System“, welches er braucht, um gut zu sein, Schutzmechanismen, Rituale etc.. Für mich gehören da Vorbereitung, Aufwärmen und Einsingen nach einem routinierten Muster dazu. Da weiß ich, das sind „meine“ Übungen, die funktionieren und die bringen mich und meine Stimme in die richtige „Stimmung“.Ich bin kein Übervorsichtiger, was den Umgang mit meiner Stimme angeht. Ich versuche, möglichst normal und unkompliziert damit umzugehen. Selbstverständlich achte ich darauf, dass ich und meine Stimme gesund bleiben! Ich kann aber auch mal gut ein paar Tage nicht singen, andere Dinge tun, das Leben genießen, ohne dass es mich stresst, nicht zu singen oder singen zu können. Klar, der Zeitpunkt kommt dann schon wieder, wo es kribbelt und juckt und ich singen will. Aber solche Pausen haben sich als unglaublich wertvoll erwiesen. Danach geht es dann meist sogar besser als zuvor. Insofern, meine Stimme ist mein „Freund“. Klar bleiben gewisse Einschränkungen nicht aus, aber das ist ok und die nehme ich in Kauf. Ja, das ist schon spannend, was für besonderen Menschen man in diesem Beruf begegnet – und Sänger sind da gerne mal eine besondere „Spezies“. Manchmal sehr anstrengend, oft imponierend und inspirierend, Individualisten, viele tolle Kollegen und Freunde habe ich kennengelernt. Und die Tenöre mit dem „weißen Schal“, die gibt es, wörtlich und im übertragenen Sinne. Und davon lebt das ganze Business ja auch ein gutes Stück weit. Aber wie gesagt, das muss und soll jeder so machen, wie es individuell passt. Authentisch muss es sein, sonst funktioniert es nicht. Tenöre stehen unter einer besonderen Spannung, Sing- und Sprechstimme liegen sehr weit voneinander entfernt, wir singen sozusagen in einer „unnatürlichen“ Lage. Das macht die ganze Angelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes spannend. Und das überträgt sich auch so auf den Zuhörer. Diese angesprochenen stereotypen Äußerlichkeiten sind daher bestimmt auch ein gewisser Schutz, vielleicht ein Signal des „Besonderen“, zugleich aber eben auch die Erfüllung einer gewissen Erwartung. Ach so: „Stimme morgens antesten“? Ja! Nicht immer, aber durchaus immer wieder. Es lebt sich entspannter, wenn man weiß, dass sie „da“ ist und funktioniert…!

 

Thomas Volle, Stefanus T. Jennefelt, „Paulus“ Berlin

Thomas Volle, Stefanus in T. Jennefelts „Paulus“/ Foto Andreas Schoelzel

Sie haben eine lange Liste von Lehrern und Meisterkursen: was bleibt da fürs Eigene? Gerhaher warnt vor Lehrern, die „Eigenes“ eliminieren – wo/wie/wann findet man sich? Diesbezüglich habe ich gelernt, dass jede sängerische Entwicklung eine individuelle ist. Der Idealfall wäre auf den ersten Blick vielleicht, den „einen“ Lehrer zu finden, der zu 100% passt und der einem alles mitgeben und vermitteln kann, was man für das fordernde Sängerleben braucht. Das ist heute aber einfach extrem schwer und vielleicht sogar unrealistisch oder unmöglich. Da muss jeder den eigenen Weg finden. Die Warnung vor der Gefahr, zu viele Lehrer und „Köche“ zu haben, kann ich nachvollziehen. Das muss aber nicht zum Nachteil sein. In meinem Falle lief und läuft die Entwicklung über verschieden Phasen und Impulse. Ich bin jemand, der viel „aufsaugt“, speichert und gewissenhaft arbeitet. Auch wenn ich zum Teil hart lernen und herausfinden musste, was zu mir passt, mich weiterbringt und was nicht oder nur bis zu einem bestimmten Punkt, bin ich für jeden Impuls dankbar. Alle haben beigetragen zu dem Sänger und Menschen, der ich jetzt bin und der sich noch weiter entwickelt. Ich kenne mich besser als noch vor einigen Jahren. Dass „Eigenes“ in diesem Prozess verloren ging, glaube ich nicht. Vielmehr hat es – und tut es immer noch – mir dabei geholfen, das „Eigene“ zu finden, stimmlich, technisch, psychisch, körperlich, Wege zu finden, mich genau und mannigfaltig und mir entsprechend auszudrücken. Wie gesagt, da ist jeder verschieden. Sicherlich stimmt, dass das Schüler-Lehrer-Verhältnis ein sensibles ist. Speziell als junger Sänger ist man formbar, Vertrauen ist die Basis. Da den richtigen Weg zwischen diesem Vertrauen, äußeren Einflüssen und Meinungen sowie gesundem Selbstvertrauen und Selbsteinschätzung zu finden, ist eine große Herausforderung. Zumindest war und ist es das für mich. Wie man sich findet? Zeit ist ein wichtiger Faktor. Erst vor wenigen Wochen im Unterricht hatte ich wieder ein solches „Aha-Erlebnis“. Plötzlich hat man etwas gefunden und verstanden, mit einem Male funktioniert etwas, ist etwas ganz leicht. Etwas, was man über die Jahre immer wieder gehört hat, was verschiedene Leute auf verschiedene Art und Weise, mit verschiedenen Worten und Bildern versucht haben, einem zu vermitteln. Man war aber (noch) nicht so weit, es zu verstehen oder umsetzen zu können. Und jetzt war die Zeit reif, man war bereit – ein Glücksgefühl! Natürlich muss man sich durch kontinuierliche Arbeit sich selbst die Grundlage dafür schaffen, für diese Momente bereit zu sein.

