Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Barockes Gipfeltreffen

 

Für ihr neues Recital bei ALPHA mit dem Titel Passion kehrt Véronique Gens zu ihren Wurzeln zurück (747). Die französische Sopranistin lässt Armide (neben weiteren Heroinen von Lully und seinen Zeitgenossen) bis zu Charpentiers Médée wieder aufleben. Der Solistin stehen das Ensemble Les Surprises unter Leitung von Louis-Noël Bestion de Camboulas und Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles (Einstudierung: Olivier Schneebeli) zur Seite. Das Programm der CD imaginiert ein Opernsujet, dessen 1. Akt „Der Ruf der Unterwelt“ lauten könnte. Der 2. ist mit „Unglückliche Mutter“ überschrieben, der 3. mit „Grausamer Amor“. „Ruhiger Schlaf, verhängnisvoller Tod“ stehen für den 4., „Die rasende Médée“ für den 5. Akt.

Es ist aber auch eine Hommage an zwei legendäre französische Sängerinnen: Mademoiselle Saint-Christophe und Marie Le Rochois. Letztere triumphierte 1684 in der Rolle der Arcabonne in Lullys Amadis. Deren Air „Toi qui dans le tombeau“ eröffnet die Anthologie. Die Stimme der Sopranistin hat grandeur, ist von majestätischer Erhabenheit. Le Rochois sang auch die Titelrolle in der Armide, deren Air „Enfin, il est en ma puissance“ im 3. Akt folgt. Es wechselt zwischen pathetischer Strenge und aufbrausendem Zorn. Schließlich hatte die Diva nach Lullys Tod einen Riesenerfolg als Titelheldin in Marc-Antoine Charpentiers Médée. Daraus singt Gens zwei ihrem Zuschnitt extrem unterschiedliche Airs: „Quel prix de mon amour“ und „Noires filles du Styx“. Erstere ist von schmerzlicher Erkenntnis, die zweite von düsterer Umnachtung, die sich zu wilder Raserei steigert. Für Saint-Christophe schrieb Lully Rollen höchst unterschiedlicher Charaktere: Königinnen, Mütter, Zauberinnen, Göttinnen. Gens singt aus Proserpine die Partie der Cérès (tragisch umflort„Ô! Malheureuse mère“ und deklamatorisch„Que tout se ressente“), aus Atys die der Cybele (wehmütig„Espoir si cher et si doux“) und aus Alceste die Titelrolle (existentiell„La mort, la mort barbare“). Ein Riesenspektrum an Emotionen wird der Interpretin hier abverlangt und die Französin kann ihre reichen Erfahrungen in diesem Genre Gewinn bringend einbringen. Schon 2018 hatte sie mit dem Ensemble Les Surprises im Rahmen eines Festivals in Ambronay die Zusammenarbeit erprobt und dabei ein ähnliches Programm gewählt.

Kompositionen von Lullys Schülern und Zeitgenossen ergänzen die Werkauswahl. Von Pascal Collasse (1649 – 1709) erklingt das Air der Junon („Calme tes déplaisirs“) aus Achille et Polyxène, in welchem sie den Trojanern mit Höllenqualen und Hochwasser droht, was die Sopranistin mit flammenden Tönen und höchster, bis zur Hysterie reichender Expressivität umsetzt. Von Henry Desmarets (1661 – 1741) ist das wiegende Air der Éolie („Désirs, transports“) aus Circé zu hören, welches in seinem lyrischen Charakter die Stimme leuchten lässt.

Das Orchester mit schlankem, federndem Klang und der Chor brillieren in einigen Ballettszenen – der rasenden „Tempête“ aus Colasses Thétis et Pélée, dem betont rhythmischen „Entrée des Bretons“ und „Passepied“ aus Lullys Ballet du Temple de la Paix sowie der versonnenen „Sarabande Dieux des Enfers“ aus seinem Ballet de la Naissance de Vénus. Und Lully ist auch der Schlussakkord der CD vorbehalten: Aus seinem Le Triomphe de l’amour ertönt das „Air pour l’Entrée de Borée et des quatre Vents“ und sorgt für einen lebhaft-stürmischen Ausklang (08. 10. 21). Bernd Hoppe

Albern

 

Was erwartet der bildungswillige Leser von einem Buch mit dem Titel Die Braut des Holländers – Berühmte Frauengestalten in der Oper? Wahrscheinlich eine kurze (!) und korrekte  (!) Inhaltsangabe, die Beschreibung der Art der literarischen und vor allem der musikalischen Charakterisierung durch den Librettisten und Komponisten, das Ziehen von Verbindungslinien zu eventuellen historischen Vorbildern, wohl auch den Hinweis auf berühmte Gestalterinnen der jeweiligen Partie. Als selbstverständlich darf der Leser auch eine einwandfreie sprachliche Gestaltung des Textes erwarten sowie eine Sprachebene, die der Bedeutung des Gegenstandes angemessen ist.

Was aber offeriert Wolfgang Seidel mit seinem Buch? Seine den einzelnen Opernheroinen gewidmeten Kapitel bestehen zum allergrößten Teil aus reinen, durchaus nicht immer korrekten Inhaltsangaben, verzichten weitgehend auf eine Darstellung der musikalischen Gestaltung, schwanken sprachlich zwischen Hoch-, Umgangs- und Gossen-oder Jugendsprache, letztere wohl der Versuch, sich bei einem jugendlichen Publikum anzubiedern, als „modern“ zu gelten, und wissen außer der  Callas keine Interpreten zu nennen.

Der sich einem wie auch immer gearteten Publikum anbiedern wollende Stil meint, dass Elektra „ihr Ding schließlich durchzieht“, dass am Schluss der Oper „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrschen (was nicht einmal zutrifft), Elektra „verfilzt“  und „von Kopf bis Fuß auf Rache eingestellt“ ist. Immer wieder werden so unpassende Vergleiche mit der Gegenwart konstruiert, so wenn Agrippina mit Aenne Burda, Scarpia mit Harry Weinstein, Orlando mit Harry Potter in eine Reihe gestellt werden.  Gern widerspricht sich der Autor auch selbst, so wenn er einmal meint „und so geht es (mit Morden) bei den Atriden weiter“, dann aber der bereits erwähnte Eierkuchen.

Nicht glücklicher gelingen andere, oft in neckischem Tonfall gezogene Vergleiche , so der von Angela Merkel mit Dido, die auch freundlich Flüchtlinge aufnahm, und weder Senta, noch Isolde noch Brünnhilde können als Muster der Gattinnentreue angeführt werden, da Senta noch nicht verheiratet war, Isolde ihren Gatten betrog und Brünnhilde den ihren ( Gunther) nicht liebte. Nicht einmal die zeitlichen Zuordnungen stimmen, wenn das 19.mt dem 20.Jahrhundert verwechselt , Klassizismus mit Sturm und Drang gleichgesetzt wird. Auch in Kleinigkeiten sollte jemand, der sich als Opernkenner ausgibt, korrekt sein und nicht  Desdemonas Mutter mit deren Dienerin verwechseln.

Rigoletto bzw. seine Tochter Gilda ist ein typisches Beispiel dafür, was der Autor alles falsch machen konnte: So verlangte der Duca von seinen Höflingen nicht, dass sie Gilda entführen, landete er nicht in ihrem Schlafzimmer, sondern sie in seinem, ist es albern, vom harten lockdown, der Kirche als Dating-Hotspot zu schreiben, Quatsch zu behaupten, im 19.Jahrhundert dürften höhere Töchter nur in die Kirche und sonst nirgends hingehen. Und sogar „vom Federbett zum Leichensack“  als Untertitel stimmt nicht, denn in Mantua begnügte man sich auch im Winter mit einer leichteren Zudecke.  Etwas besser und interessanter wird es mit dem Bezug zu Hugos L’Roi s’amuse“, ehe man sich über die Behauptung  ärgern muss, dass Verdi die „Schauerromantik“ suchte, und Putin wie Erdogan bemüht werden.

Es wimmelt einfach von Falschem, Ungenauem, Peinlichem, so  der Behauptung, zur Zeit von Così fan tutte seine 99% aller Ärzte Scharlatane gewesen,  Alfonso kündige an „eines Tages“ würden Fiordiligi und Dorabella ihre Liebhaber betrügen ( es heißt innerhalb eines Tages), Monostatos Pamina und Tamino gefangen nimmt. Brünnhilde, „die ja auch in keinster Weise von dieser Welt ist“, aber sich dann doch zur „Vollfrau“ mausert, wird sich in dieser Charakterisierung wiedererkennen. Und Athene ist nicht die Kriegsgöttin, sondern die Göttin der Weisheit.

Man könnte noch seitenlang Stilblüten und einfach falsche Aussagen aufführen, sich darüber auslassen, dass höchstens mal vom „donnernden Klang des Orchesters“ in Lucia di Lammermoor“ die Rede ist oder es heißt, das „Riesenorchester schwingt nur noch sehr verhalten vor sich hin“ (Rosenkavalier)  , sonst aber kaum über die Musik referiert wird, ein wüster sprachlicher Mischmasch das gesamte Buch durchzieht, und auch das Fazit, dass der Autor aus dem freizügigen Verhalten Carmens zieht, nicht erfreuen kann: „Sie erleidet deswegen aber auch noch ein Schicksal“. Selbst einem Gebäude ergeht es übel, denn Octavian  „fährt…vor dem vor Aufregung zitternden Haus der Faninals vor.“ Auch in dieser Oper muss noch einmal die baldige Ex-Kanzlerin ran: Merkel. Aber: „Poppt nicht auf.“ Übrigens ist der Ochs nicht eine Bariton-, sondern Basspartie.

Norma lässt den Autor noch einmal zu Höchstleistungen auflaufen, wenn in sechs Zeilen alle Weltreligionen abgehandelt werden und es auch historischen Epochen nicht anders ergeht. Schließlich bekommt auch noch Senta, die Titelhedin, als „ichschwach“ ihr Fett ab, was der Rezensentin die Lust nahm, sich auch noch mit Violetta oder Tosca zu befassen oder dem, was der Autor aus ihnen gemacht haben mag.

Biographien der Komponisten bilden das letzte Drittel des Buches, das leider ganz ohne Bebilderung auskommt (290 Seiten; 2021 Faber & Faber; ISBN 978 3 86730 217 3). Ingrid Wanja

Letzte Werke in frischer Interpretation

 

Es war die Idee des cleveren Wiener Verlegers Tobias Haslinger, einige Lieder, die Franz Schubert kurz vor seinem Tod (1828) komponiert hat, posthum als Zyklus unter dem Titel Schwanengesang (D. 957) zu veröffentlichen. Ob das im Sinne seines Schöpfers war und ob sich dieser beim Niederschreiben seines nahen Todes bewusst war, darüber streiten sich die Gelehrten. Einige wenige Stücke der Sammlung strahlen ja durchaus eine gewisse Lebensfreude aus. Was einen Schwanengesang ausmacht, hatte Schubert schon Jahre vorher (D. 744, 1822) in einem so betitelten Lied auf einen Text von Johann Senn zum Ausdruck gebracht: „Vernichtungsbang, verklärungsfroh – das bedeutet des Schwanen Gesang!“

Der Tenor Julian Prégardien und der Pianist Martin Helmchen scheinen diese Dialektik zum Ausgangspunkt ihrer Interpretation genommen zu haben.

Zunächst ändern sie die Abfolge der ohnehin willkürlich angeordneten 14 Lieder, streichen die abschließende Taubenpost und fügen dagegen den genannten Schwanengesang D. 744 ein, setzen des weiteren Felix Mendelssohn-Bartholdys Lied ohne Worte op. 30/1 als Intermezzo der beiden Rellstab- und Heine-Blöcke ein und das Schwanenlied op. 1/1 seiner Schwester Fanny (gleichfalls auf einen Text von Heine) als Epilog.

