Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Anita Cerquetti

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Die italienische Sopranistin Anita Cerquetti (1931-2014) war ein
Phänomen. Ihre Opernkarriere begann 1951 in Spoleto – und das bereits
als Aida (!) -, führte sie in die großen Opernhäuser der Welt und endete
schon wieder 1960 in Holland. Nach nur neun Spielzeiten zog sich die
damals erst 29-jährige Sängerin von der Bühne ins Privatleben zurück. Die
Gründe hierfür sind bis heute nicht ganz geklärt, in einem Interview gab die
Sängerin an, sie hätte sich dem Stress und dem Termindruck des
modernen Opernlebens nicht mehr aussetzen wollen.
Es gibt lediglich zwei kommerzielle Plattenaufnahmen von ihr, die beide
1957 bei Decca erschienen sind. Eine Studiokarriere blieb der Primadonna
allerdings verwehrt: Die Plattenfirmen besetzten die großen Sopranpartien
seinerzeit leider entweder mit Maria Callas oder Renata Tebaldi. Doch
dank zahlreicher erhaltener Liveaufnahmen wurde sie stattdessen zur
„Queen der Piraten“, deren halb- bis illegalen Mitschnitte unter Stimm- und
Opernliebhabern früh als Aufnahmejahr: 1954-1957; 1960 besondere Kostbarkeiten auf dem Schwarzmarkt kursierten.

Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar: Weil hier eine Stimme in
allerüppigster Weiblichkeit pure Sinnlichkeit verströmt. Weil diese Stimme
eine der schönsten ist, welche die Oper je gehört hat; nie aggressiv,
scharf, schrill, dafür rund, weich, lyrisch, empathisch. Diese Stimme war
geradezu wie gemacht für die romantischen Heldinnen Giuseppe Verdis –
für die weich schwingenden, melancholisch umflorten Melodiebögen der
Ernani- wie Vespri Siciliani-Elvira, der Maskenball-Amelia, der Don Carlo-
Elisabetta, der Forza del destino-Leonore, ja sogar für die gewaltigen
Oktavsprünge der herrischen Nabucco-Abigaille. Anlässlich des 10.
Todestags erscheint die vorliegende Box, die die unvergessene Anita
Cerquetti als führende Verdi-Interpretin ihrer Zeit würdigt (Pan/Note 1 PC10464/ 14 CDs). Note 1

Vermächtnis

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Vor achtzig Jahren wurde Sir Michael Tippetts Oratorium Andrew Davis dirigiert Tippetts A Child of Our Time im Londoner Adelphi Theatre unter Leitung des deutschen Emigranten Walter Goehr uraufgeführt. Zu den vier Solisten gehörten die Sopranistin Joan Cross und der Tenor Peter Pears, der sich zusammen mit Benjamin Britten maßgeblich für eine Aufführung des Freundes eingesetzt hatte. Brittens Gegenstück folgte übrigens erst 1962. Es scheint eine „zusammengestückelte und recht amateurhafte Angelegenheit“ gewesen zu sein, wie Marvyn Cooke im Beiheft der Chandos–Aufnahme vermerkt (Chandos CHSA 5341, inzwischen im Naxos Vertrieb), die das Werk, von dem nur wenige Einspielungen vorliegen, 80 Jahre nach diesem Ereignis mit Andrew Davis, dem „anderen Davis“ als den ihn schon der Komponist bezeichnete, und dem BBC Symphony Orchestra jetzt vorlegt. Colin Davis hat das Werk u.a. 1975 in London ebenfalls mit dem BBC Symphony Orchestra aufgenommen, Tippett (1905-98) nahm es wenige Jahre vor seinem Tod 1991 in Birmingham auf. Der kürzlich verstorbene Andrew Davis ist bei einer seiner vermutlich letzten Aufnahmen ein eloquenter Anwalt Tippetts und kann sich vor allem auf die geradezu fesselnde Imagination des BBC Symphony Chorus verlassen.

A Child of Our Time. Oratorio for Soli, Chorus and Orchestra with Text and Music by Michael Tippett mahnt zu Humanismus, Toleranz und Gerechtigkeit, Ideale für die der überzeugte Kriegsdienstverweigerer Tippett auch ins Gefängnis ging. A Child of Our Time ist ein schweres Stück. Als ich es vor Jahrzehnten zum ersten Mal hört, hat es mich allerdings mehr beeindruckt. Tippett hat ungemein viel in dieses gerade mal einstündige Werk gepackt, angefangen vom Titel, der Ödön von Horvaths 1938 erschienenem Roman entnommen ist, über die im Mittelteil angedeutete Geschichte des 17jährigen Herschel Grynszpan, der im November 1938 in Paris den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath erschossen hat, was die bereits geplanten Novemberpogrome rechtfertigen sollte und für Tippett Anlass für die Komposition war – Herschel Grynszpans Vater konnte übrigens 1952 und 1962 bedeutende Aufführungen in Haifa und Tel Aviv erleben – über das Vorbild der Oratorien Bachs und Händels bis zu der Jungschen Psychologie oder seinen Archetypen, die sich im vorangestellten Motto manifestiert (…the darkness declares the glory of light/ Die Dunkelheit kündet von der Herrlichkeit des Lichts) und den fünf traditionellen Spirituals. Den Text hat Tippett, wie später bei all seinen Opern, selbst geschrieben.

Dirigent Andrew Davis ist spürbar bestens vertraut mit dem Werk, steuert behutsam zwischen den dramatischen Blöcken und betrachtenden Sequenzen und hat den Chor sicher im Griff, ohne dass er dem Werk ein spezifisches Gesicht oder innere Kohärenz verleiht. Von den Solisten ist  Sarah Connolly, die bei den Aufnahmen im Mai vorigen Jahres kurz vor ihrem 60 Geburtstag stand, nicht immer sehr tonschön, aber eindringlich und anrührend. Anrührend ist auch der schmale, nasale Ton des Tenors Joshua Stewart. Der Bassbariton Ashley Riches singt mit Autorität, der wolkig verhangene unstete Ton von Pumeza Matshikize macht weniger Freude. Rolf Fath

Perfekte Unterhaltung

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Beim roten Samtvorhang von Covent Garden fällt als erstes auf, dass er nicht mehr die Buchstaben E und R der verstorbenen Königin Elizabeth trägt, beim Cover der Blu ray für Donizettis L’Elisir d’Amore aus dem britischen Opernhaus, dass nicht Nemorino oder Adina das Cover zieren, sondern der Dulcamara. Dieser wird aber, und das erklärt alles, von keinem Geringeren als von dem Waliser Bryn Terfel gesungen und in noch bemerkenswerterer Weise dargestellt.

Laurent Pelly ging mit dem immer wieder durch seinen Melodienreichtum entzückenden Stück sehr sorgsam um, sein Nachfolger darin, Paul Higgins, hat die Produktion sorgsam wiederaufbereitet und lässt sich in dem Bühnenbild von Chantal Thomas ein munteres Landleben entfalten. Das spielt sich in einem eher kargen Landstrich Italiens ab, ohne südländische Üppigkeit, eher in der Emilia mit vielen Strohballen, auf denen man sich nach harter Arbeit ausruhen kann, auf denen sich Adina ein kleines Bücherregal aufgestellt hat und in das eine Landmaschine hereinragt, die eher an die Nachkriegsfilme des Neorealismus denken lässt als an Donizettis Zeit. Auch der zweite Akt mit der ärmlichen Taverne und dem Hochspannungsmast und die Kostüme weisen in die späten Vierziger des vergangenen Jahrhunderts. Ein Kunstwerk für sich ist das Plakat, mit dem Dulcamara für seine zweifelhaften Produkte wirbt.

Natürlich ist Bryn Terfel, längst ein Wotan und vieles andere Schwere, dem Dulcamara seit langem entwachsen, es fehlt ihm für den Belcanto die Leichtigkeit der Emission, er könnte eher aus den Pagliacci entsprungen sein, über Verzierungen wird gern hinweg gehuscht, aber dafür dem darstellerischen Affen ordentlich Zucker gegeben, insbesondere beim Rollenspiel als Senatore Tredenti und im listigen Beiseitesingen.

Ein rundliches Landei von Nemorino ist Liparit Avetisyan, trotzdem behände und beweglich, ein gewandter Darsteller und mit einer strahlenden Höhe begabt. Lediglich für „Una furtiva lacrima“ wünschte man sich noch mehr lyrisches Potential. Schlank, dunkel und schmuck ist der Belcore von Boris Pinkhasovich optisch wie vokal, der  besonders im Duett mit Nemorino sowohl geschmeidig wie markant erscheint.  Zauberhaft anzusehen ist die Adina von Nadine Sierra, hochpräsent, charmant und beweglich in Gestalt und Stimme. Sicher bewältigt sie die Intervallsprünge, sehr gefühlvoll erklingt „Prendi…“ und beim „Resta…“ baut sie raffinierte Verzierungen ein.

Am Schluss kann man sich nicht nur darüber freuen, eine szenisch perfekte, vokal zufriedenstellende Aufführung genossen zu haben, sondern auch noch über doppeltes Liebesglück, da sich Belcore mit Gianetta getröstet, diese sich schnell Belcore geschnappt hat. Chor und Orchester des Royal Opera House unter Sesto Quatrini sorgen dafür, dass das Vergnügen ein ungetrübtes ist (Opus arte 8073230). Ingrid Wanja  

Unmögliches (fast) möglich gemacht

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Dass die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht, war zumindest bis zur Erfindung von Fotographie und Film nachvollziehbar, dass einer Sängerin, eben Caroline Unger, die von 1803 bis 1877 lebte, als von einer Tonaufzeichnung noch nicht die Rede sein konnte, ein Buch von 575 Seiten bei Königshausen & Neumann gewidmet werden kann, scheint unvorstellbar, ist aber von der Musikologin Eva Nesselrath erfolgreich in die Tat umgesetzt worden. Es geht in ihrem Werk allerdings nicht nur, wie der Untertitel verrät,  um die Stimme, sondern auch um die Karriere und die Kompositionen von Caroline Unger, und es hätte durchaus auch noch die Gesangspädagogin in die Aufzählung ihrer Meriten aufgenommen werden können.

Zunächst befällt den Leser (vielleicht) ein Schreck, wenn er erfährt, dass erst die Genderforschung (und das Internet) das Buch ermöglichten, ihm auch (selten!) ein Gendersternchen zugemutet werden muss, aber dann liest er sich mit wachsendem Vergnügen in ein Buch ein, dass zugleich hoch wissenschaftlichen Ansprüchen nicht zuletzt durch einen umfangreichen kritischen Apparat gerecht wird, sondern zugleich auch höchst flüssig und unterhaltsam geschrieben worden ist. Von der Wichtigkeit der portraitierten Person ist er auch spätestens von der Seite an überzeugt, auf der davon berichtet wird, dass Gaetano Donizetti mehrere Opern auf ihre Stimme zugeschnitten komponierte und sie als aus dem deutschen Sprachraum stammende Sängerin von den Italienern auf eine Stufe mit einer Giuditta Pasta gestellt wurde.

Es geht zunächst um den Forschungsstand im 20. und 21. und dann zurückblickend im 19. Jahrhundert, und bereits hier wird, wie dann auch noch einmal in der abschließenden Würdigung einige hundert Seiten später darum, dass selbst eine so berühmte Frau wie die Unger oder, in Italien, Ungher, erwähnenswert vor allem deswegen erschien, weil sie in eine lockere oder innigere Beziehung zu einem berühmten Mann trat, so als sie als die Altistin bei der Uraufführung von Beethovens 9. Sinfonie dem Komponisten, indem sie ihn zum jubelnden Publikum umdrehte, seinen Riesenerfolg verdeutlichte, oder indem sie Nikolaus Lenau für einige Zeit vom völligen Versumpfen abhielt.

