Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Mostly modern

 

Samuel Barbers Knoxville: Summer of 1915 liegt in Aufnahmen mit prominenten amerikanischen Diven vor – so Elenor Steber, die die Komposition 1948 unter Serge Koussevitzky aus der Taufe hob, Eileen Farrell und Leontyne Price. Zu ihnen gesellt sich nun Renée Fleming, die sie an den Anfang ihrer neuen CD mit dem Titel „Distant Light“ stellt (Decca 4830415). Die Sopranistin hatte schon in der Frühzeit ihrer Karriere eine starke Affinität zu zeitgenössischer Musik, sang an der Met in Coriglianos  The Ghosts of Versailles, hob in San Francisco André Previns A Streetcar Named Desire aus der Taufe, spielte mehrere CDs mit Songs von Jake Heggie, Brad Mehldau, David Kahne u. a. ein. Barbers Komposition mit ihrer lyrischen Poesie auf einen Text von James Agee liegt ihr perfekt in der Stimme, die sich schwelgerisch und aufblühend erhebt, in der Höhe glänzt und in raffinierten Valeurs schimmert. Das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra begleitet unter Sakaro Oramo sehr atmosphärisch.

Es folgt ein Werk des 1954 geborenen schwedischen Komponisten Anders Hillborg mit dem Titel The Strand Settings. Die Idee dafür geht zurück bis ins Jahr 2008, als die Sopranistin mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra konzertierte. In den Gedichten des Amerikaners Mark Strand fand man passende Vorlagen für diesen vierteiligen Zyklus, der 2014 in der New Yorker Carnegie Hall uraufgeführt wurde. Es sind Episoden, die emotionale Zustände beschreiben – Freude, Sehnsucht, Nostalgie… Das Orchester setzt das sphärische Flirren der Einleitung zum ersten Titel, „Black Sea“ malerisch um, danach setzt die Stimme der Solistin in stockendem Duktus, fast verhalten ängstlich ein, schwingt sich aber in den folgenden drei „Dark Harbour“-Szenen zu betörendem Höhenglanz auf, immer wieder unterbrochen von nervösen, eruptiven Einschüben, in denen der Sopranistin auch in der tiefen Lage starke Momente gelingen.

Sehr eigenwillig ist die Tonsprache der 1965 geborenen isländischen Sängerin und Komponistin Björk Gudmundsdóttir, deren drei Gesänge „Virus“,Jóga“ und „All Is Full of Love“ das Programm der CD beschließen. Fleming wählte sie aus einer Vielzahl von Songs der Komponistin aus und entschied sich für solche, welche sie thematisch und musikalisch am meisten ansprachen. Das Klangspektrum reicht von Pop- und Jazz-Einflüssen bis zum Film-Sound. Renée Fleming und das Royal Philharmonic Orchestra werden diesen höchst unterschiedlichen Vorgaben und Ansprüchen beeindruckend gerecht. Im vorletzten Stück findet sich der Begriff „Emotional Landscapes“, der die Musik dieser CD treffend umschreibt, und der Titel des letzten , „All Is Full of Love“, dürfte als Botschaft der Interpreten verstanden werden. Bernd Hoppe

Best of….

 

Bereits der erste Blick auf die Trackliste von Christiane Kargs neuer CD Portrait lässt stutzen: Amoretti und Heimliche Aufforderung, das hatte man doch in Zusammenhang mit ihr bereits einmal wahrgenommen. Und richtig, im Booklet klärt die Sängerin den Leser darüber auf, dass es sich um die Titel  von „the best of“ dreier bereits veröffentlichter CDs handelt, neben den beiden bereits genannten noch die mit dem Titel Verwandlung. Die nochmalige Veröffentlichung begründet sie damit, dass sie  die Hörer auf „kommende Vorhaben einstimmen“ wolle, zudem gibt sie sich rücksichtsvoll mit der Bemerkung, sie wolle „fordern ohne zu überfordern“ und meint mit den einzelnen Nummern  „Ergebnisse des Stöberns in Bibliotheken und Archiven“ vorzulegen, was man bei Titeln wie äußerst bekannten Liedern von Strauss, Schubert und Schumann bezweifeln mag, was auch bei Glucks Iphigenie kaum zutrifft, eher schon  den hier anzutreffenden Werken Grétrys und Schrekers gerecht wird.

Es beginnt mit Clara Schumanns Er ist gekommen, das eine helle Mädchenstimme hören lässt, die sehr expressiv, sehr kontrastreich eingesetzt wird. Für Richard Strauss‘ Heimliche Aufforderung hat der Sopran den angemessenen Silberglanz, setzt auch hier auf einen ausgeprägten Gegensatz zwischen „heimlich“ und „strahlend“, zwischen leise Verklingendem und Rauschhaftem. In des Komponisten Morgen setzt die Stimme wie aus dem Schlaf erwachend ein, mit zartestem Beginn, wenn auch leicht manieriert. Strauss gibt der Sängerin mit Befreit auch die Möglichkeit, ein sehr schönes Piano zu zelebrieren und einen ebensolchen Schwellton. Er ist noch einmal mit Allerseelen vertreten, in dem sich eine schön ausgekostete elegische Stimmung mit außergewöhnlicher Dramatik abwechselt. Die Lieder sind alle gut bekannt, doch die Texte hätte man, da die Diktion, bei Strauss nicht unbedingt den Sängern anzulasten, nicht durchweg die beste ist, gern im Booklet gehabt, mehr noch bei den fremdsprachigen und dazu noch tatsächlich unbekannten Stücken.

Gluck ist zweifach vertreten. Als Iphigenie in Aulis lässt Christiane Karg mit keuschem, anmutigem Klang die Stimme rein und ruhig fließen, in Sacre Piante wird sie angenehm instrumental geführt. Französisch wird es mit Grétrys Arie aus Silvain, in der der Sopran sicher Intervalle meistert, eine gute Mittellage und eine große Beweglichkeit hören lässt und ungemein deliziös klingt.

Jeweils einmal sind Schubert, Schumann, Wolf und Schreker mit Liedern vertreten, wobei Herbst agogikreich und damit sehr eindringlich interpretiert wird, Schumanns Frühligsnacht ausgesprochen emphatisch dargeboten und Wolfs Christblume mit zarter Empfindsamkeit bedacht wird.

Eine ideale Mozartstimme offenbart sich in Amoretti aus La finta semplice, zu der auch das aparte „Etwas“ des Timbres und der verspielt unangestrengte Ton sehr gut passen. Ein besonders reizvolles Stück ist Mendelssohns  Ah, ritorna età dell’oro, in dem  der Sopran und die Violine einander sehr schön ergänzen und das perfekte Legato besonders auffällt.

Die Begleiter sind Malcolm Martineau für Strauss, Burkhard Kehring für die romantischen Lieder und für die Arien das Ensemble Arcangelo unter Jonathan Cohen (Berlin Classics 0300788BC). Ingrid Wanja

Eine Legende

 

Leontyne Price ist am 10. Februar 90 geworden! Unglaublich, haben doch ihre viele Schallplatten-Aufnahmen bei RCA (nun bei SONY) mich und viele, viele andere Fans über mein ganzes Leben begleitet. Sie war die große, dunkle und leuchtende Stimme der Met in Verdi und Puccini, sie war die große Ikone der Schwarzen Amerikas, sie war jahrzehntelang der Inbegriff amerikanischen Operngesangs – nie gab es einen Skandal, keine Gerüchte, nie etwas Negatives. Sie wurde beispiellos von ihrem Publikum namentlich an der Met geliebt. Ihr Verdi-Requiem aus Salzburg ebenso wie ihr unglaublicher Trovatore unter Karajan wird in alle Ewigkeit zu den Kostbarkeiten der Musik-Dokumentationen zahlen. Auch späte Auftritte wie die mit Marilyn Horne erzielten ausverkaufte Säle. Dann wurde es ruhig um sie, nur zum Benefizkonzert für die Oper von 9/11 trat sie noch einmal auf. Nun ist sie Neunzig! Eine Legende, eine feste Größe in der Erinnerung. Wenn Oper einen Namen hat, dann sicher auch den von Leontyne Price. Happy Birthday!!!

 

Leontyne Price/ WNCA

Dazu zur Erinnerung noch einen Ausszug aus Wikipedia: Mary Violet Leontyne Price (* 10. Februar 1927 in Laurel, Mississippi) ist eine US-amerikanische Konzert- und Opernsängerin (Sopran). Sie war die erste „schwarze Diva“ im internationalen Konzert- und Opernbetrieb. Geboren als Tochter eines Zimmermanns und einer Hebamme in den Südstaaten der USA begann die musikalische Ausbildung von Leontyne Price sehr früh. Sie erhielt Klavierunterricht und sang in der St. Paul Methodist Church in Laurel. Später studierte sie Musikpädagogik am College of Educational and Industrial Arts in Wilberforce. Nach dem Abschluss ging sie nach New York und wurde an der berühmtem Juilliard School of Music in New York angenommen, wo sie bei Florence Ward Kimball Gesang studierte. Ihre erste Opernrolle war die Mistress Ford in Verdis Falstaff in einer Hochschulproduktion.

Später folgte ein Engagement in einer Broadway-Produktion von Porgy and Bess, mit der sie ab 1952 durch die ganze Welt tourte. Ihr Partner William Warfield († 26. August 2002), der den Porgy sang, wurde auch kurzzeitig ihr Ehemann. Sie trennten sich bereits 1967 wieder, die Ehe wurde aber erst 1973 geschieden.

In den 1950er Jahren hatte Leontyne Price eine Reihe von Auftritten auf Opern- und Konzertbühnen und im Fernsehen in den USA. Ihr internationaler Durchbruch gelang in Europa: 1958 debütierte sie als Aida an der Wiener Staatsoper,[1] ein Jahr später am Covent Garden London. Als erste Schwarze sang sie am 21. Mai 1960 an der Mailänder Scala eine Hauptrolle (Aida) und im selben Jahr auch bei den Salzburger Festspielen. Eine langjährige Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan begann.

1961 feierte sie an der New Yorker Metropolitan Opera mit ihrem Debüt als Leonore in Verdis Il trovatore einen großen Erfolg und erhielt 42 Minuten Stehapplaus. Von da an zählte sie über 20 Jahre lang zu den wichtigsten Sängerinnen des Hauses. Am bekanntesten wurde ihre Interpretation der Aida, mit der sie 1985 auch ihren Abschied von der Bühne feierte.

Das Repertoire der Price umfasste außer den großen Mozart- und Verdi-Rollen auch zahlreiche Konzertpartien. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 15 Grammy Awards für ihre Schallplatteneinspielungen.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 trat Leontyne Price in der Carnegie Hall ein letztes Mal in einem Benefizkonzert auf. Sie lebt im New Yorker Greenwich Village. 1962 wurde sie in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.

Nicolai Gedda

 

Erst spät habe ich Nicolai Gedda für mich entdeckt. Irgendwie schien er mir immer ein wenig anonym im Ausdruck auf den (zu) vielen Electrola-Aufnahmen, wie seine Kollegin Anneliese Rothenberger zu routiniert und zu beliebig  trotz der unbestreitbaren unverwüstlichen Technik einer makellos und  bestsitzenden hellen Tenorstimme. Zu sehr hatten ihn die Electrola und die EMI vermarktet, namentlich in den späten Operetten- und Spielopern-Aufnahmen. Aber als ich dann die ersten Einspielungen bei Columbia/EMI hörte, die Ackermann-Operetten, dann die ersten Aufnahmen bei der EMI/Columbia wieder herausgegeben auf Nimbus, da hatte ich Tränen in den Augen. So sehr rührte mich der süße Ton, die unbeschreiblich schöne Stimme Nicolai Geddas. Eine Stimme, die mir bis ins Herz drang in ihrer Melancholie, ihrem Schmerz und ihrer unmittelbaren Mitteilung. Er starb am 8. Januar 2017 im Alter von 92 Jahren in der Schweiz.