Frisch und unvorbelastet gehen sie dann die Lieder an, die ja in einer schier unendlichen Zahl von hochkarätigen Einspielungen der Vergangenheit vorliegen. Und sie wecken vom Start weg Interesse. Der Abschied beginnt sinnigerweise den Reigen, und wir erleben den auf seinem Rösslein munter Abreisenden in raschem Trab (und nicht „mäßig geschwind“, wie es in den Noten heißt). Den Kontrast zu diesem fröhlichen Entree bietet dann das unmittelbar nachfolgende trübsinnige In der Ferne, wo die vage Tempo-Angabe „ziemlich langsam“ als Adagio aufgefaßt wird.

Spätestens mit der dritten Nummer, dem oft so schmählich verkitschten Ständchen haben die beiden Künstler den an großen Vorbildern geschulten Hörer gewonnen. So völlig unsentimental und doch gefühlsinnig und intim hört man dieses Lied selten, und auch hier hat der Pianist, der sich auch sonst durchweg als ein ebenbürtiger Partner des Sängers erweist, mit seiner filigranen Begleitung wieder entscheidenden Anteil am Erfolg. Wechselbäder der Gefühle, dramaturgisch geschickt gesetzt, prägen ihre Deutung auch im weiteren Verlauf. Dabei strahlt die helle und klare lyrische Tenorstimme Prégardiens, die in der Höhe beträchtlichen Glanz entwickelt, eine Diesseitsfreude aus, die dem depressiven Charakter einiger Gesänge erst einmal entgegensteht. Umso erstaunlicher, wie viele unterschiedliche Farben er diesem Instrument abgewinnen kann. Das zeigt sich vor allem bei den letzten Titeln (Die Stadt, Der Doppelgänger, Ihr Bild, Der Atlas), wo er den Verlustschmerz mit existentieller Dringlichkeit vermittelt, kulminierend im kontrollierten Aufschrei „und jetzo bist du elend“.

Als ein instrumentalerSchwanengesang“ ist dem Zyklus auf der 2. CD das Streichquintett D. 956 angefügt. Eine durchaus interessante Kombination. Und obwohl es von diesem Gipfelwerk der Gattung auch zahlreiche erstklassige Aufnahmen gibt, wird man die hier vorliegende nicht als „eine mehr“ empfinden, denn die fünf Musiker finden einen eigenen und persönlichen Ton in ihrem Zusammenspiel. Es handelt sich auch fast um ein Familienunternehmen. Zum Primarius Christian Tetzlaff gesellen sich sein Schwager Florian Donderer (Violine), seine Schwester Tanja (Cello) sowie Martin Helmchens Frau Marie-Elisabeth Hecker (Cello) und Rachel Roberts (Viola). Im gemeinsamen Musizieren verbinden sie Sachlichkeit und Dringlichkeit. Das heißt, sie bleiben bei penibler Beachtung aller Vortragsbezeichnungen ganz eng am Notentext, stellen ihn also ohne emotionale Drücker gleichsam objektiv aus. Durch volle Konzentration erreichen sie zugleich eine ungeheure Innenspannung im langen Kopfsatz wie im sehr breiten Adagio, erzielen mitreißende Wirkungen im hyperpräzisen Presto-Scherzo und im rhythmisch scharf pointierten letzten Satz (Allegretto-Più Allegro). Bei einem gut eingespielten Kammermusik-Team ist das sensible Aufeinanderhören fast eine Selbstverständlichkeit. Es fällt dabei auf, dass sich Christian Tetzlaff immer wieder sehr zurücknimmt, um die Partner zur Geltung zu bringen, und insgesamt seinen Part mehr kontemplativ als brillant ausdeutet.

Auch Musikfreunden, die schon mehrere Aufnahmen der beiden Schubertschen Spätwerke besitzen, ist diese Publikation vorbehaltlos zu empfehlen. (Alpha Classics 748/ 4. 10. 21). Ekkehard Pluta

 

Mozart aus Covent Garden

.

Eigentlich mag ich es nicht, wenn die Ouvertüre „bespielt“ wird; beim ersten Blick auf die Bühne des Royal Opera House war ich jedoch positiv überrascht. Zur vom fabelhaften Orchester unter Antonio Pappano passend flott servierten Nozze-Ouvertüre sieht man in einen großen Saal eines offensichtlich hochherrschaftlichen Schlosses, in dem zunächst eine ältere Frau vom Bedienungspersonal einsam den Boden feudelt. Sodann laufen jede Menge Bediensteter beiderlei Geschlechts geschäftig durch den Saal, albern herum und  ziehen sich zurück, wenn die reichlich murkelige Kammer für Figaro und Susanna auf die Bühne geschoben wird. Per Blu-ray Disc kann man die inzwischen bewährte und beliebte, schon 2006 erstmals gespielte Inszenierung von David McVicar in einem Mitschnitt vom Januar 2022 erleben, die erfreulicherweise auf jede zwanghafte Modernisierung verzichtet. Da kann man verschmerzen, dass sich alles, auch das sonst im Schlosspark verortete Versteck- und Verwechslungsspiel des letzten Aktes im großen Saal abspielt, in den dann herbstliche Blätter vom Bühnenhimmel segeln. Im Übrigen trägt zur durchgehend quirligen Inszenierung bei, dass auch die Rezitative ausgesprochen lebendig gestaltet werden und immer wieder Bedienstete auftauchen, die neugierige Blicke auf das Treiben der Hauptfiguren werfen. Die ansehnlichen, geschmackvollen Kostüme aus dem Anfang des 19. Jahrhundert passen zum Ambiente (Ausstattung: Tanya McCallin).

Musikalisch ist alles wie aus einem Guss, wofür der auch am Hammerklavier souveräne Antonio Pappano sorgt. Das überwiegend junge Ensemble singt und spielt in Hochform: Über einen typischen Basso cantabile mit markigem Timbre verfügt Riccardo Fassi, den er als munterer Figaro flexibel durch alle Lagen führt. Ebenso sehr beweglich in Gesang und Spiel ist als seine Susanna Giulia Semenzato, die mit blitzsauberem Sopran die Ensembles überstrahlt und die anrührend gestaltete  „Rosen-Arie“ in all ihrer Lyrik auskostet. Eine Contessa der Extraklasse ist Federica Lombardi, die wunderbar feines piano präsentiert und durch ruhige Stimmführung der Melodiebögen in allen Lagen, auch mit den überraschenden Echowirkungen in der großen Arie des 3. Aktes begeistert. Mit hellem Bariton tritt der Argentinier Germán E. Alcántara als leidenschaftlicher, aufbrausender Conte auf, der die Verzeihungsbitte am Schluss traumhaft schön aussingt. Die Polin Hanna Hipp ist mit hellem, geschmeidigem Mezzo ein gelenkiger Cherubino; mit gut durchgebildetem, kräftigem Bass gefällt Gianluca Buratto als Bartolo. In den kleineren Partien gefallen Monica Bacelli mit charaktervollem Mezzo als Marcellina, Alexandra Lowe als temperamentvolle Barbarina und Gregory Bonfatti klarstimmig als eitler Don Basilio. Bewährt ergänzen Jeremy White (Antonio) und Alasdair Elliott (Don Curzio); gut ausgewogen klingt der Chor in seinen wenigen Aufgaben (William Spaulding). Insgesamt macht die Aufnahme aus London einfach Spaß und ist musikalisch ein Genuss (OABD7304D). Gerhard Eckels

.

.

Viele wechselnde Besetzungen haben die drei Da-Ponte-Mozart- Opern bereits seit ihrer jeweiligen Premiere in Londons Opernhaus Covent Garden erlebt, bei Opus-Arte sind sie in ihren Premierenbesetzungen miteinander vereint und liefern den Beweis dafür, dass man sich als Regisseur durchaus Gedanken über eine wie auch immer geartete „Modernisierung“ machen und diese auch umsetzen kann, ohne das Publikum zu vergrämen. Die Produktionen von Don Giovanni aus dem Jahr 2014 und von Così fan tutte aus dem Jahr 2016 sind Beispiele dafür, Le Nozze di Figaro von 2006 bringt zwar nicht Kostüme aus der vorrevolutionären Zeit auf die Bühne, aber immerhin doch solche, die niemanden im Publikum auf die Idee bringen würden, das ius primae noctis würde auch noch in unseren Zeiten praktiziert.

Kopfschütteln löst in David McVicars Inszenierung höchstens das trübe Kellerloch aus, das dem Brautpaar durch den Grafen zugewiesen und von diesem als der schönste Raum des Schlosses anerkannt, wenn auch aus anderen als ästhetischen Grünen zurückgewiesen wird. Ansonsten amüsieren bereits zur Sinfonia das putzige Treiben der Dienstboten samt Haushofmeister, viele einfallsreiche Details wie zum „Se vuol ballare“ das Stiefelballett, viel Poetisches trotz eines letzten Akts im Saal statt im Park, und am Schluss strahlen alle und das Publikum tobt vor Begeisterung.

Vielleicht ein bisschen zu wohl fühlt sich in der Produktion der Figaro von Erich Schrott, der seinem Affen reichlich Zucker gibt, was sich auch im freien Umgang mit den Rezitativen und nicht nachvollziehbarer Agogik ausdrückt, die letzte Arie allerdings wird sehr kultiviert gesungen, und das Material ist durchweg als ein besonders reiches zu erkennen. Ein blondes Püppchen und allzu brav wirkend ist die Susanna von Miah Persson, erst im Duett mit dem Conte kehrt sie die Kapriziöse heraus, die Rosenarie gelingt sehr empfindsam bei von der Decke herab fallenden Blumenblättern. Ein irrwitziges Tempo muss Rinat Shaham als Cherubino mit seiner ersten Arie bewältigen, mit „Voi che sapete“ wird der hübschen Mezzostimme mehr Raum eingeräumt und entsprechend schöne Farben kann sie ausstellen. Im letzten Akt bleibt ihr ein uncharmanter Auftritt als betrunkener Tölpel nicht erspart. Dorothea Röschmann ist natürlich die Contessa mit cremigem Sopran, die für wunderschöne Ruhepunkte im allgemeinen Trubel sorgt. Ein erfahrener Conte ist Gerald Finley, dessen „Già vinta la causa“ ein Lehrstück an generöser Phrasierung ist, dem maskulinen Figaro auch szenisch ebenbürtig und hörbar Publikumsliebling. In seiner Arie an Würde gewinnt der Basilio von Philip Langridge, dessen durchdringender Charaktertenor für eine tolle Studie eingesetzt wird. An vokaler Präsenz der Susanna im Duett der beiden überlegen ist die Marcellina von Graciela Araya, übercholerisch gibt sich der Bartolo von Jonathan Veira und vernuschelt dabei die Prestissimoteile seiner Rache-Arie. Ana James gibt eine niedliche Barberina. Antonio Pappano sorgt für einen zügigen Ablauf des musikalischen Geschehens, straff und schwungvoll, wie es sich gehört.

Zu viel Mut gehört offensichtlich heutzutage dazu, Donna Anna in Mozarts Don Giovanni Glauben zu schenken, wenn sie von einer versuchten Vergewaltigung durch den Titelhelden spricht. Dabei hat sie in Leporello, der seinen Herrn besser als jeder Regisseur und damit auch als Kasper Holten kennt, einen glaubwürdigen Zeugen, der eindeutig von „sforzare la figlia ed ammazzare il padre“ spricht.   Dem heutigen Klischee entspricht in der Produktion von 2014 auch der trübtassige Don Ottavio, und selbst der Titelheld macht nicht den Eindruck, an weiteren Eroberungen interessiert zu sein, obgleich er immerhin mit Donna Anna noch zu einem weiteren Quickie in einem der vielen Zimmer verschwindet in dem ruinenhaft wirkenden drehbaren Haus, das Es Devlin auf die Bühne gestellt hat und das in wechselnden Farben angestrahlt oder auch beschriftet wird. Angesiedelt ist das Drama in einer Zeit, in der die Herren Zylinder trugen, was für die Damen kostbare Roben ermöglicht (Anja Vang Kragh). Insgesamt herrscht eine düstere Atmosphäre, woran auch eine schöne Nackte, die umhergeistert, nichts ändern kann.

