Long live the Queen

 

Der erfolgreiche und mächtige Geschäftsmann Simon Powers will seine Existenz über seinen natürlichen Tod hinaus sichern. Um Unsterblichkeit zu erlagen, ergreift er deshalb gegen Ende seines Lebens die Möglichkeit, sein Bewusstsein, seine Persönlichkeit und seinen Charakter zu downloaden und unter dem Namen „The System“ eine lebende Version seines Verstands und seines Geists zu schaffen. Eine nicht geringe Überraschung für seine Freunde und Mitarbeiter, die sich mit dieser verblüffenden Entscheidung arrangieren müssen – und möglicherweise die gleichen Schritte ergreifen. Eine schöne Idee des Schriftstellers und US Poet Laureate Robert Pinsky und des Produzenten-Autors Randy Weiner, aus der Pinsky ein Libretto für Tod Machover formte, der als Sohn einer Pianistin und eines Computerwissenschaftlers für solche Themen sensibilisiert wurde. Sein musikalisches Rüstzeug erwarb der 1953 geborene Machover, der sich überall beteiligte, wo sich Musik und Technologe kreuzen und derzeit am MIT Media Lab am Massachusetts Institute of Technology wirkt, an der Juilliard School durch Elliott Carter und Roger Sessions.

Machover schrieb für die großen amerikanischen Orchester, für Yo-Yo Ma und Matt Haimowitz, kam 1980 an das IRCAM, wo seine erste Oper Valis uraufgeführt wurde, startete 1986 seine Arbeit mit den von ihm entwickelten Hyperinstruments, entwickelte interaktive Aufführungsformate und hat einige Bühnenwerke kreiert, darunter eine 1999 in Houston unter Mitwirkung von Joyce DiDonato uraufgeführte Ressurection (nach Tolstoi). Und die im September 2010 in der Salle Garnier in Monte-Carlo uraufgeführte Oper Death and the Powers, die ihn zum Finalisten für den 2012 Pulitzer Prize in Music machte. Das ist furchteinflößend vielseitig und avanciert. Man braucht sich vor der Aufnahme aber auch nicht fürchten, die zwar ohne die technischen Möglichkeiten und Spielereien einer Live-Aufführung auskommen muss, aber immerhin, wie das Leben des Simon Powers (wunderbar vollmundig James Maddalena, der ewige Nixon in Adams‘ Nixon in China), möglicherweise unvergänglich ist. Entstanden ist die Aufnahme 2011 am Merrimack College mit dem Ur-Team und unter Leitung von Gil Rose, der bereits in Monte-Carlo mit am Start der Sci-fi-Oper war und sich mit seinem hier mit 14 Instrumentalisten besetzten Boston Modern Orchestra Project unermüdlich für die Musik, „formerly known as classical“ starkmacht (BMOP sound 1082).

Die 1½-stündige Oper ist in acht Szenen plus Vor- und Nachspiel gegliedert. Powers‘ dritte Frau Evvy (Mezzosopranistin Patricia Risley) und sein Assistent Nicholas (der operettenhaft gewitzte Tenor Hal Cazalet) folgen dem Tycoon in das System. Seine Tochter Miranda (Joelle Harvey) indessen zögert, Sterblichkeit, Menschlichkeit und irdisches Leiden aufzugeben und bringt ihre Ängste in dem einzigen Abschnitt, der ausdrücklich Aria genannt ist, zu Ausdruck. Das klingt traditionell. Ist es teilweise auch, was in einer Oper mit diesem Thema wundert. Doch Machover, der als junger Mann Cello an der Canadian Opera spielte, ist ein kenntnisreich gewiefter Opernkomponist, der elektronische Klänge, Orchester und Stimmen kraftvoll verschweißt und mit neuem Ausdruck auflädt. Die vier Protagonisten, die sich sowohl als Anwälte zeitgenössischer Musik wie im traditionellen Repertoire bewiesen haben, nutzen die arios-gestischen Gestaltungsmöglichkeiten zu prägnanten Sentenzen; in der sechsten Szene, „The World Reacts“, haben als Repräsentanten der äußeren Welt der Countertenor Doug Dodson, der Bariton David Kravitz und der Bass Tom McNichols einen Kurzauftritt.