 

Nicolai Gedda: Boxcover des „Zigeunerbarons“ bei Emi/Warner/ Fayer Wien

Rüdiger Winter schreibt in operalounge.de in seiner Betrachtung der jüngsten (Electrola-) Operetten-Edition nun bei Warner: (…) Es begann damit, dass es sich der allmächtige EMI-Produzent Walter Legge Anfang der 1950er Jahre in den Kopf gesetzt hatte, mustergültige Aufnahmen von Operetten vorzulegen. Mit dem noch nicht dreißigjährigen Gedda hatte Legge dafür einen idealen Partner für Elisabeth Schwarzkopf, die er 1953 geheiratet hatte, gefunden. Sie war genau zehn Jahre älter und nach eigenem Bekunden sofort genau so hingerissen von Geddas Stimme wie Legge. Jugend traf auf Erfahrung und Ruhm. Das passte. Denn die Schwarzkopf hatte zu dieser Zeit schon einen Namen, während Gedda seine ersten Erfahrungen auf der Opernbühne vornehmlich in Stockholm gesammelt hatte, wo er eine lokale Erscheinung gewesen ist. Mir fällt eine Anekdote ein. Legge soll Gedda zufällig im Radio gehört haben. Er griff zum Telefon, um seine Frau zu bitten, ebenfalls das Apparat einzuschalten. Die verbat sich die Störung mit dem Hinweis daraus, dass sie gerade eine wunderbare Stimme im Radio höre – Gedda! Ein Resümee dieser fruchtbaren Zusammenarbeit zog der Sänger 1988 in einem Interview mit der Zeitschrift Opernwelt: „Alle meine Aufnahmen bei der EMI halte ich für wertvoll. Weil sie meist von Walter Legge produziert worden sind. Er wird in die Schallplattengeschichte als einer der größten Produzenten eingehen. Wenn ich zum Beispiel an die Operetten denke, die ich mit ihm aufgenommen habe, sie waren schon eine Klasse für sich. Selbst jetzt kann man sie noch anhören und Freude an ihnen finden.

Nicolai Gedda: „La Sonnambula mit Joan Sutherland an der Met/ Foto Melancon/ Met Opera Archives

Legge hat Gedda entdeckt und gefördert, wofür dieser im Gegensatz zu anderen immer dankbar gewesen ist. Das nimmt mich auch für Gedda ein. 1953 wurden in der Londoner Kingsway Hall unter Otto Ackermann zunächst Das Land des Lächelns und Die lustige Witwe eingespielt, im Jahr darauf mit dem selben Dirigenten Wiener BlutDer Zigeunerbaron und Eine Nacht in Venedig. Das rasante Finale dieser frühen Operetten-Serie bildete Die Fledermaus mit Herbert von Karajan am Pult. Die Fassungen folgen meistens nicht dem Original. Aufgenommen wurde in Mono. Das schreckt heutzutage Hörer oft ab. Mich nicht, denn ich habe nicht die Wahl. In diesen Aufnahmen triumphiert die Kunst über die Technik. In Wien hatte Clemens Krauss schon 1950 mit Fledermaus und Zigeunerbaron einen Operetten-Neuanfang nach dem Krieg für die Decca versucht, der allerdings wesentlich konservativer ausgefallen ist als das, was Legge mit Ackermann, Karajan und seinen Solisten glückte. Die verlassen ausgefahrene Gleise. Sie geben der Operette jene Sinnlichkeit zurück, die der Gattung eigen ist. Erstarrungen lösen sich. Es knistert wieder. Und das alles im Studio. (R. W.)

 

Nicolai Gedda/ Foto EMI/ Warner Classics Archives

Abgesehen von den so gelobten Operetten ist Gedda für mich in erster Linie der gebrochene Held in seinen besten anderen Dokumenten, manche davon leider nicht offiziell erschienen. Dalibor (von 1977/ Gala) unter Eve Queler ist so ein differenzierter, zerbrochener Anti-Heroe, den er unerreicht und mit einem zum Weinen bringenden Pathos singt. Sein Solo zu Beginn des dritten Aktes hat alles an Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht und Verwirrung, das ein Mensch aufbieten kann und das Smetana so wunderbar eingefangen hat. Jean in Meyerbeers Prophête (1970 div. Labels) ist ein anderer, den er live und an einem Abend beim italienischen Rundfunk beispiellos singt – ein Ideal-Modell für andere Tenöre an Krafteinteilung, Duchhaltevermögen und Interpretation (Diktion!), dabei noch im mörderischen Schluss voller Reserven. Enée in den Troyens ebenfalls bei der RAI 1969 (dto)  ist der dritte meiner Idealhelden Geddas, denn der feurige Elan der Auftritte im ersten und dann im zweiten Teil weicht der Verzweiflung und Zerrissenheit des pflichtbewussten Staatengründers – erneut ein Anti-Held, der Schuld auf sich lädt und zwischen Pflicht und Liebe zerrissen wird. Stimmlich wie interpretatorisch wieder unerreicht und eben eine Seite Geddas zeigend, die in seinen offiziellen Aufnahmen kaum je durchkommt (in Ansätzen im Berlioz´schen Faust und Lenski, aber nicht Don José)

So steht der leichtfüßige, aber eben tonal bezaubernde  Dimitrij im ersten Christoff-Boris von 1952 (neben der bemerkenswerten Eugenia Zareska) stellvertretend für die späteren, eher heiteren und weniger prägnanten Charaktere, von denen Gedda meterweise welche eingespielt hat. Die von mir so gelobten Partien, da bin ich sicher, zeigen den eigentlichen Nicolai Gedda, den grüblerischen, tiefgründigen Sänger wie Menschen. Und in diesen Partien wie Jean, Enée oder vor allem auch Dalibor wird er für mich in Erinnerung bleiben, auch in dem bemerkenswerten Lohengrin (den er nur einmal in Schwedisch sang und nicht wieder aufnahm, wohl auch, weil er selber merkte, dass wie der Ballo-Riccardo Wagner und Verdi nicht eigentlich seins war, so wie seine Alfredos ja auch zeigen). Mir im Gedächtnis bleibt ein zerrissener Held, ein bezaubernder Mann und eine Stimme für ein Jahrhundert. Danke Nicolai Gedda!  G. H.

 

Nicolai Gedda: „Un ballo in maschera“/ Foto Met Opera Archive/ Melancon

Dazu wie stets eine kurze Erinnerungshilfe mit einer Biographie bei Wikipedia: Harry Gustaf Nikolaj Gädda, geborener Nicolai Ustinov, bekannt als Nicolai Gedda * 11. Juli 1925 in Stockholm; † 8. Januar 2017 in Tolochenaz, Kanton Waadt, Schweiz) war ein schwedischer Opernsänger (Lyrischer Tenor). Von 1928 bis 1936 lebte Geddas Familie in Leipzig, wo sein russischer Stiefvater Kantor an einer russisch-orthodoxen Kirche war. Dort begann er seine musikalische Ausbildung. 1936 erfolgte die Rückkehr nach Stockholm, wo Gedda am Konservatorium studierte und 1952 als Chapelou in Adolphe Adams Le postillon de Lonjumeau debütierte und länger zum Ensemble der Königlich Schwedischen Nationaloper gehörte. Gedda wurde sehr rasch zu einem der gefragtesten Mozart- und Oratorieninterpreten des 20. Jahrhunderts und gab zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch große Recitals unter anderem in der Hamburgischen und in der Wiener Staatsoper. Als Liedinterpret trat Gedda gemeinsam mit dem Pianisten Sebastian Peschko auf.

Nicolai Gedda war zweifellos der sprachgewandteste aller berühmten Tenöre des 20. Jahrhunderts: Er beherrschte akzentfrei sowohl Schwedisch, Russisch und Deutsch als auch Italienisch, Französisch und Englisch. Sein Repertoire war dementsprechend riesig (etwa 50 verschiedene Opernpartien).

Nicolai Gedda: Aufnahme „Carmen“ mit Maria Callas/ Foto EMI/ Warner Classics

Dank seiner hellen, sehr flexiblen Stimme, die bis ins reife Alter einen jugendlichen Schmelz behielt, galt Gedda als die Idealbesetzung für Rollen wie Tamino oder Belmonte, den Herzog von Mantua oder Dimitri. Besonders erfolgreich war Gedda auch im französischen Fach. Er tat sich ebenfalls als Oratorien-, Messen- oder Kantateninterpret hervor, unter anderem in der Matthäuspassion oder in Edward Elgars The Dream of Gerontius. Als Wagnerinterpret erhielt er mit seiner Interpretation des Lohengrin an der Königlich Schwedischen Nationaloper in Stockholm große Anerkennung. Daraufhin wurde Nicolai Gedda als Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen angekündigt. Kurzfristig sagte er aber die Auftritte aus Sorge vor einer Überbeanspruchung seiner Stimme ab.

Gastspiele führten ihn an die großen Opernhäuser der Welt: 1952 an die Pariser Oper, 1953 an die Mailänder Scala, zum Royal Opera House Covent Garden, 1957 an die New Yorker Metropolitan Opera, wo er an der Uraufführung von Samuel Barbers Oper Vanessa beteiligt war. 1980 wurde er in Tschaikowskis Eugen Onegin am Moskauer Bolschoi-Theater umjubelt.

Nicolai Gedda hat sich auch mehrfach als Gesangspädagoge hervorgetan und Aufsätze zur Gesangskunst sowie eine Autobiographie geschrieben. Auf seinen Wunsch wurde der Tod in seinem Haus bei Lausanne durch einen Herzstillstand erst einen Monat später der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Obwohl sein Recital mit russischen Opernarien starke Beachtung der Kritik gefunden hatte, wurde er erst zu Gesamtaufnahmen von Tschaikowski-Opern (Eugen Onegin, Jolanta) eingeladen, als seine Stimme bereits ihren Zenit überschritten hatte. Auch hat Gedda zahlreiche Oratorien eingespielt und sich besonders dem deutschen, französischen und russischen Kunstlied gewidmet. Ebenso hat er einige der bekanntesten Operetten aufgenommen (Foto oben: Nicolai Gedda – Foto EMI/ Warner Classics Archive).

Glanzvolles Dokument

 

Nicht gerade Begeisterung hatte sich im Jahr 2004 in Italien breit gemacht, als bekannt wurde, Riccardo Muti würde die sehnlichst erwartete Wiedereröffnung der Scala nach jahrelanger Renovierung nicht mit Verdi oder Puccini, sondern mit Antonio Salieris bis dahin unbekannter Oper Europa Riconosciuta feiern. Und nicht fröhlicher wurde man wahrscheinlich beim Blick auf die fast kahle Bühne, obwohl man vom Ausstatter Pier Luigi Pizzi erfahrungsgemäß Prunkvolles hätte erwarten können. Das gab es erst bei der  Balletteinlage (nur eine anstelle der zwei bei der Uraufführung der Oper und damit der Einweihung des Hauses als Nuovo Regio Ducal Teatro 1778) am Ende des ersten Akts. Ein grauer Rahmen senkt und hebt sich wieder über der Bühne, ein Kahn bricht als Zeichen des Schiffbruchs auseinander, Treppen werden hin- und hergefahren, stilisierte Zypressen täuschen einen Garten vor, riesige Gitter suggerieren ein modern anmutendes Gefängnis. Nur einmal lässt Regisseur Luca Ronconi Prächtiges zu, wenn auf vielen kleinen Drehbühnen kostbar gewandete Krieger auf naturalistisch wirkenden Rossen kämpferisches Geschehen erahnen lassen. Von den Solisten hat nur die ehrgeizige, nach Thron und  Liebhaber gierende Semele sich in puncto Prächtigkeit steigernde, moderne Kostüme. Die übrigen tragen Antikes, der von beiden Damen geliebte Isséo königliches Rubinrot, die standhafte, verzichtsbereite Europa keusches Weiß.

Die Oper, über die man im Booklet viersprachig nur, was den Inhalt betrifft, informiert wird, enthält zwei der schwierigsten Koloratursopranpartien überhaupt. Zu ihnen gehört die Titelpartie, und es dürfte eine weitere Herausforderung für das nationalbewusste Publikum gewesen sein, dass sie mit einer Deutschen, Diana Damrau, damals noch am Anfang ihrer internationalen Karriere, besetzt worden war. Die Sängerin sieht bezaubernd aus, spielt mit Anmut und Würde und singt ihre halsbrecherischen Arien nicht nur souverän, sondern gibt den sanfter als bei der Rivalin klingenden Koloraturen auch einen interpretatorischen Sinn. Am Schluss der Oper darf sie auch das dramatische Potential ihrer Stimme vorführen. Puppiger und soubrettiger als sie wirkt die Gegenspielerin Semele, gesungen von Desirée Rancatore, die Koloraturen, mit denen auch ihre Rolle gespickt ist, klingen nicht weniger souverän, aber schärfer, was für die Interpretation der ehrgeizigen Dame durchaus Sinn macht. Pikanterweise sang drei Jahre später auf ihrer CD Damrau auch die schwierigste Arie ihrer Rivalin. Einen wunderbaren Mezzosopran satter Farben, geschmeidig und von dunklem Glockenton hat die stattliche und damit für Hosenrollen gut geeignete Daniela Barcellona für den doppelt geliebten und ebenfalls Verzicht übenden Isséo, Genia Kühmeier singt mit hellerer und weniger prächtiger Stimme korrekt den König von Kreta, der Europa einst geraubt und zwangsverheiratet hat. Ihr „Ah voi Dei“ kann aber durchaus mit den Leistungen der Kollegen mithalten. Giuseppe Sabbatini, den man trotz seiner besonderen Musikalität nicht so besonders gern in den Rollen feuriger Liebhaber erlebte, ist mit seinem dunkel getönten Tenor guter Mittellage genau richtig am Platz als intrigierender Egisto, der seine gerechte Strafe erhält.

