Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Eine leidenschaftliche Kämpferin

 

Grace Bumbry konnte am 4. Januar 2017  ihren 80. Geburtstag feiern. Und das ist ein schöner Anlass, eine amerikanische Künstlerin zu ehren, die zusammen mit ihren Kolleginnen Leontyne Price, Shirley Verrett und wenigen anderen jener Zeit dem Vorbild Marian Andersons folgte und schwarzen amerikanischen Sängern den Zugang zu den internationalen Opernbühnen ermöglichte.

Das klingt heute nicht so sensationell wie in den Sechzigern (!!!) des letzten Jahrhunderts, als die Bumbry ihr Debüt am Basler Stadttheater machte und am 20. Juli 1961 als „Schwarze Venus“ im Bayreuther Tannhäuser reüssierte – und für Furore sorgte. Vielleicht weniger mit der Stimme als solcher als mit der Tatsache, dass Wieland Wagner in den Heiligen Hallen eine Schwarze singen ließ. Ungeheuer! Wagnerianer tobten. Aber es war ohnehin für schwarze Amerikaner leichter in Europa, namentlich in Deutschland, eine Karriere zu beginnen, als in den USA, wo Rassendiskriminierung bis heute herrscht, weniger als damals, aber doch noch. Viele amerikanische (und besonders viele schwarze)  Soldaten blieben nach dem Krieg eh in Europa, wo die Vorurteile geringer, wenngleich immer noch beträchtlich,  waren.

Grace Bumbry/ grace-bumbry-organisations.com

Der Venus in Bayreuth folgte – als wichtiger Meilenstein – die Eboli in Covent Garden. Auch dort war die Bumbry die erste schwarze Sängerin auf der Königlichen Bühne. Ihre Karriere folgte dem damaligen Muster – erst in Europa sich einen Namen machen und dann in die USA zurückkehren. 1965 erreichte sie die Met, es folgten Salzburg (Carmen und die Verfilmung mit Karajan) und weitere  internationale Häuser. Paris war 1969 eine weitere wichtige Station (Abigaille), und die Eröffnung der Opéra Bastille 1990 vereinte die Bumbry mit ihrer Kollegin Shirley Verrett in den Troyens (wenngleich ich mich da im Saal an ein recht gemischtes Echo erinnere…). 1997 verabschiedete sie sich von der Bühne mit der Klytämnestra in Lyon … und kehrte überraschenderweise mit der Monisha in Joplins Treemonisha an das Pariser Châtelet zurück. Was für eine Frau.

Die Stimme war für mich immer eine Sache für sich, Geschmackssache eben. Zwischen Mezzo und Sopran pendelnd überzeugte sie eher im Mezzofach – ihre Sopran-Ausflüge wie Norma (als die sie mit Shirley Verrett in London alternierte: einen Abend sie als Norma und am anderen als Adalgisa  und vice versa), Gioconda und andere sind für mich ein gemischtes Glück und profitierten von ihren guten Spitzennoten. Aber ihr saftiges, in Teilen „schwarzes“  Timbre (anders als bei der Verrett oder Norman) war durchschlagend für die Eboli, Amneris oder Lady Macbeth (weniger für den Orfeo oder die Medea) . Hier regierten Feuer und Leidenschaft.  Hier kam ihr ungeheures Bühnentemperament durch, das die Rollen mit überdimensionaler Leidenschaft, mit einer überbordenden Persönlichkeit ausstattete. Bei der Bumbry war´s nie langweilig, hier herrschte eine Actrice großen Zuschnitts. Das ließ niemanden kalt. Als Studentin  von Lotte Lehmann und Pierre Bernac hatte sie zudem auch den Zugang zum Lied, das sie bewundernswert neben der Oper pflegte. Ihre guten Deutschkenntnisse waren dabei ein wertvoller Zugang.

Grace Bumbry als Carmen mit Franco Corelli in Chicago 1964/ grace-bumbry-organisations.com/ Chicago Opera

Sie ist auf vielen, vielen Aufnahmen dokumentiert, von den frühen Recitals bei DG und Einspielungen dann bei Philips (eben der Tannhäuser), Decca (auch der Messiah gehört dazu) und EMI/ Eterna (Carmen, Operetten, Orfeo) bis hin zu Gemischtem bei Orfeo. Dazwischen liegt die Türkenbaba bei Erato, Santuzza und mehr bei Melodram live. Die frühe  Norma unter Gabor Halasz in Martina Franca neben Lella Cuberli als Adalgisa in Martina Franca soll nicht vergessen werden. Auch auf DVD ist sie vertreten: von besagter Carmen unter Karajan bis hin zur Eboli und dem Mezzo in Verdis Requiem. In einer TDK-Hommage an Lotte Lehmann spricht sie liebevoll von ihrer einstigen Lehrerin. Und ganz wichtig: Sie ist Teil einer Dokumentation über schwarze Sänger („Aida´s brothers and sisters – black voices in opera and concert“ bei Arthaus), womit sich der Kreis schließt.

Grace Bumbry ist das was man in Amerika ein „role model“ nennt: eine Vorkämpferin, ein Beispiel für andere. Eine Mutmacherin. Ohne Sänger/innen wie sie hätten es Schwarze heute auf der Opernbühne nicht so weit gebracht, weitgehend problemlos akzeptiert zu werden, hätten keine Kathleen Battle, Jessye Norman oder Pretty Yende (eine Südafrikanerin) solche Karrieren gemacht. Nach Sportlern und Musikern öffneten diese starken Frauen die Opern-Tür für die Jüngeren. Deshalb hat sie alle Ehrungen verdient: Grace Bumbry ist seit dem 17. Mai 1992 in den Saint Louis „Walk of Fame“ aufgenommen worden, wurde zur Ehrendoktorin des Ebner-Rust College Holy Springs (Missouri) und der University of Missouri St. Louis ernannt (1980)[  und an UNESCO Projekten beteiligt (Road of Salvery). Grace Bumbry erhielt den Alumna-Preis von der Akademie Musik des Westens, bekam den Premio Giuseppe Verdi von Italien verliehen und wurde 1996 zum Commandeur des französischen Ordens Ordre des Arts et des Lettres durch die französische Regierung ernannt. Im Dezember 2009 wurde ihr von dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama der Preis Kennedy Center Honors (dt. Kennedy-Preis) des Kennedy Centers in Washington D.C. für ihr Lebenswerk verliehen (wie Wikipedia auflistet). Happy Birthday Miss Bumbry! G. H. (Foto oben: Grace Bumbry/ Cover der DG-Lied-LP SLPM 138 826/ Foto Max Jacoby)

 

Dazu auch ein Lebenslauf aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens: Bumbry, Grace, Alt/Sopran, * 4.1.1937 St. Louis; eigentlicher Name Grace Ann Melzia Bumbry. Studium an der Boston University, an der Northwestern University in Evanstown und 1955-58 an der Music Academy of the West in Santa Barbara (Kalifornien). Durch Lotte Lehmann gefördert, studierte sie den Liedgesang in Paris bei Pierre Bernac. Zunächst trat sie als Liedersängerin in Erscheinung. Bühnendebüt 1960 an der Grand Opéra Paris als Amneris in »Aida«. Sie etablierte sich im gleichen Jahr am Stadttheater von Basel, wo sie vier Jahre lang bis 1964 blieb. Aufsehenerregende Gastspiele 1961 in Brüssel als Carmen und seit 1963 immer wieder an der Covent Garden Oper London, wo sie als Eboli in Verdis »Don Carlos«, als Amneris, als Salome (1970) wie als Tosca (1973) auftrat. 1963 gastierte sie an der Oper von Chicago als Ulrica in Verdis »Maskenball«. Als erste farbige Sängerin wirkte sie 1961-63 bei den Festspielen von Bayreuth mit, und zwar als Venus im »Tannhäuser«. Der Erfolg der »Schwarzen Venus« war sensationell. Bei den Festspielen von Salzburg hörte man sie 1964-65 als Lady Macbeth in Verdis »Macbeth«, 1966-67 als Carmen; 1965-67 gab sie dort viel beachtete Liederabende. Große Karriere auch an der Metropolitan Oper New York seit 1965 (Antrittsrolle: Eboli im »Don Carlos« von Verdi). An der  Mailänder Scala bei ihrem Debüt 1966 ebenfalls begeistert gefeiert. Neben den genannten Partien galten als ihre großen Kreationen im Alt-Fach die Dalila in »Samson et Dalila« von Saint-Saëns, die Azucena im »Troubadour«, die Fricka im Nibelungenring und der Titelheld im »Orpheus« von Gluck. 1970 begann die Künstlerin mit der Interpretation von Sopranpartien (Salome, Tosca, Jenufa, Gioconda, Aida, Elisabetta im »Don Carlos« von Verdi, Lady Macbeth). Als erste Sopranpartie sang sie 1970 in Wien die Santuzza in »Cavalleria rusticana«. 1975 zu Gast bei den Festspielen von Verona, 1979 an der Grand Opéra Paris als Abigaille im »Nabucco« von Verdi, 1987 an der Oper von Nizza in der Titelpartie von Massenets »Hérodiade«, 1989 in Marseille als Didon in »Les Troyens« von Berlioz. 1974 erregte ihre Gestaltung der Titelfigur in Janáčeks »Jenufa« an der Mailänder Scala großes Aufsehen, 1975 gastierte sie in Paris als Ariane in »Ariane et Barbe-bleue« von Dukas. 1975 war sie die Bess in der Erstaufführung von Gershwins »Porgy and Bess« an der New Yorker Metropolitan Oper. 1986 sang sie beim Festival von Orange nochmals die Venus im »Tannhäuser«. 1987 wirkte sie in den Aufführungen von Verdis »Aida« vor den Tempeln im ägyptischen Luxor als Amneris mit, die sie im gleichen Jahr auch in der Arena von Verona vortrug.

Grace Bumbry Amneris an der Met / grace-bumbry-organisations.com/ Met Opera Archives/ Melancon

1990 sang sie in der Eröffnugsvorstellung der neu er  bauten Opéra Bastille Paris die Cassandre wie die Didon in »Les Troyens«. 1990 hörte man sie bei den Festspielen von Verona als Carmen, 1991 als Turandot in der gleichnamigen Puccini-Oper, die sie auch 1991 an der Australian Opera Sydney, 1993 an der Covent Garden Oper London übernahm. Bei den Festspielen von Salzburg sang sie 1994 die Türkenbab in »The Rake’s Progress« von Strawinsky. 1995 hörte man sie in der Megaron Mousikis Halle in Athen in der Titelrolle der Oper »Medea« von Cherubini/Lachner, ebenso 1995 in der New Yorker Carnegie Hall in der Titelrolle von Massenets »Hérodiade« (in einer konzertanten Aufführung der Oper). Weltweite Gastspielkarriere mit glanzvollen Auftritten in München, Hamburg, Frankfurt a.M., Zürich, Helsinki, Stockholm, Budapest, Belgrad, Lissabon, Barcelona und in den Musikzentren in Nordamerika. Neben der dramatischen Ausdruckskraft ihrer Stimme bewunderte man auf der Bühne ihre großartige schauspielerische Begabung. Ihre voluminöse, dunkel timbrierte Stimme konnte nicht zuletzt auch im Lied- Vortrag große Leistungen erbringen. Verheiratet mit dem Tenor Andreas Jaeckel (* 1930), von dem sie sich aber wieder trennte Sie wurde zum Ehrendoktor des Ebner-Rust College Holy Springs (Missouri) und der University of Missouri St. Louis ernannt. Schallplatten: Westminster (»Israel in Egypt« aus Salt Lake City), Decca (»Messias«, »Don Carlos« von Verdi), Philips (Venus im »Tannhäuser«). DGG, RCA (»Aida«), Morgan Records (»Jenufa« in Italienisch), Legendary Recordings (Abigaille in Verdis »Nabucco«), Orfeo (»Macbeth«, Salzburger Festspiele 1964), Lévon (Amneris in »Aida«), CBS (»Le Cid« von Massenet), Eurodisc (»Orpheus« von Gluck) und Columbia (»Carmen«). Der denkwürdige Bayreuther »Tannhäuser« von 1961 ist auf Melodram erhalten.

