Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Silvia Baleani

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An Silvia Baleani, die am 18. Mai 2022 verstarb, verbinden mich beste Erinnerungen an ihre Ifigenia in Tauride von Piccinni im italienischen Bari, noch im alten Teatro Petruzzelli 1986 unter Donato Renzetti, ihrem späteren  Ehemann (Foto unten/youtube). Sie fiel mir wegen ihrer besonders ebenen, wohlgetönten, sanften Mezzostimme auf, Frederica von Stades in Farbe und Volumen nicht unähnlich, und ich hätte diese attraktive junge Frau gerne als Werther-Charlotte gehört. Deshalb las ich mit Bedauern von ihrem Tod. Im Folgenden eine offizielle Verlautbarung aus Italien zu ihrem Tode. G. H.

Die aus Argentinien stammende Sopranistin Silvia Baleani, Gattin des Dirigenten Donato Renzetti, der seit einigen Monaten Musikdirektor des Macerata Opera Festivals ist, starb am 18. MNai 2022.   Wenige Tage nach dem Tod von Teresa Berganza – bestätigt der künstlerische Leiter Paolo Pinamonti – ist eine weitere große Mozart-, Rossini und Belanto-Interpretin verstorben. Silvia Baleani studierte in Buenos Aires auf dem Instituto Superior de Arte del Teatro Colon, wo sie 1964 debütierte; in den 70er Jahren trat sie auf den größten Bühnen ganz Europas auf, von Covent Garden (Faust 1974) bis Wien, von Paris bis Lyon, bis hin zur Scala in Mailand (Boris Godunov 1980 und Il Re Pastore). Nachdem sie 1977 den Dirigenten Donato Renzetti anlässlich  einer Vorstellung von Rossinis Il signor Bruschino 1977 in Bologna kennen gelernt hatte und mit dem sie ihr ganzes weiteres Leben lang verbunden blieb, entwickelte sich ihre Karriere insbesondere in den bedeutendsten Opernhäusern Italiens vom Teatro Regio in Turin bis zum Fenice in Venedig, vom Comunale in Bologna bis zum Massimo in Palermo. Von dieser feinen und neugierigen Interpretin – fügt Pinamonti hinzu – die mit einer Stimme sehr schöner Farbe begabt war, bleiben uns als Vermächtnis zahlreiche Plattenaufnahmen auch eines weniger  verbreiteten Repertoires und in demjenigen, der sie gekannt hat, die Erinnerung an ihre Freundlichkeit, ihre Sanftheit und ihre ungemeine Großzügigkeit. „Die Associazione Arena Sferisterio vereint sich mit Donato Renzetti im Gedenken an seine Gattin, die, unter anderem, im Jahre 1994 als Musetta in La Bohéme von Giacomo Puccini auf der Bühne des Sferisterio stand“. (ANSA/Übersetzung Ingrid Wanja)

Schürmanns „Jason“

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Keinesfalls handelt es sich bei der neuen, hier vorgestellten Barockoper Jason oder die Eroberung des goldenen Vließes von Georg Cas­par Schürmann bei cpo um eine verschollene Aufnahme mit Maria Callas, wie das obige Foto aus ihrem Film von 1969 suggerieren würde. Aber die Versuchung, den Medea-Topos mit der Seeligen zu verknüpfen ist zu verführerisch um dem zu widerstehen. Deshalb mag der geneigte Leser den kleinen Ausflug in die Phantasie verzeihen, die Diva mit einem Werk des frühen 18. Jahrhundert zu assoziieren. Vielleicht hätte sie die Schürmannsche Medea lieber gesungen als den Pasolini-Film abgedreht, der nicht zu ihren überzeugendsten Dokumenten gehört. Er hat ihre Karriere nicht verlängert-

Wie auch immer – wir Barock-Opernfans sind wieder einmal bei der Firma cpo in der Schuld, eine weitere spannende Barockoper nach Carl Heinrich Grauns Polydorus (bei operalounge.de besprochen) und  nach der Getreuen Alceste (dto.) nun Schürmanns Jason herausgebracht zu haben. Die Dirigentin Ira Hochman, die mit ihrem Orchester barock werk hamburg hat dazu einen hochinformartiven Artikel geschrieben, den wir mit Dank hier wiedergeben. Eine Rezension folgt. G. H.

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Mit der Aufnahme von Jason oder die Eroberung des goldenen Vließes (cpo 555339-2) widmet sich das barock werk hamburg erneut einer Oper aus der Feder Georg Cas­par Schürmanns. Die Erst-Wiederaufführung und spä­tere Einspielung von Die getreue Alceste im Jahr 2016 (cpo 555 207-2) hinterließ beim Ensemble den starken Wunsch, weitere Musik dieses zu Unrecht wenig beach­teten Komponisten zu entdecken. Bei der Durchsicht sei­ner handschriftlich erhaltenen Werke fiel insbesondere die Oper Jason oder die Eroberung des Goldenen Vlie­ßes  auf. Fälschlicherweise einem anderen Komponisten zugeordnet und dazu noch als Pasticcio (also ein Flick­werk aus Arien diverser Autoren) abgestempelt, stand sie bisher nicht im Fokus der Forschung. Jedoch war das Werk in den Jahren 1720-1722 an der Gänsemarkt- Oper in Hamburg durchaus sehr erfolgreich und wurde nicht weniger als 31 Mal aufgeführt. Die Handschrift der Hamburger Fassung (Staatsbibliothek zu Berlin, Museums. 20362) geht auf das Jahr 1720 zurück und ist die ein­zige vollständige Musikquelle der Oper. Zuvor wurde Schürmanns Jason in den Jahren 1707, 1708 und 1713 bereits an der Hagenmarkt-Oper in Braunschweig ge­spielt, zuletzt kurioserweise zum Besuch des russischen Zaren Piotr des Großen bei Herzog Anton Ulrich. Die Tatsache, dass Schürmann sich über 13 Jahre mit seinem Jason beschäftigte, deutet ebenfalls darauf hin, dass es sich dabei um ein vielversprechendes Werk handelt.

Problematik der Autorschaft: Wie lassen sich nun die Frage der unsicheren Autor­schaft und der Vorwurf, dass das Werk ein Flickwerk sei, einordnen? Bei der Recherche ließ sich schnell klären, dass sich die Zuschreibung des Jason an den Kompo­nisten Johann Sigismund Kusser zwar teilweise bis heute gehalten hat, das Libretto der gleichnamigen Oper von Kusser jedoch mit Schürmanns Jason nichts gemeinsam hat. Den Vorwurf zu widerlegen, die Musik stamme zum großen Teil nicht von Schürmann, war wesentlich schwieriger. Johann Mattheson, berüchtigter Kritiker seiner Zeit, schrieb über den Jason in Hamburg: „Erneu­ert, und von unterschiedenen Componisten, vermuthlich wieder ihr Wissen und Willen, wie viele andere Opern, zusammen gesetzet.“  Bei der großen Zahl von italie­nischsprachigen Arien in der handschriftlichen Partitur des Jason stellte sich allerdings zunächst die Frage, ob Schürmanns kompositorischer Anteil an der Oper groß genug war, um ihm das Werk zuschreiben zu können.

Jason und Medea, 1759 von Carle van Loo (1705-65)/ Musée des Beaux-Arts Paris/ Wikipedia

Die Tradition, mehrere Sprachen in einem Bühnen­werk zu mischen, die an der Gänsemarkt-Oper in Ham­burg besonders verankert war, erweckte schon damals rege Polemik unter den Librettisten und Komponisten. Schürmann selbst äußerte sich dazu in einem Brief aus Braunschweig von 1726: „Die Opera anlangend, so machen wir die teutschen Opern pur teutsch, wann wir aber etliche mahl italienische Opern ins teutsche über­setzet, so haben wir wohl die Arien mehrentheils italie­nisch gelassen.“ Dieser schürmannsche Schlüsselsatz über die italienisch „gelassenen“ Arien sowie die Ent­stehungsgeschichte dieser Oper lassen den Schluss zu, dass im Fall des Jason der größte Teil der italienischen Arien von Schürmann stammt

In der Tat wurde in Braunschweig im Jahr 1707 die italienische Oper Giasone, overö II Conquisto deI Vello d’oro (Libretto von Flaminio Parisetti, Musik höchst­wahrscheinlich von Hofkapellmeister Schürmann) zum ersten Mal gespielt. Dem gedruckten Libretto lag eine deutsche Übersetzung in Prosa bei. 1708 erklang die Oper erneut, nun in veränderter Form mit fünf deut­schen Arien und deutschen Rezitativen. Im Libretto von 1713 erhöhte sich der Anteil der deutschen Arien auf 13. 4 Die Rezitative wurden von Schürmann selbst auf Deutsch gedichtet, er übernahm solche Aufgaben des Öfteren. Das Libretto von 1713 beinhaltet unter anderem die Texte von 20 italienischen Arien, Duetten und Chören, die wir in der Hamburger Fassung von 1720 unverändert wiederfinden. Bis zur letzten Fassung er­höhte sich der Anteil der deutschsprachigen Arien auf 19 gegenüber den 33 italienischen Arien. Da es sich bei der Partitur-Handschrift um eine Werkfassung für die Hamburger Gänsemarkt-Oper handelt, muss man bei der Bewertung der Autorschaft unbedingt auch die Begebenheiten dieses Opernhauses berücksichtigen. Das bürgerliche Publikum erwartete gute Unterhaltung, unter anderem durch italienische Einlagearien, lustige Charaktere und fantasiereiche Bühnentechnik.

Jason raubt das Goldene Vließ/ Deckengemälde um 1850 von August Theodor Kaselowsky im Neuen Museum von Berlin/ Foto Winter

Wurden diese Vorlieben nicht bedient, blieb das Publikum weg. Es gab zwar keine feste Tanztruppe und man ließ die typisch französischen Tanzeinlagen fort, dafür diente die Instrumentalmusik dem Szenenwechsel, der Bedie­nung der Maschinen, dem Ausmalen des Zauberspuks, der Beschwörungen der Geister, den Auftritten der Be­gleitpersonen der Götter oder des Königsgefolges usw. Unter der hohen Anzahl italienischer Arien verbargen sich in der Handschrift des Jason auch einige sogenann­te „Arien aus dem Koffer“, jene Bravourstücke der aus­wärtigen reisenden Sänger, die man erfolgversprechend mit einbezog. Diese Arien lassen sich meist leicht identi­fizieren. Im Jason wurden sie von einem anderen Schrei­ber notiert und nachträglich in die Partitur eingeheftet. Die 11 Einlagearien im Jason stammen aus Opern von Caldara, Lotti, Gasparini und Vivaldi und wurden in der vorliegenden Aufnahme fortgelassen.

Beim Vergleich der drei zeitgenössischen Libretto- Drucke stellte sich heraus, dass Schürmann für die Gänsemarkt-Oper gegenüber den früheren Fassungen weitere Änderungen und Ergänzungen vorgenommen hat. So wurden der Eingangschor mit dem italienischen Text von Parisetti entweder neu komponiert oder paro­diert, sowie der Schlusschor mit einem neuen deutschen Text versehen. Die Rezitative wurden zum Teil nicht nur musikalisch, sondern auch textlich neugestaltet. Außer­dem komponierte Schürmann zwei deutsche Arien neu und fügte die großartige Bass-Arie „Kein Sturm erregt so sehr die wilden Wellen“ aus seiner Oper Telemachus und Calypso (Braunschweig 1717, Handschrift der Oper nicht erhalten) ein, die er ursprünglich für den be­rühmten Bassisten der Braunschweiger Oper, Solomon Bendler, geschrieben hatte.

Georg Caspar Schürmann: „Jason oder die Eroberung des Goldenen Vließes“/ Foto barock werk 

Hilfreich war auch die vorangegangene intensive Beschäftigung mit Schürmanns Alceste. Das „Erkennen“ seiner Musik mag zwar rein empirisch sein, ist aber da­durch nicht wertlos. Gleich zu Beginn der Oper sticht die Arie des Stiro, „Gelosi pensieri“, mit konzertierendem Fagott heraus. Auch die Arie des Assirtus mit Travers­flöte und Oboe, „Serenatevi, amanti pensieri“, Medeas Schlaflied für den Drachen, „Dolce sonno neghittoso“, sowie die Arie der Hissifila, „Götter, Sterne, habt Gedult“, weisen gut erkennbar die Tonsprache Schürmanns auf.

Der Komponist: Georg Caspar Schürmann (1672/73-1751) be­gann seine Karriere 1693 im Alter von 21 Jahren als Altist an der Gänsemarkt-Oper in Hamburg. Vier Jahre später wechselte er nicht ganz freiwillig in den Dienst von Herzog Anton Ulrich nach Braunschweig, da er 1697 auf einer Reise aus Notwehr einen streitsüchtigen Kollegen erstochen hatte. Trotz des Freispruchs war ihm die Rückkehr nach Hamburg erst einmal verwehrt. In Braunschweig erhielt er im selben Jahr eine Anstel­lung als Altist an der Wolfenbütteler Hofkapelle und übernahm dabei auch Aufgaben eines Kapellmeisters. Herzog Anton Ulrich entsandte Schürmann Ende 1701 für circa ein Jahr nach Venedig, wo er die Opern von Albinoni, Pollarolo und Gasparini studierte. Nach seiner Rückkehr war er zeitweise in Meiningen und in Braun­schweig tätig. Im Jahr 1706 brachte er in Naumburg die Oper Telemaque zur Aufführung. Ab 1706 arbei­tete er in Braunschweig als offizieller Hofkapellmeister. Zwischen 1717 und 1721 gastierte er als Kapellmeister an der Hamburger Gänsemarkt-Oper. In dieser Zeit wurden dort sowohl Die getreue Alceste als auch Jason oder die Eroberung des Goldenen Vließes aufgeführt. 1722 übernahm Telemann die Leitung des Theaters. Schürmann war eine äußerst vielseitige Künstlerpersön­lichkeit. Er komponierte sowohl geistliche Werke als auch weltliche Tafelmusik und war in seinen etwa 30 Opern nicht nur als Komponist, sondern von Fall zu Fall auch als Regisseur, Sänger, Kapellmeister, Textdichter und Übersetzer tätig.

Die Musik des Jason: Die vorliegende Aufnahme präsentiert eine circa zweistündige, deutlich gekürzte Fassung des Jason, ein zweisprachiges Bühnenwerk mit Elementen der italie­nischen und deutschen Barockoper. Einige im Libretto erwähnte, aber in der Handschrift fehlende Instrumental­stücke wurden aus Schürmanns Opern Alceste und Ixion übernommen. Nach viel Reflektions- und Recherchear­beit, die in diese Fassung geflossen ist, wurden neben den bereits erwähnten Einlagearien auch acht Arien, die nachweislich von Schürmann sind, ausgelassen, sowie zwei Arien und die dazugehörenden Rezitative inner­halb der Oper versetzt.

Giovanni Battista Crosato „La rapina del vello d’oro„, 1685-6/ Wikipedia

Dass Schürmann die Oper mit einem prächtigen Jubelchor des Volkes der Colchier „Vittoria, vittoria!“ und nicht mit einer französischen Ouverture eröffnet, ist sicherlich kein Zufall. Der satte Klang des ganzen Orchesters, verstärkt durch drei Trompeten und Oboen, umschließt elegant eine längere Eingangsszene, die den ersten Auftritt der Hauptdarsteller und König Eetas Begrüßungsarie beinhaltet. Der für die Hamburger Fassung neu komponierte Schlusschor dagegen ist knappgehalten und beendet die Oper mit Schwung. Grundsätzlich findet man in der Oper des Öfteren kurz gehaltene Formen mit einfachem Textdurchgang. Grö­ßer angelegt sind die Dacapo-Arien mit konzertierenden Soloinstrumenten, wie beispielsweise die markante Arie der Medea „Die Hoffnung kann dich glücklich machen“ mit Solo-Violine. Medea, über alles in Jason verliebt und unaufhaltbar in ihrem Streben nach dieser Partnerschaft, berauscht sich selbst mit ihrer Hoffnung. Und so steigt auch der virtuose Violinpart weit über den gewöhnlichen Ambitus der Zeit bis zum a'“ hinauf. Auch in der spek­takulären Arie des Stiro „Gelosi pensieri“ mit obligatem Fagott gleich zu Beginn der Oper, erweitert Schürmann den Klangumfang des Fagotts um ein Kontra-ß. Die Klangfarbe des Instruments gibt auf perfekte Weise die getrübte Stimmung des in der Liebe unglücklichen Stiro, seine Zweifel und die Vorahnung des Scheiterns wieder. Die oben schon erwähnte Arie des Königs Eeta „Kein Sturm erregt so sehr die wilden Wellen“ in ihrem allmäh­lichen Aufbau der Dissonanzen und Tonwiederholungen ist eine beeindruckende Tonmalerei des Sturmes und gleichzeitig eine effektvolle Bass-Koloraturarie. Die we­nigen und kurz gehaltenen Instrumentalsätze verdienen allesamt besondere Aufmerksamkeit. Die Erscheinung der Medea an einem verfallenen Ort mit Toten-Gräbern wird im Preludio (CD 1, Track 13) durch furchterregende Läufe des „Grand Violon con l’arco“ untermalt. Das Aussäen der Schlangenzähne im dritten Akt wird durch das „pieksige“ Verstreuen der Sechzehntel der Streicher I »gestellt, während die aus der Erde gestiegenen Krieger, die sich untereinander selber umbringen, mit Hilfe der Zweiunddreißigstel der Violinen wie Dominosteine umfallen. Aber das wahre musikalische Kleinod der Oper wird behutsam wie eine Perle in einer Muschel in einem Rezitativ versteckt (CD 2, Track 14). Es ist die Eroberung des Goldenen Vließes selbst. Die Musik zur Entführung des an einem Baum zur Schau gestellten Felles des goldenen Widders Chrysomeles findet sich zwischen dem bezaubernden Schlaflied Medeas für den Drachen „Dolce sonno neghittoso“ und dem Duett von Jason und Medea auf ihrer Flucht.