Der Chor ist auf die Unterbühne verbannt und beweist rein akustisch seine besonderen Qualitäten, so mit einem an den Priesterchor der Zauberflöte erinnerndem „O Temis immortale“. Riccardo Muti und das Orchester der Scala, die er wenig später im Zorn verließ, machen mit dem entsprechenden Erfolg die Aufführung der Europa Riconosciuta zu ihrer Herzensangelegenheit und wirken mit großem Engagement. Ein ganz junger Roberto Bolle und Alessandra Ferri sind das gefeierte Solistenpaar in der Balletteinlage (DVD Erato 0190295889982). Ingrid Wanja

Ensemblegeist gleicht manches aus

 

2016 jährte sich der 200. Todestag des Mozart-Zeitgenossen Giovanni Paisiello. Natürlich waren einige seiner Werke deswegen auch auf diversen Festivals zu sehen. Der Mitschnitt einer dieser Aufführungen ist nun auf CD erhältlich –  La Grotta di Trofonio (Die Grotte/Höhle des Trofonio).Eigentlich war die originale „Grotte des Trofonio“ ein sehr populäres Stück von Antonio Salieri von 1785. Dies ist eine der ersten großen Partnertausch-Opern – die titelgebende Grotte ist nämlich verzaubert, und wer sie betritt, der ändert seinen Charakter grundlegend, melancholische Menschen werden aufgedreht, cholerische sanftmütig – und diese Wiener Oper beschrieb, wie es Liebespaaren erging, die sich auf dieses Höhlenabenteuer einließen.

Die Idee war sehr erfolgreich und hatte enormen Einfluss auf die zeitgenössische Opernszene – der bekannteste Ableger ist Mozarts Così fan tutte. Aber auch Paisiello hat sich anregen lassen und sich noch im  Monat der Premiere von Salieris Oper eine neue Text-Fassung für Neapel schreiben lassen. Genau diese Version wurde nun in Martina Franca beim Opernfestival della Valle D´Itria 2016 mitgeschnitten. Das Ganze ist ein Riesenspaß mit herrlichem Chaos und vielen turbulenten, fast schon rossinisch klingenden Ensembles.

Giovanni Paisiello“ „La Grotta di Trofonio“ in Martina Franca 2016/ Szene/ Foto Paolo Conserva/ FVI

Paisiello ist leider immer noch ein Insider-Tipp, und vor allem ist er ein typischer Festival-Komponist. Er wird gern bei Sommerfestivals aufgeführt, denn er ist relativ leicht zu besetzen, und er hat so viel komponiert, dass man immer damit werben kann, eine Paisiello-Oper ganz neu vorzustellen. Und der Bodensatz  ist da noch lange nicht  erreicht – weder qualitativ noch quantitativ. Er ist eigentlich fast immer nett anzuhören; ich mag ihn viel lieber als Cimarosa, weil Paisiello sich meist aus der Verwechselbarkeit und Oberflächlichkeit durch einen Hang zur Melancholie rettet, der sogar E.T.A. Hoffmann, einen eingeschworenen Feind italienischer Buffe, zum Paisiello-Fan machte. Kein Wunder: Paisiellos Figuren sind meist ziemlich lädiert, innerlich zerrissen und psychisch beschädigt; es sind nie Marionetten, und das macht ihn in seinen besten Momenten zu einem Mozart des kleinen Mannes.

Vergleicht man diese Grotta mit Salieris Oper, kommt Paisiello zunächst nicht allzu gut weg. Paisiellos Stammlibrettist Giuseppe Palomba hat nämlich das ursprünglich schön herbe Libretto von Casti, das durchaus den Biss der Così hat, für das neapolitanische Publikum zu einem total albernen Stück gemacht. Das ist, als würde man den Film „Zwei ziemlich beste Freunde“ in eine Sitcom umwandeln. Nun folgt ein (platter) Gag nach dem anderen, und die herrliche Durchsichtigkeit der Salieri-Oper mit ihren sechs Personen geht völlig verloren, weil Palomba das Ganze um zwei unnötige Personen aufstockt. Dann kommt viel neapolitanischer Dialekt hinzu, und so wird aus einer eleganten Komödie ein spröder Schwank. Und doch – Paisiello schafft es immer wieder, seine melancholischen Stücke hineinzuschmuggeln, es gibt auch hier wie in fast jeder Paisiello-Oper wunderschöne Herzschmerzarien; Eufelias Solonummern sind superb.

Zu klein besetzt und auch orchestral etwas breiig – aber der Ensemblegeist dieser Produktion gleicht vieles wieder aus. Es ist viel geschimpft worden auf dies kleine, aber weltbekannte Festival in Martina Franca in Sachen Besetzung usw., und doch es hilft alles nichts, es bleibt eines der wichtigsten Opern-Festivals in Europa. La Grotta verblasste etwas neben einer der großartigsten Produktionen in der gesamten Geschichte des Festivals, der Uraufführung der nachgelassenen, nie gespielten Francesca di Rimini von Mercadante unter Fabio Luisi (die ebenfalls gerade bei Dynamic erschienen ist – als CD und DVD Bluray). Da dümpelte diese Paisiello-Schaluppe etwas im Schatten dieses Riesentankers vor sich hin. Und das ärgert mich, weil man den großen Buffo-Maestro damit dann doch zu sehr zum Lückenbüßer verdammt. Diese buffe aus dem 18. Jahrhundert könnten richtig großartig klingen, wenn man ihnen eine Chance gäbe; meist sind sie (wie hier wieder) aber zu klein besetzt und auch orchestral etwas breiig, und das ist der Tod für diese fragilen Stücke.

Man könnte sich generell fragen, ob die alte buffa nach Martina Franca gehört. Man spielt ja auch keine Puppenstücke in der Arena von Verona. Martina Franca ist ein Open-Air-Festival, und diese kleinen Perlen klingen einfach immer schrecklich im Freien. Das braucht die Akustik intimer Häuser, und so hört  sich der Orchestersound auch meist an wie aus der Tonne. Oft sind die Sänger mit ihren Rollen überfordert. Zwar hat man auch hier einige Stars eingekauft, Roberto Scandiuzzi als Magier Trofonio dröhnt die Partie wirklich ehrfurchtgebietend, und der unverwüstliche Buffo Domenico Colaianni als genervter Vater launischer Töchter ist wie immer sehr komisch – aber die Töchter selbst schwächeln dann doch, und grade in den expressiven Momenten hört man nicht mehr gerne zu. Was diese Produktionen allerdings hat, ist Ensemblegeist – hier sind 100 % Italiener auf der Bühne, das ist ein Heimspiel, und die herrlich verwickelten Ensembles schnurren ab wie ein wundervolles antikes Uhrwerk. Diese Spielfreude gleicht dann doch vieles wieder aus (Titel Giovanni Paisiello: La Grotta di Trofonio mit Benedetta Mazzucato, Caterina di Tonno, Matteo Mezzaro, Domenico Colaianni, Angela Nisi, Roberto Scandiuzzi | Orchestra Internationale d’Italia | Leitung: Giuseppe Grazioli; 2 CD Dynamic CDS 7754.02). Matthias Käther

„Uthal“ von Étienne-Nicolas Méhul

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Étienne-Nicolas Méhuls mehr oder weniger einziger Ruhm in unserer Zeit ruht fast ausschließlich auf seinem Joseph, dem einzigen unter seinen 35 dramatischen Werken, dessen Aufführungen sich seit seiner Premiere 1807 bis heute finden, und vielleicht noch auf der prachtvollen Ouvertüre zu La Chasse du jeune Henri (von vielen berühmten Dirigenten aufgenommen).

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Etienne-Nicolas Méhul, Gemälde von Antoine-Jean Gros/OBA

Étienne-Nicolas Méhul, Gemälde von Antoine-Jean Gros/Wiki

Das Ausmaß einer solchen Vernachlässigung ist jedoch nichts Neues, wie sie schon Berlioz 1852 beklagte. 1763 in Givet in den Ardennen geboren und in Paris zur Vervollständigung seiner Studien ausgebildet, hatte Méhul das große Glück, Gluck vorgestellt zu werden. Der erkannte sein Talent und riet ihm, sich der Oper zuzuwenden. 1797 erzielte Méhul einen brillanten Erfolg an der Opéra-Comique mit Euphrosine. Während er zur selben Zeit das Seine zu den prunkvollen Revolutions-Feierlichkeiten beitrug (dessen typischer Stil sich in den Morceau d´ensemble no. 4 in Uthal findet: „Abreuvez-vous du sang des traîtres“), komponierte er mit wechselndem Erfolg weiter für die Comique. Zudem war er auch eines der Gründungsmitglieder des Conservatoire de Paris. Seine Karriere, die während der Zeit Napoleons unbeschadet weiter gelaufen war, erreichte ihren Höhepunkt 1805 mit Joseph, bis die Errungenschaften Spontinis und eine fortschreitende Tuberkulose Méhuls Energien erschöpft hatten. Sein Tod 1817 fiel mit der ersten Vorstellung von Rossinis Italiana in Algeri zusammen – der Beginn einer Revolution du gout, die sich tödlich auf eben die Ästhetik auswirkte, die Méhul so sehr verfochten hatte.

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Und heute? Ein paar Wiederbelebungen ohne große Wirkung (darunter der Horatius aus den Radio-Sechzigern, verschiedene Josephs und Iratos), die Einspielungen seiner Klaviersonaten, seiner vier Sinfonien und einiger Opern (darunter L´irato, Stratonice und Adrien, s. jpc oder Amazon) erlauben es uns glücklicherweise, die Einschätzung seines Genies zu erweitern.  Aus Paris gibt es vom 30. Mai 2015 – nach einem verdienstvollen ersten Anlauf der BBC 1972 (Sarti, Wakefield/ Robinson auf UORC-LP) – Méhuls Opéra comique in einem Akt, Uthal, von 1806, konzertant unter Christophe Rousset mit einer illustren Besetzung durch Karine Deshayes, Yann Beurron (in der Titelrolle), Jean-Sébastien Bou, Sébastien Droy, den Talens Lyriques und dem Kammerchor aus Namur – dies alles wieder einmal im Zuge der Bemühungen des hier vielfach gelobten und erwähnten Palazetto Bru Zane in der prachtvollen Opéra Royale de Versailles, am Radio bei Radio France und natürlich nun auf einer CD bei Ediciones Singulares im unpraktischen, aber eleganten Buchformat mit vielen Aufsätzen in Französisch und Englisch sowie dem zweisprachigen Libretto – Qualität wie meist.. Gesungen wird, wie oft bei Rousset und dem Palazetto, ebenfalls hervorragend: Karine Deshayes, Yves Beurron, Jean-Sebastien Bou, Sebastien Droy und andere machen dem französischen Gesang der mittleren Größe Ehre; dazu kommt Christophe Rousset mit seinen Mannen ganz wunderbar. Alles in allem eine Ossian-Story zum Füße Wippen.

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Méhul: Christophe Rousset leitet die Wiederbelebung des "Uthal" in Versailles/Spectacles de Versailles/Ceric La Rayadieu/chateauversailles-spectacles.fr

Méhul: Christophe Rousset leitet die Wiederbelebung des „Uthal“ in Versailles/Spectacles de Versailles/Ceric La Rayadieu/chateauversailles-spectacles.fr

Kommentare zur Oper Uthal sind knapp, weil kaum jemand sie bislang gehört hat. 1925 schrieb der Musikwissenschaftler Lionel de la Laurencie: „Am 17. Mai 1806 gab es an der Opéra-Comique eine merkwürdige Oper, Méhuls Uthal, auf ein von Ossian inspiriertes Libretto, die besonders romantisch wegen ihrer Orchesterfarben  wirkte. Die Geigen wurden durch Violas ersetzt.“ Und er hatte recht, darauf hinzuweisen, dass sich einige Opern der Napoleonischen Periode durch besondere Originalität auszeichnen und nicht wie oft angenommen nur durch überflüssigen Pomp. Als Reaktion auf den Erfolg von Les Bardes, eine Oper von Lesueur 1804 an der Académie Impériale de Musique, beauftragte die Opéra-Comique Méhul, ein kurzes, beeindruckendes Werk zu schreiben, das von den Ossianischen Gesängen des James Macpherson inspiriert sein sollte (s. Wikipedia), die kurz zuvor ihren Weg nach Frankreich gefunden hatten (und die Goethe bereits 1774 zu seinem Werther angeregten).

