Eine in die Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs verlegte Odyssee ist die von Charles Frazier in seinem 1997 mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman Cold Mountain erzählte Geschichte des W. P. Inman. Der Handwerker reißt sich von der Pfarrerstochter Ada Monroe los, zieht auf der Seite der Südstaaten in den Krieg, beschließt aufgrund der Erinnerung an Ada zu desertieren und ist dadurch zum Abschuss freigegeben. Durch ein verwüstetes, ausgezehrtes Land, in dem er auf unschuldige Opfer des Kriegs trifft, treibt es Inman zurück zum Cold Mountain, verfolgt von Teague, der mit seinen Leuten die Deserteure aufspürt und hinrichtet. Währenddessen gelingt es Ada mit Hilfe der patenten Ruby dem Hungertod zu entgehen und ihre Farm wieder herzurichten.
2003 kam Anthony Minghellas Verfilmung mit Nicole Kidman und Jude Law in die Kinos (dt. als Unterwegs nach Cold Mountain), 2015 gelangte Jennifer Higdons gleichnamige Oper, für die der durch seine Arbeiten für Tobias Picker (u.a. An American Tragedy, 2005 an der Metropolitan Opera) und Jake Heggie (Moby-Dick, 2010 in Dallas) als derzeit versiertester amerikanischer Librettist ausgewiesene Gene Scheer den Text lieferte, als Koproduktion der Opera Philadelphia und der Minnesota Opera in Santa Fe zur Uraufführung. Eine Fleißarbeit.
Scheer zoomt aus dem Kriegspanorama, welches der 600-Seiten-Roman entwirft, prägnante Einzelaufnahmen heran und verknüpft die Lebenswege der Hauptfiguren auf geschickte Weise. In ihrem Opernerstling lässt die 1962 geborene Jennifer Higdon die Szenen gekonnt ineinanderfließen, ohne im dialogreichen, sparsam durch Arien und Volksliedanklänge aufgeweichten Dauerparlando, das im zweiten der jeweils rund 1 ¼ Stunden dauernden Akte etwas dichter gerät, eine eigene Atmosphäre oder Faszination zu entwickeln. Das ist handwerklich alles solide gemacht, wie es von der vor allem durch ihr Violinkonzert für Hillary Han bekannt gewordenen Higdon zu erwarten war, mit illustrativer Lyrik, einigen dichten Duetten, wie zwischen Ada und Ruby, nostalgischen Rückblicken und dem ostinaten Rumoren für die Kriegsbilder. Das ist vielfach vorhersehbar und für den Hörer, der die lebhafte Aktion nur durch die vielen Bühnengeräusche erahnen kann,
ziemlich undankbar. Miguel Harth-Bedoya machte das Beste daraus und leitete im August 2015 in Santa Fe (bei Pentatone als PTC 5186 583 in der Reihe American Operas) eine professionelle und gediegene Aufführung, deren Hauptaugenmerk auf dem Liebespaar ruht: der entspannt und mit baritonalem Glanz singende Nathan Gunn als wortkarger Deserteur Inman und die gleichmäßig sanfte Isabel Leonard als Südstaaten-Beautie Ada. Dazu die fidele Emily Fons als Ruby, der kernig
charaktertenoral vollstimmige Jay Hunter Morris als brutaler Bösewicht Teague, der feine lyrische Tenor Roger Honeywell als Veasy sowie der relativ unauffällige Anthony Michaels-Moore als Adas Vater Monroe und Deborah Nansteel als entflohene Sklavin Lucinda. Rolf Fath