 

 Thomas Volle als Nureddin in Cornelius’  Oper „Der Barbier von Bagdad“/  Landestheater Coburg/   © Andrea Kremper


Thomas Volle als Nureddin mit Michael Lion in Cornelius’ Oper „Der Barbier von Bagdad“/ Landestheater Coburg/ © Andrea Kremper

Sie haben eine lange Repertoireliste für einen jungen Sänger. Haben Sie eine gute Agentur? Machen Sie vieles selbst? Ich weiß gar nicht, ob meine Repertoireliste ungewöhnlich lang ist. Ich habe einfach über die Jahre, auch vor dem Studium schon, versucht, „mitzunehmen“ was sinnvoll war. Ich war neugierig und offen und habe so viele Einblicke gewonnen, sehr viel gelernt, tolle und schwierige Erfahrungen gemacht und mir nach und nach das Repertoire erarbeitet. „Lehrjahre“! Trotzdem, selbst wenn ich Stücke oder Partien schon öfter gesungen habe, muss ich sie bei jedem Mal wieder meinem Entwicklungsstand anpassen, manchmal regelrecht neu lernen. Anstrengend, aber wichtig und erfrischend. Ja! Eine gute Agentur ist vor allem für den Opernbereich unerlässlich. Das ist eine Welt, die ihre eigenen Regeln hat, ohne „Zugangshilfe“ und kompetente Unterstützung sowie Kontakte ist es – meiner Erfahrung nach – fast aussichtslos. Im Konzertbereich geht bei mir noch ein guter Teil in Eigenregie. Über bestehende Kontakte, mehr und mehr und in größerem Rahmen, aber auch über „empfohlen werden“. Das ist natürlich optimal. Ein Gedanke ist durchaus, auch speziell für den Konzertbereich eine passende und gute Agentur zu finden, auch um da vielleicht die Möglichkeit zu haben, das oder die nächst höheren Level zu erreichen. Auch für meinen neuen weiteren „Markt“ in Schweden werde ich eine Agentur benötigen, die dort etabliert ist. Ich bin dran!

 

Thomas Volle und Peter Schreier: Penig/Chemnitz/ Chemnitzer Barockorchester unter der Lleitung vonMozartpreisträger feiert 10-Jähriges Bestehen/ Foto: Wolfgang Schmidt

Thomas Volle und Peter Schreier: Das Chemnitzer Barockorchester unter der Leitung des Mozartpreisträgers feierte mit dem „Weihnachtsoratorium“ sein  10-Jähriges Bestehen/ Foto: Wolfgang Schmidt

Rollen – wo sehen Sie sich? Lyrisch, oder doch mehr/größer? Ich sehe mich durchaus noch in der Entwicklung. Es passiert nach wie vor viel, ich entdecke nach wie vor Neues und freue mich über jeden weiteren Schritt. Schön zu sehen und fühlen und hören, dass die Arbeit Früchte trägt und mich weiter bringt. Mozart, Rossini, Händel, Donizetti und hier und da auch schon etwas „größer“, da sehe ich mich im Moment. Dann wird sich zeigen, wo die Stimme hin will, das Potential und die Voraussetzungen für Größeres hat sie. Ich bin gespannt und offen, französisches Fach, deutsches Fach, wir werden sehen. Ein bekannter Sänger meinte nach einer Probe für ein Konzert mit Mahlers Lied von der Erde in Dresden vor zwei Jahren, den „kommenden Lohengrin zu hören…Das wäre natürlich ein Traum – aber das wird die Zeit zeigen, da lasse ich mal noch einige Jahre ins Land ziehen und erstmal weit die Finger davon. Aber träumen darf man ja…!