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Im dritten Akt, dem längsten der Oper, kommen Medeas versierte Zauberkünste musikalisch voll zur Gel­tung. Auf ihren Wunsch hin verändert sich der wüste Ort in einen verzauberten Garten, und Jason erwacht „bey einer angenehmen Music von allerhand Instrumenten und unter dem Singen der verstellten Einwohner dieses Lust-Orts“. Schürmann komponierte für diese Szene drei duettartig konzipierte Chöre (CD 2, Track 4-6) mit aller­lei harmonischen Verwicklungen und verwendete eine seltene Flötenart, das Flageolet. Mit den „allerhand Instrumenten“ könnte eine Bühnenmusik gemeint gewe­sen sein, ähnlich der Verführungsszene der Cleopatra in Giulio Cesare in Egitto von Georg Friedrich Händel. Nicht zuletzt sei die harmonische und melodische Spra­che der Rezitative erwähnt, die sehr expressiv, gewagt und gleichzeitig subtil ist. Medeas Partie ist durchweg am facettenreichsten, und so ist auch in ihren Rezitativen ein breites Spektrum der Gefühle zu hören, vom Verliebt­sein über Zweifel, Eifersucht, Rache und Verführung bis hin zu Herrschsucht und Siegeslust.

Das komische Paar: Diese Publikumslieblinge durften auf der Bühne der Gänsemarkt-Oper nicht fehlen. Im Jason von 1720 sind es Sarfax, Medeas buckliger Zauberknecht und ständiger Begleiter, und seine geliebte Filaura, Hofda­me der Königin Hissifila von Lemnos. Im Libretto 1707 finden wir sogar eine Dreiecksbeziehung, in der noch Nifus, Jasons Vertrauter, um Filaura wirbt und nebenbei sehr treffende Kommentare über Jasons undurchsichtiges Verhalten abgibt.

Nicht zu vergessen: So sah er aus – der Komponist Georg Caspar Schürmann/Wikipedia

So sehr der Verlust von Nifus in der Hamburger Fassung auch zu bedauern ist, liefern Sarfax und Filaura als Paar eine köstliche Unterhaltung. Sarfax Buckel (eine alte Theater-Tradition), seine hektischen Ge­bärden, das Verfallen von einer überschwänglich mun­teren in eine verzweifelte Stimmung (CD 2, Track 1 3) geben ein herrliches Bild ab. Er versucht auf seine plum­pe Art Medeas Zauberkünste anzuwenden, um in der Liebe zu seinem Ziel zu gelangen. Er plaudert schnell, mal mit dem Publikum, mal mit Filaura, das Beste aber a parte. Er preist sich als „praver Mann“ und ist sogar bereit von Filaura verprügelt zu werden, denn er glaubt: „Die Liebe will gezancket seyn“. In den dynamischen Rezitativszenen hört er von Filaura nichts Ermutigendes: „Was ist das für ein Gesicht?“, „Du Kamehl“, „Du Unge­heuer!“ Zwischenzeitlich gibt sie zwar ihr Jawort, doch am Ende der Oper, wenn die anderen beiden Paare zueinanderfinden, geht Sarfax leer aus. Es ist ihm bewusst, dass man sich über ihn lustig macht, aber sein Credo ist trotzdem: „Ich bleibe doch wohl, wer ich bin“.

Seine und Filauras Musik unterscheidet sich vom Rest der Oper durch die Kürze ihrer Continuo-Arien und dem volkstümlichen und tänzerischen Charakter. Sarfax und Filauras Beziehungskomödie bildet über drei Szenen eine Art durchgehendes lustiges Intermezzo, das es im Hamburger Theater typischerweise zwischen den Akten der ernsten Opern gegeben hat.

Schürmanns Name ist noch immer nur Wenigen ein Begriff. Mit der zweiten Opernausgrabung versuchen wir dies zu ändern und behaupten, dass er ein sehr wichtiger deutscher Komponist barocker Opern war. Sein Werk Jason oder die Eroberung des Goldenen Vließes verdient ein neues Bühnenleben. Die Musik des Jason ist wirkungsvoll, kontrastreich, bewegend, lustig und originell instrumentiert. Und sie ist uns inzwischen ans Herz gewachsen. Ira Hochman

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Die Dirigentin und Prinzipalin Ira Hochman/ barockwerk hamburg

barock werk hamburg Im Jahr 2007 gründete Ira Hochman das Ensemble barock werk  hamburg, welches sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl vokale als auch instrumentale Kammer- und Büh­nenmusik aus dem Barockzeitalter wiederzuentdecken und zu neuem Leben zu erwecken. Dabei schöpft das Ensemble insbesondere aus der reichen hamburgischen Tradition, die im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur zahlreiche große Musiker, sondern auch Publikum und Mäzene aus ganz Nordeuropa anzog.Zu den Erstwiederaufführungen des barockwerib ge­hören einige ausschließlich als Handschriften erhaltene Kompositionen, darunter Johann Matthesons Hochzeits- Serenata Der verlorene und wiedergefundene Amor, das Oratorium Christi Wunder-Wercke bey den Schwach­gläubigen, Georg Philipp Telemanns lateinische Ode auf den dänischen König für das Christianeum in Altona und die Altonaer Jubel Music“ von 1760 (beide cpo 555 018-2), seine Musiken zum Einweihungsfestakt für das Christianeum 1744 und zur Einweihung der Kirche des Hamburger St. Hiob-Hospitals 1745 (beide cpo 555 255-2) sowie seine Kantaten für die hanno­verschen Könige von England (cpo 555 426-2), Carl Philipp Emanuel Bachs Hamburger Bürgerkapitänsmusik von 1780 (cpo 555 016-2), Johann Adam Hillers Singspiel Lisuart und Dariolette oder die Frage und die Antwort, Georg Caspar Schürmanns Oper Die ge­treue Alceste (cpo 555 207-2), Carl Heinrich Grauns Opern Polydorus (cpo 555 266-2) und Iphigenia in Aulis sowie auf der CD La Prima Diva (Tactus) enthaltene Arien und Opernsinfonien. (Den obenstehenden Artikel übernahmen wir aus der neuen Aufnahme von Schürmann mit freundlicher Genehmigung der Firma cpo und Ira Hochmann/ Foto oben Maria Callas in dem Medea-Film von Pier Paolo Pasolini, 1969/ DVD Studiocanal vergl. Amazon)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Anne Howells

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Anne Elizabeth Howells (12 January 1941 – 18 May 2022) was a British operatic mezzo-soprano. She sang in productions at Glyndebourne, the Royal Opera House, and with the Metropolitan Opera in New York, the Lyric Opera of Chicago, the opera houses of both San Francisco and Los Angeles, the four Parisian opera houses, the Grand Théâtre de Genève, the Salzburger Festspiele, the Vienna Staatsoper, the Carnegie Hall, and the Musikverein of Vienna.

Howells was born in Southport, Lancashire on 12 January 1941, the daughter of Trevor and Mona Howells. She was educated at Sale Grammar School and the Royal Northern College of Music.

Howells was married twice, to Ryland Davies from 1966 to 1981, and to Stafford Dean from 1981 to 1988. She had one son and one daughter. Howells died from myeloma in Andover, Hampshire on 18 May 2022, at the age of 81 (Foto Bruce Duffy). Wikipedia

Flotte Mutter

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Rossinis Stabat Mater, komponiert kurz nach seiner letzten Oper Guillaume Tell, mag als geistliches Musikwerk angesehen werden, auch wenn der Opernkomponist nicht zu überhören ist und Vorwürfe wie gegenüber Verdis Requiem gleich nach der Uraufführung laut wurden. Die Entstehungsgeschichte jedoch könnte durchaus als Libretto für ein spannendes Musikdrama durchgehen. Zwei Uraufführungsdaten werden mit 1832 und 1841 überliefert, was daran liegt, dass das Gefälligkeitswerk für den Prälaten Valera wegen der Krankheit Rossinis während der Kompositionszeit nicht vollendet wurde, jedenfalls nicht vom Meister selbst, sondern in seinem Auftrag von Giovanni Tadolini, der die Hälfte der Nummern des Gedichts von Jacopone da Todi in Musik setzte, sodass das Stabat Mater unter dem Namen Rossinis Karfreitag 1833 in Paris zum ersten Mal erklang. Die Erben des Mitkomponisten versuchten nach dessen Tod das Stabat Mater an den Verleger Antoine Anlagnier zu verkaufen, woraufhin Rossini die fehlenden, bzw. von Tadolini stammenden Teile nachkomponierte. Das nun voll und ganz aus seiner Feder stammende Werk wurde im Théatre Italien in Paris uraufgeführt. Seitdem ist es besonders in Konzertsälen, weniger oft in Kirchen zu hören, gibt es Aufnahmen in prominentester Besetzung mit ihm und ist es übrigens längst nicht die einzige Vertonung, denn von Orlando di Lasso über Pergolesi bis zu Verdi und Dvořák reizte es immer wieder prominente Komponisten zur Vertonung.

Was macht nun die vorliegende Aufnahme von harmonia mundi bei so viel Konkurrenz reizvoll? Es ist vor allem das Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Gustavo Gimeno, ein Klangkörper, der seit 1933 besteht und Radio Luxembourg eng verbunden ist und zu dessen Dirigenten auch Leopold Hager (seit 2021 Ehrendirigent) gehörte, das über 98 Musiker verfügt und dessen jetziger Chefdirigent auch das Orchester von Toronto leitet. In der letzten Saison gastierte Gimeno auch bei den Berliner Philharmoniker, er war Schüler bzw. Assistent von Janssons, Haitink und Abbado. Seine Aufnahme des Stabat Mater zeichnet sich durch eine federnde, straffe Rossini angemessene Eleganz aus, die Orchesterfarben werden zu schönem Leuchten gebracht, gleichwertig ist der Chor, der Wiener Singverein, der wie aus dem akustisch Dunklen kommend die Szene betritt und sich währen der gesamten Aufführung durch Flexibilität hervortut.

Von guter Qualität sind auch die Solisten. Maria Agrestas Sopran zeichnet sich durch Klarheit und Leuchtkraft aus, hebt sich gut vom Mezzosopran der Daniela Barcellona ab und klingt im Inflammatus wahrhaft majestätisch. Der Mezzo hat sich trotz häufigen Einsatzes auch im Verdi-Repertoire seine Schlankheit und Flexibilität bewahrt, fällt nicht durch übertriebene Brustigkeit auf und meistert die Intervallsprünge im Fac ut portem mit Leichtig- und Genauigkeit. Nur die Höhe klingt manchmal etwas zu scharf. Einen typischen, leicht trockenen Rossinitenor besitzt René Barbera, dazu für den Schluss von Cujus animam eine sichere Höhe. Einen basso cantante wie aus dem Lehrbuch besitzt Carlo Lepore, angemessen dunkel, klar konturiert und auch in der Tiefe nie grummelnd. Ein besonderer Genuss ist die A-Capella-Nummer Quando corpus, in der sich die Stimmen fein voneinander abheben. Fast trotzig klingt das sich immer wieder aufs neue steigernde Amen zum Abschluss der hörenswerten CD (harmonia mundi france HMM 905355). Ingrid Wanja

       

Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“

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Am 29. April 1986 sendete der WDR eine weitere Folge der musikalischen Sendereihe „Oper kurzgefasst“, die seit den 1980er Jahren bis hinein ins neue Jahrtausend ausgestrahlt wurde. In dieser Ausgabe ging es um Meyerbeers Singspiel Ein Feldlager in Schlesien, das der renommierte Musikkritiker Klaus Geitel wortmächtig und geistreich wenn auch etwas süffisant den Hörern nahezubringen versuchte, unter Mithilfe der (bis heute!) einzigen Aufnahme dieser Oper, die am 18. Februar 1984 in konzertanter Form in der Berliner SFB-Opernserie Einhard Luthers ohne Dialoge entstand. Seit nahezu 150 Jahren ist dieses Werk nicht mehr in Szene gesetzt worden, und hierfür gibt es – natürlich neben den inzwischen allseits genannten und beklagten  historischen Entwicklungen rund um den „deliberately forgotten composer“ (David Faimans gleichnamige Monographie erschien 2020 in Jerusalem) – spezifische Gründe, die mit seiner Genese zu tun haben.

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Dazu noch einmal die Entstehungs-Details (weiteres anlässlich des Berliner Mitschnitts ausgiebig nachzulesen hier in operalounge.de): 1843 brannte in der Nacht vom 18./19. August das königliche Hoftheater „Unter den Linden“ in Berlin bis auf die Grundmauern ab. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. beschloss den sofortigen Wiederaufbau, und nach knapp 16 Monaten fand am 7. Dezember 1844 seine Neueröffnung statt. Meyerbeer, seit 1842 „Königlicher General- Musikdirektor und Hof-Kapell- Meister“, war vom König beauftragt worden, hierfür eine Festoper zu schreiben. Bei der Wahl des Sujets spielte Alexander von Humboldt, einflussreicher Berater des Königs und guter Freund des Komponisten, eine maßgebliche Rolle. Er könnte es gewesen sein, der hierfür Ereignisse im Leben Friedrichs des Großen vorschlug. Jedenfalls wissen wir aus einem seiner Briefe an Meyerbeer, dass er detaillierte Vorschläge machte, welche Anekdoten aus dem Leben des Alten Fritz das Gerüst der Handlung bilden sollten, die Meyerbeer in den Siebenjährigen Krieg (=Dritter Schlesischer Krieg) verlegte.  In einem Pariser Brief vom 12. November 1843 an Eugène Scribe  fasst der Komponist sechs wichtige Punkte zusammen, die er bei der Erstellung des Textes berücksichtigt sehen wollte. Dazu gehört die Einbeziehung des volkstümlichen Marsches Der alte Dessauer. „Es wäre sehr zu wünschen, daß dieser Marsch eine Rolle in dem Stück spielte und daß er es ganz durchzöge“ (Meyerbeer). (Scribe schickte die Anregungen für das deutsche Libretto Ludwig Rellstabs und schrieb später sein eigenes für L´Eoile du Nord, die 1854 umgearbeitete Fassung des Feldlagers.)

Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn/Szene/ Foto Thilo Beul

Das Resultat all dieser besonderen Umstände war also Ein Feldlager in Schlesien, ein „Singspiel in drei Akten in Lebensbildern aus der Zeit Friedrichs des Großen“: eine Mischung aus Opéra comique (1.+ 3. Akt) mit der dazu passenden Szenerie (ein Landhaus in Schlesien bzw. das Schloss Sanssouci) und einem eher an entsprechende Szenen aus der grand opéra erinnernden 2. Akt in einem preußischen Militärlager. Es dreht sich alles um Friedrich den Großen, der von ungarischen Reitern gefangengenommen werden soll, und um seine genretypische Rettung. Natürlich durfte ein Mitglied der herrschenden Dynastie der Hohenzollern nicht in persona bei der Bühnenhandlung in Erscheinung treten, aber man hört den der Kunst und Musik zugewandten Monarchen im 3. Akt hinter der Bühne auf seiner geliebten Flöte spielen.

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Hier am Corona-geplagten Theater Bonn (etliche Abende mussten ausfallen; Vorstellung am 08. 05- 2022) hatte sich Regisseur Jakob Peters-Messer allerdings die Freiheit genommen, den König höchstpersönlich die Oper beenden zu lassen (sehr frei nach Menzel), indem er mit der Flöte in der Hand langsam zu ein paar letzten Flötentönen auf ein Schlachtfeld von Toten starrt. Der Grundraum der Einheitsbühne (Sebastian Hannak) ist in allen drei Akten ein karger schlesischer Acker, erweitert durch herabschwebende Prospekte wie beispielsweise Schloss Sanssouci im 3. Akt. Die Inszenierung eines Werkes mit solcher Thematik in unseren Tagen wurde verständlicherweise durch den Krieg in der Ukraine beeinflusst, wie die Theaterleitung in einer elektronischen Info-Tafel  im Foyer erläutert, ergänzt durch ein Zitat des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, das vor dem 2. Akt per Videoleinwand eingeblendet wurde. Diese Gratwanderung zwischen der Darstellung der Szenen preußischen Soldatenlebens in Kriegszeiten und unserer gegenwärtigen Sicht auf eine solche Sachlage ist Peters-Messer durchaus gelungen, ohne die dem Zeitgeist und dem Kompositionsauftrag geschuldete Glorifizierung von Preußens Herrschern zu verstärken oder ins Lächerliche zu ziehen. Hierbei half ihm die von ihm hinzugefügte Figur eines „Chronisten“ (Michael Ihnow), der  wie ein Kriegsreporter „die Handlung begleitet und den Blick von außen verkörpert“ und sich nebenbei als Requisiteur betätigt. Er übernimmt auch Dialogpassagen, die die Bühnenfiguren fortsetzen, und liest reflektierende Textpassagen vor, auch von Friedrich II. und einem an der Schlacht beteiligten Soldaten. Den außergewöhnlichen 2. Akt – hier beginnend  mit der umgestellten leicht gekürzten Ouvertüre – platzierte der Regisseur ins Parkett, um so die Distanz zum historischen Geschehen aufzuheben. So erlebten die Besucher die drei Bühnenmusiken und vierfachen Chöre rund um den Dessauer Marsch als musikalisches Spektakel, das die Besucher je nach Sitzplatz  (im Saal oder auf der Bühne) in unterschiedlicher Lautstärke genießen konnten.

Der Komponist hat im Übrigen mit seinen dramaturgisch-musikalischen Mitteln klargemacht, welche Figuren re vera die gewichtigsten Charaktere in diesem abwechslungsreichen Geschehen der drei Akte sind: das Roma – Mädchen Vielka und der typisch Meyerbeersche tenorale „Held“ Conrad. Beide sind in Wort und Tat  Gegenpole des patriotisch gefeierten Preußentums, stehen musikalisch und als Paar im Mittelpunkt und prägen nicht zufällig zusammen mit These  das Finale der Oper.

Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn/Szene/ Foto Thilo Beul

In der Jenny Lind – Rolle der Vielka fesselte Elena Gorshunova  mit wunderbar lyrischer Gestaltung (Romanze im 1. Akt und im berührenden Finale III) und glänzenden Koloraturen in ihrem „Terzett“ mit den zwei Flöten von Conrad auf der Bühne und der des Königs in den Kulissen (glänzend gespielt von zwei Flötistinnen des Bonner Orchesters). Den Angsthasen Conrad sang  der finnische Tenor Jussi Myllys stimmschön in der Manier eines Spieltenors – trotz einer angekündigten leichten Indisposition. Nicht nur in ihrer innig gesungenen Cavatine im 3. Akt  erfreute die Therese von Barbara Senator mit ihrem lyrisch grundierten Sopran. Überzeugend und tiefensicher sang und spielte Tobias Schabel den preußischen Hauptmann a.D. Saldorf. Tronk, der Anführer der feindlichen ungarischen Reiter, der nach verlorener Schlacht Anstellung am Hofe Friedrichs findet, war mehr als rollendeckend der bulgarische Bass Martin Tzonev. Ich hätte gerne alle Strophen des Husarenliedes gehört, das Christian Georg zu Beginn des 2. Aktes vom 2. Rang in das Auditorium schmetterte.