Der polnische Bariton Mariusz Kwiecien singt mit verführerischem Timbre die Titelpartie und lässt sie eher als einen Getriebenen als Selbstbestimmten wirken, was wohl die Absicht der Regie war, die ihm auch eine lange währende Agonie auferlegt. Ein windiger und wendiger Leporello ist Alex Esposito, in dieser Partie auf vielen Bühnen zu Hause und ein Meister des Rezitativsingens. Markant singt Alexander Tsymbalyuk den Commendatore, während Antonio Poli nicht nur darstellerisch zur Blässlichkeit verdammt ist, sondern auch stimmlich außer einem schönen Pianissimo nicht durch besondere vokale Meriten auf sich aufmerksam machen kann. Optisch wie akustisch steif ist der Masetto von David Kimberg, was wohl zumindest, was die Optik angeht, auch so gewollt ist. Rätsel gibt eines der Kostüme von Donna Anna auf: ein rosafarbenes Prachtgewand, über das Schokoladensoße gegossen wurde. Der Sopran von Malin Byström scheint zunächst wenig Durchschlagskraft zu haben, ehe sie mit zwei tadellosgesungenen Arien, in denen sie auch bei den dramatischen Ausbrüchen stets die vokale Facon wahrt, überzeugen kann. Auch eine Contessa zutrauen würde man der Zerlina von Elizabeth Watts, die größte Freude aber bereitet dem Hörer die Donna Elvira von Véronique Gens mit einem Sopran reich an Farben, schön gerundet und zu Ausbrüchen von tragischer Größe fähig. Nicola Luisotti führt sicher durch die durch einige Seltsamkeiten irritierende, insgesamt jedoch interessante und nachdenkenswerte Aufführung.

Wohl nicht ganz verzichten auf die attraktiven Kostüme, die Damen wie Herren zur Mozart-Zeit schmückten, wollte Regisseur Jan Philipp Gloger, und so ließ er seine Kostümbildnerin Karin Jud für ein Verbeugungsdefilee zur Ouvertüre von Così fan tutte im Jahr 2016 kostbare Gewandungen entwerfen und die Zuschauer im Glauben, so könne es dann auch bei geöffnetem Vorhang weitergehen. Dem ist aber nicht so, denn wenn das Spiel beginnen soll, stürmen die wahren Protagonisten aus dem Zuschauerraum auf die Bühne, in moderner Kleidung, und anstelle von Frühstücksschokolade wird es Whisky, anstelle eines Schiffs eine Eisenbahn und anstelle von Briefen Smartphones geben. Aus Da Pontes Così fan tutte wird irgendwann ein Così fan tutti, und damit hat einmal mehr Gendergerechtigkeit Einzug auf die Opernbühne gehalten. Dabei verfällt jedoch Bühnenbildner Ben Baur nicht in die Sünden eines German Trash, sondern schafft viel den Augen Gefälliges wie eine Paradiesinsel mit schillernder Schlange. Auch die Personenregie erweist sich als intelligent und ausgewogen, weil weder das Werk noch den (guten) Publikumsgeschmack verletzend.

Wenn einem das Werk als mit Wagnerlänge geschlagen erscheint, dann liegt das am Dirigat von Semyon Bychkov, der sich allzu behäbig durch die kostbare Partitur bewegt. Die Sänger machen durch die Bank viel Freude, allen voran der deutsche Tenor Daniel Behle mit einer hochpoetischen Aura amorosa und einem bewegenden Tradito. Vor fünf Jahren war er, inzwischen bereits ein Lohengrin, ein idealer Mozarttenor mit atemberaubenden Pianissimi und einer berückenden Stilsicherheit. Farbig und geschmeidig ist der recht dunkler Bariton von Alessio Arduini, der den Guglielmo singt, auch mal ein Tänzchen wagt der agile Don Alfonso von Johannes Martin Kränzle. Einen warmen, runden Sopran kann Corinne Winters für die Fiordiligi einsetzen, die des Griffes zum Schnapsglas für die Bewältigung von Come scoglio eigentlich nicht bedarf. Recht hell und deshalb in den Duetten kein echter Kontrast zu ihr ist die Stimme der Dorabella von Angela Brower, beide spielen einfach hinreißend.  Sabina Puértolas ist als Despina eine Stütze eher an der Bar als im Haushalt, allerdings mit hohem Eigenbedarf und –verbrauch, vokal durchaus zufriedenstellend.

Alle drei Produktionen setzen neue Akzente, ohne die Werke zu entstellen oder den Zuschauer zu verstören, und bieten gute Unterhaltung auf hohem musikalischem Niveau (Opus arte 1275/ Foto https://www.da-ponte-stiftung.de/). Ingrid Wanja

Anna Tomowa-Sintow zum 80.

Kaum eine andere Stimme hat mich – um Sonnleithners Satz abzuwandeln – so in „die Tiefe des  Herzens“ getroffen wie die von Anna Tomowa-Sintow (* 22. September 1941 in Stara Zagora). Ich werde nie ihre Arabella in Hamburg vergessen, wo ihre frauliche Erscheinung und die Innigkeit der Stimme mich verzauberten, die Bühne vergessen machten, die wunderbaren ätherischen Piano-Noten wie selbstverständlich hinnehmend. Diesen Zauber besaß sie auch privat: Ihr Charme, ihr Lächeln, ihre Augen besaßen etwas Strahlendes, Einmaliges, ebenso Liebevolles wie klug Erfassendes. Ich lernte sie bei Freunden nach einem ihrer ersten Konzerte in West-Berlin kennen und war sofort eingefangen von eben diesem Charme, hatte sie zuvor an der Lindenoper gehört, erlebte sie dann in London (Andrea Chénier und Fürst Igor), Salzburg (in dem denkwürdigen, eleganten Capriccio und im Don Giovanni post-Karajan) und anderen Orten. Für mich verbinden sich ihre besten Dokumente (die Bernd Hoppe nachstehend würdigt, auch wenn viele nun aus den Katalogen verschwunden sind) mit der Erinnerung an eben diese strahlende, charmante und bezaubernd aussehende Frau und Sängerin, der wir zu ihrem 80. gratulieren. G. H.

 

1972 bekam das Ensemble der Berliner Staatsoper bemerkenswerten Zuwachs durch das Engagement der jungen bulgarischen Sopranistin Anna Tomowa-Sintow. 1965 war sie aus ihrer Heimat in die damalige DDR gekommen und hatte am Opernhaus von Leipzig ihre Laufbahn begonnen. Nach kleineren Aufgaben, daneben aber schon der Abigaille in Verdis Nabucco, war die Titelrolle in Puccinis Madama Butterfly 1967 der Durchbruch. Damit gastierte sie im Januar 1971 auch an der Oper Unter den Linden, was zu ihrer Verpflichtung nach Berlin führte. War sie schon in Leipzig Mittelpunkt vieler Aufführungen gewesen, so entwickelte sie sich an der Staatsoper schnell zur führenden Sopranistin des Ensembles. Die Stützpfeiler ihres Repertoires waren Mozart, Verdi, Puccini und Strauss. In der Historie der Sängernation Bulgarien ist Anna Tomowa-Sintow ein einmaliges Phänomen. Keine andere Sopranistin hat es vermocht, ein derart vielseitiges und divergierendes Repertoire gleichermaßen kompetent zu interpretieren. Die Stimme wies von Beginn an ein einzigartiges, unverwechselbares Timbre auf, verfügte über eine glanzvolle, leuchtende Höhe, substanzreiche Mittellage und üppige Tiefe. Der Klang war leidenschaftlich, glutvoll und sinnlich, daneben waren ihm – dank mirakulös schwebender piani – aber auch innigste und zarteste Töne eigen.

Mit der Gräfin im Figaro war der Einstieg in Berlin 1972 mit hohen Erwartungen verbunden. Immerhin gab Theo Adam mit dieser Inszenierung sein Debüt als Regisseur und die Partie war in der deutschen Tradition mit einer Interpretation von instrumental geführten Stimmen besetzt. Wie würde eine Bulgarin diesem Anspruch gerecht werden? Ihr blutvoller, emotionsstarker Gesang mit sinnlichem Vibrato stieß dann auch auf kontroverse Urteile. Dennoch wurde die Partie zu einer ihrer international erfolgreichsten Rollen. Sie sang sie am Royal Opera House London, am Grand Théâtre de Genève, bei den Salzburger Festspielen und an der Wiener Staatsoper. Die beiden letzten Stationen markierten wichtige Etappen ihrer mehr als fünfzehnjährigen Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan. Der Dirigent hatte sie 1973 für die Uraufführung von Orffs De temporum fine comoedia in Salzburg verpflichtet, danach auch für ein Konzert mit Bachs Magnificat in der Berliner Philharmonie. Fortan gehörte sie zu seinem festen künstlerischen Stamm. Nach wiederholten Auftritten als Contessa im Figaro in der legendären Ponnelle-Produktion bei den Salzburger Festspielen zählte der Figaro auch zu jener Trias, mit der Karajan 1977 seine Rückkehr an die Wiener Staatsoper und das Pult der Wiener Philharmoniker feierte. Tomowa gab damit ihr Debüt im renommierten Haus am Ring, das von nun an zu einer ihrer regelmäßigen Wirkungsstätte werden sollte. ORFEO veröffentlichte den Premierenmitschnitt vom 10. Mai 1977 und in der Wiener Besetzung nahm DECCA das Werk 1978 auch im Studio auf.

Neben der Contessa war die Donna Anna im Don Giovanni die international erfolgreichste Mozart-Partie der Tomowa. Sie hatte sie schon an der Oper Leipzig interpretiert und danach auch an der Berliner Staatsoper, bevor sie damit ihre Debüts an den drei wichtigsten Opernhäusern der USA gab: 1974 in San Francisco, 1978 an der New Yorker Met, 1979 an der Lyric Opera of Chicago. Bei den Salzburger Festspielen war sie – im Abstand von fast zehn Jahren –  zweimal in dieser exponierten Rolle zu erleben: 1977 in der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle unter Karl Böhm und 1986 in der von Michael Hampe unter von Karajan. Beide Produktionen liegen als CD-Ausgaben vor – erstere bei DG mit Sherill Milnes in der Titelpartie, letztere gleichfalls bei DG mit Samuel Ramey als Titelheld (auch als DVD).

Im Vergleich dazu hatte sie bei der Fiordiligi in Così fan tutte weniger Gelegenheit, sie auf internationalen Bühnen vorzustellen, doch sang sie die Partie immerhin 1975 bei ihrem Londoner Debüt an der Covent Garden Opera. Und in Berlin war die entzückende Inszenierung im Apollo-Saal der Staatsoper jahrelang ein Juwel im Repertoire, überaus beliebt bei den stetig wachsenden Verehrern der Sängerin, die ihr nicht selten ein Da capo der „Felsen“-Arie abverlangten.

Tomowas erste Begegnung mit dem Werk von Richard Strauss fand schon in ihrer Leipziger Zeit statt, wo mit Paul Schmitz ein Dirigent wirkte, der mit dem Komponisten freundschaftlich verbunden war und noch mit ihm gearbeitet hatte. Es war ein Glück für die junge Sängerin, mit ihm die Arabella einstudieren zu können. Die Partie wurde dann auch an der Staatsoper einer ihrer größten Erfolge – mit strömender Fülle und blühendem Melos hinreißend gesungen, mit wienerischer Aura und slawischer Melancholie unvergleichlich verkörpert.  Sie gab die Rolle auch an der Oper Köln, am Opernhaus Zürich und an der Bayerischen Staatsoper München sowie bei deren Gastspiel in Japan. Die Titelrolle in Ariadne auf Naxos ist offiziell von der DG eingespielt worden, nachdem sie damit an der Berliner Staatsoper debütiert und sie auch in Zürich, Buenos Aires, London und Wien gesungen hatte. Der Auftritt bei den Salzburger Festspielen 1982 unter Wolfgang Sawallisch wurde von ORFEO auf CD festgehalten. Unvergessen ist ein Gastspiel der Wiener Staatsoper 1979 in Prag, noch unter Karl Böhm und mit Edita Gruberova als Zerbinetta, die nach ihrem Weggang aus der Tschechoslowakei erstmals wieder in Prag auftrat und von ihren Landsleuten triumphal als Heimkehrerin gefeiert wurde. Dass sich Tomowa daneben mit ihrer erhabenen Interpretation der Titelpartie behaupten konnte, war sicher auch ein Grund für die Schallplattenverpflichtung mit dem Wiener Ensemble 1986 unter James Levine.