Das Buch geht eine glückliche Verbindung zwischen soziologischen Betrachtungen über den Standort der Primadonna nach dem Abtreten der Kastraten als Stars der Opernbühne  und dem persönlichen Schicksal der Unger ein, macht den Leser damit bekannt, dass eine Sängerin mit dem Eintritt in eine Ehe normalerweise ihren Beruf aufgeben musste, dass sie zwischen angebeteter Göttin und verachtenswerter Hure ihren Platz finden musste, und weist ihn auf die hauptsächlichen Quellen, Briefe, Kritiken, Huldigungstexte und das verwendete Notenmaterial, hin. Der Erschließung des Wesens der Stimme dient insbesondere das Notenmaterial, so das der Donizetti-Opern, das ihrer eignen Kompositionen und das der musikalischen Widmungen einzelner Komponisten oder sonstiger Verehrer. Dabei istzu berücksichtigen, dass mit zunehmendem Ruhm auch eine zunehmende Verschleierung und Mystifizierung stattfand und nicht zuletzt, dass immer die intensive Darstellung, weniger die Stimme des Ruhmes der Zeitgenossen teilhaftig wurde.

Caroline Unger/Kostümbild für ihre Elvira im Don Giovanni“ in Paris/BNF Gallica

Nach den einleitenden Betrachtungen zeichnet Nesselrath die einzelnen Karriereschritte der Unger nach, vom Alt zum Sopran und damit von der seconda donna zur Primadonna, von der Wiener Konzertsängerin zum Opernstar in Neapel und danach in allen großen italienischen Häusern, von der von Beethoven vorgesehenen Melusine in einer nie vollendeten Oper zu Tourneen nach Paris, London und auch Deutschland, wo man nicht müde wird, zwar den italienischen Gesangsstil zu bewundern, aber auch die deutsche Tiefe, derer man sich rühmt, hervorzuheben. Natürlich gibt es eine Unmenge von Zitaten in allen möglichen Sprachen, und mancher Leser wird dankbar sein, dass alle Texte im Anhang ins Deutsche übersetzt werden. Bemerkenswert ist auch der überschwängliche Stil, in dem  sich Kritiker in Italien wie in Deutschland äußern, geradezu sich in eine hochpoetische Sprache hineinsteigern, um die Qualitäten der Künstlerin angemessen zu würdigen. Man erfährt also nicht nur viel über Caroline Unger, über das Musikleben ihrer Zeit, sondern auch der Soziologe oder der Sprachwissenschaftler kann aus diesen reichen Quellen Wissen schöpfen.

Die Entwicklung der Stimme kann der Leser aus der Wahl der Rollen erschließen, die Donizetti für die Sängerin komponierte.  Es beginnt auch mit Hosenrollen für den Alt, ehe sich die dunkel bleibende Stimme mit erkämpfter Höhe zu der einer Tragédieuse entwickelt, deren Tonumfang, Tessitura, dramatisches Vermögen aus den vielen Notenbeispielen abzulesen sind. Nachvollziehbar wird auch, dass sie stets dem romantischen Belcanto verpflichtet blieb, Verdi zum Beispiel ablehnte. Die Kunst von Caroline Unger spiegelt sich auch in den Widmungen u.a. von Heine, Hensel, Meyerbeer, der sie für die Hugenotten wollte, Pauline Viardot oder Johann Strauss mit seinen Rosenblättern wider.

„Karoline (!) Unger“ um 1870/Foto Leopold Bude Graz/Wiener Theatermuseum

Bei so vielen mitteilenswerten Tatsachen kann auch ab und zu ein Irrtum auftauchen, wie ein angeblicher Carlo im Trovatore oder die Verwechslung von Udine mit Undine.

Mit 38 Jahren verlässt Caroline Unger die Opernbühne, heiratet nach langem Zögern einen fünfzehn Jahre jüngeren Mann, versammelt in Florenz in ihrem Salon die kulturelle Elite Europas um sich und bildet zahlreiche Sängerinnen und einen Tenor aus, der ausgerechnet mit Verdi berühmt wird.

In ihren Liedern wird der Einfluss Schuberts, dessen Werk sie studiert, hörbar, sie dienten vielleicht der Gesangslehrerin als Unterrichtsmaterial.  Ob ihre Ausstrahlung als Sängerin und als begehrenswerte Frau andere Künstler inspirierte, so Dumas zu einem Roman, kann auch die Verfasserin nicht klären, so wenig wie, welcher Art das Verhältnis zu Liszt war. Auf jeden Fall wird der Leser mit der Meinung der Autorin, dass ihre „Karriere von Polarität geprägt“ war, zustimmen können. 

Umfangreich ist der Anhang mit einer tabellarischen Übersicht der Opernproduktionen, der Übersicht über die Lieder, dem Literaturverzeichnis, der Zeitungsartikel, des Archivmaterials, der Internet-Quellen, der Libretti und Notenausgaben, der Notenbeispiele im Sopranschlüssel, der Huldigungsgedichte und eines Fotos vom Elterngrab. Es bleibt der unerfüllbare Wunsch, die Stimme von Caroline Unger zu vernehmen (Königshausen & Neumann 2024, 575 Seiten; ISBN 978 3 8260 8746 2.) Ingrid Wanja          

Zum 200. Geburtstag

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Bestechend elegant in der Optik und überzeugend im akustischen Eindruck ist die von Supraphon zum 200. Geburtstag des Komponisten auf den Markt gebrachte Ausgabe sämtlicher Opern Bedřich Smetanas, angefangen von den Braniboři v Čechách (Die Brandenburger in Tschechien) und endend mit der nur wenige Tracks umfassenden Viola, deren Librettto sich auf Shakespeares Was ihr wollt stützt. Jeder Oper ist eine zart beigefarbene Kassette gewidmet mit der Silhouette des Bühnenbilds  als Cover, mit einem eigenen Booklet, dem man die Besetzung, die Trackliste, die Entstehungsgeschichte des  jeweiligen Werks und eine Inhaltsangabe entnehmen kann, alles auf Tschechisch und auf Englisch.

Auf eine digitale Verfügbarkeit des jeweiligen Librettos, ebenfalls in beiden Sprachen, wird verwiesen, und der Namenszug des Komponisten sowie das Uraufführungsplakat sind ebenfalls zu bewundern. Fotos zeigen die wichtigsten Sänger der durchweg in den in den Sechzigern oder Achtzigern vorwiegend im Prager Nationaltheater aufgeführten Opern, die Tonaufnahmen entstanden in eben dieser Zeit im Studio und wurden in jüngster Zeit remastered. Nicht aus Prag und lediglich als  Studioaufnahme existiert Hubička (Der Kuss), in Brünn aufgenommen.  Alle Opern wurden natürlich in der Originalsprache gesungen, was einen besonderen Wert ausmacht, die Sänger sind bis auf wenige Ausnahmen,  so Gabriela Beňačkova als Marie in Die verkaufte Braut und Libuše, die zur Wiedereröffnung des Prager Nationaltheaters aufgeführt wurde, und Peter Dvorsky als Hans in Die verkaufte Braut national sicherlich sehr, international weniger bekannte Sänger. Allerdings könnte es sich bei der als Jitka im Dalibor aufgeführten Hana Svobotá Jankǔ um die als Gioconda oder Turandot auf allen großen Bühnen geschätzte Sängerin handeln.   

Smetana drückte seine Heimatliebe, die sicherlich auch durch das Nichtvorhandenseins eines souveränen Staats für die Tschechen genährt wurde, nicht nur in den populären sinfonischen Dichtungen Mein Vaterland oder Die Moldau aus, sondern auch in seinen Opern, insbesondere in Braniboři v Čechách, Libuše und Dalibor, die auf teils sagenhafte historische Ereignisse zurückgreifen. So geht es in seinem Erstlingswerk um die nach dem Tod Ottokars II., von Franz Grillparzer in dessen Drama König Ottokars Glück und Ende besonders gewürdigt, erfolgte Besetzung (heute) tschechischen, ehemals Böhmischen Gebiets durch die Brandenburger und die Befreiung von dieser, die in der Oper zudem die von drei böhmischen Schwestern bedeutet, deren eine einen Tschechen liebt, aber einen Deutschen heiraten soll. Am Ende sind Mädchen wie Tschechen insgesamt frei, und alle können in einen Jubelchor einstimmen, nachdem es bereits in dem einschließlich Ballett nach dem Muster einer Grand Opéra gestrickten Werk viele patriotische Chöre à la patria oppressa gegeben hat. Die Oper wurde übrigens unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gleich an zwei der drei Opernhäuser Prags gegeben, nach 1948 war man vorsichtig, weil die Eingangsworte sich gegen eine Fremdherrschaft richteten, die nach dem erneuten Prager Fenstersturz, dem des Außenministers Masaryk, und damit die Sowjets hätten herausfordern können.   

Emmy Destin Sang die Marenka in der Uraufführung/ Foto Bärenbreiter

Das Orchester des Prager Nationaltheaters unter Jan Hus (!) Tichŷ lotet die Farbigkeit und das Pathos der Partitur mit hörbarer Wonne aus.  Ganz am Schluss der Besetzungsliste taucht ein Kmet, was so viel wie Alter Mann heißt, auf, der aber eine Schlüsselrolle im Freiheitskampf einnimmt und der von Eduard Haken mit hoch autoritärem Bass eindrucksvoll sonor gesungen wird. Den Vater im Dreimäderlhaus und zugleich Bürgermeister von Prag singt Karel Kalaš mit schlankerer tiefer Stimme, Zdenȇk Otava zeigt seinen fiesen Charakter als Jan Tausendmark mit teils verzerrten Tönen seines an sich nicht hässlichen Baritons. Das gilt auch für den Sänger des Varneman, Antonin Votava, Anführer der Brandenburger, dessen Tenor rollengerecht nicht auf Schöngesang ausgerichtet ist.  Der glücklichere der beiden Liebhaber der umschwärmten Ludiše ist Ivo Židek, dessen Tenor heldentenorale Kraft wie lyrische Innigkeit demonstrieren darf. Etwas fippsiger ist der von Bohumir Vich für den Jira, der in einer hübschen Arie aber auch Liebhaberqualitäten zeigen darf. Lyrisch mädchenhaft, was nach dem Betrachten des Fotos der Sängerin erstaunen lässt, klingt der Sopran von Milada Šubrtová, allerdings zeigt er auch die für slawische Stimmen oft typischen Schärfen in der Höhe.

Auch die Schwester Vičenka darf eine Arie singen und tut dies mit dem herb-frischem Sopran von Miloslava Fidlerová . Allen Sängern gemeinsam ist die vorzügliche Textverständlichkeit, die man auch bei ostdeutschen Bühnen zu schätzen wusste, die aber natürlich wenig nützt, wenn man des Tschechischen nicht mächtig ist.   

Offensichtlich auf keiner szenischen Aufführung basierend, sondern eine reine, sich über zwei Monate des Jahres 1981 hinziehende Studioaufnahme ist die der Verkauften Braut in Starbesetzung mit Gabriela Beňačková und Peter (nicht Petr), aber Dvorsky, die auch nicht von einem Opernorchester der Stadt Prag, sondern von der Česká filharmonie unter Zdenȇk Košler und dem Pražskŷ  filharmonicky sbor begleitet werden. Die Szenenphotos, die auch hier nicht fehlen, stammen vom Tschechischen Fernsehen.

