Die Idee, drei Countertenöre auf einer Platte zu vereinen, hatte schon harmonia mundi vor einigen Jahren. Damals trafen sich Andreas Scholl, Dominique Visse und Pascal Bertin im Studio. Nun folgt das Label Château de VERSAILLES mit einer ähnlichen Konstellation für seine Ausgabe Les tres contre-ténors, die noch spektakulärer ausgefallen ist (CVS050). Denn mit Samuel Mariño ist ein Sopranist angetreten, dessen Virtuosität ans Unwirkliche grenzt und der dieser Veröffentlichung den Ausnahmestatus verleiht. Sein erstes Solo ist Cleopatras Arie „Tra le procelle assorto“ aus Grauns Cleopatra e Cesare. Die staunenswerte Bravour paart sich hier mit sinnlicher Koketterie und lustvoller Verve. Noch sensationeller ist Mariños Arbace in Vincis Artaserse, denn bei dessen Arie „Vò solcando un mar crudele“ muss er sich mit der maßstäblichen Interpretation von Franco Fagioli in Nancy messen. Sehr akzentuiert begleitet, fühlt sich der Sänger vor allem in der hohen Lage zuhause, in der er glanzvoll jubiliert. Seine Interpretation wirkt insgesamt weicher, femininer als die von Fagioli, aber keinesfalls weniger bravourös, was allein die Kadenz am Ende des ersten Teiles und die Ausflüge in die Extremhöhe belegen.
Nach Mariño hat der italienische Counter Filippo Mineccia seinen ersten Auftritt mit der Arie des Acrotato, „Sagace è la mano“, aus Hasses Spartana Generosa. Hier fällt die substanzreiche und resonante Tiefe auf, aber die bewegliche Stimme wird auch den virtuosen Koloraturläufen mühelos gerecht. Der Italiener macht in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Karriere bei Festspielen und auf internationalen Bühnen. Mit der Arie des Aci, „Alto Giove“, aus Porporas Polifemo fällt ihm ein berühmter Titel zu, hatte doch der legendäre Farinelli diese Arie immer wieder dem depressiven spanischen König im Palast von Madrid vorgesungen. Das Orchester leitet sie träumerisch ein und der Sänger nimmt diese Stimmung auf, lässt seine Stimme wunderbar schwebend und sanft fließen. Aus dieser Oper erklingt noch das jauchzende Terzetto zwischen Aci, Ulisse und Galatea „La gioia immortal“, das bei der Aufführung 1732 in Rom von dem illustren Trio Farinelli, Senesino und Cuzzoni interpretiert wurde. Auf der CD gesellt sich zu Mariño und Mineccia der renommierte Countertenor Valer Sabadus, dessen erster solistischer Beitrag die Arie der Piacere, „Lascia la spina“, aus Händels Il Trionfo del Tempo e del Disinganno ist. Bekannter ist sie als Almirenas Arie „Lascia ch’io pianga“ aus Rinaldo – das innige Liebesbekenntnis wird von Sabadus gefühlvoll und mit einer Stimme von reinstem Wohllaut vorgetragen. Dagegen kann er mit der Furienarie des Titelhelden aus Händels Serse furios auftrumpfen.
Die drei Sänger sind auch in Duetten und Terzetten zu hören, beginnend mit „Temi lo sdegno mio“ aus Porporas Germanico in Germania, mit welchem das Trio für einen fulminanten Einstieg sorgt. Mariño und Mineccia singen aus Händels Berenice, Regina d’Egitto das Duett der Titelheldin mit Demetrio, bei der Uraufführung in London 1737 von der berühmten Anna Maria Strada del Po und dem namhaften Kastraten Domenico Annibali interpretiert. Die beiden Sänger vereinen ihre Stimmen in harmonischem Zusammenklang und vermögen es ohne Mühe, ein Paar von einer Königin und einem Prinzen zu imaginieren.
Mineccia ist mit Sabadus noch mit dem Duett „Sound the Trumpet“ aus Purcells Come Ye, Sons of Art zu hören, in welchem beide ihre Virtuosität mit zwei Trompeten messen können. Originell ist der Schluss des Programms, bei dem das Schlussduett von Poppea und Nerone, „Pur ti miro“, aus Monteverdis Incoronazione di Poppea sogar zum Terzett umfunktioniert wurde, um allen drei Sängern noch Gelegenheit für einen gemeinsamen Auftritt zu geben.
Der polnische Dirigent Stefan Plewniak macht seit geraumer Zeit von sich reden als innovativer Interpret der Alte-Musik-Szene. Mit dem Orchestre de l’Opéra Royal de Versailles arbeitet er seit einigen Jahren zusammen und hat auch bei dieser Einspielung große Verdienste durch seine impulsive und inspirierende Begleitung. Mit „Arrival of the Queen of Sheba“ aus Händels Solomon und der Ouverture zu Ariostis Vespasiano hat der Klangkörper Gelegenheit für zwei solistische Beiträge, die er mit musikantischem Schwung zu willkommenen orchestralen Intermezzi formt.
Der prachtvollen CD-Ausgabe liegt noch eine DVD bei, welche das Konzert der drei Sänger in der Galerie des Glaces von Versailles (mit veränderter Reihenfolge des Programms) festgehalten hat. Mariño, Mineccia und Sabadus in solch glanzvollem Ambiente live singend erleben zu können ist ein ganz besonderer Reiz und erhöht den Wert der Neuerscheinung bedeutend. Bernd Hoppe
(Wobei „les“ im Titel der CD ja doch einen gewissen Alleinigkeitsanspruch darstellt, es gibt jauch andere renommierte Counter, die ebenfalls diese Öffentlichkeits-Geltung haben…ein wenig Bescheidenheit wäre vielleicht engebracht… G. H.)