Alle diese Erfolge überragt jener mit der Marschallin im Rosenkavalier. Nach dem Debüt an der Berliner Staatsoper und einem Auftritt in Wien erkor sie Karajan 1983 zur Heldin in seiner Inszenierung bei den Salzburger Festspielen. Tomowa war in diesem Sommer die Königin an der Salzach, euphorisch gefeiert und von den Medien umworben. Die Einspielung auf CD bei der DG und ein Aufführungsmitschnitt auf DVD dokumentieren dieses Ereignis. Die Sängerin stellte ihr berührendes Porträt einer erfahrenen und um die Dinge des Lebens wissenden Frau auch an der New Yorker Met und in London vor. Die Aufführung in Covent Garden wurde auf dem Eigenlabel des Opernhauses veröffentlicht. Mit dem Rollendebüt als Gräfin im Capriccio konnte sie 1985 in Salzburg an ihren Erfolg mit der Marschallin anknüpfen. In der Neuinszenierung von Johannes Schaaf bezauberte sie mit mondäner Erscheinung und unwiderstehlichem Charme, glamourös gewandet mit weißer Robe und Kappe von Andreas Reinhardt. ORFEO hat den Mitschnitt der Premiere auf CD veröffentlicht.

In der Spätphase ihrer Karriere gab es noch Ausflüge in das betont dramatische Fach mit der Salome in Barcelona und der Ägyptischen Helena in Paris und Athen 1993, doch fanden diese Auftritte keine Wiederholung. Mit der Kaiserin in Die Frau ohne Schatten gelang der Sängerin noch ein bedeutendes Porträt, bedingt durch die menschliche, berührende Dimension, welche sie der Figur gab, und die stimmliche Intensität in den Monologen. Vor allem in London 1992 wurde sie dafür in der spektakulären, von David Hockney ausgestatteten Inszenierung gefeiert.

Nicht vergessen werden darf Tomowas sehr persönliche Interpretation der Vier letzten Lieder. Nach Auftritten an der Mailänder Scala (unter Wolfgang Sawallisch). bei den Salzburger Festspielen (unter Karl Böhm) und in der Berliner Philharmonie (unter Herbert von Karajan) wurde diese gekrönt von der Einspielung unter von Karajan bei der DG, gekoppelt mit dem Schlussmonolog der Gräfin aus Capriccio und dem Strauss-Lied „Die heiligen drei Könige“. Lieder dieses Komponisten fanden sich auch in den Programmen der Liederabende (neben solchen von Brahms und Tschaikowsky), die Tomowa vielerorts gegeben hat. Noch vielfältiger war ihr Konzertrepertoire, das sich von Bach (Magnificat, Matthäus-Passion) über Haydn (Schöpfung) und Mozart (Requiem, Krönungsmesse) bis zu Beethoven (9. Sinfonie, Missa solemnis) und Bruckner (Te Deum) spannte. All diese Werke hat sie unter von Karajan gesungen und zumeist auch aufgenommen.

Neben Strauss gab es in der Karriere auch Begegnungen mit dem Werk Richard Wagners. Vor allem als Elsa im Lohengrin wurde sie immer wieder verpflichtet – in Berlin, Brüssel, London, Mailand und New York. Karajan besetzte sie in seiner Neuproduktion bei den Salzburger Osterfestspielen 1975 und nahm diese 1981 für EMI auf. Als Elisabeth im Tannhäuser debütierte sie an der Berliner Staatsoper und wirkte danach 1982 in der Neuinszenierung des Werkes an der Wiener Staatsoper mit. Mit der Interpretation der Titelrolle in Korngolds Das Wunder der Heliane bei DECCAs Einspielung im Rahmen der Reihe „Entartete Musik“ 1993 erweiterte sie ihr deutsches Repertoire noch um eine veritable Rarität.

Einen mindestens ebenso breiten Raum wie das deutsche nahm das italienische Repertoire in der Arbeit der Sängerin ein. Den Beginn markierte, wie bereits erwähnt, die Butterfly in Leipzig. 1985 hatte sie Gelegenheit, die Partie an der Lyric Opera of Chicago zu wiederholen, was von Lyric Distribution auf CD festgehalten wurde. 1987 produzierte die bulgarische Firma BALKANTON in Sofia eine Gesamtaufnahme der Oper mit Giacomo Aragall als Pinkerton, die CAPRICCIO 1990 für eine CD-Ausgabe übernahm. Aber Tomowa sang in Leipzig auch schon die Violetta in La traviata, die sie später an der New Yorker Met (1987) und an der Lyric Opera of Chicago (1988) vorstellte. 1987 nahm BALKANTON das Werk für die Platte auf, wiederum prominent besetzt mit Aragall als Alfredo, die leider nicht den Weg auf die CD fand, als LP aber ein begehrtes Sammlerstück darstellt. Sogar die Leonora im Trovatore findet sich schon in Tomowas Leipziger Chronik, 1987 sollte die Partie zu einem ihrer größten Triumphe in Chicago werden – überwältigend in der Italianità, im stimmlichen Farbspektrum und dem mitreißenden dramatischen Aplomb. Bedauerlich, dass es von dieser Sternstunde der italienischen Oper kein offizielles Dokument gibt, doch existiert immerhin ein Privatmitschnitt unter Sammlern.

Zu den größten und erfolgreichsten italienischen Rollen der Sängerin zählt die Aida. Nach dem Debüt 1974 in Berlin war ihre Mitwirkung in der Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper München 1979 unter Riccardo Muti mit Plácido Domingo und Brigitte Fassbaender ein Gipfelpunkt ihrer Karriere. Nach der Veröffentlichung auf privaten Labels (Legendary Recordings) hatte sich ORFEO dankenswerterweise 2002 zu einer offiziellen Herausgabe entschlossen, um dieses singuläre Verdi-Dokument zu bewahren.

Bei Freunden in West-Berlin: Anna Tomowa-Sintow und Gatte Avram Sintow mit Tochter Silvana und Geerd Heinsen/ Foto Steinhäusser

Bedeutende Interpretationen gelangen der Sängerin bei den Sopranpartien des mittleren Verdi. Das Leonora-Debüt in der Forza del destino fand bereits 1976 in San Francisco statt, 1980 sang sie die Partie an der Wiener Staatsoper neben José Carreras, was durch einen Mitschnitt auf Legendary Recordings belegt ist, 1981 an der Pariser Oper mit einer TV-Übertragung. Mit der Elisabetta in Don Carlo debütierte sie gleichfalls in San Francisco (1979), sie sang sie 1990 auch an der Hamburger Staatsoper. Die erste Amelia im Ballo in maschera fand 1980 an der Oper Köln statt, 1984 folgte eine Produktion am Grand Théâtre de Genève an der Seite von Luciano Pavarotti, wovon eine Fernsehübertragung erhalten blieb. Ein offizielles Bilddokument auf DVD existiert von ihrer Amelia im Simon Boccanegra 1984 aus der New Yorker Met neben Sherrill Milnes unter James Levine.

Die Desdemona in Verdis Otello begleitete die Sängerin seit Beginn ihrer Karriere in Leipzig. An der Berliner Staatsoper war sie nach der Figaro-Gräfin ihre zweite Premierenpartie in der umstrittenen Inszenierung von Harry Kupfer. In der Folge war Tomowa mehrfach die Partnerin von Plácido Domingo – an der Wiener Staatsoper 1987 (von ORFEO auf CD herausgegeben), bei den Bregenzer Festspielen und beim Gastspiel der Mailänder Scala in Tokyo 1981 unter Carlos Kleiber, wovon ein CD-Mitschnitt bei ARTISTS erschien.

Die Fans der Sängerin bedauern noch heute, dass es nicht zu einer Ernani-Produktion mit Anna Tomowa-Sintow gekommen ist. Die Arie der Elvira „Ernani involami“ gehörte jahrelang zu ihren cavalli di battaglia. Zweimal findet sich die Nummer auf ihren Recitals – bei dem akklamierten Verdi-LP-Album auf BALKANTON 1976 (später von FORLANE auf CD veröffentlicht)  und bei den Berühmten Opernarien von ORFEO 1983. Im selben Jahr machte sie damit bei der Gala zur Hundertjahrfeier der New Yorker Met Furore. Karajan sah diesen umjubelten Auftritt im Fernsehen und verpflichtete sie daraufhin für die DG-Plattenaufnahme des Verdi-Requiem mit Agnes Baltsa, José Carreras und José van Dam. Ein weiteres Glanzstück ist die „Pace“-Arie der Leonora aus der Forza, die sich schon auf Tomowas Debütalbum von 1974 bei ETERNA findet und dann auch im bulgarischen Verdi-Recital enthalten ist. Die ORFEO-Platte präsentiert zudem einige Titel, welche in Tomowas Karriere am Rande blieben – Agathes „Und ob die Wolke“ aus dem Freischütz, Daphnes Verwandlung aus der Strauss-Oper oder die Romanze der Adriana Lecouvreur „Io son l’umile ancella“. Eine andere Verismo-Partie – die Maddalena in Giordanos Andrea Chénier – ist dagegen in zwei exzeptionellen Produktionen vertreten: 1982 an der Mailänder Scala mit José Carreras unter Riccardo Chailly und drei Jahre später an der Royal Opera London mit Plácido Domingo, letztere auf DVD verfügbar und Dokument einer ihrer reifsten und aufregendsten Darstellungen im italienischen Repertoire.

Davor gab es mehrere Puccini-Interpretationen, beginnend in Leipzig, wo sie in einer Rundfunkaufnahme als Lauretta in Gianni Schicchi mitgewirkt hatte, die 1971 von ETERNA auf Platte herausgebracht wurde und die Stimme in jugendlicher Blüte und Süße festgehalten hat. Ihre letzte Premiere in Leipzig vor dem Wechsel nach Berlin war die Titelrolle in der Joachim-Herz-Inszenierung von Manon Lescaut 1971, welche sie dann auch in einer Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper München 1984 mit Plácido Domingo verkörperte. Gipfel ihrer Puccini-Interpretationen war aber zweifellos die Tosca. Nach dem Rollendebüt an der Berliner Staatsoper 1976 stellte sie ihr leidenschaftliches Porträt auch in Wien, München, London, New York und Salzburg vor. BALKANTON produzierte eine LP-Gesamtaufnahme mit Nicolai Gedda als Cavaradossi und Ingvar Wixell als Scarpia, die immer noch auf ihre auf ihre Veröffentlichung auf CD wartet. 1999 kam es zum Rollendebüt als Turandot am Gran Teatre del Liceu anlässlich der Wiedereröffnung des Opernhauses – ein einmaliger Ausflug in ungewohntes Terrain.

Zu ergänzen sind zwei russische Partien. Als Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin absolvierte sie nach dem Studium in Sofia ihr Examen und sang sie dann an der Berliner Staatsoper (erneut in einer Inszenierung von Theo Adam) und in Wien. Wieder ist BALKANTON eine Schallplattenaufnahme zu danken (1988 mit Yuri Mazurok in der Titelpartie und Nicolai Gedda als Lenski), die SONY 1990 als CD-Ausgabe veröffentlichte. Die zweite Partie des russischen Repertoires ist die Jaroslawna in Borodins Fürst Igor, welche sie schon in ihrer Leipziger Zeit für den Rundfunk aufnahm (in deutscher Sprache) und dann 1990 an Londons Royal Opera szenisch vorstellte. Die Aufführung wurde im TV übertragen und liegt als DVD-Bilddokument vor. Leider kam es nie zur Lisa in Pique Dame, doch hat Tomowa deren große Arie „Bald ist es Mitternacht“ im Konzert gesungen. Bei Dmitri Tscherniakovs Neuinszenierung von Rimsky-Korsakows Zarenbraut im Schiller Theater 2013 unter Daniel Barenboim gab es mit der Domna Saburowa doch noch eine russische Partie, welche das unvermindert singuläre Timbre und die starke Präsenz der Sängerin bestätigte. Diese Koproduktion der Berliner Staatsoper mit der Mailänder Scala wurde von BelAir auf DVD dokumentiert.

