Archiv für den Monat: Juli 2020

Reichas „Lenore“

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Lenore fährt aus dem Schlaf empor. „Bist untreu Wilhelm oder tot?“ Preußen und Österreich haben ihre verlustreiche Schlacht um Prag beendet. Doch der Verlobte kehrt nicht zurück. Er ist gefallen. Die verzweifelte Braut hadert. „Bei Gott ist kein Erbarmen“, ruft sie aus. Was half das Beten? „Kein Sakrament mag Leben den Toten wiedergeben.“ Bei den Worten der Tochter ergreift die Mutter angstvolles Schauern. Sie weiß, dass Gotteslästerung in die Hölle führt. Und Wilhelm? Der erscheint schließlich als Toter, zerrt Lenore auf seinen Rappen und reitet mit ihr durch die gespenstische Nacht direkt in sein Grab. Die Prager Schlacht – die zweite im Siebenjährigen Krieg – fand am 6. Mai 1757 statt. Die Ballade Lenore von Christoph August Bürger, die sich direkt darauf bezieht, entstand allerdings erst 1773. Ungeachtet dessen kann getrost von einem Stück zeitgenössischer Gegenwartsliteratur gesprochen werden, das noch lange nach seinem Entstehen enormes Aufsehen erregte. Blasphemie ist bis in die Gegenwart ein heißes Eisen geblieben und kann unter bestimmten Umständen noch immer auch juristische Folgen haben. Lenore wird mit dem Tode bestraft. Nicht durch ein irdisches Gericht. Schlimmer noch. Ohne Gottes Segen sinkt sie in die Erde.

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Antonín Reicha hat die Ballade zur Kantate für drei Solisten – das sind Lenore, die Mutter, Wilhelm – einen Erzähler, Chor und Orchester verarbeitet. Sie besteht aus zwei Teilen und wird mit einer großen Ouvertüre eingeleitet, die an die zehn Minuten beansprucht und mehr sinfonische Dichtung denn Vorspiel ist. Darin offenbaren sich das Können Reichas, sein Einfallsreichtum und seine Kompositionstechnik. Eine Aufnahme, die 2001 in Prag entstand, wurde jetzt von Orfeo erneut aufgelegt (MP1903). Dafür gibt es einen gewichtigen Anlass. Am 26. Februar 1770 wurde Reicha in Prag geboren. Damit ist er neben Ludwig van Beethoven der zweite Komponist, dessen 250. Geburtstages in diesem Jahr gedacht wird. Im Gegensatz zu jenem wurde um Reicha bisher kaum Aufhebens gemacht. Lediglich aus Brno ist eine Aufführung der Kantate bekannt worden. In Reichas Biographie gibt es sogar einen sehr direkten Bezug zu Beethoven. Beide kannten sich gut und hielten Freundschaft. 1785 war Reicha nach Bonn gekommen und spielte in der Kurfürstlichen Hofkapelle die zweite Flöte, während Beethoven Bratschist gewesen ist. Nachdem das Orchester aufgelöst wurde, ließ sich Reicha als Musiklehrer in Hamburg, später in Wien nieder und übersiedelte schließlich 1808 nach Paris. Dort fand er bereits nach einem Jahr eine dauerhafte Anstellung am Konservatorium und trat 1818 die Nachfolge von Étienne Nicolas Méhul als Professor für Komposition an. Namhafte Komponisten gingen durch seine Schule, darunter Franz Liszt, Hector Berlioz, Charles Gounod, César Franck und Friedrich von Flotow. Reicha selbst hinterließ ein reiches eigenes Werk aus Sinfonien, Konzerte und Messen. Zahlenmäßig den größten Posten bildet die Kammermusik. Sie ist auch am häufigsten auf Tonträgern anzutreffen. Viele Produktionen sind tschechischer Herkunft. Für die Tschechen ist Reicha einer der Ihren, was sich auch in der Namensnennung niederschlägt. Bei ihnen wird er Antonín Rejcha geschrieben, während er im deutschsprachigen Raum Anton und in Frankreich Antoine-Joseph Reicha heißt. Bei der Suche nach Schallplatten, CDs und Literatur sollte dies in Betracht gezogen werden. Zurück zu seiner Lenore.

Antonín Reicha wurde mm 26. Februar 1770 in Prag geboren. Damit ist er neben Beethoven der zweite Komponist, dessen 250. Geburtstages in diesem Jahr gedacht wird. 1825 entstand dieses Porträt. Foto: Wikipedia

Im Booklet schreibt Rainer Aschemeier: „Zu Reichas Zeit war Bürgers Ballade ein literarischer ,Smash Hit‘ – in ganz Europa, teils als Raubdruck auf Flugblättern weit verbreitet. Sie galt noch bis ins 20. Jh. als eines der bekanntesten epischen Gedichte deutscher Sprache, gerät heute leider aber zunehmend in Vergessenheit.“ In seiner Darstellung durch Bürger scheint ihr Thema trotz bemerkenswerter Erzählperspektive obsolet. Die Ballade ist kein historisierendes Werk. Im Mittelpunkt stehen nicht die herrschenden Majestäten und ihre politischen Ambitionen. Dargestellt finden sich die Folgen des Krieges für Lenore, das Mädchen aus dem Volke, das den Verlust des Mannes, dem sie versprochen ist, nicht als Helentod für das Vaterland empfinden kann. Ihr Leben hat ohne ihn keinen Sinn mehr. Mit der Eins-zu-eins-Vertonung konnte die Ballade offenbar auch nicht auf Dauer gerettet werden, wenngleich Reicha musikalische Akzente setzt, die über die Intentionen des Dichters hinausgehen. Es würde sich also durchaus lohnen, der Kantate mehr Aufmerksamkeit zu widmet, sie wenigstens hin und wieder öffentlich zu geben.

