Eher was zum Hören

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Das Schlimmste blieb dem Premierenbesucher von Wagners Parsifal zu Ostern 2015 zumindest im weit von der Bühne entfernten Ersten Rang des Berliner Schillertheaters erspart: der Anblick der Wunde in Amfortas‘ Brust, aus der die Gralsritter den belebenden Trank abzapften. Ein wahres Wunder der Maskenbildnerkunst enthüllt sich dem entsetzten Betrachter der neuen BelAir-DVD mit dem blutenden Fleisch in grässlichem Naturalismus, dem auch in sonstiger Hinsicht Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov  frönt, der den ersten Akt des Bühnenweihfestspiels in einer herunter gekommenen Halle vielleicht einer nicht mehr für den Gottesdienst verwendeten Kirche spielen lässt, in der sich Mitglieder einer Sekte oder auch Strafgefangene wie in Aus einem Totenhaus zu allerlei grässlichen Riten zusammenfinden. Die typischen russischen Pelzmützen verweisen ebenfalls auf Sibirien, die Lehrstunde, die Gurnemanz für die Knappen über die Geschichte des Ordens abhält, verwendet Bilder von der Uraufführung des Werks in Bayreuth. So vermeidet die Regie geschickt Längen, weiß den Zuschauer zu bannen, folgt den Bühnenanweisungen Wagners keineswegs, erzeugt aber die Stimmung des „heiligen“ Ersten Akts, nach dem man mittlerweile durchaus auch klatscht, auf eine sehr faszinierende Weise. Leider fällt der zweite Akt, was die Dichte der Atmosphäre betrifft, dagegen hoffnungslos ab, spielt in der gleichen Szenerie, nur dass nun alles kaltweiß oder hellviolett beleuchtet ist und damit äußerst steril wirkt, die Blumenmädchen in kindlichen Blütenkleidchen und teilweise noch mit Puppen spielend eher keusch wirken und das Aufpeppen der Handlung mit einem stummen Spiel von Klein-Parsifal, Mama Herzeleide und Teenager-Kundry die Sterilität der Szene nicht wettmachen kann. Ganz schlimm wird es dann im dritten Akt, in dem Kundry und Amfortas, der zuvor Titurel aus dem Sarg gezerrt hatte, in wilder Leidenschaft übereinander herfallen, so dass sich Gurnemanz nicht anders zu helfen weiß, als die Dame hinterrücks zu erstechen, will man die fromme Stimmung des Schlusses noch retten, die sich aber als eine, so lassen es die dumm-verzückt sich gebenden Gralsritter vermuten, durch und durch trügerische entlarvt hat.

Die Distanzierung der Regie von der Grundidee des Parsifal zeigt sich auch in der Inhaltsangabe, die der Regisseur selbst verfasst hat und deren letzter Satz lautet: „Parsifal gibt Amfortas den verlorenen Speer zurück“.  Also nix Taube, erneuertes Königtum, Erlösung Kundrys.

Zu Beginn geht die Kamera auch im Orchestergraben spazieren, und so kann man nicht nur den wunderbar dunklen Klang der Staatskapelle unter Daniel Barenboim genießen, sondern auch die einzelnen Orchestergruppen beobachten, das Übergehen vom sehr getragenen Beginn über ein bruchloses Anschwellen des Klangs, die Entwicklung zum immer Dringlicheren, Drängenderen nachvollziehen. Ganz ausgezeichnet ist auch die Sängerbesetzung mit René Pape als Gurnemanz auf dem Höhepunkt seines Könnens mit einem durch und durch homogenen, tiefdunklen Bass, all seiner Erfahrung  mit Wagnerpartien und einer Diktion, die noch von der  Schulung in der alten Staatsoper weiß. Den jungen Spund Parsifal verkörpert Andreas Schager so glaubwürdig, wie nur ein ausgewachsener Opernsänger einen Teenager verkörpern kann, und dazu hat er einen Tenor, der auch in der für die Partie so wichtigen Mittellage tenoral und damit jugendlich klingt. Vokal ein Alberich und darstellerisch ein Mime ist Tómas Tómasson als Klingsor. Wolfgang Koch lässt in der „Waldes-Morgenpracht“ seinen Bariton strömen, die „Schmerzensnacht“ sich ewig lang erstrecken und das „Erbarmen“  zu Herzen gehen. Einen durch und durch würdigen Titurel gibt Matthias Hölle. Anja Kampe ist eine Sopran-Kundry lyrischen Zuschnitts, deren schöne Stimme nie schrill klingt, die von schönem Ebenmaß ist und die nur im „und lachte“ angemessen schauerlich dunkel wird.

Alles in allem eine Aufführung, die faszinierend beginnt, allmählich an Spannung verliert und schließlich sich im inszenatorischen Irrsinn verrennt-und das alles bei purem Hörvergnügen (BelAir BAC128). Ingrid Wanja