[Nachtrag] Bumbry, Grace; 1997 hörte man sie in Lyon (Théâtre de Gourvières) als Klytämnestra in »Elektra« von R. Strauss, womit sie ihre Bühnenkarriere zum Abschluß brachte. Sie unternahm auch Tourneen mit einem von ihr gegründeten Vokal- und Instrumental-Ensemble (Grace Bumbry Black Musical Heritage Ensemble). [Lexikon: Bumbry, Grace. Großes Sängerlexikon, S. 3327 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 497; Sängerlex. Bd. 6, S. 264) (c) Verlag K.G. Saur]

Rekonstruktionserfolg

 

Die vorliegende Live-Aufnahme der Kurzoper Dido and Aeneas von Henry Purcell ist das Ergebnis von Rechercheaktivitäten. Ort, Besetzung und Erstaufführungshinweise der Oper sind unbekannt, es sei denn, die Aufführung in einer Mädchenschule 1689 war tatsächlich der Anlass für die Komposition. Die früheste Quelle für die komplette Purcell-Oper entstand erst ein Jahrhundert später. Bisher orientierte man sich an dem Parallelen aufweisenden Vorgänger „Venus and Adonis“ von John Blow. In Zeitungsarchiven fand man einen Hinweis auf eine Aufführung in London im Jahr 1704, bei der „Dido and Aeneas“ mit The Love of Mars Venus der Komponisten John Eccles und Gottfried Finger kombiniert wurde, dessen Musik und Text mit Aufführungshinweisen 1697 veröffentlicht wurde und auf dieser SACD ebenfalls ergänzend enthalten ist (allerdings ohne jede weitere Erläuterung im Beiheft, noch nicht einmal die Rollenbesetzung wird genannt). Da die Sänger der damaligen Aufführung bekannt sind, kann man Rückschlüsse auf Besetzung und Tonlage der korrespondierenden Purcell-Oper ziehen, insbesondere auf die Rolle der Sorceress, die mit einem Mann besetzt war, der Sailor mit einem Sopran, die Rolle der sSecond Woman wurde gestrichen. Weiterhin verwendet man eine Version von „Fear no danger“ aus dem Jahre 1700, die das Stück als Soloarie anstelle eines Duetts ausweist. Fabio Bonizzoni dirigiert das Ensemble La Risonanza über dessen Größe und Besetzung für diese Aufnahme das Beiheft keine Informationen enthält. Die sehr gute Akustik der gelungenen Einspielung lässt vermuten, dass Generalbass und Streicher in sehr kleiner Besetzung spielen. Bonizzoni gelingt ein dichtes Klangbild, die Dramatik erklingt ohne Zuspitzungen, sondern durch eine gestische Deutlichkeit, die die Spannbreite zwischen Humor und Schwermut versinnbildlicht. Man ist bei dieser Einspielung vor allem um Authentizität bemüht. Gesanglich gibt es weitere Anpassungen bei dieser Rekonstruktion. Um den Reim zu erhalten wird bspw. „destiny“ als „destinai“ ausgesprochen, was laut eines zitierten Sprachwissenschaftler wahrscheinlich korrekt ist. Das Beiheft erhält weitere Erläuterungen zu den Abweichungen bei der Aussprache, eine Besonderheit, die eher dem Muttersprachler auffallen dürfte. Sängerisch hat man ein stimmlich sehr harmonisches und harmonisierendes Ensemble versammelt, bei dem man niemanden hervorheben kann. Die italienische Sopranistin Raffaella Milanesi singt als Dido mit emotionaler Innigkeit, aber auch mit einem etwas undeutlich wirkendem Englisch, der österreichische Bariton Richard Helm als ihr Gegenpart Aeneas ist mit vornehmer Stimme hingegen sehr gut verständlich. Der schöne Sopran von Stefanie True wertet Belinda auf, Iason Marmaras als Sorceress ist deklamatorisch stark und verleiht der Zauberin Statur. Weiterhin hört man Michaela Antenucci (1. Witch, Sailor) und Anna Bessi (2. Witch, Spirit). Der sehr gut disponierte Chor besteht aus 13 Sängern des Coro Costanzo Porta.(SACD Challenge Classics, CC72737) Marcus Budwitius

Rudolf Hanisch

 

Der Erfurter Tänzer und Choreograf Rudolf Hanisch ist tot. Er starb am 7. Januar 2017 im Alter von 73 Jahren. Hanisch war mehr als 40 Jahre lang fest am Theater Erfurt beschäftigt. Geboren 1943 in Ahrensburg/Schleswig Holstein absolvierte er von 1958 und 1963 eine Ausbildung an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Anschließend folgte ein Engagement am Landestheater Altenburg bevor er 1967 nach Erfurt ans Theater verpflichtet wurde. Hier arbeitete er als Solotänzer unter Ballettmeisterin Sigrid Trittmacher-Koch und war beispielsweise als Prinz in den Balletten Aschenbrödel, Dornröschen und Nussknacker sowie vielen weiteren großen klassischen Rollen zu erleben. Ab 1982 war Rudolf Hanisch auch als Trainings- und Ballettmeister im Theater Erfurt tätig, Ende der 80er Jahre als stellvertretender Ballettdirektor und ab 2002 als Mitarbeiter im künstlerischen Betriebsbüro. Auch nach Auflösung der Ballettsparte (2003) und seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2008 blieb Hanisch dem Theater treu und arbeitete vielfach als Choreograf – zuletzt für insgesamt drei Produktionen im Jahre 2015: Faust, Andrea Chénier und Das Land des Lächelns (Foto Theater Erfurt).

Dazu Generalintendant Guy Montavon: „Das Theater Erfurt hat mit Rudolf Hanisch einen stets freundlichen Menschen und zuverlässigen Mitarbeiter verloren. Er hat sein Wissen gern und mit Freude weitergegeben, vielen Nachwuchstänzern war er ein großes Vorbild. Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.“ (Quelle Theater Erfurt)

Geori Boué

 

Sie war eine der schönsten Frauen der französischen Opernszene: Géori Boué – Tosca, Desdemona, Marguérite, Mireille und viele andere Frauenfiguren des französischen Repertoires. Blond, charmant und bezaubernd, auch als alte Dame. Sie starb  am 5. Januar 2017 im hohen Alter von 98 Jahren in Paris. Ältere Operngänger bekommen immer noch verzückte Augen, wenn von ihr die Rede ist – sie war der Inbegriff der eleganten Französin, très á la mode und außerordentlich erfolgreich. Ihre wirklich reichliche Hinterlassenschaft auf ehemals Schellacks und später LP/CD legt von ihrer Kunst Zeugnis ab: eine feste, helltimbrierte, aber außerordentlich leistungsfähige Stimme, die zwischen den lyrischen und den dramatischeren Tönen mühelos ihren hochindividuellen Klang fand. Zudem zeigen einige Spielfilme (so der berühmte Malibran-Film von Sascha Guitry) und Fernsehverfilmungen von Opern (so eine bezaubernde Mireille) ihre Spielfreudigkeit und eben auch Eleganz.

Géori Boué als Mireille/ Foto artlyrique.fr

Nachstehend ein Auszugsbeitrag aus dem unerlässlichen Kutsch/Riemens. Bei youtube gibt es zudem reichlich von ihr zu hören und zu sehen, und viele Firmen haben ihr Vermächtnis wieder aufgelegt. Une vrais Francaise. G. H. 

 

Boué, Géori (eigentlich Georgette), Sopran, (geboren 16.10.1918 Toulouse – gestorben 5. Januar 2017 Paris); sie studierte am dortigen Konservatorium bei Claude Jean und debütierte 1935 am Opernhaus von Toulouse als Page Urbain in den »Hugenotten« von Meyerbeer. Sie sang dann in Toulouse Partien wie den Siebel im »Faust« von Gounod, die Hilda in »Sigurd« von Reyer, die Mathilde in Rossinis »Wilhelm Tell«, die Micaela in »Carmen« sowie Operettenrollen. Sie schloß ihre Ausbildung in Paris bei Reynaldo Hahn und Henri Busser ab, sang an Operettentheatern der französischen Hauptstadt und kam 1938 an die Opéra-Comique Paris (Antrittsrolle: Mimi in »La Bohème«). Seitdem große Erfolge an den beiden führenden Operntheatern von Paris, an der Opéra-Comique wie an der Grand Opéra, an der sie seit 1941 (Antrittsrolle: Marguerite im »Faust« von Gounod) regelmäßig sang, so auch 1953 in der Premiere von Rameaus »Les Indes galantes«. An der Grand Opéra hatte sie ihre großen Erfolge als Rosenn in »Le Roi d’Ys« von Lalo, als Eva in den »Meistersingern«, als Desdemona in Verdis »Othello«, als Salomé in »Hérodiade« und als Thaïs von Massenet. 1941 gastierte sie bei den Vorstellungen in der Arena von Arles als Mireille in der Originalfassung der gleichnamigen Oper von Gounod. 1944 trat sie am Grand Théâtre in Genf auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer internationalen Gastspielkarriere.

Géori Boué und ihr Ehemann, der Bariton Roger Bourdin, auf dem Cover einer Schellack zu „Mirelle“/ presbytere.typepad.com

Sie erschien als Gast an der Oper von Nizza, am Teatro Liceo von Barcelona und an der Oper von Mexico City. 1946 gastierte sie am Opernhaus von Zürich, 1954 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, 1949-50 in Rio de Janeiro, auch in Chicago, am Teatro Comunale Bologna (1958 als Herzog von Reichstadt in »L’Aiglon« von Honegger und Ibert und an der Oper von Monte Carlo, 1952 als Mireille und in der Titelrolle der Operette »Ciboulette« von Reynaldo Hahn). An der Mailänder Scala sang sie die Mélisande in »Pelléas et Mélisande« von Debussy, während ihr Gatte Roger Bourdin den Pelléas gestaltete. 1955 gastierte sie beim Maggio musicale in Florenz in »Angélique« von Ibert. Bei einer Rußland-Tournee trat sie u.a. am Bolschoj Theater Moskau als Tatjana im »Eugen Onegin« und als Madame Butterfly auf. Ihre weiteren Bühnenpartien waren die Traviata, die Nedda im »Bajazzo«, die Prinzessin in »Marouf« von H. Rabaud, die Titelrolle in »Louise« von Charpentier, später auch die Charlotte in Massenets »Werther«. 1957 kam es zwischen ihr und der Direktion der Grand Opéra zu Auseinandersetzungen, worauf sie sich mehr der Operette zuwandte und nun auch auf diesem Gebiet zu großen Erfolgen kam, so 1960 am Théâtre Mogador Paris in Offenbachs »Belle Hélène« und Lehárs »Lustiger Witwe«. Sacha Guitry übertrug ihr in dem Tonfilm »La Malibran« die Rolle jener unvergeßlichen Diva des 19. Jahrhunderts.