Die auch von HR2 Kultur als Europakonzert übertragene Aufführung im Februar in Brno wurde vom Tschechischen Philharmonischer Chor und dem Philharmonischen Orchester der Stadt unter der Leitung von Dennis Russell Davies bestritten. Dramatisch wirkungsvoll aufgeladen, litt die rasante Darbietung nach meinem Eindruck für die deutschsprachigen Hörer unter der eingeschränkten Wortverständlichkeit. Wer gnädig darüber hinweghörte und seine Bürger-Ausgabe mit den Text zur Hand hatte, machte die Bekanntschaft mit einem gewaltigen Werk, das kühn den Rahmen der traditionellen Kantate sprengt und rasante opernhafte Züge annimmt. Im Vergleich dazu geht Frieder Bernius, der Dirigent der Orfeo-Einspielung das Werk diskreter, teils gar sanfter an. Er kommt von der Kirchenmusik und fühlt sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet. Als Orchester stehen im die Virtuosi di Praga zur Verfügung, die gleich dem ebenfalls mitwirkenden Prague Chamber Choir erst 1990 und damit gut zehn Jahre vor der Aufnahme geründet wurden. Beides sind keine traditionellen sinfonischen Ensembles wie die Klangkörper in Brno, was den Intentionen von Bernius entgegen kommt. Für mich besteht kein Zweifel, dass Lenore bei Reicha an der Seite ihres Wilhelms doch noch Ruhe und Frieden findet. Eindeutig und unmissverständlich ist die Musik bei dem Paar, wenngleich die Geister bis zum Schluss wild und drohend mahnen: „Mit Gott im Himmel hadre nicht!“ Die Grablegung wird zum Requiem.

Obwohl keine Muttersprachler unter den Mitwirklenden sind, kommt der deutsche Balladentext sehr gut zur Geltung und macht Lust, sich ihn wieder genauer zuzuwenden. Die wichtige Aufgabe des Erzählers, der quasi durch die Handlung führt, wurde dem amerikanischen Tenor Corby Welch übertragen, der seinerzeit noch lyrischen Partien sang, inzwischen vornehmlich im Wagner-Fach unterwegs ist. Camilla Nylund bringt für die furchtlose und selbstbewusste Lenore alle Voraussetzungen mit, während die Mutter von Pavia Vykopalova in ihren Mahnungen, Vorhaltungen und düsteren Ahnungen dunkler und besorgter klingen und sich stimmlich deutlicher absetzten könnte. Noch bevor Orfeo die Lenore einspielte, entstand 1986 eine Aufnahme beim tschechischen Label Supraphon. Mit Magdalena Hajossyova als Lenore und Venceslava Hruba-Freiberger als Mutter wirken zwei Sängerinnen mit, die auch in Deutschland, vornehmlich in der DDR sehr bekannt und geschätzt waren. Der Tschechischer Philharmonischer Chor und das Prager Kammerorchester wurden von Lubomir Matl geleitet. Zuletzt ist diese Lenore 2000 aufgelegt worden und zumindest antiquarisch noch immer zu haben.

Der Dichter Gottfried August Bürger auf einem Gemälde von Johann Heinrich Tischbein dem Jüngeren, das 1771 entstanden ist. Foto: Wikipedia

Von dem literarischen Stoff fühlten sich auch andere Komponisten angezogen. Franz Liszt schrieb 1857 sein erstes Melodram nach der Ballade von August Bürger, das bei Hyperion herausgekommen ist, wobei der Pianist Leslie Howard den Schauspieler Wolf Kahler begleitet. Wie nicht anders zu erwarten, hat auch Dietrich Fischer-Dieskau eine Einspielung mit Burkhard Kehring bei der Deutschen Grammophon hinterlassen, die von seinem bemerkenswerten Können als Vortragskünstler zeugt. Ich kann mich nicht satt daran hören. Vollständige vertont wurde die Dichtung von Johann Friedrich Reichardt. Eine Aufnahme findet sich bei YouTube mit der Altistin Käthe Röscke, einer renommierten Oratoriensängerin, die mir in ganz jungen Jahren Johann Sebastian Bach bei Konzerten in der Jenaer Stadtkirche nahe brachte. Aufgenommen das an die achtzehn Minuten lange Stück 1972 im Händelhaus Halle. Joachim Raff setzte sich 1872 musikalisch in seiner 5. Sinfonie mit der Geschichte auseinander und Henri Duparc komponierte 1875 die sinfonische Dichtung Lénore. Den italienischen Komponisten Antonio Smareglia inspirierte die Ballade im Jahre 1876 zu dem Opus Leonora, sinfonia descrittiva. Carl Loewe berichtet in seiner autobiographischen Skizze davon, dass die Ballade in seinem Elternhaus in Löbejün geschätzt und regelmäßig laut gelesen wurde. Vertont hat er sie allerdings nicht, was ich als sehr schade empfinde. Gewiss hätte er ein Meisterwerk zustande gebracht. Das für die Beschäftigung mit dem Liedgesang so unerlässliche wie unerschöpfliche The LiederNet Archive im Internet listet noch viel mehr Komponisten auf, darunter Johann André (1741-1799), Friedrich Ludwig Emelius Kunzen (1761-1817), die Österreicherin Maria Theresia von Paradis (1759-1824), die in Wien enge Kontakte zu Joseph Haydn und Mozart unterschielt. Von Kindheit an blind trat sie bei Gastspielreisen vor dem französischen König Ludwig XVI. und seiner Gemahlin Marie Antoinette sowie vor König Georg III. in London auf. Nebenbei widmete sie sich der Komposition von Liedern, Kantaten, Opern und Orchesterstücken. Der aus Böhmen stammende Vaclav Krtitel Tomasek (1774-1850) hörte Beethoven als Pianist in Prag und besuchte ihn später auch in Wien. Auch sein Nachlass umfasst alle Genres, einschließlich einer Lenore. Johann Rudolf Zumsteeg war ein Jugendfreund von Friedrich Schiller, den er auch der Karlsschule kennengelernt hatte. Sein Lebensmittelpunkt war Stuttgart. Außer Opern hinterließ er vor allem Balladen. In der Literatur findet sich Lenore bei Edgar Allen Poe. Ihren Namen gab er der toten Geliebten in seinem Gedicht „Der Rabe“. Auch den bildenden Künstlern hat Bürger mit seiner Lenore ein packendes Thema beschert. Wie bei Wikipedia zu erfahren ist, versuchten sich achtzig 80 Künstler – Maler wie Bildhauer – an dem Stoff. Rüdiger Winter