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Méhul: Die Wirkung der Gesänge Ossians - Illustration zu Goethes "werter" von Nicolai Abraham Abildgaard/ Staatsbibliothek Berlin

Méhul: Die Wirkung der Gesänge Ossians – Illustration zu Goethes „Werter“ von Nicolai Abraham Abildgaard/ Staatsbibliothek Berlin

Der Komponist hatte die brillante – und wagemutige – Idee, die Nebel durchzogene Landschaft Schottlands (so, wie er sie sich vorstellte) von einem Orchester ohne Violinen evozieren zu lassen. Die „Gotische“ Farbe der Holzinstrumente und die poetische Melancholie einer Harfe, die ab und zu aus dem Ensemble herauszuhören ist, kontrastieren auffällig mit den martialischen Chören und den kriegslustigen Charakteren Larmors und Uthals. Bereits in der Ouvertüre überrascht Méhul mit dem Kunstgriff, Malvina in der Kulisse verzweifelt nach ihrem Vater rufen zu lassen. Der Chor selbst besteht aus dreigeteilten Männerstimmen. Die Hymne au soleil ist ein ausgesprochen romantisches Stück und wird von den Barden gesungen – einer der besten Einfälle unter Méhuls Kompositionen . Die Studenten des Pariser Conservatoires (unter dessen Gründern Méhul selbst gewesen war), sangen dieses Hymne an die Sonne bei seinem Begräbnis 1817.

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„Ossian“ von Francois-Pascal Simon Gérard/OBA

Im Folgenden bringen wir zur Ergänzung einen Text des eminenten französischen Musikwissenschaftlers und Musikkritikers Gérard Condé zum Uthal von Méhul  (…) Einige Wiederaufnahmen ohne große Bedeutung, die Einspielung seiner Klaviersonaten, seiner vier Sinfonien und einiger Opern (darunter L’irato, Stratonice und zuletzt Adrien) haben es glücklicherweise ermöglicht, den Blick auf sein Genie zu erweitern. In den Köpfen der wenigen, die sich seiner Existenz bewusst sind, ruft Uthal jedoch immer noch nur den harschen Ausruf von Grétry am Ende der Uraufführung am 17. Mai 1806 hervor: „Ich würde einen Louis geben, um eine E-Saite zu hören“. Diese ironische Bemerkung rührt von Méhuls Entscheidung her, die Geiger zu bitten, ihre Instrumente gegen Bratschen zu tauschen, um dem Orchester einen verschleierten und melancholischen Klang zu verleihen, der mit der Atmosphäre der ossianischen Welt übereinstimmt. Dies wird besonders in der Ouvertüre deutlich, wo die Holzbläser, die die Rolle der Violinen übernehmen, mit einer intensiven Schneide über den rastlos wogenden Wellen der tiefen Streicher ausbrechen, wie sie es auch im Morceau d’ensemble („Nous le jurons, ce jour qui nous éclaire“) wieder tun werden. Dies ist auch in der Romance d’Uthal (Nr. 5, „Pour prix d’un bien si pleine de charme“) und im Chant des bardes („Près de Balva“) zu beobachten, wo die Bratschenstimmen, die auf den unteren Teil ihres mittleren Registers beschränkt sind, die ständige Bewegung der Harfe überdecken. In seinen Soir

Gretrys Witz war zwar treffend, ging aber im Vergleich zu den Argumenten, die Cherubini (in einem von Arthur Pougin notierten Artikel) vorbrachte, um die geringe Sympathie zu rechtfertigen, die Uthal bei ihm weckte, nicht weiter: Diejenigen, die auf den Ruf und die Erfolge von Méhul eifersüchtig waren, warfen ihm lange Zeit vor, er habe sich nicht genug mit seinen kompositorischen Studien beschäftigt. Méhul hatte die Schwäche, auf diese Vorwürfe empfindlich zu reagieren, und etwa seit der Zeit, in der er Joanna [1802] komponiert hatte, hielt er es für notwendig, zu beweisen, dass er solche Studien durchgeführt hatte, indem er in seine Kompositionen vorschnell Formen einführte, die sowohl zu scholastisch als auch zu pedantisch für die Oper waren, und mit denen er die nachfolgenden Stücke zu überfrachten pflegte. Diese prätentiöse und schädliche Methode hat er seither in allen Opern, die er komponiert hat, egal ob es sich um ernste oder komische handelt, beibehalten. Cherubini hatte die – etwas zu sehr ausgeprägte – Tendenz zur Nachahmung im Sinn, wie sie in Malvinas Arioso „Pour soulager tes maux“ zu beobachten ist. Dabei ließ sich Méhul vom stilistischen religiösen Archaismus inspirieren, um die Frömmigkeit der Figur zu unterstreichen.

Méhul: „Ossian“ – Gemälde von Jean-Auguste Dominic Ingres/OBA

Das umstrittene oder in Vergessenheit geratene Uthal hat dennoch seine Anhänger gefunden. Im Jahr 1904 führte das Dessauer Opernhaus eine Aufführung durch, die laut „Le Monde artiste“ ein großer Erfolg war. Im Jahr 1908 enthielt die Beilage der Revue musicale nicht weniger als 150 Seiten eines Klavierauszugs des Werks. Man kann jedoch auf das Jahr 1856 zurückgehen, als Castil-Blaze in seiner Histoire de l’opéra einen der denkwürdigsten Abschnitte hervorhob: Die Hymne au sommeil, in der vier Barden singen, die nur von zwei Harfen, zwei Flöten und zwei Hörnern begleitet werden, ist sehr schön; ihr melodiöses Ensemble wird durch die harmonische Gestaltung und die Merkwürdigkeit einer Folge gemeinsamer Akkorde, die geschickt miteinander verbunden sind, angenehm variiert. Wie in Les musiciens célèbres von François Desplantes nachzulesen ist, versammelten sich einige Zeit nach Méhuls Tod Gesangsstudenten des Conservatoire um sein Grab auf dem Friedhof Père Lachaise, um dieses Stück aufzuführen; der einzige Abschnitt aus dem Gesamtwerk, der sich am längsten gegen diese Vernachlässigung wehrte. Die auffällige Kombination von Hörnern, Flöten und Harfe, die die fließende Vokalpolyphonie mit dezenten Chromatisierungen untermauert, vermeidet akademische Vorbilder völlig, während die Klagen von Malvina, die in der zweiten Strophe an die Spitze gestellt werden, den natürlichen Eindruck, der dieses Stück so reizvoll macht, nicht beeinträchtigen.

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Méhul: Malvina beweint den Tod Oscars, Gemälde von Elizabeth Harvey/Grand Palais de Paris

Trotz seiner offensichtlichen musikalischen Schönheiten gelang es Uthal nicht, über seine ersten 15 Aufführungen hinaus im Repertoire zu bleiben. Arthur Pougin vermutete Méhuls „großen Fehler, dass er sich nicht ausreichend um das inhärente oder dramatische Potenzial der Gedichte kümmerte, die ihm angeboten wurden und die er zu leicht akzeptierte“. Das Thema bezieht sich auf den Guerre d’Inistona [Krieg von Inis-thona], in dem Ossian die Autorität Oskars feiert, indem er den alten Anio, der von seinem Verwandten Cormalo vom Thron vertrieben worden war, wieder auf den Thron bringt. Jacques Bins de Saint-Victor hat sein Libretto mit einigen Episoden aus anderen Kompositionen von James Macpherson (1736-1796) ausgeschmückt.

Die gälischen Gedichte, die dieser dem legendären Barden Ossian aus dem dritten Jahrhundert zuschreibt, dessen Veröffentlichung 1760/63 eine ganze Generation begeisterte, wurden zu einem beliebten Lesestoff für Napoléon Bonaparte. Saint-Victor widmete sein Gedicht Girodet, der für einen Mort de Malvina verantwortlich zeichnete: Die Leute sind jedoch nicht auf den Betrug des Autors hereingefallen, der aus fast dem gesamten Stück eine schottische Mythologie konstruiert hat. Außerdem wies der Chronist des Journal de l’Empire vom 21. Mai 1806 mit charmantem Schalk darauf hin, dass es sich bei der Handlung um eine Umgestaltung von Plutarchs Leben von Agis und Kleomenes handelt, wo Kleombrotus (Uthal), der Ehemann von Chelonis (Malvina), den Thron seines Schwiegervaters Leonidas (Larmor) besteigt. „Vielleicht wollte der Autor von Uthal eine Art flüchtige Mode ausnutzen, die die schottischen Barden in Paris genossen:

Méhul: Der Autor des Fake-„Ossian“ – James Macpherson, Gemälde von George Romney/Wiki

Er dachte vielleicht, dass Ossian mehr à la mode wäre als Plutarch, und ich denke, dass er nicht weit daneben lag. Das Thema wäre allerlei Glanz und Ansehen beraubt worden, wenn M. de Saint-Victor es nach griechischen Gepflogenheiten behandelt hätte. Es gab eine Zeit, in der die Lakedämonier für einen besseren Ton gesorgt hätten als die Barden […] Ich habe eher das Gefühl, dass die Leiern der lakedämonischen Musiker sich als harmonischer erwiesen hätten als die so genannten goldenen Harfen dieser vergangenen schottischen Priester, die zu einer Zeit und in einem Land lebten, in dem es nicht viel Gold zu sehen gab und in dem man überhaupt keine Musik kannte.“ Auch die Gazette de France vom 19. Mai 1806 zeigte sich streng mit Saint-Victors Libretto, das in seiner Gestaltung nichts Neues und nichts wirklich Interessantes bietet. Die einzelnen Szenen sind unzureichend miteinander verbunden. Der Autor begreift auch nicht, welchen Weg er einschlagen will.

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Méhul: James Macphersons Fake-„Ossian“/OBA

Es ist bekannt, dass die ossianischen Helden – wie ihre homerischen Vorbilder – oft zu Fuß unterwegs waren, weder mit Gefolge noch mit Prunk. Die Schönheiten aus Morven und Erin machen es sogar noch besser; sie greifen gelegentlich im Kampf zur Lanze und trotzen dem Tod an der Seite ihrer Liebsten. Doch in unserem Theater erwecken all dieses Herumgehetze und die nächtlichen Monologe nicht dieselbe Illusion; uns erscheint es sehr eigenartig, dass der wilde Uthal ganz allein auf der Jagd nach seiner Frau steht und ein ganzes feindliches Heer herausfordert. Der Inhalt des Themas hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von König Lear: Malvinas großmütige Art, zu erklären, dass sie die Unglücklichste ist, ist schon tausendmal verwendet worden; im Übrigen aber sind die Charaktere recht gut definiert, das Lokalkolorit wird erfolgreich beibehalten. Oft sind die Verse gelungene Nachahmungen des schottischen Barden; die Stille des Abends, das Murmeln der Gebirgsbäche, die Sturmwinde, die Wolkenpaläste, die Gespenster der Helden kehren immer wieder dorthin zurück; mit beiden Händen streut der Autor die Wildblumen der ossianischen Zunge aus, und das alles erzeugt eine recht merkwürdige Wirkung im Land der Opéra Commique.

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Was die Musik betrifft, so hat sich die Meinung des Kritikers völlig geändert: Der Komponist hat das Thema viel besser erfasst: Seine Musik wird an der Stelle des trône de la fête merklich erregt. Seine Ouvertüre, von breitem Stil und dunklem Kolorit, kündet gekonnt von den nächtlichen Gespenstern und den Sturmwinden. Das Duett zwischen Larmor und Malvina ist äußerst süß und zärtlich eingefangen. Die Ankunft von Morvens streitlustigen Kindern [Nr. 2, „Le grand Fingal, pour punir les rebelles“] ist ein originelles Stück; der Klang der Harfen, vermischt mit den fernen Worten der Barden, erzeugt einen herrlich weltfremden Effekt. Die Ankunft der Barden aus Ossian ist schon oft gepriesen worden; ich bezweifle, dass dies auf eine bezauberndere Weise geschehen kann als hier.