Man erlebt es nicht oft, dass der Chor, der den Auftakt der Schlussvorhänge macht, im Publikum erst zögerlich, dann wie eine Welle Standing Ovations auslöst. Aber die Stimmgewalt und Homogenität von Chor und Extrachor des Bonner Theaters (Einstudierung Marco Medved) waren wirklich überwältigend. Der vorgesehene Dirigent war plötzlich erkrankt, und da der  einzige „Ersatzmann“ Generalmusikdirektor Dirk Kaftan erst zum 2. Akt anwesend sein konnte, sprang ein Chor-Repetitor der Oper Bonn Jan Arvid Prée ein und dirigierte zur Erleichterung aller den 1. Akt: Bravo! Der Bonner GMD koordinierte danach souverän die aufeinandertreffenden vokalen und instrumentalen Brennpunkte  des 2. Aktes und gestaltete mit dem ausgezeichneten Beethoven Orchester Bonn die visionäre Finalszene des 3. Aktes, die  nach den martialischen Klängen des voraufgehenden Aufzugs einen versöhnlichen Ausklang bildet.

Meyerbeer-Fachmann Thomas Kliche/Beck-Verlag

In ihrem gerade erschienenen Buch Giacomo Meyerbeer and his family (Chicago 2021) erwähnt Elaine Thornton (S. 270), dass im Jahre 1850 ein Sonderzug von Magdeburg nach Berlin zum Besuch einer Aufführung von Ein Feldlager in Schlesien eingesetzt wurde, eine von 65 Wiederaufnahmen in Berlin bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Fakten belegen einerseits die große Popularität dieser patriotischen Oper des Berliners Meyerbeer, verweisen aber andererseits auf die Tatsache, dass diese Glorifizierung Friedrichs des Großen und durch ihn der Hohenzollern-Dynastie nur lokal begrenzten Anklang finden konnte. Mit unserem heutigen Blick auf diesen großen Komponisten dokumentiert das Werk hingegen programmatisch die musikalische Meisterschaft des Berliner Kosmopoliten Meyerbeer in seiner Schaffensphase zwischen Les Huguenots und Le prophète.

Zu dieser hoch zu schätzenden Pionierleistung des Bonner Opernhauses passte auch der anregende Vortrag „Der deutsche Meyerbeer“, den Thomas Kliche, der Gründungsinitiator und 1. Vorsitzender der Giacomo Meyerbeer- Gesellschaft, vor Beginn dieser 2. Aufführung präsentierte. Walter Wiertz

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Eine kleine kritische Anmerkung der Redaktion mag erlaubt sein: Bearbeitungen sind ja immer so eine Sache. Das elementare Kennzeichen eines Singspiels, als welches ja Ein Feldlager in Schlesien vom Komponisten bezeichnet wird, sind die Dialoge! Und es war ja genau die Kritik an der (reichlich amputierten) SFB-Version aus Berlin, dass eben diese nicht mit aufgeführt wurden. Sie nun in Bonn ebenfalls fortzulassen und sie durch einen Kommentator/Erzähler zu ersetzen scheint mir doch eine recht „diskutable“ Bearbeitung der Oper, die dadurch ihren Stellenwert in der Genregattung verliert. Meyerbeer arbeitete dieses Singspiel dann zum Etoile du Nord um und machte daraus eine veritable opéra de demi-caractère, mit Rezitativen und Dialogen, also wollte er an den Dialogen auch in der umgearbeiteten Fassung festhalten. Auf sie zu verzichten tut ihm, seiner Oper und dem Musikfreund anlässlich einer modernen Erstaufführung sicher keinen Gefallen, pardon. Aber ein Opernhaus muss vielleicht anders denken. G. H.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Sigmund Romberg

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Eingefleischten Fans von Helen Traubel und auch solchen des Musicals brauche ich nicht mit dem obigen Begriff „hootsie-tootsie“ (wie immer man das schreibt) zu kommen – die wissen, dass es aus dem wunderbaren Hollywood-Film Deep in my heartentnommen ist: eine sehr freie filmische Biographie des Komponisten mit einer absolut Star-studded-Besetzung von Merle Oberon bis zu José Ferrer (ehemals als VHS und nun als US-Import bei Amazon & Co.), La Traubel in einer ihrer besten und komischsten Rollen nicht ausgenommen. Sie betritt den Raum und hört Ferrer/Romberg am Klavier klimpern: „I like it Sigmund!, Can you play it? Is it hootsie-tootsie? Can we dance it?“ Und das tun die beiden auch mit Verve, die stämmige Traubel und der agile Ferrer Und der steppt auch noch. Was für eine Szene! Ein „Leg of mutton rag“ eben.

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Romberg: Sigmund Romberg/OBA

Sigmund Romberg/OBA

Und was für Musik! In die Beine und Ohren gehend, schmissig, einfach toll. Das beste aus Europa und Amerika vereinend, noch nicht Musical, aber nicht mehr Operette, eine Brücke zwischen beiden. Das gilt auch für die  in den USA erschienene DVD des Desert Song von 1943, die im nachstehenden Artikel von Kevin Clarke vom Operetta Research Center Amsterdam (ORCA) vorgestellt wird. Heißer Sand,  Sonne über der Wüste, laue Nacht, Mondschein, eine kitschige Liebesgeschichte à la Marocco/Sternheim und atemberaubende Farben von Technicolor, dazu einen gutgegelten Herzensbrecher vom Dienst und eine sexy Blondine (nicht zu vergessen der hinreißende Curt Bois). Man klebt förmlich am TV-Screen. Das Ganze ist in die Zeit von 1943 gehoben: Die gemeinen Pläne Nazi-Deutschlands werden von freiheitsliebenden Touregs unter Anführung eines entschlossenen Amerikaners und dem (zwar korrupten, aber sich auf seine demokratische Basis besinnenden) Franzosen durchkreuzt. Und bei der kleinsten Gelegenheit  gibts Solos, Duette und aufrüttelnde Chöre. Das ist Hollywood und das ist Musik, die in Erinnerung bleibt – Romberg eben.

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Romberg: "Tootsie-hootsie" mit Helen Traubel und José Ferrer/Youtube

Romberg: „Hootsie-tootsie“ mit Helen Traubel und José Ferrer/“Deep in my heart“/Youtube

Sigmund Romberg (29. Juli 1887 Nagykanizsa – 10. November 1957 New York) wurde in Ungarn geboren, in Wien ausgebildet, wo er am Theater an der Wien arbeitete. Bei Richard Heuberger lernte er die österreichische Operette. 1909 besuchte er die USA und bewarb sich um die Staatsbürgerschaft. Er tingelte herum, gründete sein eigenes Orchester und arbeitete 1914 im Theater der Shubert Brothers in New York als deren Hauskomponist und Arrangeur. 1915 schrieb er zur Verlängerung einer Eysler-Operette seinen ersten Hit („Auf Wiedersehn`n„). 1917 hatte er sich vorübergehend selbstständig gemacht und kam mit seiner Operette Maytime heraus (daraus erinnert man Will you remember me?“). Romberg lehnte sich gegen den Zwangsvertrag bei Shuberts auf, musste aber klein beigeben. Er instrumentierte und adaptierte Das Dreimäderlhaus auf Schuberts Leben (als Blossom Time“(der bekannte Song of Love ist auf Themen aus Schuberts Unvollendeter geschrieben). Die nächsten Jahre brachten einen Romberg-Hit nach dem anderen: 1924 The Student Prince (darausDeep in my heart„, „Drinking Song„, „Golden days und Serenade – die kein amerikanischer Tenor ausgelassen hat). 1926 folgte The Desert Song (daraus berühmt One alone„, „Riff song und Romance, echte Tränentreiber). 1927 Maryland (Mother, Silver moon), 1928 Rosalie für Florence Ziegfeld und Glamour-Star Marilyn Miller. 1928 The New Moon (Lover come back to me“, „Softly as in the morning sunrise und „Stouthearted men“).

Romberg: Szenen aus "Deep in my heart"/OBA

Romberg: Szenen aus „Deep in my heart“/OBA

Die Zeiten und der Geschmack änderten sich, Romberg konnte sein Erfolgsrezept der großen, streicherunterlegten Songszenen nicht anpassen, sein Erfolg begann zu schwinden. Er schrieb nun Musik oder Musikarrangements für Filme wie The night is still young (When I grow too old to dream). 1940 machte er mit einem eigenen Orchester eine große USA-Tournee. Sein letzter Hit am Broadway war Up in Central Park 1945, aber auch das war kein wirklicher Erfolg mehr.  Alles in allem schrieb Romberg Musik für rund 60 Shows, absolut unerreicht bis dahin und seitdem. Manche warfen ihm vor, sich an den Stücken anderer Kollegen zu bedienen (so Vincent Youman, der einen Prozess gegen ihn  anstrengen wollte). Gelegentlich scheint seine Musik routiniert, weniger originär im Vergleich zu Rudolf Friml zum Beispiel. Aber er schuf vor allem langlebige, eingängige Melodien, die sich bis heute gehalten haben und die ins das kollektive Bewusstsein eingegangen und von nahezu allen Pop-Sängern vorgetragen worden sind. Er war der Katalysator zwischen der europäischen und der amerikanischen Operette auf ihrem Weg zum Musical. G. H.

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PS.: Leider gibt´s diese DVD neu aus Rechtsgründen nur in den USA, aber findigen Fans wird das schon gelingen, und zumindest auf Amazon gibt´s den gewohnten Marktplatz … . Und es gibt auf jpc, Amazon & co. den „anderen“ DVD-Umschnitt mit Nelson Eddy, Gale Sherwood, sogar Salvatore Baccalonii unter Charles Sanford von 1955. Oder den mit der sehr bürgerlichen June Bronhill – Wüste in den englischen Downs. Nicht so toll wie hier links nebenan allerdings … G. H.

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Und nun Hootsie-tootsiges von Kevin Clarke: Sigmund Rombergs Nordafrika-Spektakel Das Wüstenlied „ist wohl das Beste aus der Gruppe der romantischen Operetten, die in den 1920er Jahren am Broadway so großen Erfolg hatten“, schreibt Kurt Gänzl in Musical Theatre on Record. Es wurde vielfach aufgenommen, weil jeder ernstzunehmende Hauptdarsteller in der musikalischen Komödie die Lieder von The Red Shadow singen wollte, und so mancher lüsterne Sopran wollte die für Margot geschriebenen Melodien zwitschern. Bei einer so populären Show ist es nicht verwunderlich, dass auch viele Filmversionen gedreht wurden, die erste 1929 in den Anfangsjahren des Tonfilms. Es folgten zwei weitere Kinofassungen: 1943 spielten Dennis Morgan und Irene Manning die romantische Hauptrolle, 1953 folgte die Technicolor-Extragvaganza mit Gordon MacRae und Kathryn Grayson in den Hauptrollen. (Nicht mitgezählt sind dabei die Fernsehfassungen, die ebenfalls existieren.)

Auch Mario Lanza ließ es sich nicht nehmen, die Musik einzuspielen …

„Aufgrund rechtlicher Probleme mit dem Drehbuch und den Musikrechten kann die Version von 1943, ebenso wie die Zweistreifen-Technicolor-Version von 1929, nicht im Fernsehen gezeigt oder auf Video veröffentlicht werden“, schrieb jemand in der International Movie Data Base. „Sie wird jedoch sicher in den Turner-Gewölben aufbewahrt und hoffentlich wird TCM sie in Zukunft zeigen können. Nun, dieser zukünftige Tag ist endlich gekommen, und die Warner Archive Collection hat endlich die Morgan/Manning-DVD unter der Regie von Robert Florey veröffentlicht, ebenso wie die restaurierte Version der MacRae/Grayson-Fassung, die wahrscheinlich am bekanntesten ist, weil sie jahrelang als VHS im Umlauf war.

Ein anderer Kommentator auf IMDB schreibt: „Die ursprüngliche Bühnenoperette Das Lied der Wüste hatte eine starke Partitur und eine faszinierende Prämisse mit einer nur sehr seichten Handlung und wurde 1929 und 1953 originalgetreu verfilmt, die Version, die heute häufig im Fernsehen gezeigt wird. Die Version von 1929 war durch die frühe Tontechnik beeinträchtigt und wurde komplett in Schwarzweiß im Studio gedreht. In den folgenden zehn Jahren hatte Warners erfolglos versucht, einen Weg zu finden, den Film neu zu verfilmen und dabei die knarzigen, klischeehaften Handlungselemente zu eliminieren. Ein Drehbuch nach dem anderen wurde abgelehnt, bis Regisseur Robert Florey und Produzent Robert Buckner Anfang 1942 eine ernsthafte und realistische Bearbeitung vorschlugen, in deren Mittelpunkt die aktuellen Ereignisse in Marokko standen.

Das Vichy-Regime überwachte den Bau einer Transsahara-Eisenbahn, die mit arabischen Zwangsarbeitern gebaut und vom Dritten Reich finanziert wurde. Durch die Verlegung der nationalsozialistischen Manipulation der französischen Kolonialherrschaft in die Jahre kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schauplatz der Operette modernisiert und die Darstellung des Aufstands der Eingeborenen erhielt politische Bedeutung.“

IMDB fährt fort: „Um die abenteuerlichen Aspekte der Handlung zu betonen, anstatt sie als Hintergrund zu belassen, wurden wichtige Änderungen an der Partitur vorgenommen, wobei Buckner und Florey diejenigen Aspekte eliminierten, die nicht zur Entwicklung der Handlung beitrugen. Die Musik unterstreicht die Handlung, zum Beispiel wenn ein einsamer Reiter die Rebellen zum ersten Angriff auf die französische Eisenbahnlinie aufruft, um die Gefangenen von Riff zu befreien. Die Ereignisse entwickeln sich während der musikalischen Nummern: Wüstenaufnahmen zeigen die subjektive Fantasie der Heldin, während die moralischen Instinkte eines französischen Beamten während eines patriotischen Tanzes zum Vorschein kommen. Buckner und Florey verwandelten die weibliche Hauptrolle in eine professionelle Sängerin anstelle des verliebten Mädchens aus der Operette. Der Humor wurde überarbeitet, indem ein amerikanischer Reporter hinzugefügt wurde, dessen „Scoops“ ständig von einem verweichlichten französischen Regierungsbeamten zensiert werden – eine spitzbübische Anspielung auf das Hays-Büro, aber auch eine unbeabsichtigte Vorahnung des Schicksals des Films durch die Zensurbehörden. Trotz der Zusammenarbeit an dem neuen Drehbuch wurden die Drehbuchautoren im Abspann nicht erwähnt. Der Hauptdarsteller der neuen Version von The Desert Song war eigentlich schon einige Jahre zuvor ausgewählt worden, nach zwei Probeaufnahmen Anfang 1939. Die erste war unter seinem richtigen Namen Stanley Morner, die zweite unter seinem neuen Namen Dennis Morgan. Es wurden keine anderen Schauspieler für die Hauptrolle getestet, und Dennis Morgan sollte Warners führender Star der 1940er Jahre werden.“

Romberg: Dennis Morgan in "The Desert song" 1943 - Szenenausschnitt

Romberg: Dennis Morgan in „The Desert Song“ 1943 – Szenenausschnitt

Um die Authentizität der aktuellen Geschichte zu erhöhen, wurde der Schauplatz in der nordafrikanischen Wüste so realistisch wie möglich wiedergegeben; Regisseur Florey kannte die Region von einer Reise im Jahr 1923. Nach Besichtigung von Palm Springs, Lone Pine, Death Valley, Victorville, Las Vegas, Utah und Arizona wurde ein Drehort in der Nähe von Gallup, New Mexico, ausgewählt. Die zunehmenden Zwänge der Kriegszeit überzeugten Warners, so bald wie möglich im Jahr 1942 mit den Dreharbeiten zu beginnen, auch wenn dies bedeutete, im Juni und Juli in der brütenden Hitze der Wüste zu filmen.

Allein die Dreharbeiten kosteten 107.000 Dollar, fast das Doppelte des geplanten Betrags, und waren der letzte aufwendige Drehortausflug, bevor die Kriegsrestriktionen in Kraft traten. Die atemberaubenden Szenen in New Mexico, die in hellen, lebhaften Technicolor-Farbtönen fotografiert wurden, wurden im Studio durch Kulissen und Fotografien ergänzt, bei denen visuelle Motive wie enge Stadtstraßen, Aufnahmen durch maurische Tore und Fenster und Kompositionen in der Tiefe verwendet wurden. Florey schmückte die Kulissen mit vielen Gegenständen aus seiner eigenen Sammlung, wie z. B. seinen Toulouse-Lautrec-Postern an den Wänden des Cafés. Französische Flüchtlinge, die vor dem Faschismus geflohen waren, wurden für den Film engagiert, darunter Victor Francen, der den Araber spielt, der mit den Nazis kollaboriert, und der technische Leiter Eugene Lourie, der gerade aus Frankreich über Casablanca in die Vereinigten Staaten gekommen war.

Romberg/“Deep in my heart“ Helen Traubel und José Ferrer/Still aus dem gleinamigen MGM-Film

Der Kommentator auf IMDB fasst das Ganze wie folgt zusammen: „Nach all den Schwierigkeiten hat sich der Aufwand für The Desert Song gelohnt. Als er Anfang 1944, fünfzehn Monate nach seiner Fertigstellung, in die Kinos kam, war er ein Kassenschlager, und auch die Kritiker reagierten im Allgemeinen positiv. Nichtsdestotrotz hat das Publikum den Film seit über fünfzig Jahren nicht mehr gesehen. Ein Problem mit den Rechten an einem hinzugefügten Lied hat eine Fernseh- oder Videoveröffentlichung dieser Version von The Desert Song“ verhindert.

Hier, zum ersten Mal auf DVD, ist diese Version aus der Kriegszeit, und sie ist wirklich eine interessante Alternative zur ersten Version, die viel näher an der Broadway-Bühnenproduktion (und der Tournee) ist, an die sich die meisten Romberg-Fans der späten 40er Jahre noch erinnern können.

Die Neuverfilmung aus den fünfziger Jahren hat in den letzten Jahren bei den Fans der Broadway-Operette wenig Beifall gefunden, hauptsächlich weil sie Kathryn Grayson für eine Fehlbesetzung halten. Darüber lässt sich trefflich streiten, denn im selben Jahr spielte sie die Hauptrolle in dem berühmten Film Kiss Me Kate und feierte einen großen Erfolg, und ich persönlich finde, dass sie sehr gut zu Mr. MacRae passt.