Freunde der Sängerin und Liebhaber dieser Stimme bedauern jede Partie, die in der Karriere ausgeblieben ist. Doch es ist müßig, über die Gründe zu spekulieren, die manche Projekte verhindert haben. Anna Tomowa-Sintow lag auch viel daran, in Meisterklassen und Workshops ihre reichen Erfahrungen an die jüngere Generation weiterzugeben. Und es bleibt eine Fülle von Figuren, denen sie mit ihrer Stimme und Persönlichkeit ein unverwechselbares Profil verliehen hat und die man als Opernfreund nicht vergessen wird. Eine große Gemeinde von Verehrern und Liebhabern ihrer Stimme vereint sich zum Geburtstagsjubiläum der Künstlerin in Bewunderung und Dankbarkeit (Foto oben Anna Tomowa-Sintow als Arabella an der Berliner Staatsoper/Foto Sintow). Bernd Hoppe

Karan Armstrong

 

Es geschieht zuweilen, dass die Lebensbahn eines Menschen schon früh durch Einflüsse vorgeprägt wird, deren Bedeutung erst im Nachhinein wirklich deutlich wird. Für die junge Sopranistin Karan Armstrong (* 14. Dezember 1941 in Havre, Montana; † 28. September 2021 in Marbella, Spanien) sollten die deutschen Emigranten, die sie während ihrer Ausbildungsjahre in den USA kennenlernte, ein solcher wegbestimmender Einfluss sein: Ihre Lehrerin, die berühmte Lotte Lehmann, der Dirigent Fritz Zweig, der Regisseur und ehemalige Intendant der Deutschen Oper Berlin Carl Ebert, sie alle prägten für die junge Sängerin aus Montana das Bild der Opernstadt Berlin – lange bevor Karan Armstrong selbst zu einem Teil des Berliner Opernlebens werden sollte.
Wie nur wenige Sängerinnen hat Karan Armstrong über fast vier Jahrzehnte die Deutsche Oper Berlin mitbestimmt, war hier von ihrem Hausdebüt 1977 als Salome bis zu ihrem letzten Auftritt als Gutsherrin Larina in Tschaikowskijs EUGEN ONEGIN 2016 in über 400 Abenden und 24 verschiedenen Partien präsent. Dass es dazu kam, lag freilich nicht nur an dem Einfluss ihrer Mentoren, sondern an einer entscheidenden Begegnung: 1978, drei Jahre nach ihrem Europa-Debüt, lernte Karan Armstrong bei einer Inszenierung der SALOME in Stuttgart den Regisseur Götz Friedrich kennen, wurde drei Jahre später seine Ehefrau und folgte ihm nach Berlin und an die Deutsche Oper, an der Friedrich ab 1981 als Intendant amtierte. Fast zwei Jahrzehnte lang, bis zu Friedrichs Tod im Jahr 2000, konnte das Berliner Publikum so die Ergebnisse einer einzigartigen künstlerischen Symbiose erleben, denn mit ihrer Ausstrahlung und ihrer Fähigkeit, den großen Opernpartien ihres Fachs besondere psychologische Glaubwürdigkeit zu geben, war Armstrong die ideale Künstlerin für das Regietheater ihres Mannes. Qualitäten, die umso stärker hervortraten, weil sich das Repertoire Karan Armstrongs nicht nur auf Strauss und Wagner beschränkte, sondern auch Opern von Komponisten wie Berg, Korngold, Poulenc, Schostakowitsch und Kurt Weill umfasste. Ein Einsatz, der ihr in der Presse den Ehrentitel einer „Diva der Moderne“ einbrachte.

Der Tod ihres Mannes bedeutete für Karan Armstrong zwar eine schmerzliche Zäsur, markierte jedoch glücklicherweise nicht das Ende ihres Bühnenwirkens, das sie immer stärker auch um Lehrtätigkeiten und Initiativen zur Förderung junger Sänger und Sängerinnen erweiterte. Auch an die Deutsche Oper Berlin kehrte Karan Armstrong zurück und hat an der Entwicklung des Hauses immer wieder unterstützend teilgenommen.

Die Deutsche Oper Berlin trauert um eine große Sängerdarstellerin und wird Karan Armstrong ein bleibendes Angedenken bewahren (Kranichfoto). Quelle: Pressestelle Deutsche Oper Berlin

Geburtstagsgeschenke

 

Was schenkt man einem 80-jährigen Jubilar zum runden Geburtstag? Ein Requiem dürfte das unpassendste Geschenk sein, ist das Memento Mori dem Gefeierten doch bereits auf den Fersen und lässt das Geschenk wie einen Wink mit dem Zaunpfahl wirken. So sind die beiden Aufnahmen von Verdis Messa da Requiem, die zum 80.Geburtstag von Julia Varady und Riccardo Muti erschienen sind, eher als Geschenke an ihr jeweiliges Publikum als an die Künstler selbst zu werten und als solche willkommen.

Beide Aufnahmen entstanden kurz nacheinander, die mit der Varady im Jahr 1980 durch den Österreichischen Rundfunk in der Stiftskirche Herzogenburg, die des italienischen Dirigenten ein Jahr später im Herkulessaal der Münchner Residenz, was einen nicht unbedeutenden Vorteil in Bezug auf die Akustik bedeutete. Für Julia Varady war die von 1980 ihre erste Teilnahme an einem Verdi-Requiem, für Riccardo Muti eine inmitten vieler mit wechselnden Orchestern und Solisten, wobei bemerkenswert ist, dass er die Blechbläsergruppe des Orchesters des Bayerischen Rundfunks und den Chor zu späteren Aufführungen in Italien einlud, wo er offensichtlich Gleichwertiges nicht vorgefunden hatte. Leistung von Chor und Orchester sind denn auch auf der Aufnahme so makellos, alle Facetten des Werks zum Klingen bringend, dass man sie für eine durchaus allein seligmachende halten kann. Crescendi und Decrescendi werden vollkommen bruchlos bewältigt, Kontraste scharf herausgearbeitet, allein das Amen eine Glanzleistung. Die Aufnahme ist luxuriös, ohne dass akustisches Schwelgen zum Selbstzweck wird.

Das Solistenquartett aus München ist pure (damalige) Starbesetzung. Wer könnte ein reicheres Timbre mitbringen als Jessye Norman,strahlend in den großen, weit ausschwingenden Bögen, auch im Piano farbenreich und von betörender Klarheit im Libera me, in den Ensembleszenen siegreich über allem schwebend. Wer hatte damals eine schönere Tenorstimme als Jose Carreras, dunkel glühend, geschmeidig im Ingemisco, siegreich im „statuens in parte destra“ und ganz fein im Hostias? Auch am zart schwebenden Agnus Dei hat der Tenor seinen rühmlichen Anteil. Dass das Muti-Requiem sich auch zu den opernhaften Zügen des Stücks bekennt, hat er wie der Dirigent zu verantworten. Einen recht hellen Mezzo brachte Agnes Baltsa nicht recht kontrastierend zur Sopranstimme in die Aufnahme mit, so zum Beispiel im Recordare, und auch das Lacrymosa beginnt ungewöhnlich licht, anders als im leuchtenden Lux aeterna. Die schöne Beschwörung des „dona eis requiem“ lässt tolerieren, dass der Bass von Jewgenij Nesterenko auch dröge und dumpf klingen kann.

Leif Segerstam, damals Generalmusikdirektor des ORF Vienna Radio Symphony Orchestra nimmt die Tempi stellenweise recht behäbig, Der ORF Chor wirkt relativ unausgeglichen, was die einzelnen Stimmgruppen betrifft. Ein großes Plus der Aufnahme ist die bulgarische Mezzosopranistin Alexandrina Milchewa mit leuchtender  Stimme in allen Lagen und auch in mezza voce und Piano, so dass das Recordare zu einem wundervollen Wechselspiel der beiden Frauenstimmen wird. Das Material von Nicola Ghiuselev besticht durch nachtdunkle Schwärze, leider nimmt sich der Bassist nicht zurück, wenn es angebracht wäre wie im Lacrymosa, anders im feinen „salva me“. Krähend hell wirft sich Alberto Cupido in seine Aufgabe, ein guter, sehr anständiger, aber kein Ausnahmesänger mit junger, angenehmer Stimme, die sich im Hostias erst allmählich befreien kann. Mit unglaublicher Intensität, die immer ihr Markenzeichen war, wirft sich Julia Varady in ihre Aufgabe, mit leuchtender Höhe, perfektem Legato, makellos schön über allem schwebend, so im Domine Jesu Christe. Ihr Libera me führt den Hörer über den reinen Kunstgenuss hinaus in überirdische Gefilde (Muti: RMM/ BR 900199; Varady: Orfeo 210232). Ingrid Wanja

Riccardo Muti zum 80.

 

Nun ist es endlich geschafft, der Geburtstag, am 28.7. 2021 gefeiert, ist vorbei, nachdem wochenlang zuvor vom letzten Regenbogenblättchen bis zum seriösen Corriere della Sera die italienische Presse und wohl nicht nur diese Riccardo Muti, der auf die 80 wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren schien, immer wieder die magische Zahl und die mit ihr verbundenen, nicht immer positiven Gedanken hatte wiederholen lassen. Geblieben ist, ebenfalls vom Corriere zu verantworten, die Autobiographie des Dirigenten mit dem Titel Prima la musica, poi le parole poi le parole, die man zusammen mit der Zeitung kaufen konnte und, wenn man Glück hat, sogar noch jetzt versteckt unter Krimis und Liebesromanen, erwerben kann.  Wer wegen des bekannten Zitats eine kämpferische Auseinandersetzung mit moderner Regie erwartet, wird enttäuscht, es geht darum, dass der Maestro, nachdem er Jahrzehnte lang Musik zu Gehör brachte, nun das Wort ergreift, um seine Erinnerungen mitzuteilen, seine Ziele, die er sich durchaus noch gesteckt hat, und optimistisch stimmt auch, dass die Rückseite des Buches ein Foto ziert, auf dem der Maestro nicht das Dirigentenpult verlässt und seinem camerino und dem Rentnerdasein zustrebt, sondern den umgekehrten Weg und damit zu weiterem musikalischem Schaffen geht.

Das Buch wurde mit Hilfe von Marco Grondona geschrieben, die Einführung stammt von Luciano Fontana. Dieser schaut auf die jüngste Vergangenheit, die der dank Corona verpassten Gelegenheiten besonders in den USA, speziell Chicago, aber auch auf den Neubeginn, der für Riccardo Muti  in Wien mit dem Neujahrskonzert, im heimischen Ravenna mit seinem Orchestra Luigi Cherubini, dem Bellini-Festival auf Sizilien und, seit 1970 in Vorbereitung, mit der Missa solemnis in Salzburg besteht.

Wer den Maestro nur als strengen bis abweisenden Künstler kennt, als den er sich auch selbstkritisch und es mit Zurückhaltung erklärend sieht, der wird sich wundern, wie viel Humor in dem Buch verborgen ist, daneben aber auch die bewusste Zurschaustellung einer weitumfassenden humanistischen Bildung, die den deutschen Leser auf Nietzsche, Goethe, aber auch die Letzten Briefe aus Stalingrad stoßen lässt. Und nicht zuletzt die Verehrung für Friedrich II. von Hohenstaufen ließ ihn  ein Grundstück zu Füßen von Castel del Monte in Puglia, wo er aufwuchs, erwerben. Geboren allerdings wurde Muti in Neapel, wo seine Mutter jeweils zur Entbindung auch mitten im Krieg reiste, damit die Kinder einen prominenten Geburtsort vorweisen konnten.

Der Leser wird nicht nur durch die Bildungsstätten geführt, die der junge Muti durchlief, erfährt etwas über den Violinisten, Pianisten und schließlich natürlich Dirigenten, auch die Schlachtfelder des Dirigenten, auf denen er meistens als Sieger zurücklieb, werden besucht: der Kampf um die Entvulgarisierung der Veristen, die eitlen Wünsche von Tenören wie Tucker, der unbedingt La commedia è finita singen musste, die nicht komponierten, aber so gern zur Schau gestellten hohen Cs oder Do di petto. Aber auch mancher Bariton ist nicht frei von Eitelkeiten, ein Sopran wie Leila Gencer sehr kämpferisch, und den Bruch mit der Scala, wohl nie ganz verwunden, sieht Muti bereits mit der Traviata ohne Orchester, aber ihm am Klavier sich abzeichnen. Ansonsten bleibt das Buch bei diesem Thema recht wortkarg.