Der Verweis auf Jean-François Le Sueurs Oper Ossian oder Les Bardes (nach dem Gedicht von Calthon und Colmal), die am 10. Juli 1804 an der Opéra uraufgeführt wurde, war unvermeidlich; ebenso vorausschauend warf das Ausmaß ihres Erfolgs einen Schatten auf Méhuls kleines Werk. Unter diesem Gesichtspunkt sind die einleitenden Bemerkungen im Journal du soir, de politique et de littérature des frères Chaigneau vom 18. Mai 1806 zu verstehen: Gestern hat die Uraufführung der einaktigen Oper Uthal, die die Gedichte nach dem Vorbild der Ossian-Gedichte nachahmt, im Théâtre Feydeau einen vollen Erfolg erzielt. Dieses Werk hätte auch an der Académie Impériale de Musique Erfolg gehabt, wo es weder besser aufgeführt noch sorgfältiger inszeniert worden wäre. Der Stil ist großartiger und gehobener, als man es von den Opern des Théâtre Feydeau gewohnt ist; aber was diese Oper noch interessanter macht, ist die Tatsache, dass ihre Musik von dem berühmten Méhul stammt.

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Méhul: Und noch einmal die folgenschwere Ausgabe des „Ossian“/ibrary.loyno._.edu

Das Journal général de France vom 19. Mai 1806 geht sogar noch weiter und präzisiert: „Es handelt sich keineswegs um eine Opéra comique, sondern um eine Tragödie im wahrsten Sinne des Wortes. Das Stück ist fast gänzlich in alexandrinischen Versen geschrieben und mit der ganzen Feierlichkeit des tragischen Stils geschmückt. Die ausgedrückten Gefühle, die Figuren und die Situationen entsprechen den Anforderungen dieses Stils. Dieses neue Stück hat die Schauspieler gezwungen, den Tonfall, den Akzent, die Gestik und die ganze der französischen Bühne angemessene Formalität zu erfassen, und für einen ersten Versuch muss man sagen, dass sie sich sehr erfolgreich verhalten haben. Bei mehreren Gelegenheiten wurde die Abschaffung des Rezitativs in der Oper und das Sprechen desselben vorgeschlagen. Hier gab es wirklich eine große Oper mit einem gesprochenen Rezitativ, und das Publikum schien damit zufrieden zu sein“. Der Chronist scheint vergessen zu haben, dass es an alexandrinischen Dialogen auf den französischen Opernbühnen von Méhuls Euphrosine bis zu Cherubinis Médée keinen Mangel gab.Die Gazette de France vom 19. Mai 1806 griff dieses Thema auf und nutzte die Gelegenheit, um die Interpreten zu würdigen: Der Übergang von der Übertragung von Prosa zum Gesang hat immer etwas Merkwürdiges und Unstimmiges; aber die Verbindung von Poesie und Musik ist wirklich trügerisch; viele Schauspieler wären besser, wenn sie dieses Genre unterstützen würden: zum Beispiel Madame Scio, die, ausgestattet mit einer tiefen Intelligenz und Sensibilität, fast so gut rezitiert wie sie singt. Sie hätte es verdient, am Ende des Werks zusammen mit den Autoren zurückgerufen zu werden. Gavaudan ist in diesem Genre, in dem er seine Ambitionen begrenzen sollte, bereits hinreichend bekannt. Möge es ihm eine Freude sein, uns an der Opéra-Comique zum Weinen zu bringen. Andernorts könnten sowohl er als auch das Publikum verloren gehen: Er ist in der Rolle des Uthal so grimmig wie Madame Scio in der der Malvina rührend ist. Solie hat die Rolle des Larmor übernommen; seine Stimme ist zwar im Niedergang begriffen, hat aber immer noch etwas Ehrwürdiges und Väterliches an sich. Baptiste, dem die Rolle des ersten Barden anvertraut wurde, hat ihren Chant Consolateur perfekt vorgetragen. Er ließ die Unwahrscheinlichkeit der Szene vergessen, und dieses Lob sollte für ihn ausreichen.

Méhul: Der Naturkult in der Folge des „Ossian“/Stich von Mallet/OBA

Wenn man sich diese Berichte zwei Jahrhunderte später ansieht, ist es interessant zu sehen, wie diese provokativen Bemerkungen immer noch ihren Sinn erfüllen; so fällt der Chant des bardes, der nahe am Schluss der Oper steht (für dessen emotionale Haltung er den Weg ebnet), weniger durch seine Unwahrscheinlichkeit als durch die Expressivität der Baritonstimme auf, die sich um das tonale Zentrum in seinem oberen Register und durch seine schroffe Unterbrechung entwickelt. Castil-Blaze informiert uns, dass „das Thema dieser Romanze oder Ballade aus der rührenden Episode von D’Ailly stammt, die in La Henriade mit dieser Zeile endet: ‚Il le voit, il l’embrasse, hélas! C’était son fils‘„. Voltaire zu Gast bei Ossian, in der Tat; das gibt zu denken…

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Méhul: Der Autor, Komponist und Musikwissenschaftler Gérard Condé/paris.mg

Unser Verhältnis zur aufkommenden Romantik mit ihren Trends, Wurzeln und Moden hat sich verändert. Bei der Entdeckung von Uthal suchen wir nicht mehr nach der Neuheit, die die Zeitgenossen mit Recht erwarten durften, sondern nach jenem Gefühl der Verbesserung, das uns ein retrospektiver Ansatz bieten kann, denn Werke aus der Vergangenheit können uns interessieren, wenn sie sich ausreichend in ihre eigene Zeit einschreiben, um uns dorthin zurückversetzen zu können, und gleichzeitig reich genug an Substanz sind, um sich mit unserer Zeit zu befassen und ein Licht auf sie zu werfen. Auf diese Weise können wir eine gültige Verbindung zu dem herstellen, was unsere Vorgänger vielleicht aus Gründen abgelehnt haben. Man kann die Geschichte nicht ändern; es ist die Geschichte, die uns auffordert, sie neu zu schreiben. Gerard Condé/ Übersetzt mit DeepL

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Den Text entnahmen wir dem Booklet zur Einspielung beim  Palazetto Bru Zane mit Dank; Bild oben: Ossian Receiving the Ghosts of Fallen French Heroes, 1805; Ölgemälde von Anne Louis Girodet-Trioson/Wikipedia. 

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Tsunami d’amour

 

Wo besser als in Indien oder Ceylon und damit in Bizets Les Pȇcheurs de Perles bietet sich für Regie die Möglichkeit, archaische Bräuche, religiöse Verstiegenheit und moderne Technik unter einen konzeptionellen Hut zu bringen, und so kombiniert denn auch Regisseurin Penny Woolcock unbekümmert, aber durchaus nicht werkentstellend einen zottelhaarigen guruhaften Hindupriester mit einem laptopbedienenden Verwaltungsbeamten, der allerdings durch allgemeinen Zuruf zum König berufen wurde, kein Ende findendes Voreinanderverneigen mit Benzinkanistern, die über den Häuptern der zum Tode Verurteilten ausgegossen werden. Auch die Kostüme von Kevin Pollard reichen von in allen möglichen Orangetönen gehaltenen Saris und Pluderhosen zu strengen Anzügen im europäischen Stil. Bühnenbildner Dick Bird hat viel Holzgestänge auf die Bühne gebracht, dahinter ist das Bild eines wohl ertrinkenden Mädchens zu sehen, noch weiter entfernt Hochhäuser einer modernen Großstadt, die librettogerecht am Schluss abbrennen, während das Liebespaar die Flucht ergreift. Die erste Szene des dritten Akts spielt im mit Akten vollgestopften, aber auch mit Bierflaschen gefülltem Kühlschrank versehenen Büro von Zurga.

Viel zu tun hat der Chor (Donald Palumbo), und er erledigt sich seiner vielfältigen, zwischen Gebet und Rachegeschrei angesiedelten Aufgaben mit Bravour. Das Orchester der Met unter Gianandrea Noseda bringt das Ungewöhnliche der Instrumentierung durch Bizet wirkungsvoll zur Geltung.

Diana Damrau als Leila ist auch als Brünette sehr hübsch anzusehen, ihr Sopran erfreut durch seine außergewöhnliche Reinheit und Süße, die leichte Emission und die schwerelos wirkende Führung der Stimme passen gut zur Partie. Das entsprechende Lied klingt tatsächlich so federleicht schwebend wie Text und Musik es erwarten lassen, die Koloraturen sind wahrhaft deliziös, haben nichts rein Mechanisches an sich. Die Darstellung mag Geschmackssache sein, wird manchen Zuschauer als zu zappelig, zu affektiert, zu manieriert anmuten. Nicht durch sein angenehmes Spiel, sondern durch seinen Gesang ist der Nadir von Matthew Polenzani eine Enttäuschung, denn sein Tenor ist nicht prägnant genug, hat auch nicht die Süße und Eleganz von Vorgängern in der Partie wie  Legay, Vanzo oder auch aus neuerer Zeit wie Alagna oder Korchak, und die heiklen Höhen erscheinen als allzu wenig an die Stimme angebunden. Wesentlich besser kann Mariusz Kwiecien als Zurga mit dunklem Timbre und schlanker Stimmführung, dazu großzügiger Phrasierung gefallen. Eher optisch als vokal imponieren kann Nicolas Testé als Nourabad.

Insgesamt bezeugt die Produktion, dass das Werk durchaus repertoirefähig ist und es mit entsprechender Besetzung sein Publikum finden kann (Erato 0190295893613). Ingrid Wanja        

Ein Vielvermisster

 

Am 27. Jänner 2017, ist Rudolf Bibl überraschend im 88. Lebensjahr in Frontignan (Frankreich) verstorben. Dazu schreibt die Wiener Volksoper : Die Volksoper und ihr Publikum trauern um einen hoch geschätzten und geliebten Kollegen und Freund.

Bis zuletzt stand Professor Bibl am Pult unseres Orchesters. Er begleitete die Volksoper im Mai 2016 zum Japangastspiel nach Tokio, wo er drei Vorstellungen von „Die Csárdásfürstin“ dirigierte. Seine letzte Vorstellung an der Volksoper war die Fledermaus am 1. Jänner 2017.

Volksoperndirektor Robert Meyer: Professor Rudolf Bibl war der Volksoper fast ein halbes Jahrhundert verbunden. Er hat an unserem Haus unglaubliche 2273 Vorstellungen dirigiert. Er war eine Dirigentenlegende, eine Ikone, vor allem ein wunderbare Kollege und Freund, hochgeschätzt und geliebt. Trotz seines hohen Alters ist sein plötzlicher Tod ein großer Schock für uns alle. Es ist aber ein Trost, dass er bis zuletzt aktiv geblieben ist und an unserem Haus dirigiert hat. Ich empfinde es als großes Glück, dass er die Volksoper noch einmal auf das Japangastspiel im Mai 2016 begleiten konnte und sich so von dem japanischen Publikum, das ihn vergöttert hat, verabschieden konnte. Wir werden ihn alle sehr vermissen.

Rudolf Bibl wurde in eine musikalisch vorbelastete Familie hineingeboren. Großvater und Urgroßvater waren k. u. k. Hofkapellmeister und Domorganisten. Schon während der Gymnasialzeit studierte Rudolf Bibl an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien Klavier, Klarinette und Komposition und besuchte die Dirigentenklasse. Nach der Matura wollte er Biologie oder Veterinärmedizin studieren, doch Prof. Hans Swarowsky, der Dirigent und weltberühmte Lehrer einer ganzen Dirigentengeneration, wusste dies zu verhindern. Er engagierte den jungen Künstler 1948 als Solorepetitor an die Grazer Oper. Von dort ging er 1952 als Kapellmeister nach Innsbruck und wieder nach Graz als Operettenchef. 1960 kehrte Rudolf Bibl nach Wien zurück, zuerst an das Raimundtheater und dann als Erster Dirigent an das Theater an der Wien. Von 1969 bis 1973 war er Musikdirektor in Trier, verbunden mit ständigen Gastspielen in Frankreich und Luxemburg.

Seine lange Verbundenheit mit der Volksoper begann, als er am 2. Dezember 1972 für „Das Land des Lächelns“ zum ersten Mal am Pult des Hauses stand. Ab der Saison 1973/74 bis zu seiner Pensionierung am 31.8.1989 war Prof. Rudolf Bibl fest an der Volksoper engagiert. Aber auch danach blieb er dem Haus bis zuletzt auf einzigartige Weise verbunden.

