Aufsehen erregte im November 2015 am Theater Freiberg das deutsch-russische Projekt einer bislang unbekannten, nur als beinahe mythischer Titel überlieferten Oper – Carl Maria von Webers Erstling Das Waldmädchen von 1800. Die Quellenlage ist ebenso spannend wie die Genesis des Materials dieser ersten opernhaften Gehversuche des großen deutschen Komponisten. Nachfolgend gibt es Auszüge aus dem Programmheft des Mittelsächsischen Theaters Freiberg, wo die Oper im November 2015 zur konzertanten Aufführung gelangte und im März/ April 2016 noch mal wieder aufgenommen wird (s. unten).
Zu Beginn ein Grußwort der Direktion des Mariinsky-Theaters: Seit 1806 wird im historischen Bücherbestand der Bibliothek des Mariinsky Theaters (der ehemaligen Zentralen Musikbibliothek der Direktion der kaiserlichen Theater) in Sankt Petersburg das einzige überlieferte Exemplar der frühen Weber-Oper Das Waldmädchen (1800) aufbewahrt. Das Auftauchen dieser Oper in Sankt Petersburg, ihre Erstaufführung im Jahre 1804 und die Aufbewahrung in den Archiven unserer Bibliothek spiegelt eine der grundlegenden Besonderheiten der russischen Theatergeschichte wider, nämlich die ständige Präsenz verschiedener deutscher Theatertruppen und Theaterunternehmen im russischen Hoftheatersystem. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts war das deutsche Schauspiel und Musiktheater neben dem italienischen und französischen Theater immer und ununterbrochen am kaiserlichen Hof in Sankt Petersburg und in Russland insgesamt vertreten. Für die russische Musik- und Theaterkultur war die Rolle dieser Weber-Oper Das (stumme) Waldmädchen ganz besonders bemerkenswert, da sie einen der ersten Schritte auf dem Weg zur zunehmenden Beliebtheit des jungen deutschen Komponisten in Russland darstellt. Die Aufführung vom Waldmädchen auf der Sankt Petersburger Bühne war ein symbolisches Präludium zur begeisterten Aufnahme der bedeutendsten Weber-Oper Der Freischütz beim russischen Publikum im Jahre 1824.
Als Zeichen des tiefen Respekts vor den langen Traditionen der kulturellen und historischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland sowie in dem Bemühen, die weitere Entwicklung dieser so wichtigen Traditionen zu unterstützen, überlässt die Direktion des Mariinsky Theaters dem deutschen Partner die einzigartigen Aufführungsmaterialien der Weber-Oper Das (stumme) Waldmädchen für die Aufführung dieses Werkes am historischen Ort, auf der Bühne des Freiberger Stadttheaters. («The music materials have been provided by courtesy of the Mariinsky Theatre»).
Und nun der einführende Text des Freiberger Dramaturgen Christoph Nieder. Ritter von Steinsberg, Weber und das Waldmädchen: Der Autor, Schauspieler und Theaterdirektor Karl Franz Guolfinger Ritter von Steinsberg wurde 1757 in Böhmen geboren. Seit 1777 veröffentlichte er Dramen; berühmt wurde er ab 1782 mit Predigtkritiken, die er nach der Aufhebung der Zensur durch Kaiser Joseph II. herausbrachte. 1797/98 leitete er als Direktor zwei Theater in Prag, wo die Tradition der Mozart-Uraufführungen 1787 (Don Giovanni) und 1791 (La Clemenza di Tito) durchaus noch gegenwärtig war, dazu das Theater in Regensburg. Auf diesem Gipfel konnte er sich nicht lange halten; fortgesetzt wurden jedoch die Sommertourneen in Karlsbad und Teplitz. Hier lernte Steinsberg 1799 reliable online pharmacy australia auch Vater und Sohn Weber kennen – ob da schon über eine mögliche Zusammenarbeit gesprochen wurde, ist ungewiss. Carl Maria von Weber (* 1786) war die ersten zehn Jahre seines Lebens mit der Theatertruppe seiner Großfamilie – neben Vater Franz Anton und der Mutter auch wesentlich ältere Halbgeschwister aus der ersten Ehe des Vaters – unterwegs. Eine geregelte Ausbildung erhielt er kaum, stand aber vermutlich schon als Kleinkind mit auf der Bühne und lernte das gängige Repertoire der 1790er Jahre, Komödien und Ritterstücke, Singspiele, aber auch Mozart-Opern aus unmittelbarer Erfahrung kennen. Carl Anton, ein Bruder von Mozarts Schwiegervater, wollte auch aus seinem Sohn ein Wunderkind machen – erste Kompositionen des Kindes scheinen wenig bedeutend, als Pianist jedoch erhielt er eine gründliche Ausbildung.