Géori Boué: Poster zur Verfilmung von „La Malibran“ von Sascha Guitry/ artlyriquefr.fr

1966 gründete sie in Paris das Centre Lyrique Populaire de France. In Frankreich als lyrische Sopranistin innerhalb ihrer Generation kaum übertroffen; neben ihrer Tätigkeit auf der Bühne entwickelte sie eine große Karriere im Konzertsaal, vor allem als Lied-Interpretin. Nach 1973 gab sie ihre Karriere auf und arbeitete dann im pädagogischen Bereich. – Verheiratet mit dem bekannten Bariton Roger Bourdin (1900-73).

Schallplatten: Odeon, Urania (vollständige »Thaïs«), HMV (»Faust« unter Sir Thomas Beecham), Columbia (»Hoffmanns Erzählungen«), Bourg (»L’Aiglon« von A. Honegger, 1956), Decca, Saturn (Arien), Pathé, alle unter dem Namen Mme Géori-Boué erschienen. [Lexikon: Boué, Géori. Großes Sängerlexikon, S. 2770 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 412) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto oben: Géori Boué/ Foto Okley/artlyriquefr.fr)

Zu leicht besetzt

 

Eigentlich bester Verdi ist dessen aus den Galeerenjahren stammende Oper Giovanna d’Arco, deren größtes Manko wohl die Abweichung des Librettos von der historischen Wahrheit ist, indem eine fade Liebesgeschichte zwischen der Jungfrau von Orléans und König Karl von Frankreich zum Kern der Geschichte gemacht wird. So passt das Werk durchaus in das Konzept des Festivals von Martina Franca in Apulien, das sich die Entdeckung vergessener oder, wie in diesem Fall, der Erinnerung an selten gespielte Opern widmet – und das vor der jüngsten Aufführung an der Scala mit Anna Netrebko, nämlich bereits im Sommer 2013. Aus den Achtzigern ist noch eine Produktion in Bologna mit Susan Dunn, Vincenzo La Scola und Renato Bruson in Erinnerung, und im Vergleich damit fällt, abgesehen vom Tenor, auf, wie leicht besetzt die Partien in Martina Franca mit Jessica Pratt und, mit Abstrichen, auch mit Julian Kim sind, während der Tenor von Jean-Francois Borras ungefähr demselben Fach zugehörig ist wie in den Achtzigern der von La Scola, und der wurde damals durchaus nicht als ideal für die Partie angesehen.

Ein Garant für verdi-gemäßes Musizieren ist natürlich der Dirigent Riccardo Frizza, und auch das Orchestra Internazionale d’Italia wächst von Jahr zu Jahr an seinen Aufgaben, die der Coro del Teatro Petruzzelli (aus Bari) natürlich längst verinnerlicht hat, so dass die Klage um den bedauernswerten Zustand des Vaterlands durchaus mit denen aus Macbeth oder Nabucco konkurrieren kann.

Jessica Pratts hellem, zartem, mädchenhaftem Sopran, der auch die kleinen Notenwerte zu lieblichem Geklingel werden lässt, glaubt man die schüchterne Jungfrau eher als das „Son guerriera che a gloria ti invita“, das etwas bemüht und verhuscht klingt. Lobenswert sind die Pianissimi-Höhen, vieldeutig der Schrei am Schluss der großen Arie im ersten Akt, ganz in ihrem Element ist sie (und auch der Bariton) im dritten Akt mit „Amai ma u n solo istante“. Ätherisch und visionär klingt „Si apre il cielo“. Zu einer so lyrischen und hell klingenden Giovanna passt natürlich der Carlo von Jean-Francois Borras, eher ein Donizetti- denn ein Verdi-Tenor, und auch im französischen Fach denkbar . Für die Cabaletta im ersten Akt kommt ihm die Leichtigkeit der Stimmemission entgegen, die Höhe gelingt ihm zuverlässig. Er gibt sich zwar heldisch, so am Schluss des ersten Akts, aber wirklich überzeugend ist er nur dann, wenn er in Kantilenen schwelgen kann. Padre Giacomo von Julian Kim singt etwas zu bedächtig, als dass er wirklich mitreißend wirkt, auch wenn das Timbre dunkel genug für Verdi ist. Die Cabaletta hat nicht den richtigen Drive, Lyrisches wie „Spema era“ gelingt ihm hingegen viel besser, auch weil die Phrasierung „stimmt“ und ein „pianto“ aus der Stimme herauszuhören ist. Übrigens erinnert der Schluss an den von Luisa Miller, Sopran, Tenor und Bariton in schöner Klage vereint, und auch da würde man sich dramatischere Stimmen wünschen (Dynamic  CDS 7676 1-2; dies ist der Soundtrack der gleichnamigen DVD bei derselben Firma). Ingrid Wanja   

Lemberg, Paris, Neuseeland, Mailand

 

Der 1938 im damals polnischen Lemberg geborene Myroslav Skoryk wuchs in Sibirien auf, wohin seine Familie deportiert worden war, studierte in Lemberg, erhielt seinen letzten musikalischen Feinschliff am Moskauer Konservatorium bei Kabalewski, wirkte ab 1966 an den Konservatorien seiner Geburtsstadt sowie in Kiew und ließ sich 1996 in Australien nieder, wohin sein älterer Bruder bereits Ende des Zweiten Weltkriegs ausgewandert war. Seine Großtante war übrigens Solomiya Krushelnytska bzw. Saloméa Kruszelnicka, die u. a. 1904 die Chio-Cio-San in der endgültigen Fassung von Puccinis Madama Butterfly kreierte, und eine sehr bemerkenswerte Karriere vor allem in Italien (beispielsweise an der Scala als Salome unter Toscanini) und Südamerika hatte. 1939 kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück, deren Opernhaus heute nach ihr benannt ist und wo das Heim, in dem sie bis zu ihrem Tod 1952 wohnte und lehrte, als kleines Museum zugänglich ist. Das sollte man sich bei einem Besuch in Lemberg nicht entgehen lassen. Die beiden alten Damen, die sich über jeden Besucher freuen, legen auch gerne „Un bel di vedremo“ auf.

Salomea Kruszelnicka als Madama Butterfly/Wiki

Salomea Kruszelnicka als Madama Butterfly/Wiki

Die Musik des Großneffen ist allerdings ganz anders als die Opern, welche Salomea sang. Leicht folkloristisch angehaucht, wie sein Karpathisches Konzert für großes Orchester von 1972, ist Skoryks Musik nicht frei von einer vordergründigen und sowjetisch geprägten knalligen Moderne. Doch im 7. Violinkonzert und im Cellokonzert, die in der 2013 in Odessa entstandenen Naxos-Einspielung (8.873333) mit dem 1937 gegründeten Odessa Philharmonic Orchestra unter Hobart Earle von den Solisten Nazary Pilatyuk und Valery Kazakov interpretiert werden, zeigt er sich als sensibler und technisch versierter Neoklassiker. Anders dagegen die witzige und schwungvolle Caprice 19 aus den 24 Paganini Caprices, ein Beispiel für den jazzigen Skoryk, der in solchen Passagen einem Schostakowitsch in nichts nachsteht. Der in Venezuela geborene Amerikaner Earle hat das Odessa Philharmonc Orchestra, seit er 1991 dessen Leitung übernahm, zu einem respektablen, dunkel und schwer timbrierten, klangreichen Orchester geformt, welches dieser zwischen Spätromantik, Folklore und Moderne pendelnden Musik einen fundierten Rahmen gibt.

George Bizet roma naxosVon einem ähnlich exotischen Orchester – darf man das so sagen, ohne respektlos zu sein – wurden in Januar 2014 Werke von George Bizet eingespielt. In der Dubliner National Concert Hall nahm sich das RTÉ National Symphony Orchester, also das Orchester der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, das sich 1947 als sinfonisches Orchester aufgestellt hatte, unter Jean-Luc Tingaud einiger Werke von Bizet an (Naxos 8.573344), die innerhalb seines kompositorisch doch sehr schwankenden Oeuvres kaum zu seinen „Best of…“ gehören. Ebenfalls in Dublin hatte Tingaud zuvor eine schöne Auswahl von Werken von Paul Dukas dirigiert, bei der auch das Orchester einen besseren Eindruck hinterließ; und ebenfalls bei

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Naxos war Tingaud als selbstbewusster Gestalter von Le siège de Corinthe aufgefallen. Am interessantesten auf dieser Sammlung von Bizets Orchesterwerken mit der umfangreichen, nämlich auf rund 30 Minuten aufgeplusterten RomaSinfonie ist die originelle und farbenfrohe Petite Suite op. 22, deren Delikatesse Tingaud sehr gut herausarbeitete. Die Petite Suite ist eine Orchestrierung von fünf Orchesterminiaturen aus der Sammlung Jeux d‘ enfants für Klavier zu vier Händen, wobei der Marsch bereits den Aufzug der kleinen Soldaten in Carmen vorwegnimmt. Viele der anderen Stücke, darunter die Ouverture in A, Marche funèbre und die Ouvertüre Patrie, sind doch sehr lässlich.

Lyell Cresswell NaxosWirklich begeistern kann ich mich auch nicht für die Musik von Lyell Cresswell, „one of New Zealand’s most distinguished composers“, der bereits in den 1970er Jahren aus Neuseeland floh und sich in Schottland niederließ. Die Naxos-Auswahl (8.573199) entstand am anderen Ende der Welt, in Juni 2012 in Wellington, wo sich Hamish McKeich als ausgewiesener Anwalt neuseeländischer Musik mit dem New Zealand Symphony Orchestra für Cresswells Konzert für Klavier und Orchester, das Konzert für Orchester und Streichquartett sowie das Orchesterstück I paesaggi dell‘ anima/ landscapes of the soul einsetzten. Das Klavierkonzert mit Stephen De Pledge als Solist des tröpfelnd-plätschernden Klavierparts ist ein siebenteiliges wuchtiges, klangspielerisches Stück, dessen insistierender Grundzug nicht nachdrücklich in Erinnerung bleibt. Die schorfigen orchestralen Seelenlandschaften – die tatsächlich von Bildern des Italieners Maurizio Bottarelli inspiriert sind – lassen an musikalische Wartezimmerillustrationen denken, während in dem mit einem effektvollen Trompetensolo beginnenden Konzert für Orchester und Streichquartett die Solisten – das New Zealand String Quartet – in einen wirkungsvollen Dialog mit einander sowie mit dem Orchester treten.