1991 wurde Prof. Rudolf Bibl zum Ehrenmitglied der Volksoper Wien ernannt. Er ist Träger des Ehrenkreuzes des Landes Burgenland. Vom österreichischen Bundespräsidenten erhielt Rudolf Bibl das Verdienstkreuz erster Klasse für Kunst und Wissenschaft und anlässlich der Vorstellungen von „Die lustigen Witwe“ und „Die Fledermaus“ in der Wiener Staatsoper das Silberne Ehrenkreuz der Republik Österreich.

An der Volksoper hat er im Laufe von 45 Jahren an 2273 Abenden ein umfassendes Opern-, Operetten- und Musicalrepertoire dirigiert. Er leitete die Uraufführung von „Robert Stolz – Servus Du“ und weitere 18 Premieren: u. a. „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ (1975), „Im weißen Rössl“ (1976 und 1993), „Der Fremdenführer“ (1978), „Gasparone“ (1980) „Die Csárdásfürstin“ (1982), „Die lustigen Weiber von Windsor“ (1982), „Hello, Dolly!“ (1984), „Das Land des Lächelns“ (1985), „Madame Pompadour“ (1986), „Der Zigeunerbaron“ (1989) und „Der fidele Bauer“ (1997). Weiters dirigierte der Künstler die Neuinszenierungen von „Die Fledermaus“ (1974), „Der Graf von Luxemburg“ (1977) und „Die Zirkusprinzessin“ (1990).

Ein wichtiges Ziel war ihm immer, Wiener Musik in höchster Qualität der Welt bekannt zu machen. Er betreute zahlreiche Auslandsgastspiele, wie jene in Den Haag (1975, 1976), Moskau (1983), Berlin (1986), Japan (1979, 1982, 1985, 1989, 1993, 2016) oder den USA (1984).

Als Konzertdirigent war Rudolf Bibl stets gern gesehener Gast in Japan, wo er auch zahlreiche Neujahrskonzerte mit dem Symphonieorchester der Volksoper Wien und dem NHK Tokio dirigierte. Zudem leitete er Operettenproduktionen in St. Gallen, an der Opéra de Bastille Paris, an der Berliner Staatsoper und bei den Seefestspielen Mörbisch, deren musikalischer Leiter er über viele Jahre war. (Quelle: Wiener Volksoper; Foto oben: Rudolf Bibl/ Foto Wiener Volksoper)

Jennifer O’Loughlin

 

Als Titelheldin in Bellinis La Sonnambula feierte Jennifer O’Loughlin in der Spielzeit 2015/16 große Erfolge im Münchner Prinzregententheater. Ein weiteres Rollendebüt für die US-amerikanische Sopranistin stellte im Januar 2017 die Leïla in Les Pêcheurs de perles von Bizet dar. Nach ihrem Karrierebeginn an der Wiener Volksoper und neben dem aktuellen Engagement am Münchner Gärtnerplatztheater verfolgt Jennifer O’Loughlin eine internationale Karriere; in den letzten drei Jahren gastierte sie z.B. am New National Theatre Tokyo als Fledermaus-Adele (inszeniert von Heinz Zednik und dirigiert von Alfred Eschwé),  2015 mit dem Sopransolo in Orffs Carmina burana unter Kristjan Järvi beim „Georges Enescu“-Festival 2015 von Bukarest und 2016 in Händels Messias mit dem Baltimore Symphony Orchestra unter Edward Polochick sowie als Tytania in Brittens Midsummer Night’s Dream am Opernhaus von Valencia, unter der musikalischen Leitung von Roberto Abbado. Sebastian Stauss traf die Sängerin in München während der Proben zu den Pêcheurs de Perles!.

Sexy und selbstbewusst: Jennifer O’Loughlin/ Foito David Martin Jacques

Wie für alle ihre Partien beschäftigt sich Jennifer O’Loughlin beim Einstudieren von Bizets Leïla sehr gründlich mit dem Idiom und dem Stil ihrer Partie: „Schon während der Ausbildung am Konservatorium waren meine intensivsten Aussprachekurse jene in der französischen Sprache. Es gibt so viele Regeln und Nuancen! Aber ich habe es immer genossen, französisches Lied zu singen. Vor ein paar Jahren habe ich für meine Interpretation von Poulenc-Liedern den ‚Poulenc Plus’-Wettbewerb unter der Leitung von Dalton Baldwin gewonnen.“ Auch mit Thomas Grubb (u.a. Autor des Buches Singing in French, a Manual of French Diction and French Vocal Repertoire) hat Jennifer O’Loughlin zusammengearbeitet: „Es war wichtig zu lernen, wie man die nasalen Vokale singt, ohne dass Töne direkt in die Nase gehen. Dies erfordert, wie in allen Sprachen, im Französischen aber ganz besonders: viel Stütze, eine sehr offene Kehle, Nase und ein hohes Gaumensegel. Was ich außerdem als Herausforderung empfinde, ist das Schwa, wie z.B. in: ‚Me voilà seule’. Im Wesentlichen ist es ein offenes E mit abgerundeten Lippen – gefährlich, weil es regelrecht in die Kehle zurückfallen kann. Dieses Problem wird durch das Hinzufügen der abgerundeten Lippen verschärft. Also muss ich mir vorstellen, den Schwa-Laut ‚da draußen’ zu halten.“

Jennifer O’Loughlin: Amina in „La Sonnambula“ mit Maxim Kuzmin-Karavaev/ Münchner Gärtnerplatztheater/ Foto Thomas Dashuber

Neben souveräner Koloratur und großer Phrasierungskunst ist, wie selbst Muttersprachler/innen attestieren, auch im italienischen Repertoire die sorgfältige Aussprache kennzeichnend für Jennifer O’Loughlins Interpretationen. Beste Voraussetzungen also für weitere Rollen im so genannten Belcanto-Fach, nach der hoch gelobten Amina in La Sonnambula? Schließlich brachte gerade die Wahnsinnsszene aus Lucia di Lammermoor Jennifer O’Loughlin schon bei den Paris Opera Awards 2013 den „Maria Callas“-Preis ein, und die Aufnahmen der Callas kennt sie ebenso gut wie jene von anderen berühmten Sopranistinnen in italienischen Koloratur-Partien (z.B. Sutherland oder Scotto).  „Was wir heute als Belcanto bezeichnen – Rossini, Donizetti und Bellini –, war bereits das Ende der Belcanto-Ära, die bei Händel und Mozart auf dem Höhepunkt stand. Bellinis Musik finde ich in ihrer Eleganz, Raffinesse, Melodiösität und Introvertiertheit am stärksten, ähnlich wie Chopin. Wie dieser starb Bellini ja jung und konnte nicht annähernd so viel komponieren wie Donizetti oder Rossini, dessen Musik ich als extrovertiert und sehr funkelnd empfinde. Donizetti erscheint mir dagegen dramatischer; er malt gleichsam mit breiteren Strichen und führt näher an Verdi heran.“ Als Partnerin von Elīna Garanča (auf deren jüngstem CD-Recital) ist Jennifer O’Loughlin übrigens in einem Duett aus Verdis Don Carlo als Tebaldo zu hören. „Verdi war quasi die Brücke. Er verkörperte beides, sowohl die ältere Schule des Gesanges als auch das, was wir jetzt Verismo nennen. Ich denke, deshalb sind seine Werke so beliebt. Der Grund, warum das Konzept von Belcanto als Sängerschule so schwer fassbar ist, ist wohl, dass es anfangs von Kastraten perfektioniert und weitergegeben wurde. Eine vereinfachte Sichtweise besteht darin, dass es zwei Gesangsphasen und zwei pädagogische Philosophien gibt: ‚Prä- und Post-Wagner’ bzw. die Kontrolle der Stimme als rein physikalischer Mechanismus gegenüber der Verwendung der Phantasie, um den Körper zu kontrollieren. Ich persönlich gebe der älteren Schule des Gesanges den Vorzug.“

Jennifer O’Loughlin: „Die Kluge“ (mit Wolfgang Koch)/ Volksoper Wien/ Foto Dimo Dimov

Mozart als „eigentlicher“ Belcanto-Komponist bleibt in der Fachentwicklung von Jennifer O’Loughlin zentral. Zu den Münchner Wiederaufnahmen 2016/17 von Così fan tutte und der Entführung aus dem Serail mit O’Loughlin als Fiordiligi bzw. Konstanze kommt bei der Don Giovanni-Premiere im Juni noch das Rollendebüt als Donna Anna: „Meiner Meinung nach ist Donna Anna die bisher dramatischste Rolle in meinem Repertoire.  Und ich denke, es ist gut, dass ich davor noch einige Male als Konstanze auf der Bühne stehe. Rollen mit Noten über dem hohen C halten mich ‚rein und ehrlich’! Ich bleibe damit auf Kurs.“ Zwischen Leïla und den Mozart-Rollen steht im März noch eine Uraufführung des Gärtnerplatztheaters an, Frau Schindler von Thomas Morse, auf die sich Jennifer O’Loughlin ebenfalls freut: „Ich mag moderne Musik und habe eine Menge davon in der Schule gesungen,  einschließlich einem Opern-Einakter, geschrieben von einem der Kompositionsschüler. Es ist interessant, eine Rolle zu kreieren, die niemand zuvor verkörpert hat. Es ist meiner Meinung nach wichtig, daran teilzunehmen und neue Musik zu fördern, weil nur so unsere Kunstform erweitert wird. Ich genieße und erschließe mir möglichst viele verschiedene Stile, damit meine Repertoire-Möglichkeiten schier endlos sind, besonders wenn ich noch das Lied und Oratorium hinzufüge.“

Auch die abschließende Frage, welche Möglichkeiten der Regie sie für exotische Handlungsorte wie bei den in München nur konzertant gespielten Pêcheurs de perles sieht, beantwortet Jennifer O’Loughlin sehr offen: „Ich glaube, dass dieser Exotismus uns im 21. Jahrhundert weniger befremdet als zur Entstehungszeit von Pêcheurs de perles oder Lakmé! Reisen ist so viel schneller heute, und wenn ich etwas über Sri Lanka erfahren will, muss ich gar nicht hinfahren. Ich kann mir im Internet eine Reihe von Dokumentationen über dieses Land abrufen. Das Einzige, was ich von einer Inszenierung verlange, ist, dass sie sinnfällig ist und der Musik dient. Ob sie in der ursprünglich vorgesehenen Zeit angesiedelt ist, finde ich nicht so wichtig. Die Inszenierung muss dem Drama dienen, das in der Musik liegt.“

 

(Foto oben: Jennifer O’Loughlin als Tytania im „Midsummer Night’s Dream“, Volksoper Wien (C) Dimo Dimov; eine ausführliche Biographie und weitere Details finden sich auf Jennifer O’Loughlins website: http://www.jenniferoloughlin.com/)

Ein Leben lang Erste Geige

 

Eher ein Trachtenjanker als der feierliche Frack scheint zu dem freundlich-verschmitzt lächelnden Gesicht auf der Titelseite des Buches von Peter Brem, Ein Leben lang Erste Geige, zu passen, und so kontrastreich wie das Cover ist auch der Inhalt des Buches, das sich mit den höchsten und letzten Dingen der Musik in einer Art und Weise befasst, dass man es lesen kann wie einen spannenden Roman. 46 Jahre lang war der Münchner Mitglied der Berliner Philharmoniker, Teil einiger berühmter Kammerensembles und für einige Semester auch Lehrer an der Berliner Hochschule für Musik.

Wie ein Musikstück gegliedert ist die Autobiographie mit Kapiteln wie „Vorspiel“, „Auftakt“ oder „Punktierung“, nicht durchweg chronologisch aufgebaut, sondern dem Leser auch „Intermezzi“ anbietend und vor allem jedem, der eine Karriere als Musiker anstrebt, wertvolle Einsichten und Ratschläge vermittelnd. So mag es manchem Leser nicht schmecken, wenn er kategorisch erklärt: “Eine andere Methode funktioniert nicht“, und damit das kontinuierliche, von Vorlieben und Launen unabhängige ständige Üben und noch einmal Üben meint. Bei Brem führte das sogar so weit, dass er zunächst auf den Besuch des Gymnasiums verzichtete, um die Geige nicht zu kurz kommen zu lassen. Und seine Karriere wäre vielleicht anders verlaufen, wenn er sich nicht so vehement gegen ein Studium in der SU gewehrt hätte, denn an anderer Stelle stellt er fest, dass von dort vor allem zum Solisten ausgebildete, aber nicht Orchestermusiker kamen und kommen.