Das Familientheater ging auseinander, und ab 1796 waren Vater und Sohn Weber allein unterwegs – der Knabe produzierte sich als Musiker und erhielt außerdem, wo sich das anbot, selbst Unterricht, aber auch anderen Geschäftsideen war man nicht abgeneigt. So lernten die beiden Webers in München bei Alois Senefelder dessen neu entwickeltes Steindruckverfahren kennen, mit denen sich Noten leichter vervielfältigen ließen. Dieses Verfahren wollten sie in Freiberg nutzen. Konkrete Vorlage für die Waldmädchen-Oper war wahrscheinlich ein gleichnamiges Ballett, das in Wien mit der Musik von Paul Wranitzky sehr populär war und das auch Steinsbergs Theaterensemble zeitweilig im Spielplan hatte – in Freiberg allerdings nicht mehr, so dass es aus Sicht des Direktors und Autors nahe lag, das beliebte Sujet und den bekannten Titel jetzt für eine Oper zu nutzen.
Die Herkunft vom Ballett erklärt auch die für eine Oper eher ungewöhnliche stumme Titelheldin. Allerdings interessierte man sich Ende des 18. Jahrhunderts auch sonst für Wilde Kinder: Zeitungsnotizen über verwildert im Wald aufgefundene Kinder stießen – wohl im Zuge der Aufklärung und von Überlegungen, was an Sprache und Zivilisation angeboren, was durch Erziehung zu beeinflussen sei – auf großes Interesse. Das Thema wurde dann im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts rund um Kasper Hauser noch einmal sehr populär. Es gab aber für Steinsbergs Waldmädchen auch weitere Theatervorbilder, die heute zumeist unbekannt sind. Eine Ausnahme bildet Mozarts Zauberflöte: die Eröffnungsszene mit dem sich zunächst mutig gebenden Papageno und der Schlange ähnelt sehr dem Knappen Krips auf Bärenjagd. Noch enger ist die Parallele zum seit 1798 äußerst erfolgreichen Singspiel Das Donauweibchen von Karl Friedrich Hensler: Auch hier wird die Eröffnungsszene von einem Jägerchor auf Bärenjagd bestritten. Steinsberg selbst veröffentlichte 1800 Die Grafen Helfenfels, oder Rache für achtzehnjährige Acht, in dem ein Grundkonflikt – Streitigkeiten tadalafil citrate der Väter haben eine Familie zerstört und bedrohen die Liebe der Kinder, am Ende aber wird alles gut – ebenso an Konstellationen in unserem Waldmädchen erinnert wie ein 1793 erschienenes Ritterliches Schauspiel von Johann Aloys Senefelder, dem Sohn des oben genannten Steindruckerfinders: Mathilde von Altenstein, oder die Bärenhöhle verweist schon mit dem Namen der Titelheldin wie mit der Höhle ebenfalls aufs Waldmädchen. Es kam also bei erfolgversprechenden Theaterstücken weniger auf Originalität an als darauf, bekannte und beliebte Versatzstücke geschickt und mit vielleicht einer kleinen neuen Wendung zu kombinieren.
Die Lage für Steinsbergs Theatertruppe in Freiberg war nicht einfach: Womöglich war das Publikum der Stadt doch zu klein, um mehrfach in der Woche das Theater zu füllen; auch Abstecher z.B. nach Oederan brachten keine großen wirtschaftlichen Erfolge. Sänger und Tänzer verließen die Truppe, Steinsberg trat von seinem Direktorenposten zurück, übernahm die Stelle aber nach wenigen Wochen wieder. Alles in allem keine idealen Voraussetzungen für eine neue Oper, deren Erfolg andererseits dringend gebraucht wurde.
In wenigen Wochen wurde Das Waldmädchen abgeschlossen; die Uraufführung lief den Umständen entsprechend wahrscheinlich gar nicht so schlecht, aber Vater Weber hatte für sein Wunderkind so sehr die Werbetrommel gerührt, dass zumindest einige Besucher dann doch enttäuscht waren. In Chemnitz lief es nicht viel besser, die Steinsbergsche Theatergesellschaft löste viagra online sich auf, und auch die Webers gingen ihrer Wege. Carl Maria kam 1808 auf das Waldmädchen zurück und nahm die frühe Oper, gemeinsam mit dem Librettisten Franz Carl Hiemer, zur Vorlage für die neue Oper Silvana. Diese wurde 1810 in Frankfurt uraufgeführt, Weber nahm für eine Aufführung in Berlin 1812 Änderungen vor und beschäftigte sich noch 1818 in Dresden mit Silvana – erst nach dem Freischütz (1821) erlosch das Interesse an der einen krönenden Abschluss: Ende 1802 kam er zunächst als Schauspieler ans Deutsche Theater in St. Petersburg und gründete nach einem Moskau-Gastspiel 1804 dort wieder ein eigenes Theaterunternehmen, das er bis zu seinem Tod 1806 erfolgreich leitete. Seine Witwe kehrte nach ihrer Wiederverheiratung 1808 nach Petersburg zurück.