 

Thomas Volle © Andreas Schoelzel

Thomas Volle © Andreas Schoelzel

Moderne Musik: Unterschiede zum konventionellen Repertoire? Ein Wort zu Regisseuren? Eigene Vorstellungen? Konflikte? Ein deutlicher Unterschied ist der Arbeitsaufwand. Meist benötige ich für die Erarbeitung zeitgenössischer Musik einfach mehr Zeit. Die Herausforderungen sind mannigfaltig, ungewohnte, manchmal grenzwertige stimmliche Anforderungen, komplexe Harmonik, komplizierter Rhythmus, gewöhnungsbedürftige Stimmführung, spannende (Zusammen-)Klänge, Töne, Geräusche, Text – alles will und muss verstanden und „trainiert“ werden. Hat man den Punkt erreicht, an dem alles „intus“ ist, sind die Unterschiede zum konventionellen Repertoire nicht mehr so groß. Gute und weniger gute Stücke und Kompositionen hat es immer gegeben, heute haben es zeitgenössische Werke vielleicht schwerer, angenommen zu werden – obwohl es in der Musikgeschichte genügend Beispiele gibt, dass Werke erst lange Zeit nach ihrer Entstehung populär und anerkannt wurden. In den meisten Fällen, in denen ich mit moderner Musik zu tun hatte, beschränkte sich die Arbeit leider auf ein Konzert oder ein Projekt, danach „verschwand“ das Werk wieder. In vielen Fällen sehr schade, nicht zuletzt weil der Aufwand wie gesagt sehr groß war. Und manche Stücke es wirklich verdient hätten, weiter gespielt und gehört und erlebt zu werden. Auch der Faktor „wie verkauft sich das Stück“ ist ein nicht unwesentlicher. Ich muss sagen, dass ich bisher mit Regisseuren fast durchweg gute und bereichernde Erfahrungen gemacht habe. Ich versuche, immer offen zu sein, mich von guten Ideen überzeugen zu lassen und Dinge auszuprobieren, an Grenzen zu gehen. Meine Erfahrung ist einfach, dass ich dadurch auch viel für und über mich gelernt habe. Auch wo meine Grenzen liegen, was ich kann und was ich nicht kann, was ich will und was ich nicht will, was mir hilft und was nicht, sängerisch und auf der Bühne agierend. Eigene Vorstellungen einbringen, eigene Ideen entwickeln, Dinge anbieten, das gehört absolut dazu und ist wichtig. Man steht ja selbst auf der Bühne mit seiner eigenen Persönlichkeit und Eigenheiten, die eine Rolle formen und ausfüllen. Der Regisseur schaut „von außen“, das meiste kommt von einem selbst. Muss es auch, damit es authentisch wird. Klar gibt es dabei gelegentlich Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, verschieden Charakter prallen aufeinander. Aber jeder ist in letzter Konsequenz für sich selbst verantwortlich. Das musste ich lernen. Dazu musste ich auch erst ein paar Mal „auf die Schnauze fallen“.

 

Thomas Volle, Guido; G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle, Guido; G. Donizetti, „Enrico di Borgogna“/ Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Die Schwedenschiene – das ist interessant, darüber würde ich gerne mehr erfahren! Ja, die Schwedenschiene. Die hat sich so ergeben, das war nicht geplant. 2012 habe ich die Partie des „Guido“ in Donizettis erster offizieller und weitgehend unbekannter Oper Enrico di Borgogna in einer Produktion der Vadstena Akademien in Schweden gesungen. Durch den Dirigenten Olof Boman, mit dem ich davor schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, und den Belcanto-Spezialisten Peter Berne hatte ich unabhängig von einander von diesem Projekt erfahren. Dort war man auf der Suche nach einem geeigneten Tenor für die ziemlich anspruchsvolle Partie des Guido. Beide haben mir das zugetraut, ich habe vorgesungen und die Rolle bekommen. Das Projekt war für mich sicher eines der schönsten, aber auch anstrengendsten Opernprojekte bisher. Ein ganzer Sommer in Schweden, in einem Schloss am See, tolle Kollegen, richtig gute Musik. Und ich habe dort meine Freundin kenngelernt, die Schwedin ist. So kam eines zum andern. Mittlerweile verbringe ich sehr viel Zeit in Schweden, meine Familie ist dort und ich bin dabei, einen neuen, zusätzlichen Markt zu entdecken. Ich empfinde es als tolle Chance, mich dort „neu“ präsentieren zu können, neue Kollegen, andere Traditionen, neue Eindrücke und Impulse – sehr bereichernd. Im Konzertbereich geht es schon ganz gut voran und ich freue mich über und auf richtig schöne Aufgaben, etwa als Solist in Konzerten mit dem Eric Ericson Kammarkör oder Konzerte an der Seite von großen Sängerinnen wie Nina Stemme oder Hillevi Martinpelto. Ich hoffe sehr, dass es in naher Zukunft auch klappt auf dem schwedischen Opernmarkt und ich auch dort „einen Fuß in die Tür“ bekomme.

