Tragisch?

 

„Eine große Liebestragödie von klassischen, archaischen Ausmaßen“ glaubte Hans Werner Henze mit der Oper Das verratene Meer zu komponieren. Tragisch im klassischen Sinn allerdings ist die Geschichte nicht, denn dazu müsste für mindestens eine der Figuren „die unausweichliche Notwendigkeit, so zu handeln, dass etwas Verhängnisvolles passiert“, bestehen.  Der Roman des Japaners Yukio Mishma, auf dem das Libretto von Hans-Ulrich Treichel basiert, ist aber eher eine traurige bis abstoßende Geschichte von einer Jugendgang, die die ältere Generation verachtet und hasst, am Ende des zweiten Akts als Mutprobe einen der Ihren eine Katze erschlagen lässt und am Ende des zweiten und letzten Akts einen Seemann umbringt, weil dieser „das Meer verraten hat“, indem er die verwitwete Mutter eines der Gangmitglieder heiraten und an Land bleiben will. Apart ist die „Zusammenarbeit“ zwischen Romanautor und Komponisten allerdings, denn der Japaner gehörte der ultrarechten Szene in Japan an, nahm an einem Putschversuch teil und beging nach dessen Misslingen Harakiri. Der deutsche Komponist bewahrte in seiner luxuriösen Villa an der Via Appia in Rom das Mitgliedsbuch der KPI auf- politisch gegensätzlicher könnten die beiden nicht zu verorten sein. Gemeinsam war Autor und Musiker lediglich die Homosexualität, vom Japaner allerdings verleugnet, die beim Teenager Noboru anklingt, ehe das Objekt der Begierde sich zum Vater des Jungen erklärt.

Die Musik ist, wie man es von Henze kennt, moderat modern, er selbst meinte:“Diese Musik ist mit Monteverdi und mir im Hades gewesen“. Die Sänger bewegen sich zwischen Sprechgesang bis hin zu Koloraturen, so wenn die Mutter/Witwe/Braut sich ihr zukünftiges Leben vorstellt. Dem Sopran sind weitgehend die Streicher, dem Seemann die Bläser zugeordnet, am reizvollsten ist das Orchesterspiel in den „Verwandlungen“ zwischen den Szenen, in denen das Orchester das Meer zu Wort kommen lässt oder auch den Traum des Noboru, der vor dem Einschlafen die Abendtoilette seiner Mutter durch ein Schrankloch beobachtet hat, darstellt. „Sommer“ und „Winter“ sind die Zeitangaben, die Musik scheint tatsächlich kühler zu werden, vor der letzten, der Mordszene, klingt sie wie ein knatterndes Maschinengewehr.

 Das verratene Meer wurde 1990 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt, kaum nachgespielt, stieß allerdings in Japan auf Interesse, für das Henze, ebenfalls für Salzburg, eine neue Fassung schuf. An der Wiener Staatsoper wurde im Dezember 2020 eine Mischfassung als eine von zwei originären Premieren, alle anderen waren in der vergangen Spielzeit Übernahmen, aufgeführt. Das informationsreiche Booklet geht darauf in vorbildlicher Weise ein. Obwohl wie Madama Butterfly in Yokohama spielend, hat Das verratene Meer nichts mit der Puccini-Oper zu tun, auch wenn Henze wie der Italiener asiatisch klingende Instrumente einsetzt.

Bo Skovhus ist seit langem ein Garant für intensiven erfolgreichen  Einsatz für modernere Opern. Als Seemann Ryuji Rsukazaki besticht er durch beispielhafte Textverständlichkeit seines geradlinigen Baritons. Natürlich älter als die dem Noburu zugestandenen dreizehn Jahre klingt Josh Lovell, dessen schmaler Tenor allerdings angemessen hell für die Partie ist. Dafür ist der Anführer der Jugendbande mit Eric Van Heyningen mit einer ausgesprochen dunklen Stimme begabt, die einen Riesenkontrast zum Countertenor eines anderen Bandenmitglieds darstellt, aber doch ausgesprochen „erwachsen“ klingt. Die einzige weibliche Rolle ist die der Fusako, als die Vera-Lotte Boecker virtuose Koloraturen, aber auch bei der Auseinandersetzung mit dem Sohn ausgesprochen quietschende Töne als Darstellungsmittel hören lässt. Sehr angenehm zu hören sind ihre Sehnsuchtsrufe, weich fließend der Sopran im Bemühen um Schöngesang. Darin wird sie von Simone Young am Dirigentenpult unterstützt, die trotz üppiger Instrumentierung die Sänger nie zudeckt und die in den „Verwandlungen“ zu zaubern versteht (Capriccio C5460). Ingrid Wanja