In St. Petersburg ist 1804 eine mäßig erfolgreiche Waldmädchen-Aufführung nachgewiesen; noch 1824 nahm ein Sänger Einblick in die Noten, entschied sich dann aber für eine Aufführung der Silvana statt des Waldmädchens. In dieser Zeit wurde Weber auch in Russland populär: Neben dem Freischütz standen Silvana und die Schauspielmusik zu Preciosa auf den Spielplänen. Der genaue Weg der Waldmädchen-Noten ist noch unbekannt, sei es, dass sie nach der Aufführung 1804 im Petersburger Archiv blieben, sei es, dass Steinsberg sie mit nach Moskau nahm und sie später eventuell aus dem Nachlass seiner Witwe ins Archiv kamen. Spätestens seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts liegen die Noten wohl dort, und niemand hat danach gefragt – weil niemand ein nicht besonders erfolgreiches Frühwerk Carl Maria von Webers ausgerechnet in Russland vermutete. Die große Entdeckung der letzten Jahre war die Verbindung zwischen dem böhmischen Autor und Theaterdirektor Steinsberg, über den es in österreichsischen Lexika hieß, seine Spur verliere sich nach 1800, und dem in Russland erfolgreichen Theatermann gleichen Namens. Christoph Nieder (mit Dank an Frau Gubkina und Herrn Ziegler, die Christoph Nieders auf S. 17 des Programmheftes auflistet; sein Artikel ist ja – wie er schreibt – im wesentlichen eine Zusammenfassung von deren Forschungen).
Dazu auch der Herausgeber und Bergbauingenieur Reinhard Schmidt: Im Jahre 1998 hielt die russische Musikwissenschaftlerin Natalia Gubkina in Chemnitz einen Vortrag mit dem Titel „Deutsches Musiktheater in cialis compresse Sankt Petersburg am Anfang des 19. Jahrhunderts“ und erwähnte dort die letzte Aufführung des Waldmädchens in einer St. Petersburger Benefiz-Veranstaltung. Der Librettist Karl Ritter von Steinsberg hatte wohl die Partitur dorthin mitgenommen. Darüber hinaus gab es die Nachricht, dass sich rund 80 % der historischen Noten Russlands in der Bibliothek des dortigen Mariinsky Theaters befinden. Ich hatte großes Interesse, das Werk, das in Freiberg uraufgeführt worden war, seinem Ursprungsort wieder zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck habe ich seit dem Jahr 2008 unzählige Briefe an die Bibliothek des Mariinsky Theaters geschrieben. Meine Hartnäckigkeit wurde belohnt, ich bekam im Jahre 2009 eine freundliche Antwort mit einer Einladung zum Besichtigen des Originals verbunden mit dem Besuch einer Rheingold– Premiere, dirigiert von Maestro Gergiev. Zusammen mit Prof. Drebenstedt von der TU Bergakademie Freiberg, der bester Kenner Russlands und seiner Sprache ist, konnte ich in Gegenwart von Frau Professor Scherbakova und der Justiziarin Frau Mochalova am 4. Juli 2009 das Originalmanuskript in der Hand halten. Wir wurden darauf hingewiesen, dass das Manuskript dort inventarisiert und jederzeit zugänglich sei. Der Begriff „verschollen“ sei also auf ein Informationsdefizit in Deutschland zurückzuführen. Im Sommer 2014 besuchten die genannten Damen aus St. Petersburg Spielstätten und Hochschulen in Freiberg und Dresden und kündigten die baldige Aushändigung des Werks an, die im Spätsommer zu einem fairen Preis erfolgte. Reinhard Schmidt
Die Texte entnahmen wir mit Dank dem Programmheft zur konzertanten Aufführung der Oper am Mittelsächsischen Theater Freiberg im November 2015 – besonders Christoph Nieder sind wir deswegen verbunden! Foto oben: Carl Maria von Weber/ Ausschnitt/ Wiki
Carl Maria von Weber: Das (stumme) Waldmädchen am Mittelsächsischen Theater Freiberg; Martin Gäbler (Fürst Arbander), Miriam Alexandra (Mathilde, seine Tochter), Derek Rue (Prinz Sigmund), Barbora Fritscher (Kunigunde, Mathildens Kammerfrau), Sergio Raonic Lukovic (Krips, Prinz Sigmunds Knappe), Guido Kunze (Konrad Wizlingo, Fürst Hertors Knappe), Fürst Hertor: Markus Ahme, Sprecher/Wenskij: Oliver Niemeier; Opernchor (Choreinstudierung: Alexander Livenson); Musikalische Leitung: Raoul Grüneis, Mittelsächsische Philharmonie (20. 11. 2015) Foto oben: Rüdiger Winter