 

Brauchen Sänger einen Lebensmittelpunkt? Sie haben eine kleine Tochter, wie wird das? Weniger reisen? Ich bin überzeugt davon, dass sich jeder „Sänger“ erst einmal als „Mensch“ wohl fühlen muss, um gut in seinem Beruf zu sein. Ob dazu ein fester Lebensmittelpunkt gehört, muss jeder für sich selbst entscheiden. Das muss ja auch nicht immer und unbedingt ein fester Ort sein. Ich fühle mich auf jeden Fall sehr wohl, so wie es jetzt gerade ist! Meine Familie und meine Freunde, die sind mein Lebensmittelpunkt. Eine eigene Familie, Vater einer kleinen Tochter zu sein, das empfinde ich als großes Glück, das ist ein Geschenk, das ist Leben. Und Verantwortung. Das erfüllt mich, macht mich glücklich, das ist auch die Grundlage für meinen Beruf. Wie sich das im einzelnen auswirkt, werden wir sehen und als Familie entscheiden. Natürlich will ich so viel Zeit als irgend möglich mit meiner Familie verbringen und für sie da sein, das hat Priorität. Durch meine freischaffende Tätigkeit konnten wir das bislang gut organisieren und arrangieren.

 

Thomas Volle als Nerone in  Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin  © Ernst Fesseler

Thomas Volle als Nerone in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“, Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin/ © Ernst Fesseler

Oper – Konzert, Unterschiede? Lied: Gestaltung und Kontrolle über alles im Gegensatz zu Oper/Konzert? Lied: eigener Ausdruck und Gestaltungschancen? Winterreise etc. Lieblingskomponisten? Reifen und neu gestalten? Unterschiede gibt es natürlich wesentliche, keine Frage! Trotzdem empfinde ich keine große Diskrepanz zwischen Oper und Konzert oder Lied, zumindest was das Singen angeht. Auch wenn ich das erst lernen musste: alles erfordert „richtiges“ Singen. Sprich, alles will und muss mit der „eigenen“ Stimme gesungen werden, unabhängig von eigenen und äußeren Erwartungen, wie es zu klingen hat. Die gestalterische Freiheit und Individualität, die ich beim Liedgesang empfinde, haben eine besonderen Reiz für mich. Das macht schon sehr viel Spaß, als „alleiniger“ Sänger die „eigene Geschichte“ zu erzählen, die ganz eigene Interpretation darzubieten, in den eigenen Emotionen zu schwelgen. Wenn man dazu den richtigen Klavierpartner hat, dann ist das einfach wunderbar. Irgendwie wie Oper, nur individueller und freier, und nicht minder dramatisch! Konzerte machen einen großen und wichtigen Teil meiner Tätigkeit aus. Als Konzertsänger habe ich meine ersten Erfahrungen als Solist gemacht, das begleitet mich schon lange Zeit. Und soll es auch weiterhin. Das Repertoire ist so unglaublich reich und bunt, über alle Epochen, oft Neues, neu Entdecktes, aber auch die Werke, die immer wiederkehren – das Bach’sche Weihnachtsoratorium oder die Passionen zu Ostern, das gehört einfach dazu und ist schön und spannend, immer wieder auf´s Neue. Das Agieren auf der Opernbühne, darstellerisch und sängerisch, mit Orchester, mit Kostüm und Kulissen, interagieren, sich „austoben“, sich ganz hineinbegeben, eine ganze Partie erarbeiten, all das ist unglaublich intensiv und erfüllend, macht süchtig. Ich will und kann das eine dem andern nicht vorziehen, dazu mache ich alles einfach zu gerne und empfinde die Vielfalt als absolut bereichernd. Demnächst steht wieder einmal Schuberts Die schöne Müllerin auf dem Programm, worauf ich mich sehr freue. Das ist eine extreme Herausforderung, knapp eine Stunde Musik, in der man in einen ganz eigenen Kosmos eintaucht und eine berührende, tiefgründige Geschichte erzählt – aber eben auch fast eine Stunde am Stück singt, mit allen „Höhen und Tiefen“, unterschiedlichsten sängerischen Herausforderungen, Konzentration und Ausdauer sind gefragt, außerordentlich fordernd. Aber großartig! Und macht viel Lust auf mehr: die Winterreise steht als nächstes an, ich bin sehr gespannt darauf und freue mich aufs Einstudieren und „Eintauchen“. Die letzten Wochen habe ich viel Zeit damit verbracht, verschiedenste Aufnahmen anzuhören, das ist schon wahnsinnig spannend, interessant und inspirierend. Ich habe keinen Lieblingskomponisten, keinen, den ich über alle anderen stellen würde. Das ändert sich interessanterweise auch immer ein wenig, je nachdem womit man sich gerade beschäftigt oder wen man (neu) entdeckt. Bach spielt schon eine große Rolle in meinem Tun, mit seiner Musik bin ich ein Stück weit aufgewachsen und sie begleitet mich stets. Brahms’ Musik berührt mich sehr, Puccinis Klangwelt fasziniert mich, Wagners Opern interessieren mich mehr und mehr. Insofern, große Bandbreite und offen für Neues – ich kann mich für Musik aller Epochen und Stile begeistern. (Die Fragen stellte Geerd Heinsen)

