Kurz vor ihrem 48. Geburtstag hat die österreichische Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager begonnen, ihre Erinnerungen mit Hilfe von Achim Schneyder aufzuzeichnen und verblüfft den Leser von der ersten Seite an mit dem ganz besonderen Stil ihres Buches, das den Untertitel „Ich erfinde mich jeden Tag neu“ trägt. Die Biographie hat den Charakter eines intimen Zwiegesprächs mit dem Leser, lotet eine weite Spanne zwischen weltanschaulichen Betrachtungen bis zum „Ausmisten“ von weniger hochfliegenden Erinnerungen aus und gibt dem Leser das Gefühl, direkt von der mitteilungsfreudigen Künstlerin angesprochen zu werden, deren Konterfei zwischen „Göttin“ und „stinknormal“, so Konstantin Wecker im Vorwort, eine Vielzahl von Schattierungen aufweist,
Ungewöhnlich ist auch die Aufteilung in Kapitel und Untertitel, die verblüffen sollen, wenn zum Beispiel in einer Überschrift sich Papst, Riccardo Muti und eine Besenkammer als seltsames Trio vereint finden und, wie nach dem gleichen Muster auch die anderen Kapitel, die Neugier des Lesers wecken sollen und dies auch tun. Nicht im Unklaren darüber gelassen, warum das Buch just zu diesem Zeitpunkt entstand, wird der Leser mit dem Bekenntnis der Autorin, dass sie von nun an nur noch das in ihrem künstlerischen und privaten Leben machen tun werde, was sie wirklich wolle, was ihr gut tue.
In einem steten Wechsel aus mehr oder weniger chronologischer Darstellung von Leben und Karriere und nachdenklichem Reflektieren über das Geschehene erfährt der Leser sehr viel über die innere Verfasstheit der Sängerin, weniger, und das ist schade, über ihre künstlerische Arbeit, so wenn sie meint, bei der Arbeit mit ihrem ersten Rosenkavalier-Regisseur in Graz habe sich ihre endgültige Auffassung vom Octavian herausgebildet, man aber nicht erfährt, was diese an Besonderem ausmacht. Ausführlicher wird Angelika Kirchschlager in dieser Hinsicht bei ihren Ausführungen über die Mélisande. Im Kapitel über Liedgesang sind die Abschnitte über die unterschiedlichen Vertonungen bekannter Gedichte aufschlussreich.
Sympathisch berührt den Leser, in welch herzlicher Art die
Künstlerin verstorbener Freunde wie Walter Berrys gedenkt oder sich zu lebenden Freunden bekennt. Auch scheut sie sich nicht, eine Beschreibung des gewesenen und des jetzigen Intendanten der Wiener Staatsoper zu liefern, beweist Humor wenn sie die Frage nach der richtigen Zeit für das Kinderkriegen einer Sängerin mit Nie beantwortet. Auch die Liebe zu Wein und Zigaretten wird spaßig beschrieben, und der Leser ist beinahe versucht, daran zu glauben, dass es das Süße Wiener Mädel tatsächlich und nicht nur in verlogenen Heurigen-Liedern gibt. Dessen niedliche Koketterie ist im Buch der Kirchschlager nicht zu überlesen, so wenn sie sich als Anti-Operngängerin outet, über ihr Chaotentum schreibt oder durch Wiederholung eine Auffassung noch einmal zu bekräftigen versucht. So entsteht auch der Eindruck des Unmittelbaren, der die Biographie auszeichnet. Der untreue Cellist und der mit seinem Blut Liebesbriefe schreibende Regisseur werden insofern geschont, als ihre Namen nicht preisgegeben werden. Anders sieht es da mit den Salzburger Festspielen aus, über die die Autorin zu so harten wie sicherlich begründeten Vorwürfen findet.
Der Leser wird gut unterhalten
von diesem sehr freimütigen, aber nie indiskreten, ehrlich erscheinenden Buch mit erheiternd österreichischem Touch (Amalthea Verlag Wien; ISBN 978 3 85002 847 9). Ingrid Wanja