Romberg: Fotos zur Erstaufführung in New York/OBA

Romberg: Fotos zur Erstaufführung in New York/OBA

Zitiert man einen Kommentator von IMDB: „Gordon MacRae ist mit herrlich kräftiger Baritonstimme als der sanftmütige Anthropologe zu hören, der gebeten wird, die Tochter des Generals (Grayson) zu unterrichten, während er gleichzeitig der Anführer der Riffs ist, die von ihrem Freund, einem französischen Legionär (Steve Cochran), gesucht werden. Die abgedroschene Handlung zieht sich hin, durchsetzt mit einigen Actionszenen, alberner Komik und exotischen Tänzen – ganz im Sinne des Wüstenabenteuers. Die beiden Hauptdarsteller sind charmant in ihren Rollen und Raymond Massey ist als böser Scheich zu sehen. Die gute Farbfotografie und die Aufnahmen vor Ort machen den Film zu einem angenehmen Erlebnis – aber es ist die Musik von Sigmund Romberg, die den Film so wertvoll macht. Grayson ist besonders gut, wenn sie vor einer Armee von Soldatenbewunderern „Gay Parisienne“ singt und ihre koketteste und farbenprächtigste Darbietung seit Kiss Me Kate abliefert. Gordon MacRae hat sich als Sänger und Schauspieler fest etabliert und zeigt neben seiner großartigen Gesangsstimme auch einen Sinn für Humor. Sehr sehenswert für Fans der musikalischen Komödie“.

„The Desert Song“ made in GB mit June Bronhill/ das hinreißender alte HMV-Cover

Besonders interessant an dieser letzten Filmversion ist, dass die Figur des Paul Bonnard/El Khobar als ein Clark Kent-Typ dargestellt wird, der sich manchmal in eine arabische Version von Superman verwandelt, um den Unterdrückten und Bedürftigen zu helfen.

Wenn man bedenkt, wie populär Superhelden derzeit sind, mit X-Men und Avengers und Captain Americas, die über die Bildschirme in aller Welt fliegen, könnte es interessant sein, The Desert Song für ein modernes Publikum neu zu interpretieren, und zwar live auf der Bühne, mit einer solchen interpretatorischen Perspektive. Die arabische Kulisse und die Geschichte des Kulturkampfes, die Romberg und sein Buchautor Oscar Hammerstein in The Desert Song erzählen, könnten aus Sicht des Jahres 2014 natürlich nicht aktueller sein. Wenn Sie die Operette noch nicht kennen, sind diese beiden Verfilmungen eine gute Möglichkeit, sich mit ihr und ihren Vorzügen vertraut zu machen. MacRae, der „Blue Heaven“ singt, bleibt ein Knaller. Und der Riff-Song ist so mitreißend wie eh und je, ganz gleich, für welche Version Sie sich entscheiden. Kevin Clarke/ORCA/ 24. August, 2014/ Übersetzt mit DeepL.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier

Mariana Ciromila

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Mariana Ciromila (18. Januar 1952, Satu Mare, Rumänien – 19. Mai 2022, Brasilien) lebte seit 2000 in Ubatuba, Brasilien Sie studierte Musik an der Galati High School of Arts mit Spezialisierung auf Klavier und besuchte die Kurse der Universität der Künste „George Enescu“ in Iași, Abteilung für lyrischen Gesang, unter der Leitung von Professorin Ella Urmă, Kurse, die sie mit der Auszeichnung „Summa cum Laude“ abschloss. sie spezialisierte sich unter der Anleitung der Lehrerin Magda Ianculescu sowie bei dem Professor und Künstler Pawel Gerassimowitsch Lisizian in Weimar, Moskau und Mailand bei der Lehrerin Pier Miranda Ferraro. Zwischen 1977 und 1984 nahm sie an zahlreichen internationalen Gesangswettbewerben teil und gewann den „Francisco Vinas“ – Barcelona (1977), „Maria Callas“ Athen und „Tchaikovsky“ – Moskau (1978) oder „Belvedere“ – Wien (1984). .

Rollen: Adalgisa (Norma), Amastris (Xerxes), Amneris (Aida), Anacoana (Christophe Colomb), Angelina (La Cenerentola), Carmen (Carmen), Charlotte (Werther), Cherubino (Le nozze di Figaro), Concepcion (L ”heure Spanisch), Cornélia (Julius Cesar), Dalilah (Samson & Dalilah), 3aDame (Zauberflöte), Dorabella (Cosi fan tutte), Dulcinea (Don Quijote), Eboli (Don Carlos), Edwige (Guglielmo Tell), Elisabetta (Maria Stuarda). ), Enrichetta (I Puritani), Fenena (Nabuco), Isabella (L’Italiana in Algier), Jocasta (Oedip), La Cieca (La Gioconda), Laura (La Gioconda), Madalena (Rigoletto), Marina (Boris Godunow) , Marcelina (Die Hochzeit des Figaro), Marta (Faust), Marguerite (La damnation de Faust), Mary (Fliegender Holländer), Frau Maclean (Susannah), Orsini (Lucrezia Borgia), Otavia (Die Krönung von Poppea), Preziosilla ( Die Macht des Schicksals), Prinz von Bouillon (AdLecouvreur), Rosina (Der Barbier von Sevilla), Sarah (Robert Devereux), Sextus (Die Barmherzigkeit des Titus).

Mariana Cioromila unterrichtete Gesang an der State University of Campinas (UNICAMP), der Faculdade Integral Cantareira, der Universidade Livre de Música Brasil und der Faculdade de Música Carlos Gomes. 2011 promovierte sie in Musik mit der Arbeit „Theses in Vocal Technique“ an der State University of Campinas, Brasilien. Radio Romania/ Google-Übersetzung

 

Gesang & fragwürdige Kommentare

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Ob wohl die beiden Künstlerinnen, die eine zwar in Taschkent/Usbekistan geboren, aber in der Ukraine ausgebildet, die andere in Russland geboren und aufgewachsen, noch immer so vertraut aneinander gelehnt auf einem Foto erscheinen möchten wie auf dem der Rückseite ihrer gemeinsamen CD mit dem Titel Spring Night – Russian Songs? Die erschien zwar erst kürzlich, wurde aber bereits Ende 2020 aufgenommen, als noch nicht an einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu denken war. Das Booklet zur CD von Lena Belkina, Mezzosopran, und Natalia Sidorenko, Klavier, enthält leider keine Liedtexte, dafür aber einen offensichtlich aus dem Russischen von Engländern ins Deutsche übersetzten Artikel mit geheimnisvollen Wendungen wie das Russische habe „eine schwierige Tonanlage“, die Lieder seien „ein Teil der städtischen Kultur der Arbeiterklasse“ oder „in der Darbietung sind hörbare Vornehmheit der Gefühle enthalten“.  Auch dass Mignons Lied von der Sehnsucht mit „andächtiger Selbstbefangenheit“ endet, ist für den Leser schwer nachvollziehbar. Neben Tschaikowski wird Rachmaninov mit ähnlich dunklen Urteilen bedacht, wenn von „seltsame(m) Leid….das so viele Interpreten …auszeichnet“ oder von einer Melodie berichtet wird, die „strömt beständig heraus…“. Da wären die Liedtexte sicherlich hilfreicher zum Verstehen des Unternehmens gewesen, doch die stehen leider nur digital zur Verfügung.

Dabei hätte es die Sängerin und hätte es auch ihre Begleiterin verdient, dass ihre CD auf würdigere Weise unter die Musikfreunde gebracht worden wäre. Das große Publikum kennt sie als Carmen auf der Seebühne von Bregenz, sie hat aber auch viel Rossini und das sogar in Pesaro gesungen, war in Wien und Leipzig zu erleben.

Je zehn Lieder von Tschaikowski und Rachmaninov, trotz des frischen fröhlichen Titels meistens melancholisch umflort, werden geboten und lassen bereits im ersten Lied Es war im frühen Frühling  eine reich timbrierte Stimme mit viel erotischem Flair und mit leichter Emission bewundern, sei es in den nachdenklichen, verhaltenen Passagen oder im fast opernhaften Schluss. Für Mignon auf Russisch hat der Mezzo nichts Androgynes, ist üppig, für So schnell vergessen  schön melancholisch verhangen, ehe auch hier der Schluss hochdramatisch wird. Zwei Wiegenlieder beweisen, wie gut gestützt die Stimme im Piano wird, wie geschmeidig sie angelegt ist, wie flexibel sie reagiert. Eine langvolle Höhe in Mezzoqualität offenbart sich in  Sag mir, wo es wild zugeht, man eher eine Opernarie vermutet. Dass man bei Tschaikowski auch jubeln darf, beweist Serenade, eine bruchlose Steigerung kann man bei Ich bin wieder allein bewundern und klug aufgebaut wird schließlich die Interpretation von Ich öffnete das Fenster.

Ähnliche Qualitäten lassen sich bei der Interpretation von Rachmaninov feststellen, so der melancholische Touch für die Fliederblüten, das Strahlen für den Morgen, die schmerzliche Süße und das feine Verklingen für die Sorgen. Bewundern muss man die Fähigkeit der Sängerin dafür, dass sie ihre Stimme in einem feinen Schwebezustand halten kann (Die Nacht ist traurig), so wie sie andererseits zu einem blendenden Strahlen gebracht werden kann (Sie ist schön) . Im abschließenden Lied Frühlingswasser hätte man sich eine weniger offene Höhe gewünscht, aber insgesamt ist das (und nicht zuletzt durch die empfindsame Begleitung) eine schöne CD, deren Bekanntschaft zu machen durchaus lohnend ist (Solo Musica SM 381/ Foto Bofil). Ingrid Wanja 

Händel lebt

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Bereits ihre 23. Ausgabe erleben die Göttinger Händel-Beiträge der Göttinger Händel-Gesellschaft, die auch die alljährlichen, falls nicht durch Krieg oder Pandemie verhindert,  Händel-Festspiele unterstützt, die 2022 wieder stattfinden dürfen. Auch wenn die Stadt Halle das Privileg besitzt, die Geburtsstadt des Komponisten zu sein, ist Göttingen nicht etwa eine Parallelgründung wie die Deutsche Bücherei in Frankfurt oder der Tierpark in Friedrichsfelde zu DDR-Zeiten, sondern die Gesellschaft besteht bereits seit 1920, ist vielleicht auch nach dem verlorenen Weltkrieg als Kontrast zur Wagnerei zu verstehen, als Beginn der „Göttinger Händel-Renaissance“.

Auch 2022 sind die Vorträge, die in dem gut hundertseitigen Band miteinander vereint sind, von großer Vielseitigkeit, vereinbaren Politisches mit Ästhetischem, Ökonomisches mit Ethischem und lenken das Auge des Betrachters mit dem Cover auf den in Barockes gekleideten Unterleib eines Mannes und einer Frau, womit aber nichts Anstößiges verbunden ist. Im Innern darf man sich das Bild in seiner Gesamtheit anschauen, es stellt den Kastraten Farinelli mit seiner Lieblingskollegin, mit Pagen und Hund und außerdem dem wohl meistbenutzten Librettisten der Händelzeit und auch noch danach dar: Pietro Metastasio.

Der erste Artikel, eine Einführung in das Symposium von 2021, stammt von Laurenz Lütteken und befasst sich mit der Oper als Geschäft zu Händels Zeiten, schildert das Verhältnis von Komponist und Impresario zueinander, das Verhältnis der Oper zur Frühaufklärung und das von materiellem Einsatz und sinnlichem Vergnügen.

Wolfgang Sandberger aus Lübeck befasst sich mit der in den Zwanzigern einsetzenden Händel-Bewegung, beginnend mit einer stark gekürzten Rodelinda in deutscher Sprache, die auf über zwanzig Bühnen nachgespielt wurde und sich durch eine abstrakte Bühne und die Einbeziehung choreographischer Elemente hervortat. Der Verfasser führt anschaulich aus, warum Händel als „unbelastete Identitätsfigur“ angesehen werden konnte, wie es zu Vermutungen über eine Verwandtschaft mit dem Expressionismus und eine Gegnerschaft zum Jazz kommen konnte. Anschaulich gestaltet ist der Artikel durch zahlreiche Abbildungen von Händel-Produktionen der Zwanziger, nicht selten von monumentaler Art wie in Hannover in einer riesigen Halle, einem Alexander Balus mit 910 Mitwirkenden. Als das Interesse nachlässt, wird  1931 die Göttinger Händelgesellschaft gegründet, hier hat „Völkisches“, haben aus SA-Bataillonen bestehende Statistenmassen keinen Platz. Der Leser wird mit einer Fülle von Beispielen für Hänel-Aufführungen konfrontiert, eine übersichtliche Tabelle der in Göttingen tätigen Händel-Forscher und Händel Interpretierenden erleichtert es, den Überblick zu behalten.

Von Matthew Gardner stammt der Beitrag über Sängerinnen und Sänger zur Händelzeit, über den Einzug der italienischen Oper in London. Sehr anschaulich wird darüber berichtet, wie Opern für bestimmte Sänger geschrieben, bei Neuverpflichtungen entsprechend umgeändert wurden, wie nach dem Sänger, was die Wichtigkeit angeht, der Librettist und erst dann der Komponist kam. Und man möchte hinzufügen, dass der Regisseur gar nicht vorkam. Hier und auch anderswo wird auf die Wichtigkeit der Royal Academy of Music hingewiesen, deren Verbindung zu Händel, die Bedeutung von Benefizkonzerten für Sänger, meistens die dritte Aufführung einer Reihe.

Philine Lautenschläger aus Berlin befasste sich mit dem Verhältnis zwischen Sensualisierung und Kommerzialisierung, dem Widerstand der Engländer gegen die italienische Oper nicht nur wegen der Fremdsprache, sondern auch wegen des Kontrastes zu aufklärerischen Ideen. Dem Leser wird es bewusst gemacht, welchen Stellenwert die Oper aber auch besaß in einer Gesellschaft, die nicht über die technischen Möglichkeiten des Musikerlebens späterer Zeiten hatte. Die Versöhnung mit der Aufklärung erfolgte schließlich durch die Einsicht, wie  stark die Empfindungsfähigkeit durch das Erleben von Musik gesteigert werden konnte. Notenbeispiele aus Rodelinda werden dem Leser zugänglich gemacht.

Panja Mücke informiert in ihrem Beitrag über Oper als Aktienunternehmen, ausgehend vom Impresario Swiney, der mit der Abendkasse das Weite suchte. Ähnliches gab es durchaus auch in der Jetztzeit, so bei einem nie stattgefunden habenden Festival in Taormina, zu dem zwar die Sänger, nicht aber der Veranstalter anreisten. Die Verbindung von Opernimpresario und Glücksspielunternehmer kannte man bereits aus Italien, in England kommt noch die Aktiengesellschaft, allerdings selten mit erzielter Dividende, kommen Subventionen durch das Königshaus dazu. Das alles wird in einer auch dem Nichtwissenschaftler zugänglichen Art anschaulich geschildert, ebenso die Versuche, ein zufriedenes Publikum zu gewinne, so durch zweisprachige Libretti, kurze Rezitative und die Verwendung allseits bekannter Stoffe. Damit wären wir schon beim letzten Beitrag, dem von Thomas Seedorf, und dieser befasst sich mit den Libretti , die oft von Reisen mitgebracht werden, teils Originale, teils Bearbeitungen sind, von denen ein Drittel aus Venedig stammt. Mythologie, Antike, Mittelalter, Boccaccio und Ariost sind die Quellen, wie der heutige Händel-Freund leicht anhand der Spielpläne feststellen kann. Dem Festival kann man nur wünschen, dass es so gut gelingt wie dieses aufschlussreiche und Leselust bereitende Buch (Vandenhoeck & Ruprecht Verlage 2022; 115 Seiten;  ISBN 978 3 525 27837 6). Ingrid Wanja    

Geburtstagsgabe für Dänen-König

Mit Musicalisches Schauspiel trägt Reinhard Keisers Singspiel Ulysses, welches das Label Coviello jetzt als Live-Aufnahme auf zwei CDs veröffentlicht hat (COV 92203), eine ungewöhnliche Genrebezeichnung. Das Werk wurde 1722 in Kopenhagen anlässlich des Geburtstages von König Friedrich IV. aufgeführt, der sich darin als Befreier von Schleswig feiern lässt. Keisers Komposition ging 1703 eine von Jean-Féry Rebel voraus, die in Paris jedoch ohne Erfolg blieb, trotz des hohen Aufwandes an Bühnentechnik. Keisers Version für Kopenhagen musste die bescheideneren technischen Verhältnisse des Theaters berücksichtigen. In dieser Fassung fehlen die Götter Juno und Pallas, die es in Paris noch gab, dafür findet sich mit Cephalia und Eurilochus ein zweites Liebespaar und mit dem Diener Arpax eine komische Figur. Keiser gelang in seinem Werk eine reizvolle Kombination von französischem und italienischem Stil – und das auf den deutschen Text von Monsieur de Lesner.

Die Aufnahme gibt die Generalprobe, eine Aufführung sowie Korrekturen im Theater Nienburg vom Oktober 2021 wieder. Es musiziert das Göttinger Barockorchester unter Antonius Adamske. Schon in der pompösen Intrada mit vier Trompeten kann es mit glanzvollem Spiel aufwarten. Der Göttinger Barockchor übernimmt diese Stimmung im jubilierenden Eingangschor „Froher Tag“, kann auch im munteren Chor der Geister gefallen und feiert den glücklichen Ausgang des Geschehens am Ende mit heiteren Gesängen („Singet von Ulysses’ Siegen“/“Bringt glückliche Beyde“). Graziös spielt das Orchester im Ballett der Amouretten auf, während es den Bauerndanß des 3. Aktes zu einem melodischen Reigen formt.

Im Prolog wird der Geburtstag des Königs gefeiert, sogar Jupiter erscheint mit einem Adler vom Himmel. Der Tenor Markus Brutscher singt ihn pointiert und mit lyrischem Ton. Aus dem Meer steigt Neptunus mit seinem Dreizack in Gestalt des Baritons Janno Scheller, der in der Arie „Die Ostsee, der beschäumte Belt“ mit liedhafter Gestaltung aufwartet. Er singt auch den Titelhelden, der den 2. Akt mit zwei Arien eröffnet – „Mit Freuden Thränen“ ist munter und geprägt von Koloraturläufen, „Kann ich dich nur wieder sehen“ gleichfalls lebhaft. Insgesamt fehlt der Stimme persönliches Profil.

Der 1. Akt führt in einen königlichen Garten von Ulysses Palast in Ithaca. Urilas, der seit langem vergeblich um Ulysses Gattin Penelope wirbt, erfleht in seiner Arie „Erhebt euch“ den Untergang von Ulysses Kahn. Der Bassist Jürgen Orelly singt mit energischem Nachdruck, allerdings sehr schwerfällig in den Koloraturen.