Die verkaufte Braut ist mit Abstand Smetanas populärste Oper, deren „Komm mein Söhnchen, auf ein Wort“ oder „Endlich allein“ Wunschkonzertqualitäten haben. In der Originalsprache hört sich das alles noch frischer, noch tiefer berührend und gar nicht mehr abgedroschen banal an. Noch mitreißender ist der Furiant, noch flotter die Ouvertüre, in der es auch einmal gewollt derb zugeht, der Ausdruck der Gefühle klingt noch überzeugender, die naive Fröhlichkeit der Chöre noch strahlender. La Beňačková  ist eine blond klingede Mařenka mit zartem Klang für die Rezitative, verletzbar, mädchenhaft, mit viel Wärme im Duett mit dem Vašek von Miroslav Kopp, der einen für diese Partie außergewöhnlich ansehbaren oder vielmehr anhörbaren Tenor besitzt.

Zum Mitweinen schön getaltet die Tschechin die Arie der sich verlassen Glaubenden und kann durchaus bestehen neben anderen wunderbaren Bräuten wie Lucia Popp oder Pilar Lorengar. Ein herbes Strahlen, eine Nähe zum Hörer herstellende Direktheit zeichnet den Jenik von Peter Dvorsky aus, dessen Stimme hier im Unterschied zu seinen italienischen Partien dem Idiom des Ursprungslandes gerecht wird. Eine frische Soubrettenstimme besitzt Jana Jonášová für die Esmeralda, Richard Novák ist nicht nur derb polternd, sondern ausgesprochen schattierungsreich in seinen Versprechungen und bettet viel Komik in seinen Gesang ein.  Was in Aufführungen in deutscher Sprache sich dem netten Singspiel näherte, wird in dieser originalsprachlichen Aufnahme zum facettenreichen Drama, auch wenn die Ludmila von Marie Veselá nur eine Zwitscherstimme hat.  Dafür ist der akustische Tumult umso chaotischer, wenn es am Schluss heißt: Der Bär ist los.

Es folgten Dalibor, Libuše, Zwei Witwen, Der Kuss, Das Geheimnis und Die Teufelswand, wobei  Hubička, Der Kuss, vom Orchester und Chor der Oper von Brünn unter František Vajnar als Studioaufnahme gestaltet wurde.

Smetana mit seinen Freunden, Gemälde von František Dvořák, 1865/ Wikipedia

In seinen letzten zehn Lebensjahren, von 1874 bis 1884, arbeitete der Komponist mit vielen Unterbrechungen, zwischendurch wurde Tajemstvī, Das Geheimnis, uraufgeführt, an einem nicht tschechischen Sujet, an Shakespeares Was ihr wollt, das den Arbeitstitel Viola trägt. Davon gibt es die ersten Szenen, in denen bei einem Schiffsunglück das Zwillingspaar Sebastian und Viola voneinander getrennt wird, der Herzog Orsino auftritt, und das nur mit Klavierbegleitung, denn die Orchestrierung hat bereits geendet. Das Fragment wurde 1924 und 1944 aufgeführt, jeweils zu runden Jahrestagen. Bemerkenswert ist die Besetzung des Zwillingspaares mit einem Mezzosopran und einem Sopran, wobei die beiden Stimmen, Marie Veselá für die Viola mit hellem Sopran und Drahomira Drobková für den Sebastian mit dunklem Mezzosopran, beinahe so weit voneinander unterscheidbar sind, als handle es sich um Sopran und Tenor. Dieser gehört allerdings dem Orsino von Miroslav Švejda, der zwischen Charakter- und lyrischem Tenor schwankt. Zdenȇk Košler macht das neuerliche Liebeswerk mit dem Orchester des Prager Nationaltheaters möglich und vollendet so ein begrüßenswertes, eine würdige Ehrung des Komponisten darstellendes Unternehmen (17 CDs Supraphon 2024/ Foto oben: Bärenreiter). Ingrid Wanja

Griechisches Oratorium

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Auf seiner zweiten Missionsreise, die ihn durch weite Teile des heutigen Griechenlands führte, kam der Apostel Paulus im Jahr 51 nach Athen. Um an dieses Ereignis vor 1900 Jahren zu erinnern, formierte sich im Januar 1950 in Athen ein Komitee zur Beauftragung einer Komposition. Nicht weniger als ein Oratorium sollte es ein, das von Leben und Wirken des Apostels erzählt, das Tradition und Moderne, östliche und westliche Modelle verbindet und das nach Griechenlands traumatischen Kriegs- und Nachkriegsjahren einheimische wie ausländische Besucher anzuziehen vermochte. Die Wahl fiel auf Petros Petridis (1892-1977), der innerhalb von drei Monaten den Text verfasste und in weiteren drei Monaten die Komposition fertigstellte, die am 29. Juni 1951 im Odeon des Herodes Atticus unter seiner Leitung erstmals aufgeführt wurde.

Dirigent und Pionier der griechischen Musik, Byron Fidetzis/Lyra

Der in der Türkei geborene Petridis studierte in Konstantinopel und ab 1911 in Paris zunächst Jura, dann Klavier und Komposition bei Albert Wolff und Albert Roussel und lebte ab 1919 abwechselnd in Athen und Paris als Komponist, Dirigent und Kritiker für griechische und englisch-amerikanische Publikationen. Der gelegentlich als erstes griechisches Oratorium bezeichnete Aglos Pavlos oder Saint Paul, dem ähnliche weltliche wie geistliche Werke von Mantzaros, Lialios, Levidis, Lavragas, Poniridis oder Nezeritis vorausgegangen waren, ist nun in einer bereits 2004 in Sofia entstandenen Aufnahme zu erleben. Byron Fidetzis dirigiert das Bulgarische National Radio Symphony Orchestra, das auf der zweiten CD auch mit einer rund 20 Jahre zuvor entstandenen Aufnahme der erste Sinfonie G-moll Hellenic und den Kleft Dances von Petridis zu erleben ist. Fidetzis, der innerhalb der Griechenland-Initiative von Naxos auch Werke von Kalomiris, Kalafati und das Requiem von Petridis dirigierte (und auf dem inzwischen verschwundenen Label Lyra eine ganze Reihe von griechischen Opern vorlegte und sich über viele Jahre um die Klassische Musik seines Heimatlandes kümmerte, wie oft hier bei operalounge.de angemerkt), besorgte verdienstvollerweise auch die Editionen der Werke (2 CD Naxos 8.574356-57).

Das rund zweistündige Oratorium schildert von der Steinigung des Stephanus und dem Damaskus-Erlebnis des Paulus über Prozessionen und Erlebnisse in Korinth, Ephesus und Jerusalem die Geschichte des Apostels bis zu seiner Enthauptung in Rom nach Texten aus dem Neuen Testament und verbindenden Erzählungen, die der Komponist selbst verfasste und einem Erzähler überträgt. Der Erzähler, in diesem Fall der Bariton Dimitris Tiliakos, der 1997 am Prinzregententheater als Graf Almaviva sein Debüt gegeben hatte und den man zuletzt in Essen als Simon Boccanegra oder in Zürich als Don Pasquale hören konnte, gestaltet die Erzählergestalt mit fabelhafter Lebendigkeit, sein charaktervoll biegsamer und dunkler Bariton hält das lange, zweistündige Werk zusammen. 14 große Choräle, vom Bulgarischen National Radio Chorus mit gewaltigem Impetus gestaltet, gliedern die beiden Akte, in dem acht weitere Solisten jeweils mehrere Figuren übernehmen, darunter als vermutlich bekanntester Name der Bassist Christophoros Stamboglis. Das „Byzantinische Oratorium“, so der Untertitel, überrascht durch eine geradezu farbige, vielgliedrige Erzählweise, die einen großen Bilderbogen im Stil von Hollywoods damals aufkommenden Visualisierungen der Antike entrollt. Als Beispiel sei die Reise nach Damaskus genannt, eine wild und opernhaft zerklüftete, sehr leidenschaftliche Szene mit Chor, Erzähler, dem Jünger Ananias sowie der Stimme von Jesus, dem der leichte Tenor Yannis Christopoulos seine Stimme leiht. Es gibt viele von solchen szenisch illuminierten und von Fidetzis mit einer gewissen Grandeur dirigierten Abschnitte, doch auch steife Momente, in denen die Arien, Duette, Terzett und Quartett und die Verbindung eines byzantinischen Stils mit Bachschen Modellen auf der Stelle tritt.

Interessant sind als Ergänzung die Ende der 1920er Jahre entstandene und 1933 von Dimitris Mitropoulos uraufgeführte erste „hellenische“ Sinfonie zu hören sowie die rhythmisch obsessiven Kleft Dances von 1922, das erste Werk für großes Orchester von Petridis. Rolf Fath

Zum ersten Mal auf Video

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Die letzte von sieben Opern ist Francesco Cileas Gloria, dessen L’Arlesiana immerhin den Dauerbrenner und damit die allseits beliebte Zugabe des Lamento di Federico und dessen Adriana Lecouvreur eine Bombenrolle für eine Magda Olivero oder Raina Kabaivanska bereit hält. Ein herberes Schicksal ist seiner Gloria beschieden gewesen, die 1907 in Mailand uraufgeführt, aber bereits nach wenigen Vorstellungen wieder abgesetzt wurde, die er gründlich über- und umarbeitete und die 1932 in neuer Fassung in Neapel wieder aufgeführt wurde. 1938 gab es eine bejubelte Vorstellung in Rom mit Maria Caniglia und Beniamino Gigli in den Hauptrollen und in Anwesenheit von Benito Mussolini, was dem Werk nach 1945 nicht gerade dienlich war. Ein letzter verzweifelter Versuch, seiner Oper Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war Cileas Bitte an Maria Callas, die er für die ideale Interpretin der Gloria hielt, sich um eine Aufführung zu bemühen. Sie zeigte keinerlei Interesse daran. Immerhin führte man Gloria 1997 in der historischen Freiluftkulisse der Geschlechtertürme von San Gimignano  mit Fiorenza Cedolins und Alberto Cupido auf und befand sich damit nur wenige Kilometer vom Handlungsort, der ebenfalls toskanischen Stadt Siena, entfernt. KIKKO hatte diese Aufführung auf zwei CDs verewigt, die man auch bei you tube hören kann.

Nicht oft genug betonen, ja loben kann man das Bestreben des Opernhauses von Cagliari, in jeder Spielzeit mindestens ein unbekanntes Werk aufzuführen, so aus dem italienischen Repertoire Marinuccis Palla de‘ mozzi, Refices Cecilia, außerdem Gomez‘ Lo Schiavo, aber auch in ihren Herkunftsländern mit Missachtung gestrafte Opern wie Webers Euryanthe oder Tschaikowkis Pantöffelchen. Selbst die sardischen Vorfahren, die Erbauer der Nuraghe, wurden bereits gewürdigt.

Es geht um eine Romeo-und-Julia-Geschichte, um die Feindschaft zwischen den Guelfen, den Anhängern der Braunschweiger Welfen, und den Ghibellinen, die auf der Seite der Staufer standen, also um die Nachwehen eines unbedachten Akts Leos III., der Weihnachten 800 in Rom den überraschten fränkischen König Karl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt und damit den späteren deutschen Königen die Verantwortung für Italien auferlegt hatte. Dass Italien wie Deutschland erst im 19. Jahrhundert zur Einheit fand, war die Spätfolge dieses unbedachten Tuns.