Wichtige Persönlichkeiten für das künstlerische Reifen des jungen Dirigenten werden portraitiert, so Nino Rota, Antonino Votto, Swjatoslav Richter, Vittorio Gui und viele andere, die in einem der letzten Kapitel noch außerhalb der Chronologie gewürdigt werden. Ab 1968 ist Muti direttore stabile in Florenz, setzt sich für Spontini ein, dessen Agnese di Hohenstaufen er gern einmal in deutscher Sprache aufführen würde!  Viele unvergessliche Produktionen entstehen mit ihm und Ronconi als Regisseur, Pizzi als Ausstatter. Ab 1971 (Don Paquale auf Vorschlag von Karajan) dirigiert er in Salzburg, seit 1972 in London, die ersten rapporti delicati mit der Regie gibt es in Paris mit einem französisch-italienischen Misch-Trovatore und in Salzburg mit einem Tito.

Das Buch beschränkt sich nicht auf eine Lebens- und Karrierebeschreibung, sondern schneidet viele wichtige Themen an wie den Vergleich des Orchesterklangs zwischen italienischen und deutschen Gruppen, die besonderen Klangvorstellungen, Rossini oder Verdi betreffend, in Philadelphia das ausschließlich weiße Publikum, die Absenkung des Diaposon für Otello, die Vorzüge des in der Scala ausgebuhten Don Carlo von Pavarotti mit der berüchtigten stecca, eine von Humor geprägte Begegnung mit Königin Elizabeth. Man kann einfach nicht aufhören zu lesen, weil immer wieder neue, interessante Fragen angeschnitten werden wie die Überführung von Richard Strauss durch einen neapolitanischen Musiker, der meinte, es gebe überhaupt keine spiaggia a Sorrento und damit sei dessen so genanntes Stück aus den italienischen Bildern einfach Quatsch.

Das neunte Kapitel schließlich widmet sich den Persönlichkeiten, die auf den jungen oder auch reifen Maestro besonderen Eindruck gemacht haben: Papst Benedikt, für dessen Laudate Dio con Arte er  das Vorwort schrieb, Callas, der er die Lady Macbeth anbot und die meinte È tardi, Cesare Siepi, Christa Ludwig, Di Stefano, der wenigstens La cena è pronta für ihn sang. Im umfangreichen Bildteil am Schluss ist auch eine Danksagung von Carl Orff für die Aufführung der Carmina in Berlin, die er eine zweite Uraufführung nennt, zu sehen.

Wichtig für Muti ist offensichtlich nicht  nur, was er aufführt, sondern wo er es  zu Gehör bringt. So sind die nach dem jedes Jahr nach dem Festival in Ravenna stattfindenden Viaggi dell’Amiciza, immer in eine città martiri führend, ein besonderes Anliegen so wie auch Aufführungen an besonderen Orten wie dem Mailänder Gefängnis. Nie die Kammermusik aus den Augen und Ohren verlieren und eine ethische Haltung zum Beruf des Musikers einnehmen, das soll die Botschaft neben vielen Konzerten und Aufführungen sein, die Riccardo Muti in den nächsten Jahren, und das Vorwort kokettierte mit 120 erreichbaren, verbreiten will (2020 Seiten plus umfangreicher Fototeil; Corriere della Sera Storie 2021; ISSN 2038 0844). Ingrid Wanja   

Und noch ein Lorbeerbusch

 

Von den Fux-Fespielen im Rahmen der styriarte 2019 stammt der Mitschnitt von Johann Joseph Fux’ Dafne in lauro, den ARCANA auf zwei CDs veröffentlicht (A 488). Das Componimento per camera wurde 1714 anlässlich der Geburtstagsfeier von Kaiser Karl VI. in Wien uraufgeführt Es handelt von der Göttin der Jagd Diana und ihrer keuschen Nymphe Dafne, die vom Liebesgott Apoll bedrängt wird und ihre Unschuld rettet, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelt.

Im Werk spielen Tänze und galante Tanzrhythmen eine zentrale Rolle – das von Kaiser Karl VI. neu installierte Wiener Hofballett hatte entsprechend lukrative Aufgaben. Auch für die Solisten hat Fux tanzartige Soli geschrieben – Giguen, Menuette, Bourréen, Sarabanden…

Das Ensemble Zefiro, das unter Leitung von Alfredo Bernardini musiziert, bringt den Schwung und die Lebendigkeit der Musik zu starker Wirkung. In der Uraufführung wirkten zwei Kastraten mit – der Altus Gaetano Orsini, bereits 47 Jahre alt, sang den Apollo, der Sopranist Giovannino Vincenzi, erst 16jährig, den Amore. In der Aufnahme aus Graz ist der renommierte Countertenor Raffaele Pe als Apollo zu hören und setzt sich mit seinem ausgewogenen Gesang souverän an die Spitze der Besetzung. Gleich in seinem Auftritt, der Gleichnis-Arie „Lusingato dai fiori del prato“, lässt er betörende Koloraturen und souverän bewältigte Spitzennoten hören. Bei „Ferma, o cara“ überzeugt er mit reichem Gefühlsspektrum. Ihm gehört auch das letzte Solo des Werkes mit „Questa fronda“, das nach Dafnes bewegendem Abschied vom Leben wieder eine heitere Stimmung einbringt. Der Amore ist mit der Sopranistin Sonia Tedla besetzt, die in der ersten Arie, „Non v’è cor“, mit lebhafter Stimmführung gefällt. Später kann sie in „Io so con cento frodi“ gleichfalls mit agilem Vortrag aufwarten.

Auch die beiden Protagonistinnen sind Soprane. Monica Piccinini singt die Diana. In ihrer Auftrittsarie „Perde il tempo“ lässt sie einen larmoyanten Klang hören, in der nachfolgenden, „Sappia il monte“, kann sie zwar energisch auftrumpfen, verliert aber nicht den weinerlichen Duktus.

Die Titelrolle ist mit Arianna Vendittelli besetzt. Ihr erstes Solo, „Io so che tanto piace“, ist von munterem Charakter, was die Interpretin mit koketter Tongebung umsetzt. In „Serba il tuo cor“ kann sie ihr stimmliches Potential noch nachdrücklicher beweisen. Mit Diana beendet sie die 1. CD mit dem Duett „Non v’è pace“, in welchem sich beider Stimmen harmonisch verblenden. Bemerkenswert ist ihre schmerzliche Arie „Lascio d’esser Ninfa“ vor der Verwandlung in den Lorbeer – ein ausgedehntes, getragenes Lamento, das die Sängerin mit tiefer Empfindung ausbreitet.

Die tiefste Stimme ist der Tenor Valerio Contaldo als Mercurio, der nach den vielen Sopranstimmen für eine angenehme Abwechslung  sorgt, auch wenn sein Gesang etwas grob klingt. In seiner Gleichnis-Arie vom Schiff im Sturm („A l’or ch’è più agitato“) trumpft er mit resoluter Energie auf – die Musik dieser Nummer entspricht seiner Stimme besonders. Am Ende preist der Chor „Bei Lauri“die Schönheit des Lorbeers und Kaiser Karl, den er schmücken soll. Bernd Hoppe

Michel Corboz

 
Meine ersten Gehversuche im Barocken fanden aufgrund der wunderbaren LPs bei Erato statt, darunter war der Monteverdische Orfeo unter Michel Corboz einer der prägendsten Eindrücke, wegen Corboz, aber auch wegen Eric Tappy, dem ich hier erstmals und später in persona oft begegnete. Diese elegant gestalteten, luxuriös ausgestatteten LPs von Erato waren ein Schatz, den ich mir als Student eigentlich nicht leisten konnte, derentwegen ich aber auf Kino und Kneipe verzichtete. Michel Corboz, den ich dann auch live einige Male erlebte, gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der französischen Barockmusik, für Monteverdi setzte er deutliche Marksteine (die Sammlung Selva morale,. Marienvesper und Madrigale), und sein Wirken hat mich und viele andere bereichert. Sein Tod hinterlässt eine weitere Lücke, nicht nur eine in meinem Musikleben. r.i.p. G. H.
Im Folgenden eine kurze Würdigung aus dem unverzichtbaren Wikipedia: Michel Corboz (* 14. Februar 1934 in Marsens, Kanton Freiburg; † 2. September 2021[1] in Glion sur Montreux) war ein berühmter Schweizer Dirigent und Komponist.´ Er besuchte zuerst in Freiburg (Schweiz) das Lehrerseminar bei Pierre Kaelin und studierte dann am dortigen Konservatorium KF Gesang bei Juliette Bise und Musiktheorie bei Aloÿs Fornerod sowie am Institut Ribaupierre in Lausanne Komposition bei Pierre Chatton. 1961 gründete er das Ensemble vocal et instrumental de Lausanne, dessen Leiter er auch war und mit welchem er zahlreiche Konzerte im In- und Ausland gegeben sowie Plattenaufnahmen gemacht hat. Als Dirigent dieser Formation gelang ihm mit Einspielungen der Marienvesper und des Orfeo von Claudio Monteverdi 1965 und 1966 der internationale Durchbruch. Ab 1969 leitete er zusätzlich als Chefdirigent den Chor des Gulbenkian-Orchesters in Lissabon. Von 1976 bis 2004 lehrte er Chorleitung am Genfer Konservatorium.

Sein Repertoire reichte von Bach, Mozart, Schubert, Mendelssohn, Brahms über Verdi, Puccini, Fauré, Duruflé bis zu Frank Martin und Arthur Honegger. Mit seinen Ensembles in Lausanne und Lissabon, die er bis 2019 leitete, hinterließ Corboz über 100 Einspielungen, vor allem auf dem Label Erato. Im Juni 2021 gab er ein Abschiedskonzert in Genf. Er starb am 2. September 2021. (Quelle Wikipedia/ Foto Magical Journey)

Norman Bailey

 

Der britische Bassbariton Norman Bailey, der später auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, wurde am 23. März 1933 in Birmingham, England, geboren. Über Umwege (Buchprüfer und Katholische Theologie) kam er zur Musik, was sich in einem Gesangsstudium an der südafrikanischen Rhodes University, Grahamstown, zum Ausdruck brachte. Seine Studien vervollständigte er in Wien, wo auch sein Operndebüt im Schloss Schönbrunn erfolgte (1959). Von 1960 bis 1963 war er am Landestheater in Linz tätig, wo sich bereits ein breites Repertoire von Beethoven (Don Pizarro) über Verdi (Luna, Rigoletto, Renato) und Puccini (Scarpia) bis zu den ersten Wagner-Rollen (Holländer, Heerrufer, Klingsor) abzeichnete. Über einen kurzen Abstecher nach Wuppertal gelangte Bailey an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, wo er zwischen 1964 und 1967 Mitglied des Ensembles war. Die Debüts in den für ihn später so bedeutenden Rollen des Wotan und des Hans Sachs erfolgten ebenfalls noch in Deutschland, bevor er 1967 in sein Geburtsland zurückkehrte und sich an der Londoner Sadler’s Wells Opera verdingte. 1969 machte er sein Debüt am Royal Opera House, Covent Garden, als Sachs-Einspringer. In den Jahren danach gelang ihm der große internationale Durchbruch mit Gastspielen in Hamburg, München, Brüssel, Mailand und New York (City Opera sowie Metropolitan Opera). Mitschnitte insbesondere der Sadler’s Wells Opera (ab 1972 English National Opera genannt) begründeten Baileys Ruhm auf Schallplatte, zuvörderst die englischsprachigen Meistersinger (1968) sowie der Ring (1970-1977) unter Reginald Goodall. In den Jahren 1969 und 1970 verkörperte er dann den Hans Sachs auch bei den Bayreuther Festspielen, bei welchen er 1970 auch als Gunther in der Götterdämmerung und 1971 noch als Amfortas im Parsifal auftrat. 1975 kam es zur Schallplatten-Einspielung der Meistersinger unter Sir Georg Solti mit den Wiener Philharmonikern für Decca. Unter Solti spielte Bailey im Jahr darauf auch die Titelrolle des Fliegenden Holländers mit dem Chicago Symphony Orchestra für dasselbe Label ein. Obschon Baileys Schallplatten-Karriere damit bereits ihren Zenit erreicht hatte, blieb er bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends als Sänger besonders im Opernfach vielbeschäftigt. Erst 1996 erfolgte sein Debüt beim Glyndebourne Festival als Schigolch in Bergs Lulu und noch 2008 sang er den Sarastro in Rexburg, Idaho. Bereits als noch aktiver Sänger nahm er eine Lehrtätigkeit an der Royal Academy of Music in London auf. Bei der BBC trat er im Fernsehen sowieso im Rundfunk beinahe hundertmal in Aufführungen und Interviews in Erscheinung. Vielfach ausgezeichnet (1977 Commander of the Order of the British Empire, 1977 Sir Charles Santley Award, 1985 Ehrenmitglied der Royal Academy of Music, 1986 Ehrendoktorat der Rhodes University, 2020 Sir Reginald Goodall Memorial Award), verlebte Norman Bailey seinen Lebensabend in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo er sich in Idaho niederließ. In seiner ersten Ehe war er zwischen 1957 und 1983 (Scheidung) mit Doreen Simpson verheiratet, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte. 1985 heiratete er in zweiter Ehe die amerikanische Sopranistin Kristine Ciesinski, die 2018 bei einem Segelflugunfall ums Leben kam. Norman Bailey verstarb am 15. September 2021 im Alter von 88 Jahren in Rexburg, Idaho, USA (Foto Saga). Daniel Hauser