Circe will ihm bei diesem Vorhaben behilflich sein. Der Countertenor Gerald Thompson ist eine Entdeckung. Die Stimme schmeichelt, lässt mühelose Koloraturläufe hören und betört später auch in einer Arie der Amourette „Diesen Blumen“. Den 1. Akt beendet ein furioses Duett zwischen Circe und Urilas „Auff, auff zur Rache“, in welchem sich die Stimmen gut verblenden, der Counter aber doch dominiert. Hinreißend trumpft er im Duett mit Ulysses am Ende des  2. Aktes („Erzittre“) auf und auch in der Arie des 3. Aktes („Ich eile die Pfeile der Rache zu wetzen“) vermag er mit einem Koloraturfeuerwerk zu imponieren. Circes Hass gilt Penelope, weil diese ihr Ulysse entzogen hat.

Dann tritt Penelope auf, in Begleitung der vornehmen Ithacierin Cephalia und stets in Gedanken an ihren Gatten. Bogna Bernagiewicz singt sie in der Auftrittsarie „Süßer Ursprung meiner Ruh“ recht schmalstimmig, die nachfolgende Arie mit lieblichen Trillern, virtuosen staccati und melancholischer Einfärbung überzeugt eher. Sie erklingt in zwei Versionen („Nachtigall im Geäst“/„Du angenehme Nachtigall“) und auch in einer italienischen Variante („Usignuol tra rami“) von Giuseppe Maria Orlandini. Von diesem Komponisten gibt es im 3. Akt noch eine dramatisch bewegte Arie („Tu che scorgi“), in der die Interpretin den stärksten Eindruck hinterlässt. Das Accompagnato furioso „Darum zerschmettre mich“ wirkt dagegen unterbelichtet. Die Sopranistin Francisca Prudencio singt die Cephalia beherzt.

Der Schauplatz wechselt zu einem Wald am Meer unweit des Palastes mit dem Tempel der Juno in der Ferne. Ulysses Schiff legt an, in seiner Arie „Mit Freuden Thränen“ gibt der Held seinem Glücksgefühl, wieder an Land zu sein, Ausdruck. Begleitet wird er von Arpax, den der Tenor Goetz Philip Körner solide singt. Vor allem mit zwei Fassungen einer munteren Wein-Arie („Du süsser Saft der Reben“/“Ein Gläßgen Wein“) kann er erfreuen. Im Palast der Circe sehen sich Penelope und Ulysse wieder, aber die Eheleute sind entfremdet, überhäufen sich mit Vorwürfen über die vermeintliche Untreue des Partners.

Zu Beginn des 3. Aktes sieht man Cephalia und Eurilochus (Markus Brutscher hier mit bemühten Koloraturen) in einem Wald nahe Ithaca in Liebe vereint. Davon kündet ihr Duett „Schönster Engel“, in welchem sich die Stimmen glückselig umschlingen. Penelope und Ulysses aber finden sich erst, nachdem Mercurius (Goetz Philip Körner) einen Anschlag der eifersüchtigen Circe auf Penelope vereiteln konnte. Im Duett „Lass dich hertzen“ feiern sie ihr neues Glück. Im Epilogus tritt die Zeit (Jürgen Orelly) mit Sense und Sanduhr auf, erinnert an die Sterblichkeit allen Lebens und huldigt noch einmal König Friedrich. Der Chor fällt mit „Es lebe Friederich“ ein. Bernd Hoppe

US-Importe: Tilzer, Hirsch & Romberg

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Nie gehört. Weder Louis Hirsch noch Albert von Tilzer. Natürlich nicht. Selbst ausgepichte Sammler amerikanischer Musicals stoßen vermutlich nicht jeden Tag auf diese Namen. Ihre Werke gehören zu den verlorenen Musicals und Raritäten, welche die Operetta Foundation, „Dedicated to the preservation of our operetta heritage“, in ihrer Reihe Musicals Lost and Found erstmals wieder in Erinnerung ruft (siehe auch: http://operalounge.de/tag/operetta-foundation), nachdem bereits viele der Musicals von Kern, Porter, Gershwin oder Rodgers in großformatigen Studioaufnahmen vorliegen. Zwar handelt es sich bei Musicals Lost and Found um kleinbesetzte Kammeraufführungen mit Klavierbegleitung, was indes den Rang dieser ungemein verdienstvollen Reihe sowie das Hörvergnügen nicht schmälert, das klingt sogar recht apart nach Kaffeehaus- und Gaststätten-Musik, mit der diese Komponisten als Gelegenheitspianisten ihren Einstieg ins Geschäft fanden, nach Tin Pan Alley-Geklimper.

Beide, Hirsch und von Tilzer, sind im Gegensatz zum bekannten Sigmund Romberg, als Söhne von Einwanderern quasi ureigene amerikanische Gewächse. Albert von Tilzer, natürlich ein Künstlername, wurde als Sohn polnischer Einwanderer 1878 in Indianapolis als Albert Gumm bzw. Gumbinsky geboren und nahm den Namen seiner Mutter, Tilzer, an, dem er noch das aparte meist groß geschriebene „von“ voranschaltete. So verfuhren auch seine vier Brüder, die irgendwie alle in die Song-Fabrik der Tin Pan Alley fanden, wo in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die meisten amerikanischen Musikverlage ihren Sitz hatten. Unser von Tilzer, also Albert, zog 1900 nach New York, machte sich einen Namen als Songwriter, dessen Songs in das eine oder Musical Play am Broadway eingestreut wurden, landete seinen größten Hit mit der bis heute aktuellen Football-Hymne Take me out to the Ball Game, bevor in den 20er Jahren einige seiner Musicals am Broadway aufgeführt wurden, so im August 1922 auch The Gingham Girl, mit dessen 322 Aufführung von Tilzer die in dieser Spielzeit laufenden Shows von Gershwin, Kern, Herbert, Friml oder Romberg ausstach. Das Mädchen im Karokleid war offenbar von Tilzers größter Erfolg. Die Show tourte durch die Lande, es gab eine Verfilmung und schließlich 1927 eine Down-under Produktion in Sydney. Zuletzt hatten von Tilzer und sein Textdichter Neville Fleeson mit By, Bye Bonnie noch einen respektablen Erfolg. Dann war von Tilzer war aus der Mode gekommen und zog sich Ende der 20er Jahre von der Bühne zurück. Nachdem er am Abend zuvor in einer Fernseh-Show nochmals seine Musik gehört hatte, starb er 1956 in Los Angeles.

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The Gingham Girl erschien nun als fünfte Folge bei Musicals Lost and Found (OA 1035). Die Story ist so süß, wie sie eben nur sein kann, wenn es darum geht, Mary Thomsons Geschäft mit den Bluebird Cookies auf sichere Beine zu stellen, was mit der Hilfe des großherzigen Biscuit Company-Erben Harrison ein Leichtes sein sollte. Absoluter Gegenpol zur Bäckerin ist ihre Freundin, die kecke, freche, auf der Höhe der Zeit mitswingende Libby O’Day, die sich den Geschäftsmann Jack angelt, auf den sie schon bei seinem ersten Auftritt ein Auge geworfen hat. Mary bekommt den scheuen Country Boy John, der Biscuit-Erbe seine Verlobte Mildred. Fast sechs Seiten benötigt das dünne Booklet, um das zu erzählen; dazu gibt es aber auch noch eine schöne Einführung zu von Tilzer; die Tracklist befindet sich auf der CD-Rückseite. Da auf die Sprechtexte verzichtet wurde, passen sogar noch ein paar Alternativnummern auf die CD. Rasch gewöhnt man sich daran, dass die Musik von zwei Klavieren gespielt wird, denn Adam Aceto, zugleich Musical Director, und Rick Parent spielen mit gewinnendem Ton und flottem Zugriff, dass man spätestens beim Duett der beiden Freudinnen Mary und Libby „The Twinkle in your Eye“, einem der erfolgreichsten Nummern, Gefallen an dem Ton und dem zwischen der Provinz und New York spielenden Geschehen findet. Die Finali beinhalten swingende Tanznummern, die Szenen und Duette haben eine leicht altmodischen, walzerdurchtränkten Kaffeehaus-Stil, sind charmant und einschmeichelnd, vor allem, wenn sie so gekonnt serviert werden wie von den Singschauspielern Ina Woods als Mary und Elyse Willis als Libby und den Herren A. J. Teshin als Jack, Brian Maples als Harrison und Ryan Reithmeier als John. Ein bisschen erinnert mich das an das rund 15 Jahre später in London herausgekommene Me and my Girl von Noel Gay.

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Ein paar Jahre jünger als von Tilzer ist der 1887 in New York geborene Louis Achille Hirsch, der nach Europa ging, am Stern‘schen Konservatorium in Berlin Klavier studierte und 1906 in New York in der Tin Pan Alley als Pianist anfing. Hirsch begann mit Musik für Minstrels, bald wurden einige seiner Songs in Broadway-Show eingelegt, ab 1910 folgten abendfüllende Werke, darunter 1911 Vera Violetta, durch die Al Jolson zum Star wurde. Insgesamt soll Hirsch rund 40 Musicals und Revuen, darunter für die Ziegfeld Follies, verfasst haben, neben Jerome Kern gilt er als die zentrale Triebkraft in der Entwicklung eines amerikanischen Musiktheaters aus den Zwängen der Operetten, des edwardianischen Musicals und der Broadway-Revuen. Intensiv widmete er sich seiner Tätigkeit als Mitbegründer der amerikanischen Komponistenvereinigung ASCAP. My Home Town Girl von 1915 entzückt (OA 1031) durch ungemein gefällige Tunes, liebliche Duette, mal sentimental, mal tanzbeschwingt, und eine sich wie von selbst zwischen Ragtime, Blues und frühem Jazz textbewusst ergebende Musik, die sich sanft in die Ohren schmeichelt und wie ein gesoftetes Abbild von Gershwin anmutet; Hirsch starb ähnlich jung wie dieser, 1924 an Lungenentzündung im Alter von 36 Jahren. Im übersichtlichen Buch von Frank Stammers geht es um die Eskapaden der Freunde Dudley Van Courtland und Tony Darling und eine Ein-Millionen-Erbschaft, die in einer dreifachen Hochzeit endet. Zahlreiche Duette, darunter Dudley und Eleanors „When I found you“ oder Dorothys und Tonys „Love me in the Morning Early“ und „My Home Town“, haben ebenso Ohrwurmqualitäten wie die quicken Ensembles (z.B. „Dance, Dance, Dance“ zu Beginn des zweiten Aktes) und werden von Adam Acetos Team, der zusammen mit Stephanie Assis den Klavierpart spielt, ausgesprochen charmant umgesetzt: Joshua Shaw als Dudley, Jesse Merlin als Tony, Elyse Marchant als Dorothy und Natalie Moran als Eleanor, wobei die Herren etwas günstiger abschneiden als die soubrettig dünnen Frauenstimmen, doch weder von Tilzer noch Hirsch stellen unüberwindbare gesangliche Anforderungen, sondern setzen auf gesangsdarstellerische Prägnanz. Vergnügen bereitet das allemal. Wie im Gingham Girl sind auch hier Bonus Songs angehängt, die fallweise in die Show eingebaut wurden, aber im Vocal Score keinen Niederschlag fanden.

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Auf zwei CDs gibt es Sigmund Rombergs sich über mehreren Generationen von 1881 bis 1933 erstreckende und zwischen Frankreich und New York spielende Musical Romance Melody von 1933 (OA 1036), die Natalie Ballenger die Gelegenheit gibt, Paula de Laurier und deren Großmutter Andrée de Nemours zu spielen, Bryan Vickery ist Andrées Sohn Max de Laurier und …. doch das führt zu weit und ist zu kompliziert und wird wiederum auch auf sechs Seiten im Beiheft geschildert, das zudem wieder den Background schildert und eine detaillierte Tracklist beinhaltet. Wieder fungiert Adam Aceto als Musical Director, sein Ko-Pianist ist Brian O’ Halloran. Es beginnt mit der Hochzeit von Andrée mit dem Vicomte de Laurier, eine Zweckehe, denn Andrée liebt den Komponisten Tristan („Your are the Song“). 25 Jahre später steht Andrées Sohn Max vor seiner Hochzeit mit Ninon, die das Lied entdeckt, das Tristan einst für Andrée schrieb und sich wünscht, dass sie einen Sohn haben werden, der auch so schöne Musik schreibt. 1933 ist François, einst der Notar von Andrées Vater und ihr glühender Bewunderer, Präsident der Universal Radio Corporation in New York. Als er eines Abends wieder Tristan Lied auf einer Klavierwalze hört, beschließt er mit seinem Neffen George nach Paris zu reisen und Andrées Enkel zu suchen. Der Enkel stellt sich als Enkelin, Paula, heraus, die in einem Pariser Café die Gäste mit ihrem Gesang unterhält; ihr „Give Me a Roll on a Drum“ dürfte neben der in mehreren Reprisen aufgegriffenen Schicksals- „Melody“ der Hit der Show gewesen sein. Nach zwei Generationen findet eine Liebesgeschichte ihr Ende. George und Paula heiraten („Tonight May Never Come Again“).

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Der 1887 im westungarischen Nagykanizsa geborene Romberg, eigentlich Rosenberg, war, nachdem er u.a. in Wien bei Heuberger studiert hatte, 1909 nach Amerika ausgewandert, wo er in New York zuerst Erfolge als Caféhaus-Pianist hatte, 1914 als Hauskomponist der Shubert Brothers in die Fußstapfen von Hirsch trat und spätestens ab den 1920er Jahren mit rund 60 Bühnenwerken eine feste Größe am Broadway und in den 30er Jahren vorübergehend als Filmkomponist in Hollywood wurde. Rombergs europäisches Erbe erfüllte nicht nur bei seiner Alt-Heidelberg- Adaption The Student Prince oder der Operette über Franz Schubert The Blossom Time die amerikanische Sehnsucht nach der Alten Welt. In seinem 50. Musical Melody merkt man, dass die Zeit über ihn hinwegzugehen droht bzw. bereits gegangen ist. Der bittersüße Ton und die nostalgischen Farben huldigen einer untergegangenen Welt, der der alte François in seinem New Yorker Appartement in Erinnerung an das Paris des späten 19. Jahrhunderts ebenso nachhängt wie Romberg der Wiener Operette. Romberg schreibt nochmals Märsche, fesche Duette, walzerfeste Wendungen und große Operetten-Ensembles („Good Friends surround Me“ im ersten Akt“), die aber keine wirkliche Faszination mehr ausüben, allenfalls in der Pariser Café-Szene von 1933 findet er einen echten Ton. Natalie Ballenger als Andrée und energische Paula, Stephen Faulk als Komponist Tristan, Bryan Vickery als François und Nathan Brian als sein Großneffe George mit perfekter Mikrophonstimme verkörpern die papieren Vorlagen bestens.  Rolf Fath

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Ebenfalls von Romberg ist die bezaubernde Komödie Mlle. Modiste, die bei der Operetta Foundation (OA 1020) auf DVD als Mitschnitt einer hübschen, sehr konservativen Produktion der rührigen Ohio Light Opera von 2010 herausgekommen ist. Die Bilder muten eine frühe Hello Dolly an, der Cast wird von Sara Ann Mitchell als Fifi angeführt, dazu kommen mit munterem Spiel und hübschen Stimmen Julie Wright, Todd Strange, Boyd Machus, Dennis Jesse und eine motivierte Truppe unter der musikalischen Leitung von Michael Borowitz und in  der Regie von Steven Daigle. Empfehlenswert für Fans von Romberg (wie ich) und nicht nur die. G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Europäisches Barock

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Dieterich Buxtehude (1637–1707) war vom 11. April 1668 bis zu seinem Tod als Organist an St. Marien in Lübeck angestellt. Der damals 20-jährige Johann Sebastian Bach (1685–1750) schätzte Buxtehude so sehr, dass er 1705 die mehr als 465 Kilometer von Arnstadt nach Lübeck zu Fuß auf sich nahm, um den alternden Organisten spielen zu sehen und vermutlich mit ihn zu studieren.

Dort schrieb Buxtehude mehrere Werke, darunter Membra Jesu nostri patientis sanctissima („Die allerheiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesus“) BuxWV75 (1680), ein Zyklus von sieben Passions-Kantaten, dass die betreffende Aufnahme von Luthers Bach Ensemble unter der Leitung von Tymen Jan Bronda enthält. Die im März 2021 entstandene Einspielung in der lutherischen Kirche in Groningen (Niederlande) ist die jüngste in einer Reihe von Aufführungen, unter anderem von John Eliot Gardiner (Archiv Produktion 447 298-2) und Ton Koopman (Erato 2292-45295-2).

Der Zyklus besteht aus sieben einzelnen Kantaten, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind: 1. Ad pedes (An die Füße), 2. Ad genua (An die Knie), 3. Ad manus (An die Hände), 4. Ad latus (An die Seite), 5. Ad pectus (An die Brust), 6. Ad cor (An das Herz) und 7. Ad faciem (An das Gesicht). Dieses Werk gilt als das erste lutherische Oratorium und war ein Vorbild für Bach, insbesondere der siebte Teil (Salve caput cruentatum), den Paul Gerhardt (1607–1676) schon als Grundlage für das Kirchenlied O Haupt voll Blut und Wunden (1656) verwendete, das später von Bach in der Matthäus-Passion BWV 244 (1727) bearbeitet wurde. Allerdings stammt die Melodie, die Gerhardt und anschließen Bach verwendet haben, von Mein G’müt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart, einen Liebeslied komponiert von Hans Leo Haßler (1564-1612).

In dieser Aufnahme wurden die fünf Gesangsstimmen von die Solisten Kristen Witmer (Sopran I), Lucia Caihuela (Sopran II), Jan Kullmann (Alt), William Knight (Tenor) und Matthew Baker (Bass) übernommen. Das Barockorchester besteht aus neun Musikern, einschließlich des Basso continuo.

Von der Aufführung her ist dies eine sichere Empfehlung für Hörer, die sich mit dieser höchst einflussreichen Komposition des frühen norddeutschen Barocks vertraut machen wollen. Das Begleitheft enthält eine hochwertige Reproduktion eines Gemäldes von Giovanni Bellini, Der tote Christus, von zwei Engeln gestützt (1470–1475). Leider sind die gesungenen Texte nicht im Heft enthalten; stattdessen gibt es eine „persönliche Notiz“ und eine sehr kurze Einführung in das Werk durch den Dirigenten auf Englisch und Niederländisch, sowie biografische Skizzen auf Englisch und Farbfotos von einigen der Mitwerkenden. Hätte man die Bilder und Biografien der Interpreten weggelassen, wäre genug Platz für die lateinischen Gesangstexte und zumindest deren englische Übersetzungen geblieben. Dann wäre es ein hochwertiges Produkt auf dem Niveau der großen Plattenfirmen gewesen (Dieterich Buxtehude, Membra Jesu nostri mit Kristen Witmer, Lucia Caihuela, Jan Kullmann, William Knight, Matthew Baker, Luthers Bach Ensemble, Tymen Jan Bronda; Brilliant Classics 96592.).