In Siena, das auf der Seite der Guelfen steht, feiert man die Einweihung eines neuen Brunnens durch die Tochter des Priors Aquilante gemeinsam mit den eigentlich vertriebenen Anhängern der Ghibellinen, die jedoch bei Anbruch der Dunkelheit die Stadt wieder verlassen müssen. Unter ihnen ist Lionetto, Sohn des Anführers der Ghibellinen, der sich in Gloria verliebt und auch von ihr wohlwollend beachtet wird. Als nach Einbruch der Dunkelheit der Tabubruch bemerkt wird, Guelfen und Ghibellinen aneinander geraten, entführt Lionetto Gloria. Im zweiten Akt finden wir Gloria in Gefangenschaft Lionettos, der sie um ihre Hand bittet. Sie stimmt zu, auch um den Frieden zwischen den beiden Parteien wieder herzustellen. Ihr Bruder Bardo fordert sie jedoch auf, den Bräutigam mit einem Schwert, das er ihr überlässt, zu töten. Sie weigert sich, stimmt jedoch zu, ihm Gift zu verabreichen. Als Lionetto berichtet, zum Frieden bereit zu sein, ist sie auch dazu nicht mehr in der Lage, sondern will selbst das Gift trinken, was wiederum Lionetto verhindert. Der dritte Akt führt den Zuschauer in  die Hauskapelle der Bardi, in der die Trauung von Gloria und Lionetto stattfindet. Die Umarmung der beiden Schwager nützt Bardo dazu, LIonetto einen tödlichen Messerstich beizubringen. Danach will er mit Gloria fliehen, die es jedoch vorzieht, mit ihrem Gatten zu sterben.

Wer von Gloria eine Musik voller dolcezza, Eleganz, Geschmeidigkeit und Duftigkeit wie aus Adriana bekannt, erwartet, der wird arg enttäuscht, denn inzwischen hatte der Komponist eine Entwicklung hin zum eher Deklamatorischen vollzogen, Einflüsse von Wagner, dem französischen Impressionismus, manchmal fühlt man sich an Rimski-Korsakov erinnert, sind vernehmbar. Auch wer ein Kolossalgemälde mittelalterlicher Glaubens- und Geschlechterkämpfe erwartet, wird von der Intimität des Stoffes überrascht sein. So hat der Chor zwar einiges zu singen, verhält sich aber optisch eher wie der eines Oratoriums, so wie auch die Protagonisten teilweise nebeneinander aufgereiht vor diesem stehen und dies durchaus zum Charakter des Werks zu passen scheint. Regisseur Antonio Albanese verzichtet auch auf Videoprojektionen, bevorzugt eine quasi holzschnittartige Optik, und auch mit Farben wird sparsam umgegangen, Grau, Beige und Schwarz herrschen vor (Bühne Leila Fteita), und nur das Hochzeitskleid Glorias ist in glühendem Rot gehalten, könnte durchaus auf der Freitreppe von Cannes Aufsehen erregen (Carola Fenocchio).

Den Sängern ist also alle Aufmerksamkeit sicher, und sie sind sie wert. Die mit ihrem Familiennamen erst einmal in die Irre führende Anastasia Bartoli ist nicht die Tochter eines berühmten Mezzosoprans, sondern die von Cecilia Gasdia, einst ein stilsicherer lyrischer Koloratursopran und inzwischen seit vielen Jahren erfolgreiche Intendantin der Festspiele von Verona. Anastasia trägt den Familiennamen ihres Vaters, eines Fiorentiner Zahnarztes, und auch was ihr Repertoire angeht, wandelt sie nicht auf den Spuren der Mutter, sondern eher auf denen eines soprano drammatico e d’agilità, hat bereits Lady Macbeth gesungen, Lucrezia in Due Foscari und strebt die Abigaille an. Der Sopran besticht durch Klarheit, Reinheit, auch eine gewisse Herbheit, sicher in der Höhe, durchaus auch stählern und von der Interpretation dienender Schärfe. Die Optik der schönen, schlanken Sängerin lässt nichts zu wünschen übrig. Eines tenore eroico bedarf die Partie des Lionetto, zu dem sich Carlo Ventre mittlerweile entwickelt hat, dessen Stimme dunkler geworden ist und der über einen bemerkenswerten Squillo verfügt. Etwas unglücklich ist die Optik zumindest im ersten Akt, wenn er wie ein in Paketband eingewickeltes Möbelstück wirkt. Bleichgesichtig verfolgt Franco Vassallo seine üblen Rachepläne und setzt dafür einen in allen Registern präsenten Bariton stupender Höhe ein. Weit ausholen mit autoritär klingendem Bass kann Ramaz Chikviladze als Aquilante, sanft und mild ist Elena Schirru als Senese, sonor Alessandro Abis als Vescovo. Francesco Cilluffo am Dirigentenpult dirigiert das bläserlastige Orchester sängerfreundlich und führt es, so im Vorspiel zum dritten Akt, zu einem Klang voll raffinierter Harmonien. Szenisch zeigt sich die Produktion allzu statisch, als dass sie dazu beitragen könnte, dem Stück trotz vorhandener Qualitäten die Bühne dauerhaft zu erobern (Dynamic 58004). Ingrid Wanja

Weltkriegs-Musik

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Das Echo der Zeit nennt sich ein 465 Seiten umfassendes Buch von Jeremy Eichler mit dem Untertitel Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege. In diese Zeitspanne fügen sich zumindest Teile des Lebens von vier ausgewählten Komponisten, nämlich Richard Strauss, Arnold Schönberg, Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch und vier Orte, die für ihr  Schaffen bedeutsam waren, nämlich Garmisch-Partenkirchen, Los Angeles, Coventry und Babyn Jar, dazu vier Werke, die vom Zweiten Weltkrieg geprägt wurden, Metamorphosen, Ein Überlebender aus Warschau, War Requiem und die 7. (Leningrader) und die 13. Sinfonie Schostakowitschs.

Es beginnt und endet jedoch mit der jüdischen Familie Mendelssohn-Bartholdy, insbesondere mit Moses und Felix, dessen vierzig Jahre nach seinem Tod errichtetes, von den Nazis geschleiftes und nach dem Krieg wiedererrichtetes Denkmal der Autor mehrmals aufgesucht hat und dessen Betrachtung ihn zu dem Fazit bringt, dass allein die Musik, nicht das Denkmal in der Lage sei, die „Sensibilität zu schaffen“, die verhindern könne, dass sich die Gräueltaten des 20.Jahrhunderts wiederholen.

Quasi als ein Gleichnis sieht er die aus der Grimmschen Märchensammlung stammende Geschichte vom Juden im Dorn an, in der der das eigentliche Opfer einer Untat schließlich gehenkt wird.

Ganz zu Beginn jedoch stellt der Verfasser einen verträumt an dem später als Goethe-Eiche verehrten Baum lehnenden Dichterfürsten einen KZ-Häftling gegenüber, der aus dem nach einem Luftangriff auf das KZ Buchenwald halb verkohlten Baumstumpf eine Totenmaske schnitzt. Hier und immer wieder wird deutlich, wie sehr dem Autor der hohe Anspruch und das große Ansehen der deutschen Kultur, insbesondere der Musik im Kontrast zu den unbeschreiblichen Gräueltaten von Angehörigen des Volks, das sie hervorbrachte, zu schaffen macht.

Der Autor ist ein amerikanischer Jude mit wohl deutschen Wurzeln, und so ist es verständlich, dass sein Buch sich mehr (Strauss) oder weniger mit dem Verhältnis der vier Komponisten zum Judentum oder zu einzelnen Juden beschäftigt. So wird, was Richard Strauss betrifft, das zu Stefan Zweig betrachtet, aber auch das Einspringen für den entlassenen Bruno Walter, wobei vergessen wird, dass das entsprechende Orchester Strauss darum bat und dieser dem Orchester seine Gage überließ. Hin und wieder schleichen sich in die umfassenden und von Leidenschaft für das Sujet geprägten Ausführungen auch Fehler ein, so die Annahme, dass Strauss seine beiden Enkelsöhne davor bewahrte, die Armbinde mit dem Judenstern, zu deren Tragen auch „Mischlinge ersten Grades“ verurteilt gewesen wären,  umbinden zu müssen. Da wird eine Armbinde mit dem anzuheftenden Judenstern verwechselt, den übrigens Menschen mit nur einem jüdischen Elternteil nicht trugen. Insgesamt aber ist der Leser von der Wissensfülle des Buches überwältigt, von der unüberlesbaren tiefen Liebe Eichlers für die Musik gerührt. Diese allerdings hindert ihn nicht daran, Verhaltensweisen während der Naziherrschaft vom Standpunkt dessen, der wusste, wie alles endete und was wirklich geschah, wesentlich schärfer zu beurteilen als zum Beispiel das Verhalten eines Schostakowitsch in der Diktatur Sowjetunion. Das wundert etwas, wenn er selbst mitteilt, dass die jüdische Schwiegertochter Strauss‘ nach dem Kriege versicherte, man habe erst nach Kriegsende von den Gräueln der KZs erfahren. Stellenweise hat man den Eindruck, der Autor leide selbst an einem Hin-und Hergerissensein zwischen der Bewunderung der Straussschen Musik und dem Abscheu gegenüber dessen Verhalten im Dritten Reich. Selbst bei der Betrachtung von Gedenktafeln für gefallene Garmischer, die deren Familien veranlassten, drängt sich ihm die Vorstellung auf, der eine oder andere hätte ein Täter sein können.

Es geht weiter mit Arnold Schönberg, dessen Bestreben es war, der deutschen Musik ihre Weltgeltung zu sichern und der doch fern von Wien oder Berlin im sonnigen Kalifornien sein Leben beschließen musste. Die Entstehungsgeschichte von A Surviver from Warsaw, die Luigi Nono als den dritten Akt der unvollendeten Moses und Aron ansah, die immerhin mit Sherill Milnes, aber ansonsten unzureichenden Kräften gestaltete Uraufführung in den USA, die über die Grundstein nicht hinausgelangende Errichtung eines amerikanischen Holocaust-Denkmals sind Gegenstand der Schönberg gewidmeten Kapitel, in denen auch eine Auseinandersetzung mit Adornos Meinung, man dürfe menschliche Qual nicht in ästhetischen Genuss umwandeln, ihren Platz hat. Mit dem Bericht von der Überführung der Asche Schönbergs von Los Angeles nach Wien endet der erste Teil des Buchs.

Im zweiten Teil geht es um Brittens War Requiem und Schostakowitschs 7. Sinfonie, auch Leningrader genannt, und seine Vertonung von Jewtuschenkos Babyn Jar , um die späte Freundschaft zwischen beiden Komponisten, deren einer von der Diktatur gequält, der andere durch Kriegsdienstverweigerung und Homosexualität stigmatisiert war. Obwohl sich Britten danach gedrängt hatte, Menuhin auf seiner Konzertreise für DPs zu begleiten und unter andrem das Konzentrationslager Bergen Belsen besucht hatte, blieb dieses Erlebnis ohne Folgen für die Gestaltung des War Requiems, was den Verfasser ebenso mit Verwunderung erfüllt wie die Tatsache, dass die Briten sich mit nur einem Gedenkstein für die Toten beider Weltkriege begnügen. Hier und immer wieder ist man über die hoch poetische Sprache des Autors erstaunt, wenn man Sätze liest wie: „Die Jahre zerschmolzen, und die Vergangenheit trieb einfach so dahin, befreit von der Herrschaft der Zeit.“

Der letzte Teil des Buches widmet sich Babyn Jar und der hier stattgefunden habenden Ermordung von 33 000 Juden aus Kiew durch die Nazis, der Verschweigung des Verbrechens durch die Sowjets und dem Gedenken durch Jewtuschenko und Schostakowitsch. Voraus geht jedoch der Beitrag über die 7. Sinfonie und das 2. Klavier-Trio, die Rolle Ilja Ehrenburgs wird erörtert, allerdings nicht sein in Deutschland bekannter Aufruf, die deutschen Frauen betreffend. Auch hier spürt der Verfasser jüdischen Elementen nach, so im Trio, ist enttäuscht über die Unauffindbarkeit der Schlucht, in der die Kiewer Juden starben, und deckt auf, wie die Sowjets sogar noch 1970 versuchten, neben den Nazis die „Zionisten“ für das Verbrechen verantwortlich zu machen.