Höchst aufschlussreich ist der Bericht über das Vorspielen bei den Berlinern, deren besondere Organisationsform dem Leser ausführlich und nachvollziehbar geschildert wird, interessant sind die musikalischen Charakterbilder der Konzertmeister, so Michael Schwalbés, von Brandis, in dessen Quartett er jahrelang mitspielte, und von Spierer – Berliner Konzertbesuchern der letzten Jahrzehnte bestens bekannt. Brem scheut nicht vor gewagten Vergleichen zurück, wenn er schildert, dass ihm Karajan als Gott, Schwalbé als Petrus und der Rest des Orchesters als Engel vorkamen.

Der spezielle Klang der Berliner wird erwähnt, die Findung der Chefdirigenten Abbado und Rattle beschrieben und nicht nur deren spezielle Arbeitsweisen analysiert, sondern auch die von Maazel, Muti, Bernstein, Celibidache, Thielemann und vieler anderer Dirigenten, die mit dem Orchester arbeiteten. Dabei weist Brem mehrfach drauf hin, dass eigentlich bei der Wahl Abbados wie der Rattles eigentlich Daniel Barenboim sein Favorit war. Die Probenarbeit und Aufführungspraxis der drei Chefdirigenten, die er erlebte, wird miteinander verglichen, so die an Brahms‘ 3. Sinfonie. Ab und zu gibt es auch einen Einblick in Privates, so  das gemeinsame Kind von Abbado und Mullova betreffend.

Als jahrelanger Geschäftsführer kann Brem natürlich auch über Nichtkünstlerisches berichten, so darüber, dass die Philharmoniker eigentlich, wer hätte das gedacht, zu schlecht bezahlt wurden oder dass es feine Unterschiede zwischen dem Berliner Philharmonischen Orchester und den Berliner Philharmonikern gibt. Besonders hervorgehoben wird die Jugendarbeit von Rattle, der der Verfasser zunächst recht skeptisch gegenüber stand, und ein leiser Tadel schwingt in der Feststellung mit, dass der britische Dirigent trotz angeblichen Thomas-Mann-Lesens im Original die Proben nie auf Deutsch stattfinden ließ. Er befasst sich auch aufschlussreich mit der Frage, was einen „Superdirigenten“ ausmache, schildert die Aktivitäten der Philharmoniker anlässlich des Mauerfalls und setzt sich mit den atmosphärischen Strömungen im Publikum der Philharmonie auseinander. Als Revolutionär zeigt er sich in der Zusammenarbeit seines Orchesters mit den Scorpions unter Klaus Meine (gegen Abbados Meinung dazu), ebenso in seiner Bejahung der Einrichtung der Digital Concert Hall, die weit weniger umstritten war.

Aber nicht nur musikalische Höhenflüge, sondern auch ganz „Gewöhnliches“ beschäftigt ihn, so  die Hustengeräusche aus dem Publikum und die einheitliche Kleidung für nichtabendliche Auftritte, dunkelblaue Anzüge von Joop, die sich zu seinem Leidwesen bis heute bei den Damen im Orchester nicht durchsetzte.

Zu denken geben sollte manchem Musiker, wie strikt Brem persönliche Beziehungen zwischen z.B. Angehörigen eines Kammermusikensembles ablehnt, welche Schwierigkeiten die Aufführung von Opern, insbesondere des Rosenkavaliers, einem Orchester bereiten können. Nicht überraschend ist für den Leser, wie eng hingegen die Beziehung eines Musikers, vor allem eines Geigers zu seinem Instrument ist, und mit viel Anteilnahme wird er lesen, welche Bedeutung die vier Geigen Brems für ihren Besitzer hatten. Auch Niederlagen wie das vergebliche Bemühen um die Stelle des Konzertmeisters werden nicht verschwiegen, und manch kritischer Blick wird u.a. auf die Auswüchse des Artenschutzgesetzes geworfen, das die Mitnahme uralter Instrumente z.B. in die USA verhindert. So pessimistisch der Blick auf die Zukunft der zu zahlreichen Musikstudenten ausfällt, so optimistisch ist dieser, wenn der Verfasser auf seine nun nicht mehr beruflich, aber privat geübte Beschäftigung mit Musik richtet und damit den Leser in einer gar nicht pessimistischen Stimmung zurücklässt (260 Seiten, rororo 2016; ISBN 978 3 499 63141 2Ingrid Wanja

 

Klara Takacs

 

Mit Bedauern hören wir vom Tode der ungarischen Mezzosopranistin Klara Takács, die am 21. Januar 2017 in Budapest im Alter von nur 71 Jahren verstarb. Sie ist westlichen Opernliebhabern natürlich durch ihre Königin von Saba auf der Hungaroton-Aufnahme in Erinnerung, aber auch als Donizettis Favorite oder Heldin Zaida im Dom Sebastien unter Eve Queler in New York. Zudem hat sie bei Hungaroton viele Aufnahmen hinterlassen. Sie galt als der Mezzoexport Ungarns. Nachstehend ein Auszug aus dem unersetzlichen Kutsch-Riemens.

 Takács, Klara, Mezzosopran, * 24.4.1945 Lengyeltoti (Ungarn); sie sang zuerst im Budapester Madrigalchor, wurde darauf an der Franz Liszt-Musikakademie von Budapest zur Solistin ausgebildet. 1975 war sie Preisträgerin beim Internationalen F. Erkel- Wettbewerb in Budapest. Seit 1973 bekanntes Mitglied der Nationaloper Budapest, an der sie als Lola in »Cavalleria rusticana« debütierte. Hier hatte sie als Orpheus von Gluck, als Adalgisa in Bellinis »Norma«, als Titelheldin in Goldmarks »Königin von Saba«, als Titelfigur in Rossinis »La Cenerentola«, als Cherubino in »Figaros Hochzeit« und in einer Fülle weiterer Partien sehr große Erfolge. Ähnliche Erfolge ergaben sich bei Gastspielen in Ungarn wie im Ausland und auf den Gebieten des Konzert- und Oratoriengesanges. Sie gastierte mehrfach an der Wiener Staatsoper und nahm 1986 an deren Japan- Tournee teil. 1987 Gastspiel am Teatro Colón Buenos Aires als Charlotte im »Werther« von Massenet und als Eudoxia in »La Fiamma« von O. Respighi. 1991-92 sang sie bei den Festspielen von Salzburg die Marcellina in »Figaros Hochzeit«. – Sie sollte nicht mit der jüngeren Sängerin Tamara Takácz (* 1950) verwechselt werden, die fast gleichzeitig, und auch als Mezzosopranistin, in Budapest tätig war.

Schallplatten der Marke Hungaroton, darunter mehrere integrale Opernaufnahmen: »Medea« von Cherubini als Partnerin von Sylvia Sass, »Königin von Saba« von Goldmark, »Nerone« von Boito, »Hunyadi László« von Erkel, »Der Apotheker« von Haydn, »Belfagor« von O. Respighi, »Andrea Chénier« von Giordano, Mozart-Requiem, »Die Legende der hl. Elisabeth« von F. Liszt, Missa solemnis von Beethoven, »Lieder eines fahrenden Gesellen« von G. Mahler, »Hary János« von Kodály, geistliche Musik von J. Haydn, Suzuki in »Madame Butterfly«, Krönungsmesse von F. Liszt, Petite Messe solennelle von Rossini; auf Ariola-Eurodisc Maddalena im »Rigoletto«, auf Legato Zaida in »Dom Sébastien« von Donizetti. [Lexikon: Takács, Klara. Großes Sängerlexikon, S. 23853/ (vgl. Sängerlex. Bd. 5, S. 3424) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto oben Klara Takacs/ Meghalt Takács Klára operaénekes24.hu)

 

 

Hermann Levi

 

Acht Jahre war der jüdische Dirigent Hermann Levi als gefeierter Hofkapellmeister in Karlsruhe tätig. Ein bedeutender Höhepunkt seiner Laufbahn war das Dirigat der Uraufführung von Richard Wagners Parsifal 1882 in Bayreuth – gegen den Widerstand des Komponisten, der der Überzeugung war, dass ein Jude diese christliche Oper nicht dirigieren könne. Im Gedenken an den heute fast vergessenen Künstler wird der Vorplatz des Badischen Staatstheaters Karlsruhe offiziell Hermann-Levi-Platz benannt. Darüber hinaus erinnern wir in einer Ausstellung im FOYER an den Musiker und Komponisten. Außerdem wird Levi in unserer Opernuraufführung Wahnfried auch auf der Bühne zu erleben sein. Ab Februar 2017 wird sich die Adresse des STAATSTHEATERS von Baumeisterstraße 11 in Hermann-Levi-Platz 1 ändern. (Quelle Badisches Staatstheater/ Foto swr)

 

Dazu auch eine Vita aus dem unersetzlichen Wikipedia (mit Dank): Hermann Levi (* 7. November 1839 in Gießen; † 13. Mai 1900 in München) war ein deutscher Orchesterdirigent und Komponist. Hermann Levi war der Sohn des hessischen Landesrabbiners Benedikt Levi und Henriette Mayer (1807–1842). Seine Mutter entstammte der bekannten Tabakfabrikantenfamilie Mayer in Mannheim. Seine Urgroßväter mütterlicherseits waren der kurpfälzische Hoffaktor Gottschalk Mayer und der Mannheimer Bankhaus-Gründer Wolf Hajum Ladenburg. Sein Großvater väterlicherseits war der Wormser Rabbiner Samuel Levi, ein Sohn des Rabbiners Wolf Levi in Pfersee bei Augsburg. Sein Bruder war der Bankprokurist Wilhelm Levi des Bankhauses Ladenburg, der sich später Wilhelm Lindeck nannte und Vermögensverwalter des Komponisten Johannes Brahms wurde. Hermann Levi heiratete 1895 Mary Fiedler geb. Meyer (1854–1919), eine Tochter des Kunsthistorikers Julius Meyer und Witwe des Kunsthistorikers Konrad Fiedler (1841–1895).

Hermann Levi wuchs in Gießen auf. In Mannheim absolvierte er bei Hofkapellmeister Vinzenz Lachner eine Art musikalische Lehre. Von 1855 bis 1858 studierte er am Leipziger Konservatorium. Nach Reisen unter anderem nach Paris übernahm er den Posten des Musikdirektors in Saarbrücken und wechselte 1861 nach Mannheim. Von 1862 bis 1864 war er Chefdirigent der Deutschen Oper in Rotterdam, anschließend bis 1872 am Großherzoglichen Hoftheater Karlsruhe. In Karlsruhe begann er 1864 mit dem Lohengrin und dirigierte dort zweiter nach der Münchener Uraufführung Die Meistersinger von Nürnberg. Das Angebot, die Uraufführung von Die Walküre in München zu übernehmen, schlug er 1869 aus. Levi freundete sich Johannes Brahms an, die Freundschaft zerbrach allerdings Mitte der 1870er Jahre, und mit Clara Schumann.

Ab 1872 amtierte er als Generalmusikdirektor und Hofkapellmeister am Königlichen Hof- und Nationaltheater in München, bis er sich 1896 aus gesundheitlichen Gründen zurückzog und in Partenkirchen niederließ. 1872 wurde er Mitglied der Zwanglosen Gesellschaft München[1], der er bis zu seinem Tode angehörte.

1874 dirigierte er erstmals den Tristan und wurde nach eigenem Bekenntnis gegenüber Joseph Joachim zum „Wagnerianer“, und 1878 den kompletten Ring. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn dirigierte Levi im Juli 1882 die Uraufführung des Parsifal in Bayreuth. Obwohl aus bedeutenden jüdischen Familien stammend, war Levi in die christliche Mythenwelt Wagners hineingewachsen und seit 1871 mit dem Komponisten freundschaftlich verbunden. Wagner selbst wies Kritik, sein „heiligstes“ Werk nicht von einem Juden dirigieren zu lassen, entschieden zurück. Jedoch stand immer die Forderung Wagners an Levi, sich taufen zu lassen, im Raum. Dieser Erwartung entsprach Levi bei aller Verehrung Wagners zwar nie, der äußere und vor allem innere Konflikt belastete ihn jedoch sehr, wie sich Levis Schüler Felix Weingartner erinnerte.