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Osterkantaten des „zweite Wahl“ Thomaskantors: 1723 wollte der Magistrat der Stadt Leipzig Georg Philipp Telemann (1681-1767), den Kantor und Musikdirektor in Hamburg, als Thomaskantor anstellen. Er lehnte das Angebot ab, weil sein Arbeitgeber ihn behalten wollte. Die zweite Wahl war Christoph Graupner (1683-1760), ein ehemaliger Thomaner und Studenten der Universität Leipzig. Wegen Arbeitsverpflichtungen als Hofkapellmeister in Darmstadt musste er auch die Stelle als Thomaskantor absagen. Der Leipziger Ratsherrn Abraham Christoph Platz sagte dazu: „Da man nun die Besten nicht bekommen könne, so müsse man mittlere nehmen“. Johann Sebastian Bach (1685-1750) war nur die dritte Wahl für die Stelle, die er bis Ende seines Lebens besetzte.

Der Knabenchor Capella vocalis und Pulchra musica (aus dem Lateinischen: „Schöne Musik”) mit den Solisten Sebastian Hübner (Tenor), Johannes Hill (Bass) und Jan Manuel Jerlitschka (Countertenor) unter der Leitung von Christian Bonath bietet vier zwischen 1719 und 1743 entstandene Passions- und Osterkantaten in einer Weltpremiere Aufnahme an. Als Komponist von über 1400 Kantaten war Graupner viel produktiver als Bach, aber Aufnahmen von ihnen sind selten.

Alle vier Kantaten auf der vorliegenden zirka 57-minütigen CD bestehen aus jeweils sieben Sätzen und sind Vertonungen von Texten aus der Feder seines Schwagers, des Darmstädter Dichters Johann Conrad Lichtenberg (1689-1751). Trotz der Zeitspanne von 24 Jahren gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den hier vorgestellten geistlichen Kantaten. Diese prägnanten Werke folgen einem ähnlichen kompositorischen Muster, so dass sie leicht zu verstehen und angenehm zu hören sind. Im Gegensatz zu den heute viel bekannteren Kirchenkantaten Bachs enthalten Graupners Werke keine langen Instrumentalpassagen oder komplizierten Gesangslinien.

Die Kantate zum Gründonnerstag „Die Frucht des Gerechten“ (GWV 1126/33) aus dem Jahre 1733 enthält drei Rezitative, zwei Arien (eine für Alt und eine für Bass) und zwei Chöre. Die 1725 entstandene Kantate zum Karfreitag „Eröffnet euch ihr Augenquellen“ (GWV 1127/25) hat drei Chöre, drei Accompagnati und eine Bass-Arie. „Der Sieg ist da“ eine Kantate zum 1. Ostertag (GWV 1128/43) vom 1743 besteht aus zwei Chören, drei Rezitativen und einer Arie für Tenor sowie einer für Bass. Die Kantate zum 2. Ostertag „Ihr werdet traurig sein“ (GWV 1129/19) ist das älteste Werk auf dieser Platte; es wurde 1719 komponiert. Es umfasst zwei Chöre, ein Duett, zwei Rezitative, eine Bass-Arie und ein Accompagnato für Tenor.

Die Solisten, der Chor und das Orchester agieren durchweg mit Leidenschaft, Engagement und Liebe zum Detail. Diese CD ist ein überzeugendes Argument dafür, diesen unterschätzten Zeitgenossen Bachs kennenzulernen. Obwohl Graupner künstlerisch nicht als ebenbürtig mit Bach gilt, war er Teil der musikalischen Landschaft, in der, der Thomaskantor wirkte. Für unser Verständnis von Bach ist es von großem Wert, nicht nur Telemann und Georg Friedrich Händel (1685-1759) zu kennen, sondern auch Graupner, der zu seinen Lebzeiten bekannter war als Bach und von einigen Zeitgenossen als der größere Komponist angesehen wurde (Christoph Graupner, Osterkantaten, Sebastian Hübner, Johannes Hill, Jan Jerlitschka, Capella vocalis, Pulchra musica, Christian Bonath; Capriccio C5411).

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.Die Viola d’amore war das Lieblingsinstrument von Attilio Ariosti (1666-1729), einen in Bologna geborenen Komponisten, der in der Saison 1716/17 in London zu einem ernsthaften Konkurrenten Georg Friedrich Händels (1685-1759) wurde. Ariosti war vor allem als Opernkomponist bekannt; bevor er nach London zog, hatte er mit seiner ersten Oper in Venedig Tirsi (1696) und anschließend als Hofkomponist am Hof Sophie Charlottes in Lietzenburg bei Berlin (1697-1703) Erfolge. Zu seinen Freunden und Förderern am Hof gehörte der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der sich für Ariostis Verbleib am Hof aussprach, gegen die Abberufung nach Bologna durch die heiligen Väter, die es nicht dulden konnten, dass Ariosti im Dienste der protestantischen Kurfürstin von Brandenburg stand.

1724 veröffentlichte Ariosti „Sechs Lektionen für Viola d’amore und Continuo“ im Rahmen der Sammlung von Kantaten und Lektionen für die Viola d’amore in London. So steht es im Vorwort für den Leser, „Für Sie allein, Abonnenten und Dilettanten der Musik und der Violine, sollen die folgenden Stimmungen Sie auf das Üben der Viola d’amore vorbereiten, nach der von mir entwickelten Methode, die Sie kennenlernen wollten.(…. ) Da es notwendig ist, zuerst einige Übung in diesen Stimmungen zu bekommen, bevor man diese (= die Viola d’amore) in die Hand nimmt, habe ich sie deutlich auf der Geige dargestellt, was Ihnen helfen wird, sich sicher zurechtzufinden.(….) Sie werden dann verstehen, warum es eine Notwendigkeit (und nicht eine Laune) war, Sie über die Geige einzuführen und auf ihr zu üben, ohne die Sie nicht in der Lage wären, ohne beträchtliche Schwierigkeiten erfolgreich zu sein“.

Die vorliegende Aufnahme vom Oktober 2017 präsentiert alle sechs Lektionen und eine Kantate für Solo-Sopran Pur alfin gentil viola aus der Sammlung. Mauro Righini spielt die Viola d’amore; Ugo Nastrucci (Theorbe) und Danilo Costantini (Orgel und Cembalo) begleiten ihn. Elena Bertuzzi singt das Sopransolo in der Kantate mit der richtigen vorgetäuschten Emotion für einen Text, der das Vergnügen an der Viola d’amore als Instrument feiert.

Diese Platte ist empfehlenswert, weil sie eine selten gespielte Sammlung für ein Streichinstrument präsentiert, das aus dem allgemeinen Gebrauch gefallen ist. Die Klangqualität ist klar und präsent, so dass jedes Instrument in einer Studioakustik deutlich zu hören ist, die der Musik genügend Raum zum Atmen gibt, ohne dass ein aufdringlicher Nachhall entsteht. Das Begleitheft enthält zwei informative einführende Aufsätze, einen auf Englisch und einen auf Italienisch, sowie biografische Skizzen der Musiker ausschließlich in englischer Sprache. Der gesungene Text der Kantate ist jedoch nicht enthalten.

Ariosti war wohl der führende Vertreter der Viola d’amore; nur sein jüngerer Zeitgenosse Christoph Graupner (1683-1760) komponierte eine vergleichbare Anzahl von Werken für dieses Instrument. Diese Einspielung von Ariostis Sammlung bereichert unser Verständnis von Kammermusik mit der Viola d’amore im frühen 18. Jahrhundert und ist daher für Gelehrte und Kenner der Barockmusik von Bedeutung (Attilio Ariosti, Sechs Lektionen für Viola d’amore und Continuo mit Mauro Righini, Ugo Nastrucci, Danilo Costantini, Elena Bertuzzi; Brilliant Classics 95620).

Neue Einspielungen von Komponisten der Renaissance, deren Werke wahrscheinlich nicht über ihre Lebenszeit hinaus aufgeführt wurde, veranlassen uns zu der Frage, wie sich die Musik vielleicht anders entwickelt hätte, wenn es eine kontinuierliche Aufführungstradition und damit einen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen gegeben hätte. Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1525-1594) und Gregorio Allegri (1582-1652), zwei italienische Zeitgenossen der spanischen Komponisten Bernardino de Ribera (ca. 1520-ca. 1580), Juan Navarro (ca. 1530-1580), Sebastián de Vivanco (ca. 1551-1622) und Tomás Luis de Victoria (ca. 1548 – 1611), die auf der vorliegenden Aufnahme zu hören sind, haben die Entwicklung dessen beeinflusst, was wir gemeinhin „klassische Musik“ nennen.

Ein provokantes Gedankenexperiment ist, wie berühmte Musik von Wolfgang Amadeus Mozart geklungen hätte, wenn er sowohl mit spanische als auch italienische Renaissancekompositionen vertraut gewesen wäre. Er kannte einige Werke der italienischen Renaissance, z.B. das Miserere von Allegri, das er im April 1770, während eines Gottesdienstes in der Sixtinischen Kapelle hörte und später aus dem Gedächtnis schrieb.

Wie hätte sich Mozarts Musik entwickeln können, wenn der 14jährige auch de Ribera Navarro und andere gehört hätte? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, aber sie macht uns bewusst, wie Aufführungstraditionen, die Musik zugänglich machen, die Musik beeinflussen, die wir schätzen. Der Zugang zu verschiedenen Renaissance-Kompositionen könnte zu einem anderen Wiener Klassizismus und damit zu einer anderen Romantik geführt haben usw.

Die vorliegende Platte bietet mehrere Weltersteinspielungen von Werken, die José Duce Chenoll, der muskalische Leiter, durch Archivrecherchen gefunden hat. Chenoll argumentiert in der Begleitbroschüre überzeugend, dass die Kenntnis dieser weniger bekannten Komponisten für das Verständnis des renommierten de Victoria unerlässlich ist, zumal de Ribera und Navarro seine Lehrer an der Kathedrale von Ávila waren. Mit dem Vokalensemble Amystis und der Instrumentalgruppe Ministriles de la Reyna bietet Chenoll die Möglichkeit, die Klangwelt eines bisher wenig erforschten Musikgenres zu erkunden.

Die Aufnahmequalität ist hervorragend, da sie das Gefühl einfängt, mit den Musikern in einer Kathedrale zu sein, wo diese Musik aufgeführt werden sollte. Die Aufnahme entstand im September 2021 in der Kirche von Santa Maria, Requena, Valencia. Das Beiheft enthält eine wissenschaftliche Einführung in die Musikwerke von Chenoll in englischer und spanischer Sprache, sowie biographische Skizzen und Farbfotos der Musiker. Die lateinischen Gesangstexte sind leider nicht enthalten; die Texte zu diesen Stücken hätten anstelle von Bildern und Biografien in das Booklet aufgenommen werden können, ohne dessen Umfang zu vergrößern (Bernardino de Ribera, Juan Navarro, Sebastián de Vivanco und Tomás Luis de Victoria, Meister der spanischen Renaissance mit Amystis, Ministriles de la Reyna, José Duce Chenoll; Brilliant Classics 96409). Daniel Floyd

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„Fernand Cortez“ zum 2. & 3.

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Anderorts wären diese Raritäten Anlass für ein Festival der französischen Oper. Zum Beispiel in Paris, wo der Palazzetto Bru Zane im Juni mit Francks Hulda und Saint-Saëns opéra comique Phryné sein neuntes Festival ausrichtet. An der Oper Dortmund ergibt es sich ganz zwanglos, dass an einem Wochenende zwei Opern mit komplizierter Werkgeschichte aufeinanderfolgen: die deutsche Erstaufführung von Ernest Guirauds fünfaktigem Drame lyrique Frédégonde (dazu an anderm Ort mehr) und Spontinis Fernand Cortez (in der sog. „Berliner Fassung“). Zweifellos eine Großtat. Zu verdanken der Phantasie und Initiative des Dortmunder Opernintendanten Heribert Germeshausen, der den kommenden Konwitschny-Ring mit derlei Raritäten schmückt. Dazu soll bald auch La Montagne noire, das 1895 an der Pariser Opéra uraufgeführte Hauptwerk der César Franck-Schülerin Augusta Holmès gehören.

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Friedrich Schinkel: Entwurf zu der Spontini-Oper „Fernand Cortez“, Potsdam 1828;  Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin /[CC BY-NC-SA] )

Dazu ein Wort zur „Berliner Fassung“ von Klaus Pietschmann: Die Idee zur Komposition der Oper Fernand Cortez verdankt sich einem Kompositionsauftrag, den Kaiser Napoleon I. nach der erfolgreichen Uraufführung von Gaspare Spontinis La Vestale (1807) mit der Intention erteilte, seinen Spanienfeldzug durch ein Propagandastück vorzubereiten. Das Libretto von Victor-Joseph Etienne de Jouy basiert auf verschiedenen historiographischen und dramatischen Vorlagen und hat die Eroberung der Hauptstadt des Aztekenreiches Tenochtitlan durch den spanischen Feldherrn Hernan Cortez zum Gegenstand. Das in Paris verwahrte Autograph lässt erkennen, dass Spontini zunächst eine Urfassung des Librettos vertonte. Kurz vor Probenbeginn wurde jedoch durch den Innenminister eine Umarbeitung des Textes gefordert und unter Mitwirkung von Joseph-Alphonse d’Esménard durchgeführt, die insbesondere die ursprünglich vorgesehene Figur des Montezuma eliminierte.

In dieser ersten Fassung gelangte die Oper am 28. November 1809 zur Uraufführung. Die insgesamt ausgewogene Perspektive dieser Fassung, die die Glorifizierung der Eroberung und den teilnehmenden Blick auf die Situation der Eroberten gleichermaßen beinhaltet, hatte zur Folge, dass die gewünschte Propagandawirkung verfehlt wurde. Gleichwohl sorgte die prominent besetzte, durch spektakuläre Bühneneffekte angereicherte Produktion für gewisses Aufsehen und zog weitere Produktionen an europäischen Bühnen nach sich. Die von Spontini sorgfältig betreute, der Kaiserin gewidmete Drucklegung der Partitur erfolgte bei Imbault vermutlich knapp zwei Jahre nach der Uraufführung. Dass Fernand Cortez bereits in dieser ersten Fassung einen Ausnahmecharakter innerhalb der Opernproduktion der Zeit einnahm, bestätigte erst 2019 die erste moderne Wiederaufführung dieser Fassung in Florenz.

Nach dem Sturz Napoleons nahm Spontini eine grundlegende Umarbeitung der Partitur vor, die am 28. Mai 1817 ihre höchst erfolgreiche Uraufführung erlebte. Neben Umstellungen und Ergänzungen, die etwa den Austausch des ersten und zweiten Aktes betreffen, ist diese zweite Fassung vor allem durch (Wieder-)Einführung der Figur des Aztekenkaisers Montezuma gekennzeichnet, deren Fehlen in der ersten Fassung beanstandet worden war.  In dieser zweiten Fassung, deren Drucklegung bei Erard Ende 1817 oder Anfang 1818 abgeschlossen war, hielt sich die Oper bis 1844 auf dem Spielplan der Opéra und wurde zu einem international vielfach nachgespielten Erfolgsstück. Ihre Berliner Erstaufführung 1818 erfolgte bereits im zeitlichen Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen des preußischen Hofes mit Spontini, die im selben Jahr zu seiner Bestallung als Generalmusikdirektor führten.

Friedrich Schinkel: Entwurf zu der Spontini-Oper „Fernand Cortez“,  Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / [CC BY-NC-SA] )

Für die in Dortmund gespielte dritte Fassung nahm Spontini in Berlin eine weitere Umarbeitung vor, die insbesondere die Einschaltung eines „Denouement“, d.h. einer Szenenfolge zur Konfliktlösung, im dritten Akt betraf und 1824 in der Übersetzung von Johann Christoph May zur Erstaufführung gelangte. Diese Fassung wurde anscheinend nur in Darmstadt nachgespielt, allerdings lässt der 1825 erschienene Klavierauszug mit sorgfältig unterlegtem deutschem und französischem Text erkennen, dass Spontini diese Fassung auch für französische Bühnen als die nunmehr gültige ansah – trotzdem kommt es erst jetzt in Dortmund zu einer ersten Produktion. Eine vierte Fassung, die 1832 als solche angekündigt in Berlin und ein Jahr später auch in Dresden aufgeführt wurde, umfasste insbesondere die Einfügung einer Apotheose des Christentums am Schluss.

Fernand Cortez stellt damit diejenige Oper Spontinis dar, deren Bearbeitung ihn am längsten beschäftigte: Mit Unterbrechungen arbeitete er insgesamt 24 Jahre an der Partitur. Insbesondere die dritte und vierte Fassung dokumentieren dabei das Ringen um eine befriedigende Schlusslösung und erscheinen zugleich symptomatisch für die künstlerische Spätphase des Komponisten, die von erlahmender künstlerischer Inspiration und zugleich einem ins Extrem gesteigerten Perfektionismus geprägt war.

Dass in Dortmund erstmals die dritte Fassung in französischer Sprache aufgeführt werden kann, wäre vor einigen Jahren nicht möglich gewesen. Nach bisherigem Kenntnisstand war ihre musikalische Gestalt lediglich durch den von Spontini approbierten Klavierauszug dokumentiert, der 1825 in Leipzig bei Hofmeister erschienen ist. Aufgrund neuer Quellenfunde kann die 3. Fassung inzwischen als umfänglich dokumentiert gelten. So fand sich die als verschollen geltende Berliner Dirigierpartitur in den Beständen der Berliner Staatsbibliothek wieder. Allerdings weist sie erhebliche Bearbeitungsspuren auf, die zu einem Großteil auch die spätere 4. Fassung betreffen. Eine klare Unterscheidung der beiden Fassungen ist aufgrund dieser Quelle nicht immer möglich. Interessant ist in dieser Partitur die Unterlegung des deutschen Textes in lateinischer Current-Schrift – sicherlich handelt es sich bei dabei um ein Entgegenkommen an Spontini, der sich zeit seines Lebens schwer tat, die deutsche Schrift zu lesen.