Am Schluss findet der Leser den Autor am Fuß des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig, an dem er noch einmal daran erinnert, wie der Komponist mit der Aufführung von Bachs vergessener Matthäus-Passion die „Grundlage für eine neue Kulturnation“ geschaffen habe, und er verabschiedet sich von dem Buch mit Staunen und Bewunderung für des Verfassers Wissen um und Liebe zur Musik und mit der Einsicht, dass eine gewisse Akzentsetzung mehr als nachvollziehbar ist.

Der reichhaltige Anhang umfasst Danksagung, Bildnachweise, Zitatgenehmigungen, Anmerkungen, Personenregister

Ausdrücklich hervorzuheben ist die einfühlsame Übersetzung ins Deutsche durch Dieter Fuchs (Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit- Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege; Klett Cotta 2024; 463 Seiten; ISBN 978 3 608 96586 5). Ingrid Wanja 

Aber was für eine Geschichte!

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Zwei seiner Bühnenwerke hat Walter Braunfels nach seiner Übersiedlung an den Bodensee geschrieben. Hitlers Machtübernahme hatte seine Karriere beendet, er verlor sein Amt als Direktor der Kölner Musikhochschule, öffentliche Betätigung war ihm verboten, seine Musik wurde auf den Index gesetzt. In der inneren Emigration in Überlingen entstanden Werke, die keine Aussicht auf eine Aufführung hatten: 1933-37 die Verkündigung nach Paul Claudels L‘ annonce faite à Marie/ Mariä Verkündigung, 1938-42 Jeanne D’Arc. Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna, zu der Braunfels selbst das Libretto nach den Prozessakten verfasste. Die Verkündigung wurde 1948 in Köln uraufgeführt, gelangte aber erst 2012 in Kaiserslautern neuerlich auf die Bühne, Jeanne D’Arc wurde sogar erst 2001 in Stockholm uraufgeführt und 2008 erstmals szenisch an der Deutschen Oper Berlin gegeben. 2013 dann folgte die von Capriccio veröffentlichte Aufführung bei den Salzburger Festspielen (2 CD C 5515), die, wie bereits die Uraufführung in Stockholm sowie die deutsche Erstaufführung im selben Jahr in München, von Manfred Honeck dirigiert wurde, der zusammen mit Juliane Banse, die stets seine Johanna war, aber 2011 unter Ulf Schirmer auch die Violaine der Verkündigung gesungen hatte (BR Klassik 900311), zu den erfahrensten Jeanne D’Arc-Interpreten gehört.

In seinem ausgezeichneten Text, der bereits bei anderen Braunfels-Veröffentlichungen bei Capriccio aufgefallen war, lässt Jens Laurson, der übrigens von einer zarten Braunfels-Renaissance spricht, den Dirigenten deshalb ausführlich zu Wort kommen: „Es ist eine Schande, dass die von den Nazis verbannten Künstler immer noch in der Versenkung weilen. Man muss sich einmal ausmalen, wie die Künstler sich gefühlt haben müssen- die, die überlebt haben – als sie darauf gehofft hatten, nach 1945 wieder aufgeführt zu werden, nach all diesen Jahren der Finsternis, nur um zu bemerken, dass nach ihnen nicht länger verlangt wurde. Wie sich das für Braunfels angefühlt haben muss, nach all den Jahren der inneren Emigration. Was für eine Katastrophe für ihn. Aber was für eine Geschichte! Wobei Braunfels‘ Musik so gut ist, dass ich sie auch aufführen würde, wenn es diese Geschichte nicht gäbe“.

Braunfels bezeichnet seine Oper als „Handlung in 3 Teilen und einem Vorspiel op. 57“ bezeichnet. Die drei Teile sind mit „Berufung“, „Triumph“ und „Leiden“ überschrieben, wobei der erste und dritte Teil jeweils aus drei Szenen, der mittlere nur aus einer bestehen. Die rahmenden Chöre des Volkes, „Herrre, hilf, Herre, hilf“ und „Ein Wunder, Ein Wunder“, verleihen dem Werk einen oratorischen Duktus, der durch die Vielzahl der Figuren und den Reichtum der Handlung aufgebrochen wird, die Braunfels auf faszinierende Weise vergegenwärtigt. Laurson spricht von einer schwelgerischen post-romantischen „Tonsprache irgendwo zwischen Die tote Stadt und Salome.. mit einem Schuss Bartók“. Dabei mit vielen pfitznerisch zähen Rezitativen sicher kantiger, auch archaischer, wohl auch instrumental farbig und auftrumpfend und im ersten Finale geradezu orchestral virtuos.

Die Hörer sowie das ORF Radio-Symphonieorchester Wien brauchen etwas, um sich einzuhören und einzuspielen, bis sie von Honecks souveräner und kenntnisreicher Leitung mitgerissen werden. Ausgezeichnet der Bachchor, Kinder- und Festspielchor. Neben der bekannten Geschichte von der Vision der Johanna, der Befreiung von Orleans, der Krönung des Thronfolgers, dem Inquisitionsprozess und der Hinrichtung malt Braunfels eine Beziehung Johannas zu Gilles de Rais aus; vielfach wurde in ihm die Urgestalt des Blaubart erkannt, und Braunfels nimmt sich dieser Legende gerne an. Gilles de Rais galt als einer der reichsten Grundherren Frankreichs, stieg zum Marschall von Frankreich auf und wurde im Oktober 1440 in Nantes hingerichtet, nachdem er sich dazu bekannte über Jahre hinweg Hunderte von Kindern bestialisch zu Tode gequält zu haben.

Johan Reuter singt den zweifelnden und suchenden Gilles de Rais mit markantem und forschem Bassbariton, interessanter scheint der Dauphin Karl von Valois, der in seinem großen Monolog „Ein neuer Morgen, und immer noch die gleiche Nacht“ Resignation und Selbstzweifel offenbart, ohne dass Pavol Breslik dies trotz seines hübschen Tenors zu echter Charakterisierung nutzt. Unter den vielen kleineren Partien, darunter Tobias Kehrer als Vater Jacobus, Martin Ganter als Ritter Baudricourt und Michael Laurenz als Richter Cauchon fallen Norbert Ernst mit prallem Charaktertenor als Schäfer Colin, Wiebke Lehmkuhl mit gutem Alt als Baudricourts Frau und der tenoral aufleuchtende Bryan Hymel als Heiliger Michael, zu dessen Bio das Beiheft bemerkt, dass er sich mehr auf das Unterrichten konzentriert und 2022 Teil der Fakultät des Westminster Choir College wurde. Juliane Banse zeigt sich am 1. August 2013 in der Felsenreitschule als gereifte Johanna, der vor allem die Szenen der Gequälten und Leidenden vor Gericht und im Gefängnis liegen.  Rolf Fath

Gemeinschaftswerk

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Durch und durch Familienmensch ist offensichtlich Pene Pati, der nicht nur sein Hochzeitsglück im Internet mit dem Rest der Welt teilt, sondern auch in seine nunmehr zweite CD seine Ehefrau Amina Edris  und seinen Bruder Amitai Pati integriert und somit eine recht bizarre Programmgestaltung garantiert hat.  Duette zwischen zwei Tenören würden nicht viel hergeben, sei es Norma oder Attila, und auch die vom Sänger gewählte kurze Szene zwischen Macduff und Macolm aus Verdis Macbeth ist kaum dazu angetan, die Qualitäten einer Stimme zu offenbaren. Außerdem gibt es, dem Familienzusammenhalt geschuldet,  einen Ausschnitt aus Mercadantes Il Bravo, einen aus Halévys La Juive und einen aus Guirauds Frédégonde, in der auch der zarte Sopran der Gattin in der Partie der Brunhilda, die einst von einem Auch-Wagner-Sopran, Lucienne Bréval, aus der Taufe gehoben wurde, zu vernehmen ist.

Die CD wechselt zwischen allzu Bekanntem wie Nessun dorma und noch nie Eingespieltem wie der Cabaletta nach der Arie des Faust aus Gounods Oper. Letzteres ist hochwillkommen und interessant wie auch die meisten französischen Tracks sich in der lyrischen, weichen und geschmeidigen Tenorstimme gut ausnehmen, während die italienischen Titel weniger gut gelingen, sei es Macduffs Klage um die ermordete Familie, die eher weinerlich als tragisch klingt, oder Rodolfos Che gelida manina, dem es an Poesie und dem Aufblühen in der Höhe  mangelt, während der Sänger als Kalaf versucht, durch ein Übermaß an Agogik zu frappieren, was aber auf Kosten einer einheitlichen Stimmung geht.

Eine  Reihe von Nummern stammt aus Donizetti-Opern in französischer Sprache, so aus La Favorite die Arie des Fernand „Ange si pur“, dem ein empfindsam gesungenes Rezitativ vorangeht und die die eigentliche Domäne des Tenors dokumentiert. Auch Dom Sébastiens „Seul sur la terre“ gehört zu den mit Geschmack, guter Diktion und schöner Stimmentfaltung vorgetragenen Stücken. Vielleicht wäre die Lucie interessanter gewesen als die italienische Lucia, aus der die Arie des Edgardo im letzten Akt zwar ein bewegtes Rezitativ, aber eine eintönig wirkende Arie aufweist.

Die Domäne des Tenors dürfte weiterhin das französische Fach bleiben, wo in Fausts Arie ein gut tragendes Piano, eine farbige mezza voce, ein empfindsamer Vortrag erfreuen, allerdings ein verhangener Spitzenton irritiert und in der Cabaletta die Stimme nicht in allen Lagen gleich gut anspricht. Massenets Des Grieux wehrt sich mit schöner vokaler Empfindsamkeit gegen die Verführungskünste Manons, Werthers Klage ist von zunächst zarter,  Art, aber das Timbre passt sehr gut zur Partie,  die einer so schnellen Folge von Kontrasten, wie sie sich zunehmend häufen, eigentlich nicht bedarf. Auch der Berlioz-Faust mit seiner Anrufung der Natur dürfte bald zum Kernrepertoire des Tenors von der Südseeinsel Samoa gehören wie der Éléazar, und für die kurze Bekanntschaft mit Ernest Guirauds Frédégonde ist man auf jeden Fall dankbar, auch wenn die Begegnung mit ihr eine einmalige sein dürfte.