Wiederfinden auf wüster Insel

 

Die Einspielung von Joseph Haydns L’isola disabitata bei Philips im Rahmen von deren Haydn-Edition stammt aus dem Jahre 1977 (und nicht zu vergessen die hervorragende Aufnahme unter David Golup bei Arabesque) – Zeit also für eine Neuaufnahme, die nun PENTATONE auf CD vorlegt (PTC 5186 275). Am Pult der Akademie für Alte Musik steht Bernhard Forck, der viele Jahre unter Renè Jacobs als Konzertmeister musiziert hat und seine langjährigen Erfahrungen mit Gewinn einbringt. Die muntere Musik der 1779 uraufgeführten Azione teatrale auf ein Libretto von Pietro Metastasio erklingt unter seiner animierenden Leitung mit Anmut und Verve.

Die Handlung berichtet von den Schwestern Costanza und Silvia, die durch einen Seesturm auf eine Insel im Atlantik  verschlagen werden. Costanzas Ehemann Gernando, der dreizehn Jahre in der Sklaverei lebte, und dessen Begleiter Enrico finden sie nach langer Suche und am Ende besingen alle in einem Quartett den glücklichen Tag des Wiederfindens. Es ist dies die längste Nummer der Komposition und nimmt das berühmte Quartett aus Mozarts Entführung vorweg.

Die Partie der Costanza nimmt die deutsche Sopranistin Anett Fritsch wahr, deren Stimme schon in ihrer ersten Arie, „Se non piange“, mit  Leuchtkraft und Wärme gefällt. Die zweite, „Ah, che in van per me“, verlangt mozartsche Gesangskultur, und die Solistin wird diesem Anspruch überlegen gerecht.

Mit der Silvia wollte Haydn eine besonders anspruchsvolle Rolle schaffen, wurde sie bei der Uraufführung doch von seiner Geliebten Luigia Polzelli gesungen. In der Aufnahme ist Sunhae Im, eine langjährige Solistin in den Produktionen von René Jacobs, zu hören. Ihre neckische Stimme bedient das Fach der Soubrette, wie in ihrer reizenden Arie „Fra un dolce deliro“ zu hören ist. Das zweite Solo, „Come il vapor“, ist von virtuosem Zuschnitt, was die Sängerin souverän meistert.

Der Tenor Krystian Adam singt den Gernando mit klangvoller Lyrik, der Bariton André Morsch den Enrico, der seine Arie „Chi nel cammin d’onore“ mit angenehmem Timbre und Humor absolviert. Bernd Hoppe

Auf der Himmelsleiter

 

Was kann einen biederen Opernfreund an einem Buch interessieren, das das Modewort Gender mehr als einmal zitiert, das in einer Reihe stehen will mit Werken, in denen „der Blick auf die kulturelle Konstruktion von Geschlecht“ gerichtet ist? Nun, in Band 18 einer langen Reihe mit dem Titel Musik-KulturGender taucht immerhin ein Paare in Kunst und Wissenschaft auf, und die Namen Giuseppe Verdi und Giuseppina Strepponi, Robert und Clara Schumann, Hermine und Eugen d’Albert sowie Galina Wischnewskaja und Mstislav Rostropowitsch lassen Interessierendes vermuten. Die Autoren sind mit einer Ausnahme weiblichen Geschlechts, ebenso die beiden Herausgeberinnen Christine Fornoff-Petrowski und Melanie Unseld, die auch das Vorwort verfasst haben. Der feministische Akzent macht sich bereits in diesem bemerkbar, indem auch den Film The Wife verwiesen wird, in dem eine begabte Gattin die Werke verfasst, für die der Gemahl den Nobel-Preis einheimst, und sogar in der profanen Welt des Schlagers soll es ähnliche Konstruktionen geben, wie das Paar Fischer-Silbereisen beweist. „Geschlechtsbezogene Handlungsspielräume“ sind demnach Mann und Frau zugewiesen oder zumindest zugeordnet gewesen.

Das hatte übrigens bereits der Dichter Jean Paul erkannt, wenn er meinte :“ Die guten Weiber müssen immer die Himmelsleiter tragen und halten, auf der die Männer ins Himmelblau und in die Abendröte steigen.“

Das Buch gliedert sich in vier Teile mit jeweils drei bis fünf Kapiteln, den Themen Schreiben über Paare, Schreiben als Paare, Selbstinszenierung und Konstellationen, Familien, Netzwerke gewidmet.

Das Thema „Paare“ wird bereits im ersten Kapitel von Beatrix Borchard über weite Strecken verlassen, indem nicht die Beziehung Clara Wiecks zu ihrem Gatten im Mittelpunkt steht, sondern die zu ihrem Vater und ihren zahlreichen Halbgeschwistern und Geschwistern, Neffen und Nichten.

Christine Fischer äußert sich über Verdi und Strepponi, und der Leser erfährt zu seiner großen Überraschung, dass die Sängerin nicht nur ihre Kinder aus frühen Beziehungen, sondern auch eins, dass während ihres Zusammenlebens mit Verdi geboren wurde, weggab. Da bricht jäh das Bild vom Komponisten zusammen, der angeblich so wunderbare Vaterfiguren wie Padre Miller, Simone Boccanegra und sogar Padre Gemont schuf, weil er sich selbst heiß, aber vergeblich wieder Kinder wünschte, nachdem die aus erster Ehe verstorben waren. Interessant ist die Erörterung der Frage, inwieweit Giuseppina mit Violetta gleichzusetzen ist, sind auch die Hinweise auf das Mitwirken an Jerusalem oder die Stellung zum Risorgimento, wobei die Zweifel berechtigt sind, dass die vielen dem Tod geweihten Heldinnen Verdis symbolisch für die geknechtete Nation stehen.

Wie heikel die Quellenlage gerade bei diesem Thema ist, zeigt sich im Beitrag Henrike Rosts über das Paar Ignaz und Charlotte Moscheles, er Pianist und Komponist, sie liebende Gattin, die den Künstler gegen die störende Außenwelt abschirmte, ihm so unentbehrlich war, wie er für sie. Stammbucheintragungen und Tagebücher wie Memoiren dürften eines hohen Maßes an Subjektivität nicht entbehren.

Hannah Gerlach schreibt über das Verhältnis Goethe- Frau von Stein und stellt fest, dass letztere in einem ihrer literarischen Werke wohl nicht, wie oft vermutet, die gescheiterte Beziehung aufarbeitete, es sich beim erwähnten Werk nicht um einen Schlüsseltext handelt.

Tagebücher stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen von Vera Viehöver, die „Bi-Textualität“ mit all ihren Problemen wird erörtert, Mendelssohn und Cosima Wagner spielen eine Rolle, generell sollen die Paar-Tagebücher eine Wir-Identität schaffen oder befestigen.

Zunehmend geht es weniger um Musiker-Ehepaare als um Elterntagebücher zu Beginn des 20.Jahrhunderts, um Ehe- und Feldforschung generell, um das Phänomen der romantischen Liebe, die „violent emotional attachments“.

Zur Musik zurückkehrt der Beitrag von Fornoff-Petrowski über d’Albert und seine dritte von sechs Ehefrauen und deren Ehetagebücher als Spiegelbild einer Partnerschaft,in der es vor allem um den Kampf d’Alberts um die Anerkennung nicht nur als Pianist, sondern als Komponist ging. Obwohl selbst Künstlerin, sieht sich Hermine d’Albert hier nur als Gefährtin und Unterstützerin eines Genies.

Auch in Anna Zimmermanns Beitrag erscheinen Frauen als die schleppetragenden Musen, Männer als die Genies, und „heterosexuelle Zumutungen“ beschweren zusätzlich die Gemüter. Der Opernfreund wird wieder aufmerksamer, wenn er zum Kapitel über Wischnewskaja-Rostropowitsch gelangt, in dem Anna Langenbruch übermittelt, dass in der SU, der das Paar 1974 den Rücken kehrte, im realen Leben die Lüge regierte, nur auf dem Theater der Künstler sein wahres Gesicht zu zeigen wagte. Sehr aufschlussreich ist das Bekenntnis, dass das Paar die jeweilige Kunst aus der Beziehung weitgehend heraushielt, künstlerische Konflikte nicht sprachlich bei den Proben, sondern erst während der Aufführung ausgetragen und gelöst wurden.  Das macht Lust, die Memoiren der Sängerin zu lesen. Interessant ist auch die Analyse der Kompositionen, die Marcel Landowski über das Paar schuf.

Der vierte und letzte große Block befasst sich mit zwei Musikerinnen, die in ihrer Jugend musikalisch tätig waren ( Margarethe Quidde und Aline Valangin) und die ihre Karriere aufgaben. Dann geht es um die Figur des Dritten in der Beziehung Abramovic-Ulay, um Geigenausbildung als Familiensache anhand der Hellmesbergers und schließlich um Familiennetzwerke, und je konkreter und damit nachvollziehbarer das Dargestellte ist, desto williger folgt auch der operninteressierte Leser den jeweiligen Ausführungen (328 Seiten, 2021 Böhlau Verlag; ISBN 978 3 412 51948 3). Ingrid Wanja        

Andalusisches

 

1904 schrieb die Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid einen Preis für den besten spanischen Operneinakter aus. Gewonnen hat ihn, ebenso wie den gleichzeitige Klavierwettbewerb, im folgenden Jahr der 29jährige Manuel de Falla mit La vida breve (Das kurze Leben). Man darf das als die Geburtsstunde der spanischen Oper ansehen, obwohl man in Spanien noch fast zehn Jahre warten mussten, bis das etwa einstündige Stück 1914 in Madrid aufgeführt wurde. 1907 ging de Falla nach Paris („Gäbe es Paris nicht, so wäre ich in Madrid begraben geblieben“), wo er in den kommenden sieben Jahren durch die Begegnungen mit Debussy und Ravel, Dukas und Strawinsky und seinen Landsleuten Albéniz und Turina seinen Stil erweiterte, verfeinerte und bereicherte. In Frankreich, in Nizza, wurde La vida breve 1913 auch erstmals – in französischer Sprache – aufgeführt. Den Weg des 1876 in Cádiz geborenen Manuel de Falla, der über Paris und nach Beginn des ersten Weltkrieges wieder zurück in seine Heimat und bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1939 schließlich in die Emigration nach Argentinien führte, lässt sich auf einer fünf CDs umfassenden Sammlung seiner Werke, der Manuel de Falla Collection (Brillant Classics 96353) nachvollziehen.