 

Heute ein Unbekannter. Die Werke Giuseppe Martuccis (1856-1909) wurden von Toscanini und Mahler dirigiert, sein zweites Klavierkonzert war einst ein Hit, das auch Anton Rubinstein in sein Repertoire aufnahm. Welch virtuoser Pianist Martucci gewesen sein muss, lässt sich an diesem Werk erkennen, dessen Uraufführung er 1886 in Neapel selbst spielte. Martuccis Name taucht allenfalls noch im Zusammenhang mit der von ihm dirigierten italienischen Erstaufführung des Tristan 1888 in Bologna auf, die speziell auch für den Dirigenten zum Triumph wurde. 2014 hat Alberto Miodini in der Nähe von Monza diverse Klavierstücke Martuccis aufgenommen, darunter die sechs zwischen 1879 und 1881 entstandenen Stücke op. 44, die Novella op. 50 und die Fantasia op. 51 sowie die zwei Notturni op. 70, vom ersten Notturno schuf Martucci später eine Orchesterfassung, die mehrfach von Toscanini aufgeführt wurde. Die Stücke orientieren sich an der deutschen Romantik eines Schumann und Mendelssohn-Bartholdy sowie der Kunst Chopins, sind gefällige Piècen, die von Miodini mit perlender Lebhaftigkeit gespielt werden. Die größere Herausforderung stellt die Fantasia dar, durch deren gehaltvolle Wiedergabe Miodini zeigt, weshalb sie zu Martuccis erfolgreichsten Stücken zählte (Brillant Classics 94800). Rolf Fath

Schmissiges fürs Neue Jahr

 

Wie könnte man schöner ins Neue Jahr starten als mit dem Trommelwirbel der Rossini-Ouvertüre zur Gazza ladra. Das hat sich auch Naxos gedacht und die vier, 2011 und 2012 im Prager Kulturzentrum entstandenen Ausgaben der Ouvertüren Rossinis in eine Box Gioachino Rossini. Complete Ouvertures gepackt (Naxos 8.504048), auf dass man bei knapp vier Stunden Spielzeit durch die Silvesternacht kommt. Nicht notwendig, aber schön zu haben. Mir reichen eigentlich die drei CDs der alten Neville-Marriner-Aufnahme von 1980 bei Philips, weil er eine so elegante Herangehensweise hatte, die Tutti niemals lärmend sind, das Piano durchsichtig bleibt, die Crescendi sich raffiniert entwickeln und die Musik Spannung und Überraschung gleichermaßen besitzt. Doch auch das Prague Sinfonia Orchestra und Christian Benda machen ihre Sache indes gut. Auch sie bieten die für einen Kaufmann in Ravenna komponierte und in dessen Sommersitz „Conventello“ aufgeführten Sinfonia al Conventello, die wahrscheinlich Rossinis erste Ouvertüre ist und erst in den 1970er Jahren wiederentdeckt wurde, und die gleichfalls frühe Sinfonia di Bologna, darüber hinaus widmen sich die Prager auch der Ouvertüre in Es-Dur und der Grand‘ overtura obbligata a contrabasso. Manche Ouvertüren wurden mehrfach benutzt. Da Rossini entsprechend den Gepflogenheiten der Zeit zuerst die Musik für die Bühnenproben liefern musste und die Stimmen für die Ouvertüre den Spielern oft erst unmittelbar vor der Aufführung gegeben wurden, bediente er sich einige Male bei sich selbst:  die Ouvertüre von L’ inganno felice taucht bei Ciro in Babilonia auf, die von Aureliano in Palmira bei Il Barbiere di Siviglia und abermals (abgewandelt) bei Elisabetta, regina d’ Inghilterra (die Prager präsentieren beide Versionen), Sigismondo bei Otello (auch hier präsentieren die Prager beide Versionen) usw. schön dass sie die Ermione –Ouvertüre mit der Chor-Introduzione, die vom Fall Trojas berichtet, mit einpackten.

Vermutlich ebenfalls in einer Box werden irgendwann die Cimarosa-Ouvertüren erscheinen, deren Sammlung auf inzwischen fünf Ausgaben angewachsen ist.  Die aktuelle Ausgabe vereint zehn Beispiele, die von der Kantate Atene edificata über die Erfolgskomödien Le trame deluse, La villana riconosciuta und Il fanatico burlato bis zur Seria L’ Olimpiade und zur  Musik reichen, mit der die Geburt des Dauphin, des Sohnes von Ludwig XIV, gefeiert werden sollte. Die Aufnahme entstand im ostböhmischen Pardubice mit dem dortigen Czech Chamber Philharmonic Orchestra und erhält ihre künstlerische Note durch den sich jetzt auch als Dirigent übenden Flötisten Patrick Gallois (Naxos 8.5.73568). Gerne habe ich die deutschen (!) Texte zu den einzelnen Ouvertüren und Werken gelesen.

Dass Meyerbeer am besten durch seine italienischen Opern Semiramide und Il Crociato in Egitto bekannt sei, wie Naxos auf der CD-Rückseite behauptet, das dadurch Eigen-Werbung für seinen Katalog macht, lassen wir unkommentiert, da die in großen Zyklen planende Firma nun die zweite Folge der Meyerbeer-Lieder vorlegt. Die 18 Beispiele, welche die Sopranistin Sivan Rotem in Jerusalem aufnahm, vier davon als Ersteinspielung, entstanden zwischen 1829 und 1857. Es sind gefällige Salonpiècen, die idyllische Naturbetrachtungen liefern und von romantischer Liebespein berichten, größtenteils in französischer Sprache, vier deutsche Lieder gibt es auch, die „Rosenblätter“ von Schuberts Dichter Wilhelm Müller, ein Hirtenlied von Ludwig Rellstab und ein „Sonntagslied“ von dessen Schützling Hermann Kletke sowie ein Ständchen von Gabriel Seidl. Rotem singt mit einem kleinen kecken, oft neckischen Soubrettensopran, der aber in den langsamen Passagen oder umfangreichen Erzählungen, wie Le poète mourant, überraschende Fülle annimmt, wo auch die in der Höhe spitze Stimme und das nicht sehr schmeichelnde Timbre am besten zur Geltung kommen; dass der Vortrag zur Monotonie neigt, mag man ihr nicht vorwerfen (8.5.73696). Rotem wird belgeitet von dem Pianisten Jonathan Zakdem Cellisten Hillel Zori und dem Klarinettisten Danny Erdman.   R.F.

Mau und müde

 

Wenn man die Neueinspielung des Labels Dynamic der in Neapel 1788 uraufgeführten Oper Fedra von Giovanni Paisiello (1740-1816) anhört, erhält man einen akustischen Eindruck, als ob bei der Live-Aufnahme (mit Applaus und Bühnengeräuschen) aus dem Jahr 2016 im Teatro Massimo Bellini in Catania nicht alle Mikrofone angeschlossen waren – der Klang ist mau und dumpf. Die Tontechnik bereitet von Anfang wenig Freude, die Sänger auch kaum. Doch der Reihe nach. In der griechischen Mythologie ist Phädra die Gattin von Theseus und verliebt sich in dessen Sohn aus erster Ehe Hippolytos. Da ihr Stiefsohn sie zurückweist, klagt die rachsüchtige Phädra ihn bei ihrem Gatten an. Der eifersüchtige Theseus beschwört seinen Vater Neptun, der seinen Enkel durch ein Meeresungeheuer töten läßt. Phädra gesteht ihre Lüge und begeht Selbstmord. Euripides‘ Tragödie wurde von Jean Racine als Versdrama bearbeitet, seine Phèdre (1677) in Paris gespielt. Rameaus Hippolyte et Aricie (1733) verwandelte den Stoff meisterhaft für die Oper, Johann Simon Mayr komponierte Fedra 1820 in seiner vorletzten Oper, Ildebrando Pizzetti trug sie ins 20. Jahrhundert (1908/1915), Sylvano Bussotti vertonte sie 1988.

Welche Aspekte der Geschichte das Libretto von Mario Salvioni bei Paisiello erzählt – die unglückliche Liebe und Seelennot Phädras, ihre Eifersucht und Rache oder die Liebe Hippolytos zu Aricia – bleibt vorerst unklar, das Beiheft erläutert die Handlung nur in gröbsten Zügen, ein Libretto ist weder vorhanden noch wird darauf verwiesen. Und auch musikalisch ist Paisiellos Werk alles andere als lautmalerisch oder unmittelbar, ganz im Gegenteil: seit Rameaus Meisterwerk ist ein weiter Weg zurückgelegt worden. Wer einfach mal in die Ouvertüre oder eine Arie hört, könnte vermuten, in einer heiteren Oper gelandet zu sein, oft bekommt man den Eindruck, ein Drama im Gewand einer Buffa präsentiert zu bekommen. Berührungspunkte der Musik mit der Handlung kann man nur gelegentlich ausmachen. Überwiegend gibt es Dacapo-Arien, das Paar Ippolito-Aricia ist mit Koloraturen versehen und stellt Affekte dar, bei Fedra und Teseo ist der dramatische Ausdruck bereits weiter entwickelt, Fedras „Svegliati all’ire omai“ ist einteilig, Theseus „Lascia mai ch’io respiri“ am Ende des ersten Aktes ist eine der stärksten Stellen, in der Paisiello seine etwas substanzlos klingende Geschichte musikalisch eindrucksvoll verdichtet. Und auch das einzige Duett (Ippolito-Aricia) ist mehr als nur routinierte Gebrauchsmusik, es wird unterbrochen durch den Ausbruch eines Sturms und das Erscheinen des Seemonsters.

Die knapp unter zwei Stunden spielende Oper ist für Chor (der sechs Szenen hat) und neun Sänger, die am Tage der Aufnahme in müder Tagesform erscheinen und sich teilweise hörbar steigern, manche unschöne Momente und schrille Stimmfarben beeinträchtigen das Zuhören. Elf Arien gibt es, die Hauptrolle mit vier Arien hat Aricia, die von Anna Maria Dell’Oste gesungen wird, deren Sopran für die Rolle ein wenig zu reif klingt, Caterina Poggini (Ippolito) singt zwei Arien, nicht jede Höhe ist unangestrengt, beider Duett gehört musikalisch dennoch zu den spannenden Momenten. Ebenfalls zwei Arien hat Raffaella Milanesi als Fedra, sie und Tenor Artavazd Sargsyan, der als Teseo eine Arie singt, bemühen sich um stimmliche Dramatik. Eine Arie haben auch Piera Bivona (Learco) und Esther Andaloro (Diana) – beide nutzen die Chance am Aufnahmetag nicht, die Nebenrollen sind mit Sonia Fortunato (Tisifone), Salvatore D’Agata (Mercurio) und Giuseppe Lo Turco (Plutone) eher matt besetzt. Das Orchester des Teatro Massimo Bellini di Catania unter  Dirigent Jérôme Correas spielt ordentlich, einen lebendigen, unmittelbaren oder überraschenden Paisiello-Klang findet man nur phasenweise vor. „World Premiere Recording“ steht auf der Titelseite des Beihefts – nur wieso? Es gibt eine  Live-Aufnahme von Fedra aus Mailand (1958, Lucille Udovich, Angelica Tuccari, Renata Mattioli, Ortensia Beggiato, Orchestra Sinfonica di Milano della RAI / Angelo Questa/ Andromeda), die heute noch erhältlich ist. Alles in allem eine lässliche und wenig liebevoll gemachte Veröffentlichung, von der weder Künstler noch Zuhörer profitieren. (2 CDs, Dynamic, CDS 7750/1-2) Marcus Budwitius

Debbie Reynolds

 

Debbie Reynolds  wurde am 1. April 1932 als Mary Frances Reynolds in El Paso, Texas geboren und starb am 28. Dezember 2016  in Los Angeles). Sie hatte eine lange Laufbahn als  Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin. Ihre Karriere begann Ende der 1940er Jahre als Vertragsschauspielerin bei Warner Brothers. International bekannt wurde sie vor allem als Darstellerin in Filmmusicals wie Singin’ in the Rain und Tammy. Durch ihr Mitwirken in zahlreichen Filmmusicals war Reynolds auch als Interpretin auf den jeweiligen Soundtracks zu den Filmen zu hören. In ihrem ersten Film Drei kleine Worte wurde ihr Gesangspart noch von Helen Kane synchronisiert. In ihrem zweiten Film Einmal eine Dame sein sang die damals 18-Jährige bereits selbst und konnte mit dem Lied Aba Daba Honeymoon einen Nummer-eins-Hit in den australischen ARIA Charts landen. Mit dem gleichnamigen Titellied zum Filmmusical Tammy belegte sie 1957 fünf Wochen lang Platz 1 der US-amerikanischen Billboard Charts. Der Song brachte Reynolds eine Goldene Schallplatte, außerdem war er 1958 für den Oscar als bester Song nominiert. (…)