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Vorausgeschickt wird auf der CD die Leonoren-Ouvertüre Nr. 2, ungestüm wie die Egmont-Musik und das Florestan-Thema fein auskostend gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Gerd AlbrechtDie Egmont-Tragödie aus Hollands finsterster Zeit beginnt zwar wie ein Trauermarsch, endet aber mit einer mitreißenden Steigerung wie der vorweggenommene endgültige Triumph des tapferen Geusenvolks, den sein Anführer nicht mehr erleben durfte. Klärchen ist in der Aufnahme Ruth Ziesak mit zartem Sopran, der voll kindlichen Übermuts das Volksliedhafte von „Die Trommel gerührt“ betont. „Freudvoll und leidvoll“ wird sehr innig, sich in einen Taumel hineinsteigernd gesungen. Noch an der guten alten Sprachkultur orientiert ist Ulrich Tukur, der die Texte spricht. Wundervoll intensiv zeichnen die Zwischenaktmusiken die Stimmung des jeweiligen Abschnitts der Tragödie nach, die 4. mit einer schaudern machenden Ahnung des bevorstehenden Todes. Nicht nur, weil auf dem Markt wenig vertreten, verdienen es die Werke, besonders in dieser Ausführung, wieder dem Publikum vorgestellt zu werden (Orfeo MP 1903). Ingrid Wanja  

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Die Abbildung oben zeigt einen Ausschnitt aus der  Illustration der Historienmalers und Grafikers Franz Kirchbach von 1896 zur Ballade „Lenore“ von August Bürger. Foto: Wikipedia; weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Summer-Sale: Neues & Älteres

 

Das italienische Label Dynamic ist ja operalounge.deLesern kein unbekanntes, und immer wieder berichten wir über die Live-Mitschnitte von Festivals und herausragenden Aufführungen weitgehend in Italien, zuletzt eben der wunderbare Fernand Cortez in Florenz oder Il Schiavo aus Cagliari (aus dieser Quelle, vom phantasiereichen Teatro Lirico, von der auch die Oper Palla de Mozzi des italienischen Dirigenten und Komponisten Marinuzzi herauskommen wird, die fast zeitgleich mit ihrer Uraufführung 1943 an der Berliner Staatsoper  mit Schwarzkopf und Nold Premiere hatte). Nicht immer waren wir über die akustische Seite der Aufnahmen glücklich, das hat sich aber mit verfügbarer Technik drastisch verbessert, und selbst Martina Franca und die RAI haben einen zugelegt, was der Opernfreund angesichts der zum Teil mundwässernden Titel gerne vermerkt.

Nun hat Dynamic (im festen Vertrieb bei Naxos) eine Sommerinitiative gestartet und seine zum Teil etwas älteren Aufnahmen auf den Markt geworfen – zum absoluten Spottpreis und dto. absolut habenswert. Wer also so lange gezögert hat, sollte zugreifen. Von den rund 20 Titeln haben wir einige – für uns – interessante herausgegriffen und  stellen sie noch einmal vor. „Knaller“ aber ist – Trara – die nun erstmalige „offizielle“ Ausgabe der Norma mit zwei Sopranen, lange vor dem Projekt Sutherland-Caballé: 1977 singen unter Michael Halasz Grace Bumbry (jawohl!) und Lella Cuberli und guter Radiotechnik. Das ist ein Bombenauftakt vom Festival della Valle d´Itria. Weiteres berichten Ingrid Wanja und Bernd Hoppe. G. H.

 

Norma mit zwei Sopranen: Wer hat sich bei seiner ersten Begegnung mit Bellinis Norma in einer Aufführung mit herkömmlicher Besetzung nicht darüber gewundert, dass die Partie der keuschen Jungfrau sanften Gemüts Adalgisa einem dramatischen Mezzosopran, die der reifen, durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangenen zweifachen Mutter  Norma einem Sopran mit Koloraturfähigkeit anvertraut wurden?! Es soll unter anderem auf den Einfluss Giuseppe Verdis zurückgehen, zu dessen Zeit man dazu überging, die Rolle des zweiten, ursprünglich eines soprano leggero, auf einen Mezzosopran zu übertragen. Ursprünglich war die Norma für Giuditta Pasta, die zwischen Amina und Tancredi alles singen konnte, bestimmt, die Adalgisa für Giulia Grisi, die Bellini auch für seine Giulietta inspirierte.

