Die durch die Pandemie bedingte Auftrittspause hat Cecilia Bartoli genutzt, um in ihrem Tonarchiv nach unveröffentlichten Aufnahmen zu suchen. Das Ergebnis ist das Album „Unreleased“, das DECCA nun in ansprechender Aufmachung vorlegt (485 2093). Sämtliche darin enthaltene Titel stammen aus dem schweizerischen Landgasthof Riehen vom November 2013 und werden begleitet vom Kammerorchester Basel unter Leitung von Muhai Tang. Mit Maxim Vengerov ist ein prominenter Instrumentalist vertreten, der die Sängerin in zwei Nummern mit obligater Violinstimme begleitet. Erstere ist die Einlagearie „Non temer, amato bene“ aus Mozarts Idomeneo in der Version von 1786. Für eine private Aufführung der Oper hatte Mozart die Partie des Idamante (bei der Uraufführung in München ein Soprankastrat) für einen Tenor umgeschrieben. Heute ist die Arie wieder mehr von Sopranen und im Konzertsaal zu hören. In Rondò-Form verströmt die Kantilene reiches Gefühl, lieblich umspielt von der Violine. Im Schluss wird der Sängerin große Bravour abverlangt – für La Bartoli ein müheloser Akt. Die zweite Nummer ist die Arie des Aminta „L’amerò, sarò costante“ aus Mozarts Il re pastore. Sie markiert einen Höhepunkt der Programmfolge durch Vengerovs delikates Spiel und Bartolis berührenden Gesang.
Mit der dramatischen Scena und Aria „Ah! perfido“ beginnt die Anthologie, wo die Sängerin mit einer flammenden Interpretation aufwartet. Die Arie in italienischem Stil weist viele Bezüge zur Fidelio-Leonore mit deren großer Arie „Abscheulicher!“ auf. Bartoli wirft sich mit Verve in das hochdramatische Rezitativ, um dann die Adagio-Aria „Per pietà“ mit inniger Empfindung vorzutragen. Das finale Allegro assai „Ah! crudel“ ist mit den absteigenden Koloraturskalen der virtuose Kulminationspunkt der Konzertarie, dem die Sängerin souverän gerecht wird.
Interessant ist ein Ausschnitt aus La clemenza di Tito mit einer Arie des Sesto – aber nicht aus Mozarts Vertonung, sondern aus der des böhmischen Komponisten Josef Myslivecek. Das ist ein inniges Stück, welches nur im Mittelteil dramatische Erregung spüren lässt.
Es folgen zwei Konzertarien von Mozart – „Ah, lo previdi!… Deh, non varcar“ sowie „Bella mia fiamma… Resta, o cara“. Erstere beginnt mit einem erregten Rezitativ im Stil der opera seria, worauf eine dramatische Arie folgt. Schließlich leitet ein Oboen-Solo die melancholische Cavatina „Deh, non varcar“ ein, in der Bartoli mit purer Stimmschönheit betört. Die zweite und mit Schwierigkeiten gespickte Konzertarie schrieb Mozart für die berühmte Sängerin Josepha Duschek. Nach verhaltenem Beginn entwickelt sich das Rondò „ Resta, o cara“ mit seinen Sprüngen und Läufen zu einer vokalen Herausforderung. Die Sängerin nimmt sich auch dieser Nummer mit aller verfügbaren Leidenschaft an und beeindruckt gleichermaßen mit starkem Ausdrucksspektrum wie stupender Virtuosität.
Mit Haydns Scena di Berenice endet die Auswahl. Sie ist vierteilig, besteht aus einer Cavatina und einer Aria, die jeweils durch Recitativi miteinander verbunden sind. Das erste stellt einen vehementen Einstieg in die Nummer dar, dem die empfindungsreiche Kavatine „Non partir“ folgt. Nach einem weiteren (kurzen) Rezitativ endet die Komposition mit der virtuosen Arie “Perché, se tanti siete“. Einmal mehr wird die Interpretin hier vor Herausforderungen gestellt, das in seinem Aufbau und den Emotionen ständig wechselnde Stück zu bewältigen und dessen gesangliche Tücken zu meistern. Sie findet bei ihrer Gestaltung große Unterstützung und Inspiration in der Begleitung durch das Baseler Orchester, welches auch einen eigenen Beitrag verdient hätte. Bernd Hoppe