1959 veröffentlichte Reynolds bei PolyGram ihr erstes Musikalbum Debbie. Die Singleauskoppelung Am I That Easy to Forget? belegte Platz 25 der Billboard Charts. Das zweite Album folgte 1960 und trug den Titel Fine and Dandy. Ihr drittes Musikalbum mit dem Titel And Then I Sang wurde 1978 veröffentlicht. Weiteres und eine sehr ausführliche Biographie findet sich auf Wikipedia.(Quelle Wikipedia/ Foto oben: Debbie Reynolds performing at Knott’s Berry Farm in 1971; Author unknown; Photo courtesy Orange County Archives)

Georges Prêtre

 

Der französische Dirigent George Prêtre starb (am 4. Januar in Navès; geboren am 14. August 1924 im nordfranzösischen Waziers) mit 92 Jahren. Mit ihm geht ein Zeitalter zu Ende. Das sagt sich so und sagt sich sicher oft so. Aber Prêtre war der letzte Bannerträger einer langen Operntradition, namentlich der französischen. Er hat bei der inzwischen von Warner aufgekauften EMI France unendlich viele Aufnahme des Repertoires seines Heimatlandes eingespielt, war Partner für Maria Callas in ihren späten Aufnahmen (darunter auch die diskutable Carmen und ihre Solo-Arien), war der Favorit eben der Callas und Poulencs, der Dirigent zahlloser Opern und symphonischen Werke im französischen Repertoire. Er dirigierte an allen wichtigen Häusern der Welt, hatte ein unendlich breites Repertoire und stand für Solides, auch Überdurchschnittliches. Wie Wikipedia schreibt war Prêtre Generalmusikdirektor der Pariser Oper und seit 1956 in der Opéra-Comique in Paris. 1966 dirigierte er die Wiederöffnung der New Yorker Metropolitan Opera. Von 1986 bis 1991 war er „Erster Gastdirigent“ der Wiener Symphoniker. Er leitete regelmäßig die großen Orchester Europas und Amerikas, darunter die Berliner Philharmoniker (Waldbühnen-Konzert 1992) und die Wiener Philharmoniker. In jungen Jahren trat er auch unter dem Pseudonym Georges Dhérain auf. 2008 dirigierte er – mit 83 Jahren bis dahin der älteste Dirigent – das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker; 2010 dirigierte er es zum zweiten Mal. 2005 und 2009 leitete er das Neujahrskonzert am Teatro La Fenice in Venedig (Foto oben bach-cantatas.com/EMI).

 

Auf der website des BR findet sich eine von allen veröffentlichten deutschsprachigen Nachrufen am persönlichst geschriebene Einschätzung: Als „Vulkan am Dirigentenpult“ oder „Maestro 100.000 Volt“ wurde er oft tituliert. Und lange, sehr lange, schien es, als könnten die Jahre seinem sprühenden Temperament nichts anhaben. Als er 2008 das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker leitete, war er der bisher älteste Dirigent. Und er bewies er laut Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg: „Das Alter ist nur eine Zahl im Reisepass. Sie werden kaum einen jugendlicheren Künstler in der internationalen Musikszene finden als Georges Prêtre.“ Zu diesem Zeitpunkt war er 83 und riss in Wien Publikum wie Orchester derart mit, dass er 2010 erneut eingeladen wurde. (…) Die Quelle seiner unerschöpflich wirkenden Kraft sah der Grandseigneur der französischen Dirigierkunst in seinem Glauben, seiner Familie und im Sport. Besonders aber in seiner unersättlichen Neugier auf Musik, die ihm keineswegs in die Wiege gelegt war: 1924 kam Georges Prêtre im nordfranzösischen Waziers zur Welt. Sein Vater war Schuster und wenig begeistert von Georges’ musischen Ambitionen, duldete aber den Konservatoriumsbesuch: Über die Fächer Trompete, Klavier und Komposition gelangte Prêtre zur Orchesterleitung. Sein Debüt an der Oper Marseille 1946 hinterließ einen bleibenden Eindruck – auch bei der bildhübschen Tochter des Intendanten, die Prêtre bald darauf heiratete. Bald schon ging es an die Pariser Opéra und von dort an die Metropolitan Opera, ans Royal Opera House Covent Garden, an die Mailänder Scala und die Wiener Staatsoper. (…)Und das, ohne die Sinfonik zu vernachlässigen: Seinen Lieblingsorchestern wie den Wiener Symphonikern und Philharmonikern, dem Santa-Cecilia-Orchester in Rom, dem Orchestre de Paris oder dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart hielt Prêtre jahrzehntelang die Treue – und umgekehrt: Wer einmal mit ihm gearbeitet hatte, wünschte ihn sich immer wieder ans Pult zurück, denn bei aller Bestimmtheit und Autorität war stets klar, dass es ihm um den Dienst an der Musik ging. Prêtre hasste den Begriff der Tradition, wenn er Gewohnheit, Bequemlichkeit und Schlamperei bemäntelte. Unter den vielen künstlerischen Weggefährten, die ihn während seiner langen Karriere begleiteten, erlangten zwei besondere Bedeutung: Maria Callas, die den Maestro 1961 kennenlernte und sofort zu ihrem Lieblingsdirigenten kürte. Prêtre stand auch beim letzten Bühnenauftritt der Diva 1965 in London am Pult und blieb ihr bis zu ihrem Tod freundschaftlich verbunden.

Genauso wie dem Komponisten Francis Poulenc: Prêtre machte seine Bekanntschaft 1959, als er an der Pariser Opéra comique dessen Oper „La voix humaine“ zur Uraufführung brachte. „Gepriesen sei der Tag, an dem Georges Prêtre das Licht der Welt erblickte – mein bevorzugter Dirigent!“: Diese Worte standen auf einem Billett, das Francis Poulenc dem Maestro am Tag nach der Premiere zusandte. Die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit: Prêtre entwickelte sich bald zum Vorkämpfer von Poulencs Schaffen und spielte bis auf wenige Ausnahmen sein gesamtes Orchester- und Chorwerk auf Schallplatte ein. Nicht als „Dirigenten“ bezeichnete sich Prêtre, sondern als „Interpreten“, denn zur Kunst, eine Partitur zum Leben zu erwecken, gehörte für ihn unendlich viel mehr als nur den Takt zu schlagen. Diese persönliche Authentizität spürte auch das Publikum, wann immer der „Maestro con brio“ am Pult stand; denn egal, ob er Johann Strauß oder Richard Strauss, Bellini oder Bizet, Puccini oder Poulenc dirigierte – Georges Prêtre tat es immer genauso, wie er es fühlte.(Quelle Alexandra-Maria Dielitz/ BR)

 

 Georges Prêtre war Ehrendirigent der Wiener Symphoniker, und auf deren website findet sich – noch aus seinen Lebzeiten – die folgende Hommage: Dass es sich bei Prêtre-Konzerten nicht um „herkömmliche“ Konzerte handelt, steht außer Zweifel. Als „Dirigent“ hat sich der 1924 in Waziers geborene Dirigent selbst – und darin stimmen ihm die Orchestermusiker uneingeschränkt zu – nie verstanden: eher als „Interprêtre“ und durchaus im Sinne des französischen Vokabels als ekstatischer Musik-Priester und Vermittler göttlichen Odems, der den großen Werken entströmt. Vor derartigen Größen verstummt hierzulande jede Kritik, es sei denn, sie äußern sich kritisch über österreichische Verhältnisse, und da dies Georges Prêtre schon deshalb nie getan hat, weil eben Musik seine Muttersprache ist, übt sich die Wiener Kritik, dankbar, ihrer verbrieften Verpflichtung zu distanzierter Skepsis enthoben zu sein, bei Prêtre-Konzerten in entrückter Selbstvergessenheit. Wie auf mittelalterlichen Stifterbildern sieht man dann im Konzertsaal allenthalben kleine Kritikerfiguren mit Rosenkränzen statt Partituren in Händen, in Bet- oder Adorationsstühlen demütig vor ihrem großen Heiligen kniend, dem sie tags darauf ihre Panegyriken als mildtätige Stiftungen in den Feuilleton-Opferstöcken darbringen und aus deren Wunder-vollen Superlativen auch ein wenig Glanz auf das Orchester fällt.

Berufsbedingt sehen die Musiker aus der verzerrenden Praxis-Perspektive die Dinge nüchterner, schließlich müssen sie das Konzert ja spielen, sind sich aber in der Bewunderung der geistigen und physischen Leistung des 92-jährigen Maître einig, der vor nunmehr 30 Jahren die Stelle des Ersten Gastdirigenten der Wiener Symphoniker übernahm. Orchestermusiker seines Alters sind beinahe ebenso lange schon in Pension, und selbst wenn man konzediert, dass Dirigieren in der Kombination aus angewandter Gymnastik, sublimierter Machtausübung und öffentlichem Ruhm ideale Voraussetzungen für die Bewahrung von Vitalität und Lebensenergie bietet, sind und waren dennoch vielen bedeutenden Dirigenten physische Grenzen gesetzt, die für Georges Prêtre nicht zu gelten scheinen. Seine geistige und körperliche Elastizität überträgt sich geradezu magisch auf die Orchestermusiker, spornt sie aufs Äußerste an und motiviert zu Höchstleistungen, die sich auch der extremen und bis zur Erschöpfung führenden gesteigerten Anspannung verdanken, welche die sachdienliche Dechiffrierung von Prêtres kryptischer, um nicht zu sagen orakelhafter Form der Zeichengebung erfordert.

Es ist, um Freud’sche Terminologie zu verwenden, die permanente Durchbrechung des Reizschutzes, welche – ganz im Sinne von Walter Benjamins Ausführungen über Baudelaire – dem Musizieren Prêtres seinen schockartigen und damit intensiv erlebnishaltigen Charakter verleiht: „Je größer der Anteil des Chockmoments an den einzelnen Eindrücken ist, […] desto eher erfüllen sie den Begriff des Erlebnisses“; und „desto weniger gehen sie in die Erfahrung ein.“ Diese illuminierende Erkenntnis Benjamins stellt für uns die künstlerische Eigenart Prêtres in die große französische Tradition, als Paris die „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ war, erklärt aber umgekehrt auch den tatsächlich bemerkenswerten Sachverhalt, dass selbst bei von ihm oftmals interpretierten Werken keine Prêtre’sche „Interpretationstradition“ entstehen kann. Und wo sich keine erfahrungsgesättigte Anschauung bildet, regiert das Suchtverhalten, sich unentwegt aufs Neue den faszinierenden, unerwartet hereinbrechenden Schocks auszusetzen.