Garant für eine angemessene Begleitung ist wie bei der ersten CD das Orchestre de l’Opéra National de Bordeaux unter Emmanuel Villaume (Warner Classics 5064197897702). Ingrid Wanja

Handel mit Händel

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Hätte Barrie Kosky die Inszenierung von Händels „dramatic oratorio“ Saul an der Komischen Oper nicht einem Kollegen überlassen, dann hätte es den auf der Bühne am Harmonium agierenden Komponisten wahrscheinlich nicht gegeben, war er doch bereits, wenn auch nicht sich drehend, sondern in den Wolken thronend, in Harry Kupfers Produktion von Giustino zu sehen gewesen. In Glyndebourne allerdings war er 2015 noch nicht bekannt und konnte neben dem Kerzenmeer zu Beginn des zweiten Teils den mit Abstand heftigsten Beifall einheimsen in einer Aufführung, die auch sonst bemerkenswert durch Opulenz glänzte und mit sorgfältiger, einleuchtender Personenführung überzeugte. Überwältigend ist auch auf der Blu-ray die im ersten Teil quietschbunte, im zweiten düster dunkle Kostümierung von Solisten und Chor vorwiegend in leicht karikierendem Rokoko mit nur schüchtern hin und wieder auftauchender barocker Allongeperücke, die naturalistische Gestaltung abgeschlagener Köpfe, sei es der Goliaths oder der Sauls, sind es die reichlich Milch spendenden Brüste der Hexe von Endor, und allein schon die festlich gedeckte Tafel am Hofe Sauls mit dekorativem Schwan ist einen Applaus wert (Katrin Lea Tag). Wie von ihm gewohnt ist die Führung des Chors durch Kosky phänomenal, und auch die unverzichtbaren Tillerboys (Choreographie Otto Pichler) mit lasziven Bewegungen dürfen am Hof von König Saul nicht fehlen. Es sind ihrer sechs, und sie bieten, vom Kaiser Rotbart bis zum südländischen Beau, alles, was das weibliche oder männliche Auge begehrt.

Dass die ausufernde Optik die Musik nicht erschlägt, dafür sorgt schon einmal Ivor Bolton, der mit dem Orchestra oft he Age of Enlightenment akustischen Glanz, Straffheit und Eleganz zaubert, für barocke Authentizität sorgt und selbst den viel strapazierten Trauermarsch wie frisch komponiert erscheinen lässt.

Erfreulich kompetent sind auch die Sänger, angefangen mit dem der Titelpartie, Christopher Purves, der, optisch eine Art Talleyrand, mit machtvoller Stimme, die auch zu brillanten Koloraturen fähig ist, neben dieser auch den Samuel singt. Frisch und glockenrein singt Iestyn Davies den Sympathieträger David, dessen apathisch wirkende Verstörtheit er auch darstellerisch vermitteln kann. Als irrer Pierrot mit Krallen entspricht Benjamin Hulett optisch wenig dem Abner, weiß aber akustisch nicht nur diesem, sondern auch dem High Priest und zwei weiteren kleinen Partien gerecht zu werden. Einen schönen lyrischen Tenor mit auch guter Mittellage hat Paul Appleby für den unglückseligen, hochsympathischen Jonathan. Die Töchter Sauls sind die zunächst hochnäsige, später Sympathien weckende Merab, für die Lucy Crowe einen eher herben Sopran mit guter Mittel-, aber schwächelnder tiefer Lage einsetzt, in ihrer Arie im zweiten Teil jedoch voll überzeugen kann. Die liebliche Michal ist Sophie Bevan mit klarem, kühlem, instrumental eingesetztem Sopran. Der Chor scheint wie der der Komischen Oper Berlin aus Chorsolisten zu bestehen. Und die Engländer haben halt die angemessenen Stimmen für den Hallenser Komponisten, den sie sich als einen George Frideric Handel zu eigen zu machen suchen (Opus arte 807205D). Ingrid Wanja             

Gut gemeint

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L’Arlesiana, Adriana und Gloria sind die drei Geschöpfe, die der  Komponist Francesco Cilea als seinen Beitrag zum Italianismo ansieht, der sich in der schlichten, flüssigen und eleganten Melodie manifestiert und dem die italienische Sopranistin Lenny Lorenzani nicht nur in den drei genannten Opern, sondern auch in den Canzoni und geistlichen Stücken, die der Komponist hinterlassen hat, nachspürt. Bei Komponieren der späteren Werk könnte er, der auch Lehrer war, an seine Schülerinnen Ebe Stignani und Maria Caniglia gedacht haben, die zu vergleichen mit der Interpretin auf der CD recht vermessen wäre.

Es handelt sich um eine Romanze des erst 17jährigen, der damals noch seinem Vorbild Bellini verpflichtet war, um eine seiner Tante gewidmete Serenata sowie die Arie Alba novella, der Arie des Federico aus der letzten Version der Arlesiana, bei der die Harmonik stark an Debussy oder Ravel erinnert. Ein Wiegenlied wurde in ein Liederbuch der Faschisten aufgenommen, in Opernbereiche geht es  bei der abschließenden Fuge über das Thema der Umile ancella aus Adriana Lecouvreur

Über die Solistin ist im Internet wenig zu erfahren, und auch das Booklet gibt sich verschwiegen, erwähnt nur das Studium und die Beschäftigung mit den ganz großen Opernkomponisten ohne Zeit und Ort, und stutzig macht, dass die wichtigste Mitteilung die über eine Lehrtätigkeit der Sängerin ist, von der ansonsten nur eine Berta aus dem Barbiere in Florenz die Rede ist. Bebildert ist das Booklet mit wohl Portraits der Sängerin im Kostüm einer Operndiva des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, während im Hintergrund ein distinguierter Herr, wohl der Pianist, als vielleicht sogar der Komponist in Frack und mit Zylinder ist.

In der Romanza wird mit den ersten Tönen offenbar, warum man bisher nichts von der Existenz einer Sängerin namens Lenny Lorenzani wusste: Der Sopran klingt scharf und schnarrend, worüber das Bemühen um eine einfühlsame Interpretation nicht hinweghören lässt. Im Il mio canto werden die Höhen sehr vorsichtig angesetzt, das Vibrato erscheint als ein übermäßiges, und die Textverständlichkeit ist nur eine recht mäßige. Scharf und zittrig ergeht sich die Stimme in Alba novella, sanft und schmeichelnd versucht das Piano etwas gut zu machen, was die Stimme versäumt. Vor allem in der Mittellage bewegt sich das Ninna nanna und kann somit etwas mit der stimmlichen Gesamtleistung versöhnen, während Maria mare geschliffen scharf klingt, die Stimme corpo vermissen lässt. Gravierende Höhenprobleme werden besonders im Ave Maria da Tilda offenbar, und in der Bionda larva kann nur die reizvolle Klavierbegleitung Defizite ausgleichen.  Der Pianist versucht zu retten, was zu retten ist, und verschafft der CD mit Au village und Pensiero spagnolo einigen Glanz, aber für das Liedgut Cileas kann diese CD den Hörer nicht gewinnen (Brillant classics 96734). Ingrid Wanja   

Megan Kahts

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Als Mezzosopranistin hat man es in Sachen Liebe auf der Bühne nicht immer leicht: Die großen Romanzen werden den Sopranistinnen zugeteilt, und wenn die liebende prima donna dann doch mal Mezzo ist, wird sie am Ende der Oper verlassen oder – eterni dei! – umgebracht (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). Die südafrikanische Mezzosopranistin Megan Kahts und ihr Ensemble, das Carestini Ensemble Wien, haben dieser Liebe ohne Happy End ihr neues Album gewidmet: In dolce abbandono heißt es (SM 459, 4260123644598).

Im Mittelpunkt des Albums stehen, eingerahmt von den Händel-Arien Ombra mai fu und Verdi prati, zwei beliebte Opernstoffe, hier aber im Gewand zweier dramatischer Solokantaten: Armida abbandonata von Händel und Arianna a Naxos von Haydn (nicht in der bekannteren Fassung für Hammerklavier und Gesang, sondern in einer Bearbeitung für Gesang und Instrumentalensemble eines Haydn-Zeitgenossen). Zweimal geballte Verzweiflung zweier vom Liebsten verlassenen Frauen – typisch Mezzo könnte man sagen.

Die Sängerin Megan Kahts war selbst übrigens nicht immer Mezzosopran. Nach ihrer Laufbahn als Klavier spielendes und singendes Wunderkind in Pretoria studierte Sie Gesang in Wien und begann ihre Karriere als Sopranistin. Wenn man sie heute hört, ist das kaum vorstellbar. Sie hat eine voluminöse Mittellage, eine klangvolle Tiefe und insgesamt sehr wenig sopranhaftes Timbre. Die tiefen Register liegen ihr mit Abstand am besten: Wenn sie als Armida mit viel Pathos ihrem abgängigen Geliebten alles an Meeresungeheuern an den Hals wünscht, was der Ozean so zu bieten hat (O voi dell’incostante e procelloso mare), ist das durchaus eindrucksvoll – mit dieser Armida würde ich mich nicht anlegen. Als Arianna, die gar nicht weiß, welche Enttäuschung ihr bevorsteht, umschmeichelt die Sängerin mit samtiger und klarer Stimme den Liebsten, der da leider schon längst das Weite gesucht hat (Teseo mio ben). (Quelle no-te)

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Elegante Megan Kahts/Foto Xavier Saer

Zu dieser interessanten Neuaufnahme gibt es ein Gespräch der Sängerin mit der Journalistin Ruth Wiedwald. Thematik und Relevanz der Werke: Sie widmen sich in „In dolce abbandono“ den großen Verlassenen der Musikgeschichte. Was hat Sie zu dieser thematischen Auswahl inspiriert? Eigentlich einfach die Liebe zu der Musik dieser zwei Kantaten, muss ich ehrlich gestehen. Die Haydn-Kantate Arianna a Naxos hatte ich schon öfters gesungen und die Händel-Kantate Armida abbandonata wollte ich auch unbedingt noch lernen. Händel und Haydn sind zwei meiner Lieblingskomponisten und bei großen dramatischen Solokantaten für eine weibliche Sängerin muss es ja um große Gefühle gehen – das Verlassensein ist ein Katalysator für eine emotionale Achterbahnfahrt und bietet natürlich die Möglichkeit zu einem tollen dramatischen Monolog und zu fantastisch berührenden musikalischen Vertonungen an. Also habe ich die Musik, nicht unbedingt das Thema, ausgewählt. Außerdem haben diese Frauen Erlösung, Erneuerung, neue Zukünfte gefunden… die Szenen, die wir interpretieren, sind nicht das „Ende der Geschichte“ – nur ein kurzer Fokus auf die Verzweiflung. Ich werfe Licht auf harte menschliche Emotionen – das, was vor dem Happy End eigentlich passiert ist.

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Warum denken Sie, dass diese antiken Geschichten und Emotionen immer noch relevant sind für heutige Zuhörer? Weil wir Menschen sind, genauso wie sie es waren, und auch große Gefühle empfinden. Auch heute werden wir immer noch auf unterschiedliche Arten und Weisen verlassen. Ja, wir Frauen sind vielleicht nicht mehr so hilflos und es passiert uns vielleicht nicht mehr so, wie bei Arianna und Armida, dass wir im Wald im Schlaf plötzlich von dem Geliebten, der auf einem Schiff geflüchtet ist, im Stich gelassen werden – aber emotional, im übertragenden Sinne, passiert es uns Menschen auch heute immer wieder, dass unsere Freunde oder Partner oder Familie uns, aus welchen Gründen auch immer, sitzen lassen und das kann genau so stark weh tun. Wir können uns emotional mit diesen Frauen identifizieren und erleben denselben emotionalen Prozess nach dem Schock der Verlassenheit. Ich bin aber schon sehr froh, dass wir heute generell nicht mehr langfristig so hilflos bleiben müssen. Darum kämpfen Frauen aus manchen Kulturen ja immer noch.

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Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs) 

Welche universellen menschlichen Themen und Konflikte finden Sie besonders stark in den Geschichten von Armida und Arianna verkörpert? Besonders stark und eindrucksvoll sind die seelischen Konflikte dieser Frauen und wie sie aus schweren Herausforderungen herauswachsen und Erneuerung finden. Armida findet einen neuen Weg, nachdem sie beim ersten Versuch mit Rinaldo gescheitert ist. Nachdem Theseus sie verlassen hat, wird Ariadne von Dionysos gefunden und erhoben – Hoffnung gibt es immer, selbst in den dunkelsten Momenten des Lebens. Durch ihr Leid und ihren Schmerz haben sie sich selbst erkennen und transformieren können.