 

www.thomasvolle.de https://www.youtube.com/watch?v=pKT73-6TUUU https://www.youtube.com/watch?v=yj97A0Y9QdQ

 

Thomas Volle, "Der Barbier vpon Sevilla" mit Gabriela Künzler/Landestheater Coburg

Thomas Volle als Nureddin in „Der Barbier von Bagdad“ mit Gabriela Künzler/Landestheater Coburg/ Foto Andrea Kremper

Und hier noch eine umfangreiche und beeindruckende Biographie des Tenors: Thomas Volle, in Nürtingen geboren, erhielt seinen ersten Gesangsunterricht bei den Aurelius Sängerknaben Calw, wo er als Knabe in Mozarts Zauberflöte schon früh Bühnenerfahrung sammeln konnte. 2002 begann er sein Gesangsstudium bei Thomas Quasthoff, zunächst an der Hochschule für Musik Detmold, ab 2004 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, wo er u.a. auch Mitglied der Liedklasse von Wolfram Rieger war. Anschließend absolvierte er ein Aufbaustudium (Konzertexamen) bei Berthold Schmid an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. Der junge Tenor ist Preisträger des „Frankfurter Mendelssohn-Preis 2008“ und war mehrfach erfolgreich beim Wettbewerb „Jugend musiziert“, 2001 war er auf Einladung des Deutschen Musikrates Teilnehmer der „European Summer Academy for Chamber Music“ in Blonay (Schweiz). Er absolvierte verschiedene Meisterkurse bei Charlotte Lehmann, 2007 nahm er an der Masterclass „The Art of Song“ in der Carnegie Hall in New York teil. Bereits mehrere Male war er Gast bei der Biennale Alter Musik in Berlin und beim Bachfest Leipzig und sang bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, den Telemann-Tagen Magdeburg, dem Zermatt Festival, dem Internasjonale Kirkemusikkfestival Oslo sowie dem Christmas Sibirian Festival Novosibirsk oder den „Niedersächsischen Musiktagen“. Thomas Volle wirkte in zahlreichen Opernproduktionen mit, die ihn beispielsweise an das Théâtre des Champs-Elysées Paris, die Opéra de Lille, La Monnaie Brüssel, das Landestheater Detmold, das Landestheater Coburg, die Städtischen Bühnen Bielefeld oder das Schlosstheater Rheinsberg führten, und war Mitglied der Jungen Kammeroper NRW und Niedersachsen. In Berlin war er unter anderem als Oebalus in Mozarts Apollo und Hyazinth zur Wiedereröffung des Bodemuseums und in Produktionen der Hochschule für Musik Hanns Eisler als Xerxes in der gleichnamigen Oper von Händel, in Puccinis Gianni Schicchi in der Partie des Rinuccio oder als Nerone in Monteverdis L’incoronazione di Poppea zu erleben. Er war als Ferrando in Mozarts  in der Jahresproduktion der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig zu hören, eine Produktion der Sasha Waltz&Guests Dance Company und des ensemble modern führte ihn mit der Uraufführung von P. Dusapins Passio nach Paris ans Théâtre des Champs-Elysées. In den letzten Jahr war Thomas Volle etwa als Tamino in Mozarts Zauberflöte beim Festival „Schärdinger Sommeroper“ (Österreich) oder bei der Uraufführung von T. Jennefelts Paulus in Berlin zu erleben, es folgten u.a. weitere Vorstellungen von Dusapins Passio in La Monnaie Brüssel sowie die Partie des Pastore in Monteverdis Orfeo im HAU1 Berlin oder die Partie des Guido in Donizettis Enrico di Borgogna in einer Produktion der „Vadstena Akademien“ (Schweden).