Vielleicht liegt ein Geheimnis seines Erfolgs im weisen Entschluss, Zeiten zurückgezogener Muße mit einem klar umgrenzten „Repertoire ohne Repertoire“ zu verbinden: mit einem intensiv studierten Werkkanon ohne Routine-Gefahr. (Quelle; Wiener Symphoniker)

Linda Kelm

 

Im Oktober 2016 verstarb Linda Kelm, Hochdramatische Sopranistin im Wagner- und Puccini-Fach. Sie sang unter anderem im Ring der Deutschen Oper Berlin, dort auch die Turandot. Im Folgenden ein Nachruf aus der Salt Lake City Tribune, eine Kritik zu ihrem Turandot-debüt in New York und eine Würdigung ihrer  Agentur.

Linda Kelm als Brünnhilde mit Edward Sooter/Siegfried in „Siegfried/ Seattle 1986/ Foto Ron Scherl/ Seattle Opera

Linda Lee Kelm, 71, passed away on October 2, 2016. She was born to Robert Gordon and Hettie Wight Kelm on December 11, 1944. As a young woman she was an active member of Bethel # 1, International Order of Job’s Daughters and later became a Guardian of Bethel # 7. She made many life-long friends through her association with the IOJD, and in her last years was a devoted member of Lybia Temple, Daughters of the Nile, where she served as Queen and many other offices. She was deeply committed to the extended Masonic family in Utah.
A 1963 graduate of Highland High, she attended Westminster College of Salt Lake City, where at age 18, she began her vocal studies with the late Elizabeth Simpson, developing a full, rich contralto voice. She won a scholarship to the Aspen Summer Music Festival where she studied with the late Jennie Tourel. After winning the district round of the Metropolitan Opera auditions in 1974, she moved to New York City to pursue further training and opportunities. She studied voice with Judith Oas and repertoire with Maestro Walter Taussig. Shortly thereafter she made the astounding change from contralto to dramatic soprano.
In 1977, two years after making that change, her professional debut came with Seattle Opera’s Pacific Northwest Festival production of Wagner’s Ring Cycle, singing Helmwige and the Third Norn. She repeated these roles each summer until 1983, singing in both the English and the German cycles. In 1985 she was given the lead soprano role of Brϋnnhilde in her first fully staged performance in Seattle. She performed that role for a number of subsequent years. She shared a Grammy© for her recording with James Levine and the Metropolitan Opera in 1987, singing in „Die Walkϋre“. In 1988 she appeared as Brϋnnhilde at the Metropolitan Opera in New York City.
In 1979 she conquered the role considered the most taxing and difficult in the Italian repertory, that of Puccini’s Turandot. She sang with the Wilmington Opera Society in Delaware and inspired one critic to describe her as „a combination of Kirsten Flagstad and Maria Callas.“ She also performed the role with the Seattle Opera and Houston Grand Opera, and a critically acclaimed performance with the San Francisco Opera in 1983. Her debut with New York City Opera was the same year, appearing on the stage of Carnegie Hall.
She sang with the St. Louis Symphony under the direction of Leonard Slatkin in the title role of Salome. She also performed in Miami, Portland, Detroit, Milwaukee, Salt Lake City and many opera houses in Europe. She continued to enchant opera goers worldwide in performances with Deutsche Oper (Berlin), the Umbra Festival in Perugia, Italy, RAI Orchestra of Rome, and the Concertgebouw in Amsterdam. In 1982, Opera Guide wrote: „The audience was rapt in the presence of an uncommon force. Linda Kelm is an incredible find, a true phenomenon of nature.“
Linda traveled the world doing what she loved to do and when she came home to Salt Lake City she became a caring companion to her now 95 year old Mother. Her family, friends and fans will truly miss her. (Quelle starksfunerals.com/ saltlakecitytribune.com)

 

Dazu noch eine Kritik zu ihrem New Yorker Turandot-Debüt 1988 in der New York Times: OF principal interest in Sunday afternoon’s “Turandot“ at the New York City Opera was the debut of Linda Kelm in the title role. Miss Kelm, an American in her mid-30’s from Salt Lake City, sang Puccini’s music with an arresting and powerful soprano. And more than this, her singing managed to communicate Turandot’s grandiose mixture of savagery and passion with real effectiveness. In its top register, Miss Kelm’s voice tended to lose its warmth of timbre and take on a fiercer, more cutting quality, but it was almost uniformly steady and accurate. A generously-sized woman, Miss Kelm ceded the stage to no one during her time on it – either dramatically or vocally. While Christopher Keene’s loud conducting managed usually to obliterate the somewhat strangled sound of Harry Theyard’s Calaf, Miss Kelm penetrated Mr. Keene’s overeager tuttis with confidence. She seems to have the vocal size and the musical temperament for opera’s heavier soprano roles. Sunday’s City Opera audience obviously agreed on Miss Kelm’s talents and greeted her with great enthusiasm at the end.

 

Und ein Fan schreibt auf facebook: I saw Kelm in a Seattle Ring Cycle in which Leonie Rysanek sang Sieglinde, and later in a concert performance of Fidelio, and she was extraordinarily promising.  A Turandot from Fort Worth was more than promising.  She sang at the City Opera and one performance of Siegfried at the Met, as well as in Turandot in the parks Health problems curtailed her career, but she did sing some performances that were recorded. – among them a concert t Salome conducted by Leonard Slatkin in St. Louis, and Cherubini’s Demophon in Europe.. I don“t think her Seattle Rings have ever circulated and I think there was once a broadcast from one of the midwestern orchestras (Detroit? Milwaukee?) of the final scene from Siegfried

 

Linda Kelm: Professional debut in Der Ring des Nibelungen, 1977. Performed in Die Walküre and Götterdämmerung, 1977-1983. Sang title role in Turandot, 1979, Salome, 1984, Fidelio, 1987, Elektra, 1990, Tristan und Isolde, 1991. Performed with: Rai Radio Orchestra (Rome), Residentie Orkest of Holland, Minnesota Orchestra, Utah Symphony, Opera Orchestra New York, Chicago Symphony, San Francisco Symphony, St. Louis Symphony, Pittsburgh Symphony, Baltimore Symphony, Denver Symphony, Detroit Symphony, Seattle Symphony, New Jersey Symphony, Long Island Philharmonic, San Antonio Symphony, Houston Grand Opera, New York City Opera, San Francisco Opera, Deutsche Oper/Berlin, Associaciones Bilbania de Amigos de Opera-Bilbao, Spain, Hamburgische Staatsoper, Mexico City Opera, Kentucky Opera, Utah Opera, Portland Opera, Greater Miami Opera, Los Angeles Philharmonic, City of Birmingham Symphony Orchestra, England, Tokyo Symphony Orchestra, Orchestre de Bordeaux-Aquitaine, Cincinnati Orchestra, Phoenix Symphony Orchestra, Brooklyn Philharmonic Orchestra, Symphony of the New World, Philippine Youth Symphony Orchestra, Spokane Opera. Sang role of Brünnhilde, Seattle Wagner Festival, 1986, 87. Appeared in major opera houses throughout the world. Metropolitan Opera debut Brünnhilde in Siegfried, 1988. Avery Fisher Hall debut, 1987. Carnegie Hall debut, 1988, Concertgebouw debut, 1983, Royal Festival Hall debut, 1989, May Festival debut, 1986. Recording debut Helmwige in Deutsche Gramophon, Die Walküre Metropolitan Opera, 1988 (Grammy award). (Foto oben: Künstlerpostkarte Linda Kelm mit Widmung an Sebastian Siercke – Dank an ihn für die Genehmigung zur VerwendungIGM Artists/ youtube/ OBA)

Ed Rosen

 

In seinem mit Kartons voller Tonbandspulen und Platten vollgeräumten Apartment in New York traf ich Ed Rosen in den Siebzigern, als ich dort durch die heute legendären Schallplattenläden zog. Tower Records, Sam Goodies, Dalton´s und viele kleine zum Teil sehr schäbige Geschäfte, die den Namen kaum verdienten, boten damals dem Suchenden ein Cornicupium an Wundern – Live-Aufnahmen der Met, Mitschnitte aus Italien und der Welt, alles von Maria Callas oder Renata Tebaldi, Corelli, Tucker, Peerce, Milanov…. Opern, von denen man noch nie etwas gehört hatte. Alles streng illegal und wunderbar. Die damaligen LPs der Firmen MRF, BJR, HRE, Morgan, Pirate Records und wie sie alle hießen. Und ERR. Das war Ed Rosen Records. Ein Freund stellte mich Ed Rosen vor, und wir besuchten ihn. Ein begeisterter Opernfreak wie Mr. Tape (der legendäre Spulen-Händler, dessen Katalog sich wie die Bibel las), ein Sammler und ein Connaisseur, selber Bariton mit tollem Material (es gibt eine Tosca aus Covent Garden 1971 mit ihm als Sagrestano; und youtube hat eine Traviata-Probe mit Elizabeth Carron) und eben ein Platten-„Produzent“. Letzteres eigentlich eher tief illegal, weil sich alle Institute gegen diese Mitschnitte wehrten und zum Teil auch versuchten, gegen ihn vorzugehen. Die Met verhängte Hausverbot, Covent Garden auch.

Eugene Kohn, Ed Rosen, Aprile Millo and Seth David Lubin/ Foto mariaalsatti.com

Aber die Fans streuten Blumen. Damals waren Livemitschnitte neu und begehrt und unerhört teuer. Wenn die stets nach feuchtem Keller riechenden Pakete aus den USA in Berlin bei uns ankamen (stets mit dem Gang zum Zoll und mit schwitzenden Händen wegen der Gebühren verbunden) herrschte Weihnachtsstimmung. Ed Rosen hatte geliefert. In der Folge verschwanden die LPs, und die CDs hielten Einzug: Lyric Distribution hieß Eds Reich nun, Legato CDs hielten Eve Quelers und anderer Aufführungen fest. Aprile Millo und viele mehr hatten hier ein Fest, lange bevor die offiziellen Großen sie aufnahmen, die Gencer, Soviero, Niska, Caballé, Carreras – alle, die der Fan hören wollte. Dazu noch die bereits Legendären in unbekannten Aufnahmen. Und die Sänger waren glücklich, wie Aprile Millo nachstehend schwärmt. Ed war dann der Gründer und Inhaber von Premiere Opera, einem total grauen CD-Live-Versand. Er  starb am 21. Dezember nach kurzer Krankheit nach seinem 76. Geburtstag. New York sollte ihm auf der Plaza des Lincoln Centers ein Denkmal errichten. Er hat es verdient – auch wenn die Met das sicher anders sieht.