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Was können wir aus diesen antiken Geschichten über die Natur von Liebe, Verlust und menschliche Stärke lernen, die heute noch so relevant sind? Zur Liebe gehören Verlust und Verlassenheit – das sind Emotionen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens durchmacht, unabhängig von der Epoche oder den Umständen. Diese Geschichten sprechen eine universelle Sprache, die tief in unser Menschsein eingreift. Sie zeigen uns, dass die Herausforderungen und Gefühle, denen wir heute gegenüberstehen, schon immer Teil der menschlichen Erfahrung waren. Indem wir uns mit diesen alten Erzählungen auseinandersetzen, können wir Parallelen zu unserem eigenen Leben ziehen und erkennen, dass wir nicht alleine in unseren Gefühlen und Erfahrungen sind. Großes Leid und große Verwirrung gab es in der Liebe immer schon und wir werden gestärkt, indem wir den Mut haben, auf diese schweren emotionalen Zustände einzugehen und zuzulassen, dass die uns transformieren.

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Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs)

Musikalische Interpretation und Vorbereitung. Wie haben Sie sich stimmlich und emotional auf die Interpretation von Händels „Armida abbandonata“ und Haydns „Arianna a Naxos“ vorbereitet? Für mich ist der Ausgangspunkt beim Einstudieren eines neuen Werks, dass man sich in die Musik verliebt, und dann kommt der Text dazu – in den verliebt man sich vielleicht auch. Man soll sich so sehr mit der Musik identifizieren können, dass die Zuhörer den Eindruck bekommen, man improvisiert und komponiert die Musik in genau dem Moment selbst.

Ich arbeite zuerst technisch und stelle sicher, dass alle Phrasen gut, flexibel und frei im Hals und im Körper „sitzen“ – oder vibrieren. Dann gehe ich auf den Text und auf den Harmonien ein und spüre in die verschiedenen vorhandenen Farben rein, um alle Ausdrucksmittel zur Geltung zu bringen. Mit dem Stil der unterschiedlichen Komponisten Händel und Haydn und mit der italienischen Sprache hatte ich schließlich auch noch gute Unterstützung.

Rein stimmlich, also rein stimm-technisch, sind die zwei Kantaten ziemlich unterschiedlich, weil die Komponisten der zwei Kantaten unterschiedlich für die Stimme geschrieben haben. Erstens liegt die Tessitura der Händel-Kantate etwas höher als die der Haydn-Kantate. Und zweitens ist Händel energetisch – da kann man sich vokal eher „reinschmeißen“ – wo man sich beim Haydn, nach meinem Gefühl, eher etwas zurückhält, um eine saubere klassische Linie zu führen. Beide Kantaten sind sehr exponiert und man muss die Stimme schön führen, aber Händel ist immer sportlicher – deshalb auch mein Lieblingskomponist zum Singen.

Haydn klingt vielleicht „simpler“ in der Gesangslinie, aber es gibt so viele Schichten in seiner Musik und es braucht Zeit, die Musik in sich reifen zu lassen und Haydns Aussage völlig zu verstehen. Die Phrasen müssen schön, fein, elegant geführt werden, aber sie sind besonders ausdrucksstark, denn die Musik enthält viel Ironie hinter diesem „Süßen“. Sie ist theatralisch – Haydn öffnet uns den Vorhang und wir gleiten langsam in Ariannas Welt ein. Bei Händel sind wir sofort mitten im Geschehen.

Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs)

Ich bin generell äußerst selbstkritisch und es passiert mir häufig, dass ich selber von einem Stück so ganz berührt bin, dass ich erstmal kaum singen kann oder kaum wagen kann, diese Perfektion auszudrücken. So war es auch bei diesen wunderbaren Stücken. Vor allem war am Ende das Musizieren mit meinen Kollegen im Ensemble die pure Freude. Da kann man noch weiter mit der emotionalen Interpretation gehen, mit so guten Musikern und mit so vielen instrumentalen Farben um sich herum.

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Ihr Mezzosopran wird als tendenziell hoch beschrieben. Wie beeinflusst diese stimmliche Charakteristik Ihre Interpretation der barocken Werke? Wir Mezzosoprane sind Chamäleons. Ich passe mich der Partie an. Aber, dass meine Stimme hoch liegt (und ich auch eine gute Tiefe habe) ist meistens wirklich zu meinem Vorteil, denn ich kann auch manche Sopran- und Zwischenfachpartien singen. Es öffnet mir viele Türen, so dass ich nicht in einer Fach-Schublade stecken bleibe.

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Wie haben Sie Ihre stimmliche Flexibilität entwickelt, um mühelos zwischen hellen und dunklen Nuancen zu wechseln? Ich hatte mehrere fantastische LehrerInnen, und genieße technische Arbeit an die Stimme sehr – immer schon. Und es geht auf lange Zeiten in Übungszimmern zurück, in denen ich sorgfältig über viele Jahre an allen Elementen gefeilt habe. Ich bin eine Malerin und suche Farben in meiner Stimme.

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Megan Kahts/Foto Xavier Saer

Wie gelingt es Ihnen, die Balance zwischen historischer Authentizität und zeitgenössischer Relevanz in Ihrer Interpretation zu finden? Auch wenn ich mal einen „geraden“ Ton singe, muss die Stimme immer im Körper bleiben. Ein Klang ohne Körper dahinter ist nichts für mich. Man versucht, alle Aspekte der historischen Aufführungspraxis miteinzubeziehen, aber letztendlich lebt man in der realen Welt mit einer realen Stimme und arbeitet mit dem, was man hat und mit den Einflüssen, die um einen herum sind – wir haben keine Aufnahmen der originalen Händel- oder Haydnsänger. Natürlich lese und studiere ich die originalen Quellen darüber, wie diese Musik aufzuführen ist, und baue eine sehr starke Fantasie auf – ich weiß genau, wie ich möchte, dass eine Phrase erklingt – aber auch da wird die Phrase von alleine so rausfließen mit einem Hauch des aktuellen „Zeitgeists“ denke ich.

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Historische Aufführungspraxis: Inwiefern beeinflusst die historische Aufführungspraxis Ihre Herangehensweise an die emotionale Tiefe der Stücke? Durch das Lesen der Quellen über die Aufführungspraxis dieser Stücke und die Auseinandersetzung mit den historischen Kontexten, in denen die Musik komponiert wurde, wird meine ganze interpretatorische Welt neu bemalt. Man versteht die Musik plötzlich sehr viel besser und die Strukturen und Figuren fühlen sich plötzlich sinnvoll und authentisch an. Das Studieren der alten Quellen hat mich sehr stark inspiriert – a breath of fresh air. Man kann emotional viel tiefer in ein Stück reingehen wenn man von einigen Fragen befreit ist und vieles besser versteht. Der Zugang zu dieser Musik ist viel offener, weil man näher an die „Wahrheit“ herankommt.

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Welche Herausforderungen stellt die Zusammenarbeit mit einem Ensemble auf historischen Instrumenten an Sie als Sängerin? Bei einem Barockensemble ist die Stimmung immer ein großer Aspekt der Aufführung. In diesem Fall liegt die Stimmung etwas tiefer und angenehmer als unsere Moderne. Für mich ist das Musizieren mit Barock-Instrumentalisten sehr befriedigend, erstens weil der Klang der Instrumente mir sehr gut gefällt und zweitens, weil wir uns alle mit dem Stil und der Aufführungspraxis dieser Werke besonders stark beschäftigt haben – daher fühlen wir uns alle auf derselben „Wellenlänge“ sozusagen. Die einzigen Herausforderungen, würde ich sagen, wäre, dass die Instrumente sich schnell verstimmen und nicht so stabil sind wie moderne Instrumente – bei einer Aufnahme muss man daher für das Stimmen extra Zeit einbauen.

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Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs)

Wie sehen Sie die Rolle der historischen Aufführungspraxis in der heutigen Musiklandschaft? Welche Bedeutung hat sie für zeitgenössische Hörer? Sie ist sehr wichtig und betrifft jede Epoche… die historische Aufführungspraxis ist ein Weg, den man mit einem Werk geht, ein Annähern an die ursprüngliche Idee, ein Hinterfragen der Traditionen. Zuerst lang überlegen, sich mit den relevanten Kontexten auseinandersetzen, und dann musizieren – „conscious music making“. Das bringt Frische, etwas Neues, mehr Sinn in die Sache rein. Ich finde, dass das die Zukunft des Musizierens ist – wir werden „woke“ und flexibel.

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Wie beeinflusst die historische Aufführungspraxis Ihre Herangehensweise an klassische Opernrollen, auch jene außerhalb der Barockära? Ich gehe bewusster an den Stoff heran, denn ich suche, woher die Ursprünge des Werkes kommen. Man sollte nie oberflächlich arbeiten – das hat wenig Sinn und wird auch langweilig. Je tiefer man gräbt, desto höher kann man dann fliegen. Wenn die Basis gut erforscht ist, kann man ruhiger und freier musizieren.

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Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs)

Carestini Ensemble und künstlerische Vision.  Sie haben das Carestini Ensemble Wien selbst gegründet. Welche künstlerische Vision stand hinter dieser Entscheidung? Ich arbeite viel mit meinem Cembalisten Reinhard Führer, und wir wollten ein Ensemble bauen, das die Werke auf „unsere“ Art interpretieren kann, bzw. aus Kollegen, mit denen wir schon arbeiten und uns gut verstehen. Wir wollten eine harmonische und reibungslose Zusammenarbeit, und das entsteht durch die richtige Balance von Persönlichkeiten – darauf sind wir stolz. Unsere Vision ist es, im Ensemble ein musikalisches Zuhause zu finden, und Werke aufzuführen, die wir gerne spielen wollen. Jedes Ensemblemitglied spielt absolut solistisch und kammermusikalisch – wir sind kein Orchester und daher ist jeder auch viel selbständiger und präsenter als in einem größeren Ensemble.

Man kann sich als Sängerin oft ziemlich einsam fühlen und so schaffe ich es, „like-minded“ Musikerkollegen um mich herum zu haben, denen es auch sehr viel Spaß macht, miteinander und mit mir zu arbeiten. Wir möchten eine freudige und positive Zusammenarbeit genießen, die uns als Künstler aufbaut, und wir wollen selbständig bestimmen, was wir spielen und was für uns passt. Es ist mein eigenes Baby und ich finde, wir sind stark und haben Potenzial – das wollen wir zur Geltung bringen.

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„In dolce abbandono“ Was möchten Sie mit dieser Aufnahme beim Publikum bewirken? Erstens möchte ich mich einem breiteren Publikum, als jenem, das es bei einem Livekonzert gibt, präsentieren. Dann möchte ich die Menschen ein reichhaltiges Hörerlebnis anbieten und ihre Gefühle berühren. Deswegen kann man sich das Album auch mit Dolby Atmos anhören. Ich lade die ZuhörerInnen ein, mit uns auf eine emotionale Reise zu kommen. Ich möchte sie von ihrem sonstigen Alltag für einen Moment entführen, und einen positiven Einfluss auf ihren emotionalen Zustand haben. Das Publikum soll mit uns „grooven“ und sich inspirieren lassen.