„Atahualpa“: Schinkels Bühnenbild zu Spontinis „Fernand Cortez“ in berlin/ Wiki

Spontinis eifrigem Bemühen um engen Austausch mit dem europäischen Hochadel ist es zu verdanken, dass sich weitere Quellen zur 3. Fassung in Stockholm und Darmstadt finden ließen – beides Städte, in denen nach 1824 Neuproduktionen des Cortez angesetzt wurden.  Nach Stockholm sandte Spontini eine Teilabschrift, die die neu bearbeiteten Teile des 3. Akts umfasst und vom selben Kopisten stammt wie die Berliner Dirigierpartitur. Etwas irreführend ist die autographe Aufschrift „composé pour le théatre royal de Suède par moi Spontini 1824“: wohl eine Schmeichelei, denn zweifellos war die Überarbeitung primär in Erfüllung seiner Dienstpflichten als preußischer Generalmusikdirektor entstanden. Der Stockholmer Librettodruck von 1826 zeigt allerdings, dass letztlich doch die 2. Fassung in schwedischer Übersetzung gespielt wurde. Folglich weist die aus Berlin übersandte Teilabschrift keine Bearbeitungsspuren auf und dürfte folglich Spontinis ursprüngliche Konzeption der 3. Fassung exakt wiedergeben. Da auch der Klavierauszug abgesehen von wenigen kurzen Kürzungen exakt mit der Stockholmer Abschrift übereinstimmt, bietet sich für den Herausgeber eine ungewöhnlich komfortable Situation.

Tatsächlich gespielt wurde die 3. Fassung 1825 in Darmstadt, allerdings wurden die Aufführungsmaterialien im 2. Weltlkrieg zerstört. Jedoch hat sich im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt ein handschriftlicher Entwurf zu dem „Nouveau denouement“ des 3. Akts mit autographen Zusätzen erhalten. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, dass es Spontinis Anliegen war, dem Hof die neue Fassung zur Kenntnis zu bringen und sie nachfolgend auch in Frankreich zu verbreiten:

Spontini: „Fernand Cortez“ – der Komponist Gaspare Spontini/ Wikipedia

„In Respektierung der Gewohnheiten des Großherzogs wage ich es nicht, ihm die Musik des neuen Denouements des Cortez direkt zukommen zu lassen, aber ich bitte Sie, Herr Baron, ihm die beigefügten französischen und deutschen Texte zu übermitteln. […] Für Frankreich, wenn man es dort eines Tages übernehmen möchte, werden Jouy oder andere meine Verse leicht korrigieren können, für die ich keinerlei Stolz hege.“

Bereits in den Reaktionen auf die Premiere der zweiten Fassung in Paris war der allzu abrupte, als missglückt empfundene Schluss der Oper kritisiert worden, der in den kuriosen Worten des Cortez gipfelt: «Montézuma, pardonne-moi ma gloire; C’est ta seule amitié que je veux conquérir». Gegenüber König Friedrich Wilhelm III. behauptete der für seine Eitelkeit bekannte Spontini zwar, dass insbesondere das entfallene Schlussballett die Änderung nötig gemacht habe, aber es besteht kein Zweifel, dass ein dramaturgischer Patzer der zweiten Fassung behoben werden sollte, den ein Berliner Rezensent so beschrieb: „Weshalb Amazily, statt sich wie sonst für den gefangenen Bruder ihres Geliebten in die Hände des wüthenden Oberpriesters zu liefern, nun dem Cortez wie eine Brieftaube voranflog, um dem Montézuma zu melden, daß der spanische General im Anmarsch und guten Humors sei – über diesen unbegreiflichen Fehler in der zweiten Gestaltung wissen wir keine Rechenschaft zu geben. Ein so matter Schluss konnte auch der Musik nicht günstig sein.“

Betrachtet man Spontinis Überarbeitung genauer und vergleicht sie mit der 1. Fassung, so zeigt sich, dass er eine für ihn typische modulare Bearbeitungstechnik wählte. In den allermeisten Fällen wird das Dénouement aus existierenden Abschnitten zusammenmontiert, wobei Spontini lediglich die Arie Oberpriesters zu einem Duett mit Amazily erweiterte und einige Übergänge neu komponierte, so dass die maliziöse Bemerkung eines Rezensenten nicht ganz von der Hand zu weisen ist: «In diesem umgearbeiteten Akt des Cortez ist Alles neu, nur die Musik nicht.» Dennoch nicht zu unterschätzen ist der Zugewinn an dramaturgischer Stringenz gegenüber der zweiten Fassung – um den Preis allerdings einer deutlichen Ausdehnung dieses Bildes, das sich damit den Dimensionen der ersten Fassung annäherte, wo sich seine Handlungselemente innerhalb des gesamten dritten Akts entfalten konnten. Um diese Längen zu kompensieren, setzte Spontini auf spektakuläre Bühneneffekte wie insbesondere die Sprengung der Tempelrückwand und den Ausblick auf das brennende Mexiko.

Einem Brief Spontini an den Kronprinzen zur 4. Fassung von 1832 ist eine interessante zusätzliche Erklärung für die neue Schlussgestaltung zu entnehmen: „Den Brand der Stadt Mexiko, den ich in Berlin seinerzeit eingefügt habe, um dem großmütigen preußischen Thronfolger die sublime Heldentat des Brandes von Moskau in Erinnerung zu bringen, habe ich, da er nicht die Zustimmung des Königs fand, im 3. Akt gestrichen.“ Der Brand Moskaus hatte auf die Zeitgenossen großen Eindruck gemacht und war als militärischer Erfolg Preußens propagiert worden, obwohl es sich offenkundig um einen Sabotageakt gehandelt hatte. Im Zuge der politischen Annäherung Friedrich Wilhelms III. an Russland wurde dieser Bezug allerdings problematisch und ist wohl deshalb vom König beanstandet worden.

Der Autor: Klaus Pietschmann/Foto Musikwissenschaft Uni Mainz

Die Oper sollte Spontini noch etliche weitere Jahre beschäftigen und erst mit der 4. Fassung zu einem Abschluss gelangen. Die Arbeit an Fernand Cortez erscheint damit in einer nicht nur chronologischen Nähe zu Agnes von Hohenstaufen, die ebenfalls das Ergebnis eines langwierigen, im Dezember 1826 mit der Auswahl des Librettos einsetzenden und 1837 mit der Uraufführung der dritten Fassung endenden Prozesses war. Symptomatisch erscheint dabei, dass Spontini selbst gerade diese aus mühevollen Kraftakten hervorgegangenen Werke für seine besten hielt: Während er Richard Wagner gegenüber Agnes von Hohenstaufen als sein Meisterwerk bezeichnete, versuchte er 1840 auf gerichtlichem Wege durchzusetzen, dass die Pariser Opéra für die Wiederaufnahme des Fernand Cortez auf den überarbeiteten dritten Akt zurückgreifen und diesen neu in Szene setzen sollte. Aufschlussreich ist der Gerichtsprozess, dessen Umstände zu den spektakulären Theaterskandalen im Paris des 19. Jahrhunderts zählen, auch hinsichtlich Spontinis eigener Beurteilung der beiden Berliner Fassungen. Während nämlich in Berlin und Dresden (sowie später auch in Prag, Mainz, Rostock und New York, wohin das Dresdner Material verliehen wurde) die vierte Fassung ohne erkennbaren Widerspruch des Komponisten weitergespielt wurde, war es in Paris die dritte, deren Einstudierung er noch 1840 durchsetzen wollte. Somit ist in Dortmund zu erleben, was Spontini einst dem Pariser Publikum zugedacht hatte. Klaus Pietschmann

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Und nun Rolf Fath zur Aufführung in Dortmund: Auf Anhieb fasziniert ist man von Fernand Cortez und Spontinis perfekt auskalkulierter Dramaturgie, mit der er Chor und Solisten, Handlung und Zustandsbeschreibung im ersten Akt in einen großen Block fasst: Das Terzett der drei in mexikanischer Gefangenschaft befindlichen Spanier, das durch Sungho Kim als Alvar geadelt wird, die Einwürfe des Rache fordernden Oberpriesters der Mexikaner, die Szenen der zu ihrem Volk zurückgekehrten Amazily, ihr Duett mit dem Bruder Télasco und das Erscheinen Montezumas. Das ist packend, hat Verve und ist großartig strukturiert und wurde von Motonori Kobayashi, trotz seines kurzfristen Einspringens, bezwingend umgesetzt.

Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto wie oben Björn Hickmann

Im Gegensatz zur Frédégonde war der von Napoleon beauftragte Fernand Cortez ou L‘ Conquête de Mexique ein ausgesprochener Renner, dessen Erfolg sich nach dem bescheidenen Erfolg der Pariser Uraufführung von 1809 mit jeder Revitalisierung, der Spontini seine Opéra unterzog, steigerte: in einer zweiten Fassung 1819 in Paris, zum dritten Mal 1824 in Berlin vier Jahre nach seinem Amtsantritt als preußischer Generalmusikdirektor sowie in einer vierten und letzten Fassung 1832 abermals in Berlin. Dortmund kündigte Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko als „Erstaufführung der 3. Fassung in französischer Sprache“ an, – die Berliner Fassung erklang an der Berliner Hofoper in der deutschen Übersetzung von Johann Christoph May und wurde nun (leider) in Dortmund in Französisch gesungen – was den vor dem Dickicht der Fassungen zurückschreckenden Besucher nicht über Gebühr belasten soll.

Wie bereits im Artikel zur modernen Erstaufführung des Werkes in Florenz 2020 (auf DVD und CD bei Dynamic) ausgiebig dargelegt war Spontini der Stratege der tableaux vivants, großformatiger Festaufzüge, gestützt von einem Klanggepräge, dessen raumgreifende Dramaturgie Einfluss auf andere Komponisten bis hin zu Wagner hatte. In diesem Zusammenhang wird oft der Maometto Rossinis, der den italienischen Fernando Cortez 1820 In Neapel gab, genannt, wie man denn überhaupt hinter der Folie aus spanischen-mexikanischen Lagern und der chorisch-solistisch verzahnten Rhetorik immer wieder Rossinis serias zu hören meint.

Die Oper ist kurz. Gerademal etwas über zwei Stunden. (..) Die eigentliche Hauptfigur ist hier iun Dortmund nicht Cortez, der nur eine große Szene und Arie am Ende des zweiten Aktes hat, die Mirko Roschkowski, der ein Cortez von gemütlicher Ausstrahlung ist, mit der richtigen Stimme und Farbe für diese Partie gibt. Die angesagte Indisposition zwang ihn im dritten Akt zu gesanglichen Ausflüchten. Die eigentliche Hauptfigur ist die mexikanische Prinzessin. Regisseurin Eva-Maria Höchmayr streicht den auch auf dem Zwischenvorhang den Namen Cortez durch, ersetzt ihn zuerst durch Amazily und schließlich durch deren historische Entsprechung Malinche, die Cortez als Übersetzerin und Sprachrohr diente, seine Geliebte und Mutter eines gemeinsamen Sohnes wurde. Malinches bzw. Amazilys Sprachbegabung wird verdeutlicht, indem französische Ausdrücke durch spanische und mexikanische Übersetzungen überschrieben werden. In Ralph Zegers Goldkammer ist Amazily allgegenwärtig, mit weiß gekalktem Gesicht immer eine Außenseiterin, die sich verwandelt, je nachdem ob sie bei den Spaniern oder ihrem eigenen weilt, wo sie, wie Montezuma und Télasco, das prächtige Federdiadem trägt (Kostüme: Miriam Grimm), dabei leidensfähig und bereit, sich für ihr Volk das Herz aus dem Leib zu reißen. Der Französin Melody Louledjian mag für die großen Ensemble die sieghafte Stimme fehlen, doch ihr farbiger Sopran trägt ausgezeichnet, sie versteht es mit perfekter Diktion und gesanglicher Gestik die Figur zu vermitteln und ihrer Arie im zweiten Akt die nötige Dramatik einzuhauchen. Mandla Mndebele singt den friedliebenden Montezuma mit breitem Ebenmaß, Danis Velev ist ein ausgesprochen eleganter Oberpriester, James Lees Télasco bleibt etwas verwaschen. In weiteren Partien traten auf: Moralès/Morgan Moody,  Prisonniers: Jorge Carlo Moreno und Ian Sidden, 1er officier espagnol: Błażej Grek, 2ème officier espagnol: Carl Kaiser, Un marin espagnol: Jaeyoun Kim.

Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto Björn Hickmann

Höchmayr zeigt eine entgrenzte Situation, in der die feine Abendgesellschaft ihre Anzüge und Kostüme verliert, sich in Unterwäsche und mit blutigen Händen durch die spanisch-mexikanischen Konfrontationen quält, Cortez als einziger mit historischer Halskrause im Glaskasten sitzt, Kreuze geschleppt werden und Eroberer aller Länder und Epochen auftauchen, wenn die Spanier vom Sieg träumen, was der auch diesem Abend reduzierte Dortmunder Opernchor recht gut vermittelte (08. 05. 2022/ Fotos folgen).  Rolf Fath

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(Beitrag aus dem Programmheft zur Aufführung an der Oper Dortmund im Juni 2022, mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors; Klaus Pietschmann ist Professor an der Uni Mainz im Fachbereich Musikwissenschaft: Foto oben: Spontinis „Fernand Cortez“ in Dortmund/ Szene/ Foto Björn Hickmann)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Andree Esposito

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Kaum eine andere Sängerin im französischen Bereich hat mich so enthusiasmiert wie  Andrée Esposito. Sie hat so etwas in ihrer Stimme mit dem flirrenden Timbre, der energischen Höhe, der Sinnlichkeit im mittleren Bereich, das sie für mich un-austauschbar macht, sofort wieder erkennen lässt, etwas so Hochindividuelles, wie man das selten findet. Sie trifft mich direkt. und ist so immens vielseitig gewesen, dass ihr Repertoire staunen machen. Von der lyrischen Mireille bis zur bezaubernden Manon Massenets  zur entschlossen-erotischen Thais duchmisst sie die Rollen ihres Fachs mit dem ihr eigenen Elan, und es ist diese Entschlossenheit der Gestaltung und Bewältigung, sie sie auszeichnen. Wäre es kitschig zu sagen, ich bin ihr verfallen? Reinakustisch natürlich, weil ich sie nicht auf der Bühne mehr gehört habe. Aber ihre vielen, vielen Dokumente lassen mich immer wieder staunen und schwelgen in dieser Flut reinfranzösischen Klangs, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Die ganze Kunst der Esposito mit ihrer unglaublich sicheren, leuchtenden Höhe, ihrer zum Mitschreiben deutlichen Diktion und ihrem unverwechselbaren französischen Timbre par excellence ist in ihren  Partien nachhörbar. Andrée Esposito gehörte zu den wirklich typischen Sänger/innen ihrer Zeit..

Andrée Esposito als Manon/Heinsen/Esposito

Sie ist neben ihren Kolleginnen Renée Doria, Berthe Monmart, Andréa Guiot, Georgette Cammart, Suzanne Sarrocca und vielen anderen eine jener Sängerinnen in Frankreich, die nach dem Krieg das französische  Repertoire  (und nicht nur das) zu einer hohen Qualität geführt haben, eine, die in würdiger Nachfolge der Vorgängerinnen wie Félia Litvinne, Germaine Lubin oder Ninon Vallin eben jenes spezifische Flair, jene unnachahmliche Diktion, jenen Strahl der unverwechselbar französisch geführten Stimme aufbrachte, jene sofortige Wiedererkennbarkeit der individuellen Stimme zeigt, die uns heute so vergessen scheint. Die Esposito ist nicht übermäßig oft  „offiziell“ dokumentiert worden (viele Veröffentlichungen sind Radiomitschnitte, die erst nach ihrer Karriere veröffentlicht wurden). Sie steht damit nicht allein – ihre Kollegen Alain Vanzo, Albert Lance (kein originaler Franzose), Charles Richard (dto.), Julien Haas, die Crespin, die Doria, Michel Dens, Pierre Mollet, Andre Pernet, Guy Chauvet, Janine Collard, Hélène Bouvier aus der älteren Generation, natürlich Robert Massard ebenfalls unvergessen, und viele, viele andere waren von dem Umbruch betroffen, der mit Liebermanns Übernahme der Pariser Oper begann und der die französischen Sänger in die Provinz und ins Radio schickte, während in der Hauptstadt – bis heute – ausländische Sänger in der Originalsprache ein anderes Verständnis von Oper einführten und das Typische verdrängten.

Andrée Esposito, am 7. Februar 1934 in Algier geboren, trat ebendort erstmals bei einem Konzert 1951 auf, ging nach Studien bei Nougera und Panzera nach Nancy (1956 Debut in Erlangers Juif polonais), anschließend an alle großen französischen Bühnen, namentlich Nizza, wo sie sie mit ihrem späteren Mann, den Bass-Bariton Julien Haas, sang. 1959 gab sie ihr glanzvolles Debut als Violetta an der Pariser Oper (Palais Garnier), eine Rolle, mit der sie stets identifiziert wurde und die sie noch in den Neunzehnhundert-Achtzigern als Einspringerin sang. Auch an der Pariser Opéra-Comique hatte sie ihre Erfolge, namentlich mit Bondevilles Madame Bovary. Sie war eine der bedeutendsten dramatischen Koloratursopranistinnen in Frankreich mit einer hervorragenden Eignung zum dramatischen Repertoire, so als Violetta, Manon, Juliette oder Marguerite, aber auch mit weniger gängigen Partien. Zudem  war sie eine bedeutende Liedsängerin, wie einige Dokumente belegen. Für mich hatte sie eine der attraktivsten und französischsten Sopranstimmen! Ein erstes Hören in den Siebzigern ließ mich diese hellen, glitternden, in allen Registern so vortrefflich durchgearbeiteten Sopranstimme verfallen. Viele Momente bleiben von ihr in Erinnerung, etwa das „Enfin“ in der Manon-St.-Sulpice-Szene, wenn Manon ihren Des Grieux endlich „rumgekriegt“ hat, ihr hochdifferenziert gesungenes Air de Bijoux im Faust, ihre vielschichtige angelegte erste Arie in der Thais, aber auch ihre barocken Ausflüge und für mich vor allem die Auftrittsarie der Teresa in Benvenuto Cellini: welcher Glanz, welcher Jubel, welche Persönlichkeit in der Stimme.