Obwohl Rodolfo Celletti 1977, als die Aufnahme in Martina Franca beim Festival della Valle d’Itria entstand, noch nicht wie ab 1980 dessen künstlerischer Leiter war, soll er sich dafür eingesetzt haben, Norma in der von Bellini gewollten Besetzung aufzuführen (und mit Renata Scotto und Margherita Rinaldi/ Myto 1978 folgte das Maggio Musical Florenz unter Muti auf den Fersen, allerdings noch immer nur auf grauen Labels und nicht im hauseigenen Maggio-Katalog). Außergewöhnlich für das ambitionierte Festival in Martina Franca, bei dem man künstlerische Leistungen ersten Ranges erleben durfte, bei dem aber auch regelmäßig die Stromversorgung im Aufführungsort Cortile del Palazzo Ducale wegen Überlastung zusammenbrach, ist die Starbesetzung bei den Solisten, während man bei Orchester und Chor eher Sparsamkeit walten ließ. Hier hakt es denn auch mit unausgewogenen, meistens zu langsamen Tempi des unter Michael Halasz und einem für die gallische Kriegsmacht recht schütterem Chor, den man sich damals noch nicht aus dem Ostblock rekrutierte.

Die Solisten allerdings können sich hören lassen. Aus London kam die Bass-Säule Covent Gardens Robert Lloyd  mit so gewaltiger wie kultiviert eingesetzter Stimme und viel akustischem Charisma für den Oroveso. Einer der zuverlässigsten Tenöre seiner Zeit, eigentlich unterschätzt, war mit Giacomo Giacomini gewonnen worden, später ein echter tenore eroico und ein tadelloser Otello, aber 1977 noch ein Spintotenor dunkler Farben mit sicherer Höhe, auch wenn ein hoher Ton in seiner Auftrittsarie nicht gesungen wird. Insgesamt ist er akustisch mehr Krieger als Liebender, erst im Schlussduett mit Norma lässt er auch weichere Töne hören. Ganz jung war damals noch Lella Cuberli, die so sehr von den Mezzohörgewohnheiten gar nicht abweicht, da die Mittellage dunkel und melancholisch getönt ist, die in der oberen Lage jedoch den Unterschied ausmacht mit einer reinen, leichten, jungen und in der Höhe schwerelos wirkenden Sopranstimme.

Zweifellos hat Grace Bumbry die Stimme d‘una donna vissuta, die Willenskraft und Autorität ausstrahlt, nicht silbrigen Mondesglanz, sondern eher die pralle Sonne im Zenit hören lässt. Die Fiorituren der Partie werden nicht ausgekostet, die Höhen eher angetippt oder wirken scharf, als dass sie als zum Strahlen gebracht werden. Purer Belcanto ist das natürlich nicht. Die gemeinsamen Duette mit Adalgisa aber werden so glaubwürdiger, spiegeln das Verhältnis der beiden zueinander eher wider als mit den gewohnten Stimmfächern.

Von sanfter Entschlossenheit ist die Clotilde von Eugenia Gardato, dunkel wie sein Freund Pollione klingt der Flavio von Paolo Todisco, nur dumpfer. Für die Besetzung der beiden Frauenrollen mit Sopranen spricht viel, Grace Bumbry allerdings plädiert nicht überzeugend dafür. (Dynamic CDS469/1-2). Ingrid Wanja       

 

Eher wohl die Verkleinerungsform Operchen als die Gattungsbezeichnung Operette ist im italienischen Booklet zur „operetta“ La Secchia Rapita (Der gestohlene Eimer) vom Verlagschef mit eigenen künstlerischen Ambitionen,  Giulio Ricordi (19. Dezember 1840 in Mailand; † 6. Juni 1912) alias Jules  Bucket gemeint, denn sie hat viel von einer opera buffa mit den vielen komischen Situationen rund um die Rivalität zwischen den beiden Städten Bologna und Modena, Erzfeinde innerhalb der Emilia-Romagna und schöne Beispiele für den auch heute noch herrschenden Campanilismo. Das Stück spielt zur Zeit Friedrichs II., der Streitgegenstand ist ein Holzeimer, die Secchia des Titels, mit dem man das Wasser aus den Brunnen hievte. Als Beweisstück für die historische Wahrheit der Geschichte wird noch heute zumindest eine Kopie der secchia im Dom von Modena aufbewahrt. Heimlich oder offen verliebte, aber auch zerstrittene Paare bilden das Personal in dem Stück, dessen von Renato Simoni verfasstes Libretto auf dem „poemo eroicomico“ von Alessandro Tessoni aus dem Jahre 1622 beruht. Außer Ricordi im zwanzigsten Jahrhundert hatten sich bereits viel früher Zingarelli, Bianchi und Salieri des Stoffes angenommen.

Die operetta wurde am 1. März 1910 in Turin im Teatro Alfieri uraufgeführt, mit  wenig berauschendem Erfolg beim Publikum, mit Verrissen in der Presse. Besser verlief eine Aufführung ebenfalls im März 1910 in Mailand, der Alfano, Boito, Zandonai, Montemezzi, also die Elite italienischer Opernkomponisten, beiwohnte.  1913 gab es das Werklein in Buenos Aires, von dessen Highlights es auch Aufnahmen gibt.
Neben dem Orchester ist der Coro der Claudio Abbado Civic Music School unter Francesco Girardi für schöne Momente verantwortlich, denn er wirft sich mit Elan in seine vielfältigen Aufgaben als Soldaten, Bauern, Damen und vieles andere.Nach mehr als hundert Jahren hat sich Aldo Salvagno der Secchia angenommen und aus Bruchstücken des Notenmaterials einer Gruppe junger Künstler die Möglichkeit geboten, das Werk dem Vergessen zu entreißen (Aufnahme von 2017 in Mailand).   Er ist auch der dem  Orchestra Sinfonica  di Milano Giuseppe Verdi vorstehende Dirigent, der für flotte Tempi und stimmungsvolle Intermezzi sorgt. Die Genueser Firma Dynamic hat das Verdienst, das Unternehmen auf CD festgehalten zu haben, allerdings nur die Highlights, sodass man im freundlicherweise zweisprachig abgedruckten Libretto oft verzweifelt umherblättert, weil man nicht weiß, wo der eine Track endet und der nächste beginnt.

