Aus Londoner Archiven

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Wer meint, er habe die Lust an der Oper verloren, sein Begeisterungsvermögen sei im Verlauf der Jahre abgestumpft, er habe einfach schon zu viel gesehen und gehört, als dass er noch wirklich von einer Opernaufführung berührt werden könne, der sehe und höre sich die DVD von Don Carlo aus Covent Garden aus dem Jahre 1985 an, und er wird feststellen, dass er sich begeistern, sich freuen, berührt und bewegt werden kann-es muss nur die richtige Aufführung und es müssen die richtigen Künstler sein.

Einen langen Weg hat die Produktion von Luchino Visconti zurückgelegt, die 1958 mit  Carlo Maria Giulini am Pult und mit Vickers, Brouwenstjn und Christoff ihre Premiere erlebte. Unzählige Male , so 1979, 1983 5-aktig in französischer Sprache (Allen, Efstatieva, Budai, Lloyd/ Haitink), dann 1985 zwar auch in  fünf Akten, aber in italienischer Sprache  fast durchgehend bis 2002, als sie  sich mit Bernd Haitink verabschiedete (der allerdings1988 wieder die französische Übernahme der Brüsseler Equipe mit Roberto Alagna und Thomas Hampson dirigierte), fand sie in Wiederaufnahmen immer wieder ein begeistertes Publikum. Von der Aufführung 1983 ist mir ein französischer Tenor in Erinnerung, der nicht nur vokal enttäuschte, sondern der nicht einmal mit dem Feuermachen im Bois de Fontainebleau zurechtkam, eine leidenschaftliche Livia Budai als Eboli und sehr viel edler aussehende Hunde im Gefolge Filippos als auf der DVD aus dem Jahre 1985. Prachtvolle Kostüme mögen an einen Hollywood-Schinken erinnern, aber die Produktion ist mehr als das, denn eine raffinierte Personenregie beweist, dass die prächtige Ausstattung nicht Selbstzweck war, sondern nur ein Element in einem in jeder Hinsicht vollkommenen Ganzen. Bemängelt werden könnte höchstens die Unentschlossenheit zwischen fünfaktiger und vieraktiger, zwischen französischer und italienischer Fassung, der Verzicht auf Perlenballett, Duett Elisabeth-Eboli und Duett Carlos-Philipp.  

Auch die Besetzung auf der DVD von 1985 kann sich sehen und hören lassen. Ein interessanter Carlo ist Luis Lima, der die Partie als die eines Zerrissenen, zutiefst Verstörten  sieht, wozu er sich ungefähr zur Zeit der Aufführung auch in einem Interview im Orpheus äußerte. Ein stets flackernder Blick, die Körperhaltung eines ganz und gar Verunsicherten, den schließlich Carlo Quinto nur mit Gewalt in sein Grabmal ziehen kann, kennzeichnen seine Rollenauffassung. Tadellos ist seine vokale Leistung, der dunkel timbrierte, geschmeidige Tenor ist in allen Lagen gleich präsent und kennt keine Registerbrüche. Zu ihm passt optimal der edel timbrierte Bariton von Giorgio Zancanaro, der auch darstellerisch seine Rolle ideal ausfüllt, der generös zu phrasieren und seiner Stimme Nachdruck zu verschaffen weiß. Hätte es neben den drei Tenören auch drei Baritone gegeben, dann wäre er nach Piero Cappuccilli und Renato Bruson sicherlich der Dritte gewesen, hätte ihm höchstens Leo Nucci den Platz streitig machen können. Über viele Jahrzehnte hinweg war Robert Lloyd der Bass vom Dienst in Covent Garden. Da er ein begnadeter Schauspieler war, verweilt die Kamera das gesamte „Ella giammai m’amò“ auf seinem Gesicht, sein Mienenspiel ist außergewöhnlich ausdrucksvoll, seine Stimme machtvoll und wie aus einem Guss. Der Gran Inquisitore von Joseph Rouleau ist ihm ein ebenbürtiger Partner, ehern die Stimme und von Angst machender Starrheit das Spiel. Etwas aufgewertet wird in der fünfaktigen Fassung die Rolle des Lerma wie die des Tebaldo. Als Page weiß sich Patricia Parker optisch wie akustisch zu profilieren, von sanfter Tröstlichkeit ist der Sopran von Lola Biagioni für die Stimme vom Himmel. Eine hochsolide Leistung erbringt Bruna Baglioni als Eboli, nicht mehr und nicht weniger und doch nicht den Wunsch danach vertreibend, in diesem illustren Kreis den Mezzosopran zu hören, in dessen Schatten sie stets stand. Eigenartig berührt die Elisabetta von Ileana Cotrubas, eine hochverdiente Sängerin und doch in diesem Kreis der anerkannten Verdi-Sänger allzu zart, allzu hell, allzu ätherisch  erscheinend, was zwar einem „Francia“ guttut, einem „sorgete“, dem Abschied von der Aremburg, nicht aber der Auseinandersetzung mit dem König oder der großen Arie am Schluss. Bernd Haintink ist nicht gerade der Garant für Italianità, aber er führt in gemessenen Tempi und mit Gespür für die Bedürfnisse der Sänger durch die Vorstellung, in der der Chor, auch von der Regie extrem gefordert , vokal Beachtliches leistet (Opus Arte 1340D). Ingrid Wanja