Im Februar 1883 besuchte er Wagner in Venedig, am Tag nach seiner Abreise starb Richard Wagner. Levi dirigierte März/April des Jahres den Zyklus von Gedächtnisaufführungen mit allen Opern Wagners in München. Er blieb bis 1894 der „Major“ und die rechte Hand der Witwe Cosima Wagner bei der Leitung der Bayreuther Festspiele. Der anhaltende Erfolg der Musik Richard Wagners nach dessen Tod ist eng mit Levis Namen verknüpft. Antisemitische Anfeindungen auch durch Richard Strauss, der sich 1891 über das jüdische Dirigat des heiligen Parsifal bei Cosima Wagner, ebenfalls eine glühende Antisemitin, beschwerte, belasteten ihn schwer.

Levi führte den „Mozart-Zyklus“ in das deutsche Opernrepertoire ein. Er übersetzte selbst die Libretti von Lorenzo da Ponte zu Mozarts Opern Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte ins Deutsche. Dabei bemühte er sich geschickt, die beim Gesang wichtigen Vokale des italienischen Originals möglichst zu erhalten; so übersetzte er zum Beispiel in „Cinque… dieci…. venti… trenta… trentasei…quarantatre“ (Le Nozze di Figaro) das letzte Zahlwort nicht (wörtlich) mit „dreiundvierzig“, sondern (vokalerhaltend) mit „ja, ja, es geht“. Diese Übersetzungen erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit und haben sich gegen andere Übersetzungsversuche durchgesetzt; viele Formulierungen daraus wurden geflügelte Worte („Reich mir die Hand, mein Leben“). Ein Umstand, der die Nationalsozialisten in Verlegenheit bringen sollte: Einerseits sollten Opern nur in deutscher Sprache aufgeführt werden, und andererseits war das Libretto des konvertierten Juden da Ponte auch noch von einem weiteren Juden, nämlich Levi, übersetzt worden.

Levi verfolgte in jungen Jahren zunächst eine Karriere als Komponist: In Paris entstand als sein op. 1, ein an Schumann orientiertes Klavierkonzert in a-Moll, das vom Gewandhausorchester Leipzig uraufgeführt wurde, außerdem eine Symphonie, eine Violinsonate, Klavier- und Kammermusik sowie verschiedene Liedvertonungen. Nach einer harschen Kritik von Brahms an seinen Werken gab Levi jedoch diesen Teil seiner musikalischen Tätigkeit trotz großer Erfolge auf und vernichtete alle Manuskripte. Erhalten geblieben sind lediglich die im Druck erschienenen Werke, zwei Liederzyklen und die Solostimme des Klavierkonzerts. Das verloren geglaubte Orchestermaterial des Klavierkonzerts wurde vom Pianisten und Dirigenten Martin Wettges in der Zentralbibliothek Zürich wiederentdeckt. Er rekonstruierte daraus die Partitur und führte das Werk am 1. Juni 2008 wieder auf (Christian Schröder, Begleitheft zu einer Aufführung des Klavierkonzerts am 4. Februar 2014 in Gießen) (Quelle Wikipedia).

 

Musik eines Heimatlosen

 

Lust auf Operette? Die neue Aufnahme der Polnischen Hochzeit bei cpo ist von Herzen zu empfehlen. Das wunderbare Werk von Joseph Beer kommt unter der Mitwirkung der Hauptdarsteller Nikolai Schukoff und Marina Rüping ganz und gar zu seinem Recht. “In der Heimat blüh’n die Rosen – nicht für mich den Heimatlosen”, singt Graf Boleslav in seiner ersten Arie. Es hätte genausogut aus der Biografie des Komponisten stammen können.

Joseph Beer wurde 1908 in Lemberg (Lwów, Lviv) geboren, das damals noch zum österreichisch-ungarischen Reich gehörte, aber 10 Jahre später eine der wichtigsten Städte des wiederauferstandenen Polens wurde. Beer studierte in Wien, und nach dem “Anschluss” flüchtete er nach Frankreich,  nach Paris, wo er sich mit Hilfe des Direktors des  Châtelet am Leben hielt und die Musik für den Film Festival du Monde komponierte. Sein Versuch die USA zu erreichen missglückte: Weiter als bis Nizza kam er nicht. Er ging in den Untergrund.

Joseph Beer als junger Mann/ Dank an seine Tochter Beratrice Beer/ Jaworski

Untergetaucht komponierte er Stradella in Venedig, eine Oper im veristischen Stil (Premiere in Zürich 1949), die seine letzte zu sein scheint. Er hat überlebt. Nach dem Krieg erreichte ihn die Nachricht, dass seine Eltern in Auschwitz ermordet worden waren. Auch sein Freund, Mentor und Librettist von Polnische Hochzeit, Fritz Löhner-Beda, hatte das Lager nicht überlebt. Anfang der 50er Jahre heiratete Beer Hanna Königsberg, auch eine Holocaustüberlebende (Königsberg war als Kind, zusammen mit ihren Eltern, aus Deutschland geflüchtet). Zusammen mit ihr und ihren zwei Töchtern blieb er in Nizza – bis zu seinem Tod 1987.

Joseph Beer ist niemals über die Nachricht vom Verlust seiner Familie hinweggekommen. Er zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück und hörte mit dem Komponieren auf. Stattdessen stürzte er sich auf sein Studium der Musikwissenschaft: 1966 promovierte er mit dem Thema: „Die Entwicklung des harmonischen Stils in den Werken von Scriabin“.

Seine Operette Polnische Hochzeit wurde nach dem Krieg nicht mehr aufgeführt, Beer wollte dazu seine Zustimmung nicht geben. Das „Warum?“ können wir nur raten, aber offenbar war die Konfrontation mit der Operette für ihn angesichts des Schicksals seiner Familie zu schmerzhaft.

Aber seine Wurzeln verleugnete er nie. Laut seiner Tochter Bèatrice fühlte er sich in erster Instanz als Jude, aber danach sofort als Pole. Kein Österreicher bitte, aber auch nicht Franzose. Er wohnte jedoch in Frankreich beinahe fünfzig Jahre und wurde nach dem Krieg französischer Staatsbürger, aber sein Herz blieb in Lemberg, auch wenn er die Stadt niemals mehr wiedergesehen hat. Er sprach fließend polnisch, was ohne Zweifel wichtig war, um die richtigen Akzente in seinen Partituren zu setzen.

Es ist beinahe nicht zu glauben, aber Beer komponierte Polnische Hochzeit in nur drei Wochen. Die Premiere 1937 in Zürich war ein enormer Erfolg. Sie wurde in acht Sprachen übersetzt und, außer in Nazi-Deutschland, in vierzig verschiedenen Ländern auf die Bühne gebracht.

Unter dem Titel Les Noces Polonaises sollte die Operette am 1. Oktober 1939 im Théâtre du Châtelet aufgeführt werden. Für die Hauptrollen warn Jan Kiepura und Martha Eggerth vorgesehen, was durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges verhindert wurde.

Polnische Hochzeit ist eine herrliche Operette in reicher Wiener Tradition. Man hört Anleihen an Emmerich Kálmán und Paul Abraham (Victoria und ihr Husar!), aber die Partitur ist auch reich gespickt mit polnischen Volkstänzen und jüdischen Volksmelodien. Dazu kommen die  in dieser Zeit viel verwendeten Jazzeinflüsse: Das Duett „Katzenaugen“ ist ein unverfälschter Charleston.

Joseph Beer: Poster zur Uraufführung in Zürich/ Dank an die Tochter Beatrice Beer, die bei youtube mit einem Lied aus der Operette zu hören ist/ Jaworski

Der Operettenliebhaber entdeckt darin alle notwendigen Ingredienzien. Die Jugendlieben  Boleslav und Jadja treffen sich wieder, als Boleslav in sein Vaterland zurückkehrt. Jadja ist Boleslavs reichem Onkel versprochen, aber das schlaue Dienstmädchen Suza (eine Art weiblichen Figaro) weiß das Treiben zu einem guten Ende zu bringen. Die Geschichte hat auch viel von Don Pasquale. Was die Polnische Hochzeit anders sein lässt, ist der hohe Patriotismusgehalt: Die Geschichte spielt im Jahr 1830, im durch die Russen besetzten Polen.

Nikolai Schukoff begegne ich öfter bei den (vergessenen) Operetten von Schirmer und cpo, und das macht mich froh. Nach Giuditta und Zigeunerbaron ist es schon seine dritte Operettenaufnahme. Seine Stimme eignet sich sehr dafür, meiner Meinung nach viel besser als für Wagner, der kleine Narben auf seiner Stimme hinterlassen hat. Er hat braucht etwas  Zeit, um sich „aufzuwärmen“ (die Aufnahme ist live). Schon bei der Mazurka „Polenland mein Heimatland“ kommt er richtig in Schwung und lässt ein paar strahlende hohe Noten hören. Ganz besonders ist auch sein Gefühl für den Rhythmus, wobei er sehr gut unterstützt wird durch den Dirigenten Ulf Schirmer. Und für den schmachtend gesungenen Hit, „Du bist meine große Liebe“, würde selbst ein Gedda sich nicht für schämen müssen. Martina Rüping ist eine wunderbare Jadja. Ihr warmer Sopran weiß mich in dem mit melancholischem Unterton gesungenen „Wenn die Mädel zu Mazurka gehen“ sehr zu rühren. Und was für eine schöne Nummer das ist! Genau wie das Duett „Herz an Herz“ (wo man an „Lippen schweigen“ denkt). Genießen! Michael Kupfer-Radecky imponiert als Graf Staschek, und Susanne Bernhard ist eine zauberhafte Suza. Alles in allem ein absoluter Gewinn. Basia Jaworski (Den Artikel entnahmen wir dem Blog von Basia Jaworski: basiaconfuoco mit Dank; Übersetzung aus dem Niederländischen von Beate Rothen-Heithausen.)

https://basiaconfuoco.wordpress.com/2017/01/16/joseph-beer-polnische-hochzeit-english-translation/   https://www.facebook.com/Basia-con-fuoco-1482758521751156/

http://www.josephbeercomposer.com/      http://beatricebeer.com/

 

Sinnlicher Glaube

 

Warum soll es in der Kirche eigentlich nicht genauso klingen wie im Opernhaus? In Gaetano Donizettis  Messa di Gloria e Credo c-Moll klingt das Kyrie wie die Introduktion zu einer Oper und vor allem das Gloria wie eine umfangreiche Szene aus einer seiner Königinnnen-Opern inklusive Vertrauten und Schleppenträgerinnen, bei der zwei Sopransoli einen Bass-Solo effektvoll umrahmen; aufgerüstet wird die Szene durch ein ausgedehntes Flötensolo in „Domine Deus“ und vor allem durch ein umfangreiches, ungewöhnlich reichhaltiges Violinsolo in „Qui sedes ad dextram Patris“, das Donizetti für den Geigenvirtuosen Pietro Rovelli geschrieben hatte, der ab 1819 mehrere Musikpositionen in seiner Heimatstadt Bergamo inne hatte (Naxos 8.573605). Seinem Lehrer Simon Mayr Schrieb Donizetti bezüglich einem Kaiser Ferdinand I. gewidmeten Ave Maria; „Es ist immer gut, wenn Seine Majestät weiß, daß es selbst unter den Opernkomponisten einen guten Christen gibt, der sich ein wenig mit der geistlichen Musik auskennt“. Hätte er Kyrie, Gloria und Credo einen anderen Text unterlegt, könnte man die Messa di Gloria e Credo für eine entlegene Donizetti-Rarität halten, die sich Franz Hauk, wie schon bei der Ersteinspielung der Kantate Aristea, vorgenommen hat, doch auch bei der Messa di Gloria e Credo, die Hauk mit dem Simon Mayr Choir und dem Concerto de Bassus-Ensemble im September 2014 in der Ingolstädter Asamkirche aufgenommen hat, ist die Konkurrenz überschaubar. Ergänzt wird die 1837 in Neapel erstmals aufgeführte Messe, die auf bereits 1820 komponierten Einzelsätzen basiert, durch drei Kompositionen Mayrs, welche um die gleiche Zeit entstanden sein sollen: Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Man könnte sich bei den Solisten Stimmen mit mehr Gesicht und einen etwas farbigeren Zugriff vorstellen – wie mag der große Sopranpart bei einer wirklichen Donizetti-Primadonna klingen? -, doch die Aufnahme kann durch Hauks stilistische Ernsthaftigkeit gefallen, die er auch in seiner schier unüberschaubaren Mayr-Diskographie bei Naxos vielfach unter Beweis gestellt hat. Rolf Fath