Aus der Menge der Solisten sticht der Podestà von Elcin Huseynov durch einen farbigen Spielbass hervor. Einen geschmeidigen Mezzo hat  Margherita Sala für den Giglio, die von ihm verehrte Rosa hat einen netten, aber wenig einprägsamen Sopran mit dem von Kaori Yamada. Unsicher und spröde klingt der Bariton, den Giorgio Valerio dem Conte di Culagna zur Verfügung stellt, während seine Gattin von Laure Kieffer ein starkes Vibrato in der Höhe, ansonsten schüchternen Jubelklang verliehen bekommt. Den Titta singt Hyuksoo Kim mit noch technisch unfertigem, aber immer präsentem Tenor. Also liegt das Verdienst der Aufnahme weit mehr in der Entdeckung eines bereits vergessen gewähnten Stücks mit frischen, volkstümlichen Melodien als in der künstlerischen Leistung der Ausführenden (Dynamic CDS 7798). Ingrid Wanja

 

Man könnte sich beim Erleben von Giordanos Fedora in der Aufführung des Teatro Carlo Felice aus Genua (Foto oben/ Still aus dem Video bei Dynamic) mit der Bewunderung der sängerischen  Leistung des Protagonistenpaars Daniela Dessì und Fabio Armiliato begnügen, liefe es einem bei der Schlussszene nicht heiß und kalt den Rücken hinunter. Nur Monate danach musste das auch im Privaten miteinander verbundene Paar eine ähnlich tragische Situation erleben, als der Sopran einem wohl besonders tückischen, schnell zum Tode führenden Krebsleiden erlag und der Tenor in einer besonders durch seinen Anteil daran bewegenden Trauerfeier in Brescia Abschied von seiner Lebensgefährtin nehmen musste. Das kann man natürlich nicht ausblenden, wenn man die Blu-ray von dieser wohl letzten gemeinsamen Arbeit sieht und hört, in der nichts von dem drohenden Verhängnis zu spüren, wohl aber die vollkommene Harmonie des Paares auch im künstlerischen Bereich zu spüren ist.

Valerio Galli, ein noch junger Dirigent, versucht das wie Tosca auf einem Drama von Sardou fußende Stück nicht künstlich zu verfeinern, sondern geht orchestral dankenswerterweise in die Vollen. Um das Protagonistenpaar versammelt sich ein Ensemble von soliden Sängern, so mit dem sonoren Bariton von Alfonso Antoniozzi, der das Chanson „Ecco la Russa“ geschmackvoll vorträgt, der Soubrette Daria Kovalenko, die nicht nur mit dem Couplet von La Vedova Clicquot als Olga alle Klischees ihres Fachs bedient, sogar dem Urgestein Luigi Roni als immer noch basspotentem Cirillo. Etwas mehr Sexappeal hätte man sich von dem umschwärmten Klavierstar Lazinski gewünscht, als ihn Sirio Restani aufbieten kann. Unangenehm dumpf klingt die Stimme von Roberto Maietta als Polizeiagent Cretch.

Nach den vielen schönstimmigen, aber optisch allzu biederen Fedoras von Mirella Freni, die sowohl Domingo als Carreras an ihrer Seite hatte, ist Daniela Dessì optisch eine Traumbesetzung, weiß (wie man der DVD/Blu-ray Dynamic 57772 der Aufnahme entnehmen kann) kostbare Roben in Szene zu setzen und ungezügelte Leidenschaft über die Bühnenrampe zu bringen. Zwar hat die Stimme ein auch für diese Verismopartie sehr ausgeprägtes Vibrato, aber bei den vielen temperamentvollen, dramatischen Ausbrüchen, die dem Sopran abverlangt werden, stört das nicht so sehr, und diese, so wie der Racheschwur, bringen sie nie in Verlegenheit. Fabio Armiliato singt ein dunkel glühendes „Amor ti vieta“, bringt den Hörer zu einem wohligen Erschauern in „la mia viltà“ und ist durchweg akustisch und optisch so präsent, dass man merkt, dass die Partie sich nicht auf den einen Ohrwurm reduzieren lässt. Mit dieser Aufnahme hat  das nun leider getrennte Paar seiner Liebe und seiner künstlerischen Zusammenarbeit ein schönes Denkmal gesetzt (Dynamic ). Ingrid Wanja  

 