 

Ein Schritt vor, einer zurück. Aus der nahen Zukunft zurück ins 16. Jahrhundert, wo Arnold Rosner als Figur seiner ersten Oper The Chronicle of Nine: The Tragedy of Queen Jane von 1984 auf die Neuntagekönigin Lady Jane Grey stieß. Das ungemein geschwätzige Libretto stammt von Florence Stevenson als Adaption ihres gleichnamigen Stücks von 1969.  Erstmals auf die Bühne gelangte Rosners Dreiakter in einer halbszenischen Konzertaufführung der Odyssey Opera und des Boston Modern Orchestra Project unter dessen Leiter Gil Rose (2 CD BMOPsound 1081) im Februar 2020 in Boston.  Eingerahmt von Preludes und Ballads eines Minnesängers (Tenor Gene Stenger), die jeden der jeweils drei Szenen umfassenden Akte eröffnen, – Der Titel The Chronicle of Nine spielt nicht nur auf die neuntägige Herrschaft der Jane Jane an, sondern kehrt in der Zahl der Szenen und der Gesangspartien wieder – wird die Geschichte der Lady Jane Grey (ca.1537-1554) erzählt, die als offizielle Erbin von König Eduard VI. vom 10. bis zum 19. Juli 1553 den Titel einer Königin von England führte. Sie unterlag jedoch gegen Maria I. und wurde enthauptet. Im ersten Akt wird die Heirat mit Guilford Dudley inklusive eines vierteiligen Wedding Ballet geschildert. Im zweiten Akt wird das politische Strippenziehen fortgesetzt, wobei sich nach der Krönung der zögerlichen Jane zur Queen ihr Onkel Earl of Arundel (Bariton James Demler) und der Earl of Pembroke (Bass David Fry) als Handlanger Mary Tudor herausstellen. Obwohl der Chor, den Akt mit “Long live the Queen!” beendet, scheint der Niedergang vorgegeben. Im dritten Akt blickt Jane in ihrer Zelle der Hinrichtung entgegen, nimmt in einem rührenden Duett Abschied von ihrem Gatten Dudley (Tenor Eric Carey) und greift auf dem Schafott nochmals die bereits im ersten Akt geäußerten letzten Worten Jesus‘ “Into thy hands, O Lord, I commend my spirit/ Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ auf. Ein Stoff, wie er von Donizetti und seinen Kollegen vielfach vertont wurde, nicht zu vergessen Wagner-Régenys und Fortners Maria Tudor-Opern, und wie er auch 1982 seine Wirkung nicht verfehlt. Das liegt auch an der Musik Rosners (1945-2013), die Renaissance und Spätromantik effektvoll mischte und im groß besetzten Orchester mit Celesta und Harfe und energischem Bläsersatz und Schlagzeug eine Klangaura schafft, die nicht ohne Wirkung ist. Zentrale Szenen der Oper sind Duette, Rosner versuchte “to intensify the mood of these both melodically and colorostically: the love duett etweenJane and her (arranged) husband Guilford Dudley emphasizes harp and vibraphone; the dialogue for Jane and Mary before the execution uses only an accompanying ensemble of six cellos“. Eine hübsche Tüftelei, an der man jedoch bereits in der ersten Szene, in der Janes Familie sie auf ihre Hochzeit vorbereitet und auf der anderen Seite die Dudleys ihre Vorteile ausloten, das Interesse verliert. Während der gesamten Oper, also immerhin 130 Minuten lang, baut Rosner trotz des unleugbaren Getöses und Stürmens keine wirkliche Spannung auf und das rezitativische Singen „in the manner of impassoned recitative or through-melody“, wie er es nennt, bleibt farblos und allgemein, wobei William Hite als Vater Grey mir mit seinem hell scharfen Tenor recht gut gefällt, wohingegen Rebecca Krouners als Frances Grey („we Tudor moman must marry“) wenig Freude bereitet. Die Oper lastet auf der schmal soubrettigen Megan Pachecano als Jane. Mit musikalischen Kirchentenor singt Eric Carey den Gatten Gilford, die Altistin Stephanie Kacoyanis klingt als habe Lady Mary bereits mehre Whiskey gekippt. Aufnahme, Ausstattung und Sound sind ebenso untadelig wie die musikalische Umsetzung dieser world premiere recording durch Gil Rose und das exzellente Orchester des Boston Modern Orchestra Project. Rolf Fath