Barocke Eindrücke

 

Die Einspielung von Purcells Dido and Aeneas unter Colin Davis erschien erstmals 1970 als LP auf dem Philips-Label und ist in der Folge dort auch als CD herausgekommen, aber offenbar „outgesorst“ worden. Nun legt sie Pentatone Remastered Classics in einer digitalisierten Überarbeitung vor (PTC 5186 230). Die Aufnahme ist wegen der Mitwirkung der englischen Mezzosopranistin Josephine Veasey in der weiblichen Titelrolle von besonderem Interesse. Ihr warmer, nobler Ton gibt der Dido eine unvergleichliche Würde – bereits der Auftritt („Ah! Belinda, I am prest“) berührt in seiner Wahrhaftigkeit und eindringlichen Stimmgebung. Und natürlich führt sie am Ende ihr berühmtes Lament in seinem schmerzlichen Klang von tiefster Trauer und Entrücktheit gebührend zum Höhepunkt der Oper.

Belinda ist Helen Donath, eine Ikone im lyrischen Sopranfach, deren Stimme jugendliche Anmut verströmt und trotz aller Munterkeit nie in einen billigen Soubrettenton abgleitet. Der Bassbariton John Shirley-Quirk singt einen resoluten, reifen und auch sinnlichen Aeneas. Gravitätisch-schwer beginnt mit einem konservativen Orchester der 2. Akt in der Höhle, wo Elizabeth Bainbridge eine dämonische Sorceress gestaltet und mit mächtigen „Appear!“-Rufen imponiert. Eine Luxusbesetzung für den Spirit ist Thomas Allen, der später selbst den männlichen Titelhelden des Werkes gesungen und auch eingespielt hat, mit prachtvollem, virilem Bariton. Mit frischem Tenor ergänzt Frank Patterson die Besetzung als First Sailor. Der John Alldis Choir singt mit lautmalerischer Lebendigkeit. Der großflächige, oft romantisch anmutende Klang der Academy of St Martin in the Fields unter Colin Davis ist für heutige Hörgewohnheiten etwas fern, doch nach den vielen Aufnahmen der letzten Jahre auf historischen Instrumenten bringt diese Wiederveröffentlichung eine andere, kontrastierende Farbe ein und ist daher sehr willkommen, schon wegen der überragenden Solisten. Bernd Hoppe

 

 

Den vielen, vielen, vielen erhältlichen Aufnahmen von Purcells Dido and Aeneas fügt signum CLASSICS eine weitere hinzu, die es angesichts der erdrückenden Konkurrenz auf dem Markt schwer haben dürfte, sich als gültige Alternative zu behaupten (SIGCD417). Das liegt nicht am Dirigenten Christopher Monks, der den Armonico Consort zu vitalem, pulsierendem Musizieren mit differenzierten Stimmungen inspiriert, sondern an einer unausgewogenen Besetzung. Bietet das Titelpaar mit der Mezzosopranistin Rachael Lloyd und dem Bariton Robert Davies noch solide, wenn auch keine memorablen Leistungen, werden die wichtigen Charakterrollen der Sorceress, der First und Second Witch sowie des Drunken Sailor nur ungenügend wahrgenommen. Da kommt der Eindruck auf, dass es sich bei diesen Interpreten um Laien handeln könnte. Doch der Counter Roderick Morris, der die Sorceress grotesk verzerrt, ist tatsächlich ein professionell ausgebildeter Sänger, der bei diversen Festivals aufgetreten ist und auch mit Michael Chance gesungen hat. An den Rand der Parodie führen Eloise Irving und Jenni Harper The First and Second Witch mit bizarrer Tongebung von kreischenden und lallenden Geräuschen. Natürlich verlangen diese Partien besondere Farben und einen spezifischen Ausdruck – aber hier ist die Grenze zur Persiflage überschritten. Dilettantisch klingt der Gesang von Miles Golding als Drunken Sailor in seinem Song „Come away“. Für die Dido ist der hohe Mezzo von Rachael Lloyd zu unpersönlich. Vor allem für die große Schluss-Szene „When I am laid“ fehlt ihr das tragische Pathos. Der Aeneas von Davies profitiert von seinem sonoren Ton und dem nachdrücklichen Vortrag. Die Belinda nimmt Elin Manahan Thomas mit munterem, etwas anonymem Sopran wahr, singt ihre beiden Soli „Pursue thy conquest love“ und „Haste to town“ lebhaft und eloquent. Ein Gesangsoktett des Armonico Consort übernimmt die kurzen Chorszenen kompetent und sorgt vor allem im finalen „With drooping wings“ für einen ergreifenden Moment der Trauer (aber das ist eben auch so komponiert)… Bernd Hoppe