 

Aprile Millo mit Eve Queler und Kollegen vor dem Poster von La Wally vor der Carnegie Hall/ Foto Queler

Nachstehend treffen Erinnerungen an Ed Rosen ein, Seth David  Lubin ist einer der besten Kenner der Szene und wird einen eigenen Nachruf schreiben. Aber mit den bewegenden Erinnerungen von Aprile Millo auf facebook soll begonnen werden. A glooming peace this morning with it brings, the news of the crossing of Ed Rosen, dearest friend, beloved talisman of all singers and someone who kept the glories of many generations of singers alive for all to learn from and be inspired by with his Legato Classics, and then Premiere Opera. A baritone voice that captured everything he liked in singing was his very own….a true Verdi baritone with high extension and real beauty. So he didn’t just bravo from a passive state, he bravoed with a real understanding of singing that came from one who sang, and sang beautifully. He LOVED music sung well, and from the heart. To say I have known him almost all my life is putting it mildly…. I have known he and Seth David Lubin and so many others, with a sense of family that went beyond blood. We were all in different positions at the altar of music, and brought our best selves to it…. from this day, his first in Paradise, with his great pal, Richard Tucker, who he adored and idolized, and Sarah, and Renata Tebaldi…. Corelli, Merrill, EVERYBODY coming to greet him…..he is welcomed and made to feel immediately at home…. His beloved mom and dad.. He goes to a place he had in his heart, a place of perpetual sunbeams, and melodies, of oceans of light and tranquility and always LOVE….. You will always be with me Ed, always….in fact any place someone sings well and with beauty, in tune, and full of gusto and showmanship, with heart, YOU will be there….In every stirring chorus and thrilling overture or intermezzo, YOU will be there….. I cannot believe I write this, so soon as you were so young at heart, thank you dear friend, thank you for your love and your endless support, and that you loved opera and did everything you could to keep it alive… the world of opera today mourns one if its greatest hearts…. I will miss you terribly…. Pax Perpetua in Eternum.
Never another like you…..one of a kind…. I love you….. „io salisco….“

 

Ed Rosen vor dem Portrait von Richard Tucker in der Met/ Foto youtube

Seth David Lubin schreibt: Ed Rosen  (December 15th,1940 – December 21st, 2016 ) was born in Hewlett, NY. His mother Mildred, was a business woman and worked in the offices of Macy’s Department store. His father Irving worked in the clothing business in Manhattan. Ed is survived by his younger brother, Fred. Ed knew immediately that he was not cut out to work in his father’s dress business and his life proceeded in a distinctly different direction. As a youth Ed liked sports and played baseball. He was a life long Yankee’s fan. He never missed a game. His voice must have been very mature at a young age. He was cast in a summer camp production of South Pacific as  Emile de Becque. His love for the American Broadway musical continued his entire life.

Ed had a spectacular Verdian baritone voice. I heard him when he still was in his twenties. It was a rich Italianate sound with an upper extension to the tenor high B flat.  He could have been an asset to any operatic theater  in the world. He was persuaded by Montserrat Caballé to pursue a career. He actually was engaged to sing Amanasro in Verdi’s Aida in Miami, Florida, but this was not to be. In the end he was content to sing for friends at parties and concentrate on his business. His love for opera began very early in his teens.

Ed Rosen und José Carreras/ Foto youtube

Il Pirata (The Pirate): Ed began his business in his Freeport, Long Island apartment. It was a time when the technology of home recording had  become rather conman place. Opera fans all over the world began recording live broadcasts. As well there were many  fine portable recorders that were able to capture live performances in the theaters. This of course was a quiet underground pastime not sanctioned by the executives who ran the theaters as the New York’s  Metropolitan Opera.  And so began what was called pirated recordings.  In the late 1960s, I recall visiting Ed  at his apartment where had two reel to reel tape recorders set up on a folding card table. There he could copy the tapes of an ever expanding worldwide group of people who traded these performances. His business grew as he went from reel to reel tapes, to records, cassettes and finally to CD.  He amassed thousands of live broadcasts. The earliest primitive home recordings from the dawn of radio began to circulate.

Ed began his friendship with the greatest singers of his time. Richard Tucker was his favorite tenor of all time. Ed would become a friend  to the entire Tucker family which continued to this day. Most importantly became his friendship with Richard’s son, Barry. Ed was always on hand to supply live recordings of Tucker to be played at the annual Richard Tucker Foundation concerts.  I can recall one such concert when Birgit Nilsson was the honored guest. They played Ed’s provided tape of Tucker and Nilsson singing a brief excerpt from the great Act Two love duet from Verdi’s  BALLO IN MASCHERA. Nilsson all though retired from singing several years could be heard singing along with their tape as she made her entrance onto the stage!

Also it has to be noted that Tucker sang a performance of TOSCA at Long Island’s Hofstra University. Richard arranged that Ed would sing the role of Scarrione. It was one of Ed’s greatest memories to have sung beside Tucker on the same stage.  Ed would go on to meet Alfredo Kraus. It was Kraus who gave Ed, his own personal copy of the ‚Lisbon Traviata‘. This of course was the live performance of Violetta by Maria Callas. Ed released it on LP and its importance actually became the subject of the play, ‚The Lisbon Traviata‘ by Terrance McNally.

Ed Rosen und Carlo Bergonzi/ Foto youtube

As Ed’s reputation grew among the great singers, he was able to release rare performances of his favorite artists. He released two LP albums of live performance duets with Renata Tebaldi and Tucker. These two singers were splendid on the stage together, but never made a studio recordings, as they were never contracted by the same recording company. So, it was Ed that made it possible for later generations of fans to hear these two great singers together.

With the remarkable start of home video recording, Ed expanded his business to include live performances, again from theaters around the world. Not to say that there were legal complications between Ed and the law. However, I think finally the great theaters started to see the financial gain in commercially releasing these live television recordings. I believe Ed deserves credit for shaping and expanding the video tape and then the DVD  business of classical musical. More recently Ed often received phone calls from today’s newest stars. They often asked for recordings of live performances of earlier generations of singers, when studying a new role.

I’m not sure that Ed realized his legacy was in part right in front of him. Today’s Internet opera station on Sirius Radio plays live Metropolitan Opera Broadcasts 24 hours a day. Many of these historic performances came directly from Ed Rosen’s collection. In this day of Internet radio and video, we can listen or watch live performances from all over the world. But before all this it was a young man with two reel to reel tape recorders who had the idea to make available great live operatic performances. For this we will always be grateful to Ed Rosen.

 

Von Farinelli zu Jommelli

 

16 Jahre (von 1753 bis 1769) war der Neapolitaner Niccolò Jommelli (1714-1774) Hofkapellmeister des württembergischen Herzogs Karl Eugen (Schiller flüchtete 1782 vor dem Despoten), für den er jährlich zwei Opern komponierte (zu dessen Namens- und Geburtstag), 28 soll er für den Herzog geschrieben haben, mehr als 60 zeitlebens. The Jommelli Album – Arias for alto des florentinischen Countertenors Filippo Mineccia umfasst acht Arien und ein Instrumentalstück aus den Jahren 1749 bis 1769, die für Neapel, Rom, Turin und den deutschen Fürsten entstanden. Die Arien stammen aus Opern und geistlichen Werken, wer allerdings unvorbereitet zuhört, wird das kaum bemerken – die sakralen Gesangsstücke klingen hier profan.  Auch bei der Auswahl der Musikstücke setzt man auf Bewährtes: Einige Arien findet man bereits zuvor interpretiert, von Ersteinspielungen ist im Beiheft genauso wenig die Rede wie von Recherche-Tätigkeiten und Gründen für die Arien-Zusammenstellung. Jommelli war Zeitgenosse des früh verstorbenen Pergolesi (1710-1736) sowie Glucks (1714-7187), ein Jommelli-Album sollte vor der Frage stehen, ob der Komponist auch Neuerer oder Reformer war und welche Auswirkungen das auf seine Musik hatte. In der vorliegenden Aufnahme, die 2014 in Madrid aufgenommen wurde, wird dieser Aspekt nur gestreift, eine umfassende Einordnung ist im Beiheft nicht enthalten. Dirigent Javier Ulises Illán und die 15 Musiker (lediglich Streicher und Generalbass) des Ensembles Nereydas finden an manchen Stellen eine ungewöhnliche und individuelle Interpretation, das Cembalo klingt im Vordergrund, neben der Theorbe wird auch eine Gitarre verwendet und verleiht bspw. dem einleitenden „Fra il mar turbato“ (Bajazet – Turin 1753) ein frischen, vorwärtsstrebenden Charakter; das aufgewühlte Meer war bei vielen Komponisten der Zeit beliebtes Thema von Gleichnisarien – Jommelli reiht sich hier nahtlos in große Vorbilder ein. Ein Höhepunkt der CD ist bspw. die lateinische Arie „O vos omnes“ (Lamentazioni per il Mercoledì Santo – Rom 1751) bei der Jommelli die 2. Violinen stetig ein Motiv wiederholen lässt, das bei Illán einen „minimalistisch“ wirkenden Charakter erhält und dadurch eine ungewohnte Binnenspannung entsteht. Hier lohnt der Vergleich mit einer älteren Einspielung: Bei Christophe Rousset hört sich „O vos omnes“ wie Kirchenmusik an (Rousset spielte die „Lamentazioni per il Mercoledì Santo“ mit den Sängern Véronique Gens und Gérard Lesne  sowie „Il Seminario musicale“ ein). Die über zehnminütige Arie des Sesto „Se mai senti spirarti sul volto“ (Stuttgart 1753) beruht auf Metastasios La Clemenza di Tito und wurde mehrfach vertont. Jommellis Version entstand fast zeitgleich mit der Glucks (Neapel 1752), beide ähneln sich im Ansatz, Jommelli ist idyllischer, Gluck etwas dramatischer – es fällt schwer, der einen oder anderen den Vorzug zu geben. Schöne Werke, mal ernster, mal fröhlicher, sind „Come a vista“ (La Passione di Nostro Signore Gesú Cristo – Rom 1749), „Pastor son’io“ (Cantata per la Natività della Beatissima Vergine – Rom 1750), „Ritornerà fra voi“ (La Passione di Nostro Signore Gesú Cristo – Rom 1749) und „Parto, ma la speranza“ (La Schiava Liberata – Ludwigsburg 1768). Die große Arie „Salda rupe“ (Pelope – Stuttgart 1755) beendet diese interessante Einspielung. Mineccia hat eine schöne, stets zentriert klingende Stimme, die den Ausdruck plastisch gestaltet, doch noch nicht jeder Ton ist farbig, die Koloraturen bspw. in „Salda rupe“ klingen ein wenig zu pauschal. Überzeugend sind die Ausdauer fordernden Passagen mit vielen lang gehaltenen Tönen wie in „Se mai senti spirarti sul volto“. Als Instrumentalstück wird von Nereydas eine kurze „Sinfonia a due violine e basso“ makellos und spannend gespielt. (Pan Classics, PC10352)

Metastasio beschrieb Jommelli in einem Brief als Person mit einem „heiteren, ruhigen Charakter, der die Zeit bevorzugt damit verbringt, sich in der Rundlichkeit eines wohlgenährten Körpers zu befinden“‚. Adressat dieses Briefes war der berühmte Kastrat Farinelli. Farinelli heißt auch die Jubiläums-CD des Ensembles Les Talens lyriques, das vor 25 Jahren im Jahr 1991 von Christophe Rousset gegründet wurde und zur Feier eine Live-Aufnahme eines Konzerts aus Bergen vom 26. Mai 2011 veröffentlicht, die sich an den Kostüm- und Historienfilm Farinelli (1994) anlehnt, zu dem Rousset und Les Talens Lyriques die Filmmusik einspielten. Damals wurde die Singstimme elektronisch kombiniert aus denen des Countertenors Derek Lee Ragin und der Sopranistin Ewa Małas-Godlewska. Beim Live-Konzert hatte man Ann Hallenberg verpflichtet, die ihrer Aufgabe als Farinelli mit beweglicher und koloratursicherer Stimme souverän gerecht wird. Wer virtuose Barock-Arien in ihrer ganzen Pracht mag, der wird hier fündig, der Klang ist gut, die Bühnensituation ist allerdings hörbar. Vier Komponisten sind vertreten: Farinellis Bruder Riccardo Broschi mit „Son qual nave ch’agitata“ (Artaserse) und „Ombra fedele anch`io“ (Idaspe), Farinellis Lehrer Porpora mit „Si pietoso il tuo labro“ (Semiramide riconosciuta), dem berühmten „Alto Giove“ (Polifemo) und als Konzertabschluß koloraturvirtuos mit „In braccio a mille furie“ (Semiramide risconosciuta), Geminiano Giacomelli mit „Già presso al termine“ und  „Passagier che incerto“ (beide aus Adriano in Siria) und Leonardo Leo mit „Che legge spietata“ und „Cervo in bosco“ (beide aus Catone in Utica). Als Zugaben beim Konzert erklangen zwei Arien, die Farinelli nie gesungen hat, und zwar von Händel  „Lascia ch’io pianga“ (aus Rinaldo) und „Sta nell’Ircana“ (Alcina). Die 24 Musiker (Streicher, Generalbass sowie Oboe, Horn und Fagott) begleiten und gestalten abwechslungsreich mit vollem Klang, Hasses Ouverture zu Cleofide vervollständigt die CD. Farinelli ist die Live-Aufnahme eines Konzerts, bei der das Publikum begeistert gewesen sein muss. Das Beiheft beinhaltet eine mehrseitige Biographie Farinellis in Englisch und Französisch, (aber wie immer natürlich nicht in Deutsch)… (aparte, ap117)
Marcus Budwitius