Ach ja diese Zauber-Gärten: Wir befinden uns in einem fantastischen Garten. Drei Damen treten auf und umschmeicheln einen hübschen Burschen, der im Schatten eines Baumes eingeschlafen ist. Nein, es handelt sich nicht um den Beginn von Mozarts Zauberflöte, die Damen sind Nymphen im Gefolge der Göttin Diana, der Mann ein Hirte namens Doristo. Die Oper heißt L’arbore di Diana, wurde 1787 in Wien uraufgeführt, der Text stammt von keinem Geringeren als Lorenzo da Ponte, die Musik von Vicent Martin i Soler, einem äußerst populären Zeitgenossen Mozarts. Der so beliebt war, dass der Salzburger Komponist eine Melodie aus dessen „Una cosa rara“ in seinem Don Giovanni zitierte. L’arbore di Diana ist nicht nur ein hübsches, ironisch verpacktes Hohelied auf sinnliche Freuden, sondern auch ein musikalisches Vergnügen, reizvoll instrumentiert, mit ausgedehnten Arien für das hohe Paar Diana/ Endimione, quicklebendigen Buffoszenen  und vielen munteren Ensembles, die sich fast immer aus Solonummern entwickeln. Sie besonders machen Spaß in dieser von Harry Bicket mit mitreißendem Schwung und bisweilen aberwitzigem Tempo geleiteten Aufnahme. Da sind die drei Nymphen Ainhoa Garmendia, Marisa Martins und Jossie Perez, die mit wunderbarer Homogenität ihre Terzette vortragen. Oder sich mit dem trefflichen Herrentrio Steve Davislim, Charles Workman und Marco Vinco zu entzückenden Sextetten zusammenfinden, in denen man seine Freude hat am flinken, rhythmisch prononcierten Plappern, Wispern und Gurren. Beherrscht werden sie von der Diana Laura Aikins, die sich am Anfang mit feurigen Koloraturen, höchsten, mühelos abgeschossenen Spitzennoten und einem expressiven Furor als dominante Männer Verachtende effektvoll in Szene setzt, im zweiten Teil dann aber auch zu weicheren Tönen findet. Dass sie ihr Herz für den seine Soli kultiviert und geschliffen singenden Endimione von Steve Davislim entdeckt, ist vokal nur zu verständlich, zumal der zweite Tenor Charles Workman sängerisch weniger umfangreich bedacht ist und Marco Vinco, der als Doristo alle Bufforegister zieht, als Partner nicht in Frage kommt. Über allen wacht der Amor, dem Michael Maniaci nicht nur Keckheit und einen süßen männlichen Sopran leiht, sondern der auch zuständig ist für manch Zaubereien. Das ist ein weiteres Plus der Aufnahme: die lebendige Atmosphäre, die mit Theaterdonner und auch beim Hören anschaulichen Bühnengeräuschen einhergeht (Dynamic, CDS 651/1-2). K. C.

 

Italienische Festspieldokumente: Auf einige Veröffentlichungen von DYNAMIC, welche Festspielaufführungen in Martina Franca und Pesaro zwischen 2001 und 2012 dokumentiert haben, soll hier noch einmal hingewiesen werden.

Vom Rossini Festival 2007 stammt der Live-Mitschnitt des Melodramma La gazza ladra auf drei CDs (CDS 567/1-3). Für die Geschichte um eine diebische Elster, die für allerlei Verwirrungen sorgt und das vermeintlich schuldige Dienstmädchen Ninetta ins Gefängnis bringt, hat Rossini eine spritzige Musik erdacht, die Lü Jia mit dem Orchestra Haydn di Bolzano e Trento sprühen und funkeln lässt. Die Sinfonia mit ihrem einleitenden Trommelwirbel zählt bis heute zu den beliebtesten Wunschkonzertnummern. Hier hört man sie in wirkungsvoller accelerando-Steigerung. Der Prague Chamber Choir (Lubomír Mátl) absolviert seine Auftritte engagiert und munter.

Die Besetzung vereint mehrere Rossini-Koryphäen, so Paolo Bordogna als reicher Pächter Fabrizio – ein beim ROF vielfach erprobter Buffo-Haudegen, der viel aus den Rezitativen herauszuholen weiß. Im Duett mit Ninetta, „Per questo amplesso“, kann er in den plappernden Passagen seine Trümpfe effektvoll ausspielen. Regelmäßig sind die beiden Bässe Alex Esposito und Michele Pertusi auf den Besetzungslisten des ROF zu finden. Ersterer gibt Ninettas Vater Fernando mit virilem Timbre und stupender Geläufigkeit, zweiter den Podestà Gottardo mit autoritärem Duktus, aber aufgerautem Ton. Auch Dmitry Korchak ist ein gern gesehener Gast an der Adria. Als Fabrizios Sohn Gianetto führt sich der Tenor mit dem schwärmerischen „Vieni fra queste braccia“ ein, das ihm sogleich Noten in der Extremhöhe abverlangt. Bei seiner Szene im 2. Akt, „Aspettate“, hat die Stimme mehr Glanz.

Die spanische Sopranistin Mariola Cantarero kennt man eher von Aufführungen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona und am Teatro Real von Madrid. Hier ist sie als Ninetta zu hören. Ihr Sopran hat oft  einen säuerlichen Beiklang, besitzt aber die nötige Flexibilität für das Zierwerk der Partie. Die Besetzung komplettieren Kleopatra Papatheologou als Fabrizios Frau Lucia mit angenehmem, eloquentem Mezzo, Cosimo Panozzo als Kerkermeister Antonio mit charaktervollem Tenor sowie Manuela Custer in der Hosenrolle von Fabrizios Diener Pippo mit getrübtem Mezzo.

