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Es ist eine seltsame Welt, die Wilfried Hösl über dreißig Jahre lang mit seinen Fotografien einfing. So seltsam, wie die Welt, die Alice durch einen Spiegel über dem Kamin ihres Wohnzimmers betreten kann. Der Originaltitel Through the Looking Glass von der Alice im Wunderland-Fortsetzung Alice im Spiegelland passt also ganz ausgezeichnet zu der Arbeit des Bayerischen Staatsopern-Theaterfotografen Wilfried Hösl, der Ende 2024 seine Tätigkeit beendet. Auf der Basis einer Retrospektive hat Hösl eine Auswahl getroffen, die von dem dafür prädestinierten Verlag Schimer/Mosel zu einem prächtigen und äußert gewichtigen Fotoband zusammengebunden wurde. Through the Looking Glass vereint auf 232 Seiten 185 Farbtafeln und dokumentiert die Ära Jonas/Mehta, die Hösl vom Bayerischen Staatsschauspiel an die Oper holten, sowie die Arbeiten mit und unter Kent Nagano, Nikolaus Bachler und zuletzt Serge Dorny, wobei die Umschlagbilder mit Rinaldo auf der Titelseite und Les Troyens auf der Rückseite den ästhetischen Aufbruch der legendären Jonas-Zeit feiern (ISBN 978-3-8296-1026-1-6). Im Lauf der Dezennien sind Hösls Fotos „eigenständige Kunstwerke“ geworden, wie ihnen Dorny attestiert, denn „Hösl Theaterfotografie ist weit mehr als nur die bloße Abbildung einer Aufführung. Sie fängt die Essenz einer Inszenierung ein, die Dynamik des Augenblicks, das Zusammenspiel von Licht, Bewegung und Emotion. In jedem Bild spiegelt sich ein feines Gespür für den richtigen Moment wider“. Keine Schnappschüsse, sondern „tief durchdachte Kompositionen“. In einem kurzen Gespräch, das bereits in einer Publikation der Bayerischen Staatsoper zu den Opernfestspielen 2006 veröffentlich wurde, macht Hösl klar, dass er als Theaterfotograf die Wünsche seiner Auftraggeber zu erfüllen sucht: „Der erste Auftrag des Hauses ist es, eine Inszenierung zu dokumentieren. Für das Marketing ist es wichtig mit bestimmten Bildinformationen – berühmte Sängerinnen oder Sänger, Dynamik oder Modernität einer Szene, Schlüsselsituationen des Stücks oder der Inszenierung etc. – zu werben. Dann gibt es den Auftrag, Bilder für das Programmbuch zu liefern. Für die Presse müssen es Bilder sein, die der Druckqualität von Zeitungen entsprechen usw.“. Es ist erstaunlich welche künstlerische Qualität die Fotos von Hösl besitzen, die offenbar diesen vielen Anforderungen gerecht wurden. Vor allem der Hauptteil des Bandes, der die Jahre an der Staatsoper von 2024 bis 1993 zurückblättert ohne eine Chronologie zu ersetzen, zeigt schöne und berührende Momente, die für sich stehen, ohne zu viel über die Aufführung zu verraten. Umrahmt wird er von kurzen Kapiteln über das Bayerische Staatsballett und das Residenztheater, an dem Hösl bereits 1983 begonnen hatte, und den Kapiteln „Proben“ und „Persönlichkeiten mit bestechenden Porträts von Moreau bis Abramovic. Manchmal scheint die Momentaufnahme besser als die Aufführung. Rolf Fath