 

purcell dido and aeneas signum classicsAn Aufnahmen von Händels Oratorium L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato ist kein Mangel im Katalog, doch die Neueinspielung bei Signum Records/Winged Lion (SIGCD 392) unter Paul McCreesh erweckt besondere Aufmerksamkeit durch die verwendete Erstfassung von 1740, die der Komponist selbst dirigiert hatte. Dem Werk fehlen Ouvertüre und Einleitungen zum zweiten und dritten Teil, wofür Händel die Concerti

grossi op. 6 Nr. 1 und 3 sowie das Orgelkonzert op. 7 Nr. 1 nutzte. Der Dirigent geht in seiner 2013/14 entstandenen Produktion darauf zurück und fügt diese Kompositionen vor Beginn eines jeden der drei Teile ein. Mit seinen Gabriel Players stimmt er das A tempo giusto des Concerto grosso op.6, Nr. 1 in gemessener Feierlichkeit an, lässt das Allegro munter eilend folgen, breitet das Adagio in ernster Stimmung aus und schließt mit den beiden Allegro-Sätzen in ausgelassener Heiterkeit. Auch op. 6, Nr. 3 wechselt zwischen getragen ernsten und tänzerisch beschwingten Teilen – Gelegenheit für das Ensemble, mit hoher spielerischer Kultur und großem Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Stimmungen zu glänzen.

Eine ausgewogene Besetzung sichert der Aufnahme ihren festen Platz im Verzeichnis der verfügbaren, trotz der starken Konkurrenz mit der bei hyperion unter Robert King, angeführt von Susan Gritton. Hier ist es die Sopranistin Gillian Webster, der alle Arien des Penseroso und eine des Moderato, dessen Nummern darüber hinaus auch vom Tenor und Bariton sowie vom Chor gegeben werden, obliegen. Sie singt mit nobler Stimme von hoher lyrischer Kultur, leuchtend in der Höhe und mit inniger Empfindung im Ausdruck. Bezaubernd ihr Air „Sweet bird“, dessen einleitende Flötentriller Vogelstimmen imitieren, woraus sich später ein virtuoser Dialog mit der Solostimme entwickelt. Himmlisch schwebende Töne von makelloser Reinheit vernimmt man in „But O! sad virgin“ und „Hide me“. Der Tenorpart, dem die Arien des Allegro und Moderato zufallen, findet in Jeremy Ovenden einen idealen Interpreten. Er lässt eine so charaktervolle wie kultivierte, typisch englische Stimme hören, trägt seine Airs lautmalerisch prägnant vor, demonstriert (so in „There let Hymen oft apppear“) auch eine brillante Koloraturgeläufigkeit. Einer von Händels wunderbaren melodischen Einfällen ist das wiegende „Let me wander“, welches der Sänger mit schmeichelndem Wohlklang vorträgt. Sopran und Tenor vereinen sich am Ende in einem von des Komponisten himmlischen Duetten („As steals the morn“) in sublimer Harmonie.

L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato SignumEinen erstaunlichen Auftritt hat der erst fünfzehnjährige Knabensopran Laurence Kilsby, der seine vier Airs mit androgyn-keuschem Ton singt und deren Tessitura mühelos bewältigt. Besonders eindrucksvoll am Ende des ersten Teils das von jauchzenden Orgelklängen begleitete „Or let the merry bells“. Den tieferen männlichen Partien fallen kleinere Aufgaben zu – dem Bass das forsch auftrumpfende, vom Hörnerschall begleitete „Mirth, admit me“, wo Ashley Riches seine resonant-virile Stimme effektvoll einbringt, und dem Bariton das zärtliche „Come, with native lustre shine“, das Peter Harvey mit weichem, noblem Klang ausfüllt. Der lässt in den Chören machtvollen, feierlichen und jubilierenden Gesang hören. Wenn man in dieser Einspielung auch auf einige später nachkomponierte und lieb gewordene Arien verzichten muss, ist sie doch eine Bereicherung der Händel-Diskographie und jedem Barockfreund zu empfehlen. Bernd Hoppe