Frische und Reife

 

Dem Verismo verschworen scheinen sich momentan unsere Operndiven zu haben, denn nach Anna Netrebko und Elina Garanca legt nun auch Krassimira Stoyanova eine CD dieses Titels vor. Die ihre zeichnet sich zuerst einmal dadurch aus, dass den Arien nicht unvermittelt beginnen, sondern dass häufig mit einigen Takten der vorangehenden Musik in die Stimmung der Arie hineingeführt wird, so mit dem Zwiegespräch zwischen Adriana und Michonet in die „Poveri fiori“. In diesen wie bereits zuvor in der „Umil’ancella“ erweist sich der Sopran durch seine  wunderbare Farbigkeit, durch die feine Textausdeutung, das dunkel glühende Timbre und die reiche  Agogik als ideale Gestalterin der leidenschaftlichen Figuren dieser Musikepoche. Die Höhe wird niemals scharf, die Beherrschung der Technik trotz temperamentvollen Stimmeinsatzes nie gefährdet, und es gibt keinerlei Scheu davor, den Überschwang der Gefühle vokal zu verdeutlichen. Die „poveri fiori“ erklingen mal ätherisch fein, mal in vollem, dramatischem Glockenton.

Es beginnt mit Manon Lescaut, die für die „trine morbide“ ein üppiges Farbspektrum aufbringen kann, zwar keine Mädchenstimme hat, aber eine, die den Nachklang von Leidenschaft und die aktuelle Melancholie vermitteln kann. Vielseitig gestaltet wird auch „Sola, perduta, abbandonata“ mit dem Wechsel zwischen Verhaltenheit und Verzweiflung, dem rührend ungläubigen „non voglio morir“.

Ebenfalls mit zwei Ausschnitten ist Madama Butterfly vertreten, mit „Un bel di“ in ruhiger Gewissheit und großzügiger Phrasierung und mit dem Abschied vom Kind in dramatischer Gestaltung. Liùs „Signore ascolta“ aus Turandot ist von zart keuschem Klang, die Sängerin hat eine Vielzahl von Schattierungen für die Charakterisierung jeder ihrer Figuren zur Verfügung und setzt schwebende Piani in der Höhe ein, die Stimme scheint ganz ohne Druck auf alle Intentionen ihrer Besitzerin einzugehen. In „Tanta amore segreta“ gibt es wundersame Tongespinste zu entdecken.

Der mit Abstand umfangreichste Track ist einer unbekannten Oper Mascagnis, Lodoletta, gewidmet und schildert wild bewegt den Kältetod eines enttäuschten und betrogenen Mädchens, aus des Komponisten L’amico Fritz stammt „Son pochi fiori“ in feiner Verhaltenheit und Schlichtheit für den Beginn. La Stoyanova beweist, wie schön diese kaum jemals gehörte Musik klingen kann, wenn sie so raffiniert wie hier gesungen wird.

Sehr lyrisch, elegisch beginnt die Sängerin die Arie Wallys, umso dramatischer wirkt der Schluss. Suor Angelica hat für „Senza mamma“ einen schönen Klageton und ein feines Decrescendo zum Schluss, Maddalena aus Andrea Chénier für das klug sich steigernde „La mamma morta“ eine dunkelgetönte, leidenschaftliche Klage. Edgars Fidelia schwelgt in blühender dolcezza. Toscas Gebet am Schluss der CD schließlich klingt wie das sehr glaubhafte Geständnis nicht nur der Figur, sondern ihrer Interpretin selbst, die sich im Zenit ihres Könnens, Frische und Reife zugleich einsetzend, zu befinden scheint. Das Münchner Rundfunkorchester unter Pavel Baleff erweist sich als sicherer Begleiter der Ausnahmesängerin (Orfeo C 899 171 A). Ingrid Wanja             

Von Hoffnung und Wüstenwinden

 

Das liest sich doch ziemlich interessant: Der schottische Komponist Erik William Chisholm (1904-65) hat 1953 eine bislang nicht aufgeführte Oper nach einem frühen Einakter (1889) von August Strindberg geschrieben, die nun in einer Aufnahme der Co-OPERAtive Scotland vorliegt (Delphian CDD34139): Simoon. Chisholm war offenbar ein vielseitiger Musiker: er zeigte bereits als Jugendlicher Talent zum Komponieren, studierte in Edinburgh Komposition und Musikwissenschaft, war Organist und Kritiker, engagierte sich als Dirigent bei verschiedenen Opernkompanien und leitete in den 1930er Jahren die britischen Erstaufführungen von Idomeneo, Les troyens und Béatrice et Bénédict. Er war befreundet mit der Speerspitze der Avantgarde, die er in Schottland propagierte, dirigierte nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an der Carl Rosa Opera Company, setzte sich in Indien für ein aus verschiedenen Ethnien zusammengesetztes Orchester ein und gründete ein ebenso kosmopolitisches Orchester in Singapur. Chisholm, der sich als einer der ersten Komponisten für keltische Musik interessierte und als „MacBartók“ tituliert wurde, erhielt 1946 einen Ruf als Direktor des South African College of Music nach Kapstadt, wo er 19 Jahre erfolgreich und nachhaltig wirkte; 12 Opern soll er nach 1941 geschrieben haben, die von seiner Aufgeschlossenheit und Weltläufigkeit zeugen, da er offenbar alle literarischen und musikalischen Strömungen, den er begegnet war, aufsaugte und einen west-östlichen Diwan daraus webte.

Der nie in seiner Orchesterfassung aufgeführte Einakter Simoon gehört mit The Pardoner’s Tale und Dark Sonnet zu einem Murder in Three Keys genannten Triptychon düsterer Opernthriller. Strindbergs Einakter spielt zur Zeit der Entstehung, also in den 1880er Jahren, in Algerien, wo der arabische Führer Ali von französischen Legionären ermordet wurde. Biskra schwört, ihn zu rächen. Sie umgarnt den erschöpften Franzosen Guimard mit allen Mitteln makabrer psychologischer Kriegsführung, bis dieser schließlich sogar glaubt, bereits tot zu sein. Biskra hat gesiegt und darf endlich ihrem Geliebten Yusuf angehören. Alles ist vorhanden. Chisholm musste die Dialoge nur in drei Szenen, die in charakteristische Movements unterteilt, einpassen; die dritte Szene besteht nur aus einem kurzen Epilog, in dem Biskra „Simoon! Simoon!“ beschwört, den nordafrikanischen Wüstenwind. Strindbergs Stück, das in der Zeit einer gnadenlosen Kolonisation und Konfrontation zwischen Christen und Muslimen spielt und mit rassistischen und religiösen Tönen operiert, war zu Chisholms Zeit in dem von Apartheid geprägten Südafrika nicht weniger aktuell.

Die Musik von Chisholm ist es ebenso. Was Chisholm mit seinem kleinen, um Celesta, Glockenspiel, Xylophon, Glocken, Gong, Windmaschine, Harmonium und zwei Klaviere erweiterten Orchester in einer freien Zwölfton-Schreibweise an Klangfarben zaubert, klingt immer noch ziemlich modern und wurde von Ian Ryan am 8. Juni 2015, also genau an Chisholms am 50. Todestag, in Glasgow derart geschärft präsentiert, dass man versteht, weshalb Chisholm als „Scotland’ s forgotten composer“ gilt. Den expressionistischen Gestus von Strindberg unterstreicht Chisholm durch eine Anlage der Gesangspartien, die Extreme und Farben ausreizt, den Sängern eine ausgesprochene Beweglichkeit und Klangreichtum abverlangt und westliche und östliche Farben mischt, so soll der von Philip Sheffield insistierend gesungene Yusuf beispielsweise der Welt sinnlicher indischer Klänge angehören. Vieles klingt oftmals geradezu quälend, etwa in den Passagen der von Jane Irwin mit peinigender Insistenz gesungene Biskra oder während der Folterqualen, die der von dem Bariton Damian Thantrey gestaltete Guimard erleidet. Letztlich ist der Orchesterpart eindringlicher angelegt als die Gesangsparts. Das lässt sich nicht alles auf Anhieb hören und erkennen, dazu ist der knapp 50minütige Einakter zu konzentriert und konzise, aber auch zu intensiv und fordernd.

 

Zwei Generationen jünger als Chisholm ist Detlev Glanert, der u.a. von Hans Werner Henze ausgebildet wurde, dessen Cantiere Internazionale d’ Arte in Montepulciano er während dreier Spielzeiten leitete. In seinem Oeuvre, das inzwischen fast ein Dutzend Opern, zahlreiche große Orchesterwerke, Kammermusik und Solokonzerte umfasst, nehmen die Bearbeitungen einen nicht unwesentlichen Teil ein, darunter mehrere seines Hamburgers Landsmannes Johannes Brahms. Dazu gehören auch Vier Präludien und Ernste Gesänge für Bassbariton und Orchester (nach op. 121), die er im Sinne von Brahms orchestrierte und durch Vor- und Nachspiele ergänzte und damit einen Rahmen zur vertiefenden Reflektion schuf. Für diese 2005 in Berlin uraufgeführte Fassung reiste Michael Nagy im November 2014 nach Helsinki, wo zusammen mit dem Helsinki Philharmonic Orchestra unter Olari Elts eine Einspielung entstand (Ondine ODE 1263-2), die man gerne mehrmals hört. Nagy singt die alttestamentarischen Texte der drei ersten Lieder mit festem, dunklem Bariton – die Stimme klingt schwerer als ich sie von Live-Auftritten in Erinnerung hatte – und verhaltender Glut und findet im vierten Lied, das von Glaube, Hoffnung und Liebe handelt, zu einer fast schwärmerischen Eindringlichkeit („Aber die Liebe ist die größte unter ihnen“). Das Programm wird wunderbar und klug ergänzt durch zwei weitere Werke von bzw. über Brahms: Glanerts Orchesterstück Weites Land von 2014 mit der Bezeichnung „Musik mit Brahms für Orchester“, in dem, laut Glanert, viel Norddeutschland enthalten sei sowie „der Brahmssche Geruch von Marschland“ und die 1986 von Luciano Berios erstellte Orchesterfassung der Sonate für Klarinette op. 120 Nr. 1 von Brahms (mit dem Klarinettisten Kari Kriikku).      R. F.