Neben La vida breve von 1905 finden sich in der Collection die 1912 in Paris entstandenen, fest im internationalen Lied-Repertoire verankerten Siete Canciones Populares Españolas sowie seine drei nach der Rückkehr nach Spanien vollendeten Hauptwerke – die Gitanería El amor brujo (Der Liebeszauber) von 1915, die er später zu einem Ballett mit Gesang umarbeitete, das bereits in Paris begonnene Klavierkonzert Noches En Los Jardines de Espana (Nächte in spanischen Gärten) von 1916 und schließlich das Ballett El sombrero de tres picos (Der Dreispitz). 1920 ließ sich de Falla mit seiner Schwester in Granada nieder, schloss enge Freundschaft mit dem Dichter Federico García Lorca und bemühte sich gemeinsam mit diesem aus der Rückbesinnung auf spanische Traditionen, etwa durch die Förderung des andalusischen Gesangs Cante jondo, etwas Neues zu schaffen. Manche der ab 1920 entstandenen Kompositionen wirken wie aus einer anderen Welt, etwa seine Puppenoper nach Cervantes von 1923 El retablo de maese Pedro (Meister Pedros Puppenspiel), in der er dem Cembalo große Bedeutung schenkte und in der Folge sein Cembalokonzert komponierte (CD 3). Seine bereits Ende der 1920er Jahre begonnene Oper Atlantida war bei seinem Tod 1946 nicht vollendet; sie wurde von seinem Schüler Ernesto Halffter fertiggestellt.

Uns interessieren vor allem La vida breve, El Amor brujo und das Puppenspiel, alle 1993/94 von Eduardo Mato dirigiert und in Caracas mit dem Simon Bolivar Symphony Orchestra of Venezuela bzw. in Mexico City mit den Solistas de Mexico entstanden. Die Aufnahme des Klavierkonzerts stammt aus Berlin (CD 4), wo Günther Herbig 1981 das Berliner Sinfonieorchester dirigierte und seine Frau Jutta Czaski den Klavierpart übernahm. Die Klavierfassung des Dreispitz (CD 4) sowie die weiteren Klavierwerke (CD 5) wurde Anfang der 2000-er Jahren in den Niederlanden aufgenommen, wo u.a. Benita Meshulan die Cuatro Piezas Españolas sowie Timora Rosler und Klára Würtz die Suite Populaire Espagñole für Cello und Klavier aufnahmen. Der 1942 geborene Mexikaner Eduardo Mata, der 1995 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückte, kam Anfang der 1970er Jahre nach Europa, arbeitete häufig mit dem London Symphony Orchestra, brachte 1977 bis 1993 als Chefdirigent das Dallas Symphony Orchestra groß heraus und machte sich einen Namen durch zahlreiche Aufnahmen von Werken brasilianischer, französischer, mexikanischer und spanischer Komponisten.

Hauptfigur in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Granada spielenden Das kurze Leben (CD 2) ist Salud, die in Paco verliebt ist. Doch Paco wird ein reiches Mädchen aus seiner Schicht heiraten, da die Gitana Salud als Braut nicht in Frage kommt. Bei Pacos Hochzeit mit Carmela klagt Salud ihn an, sie verführt zu haben. Und bricht tot zusammen. Das klingt nach Cavalleria rusticana, doch bei de Falla ist alles recht dezent und nobel aus der andalusischen Musik entwickelt, nicht veristisch derb, sondern quasi stilisiert. Mata fängt in seiner klangtechnisch ausgezeichneten Aufnahme das feine Fluidum der Musik und die subtile Ausdruckskraft der in Kunstmusik verwandelten spanischen Folklore gut ein. „Star“ der Aufnahme ist die Kolumbianerin Marta Senn, die in den 1980 und 90er Jahren eine kleine internationale Karriere hatte und u.a. die Lola auf Semyon Bychkovs Cavalleria Rusticana-Aufnahme mit Jesse Norman sang. Senns trockener Mezzosopran klingt recht reizlos, was in diesem aparten Klangbild mit den heißeren Gesängen des Flamenco-Solisten (als weitere Solsiten sind der Mexikaner Fernando de La Mora als Paco und die Peruanerin Cecilia Angell als Großmutter genannt) und den chorischen Vokalisen im sinfonischen Zwischenspiel überhaupt nicht stört.  Auch der auf ein Libretto von Gregorio Martinez Sierra geschriebene Tanz-Einakter El Amor Brujo spielt in Granada, in einem Zigeunerlager, wo der Geist des toten Liebhabers der schönen Candelas gebannt und seine Macht gebrochen muss. Die Konkurrenz bei diesem Werk ist nicht unerheblich. Mata kann diesmal, trotz schöner Momente im „Danza del Terror“, nicht überzeugen. Mit wüst aufgerautem Mezzosopran übernimmt Marta Senn den Gesangspart in El Amor Brujo (CD 1) und in den Siete Canciones Populares Españolas in der Bearbeitung von Berio, die sie oberflächlich und unsauber singt. Interessant auf der ersten CD sind die verschiedenen Zeitgenossen gewidmeten Homenajas, vor allem die Pedrelliana für Filip Pedrell, bei dem de Falla ab 1901 in Madrid studiert hatte.

Zu den Werken der neoklassizistischen Phase gehören neben dem exquisiten für Wanda Landowska geschriebenen Konzert für Cembalo und fünf Soloinstrumente – quasi ein Gegenstück zu Janáčeks Concertino für Klavier – de Fallas Huldigung an Granada, die Kantate Psyché für Sopran, Flöte, Harfe, Violine, Viola und Violoncello als Rokokotraum von Philipp V. und seiner Gattin Isabella Farnese im Palast der Alhambra; beide runden das Kammerstück Meister Pedros Puppenspiel (CD 3) programmatisch geschickt ab. Die Solistin, die von der schönen Psyche singt, war Julianne Baird, den Cembalopart im Puppenspiel und im Cembalokonzert übernahm der Landowska-Schüler Rafael Puyana. Das von der Mäzenin Princesse Edmond de Polignac, in deren Salon auch Milhauds Malheurs d’ Orphée und Strawinskys Renard uraufgeführt wurden, in Auftrag gegebene, aber erst in Granada fertiggestellte Kammertheater Meister Pedros Puppenspiel ist eine reizvolle Verbindung aus Oper und Puppenspiel. Das Libretto zu diesem knapp halbstündigen „Theater auf dem Theater“ verfasste de Falla nach zwei Kapiteln aus dem Don Quixote, die von dem Ritter Don Gayferos und seiner Geliebten Melisendra handeln. Die Geschichte wird im Rahmen eines Puppenspiels von Meister Pedro und seinem jungen Assistenten Trujamán aufgeführt, dem auch Don Quixote und Sancho Pansa beiwohnen. Das Stück wurde szenisch im Salon der Princesse uraufgeführt, die Landowska hatte den Cembalopart übernommen. In der lebendigen Widergabe durch Mata mit den nicht solistisch genannten Solistas de México – vor allem der Don Quixote-Bariton singt die Cervantes-Huldigung mit schöner Überzeugungskraft – bleibt der experimentelle Charakter des Stückes erhalten.  Rolf Fath

Vorläufer oder Vorlage?

 

Nicht nur Beethoven hatte sich bereits zweimal am Leonorenstoff, dem Preisen der ehelichen Liebe, abgearbeitet, ehe er mit Fidelio die endgültige Fassung komponierte, viele andere Komponisten hatten sich „der Episode aus der Zeitgeschichte“ von Jean Nicolas Bouilly, nämlich der Terrorherrschaft, des terreur der Jakobiner, angenommen und sogenannte Rettungsopern komponiert. Zu ihnen gehören Pierre Gavenaux und Simon Mayr, aber auch der Italiener Ferdinando Paër mit seiner Leonora. Den Grundstein für die Gattung allerdings hatte Cherubini mit seiner Lodoiska gelegt, die Riccardo Muti, bekannt für seine Vorliebe für den Komponisten, bei den Festspielen in Ravenna vorgestellt hatte. Paërs Leonora wurde 2020 (!) bei den Innsbrucker Festwochen aufgeführt, und die Produktion sollte auch in Bonn und Schwetzingen aufgeführt werden, wo sie allerdings ein Opfer der Corona-Pandemie wurde. Jetzt gibt es eine CD aus Innsbruck unter Alessandro De Marchi, und diese erweist sich nicht nur als hörenswert, sondern auch insofern als interessant, als sie zeigt, dass das Hauptmanko von Beethovens Fidelio, das Zerfallen des Zweiakters in einen Akt Singspiel und einen Drama, durchaus vermeidbar war.

Das Personal beider Opern ist identisch, allerdings sind die Stimmfächer anders verteilt, so ist Pizzarro bei Paër ein Tenor, Giacchino ein Bass. Die Rolle der Marcellina ist eine weitaus bedeutendere als bei Beethoven, sie hat eine weitere Arie und greift entschieden in die Handlung ein, indem sie auf das Geheiß Leonoras, die sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch für einen Fedele hält, den Minister in den Kerker holt. Dafür wird sie bei Paer aber auch mit einem erneuten Heiratsantrag Giacchinos belohnt. Der Charakter Roccos fällt ähnlich aus  wie im Fidelio, er ist gutmütig, dreht das Geschick der Liebenden jedoch ins fast Aussichtslose, indem er Leonora die Pistole, die sie auf Pizarro richtet, aus der Hand schlägt.

Das scheinen alles unwichtige Unterschiede zwischen beiden Werken zu sein, wäre da nicht der ganz entscheidende, dass es bei Paër keinen Chor gibt, weder Gefangene noch Befreite und Lobpreisende, und so bleibt das Werk  eines über ein individuelles Schicksal und nicht ein die gesamte Menschheit betreffendes. Und eigentlich müsste im Untertitel nicht nur die eheliche Liebe gepriesen werden, sondern die der Frauen generell, den Marcellinas Tat ist fast ebenso mutig wie die Leonoras.

Insgesamt ist die Oper Paërs leichtgewichtiger und, obwohl  dem Fidelio zeitlich benachbart, vielmehr der Tradition verhaftet. Die Arie der Leonora ist reich an Verzierungen, an Koloraturen, die nicht immer in die Situation eingebunden, sondern oft reiner Zierrat zu sein scheinen. Die Partie ist viel lyrischer als die der deutschen Leonore, eine sehr mädchenhafte, liebliche  Sopranstimme, die von Eleonora Belocci ließe niemanden auch nur einen Knaben in der Figur vermuten, „Abscheulicher“ ist längst nicht so facettenreich wie bei Beethoven, sondern viel stärker älteren Formen und Konventionen verpflichtet. Auch der Florestano ist für eine leichtere Stimme, einen lyrischen Tenor, komponiert, „Gott, welch Dunkel hier“ („Ciel,che profonda oscurità“) ist weit weniger spektakulär, das Orchester begleitet eher tröstlich als düster, auch diese Arie ist reich an Verzierungen, die der tüchtige Tenor Paolo Fanale geschickt als Ausdrucksmittel nutzt. Wenn schon Tenor, dass hätte man sich den Pizarro als schneidenden Charaktertenor vorgestellt, so aber klingt Carlo Allemano eher baritonal, und auch der Giacchino von Luigi De Donato klingt nicht rollengerecht, sondern eher väterlich als ein Liebhaber. Das heißt nicht, dass nicht beide Sänger ihre Sache gut machen, vielleicht nur zu sehr den Hörgewohnheiten widersprechen, als dass sie so recht gefallen könnten. Buffoneske Züge weist der Bass von Renato Girolami auf, eine frische, quellklare Mädchenstimme hat Marie Lys für die Marcellina, die notwendige Autorität für den Retter Don Fernando hat Kresimir Spicers Tenor. Wer wäre berufener als das Innsbrucker Festwochenorchester unter seinem Dirigenten Alessandro De Marchi, der Partitur zu optimaler Wirkung zu verhelfen?! Schön, dass es diese Oper, übrigens auf der Grundlage der historisch-kritischen Ausgabe von Christian Seidenberg, nun zum Vergleich mit den anderen Bearbeitungen des Stoffs und in hervorragender Besetzung gibt (2 CD cpo 555 411-2). Ingrid Wanja