Megan Kahts/Foto Damian Posse

In der Haydn-Kantate gibt es in einem der Rezitative eine Zeile, wo Arianna erkennt, dass Theseus wirklich weg ist: „e qui mi lascia in abbandono“. Man erkennt es – und was macht man damit? Das ist der Ausgangspunkt für alle Bewegung. Aber wie Haydn diese Zeile so „süß“ vertont hat ja auch eine gewisse ironische Aussage, meiner Meinung nach. Sie wurde verlassen: aber sie ist auch frei. Das Wort „abandonment“ auf English heißt sowohl Verlassenheit als auch Hingabe. Also für mich ist der Titel zweideutig: „sweet creative abandonment“ – also Hingabe, und seiner Kreativität freien Lauf zu geben – und natürlich eine Beschreibung der zentralen Thematik: Verlassenheit, Verlust, und alle Emotionen, die dadurch erweckt werden.

Ich glaube auch, dass es dabei eine dritte Ebene gibt, und zwar, dass ich mich meiner kreativen Berufung hingegeben habe – dafür bin ich weit weg von meinem Heimatland gezogen und habe viel geopfert. Diese Wahrheit existiert für mich auch im Titel meines ersten internationalen Albums.

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Persönliche Entwicklung und Zukunftsperspektiven.  Wie haben die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse von Südafrika bis Wien Ihre musikalische Entwicklung geprägt? Ich sage immer, ich bin unter der Sonne aufgewachsen – ich meine das sowohl tatsächlich als auch im übertragenen Sinne. Südafrika ist auch ein „Melting Pot“ für mehrere Kulturen und musikalisch habe ich das vor allem im Schulchor gespürt. Als wir in China auf Tournee waren, haben die Mädels, oder wir alle (ich war in einer Mädchenschule) überall auf der Straße einfach frei afrikanische Volkslieder gesungen, harmoniert, und dazu improvisiert – dieses seelische Jubeln hat mich geprägt und ich habe auch diesen „Spirit“ in mir. Das ist die Basis, auf die meine ganze wundervolle Ausbildung aufgebaut wurde. Ich habe mich dann in Wien sofort wohl gefühlt. Meine ganze Sozialisierung ins erwachsene Leben hat in Wien und an der (sehr internationalen) Universität für Musik und darstellende Kunst stattgefunden.

Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski (Kleider von Immagika Creative Designs)

Deswegen fühle ich mich ziemlich österreichisch – als ob ich eine doppelte Kultur habe: halb Südafrikanerin und halb Österreicherin. Die ersten Jahre in Wien hatte ich das Gefühl, ich leben einen Traum und konnte es kaum glauben, denn schon mit 11 war ein Headline in einem Zeitungsartikel über mich als Kindersängerin “Megan aims for Vienna”. Ich war bzw. bin sehr oft an der Staatsoper oder im Musikverein und habe fast täglich meine Idole und große Stars der Klassikwelt teilweise hautnah erlebt. Außerdem hatte ich Spitzenlehrer und war umringt von Leuten, auf deren Kultur klassische Musik aufgebaut wurde, so mein Gefühl. Das alles hat eine riesige Auswirkung auf mich gehabt. Das Zugehörigkeitsgefühl, das ich in Wien wegen der musikalischen Verbindung habe, war immer schon ausschlaggebend und stark. Denn in Südafrika gibt es keine große Begeisterung für klassische Musik, aber in Wien fühlte ich mich sofort verstanden und konnte meine Interessen seriös ausüben und ausleben.

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Welche Projekte und künstlerischen Herausforderungen stehen in Ihrer Zukunft? Ich möchte gerne, dass mein Ensemble und ich immer weitere Konzerte bekommen und immer mehr Bühnen betreten und dass wir die Möglichkeit haben, zu wachsen und unser Repertoire immer auszubreiten. Ein großes und tolles Projekt mit Martin Haselböcks Wiener Akademie Orchester freut mich ganz besonders. Nächstes Jahr singe ich meine erste Rosina und tauche somit zum ersten Mal richtig in die Rossini-Welt ein. Auch in der Welt der zeitgenössischen Musik gibt es für nächstes Jahr in einer Zusammenarbeit mit dem Komponisten Nuno Côrte-Real tolle Entwicklungen, auf die ich mich freue – ich halte alle, via meine Website, Instagram, Facebook und LinkedIn, auf dem Laufenden! Ruth Wiedwald (oben: Megan Kahts fotographiert von Carolyn Gregorowski/ Kleider von Immagika Creative Designs)

Urlaub auf der Insel

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Mit der Veröffentlichung der Tragédie en musique Télémaque & Calypso von André Cardinal Destouches ist das Label Château de VERSAILLES wieder ganz in seinem Stammrepertoire angekommen. Die Aufnahme entstand Anfang Oktober des letzten Jahres in Puteaux und wurde auf zwei CDs mit wie stets gediegener Ausstattung veröffentlicht (CVS128).

Das Libretto von Simon-Joseph Pellegrin beschreibt eine Episode, in der Télémaque, Sohn des Ulysse, vor der Insel der Nymphe Calypso Schiffbruch erleidet und von dieser begehrt wird. Er jedoch ist in die Nymphe Eucharis verliebt, die von Calypso gefangen gehalten wird und in Wirklichkeit Idoménées Tochter Antiope ist.

Das Stück wurde 1714 an der Académie royale de musique in Paris uraufgeführt, erlebte 1730 eine Wiederaufnahme in veränderter Fassung, welche für diese Weltersteinspielung genutzt wurde. Musikalisch gilt Destouches als Nachfolger Lullys, bemüht, den Stil seines großen Vorgängers fortzuführen. Die Figur der Calypso steht in der Tradition einer Armide, Médée, Circe und Didon. Die Neufassung 1730 zeichnet sich durch Verbesserungen in der Orchestrierung und Harmonie aus, gestaltet die Dialogszenen lebendiger und emotionaler. Bestimmte Szenen, wie Calypsos Traum im 1. oder die Chaconne im 3. Akt, beweisen Originalität und Erfindungsreichtum, zeigen alles andere als ein Epigonentum zu Lully.

Die Aufnahme glänzt durch eine exzellente Besetzung, angeführt von Isabelle Druet als Calypso mit substanzreichem Sopran und gewichtiger Autorität. Höhepunkte ihrer Interpretation sind ihr Solo mit atemloser Erregung zu Beginn des 5. Aktes („Haine. dépit, fureur“) und die packende Schluss-Szene („Quels sifflements affreux“). Auch der männliche Titelheld ist in der Darstellung von Antonin Rondepierre eine ideale Besetzung. Sein klangvoller Tenor durchmisst eine plastische Entwicklung der Figur vom introvertierten Beginn („Dieu des mers“) bis zum lebhaften Finale. Emmanuele de Negri gibt der Antiope leuchtenden Umriss, setzt mit ihrem innigen, von der Flöte begleiteten Monolog zu Beginn des 4. Aktes, „Lieux sacrés“, einen Glanzpunkt. Als Adraste, König von Thrakien und Verehrer Calypsos, überzeugt David Witczak mit sonorem Bariton und dramatischem Nachdruck, hinterlässt vor allem im 3. Akt und in seiner Sterbeszene starken Eindruck. In mehreren Rollen besetzt, gefallen Adrien Fournaison, Hasnaa Bennani und Marine Lafdal-Franc.

Das Ensemble Les Ombres, entstanden durch die Zusammenarbeit von Sylvain Sartre und Margaux Blanchard, die auch dieses Projekt künstlerisch verantworten, musiziert mit hinreißender Vitalität, aber auch bestechender Präzision. Wieder eine Aufnahme von VERSAILLES, die das Siegel des Singulären verdient. Bernd Hoppe (3. 8. 24)

Und noch eine „Rusalka“

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Vom Glyndebourne Festival des Jahres 2019 stammt die Inszenierung von Antonin Dvořáks Rusalka und eröffnet interessante Einblicke in die Welt der märchenhaften Waldwesen, angefangen mit einem Hasen mit abnehmbarem Ohrenpaar und Wassergeistern mit ebensolchen Schwänzen, wobei das nur für Rusalka, nicht für ihre Gespielinnen üble Folgen hat, und der Wassermann darf zu Beginn sogar mit einem erigierten Penis protzen, ehe ihm dieser von einer der Nixen abgerissen wird. Regisseurin Nelly Still vermischt märchenhafte Elemente wie flirrende Irrlichter, einen Jägersmann mit Pfeil und Bogen oder Anklänge an die Walpurgisnacht oder eine Art Wolfsschlucht mit der Gegenwart zuzuordnenden wie das recht zügellose Leben im Schloss, wo beim schroff unterbrochenen Liebesakt schon mal der Slip Rusalkas durch die Luft fliegt. Es geht also wüst zu auf beiden Ebenen, nur dass die kreatürliche Wildheit der Waldbewohner im Vergleich zur kalten Grausamkeit der des Schlosses weit eher gewisse Sympathien erringen kann. Die Regie weiß gut mit den Chormassen umzugehen, so in der Szene, in der sich die Hochzeitsgesellschaft immer gewaltsamer zwischen die beiden Brautleute schiebt, so dass schließlich kein Kontakt zwischen den Liebenden mehr möglich ist. Als Choreograph ist Rick Nodine dafür verantwortlich, dass Nixen, Waldtiere wie Hofgesellschaft sich durch angemessene Bewegungen charakterisieren.

Die Bühnenbilder von Rae Smith sind äußerst phantasiereich und aussagekräftig, die ebenfalls von ihr stammenden Kostüme charakterisieren die Figuren eindrucksvoll, werfen aber auch manche Frage auf wie die, warum die Nymphen Strickjacken tragen und die Fremde   ausgesprochen spießig und libidotötend gewandet und frisiert ist.

Das London Philharmonic Orchestra unter Robin Ticciati begleitet (nach dem vorausgegangenen Konzert in Berlin, bei dem Klaus Florian Vogt  sehr eindrucksvoll in letzter Minute als Prinz eingesprungen war) einfühlsam, breitet akustischen Mondesglanz über Rusalkas große Arie und zeichnet sich auch sonst durch die Naturstimmungen behutsam ausmalendes und durch die Sänger unterstützendes Musizieren aus.

Hochzufrieden sein kann man mit den Mitwirkenden, die fast sämtlich sich die tschechische Sprache so sehr zu eigen gemacht haben, dass auch akustisch der Eindruck von Muttersprachlern entsteht. Sally Matthews ist eine attraktive Rusalka mit auch im Piano alle Stimmfarben bewahrendem, üppigem und rundem Sopran, der geschmeidig aufblühen kann, und auch optisch entspricht sie der Vorstellung, die man von der schönen Nixe hat. Einen angenehmen  lyrischen Tenor setzt Evan Leroy Johnson für den Prinzen ein, dem für die stellenweise durchaus dramatische Partie auch die stählerne Höhe nicht abgeht. Weder optisch noch akustisch mit eher strengem Mezzosopran ist Zoya Tsererina so verführerisch, dass die Abtrünnigkeit des Prinzen nachvollziehbar wird. Da macht die wie eine böhmische Bäuerin gewandete Hexe Ježbaba von Patricia Bardon mit schlankem, eindringlichem, in der Höhe stark und farbig bleibendem Mezzo viel eher einen positiven Eindruck. Nicht mehr und nicht weniger als solide waltet der Wassermann von Alexander Roslavets mit etwas fahler Extremtiefe seines Amtes.   Colin Judson und Alix Le Saux wird auf der Suche nach Rettung für den Prinzen viel darstellerischer Einsatz abverlangt, worunter die Gesangsleistung kaum leidet. Alles in allem ist das eine Aufnahme, die durch gute Sängerleistungen und eine behutsam modernisierende, dabei das Märchenhafte respektierende Regie und eine beachtliche Harmonie zwischen Bühne und Graben erfreuende Produktion, die Augen wie Ohren Freude bereitet (Opus arte 13020). Ingrid Wanja