 

Beim Festival della Valle d’Itria gab es 2001 ein selten anzutreffendes  Werk mit Musik Rossinis in der Bearbeitung/Edition von Antonio Pacini, einem Accolat des in Paris im Alterssitz residierenden Meisters, zu hören – das Pastiche Ivanhoé auf ein neues französisches Libretto nach Scott von Emile Deschamps und Gabriel-Gustave de Wailly –, welches auf zwei CDs herausgebracht wurde (CDS 397/1-2/ wenig später gab die Oper von Montpellier das Ganze noch einmal konzertant – seitdem ist es wieder verschwunden). Mit Billigung des Komponisten hatte Pacini (nicht zu verwechseln mit dem Komponisten Giovanni Pacini) für diese Kreation Motive aus Rossinis Opern La Cenerentola, Bianca e Faliero, Aureliano in Palmira, La gazza ladra, Tancredi, Semiramide u. a. zusammengestellt, um mit der „Neuschöpfung“ noch einmal die riesige Nachfrage nach einer neuen Oper Rossinis zu befriedigen. Paolo Arrivabeni am Pult des Orchestra Internazionale d’Italia bietet schon in der Overture (der Semiramide entnommen) stimmungsvolle und spannende Momente, die sich auch später immer wieder einstellen. Der Coro da Camera di Bratislava (Pavol Procházka) beweist in den temporeichen Chören (u. a. aus der Cenerentola und La gazza ladra) Eloquenz und Musikalität.

Die Besetzung vereint hierzulande weniger prominente Namen. In der Titelpartie ist der Tenor Simon Edwards zu hören. Sein träumerischer Auftritt („Blessé sur la terre étrangère“) ist Bianca e Faliero entnommen. Die Stimme von weicher Textur und zärtlichem Ausdruck ist für das französische Idiom durchaus passend. Nur die exponierten Töne fallen aus der Linie heraus. Ivanhoés Herz gehört Leila, die ihn einst als verwundeten Ritter gepflegt hat. Sie ist die Tochter Ismaels (Filippo Morace mit resonantem Bariton) und wird von Inga Balabanova mit apartem Sopran von dunkler Tönung gesungen. Zu Beginn des 2. Aktes lässt sie bei ihrem Liebesbekenntnis für Ivanhoé melancholisch umflorten Gesang hören. Leila wird auch von dem Normannen Boisguilbert begehrt, den Soon-Won Kang mit profunden und auftrumpfenden Basstönen ausstattet.

Ivanhoés Vater Cedric ist der Bariton Massimiliano Chiarolla, der im Finale (aus Torvaldo e Dorliska) die Verbindung seines Sohnes mit Leila segnet.

 

2007 stand der Palazzo Ducale in Martina Franca ganz im Zeichen des italienischen Barock, als Domenico Sarros Dramma per musica Achille in Sciro gezeigt wurde. 1737 hatte es Premiere zur Eröffnung des berühmten Teatro San Carlo in Neapel unter Mitwirkung gefeierter Primadonnen und Soprankastraten. Der Mitschnitt vom Festival della Valle d’Itria auf drei CDs (CDS 571/1-3) weist natürlich solche Legenden nicht auf, auch das Orchestra Internazionale d’Italia ist kein spezialisierter Klangkörper auf historischen Instrumenten. Mit Federico Maria Sardelli steht jedoch ein ausgewiesener Kenner der Barockmusik an dessen Pult. Er sorgt schon in der festlichen Sinfonia für Aufmerksamkeit und weiß vor allem die Sänger aufmerksam zu stützen. Ein Glanzlicht setzt er mit der pompösen Bläserbegleitung des Chores „Lungi, lungi“ im 2. Akt, in welchem der Bratislava Chamber Choir (Pavol Procházka) brilliert.

In der Titelrolle ist Gabriella Martellacci mit resolut-strengem Mezzo zu hören. In „Risponderti vorrei“ oder der von der obligaten Mandoline begleiteten Arie „Se un core“ im 2. Akt bietet sie auch anmutige Klänge. Als Frau verkleidet, weilt Achille am Hof von Licomede, König von Skyros (Marcello Nardis mit zu buffonesk klingender Stimme und technischen Problemen). Dessen Tochter Deidamia ist in ihn verliebt. Maria Laura Martorana überzeugt schon in der mit Koloraturen und Extremtönen gespickten Auftrittsarie „No, ingrato“. Mit den vehementen Gefühlsausbrüchen  in „Del sen gli ardor“ und „Non vedi“ erringt sie die Palme der Besetzung. Auf Befehl ihres Vaters soll sie Teagene (der Sopranist Massimiliano Arizzi mit substanzreicher Stimme und technischer Virtuosität) heiraten, wogegen sie sich weigert. Ulisse (der Tenor Francisco Ruben Brito mit bemühten Koloraturen und limitierter Höhe) erscheint und fordert Achille, den er erkannt hat, auf, ihm in den Trojanischen Krieg zu folgen. Der Höfling Nearco (Eufemia Tufano mit androgynem Stimmklang) versucht ihn zurückzuhalten. Deidamia ist verzweifelt über die Abreise ihres Geliebten („Ah perfido!“). Doch im 3. Akt kommt das klassische lieto fine, denn der König gibt Deidamia Achille zur Frau, was der Chor mit „Ecco, felici amanti“ preist. Aufhorchen lässt die Sopranistin Dolores Carlucci in der Nebenrolle des Arcade durch ihre brillanten Verzierungen und glitzernden staccati in der Arie „Si varia in ciel talora“.

 

Als jüngstes Dokument unserer Auswahl wurde im Juli 2012 Johann Adolf Hasses Dramma per musica Artaserse aufgezeichnet und auf drei CDs veröffentlicht (CDS 7715/1-3). Das Libretto stammt von Metastasio und wurde mehrfach vertont, u. a. von Gluck, Jommelli, Vinci und Galuppi. Die Version von Hasse zeichnet sich durch besonders hohe und anspruchsvolle Virtuosität aus. Die Besetzung der Uraufführung in Venedig 1730 zierten illustre Namen: Farinelli und Francesca Cuzzoni als die Liebenden Arbace und Mandane. Das Geschehen kreist um den persischen General Artabano, der König Serse erschlagen hat und seinen Sohn Arbace der Tat bezichtigt. Der persische Prinz Artaserse vermag seinen Jugendfreund jedoch nicht zu verurteilen und lässt ihn frei. Am Ende nimmt er Artabanos Tochter Semira zur Gemahlin und verbindet Arbace mit Artaserses Schwester Mandane.