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Alain Vanzo und Andrée Esposito/ Filmszene aus „Manon“/OBA

Andrée Esposito ist auf recht vielen Dokumenten erhalten (vor allem bei youtube), auch auf manchen Radiomitschnitten und davon wichtigen. Dies schreibe ich, während im Hintergrund ihre ganz wunderbare Marguerite in Gounods Faust singt, die Bella Voce (des umtriebigen Walter Knoeff) auf einem Mitschnitt des Faust mit Robert Massard und Albert Lance unter Roberto Benzi 1972 aus Amsterdam veröffentlicht hat. Die ganze Kunst der Esposito mit ihrer unglaublich sicheren Höhe, ihrer zum Mitschreiben deutlichen Diktion und ihrem unverwechselbaren, leuchtenden französischen Timbre par excellence ist hier nachhörbar. Diese junge Frau, Marguerite, auf dem Weg zum Wahnsinn, durch Keuschheit, Liebe, Verführung  und Verrat, erzählt uns eine Geschichte, breitet ein Schicksal aus – und meistert die beträchtlichen Tücken der Partie ohne jede Schwierigkeiten mit Glanz.

Ein ehemaliger Philips-Querschnitt zeigt sie ebenfalls in einem Faust, sodann gibt es sie mit Rameau bei DG (Pygmalion, Les Indes Galantes, exc.  Couraud mit Collard 1962), mit dem Chanson perpétuel von Chausson auf einer EMI-CD (Jacquillat), mit Kantaten von Vivaldi (dto.), als Glauce neben einer monströsen Médée der Rita Gorr bei La Voix de son maître (Prêtre)  in einem Querschnitt der Oper, die Philine in einem Mignon-Querschnitt (dto.) mit der intensiven Jane Rhodes, die Inès in einem Africaine-Querschnitt neben Tony Poncet bei Philips sowie Saugets Caprices de Marianne unter Manuel Rosenthal 1959 bei Solstice. Sie singt auch Clérambault-Kantaten (Médée u. a./Blanchard) bei Pathé. Auf dem Gebiet der Operette war sie auch zu Hause, so in den Dragons de Village bei Decca/Accord und eine Chauve Souris, Sangue de Vienne und Kalmáns Comtesse Mariza unter Siebert von 1962 (Éditions Montparnasse) als DVD vom Fernsehen.

Andrée Esposito als Thais/Heinsen/Esposito

Es gibt viele Lieblingsaufnahmen von ihr für mich. Die wirklich grandiose Teresa im Berliozschen Cellini, die wunderbare Marguerite, ihre unübertroffene Thais, die leuchtende Rozenn im Roi d´Ys: ach eigentlich alle. Der französische Rundfunk hat vieles von ihr konserviert (und man dankt der INA, das ist das Institut National Audiovisuel, einmal mehr für die Sorge der Franzosen um ihre nationales Erbe, während ja sonst auf Frankreichs Bühnen davon nicht immer was zu merken ist). Ihr häufiger Partner war der kürzlich bei uns noch einmal vorgestellte Tenor Alain Vanzo, wie die Esposito und Robert Massard eine der Säulen der französischen Gesangs der Sechziger/Siebziger. Der Manon auf dem Philips-Querschnitt (Etcherverry) folgte die Radio-Version von (Standardlänge für Studio/Konzert-Opern im französischen Rundfunk, 120 Minuten oft mit Ansage und Einführung) 100 reine Minuten ebenfalls Massenets Oper von 1968. Mireille 1959 aus derselben Quelle gab es bei Chant du Monde in deren wunderbarer Reihe der französischen Opern und Operetten vom Radio, wo auch Reyers Sigurd erschien. Es gibt auch eine Luisa Miller vom ORTF unter Pierre-Michel Le Conte. Anders als ihre  Kollegin Doria erotisiert sie ihre Thais, eine bei Chant du Monde von 1959 neben ihrem prachtvollen Kollegen Massard und eine spätere nicht veröffentlichte neben ihrem Ehemann Julien Haas. Die Chant du Monde-Ausgabe ist zudem interessant wegen der angekoppelten Arien und Szenen aus ihrem Standard-Repertoire: Faust, Phyrne, Benvenuto Cellini (letzter komplett vom ORTF 1969 bei Gala mit Vanzo sowie live aus Marseille 1969), Pêcheurs de Perles, Louise, Manon (das Duo Saint-Sulpice mit Vanzo, die Gesamteinspielung nur für Sammler), Traviata, Carmen, Gianni Schicchi, Rigoletto meist live aus dem Rundfunk 1958 – 1972. Wie vieles andere nur für Sammler kursieren ein Roi d´Ys von Lalo vom ORTF 1967 neben der tollen Kollegin Berthe Monmart und ihrem Ehemann Julien Haas. Ihre Juliette (Gounod) ist zweimal dokumentiert. Einmal nur als Band-Mitschnitt 1967 vom Rundfunk (ehemals auch MRF) und als gekürzte Gesamtaufnahme in sehr gutem Stereo aus Nizza 1976 bei Gala mit – wieder einmal und beglückend – Alain Vanzo; sowie bei der INA sogar eine Schmannsche Genevieve (!!!) 1977 unter Tony Aubin. Auch eine Webersche Euryanthe unter le Conte von 1965 sowie Bondevilles Madame Bovary unter demselben von 1967. Und sicher gibt’s noch mehr (s. nachstehend)! Was für eine Stimme und was für eine unverwechselbare Künstlerin. Une voix francaise jaimais oubliée!  Geerd Heinsen

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Andrée Esposito als Manon in Avignon/youtube

PS. Der meist zuverlässige Ommer (Andreas Ommer, Verzeichnis aller Operngesamtaufnahmen, DBSO26) listet noch einige andere Aufnahmen der Esposito auf, wobei zwischen Opernhaus-Mitschnitten, Industrie- und Radio-Aufnahmen zu unterschieden ist. So gibt es zwischen 1964 und 1979 allein vier mal Benvenuto Cellini (unter verschiedenen Dirigenten, auch einen aus Genf mit Gedda, dto bei Sammlern, kein guter sound), Dallapiccolas Ulisse unter Prêtre ohne Datum und wie die übrigen leider auch ohne Quelle; Iberts Persée et Andromède von 1973 unter Bigot (Bourg?); ebenso Martinus Julietta unter Charles Bruck ohne Datum (Bourg?), eine Butterfly unter Rappalo von 1969 – alle wahrscheinlich doch vom Radio. 

Dazu auch die Buchempfehlung/ David Grandis:The Voice of France (The Golden Age of the R. T. L. N.) mit einem Vorwort von Roger Pines, 261 Seiten, Abbildungen/Fotos, Index, Tabellen, MJW Fédition Paris ISBN979-10-90590-16-8). G. H.

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Und zum Schluss die Sängerin selbst in einem Interview von 2001: Man muss – nicht nur zum Singen, aber vor allem da – unbedingt Persönlichkeit haben, man muss eine Siegernatur sein, man muss musikalisch und intelligent sein und man muss vor allem ein bedingungsloser Arbeiter sein, unermüdlich und immer an sich arbeiten, wirklich. Wenn diese  Eigenschaften fehlen, dann können Sie die schönste Stimme der Welt haben, und Sie sind nichts. Man muss zudem immer neugierig sein, immer suchen. Wenn man etwas erreicht hat, darf man nie glauben, schon am Ziel zu sein – nichts ist sicher! Und man muss stets zum Besseren wollen, sonst fällt man zurück. Die Stimme selbst ist ein Wunder. Es gibt ja viele Leute, die sich physiologisch usw. damit beschäftigen, die genau sagen können, welcher Muskel wann arbeitet – aber dann fehlt der Funke. Man öffnet den Mund, man bringt einen schönen  Ton  heraus – eine Gottesgabe, keine analytische Angelegenheit.

Andrée Esposito als Leila/“Pecheurs de Perles“/Heinsen/Esposito

Eine Sängerin, eine Künstlerin, muss demütig sein. Verzeihen Sie das Bild, aber man kommt zum Gesang wie zum Kloster, man steht im Dienst des Publikums wie im Priesteramt. Man darf nie eingebildet sein, denn man selber ist ja gar nichts: Die Kunst, die Stimme ist alles. Und sehen Sie: Der Erfolg, der Ruhm ist schnell vorbei. Wenn man auf dem Höhepunkt steht und man überall bekannt ist, ist man eigentlich schon wieder passé. Man erreicht den Gipfel, und alles beginnt zu kippen.

lch habe eigentlich immer gesungen, bereits als Kind. Auf Hochzeiten, bei Kommunionsfeiern hieß es immer: ,,Los, sing etwas!“ Meinen Unterricht begann ich sehr jung schon mit 14 Jahren; Vater wollte nicht, dass ich sang – seine anständige Tochter eine skandalumwitterte Künstlerin! Unvorstellbar! Sowas tat man früher einfach nicht. Aber ich war besessen. lch mogelte mit meinem Alter, um in Algier ins Konservatorium aufgenommen zu werden. Mit 18 gewann ich den 1. Preis, den Großen Preis von Algier, in einem Alter, in dem man normalerweise erst mit der Ausbildung beginnt. Der Wettbewerbspräsident war gleichzeitig der Direktor des Pariser Konservatoriums und half mir, dorthin zu kommen. lch hatte dann das Glück, auf Charles Panzéra zu treffen – ein großer Interpret und  Musiker und ein wunderbarer Mensch, der alle Geheimnisse des Belcanto kannte und sie mir vermittelte , so wie ich sie und mehr darüber hinaus meinen Schülern vermittele .

Es gab auch Dirigenten, die für mich entscheidend waren, jeder hatte seine Quälitäten. Heute ist das anders, man lässt die vielen Talente, die Frankreich besitzt, sich nicht entfalten, man lässt ihnen nicht genug Raum zum Wachsen. In Sachen Kultur verarmt Frankreich. Wir spielen immer seltener und weniger von unserem reichen Repertoire, und wenn, dann mit Leuten, die die Feinheiten unserer Sprache nicht verstehen. Wir sind eine hochgebildete  Kultur-Nation, und es ist sicher richtig, dass die Ausländer zum Singen kommen – ein Austausch ist immer gut. Aber unsere eigene Kultur wird immer geringer zugunsten einer aus tauschbaren, anonymen. Wenn wir nicht den Kopf erheben, sind wir kulturell in Kürze ausgestorben. Wenn wir nur noch auswärtige Gäste spielen lassen, werden wir bald keine musikalische Kultur in Frankreich mehr haben.

Künstler und Sängerin zu sein ist etwas Wunderbares. Es erlaubt, tausend Frauenleben zu gestalten – Violetta, Juliette, Marguerite , Louise. Die Bovary war ,,meine“ Bovary, eine zerrissene, vielschichtige Frau. Aber ich kann nicht sagen, dass ich eine Lieblingsrolle hatte – meine schwärmerische Charakter-Seite erklärt das Vergnügen, alle diese Frauen in einer (meiner!) Person zu sein. Es gab natürlich Partien, die mir mehr lagen als andere, schwierige Rollen, die man sich erobern musste und darum besonders liebte. lch hatte immer eine Schwäche für den Pagen Oscar bei Verdi gehabt, und ich überredete die Direktion des Palais Garnier dazu, ihn mir zu geben, als ich bereits die anderen großen Partien sang, nur so aus Vergnügen an diesem Charakter – einmal dieser freche, komplizierte Bengel auf der Bühne zu sein. Was für ein Spaß.

Andrée Espodito, privat/Heinsen/Esposito

lch liebte diesen Beruf und lebte für ihn. Man darf nicht außerhalb seines eigenen Faches singen, deshalb lehnte ich zum Beispiel die Desdemona ab, was ich heute bedaure, aber ich hatte nicht genügend Stimme dafür gehabt, einfach nicht die richtige Stimme. Manon aber war meine Partie, und ich habe sie oft gesungen, 30 Jahre lang, immer unterwegs damit. lch hatte dann nicht mehr dieses Kristall-Timbre meines Anfangs, sondern mein mir eigenes, was bewirkte, dass man mich mochte oder nicht. Daran schieden sich oft die Geister, an diesem typisch Französischen in meiner Stimme.

Aber am Ende – oder sicher noch davor – war ich mit diesen Halbnuancen meiner Stimmqualität nicht mehr zufrieden. lch wollte nach  so vielen Jahren des Erfolges nicht hören: ,,Sie ist noch gut!“ Dieses ,,noch“ hatte mir wehgetan. lch sagte mir: Die jungen Leute können von meiner Erfahrung profitieren – und so bin ich Lehrerin geworden. Eigentlich war diese Neuorientierung ganz logisch. Gelegentlich will ich noch singen, ganz spontan, aber dann sage ich mir: „Bouf“ („Ach, wozu?“). lch freue mich am Erfolg der Schüler. Und ganz ehrlich, wenn ich noch singen müsste – was für ein Stress! lch möchte immer noch ständig in Form sein müssen, immer mein Leben nach meinem Beruf richten. Nein, nein, ich habe wirklich Lust, meine Koffer auf dem Speicher zu lassen. Ich brauche jetzt nicht mehr die vielen Cremes aufzutragen, um meine Haut zu schonen. Ich war lange und glücklich (mit Julien Haas) verheiratet. Jetzt will ich leben – dank meiner Schüler bleibe ich dem Theater und dem Leben verbunden, und ich gebe das weiter, was ich selber praktiziert habe. Das Wichtigste ist die Diktion, die deutliche Diktion! Der Zuhörer muss verstehen, das ist das mindeste. Zusammengestellt von Jean-Marc Schumann (2001/ Übersetzung Klaus Heinrich; Redaktion G. H.)

Weltpremiere

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Die Stimme Gottes befiehlt dem widerstrebenden Elia „Geh hinab zur Senke des Tals, über den Fluss, in die große Stadt; zum Königsschloss geh, tritt zum Tore hinein und suche, zu wem ich Dich sende“. In seinem einzigen Bühnenwerk, dem 1955 entstandenen Mysterienspiel Elia, setzt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber das in seiner wichtigsten Schrift „Ich und Du“ aufgestellte dialogische Prinzip fort und lässt Gott zum allgegenwärtigen Gesprächspartner der Menschen werden. Der bislang (fast) nur als Dirigent bekannte, doch zeitlebens auch als Komponist tätige Antal Dorati setzt dieses dialogische Prinzip in seiner bislang weder aufgeführten noch eingespielten Oper Der Künder konsequent um, in dem die metaphysische Stimme Gottes „immer die Person (ist), zu der sie spricht“. Daraus ergeben sich geheimnisvoll suggestive Situationen, die zu einem gliedernden Kennzeichen der dreiaktigen Oper werden. Eher Mysterienspiel oder Oratorium denn ein Bühnenwerk.

Antal Dorati/Wikipedia

Martin Fischer-Dieskau stellt in seinem ausführlichen Essay im Beiheft Bezüge zu Weills Weg der Verheißung, Dessaus Pessach-Oratorium Hagadah und Schönbergs Jacobsleiter und Moses und Aron her, wobei Dorati „auf identifizierbare politisch-zionistische Bezüge“ verzichtet und sich auf das „inhaltliche Zentrum jüdischen Selbstverständnisses, das Gott als den einen und einzigen Gott preist“ konzentriert, oder Mendelsohn-Bartholdys Elias. In Der Künder geht es um den Propheten Elia, der das Volk Israel, das sich dem fremden Gott Baal zugewendet hat, wieder zurückführt zu Elohim, dem Gott Jahwe. Und es geht um den Kampf zwischen dem jüdischen Gott der Bibel und dem Gott Baal, der nach rund 160 Minuten mit der Himmelfahrt des Elia und dem Dank „Der Herr ist mein Hirte“ endet. Weitere Hauptpersonen neben dem Ziegenhirt Elia sind der König Ahab und seine Frau Isebel, der Bauernbursche Elisha und die Bauersfrau Tanit.

Martin Fischer-Dieskau hat das gewaltige Projekt gestemmt und im August 2021 in Krakau als Hommage an seinen Mentor auf die Konzertbühne gehievt (3 CDs Orfeo C220313): ein Akt der Verehrung und Bewunderung. 1978/79 war der damals 25jährige Fischer-Dieskau Doratis Assistent beim Detroit Symphony Orchestra, woraus eine langjährige Freundschaft entstand. Donati machte ihn auch mit seiner 1984 entstandenen Oper Der Künder/ The Chosen bekannt. In Krakau setzte sich Fischer-Dieskau, der sich durchaus bewusst sein dürfte, dass die Oper auf der Bühne keine Chance hat, auf überzeugende Weise für das Werk ein. Er meißelt dessen philosophischen Gehalt in der klaren, textdeutlichen Gesangsdeklamation heraus und hält die vorsichtig atonale Musik mit dem Orchester der Beethoven Akademie Krakau und dem Chor des Posener Teatr Wielki in sanfter Bewegung. Durchaus mit intensiven Steigerungen in den Zwischenspielen, in die Dorati manche Vorgänge verlegt, und mit einer ausgepichten Fähigkeit, in der über Strecken auch kantig spröden Musik subtile Farbigkeit zu erkennen und in orchestralen Ballungen rhythmische Prägnanz zu unterstreichen. Mustergültig auch die Besetzung mit dem liedhaft milde timbrierten Bassbariton Tomasz Konieczny als Elia, Michael Schade als Ahab, Rachel Frenkel als Isebel und dem Halbdutzend weiterer Solisten, die in teils mehren Partien in Erscheinung treten.

Martin Buber/ Wikipedia

Fischer-Dieskau weist in seinem Text zu dieser Welt-Ersteinspielung auch auf das musikalische Umfeld hin, in dem der aus einer ungarisch-jüdischen Musikerfamilie stammende Dorati (1906-88) in Budapest aufwuchs. Zwischen Beharren auf Traditionen und Moderne, „zwischen einer traditionell institutionalisierte, urbanen Kunstauffassung in Budapest… und einer progressiven Hinwendung zur Musik der Landbevölkerung“, so Fischer-Dieskau, beispielhaft vertreten durch seine Lehrer, seinen Onkel Ernst von Dohnányi sowie Kodály und Bartók. Bereits 1924 debütierte Donati als Kapellmeister an der Oper in Budapest, wurde 1924-28 Assistent Fritz Buschs in Dresden, anschließend Erster Kapellmeister in Münster, emigrierte 1933 nach Frankreich, wirkte in Monte-Carlo als Kapellmeister der Ballets Russes und wurde nach 1939 in New York sesshaft. Dallas, Minneapolis, Stockholm, London und Detroit waren seine weiteren Stationen, bei denen sich Donati für die Klassische Moderne, Zeitgenössisches und amerikanische Komponisten einsetzte. Meilensteine der Schallplattengeschichte sind Doratis Gesamteinspielung der Haydn-Sinfonien, aber auch die acht, glänzend besetzten Haydn-Opern und die Tschaikowsky-Ballette.     Rolf Fath