Thomas Volle als Guido in Donizettis „Enrico di Borgogna“/ Foto Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Thomas Volle als Guido in Donizettis „Enrico di Borgogna“/ Foto Vadstena Akademien/ © Markus Gårder

Zuletzt debütierte Thomas Volle u.a. als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni sowie in der Partie des Nureddin in P. Cornelius’ Der Barbier von Bagdad am Landestheater Coburg. Sein umfangreiches Repertoire als Konzert- und Oratoriensänger umfasst u.a. Monteverdis Marienvesper, Bachs Passionen, Oratorien und die Messe in h-Moll sowie zahlreiche Kantaten, Händels Messias, Haydns Schöpfung, Mozarts Messen und Requiem, Mendelssohns Paulus und Elias oder Honeggers Le Roi David. Er konzertierte mit Orchestern wie der Akademie für Alte Musik Berlin, der Lautten Compagney Berlin, dem Elbipolis Barockorchester, Drottningholms Barockensemble, Helsinki Baroque Orchestra, dem Leipziger Barockorchester, dem Scharoun-Ensemble, dem Solistenensemble Kaleidoskop, dem Konzerthausorchester Berlin, den Deutschen Philharmonikern, der Staatskapelle Halle, dem Akademisches Symphonieorchester Novosibirsk oder etwa dem Orquesta Filarmónica De Cámara Madrid sowie mit Chören und Ensembles wie dem Eric Ericsons Kammarkör, Dresdner Kammerchor, „I Fagiolini“, dem Philharmonischen Chor Köln, der Berliner Singakademie, der State Russian A. Yurlov Choir Capella, den Aurelius Sängerknaben Calw, dem Cäcilien-Chor Frankfurt oder der „Singakademie zu Berlin“. Seine rege Tätigkeit im Konzertbereich führt ihn regelmäßig ins Ausland und er sang in Konzerthäusern wie der Novosibirsk Philharmonia, Stockholms Konserthus, der Berliner Philharmonie, der Kölner Philharmonie, dem Konzerthaus Berlin oder der Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld. Dabei arbeitete Thomas Volle mit Dirigenten wie Marcus Creed, Peter Schreier, Robert Hollingworth, Franck Ollu, Gintaras Rinkevičius, Olof Boman, Roland Kluttig, Wolfgang Katschner, Fredrik Malmberg, Florian Heyerick, Ralf Popken oder Wolfgang Helbich. Intensiv widmet sich Thomas Volle auch dem Liedgesang und kann dabei auf ein breit gefächertes Repertoire zurückgreifen. Zuletzt präsentierte er mit der Pianistin Katharina Landl Schuberts Die schöne Müllerin in Rattenberg (Österreich), ebenso war er in Dresden mit Mahlers Das Lied von der Erde zu hören oder gab als „Artist in Residence“ der „Vadstena Akademien“ in Vadstena (Schweden) mit dem Pianisten Magnus Svensson einen Liederabend mit einem rein schwedischen Programm. Zudem arbeitet Thomas Volle immer wieder mit verschiedenen Ensembles wie etwa dem Athesinus Consort, dem Vocalconsort Berlin oder Cappella Amsterdam; und nun im März 20016  gibt es einen Auftritt in der Alten Oper Frankfurt. (Quelle www.thomasvolle.de; Foto oben Thomas Volle als Nerone in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“; HfM Hanns Eisler, Berlin/ © Bella Lieberberg)  

 

Thomas Volle/ Portrait Lauttencompagney/ Foto Volle

Thomas Volle/ Foto privat