Die Aufführung der Erstfassung von 1730 in Martina Franca hält einen frühen Auftritt von Franco Fagioli fest, der damals noch nicht jenen Ausnahmestatus unter den Countertenören besaß, wie er ihm heute zusteht. Mit dem Arsace hat er die Farinelli-Partie mit nicht weniger als fünf Auftritten zu bewältigen. Der erste, „Fra cento affanni“, umspannt einen weiten Radius, auffällig ist die effektvolle Tiefe,  während die Spitzentöne noch nicht den späteren Aplomb aufweisen. Das zweite Solo, „Se al labbro“ am Ende des 1. Aktes, ist von schöner Kantabilität und tiefer Erfindung. Der sinnliche Reiz der Stimme kommt hier zu starker Wirkung. Auch „Lascia cadermi in volto“ zu Beginn des 2. Aktes ist ein getragenes, eher introvertiertes  Stück, in welchem Fagioli zärtlich-weiche Töne hören lässt.  Das sanft wiegende „Per questo dolce amplesso“ zählt zu jenen Arien, welche Farinelli dem depressiven spanischen König Filipe V. in Madrid vortrug und lässt Fagiolis Stimme in ihrem schmeichelnden Duktus wunderbar aufleuchten. Im 3. Akt gibt es mit „Parto qual pastorello“ eine jener stürmischen Bravourarien, welche Höhe und Tiefe effektvoll ausreizt und mit heftigen Koloraturläufen dem Interpreten alles abverlangt – ein cavallo di battaglia für den Argentinier, das verdienten Beifallssturm auslöst. Und im letzten Akt hat er noch das Duett mit Mandane, „Tu vuoi ch’io viva “, in welchem sich beider Stimmen mit raffinierten abbellimenti kunstvoll verschlingen.

Die Sopranistin Maria Grazia Schiavo – keine Unbekannte im Barock-Repertoire – nimmt die lyrische Cuzzoni-Partie der Mandane wahr. Das Timbre der Italienerin ist recht allgemein, ihre Technik solide, die Interpretation insgesamt wenig memorabel. Nur am Ende des 2. Aktes lässt beim furiosen „Va’ tra le selve ircane“ mit dem rasenden Ausdruck aufhorchen.

Auch Sonia Prina ist eine feste Größe im internationalen Barock-Geschehen. Ihr robust-erdiger Alt und die eigenwillige Koloraturtechnik, wie schon bei Artabanos resolutem Auftritt mit „S’impugni la spada“ zu vernehmen, sind allerdings gewöhnungsbedürftig. Aber ihre Soli finden beim Publikum großen Anklang, so am Ende des  2. Aktes das kosende„Pallido sole“, welches ebenfalls zu Farinellis Auswahl für Filipe V. gehörte.

Die weniger fordernde Titelpartie ist mit dem Tenor Anicio Zorzi Giustiniani solide besetzt, die Nebenrolle des Generals Megabise mit dem Counter Antonio Giovannini. Rosa Bove komplettiert den Cast als Semira mit beherztem Alt. Am Ende vereinen sich alle Sänger zum jubelnden  Schlusschor „Giusto Re la Persia adora“.

Das regelmäßig in Martina Franca eingesetzte Orchestra Internazionale d’Italia wird geleitet von Corrado Rovaris, der schon in der Sinfonia für Drive sorgt und auch danach Affekt betonte Akzente setzt. Bernd Hoppe

 

Stünde über der Partitur von Saverio Mercadantes Oper Pelagio der Name Giuseppe Verdis, dann würde das Werk sicherlich wesentlich öfter aufgeführt worden sein, hätte nicht auf die Fleißarbeit von Dirigent Mariano Rivas und das experimentierfreudige Festival della Valle d’Itria in Martina Franca warten müssen, das sich schon des Komponisten Oper IL Bravo angenommen hatte. In vielem an die Opern der Galeerenjahre des Komponisten aus Busseto erinnert das effektvolle Musikstück mit Rollen, die einen Verdibariton und einen Sopran ähnlich wie den für die Elvira aus Ernani erfordern. Die Handlung führt in das  Spanien der ersten Versuche einer Reconquista, die ihren Höhe- und Endpunkt mit dem Erscheinen des Cid finden wird. Der Komponist lebte selbst jahrelang in Spanien und war mit dessen Geschichte vertraut. Die Uraufführung dieses seines letzten Werks in Neapel war ein Riesenerfolg. Die Partitur ging bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg verloren, aus einer kaum lesbaren Abschrift in Neapel und einer solchen aus Spanien entwickelte Mariano Rivas die Fassung für Martina Franca.

Bianca, Tochter des spanischen Adligen Pelagio, glaubt ihren Vater tot, will mit der Heirat des maurischen Prinzen Abdel-Aor die beiden Religionen miteinander versöhnen. Als ihr Vater, der sie ihrerseits verstorben glaubte, davon hört, will er die Hochzeit verhindern. Als Bianca ihm nicht folgt, verflucht er sie, auch Abdel-Aor wendet sich von ihr ab, weil er glaubt, sie stehe auf der Seite ihres Vaters. Pelagio wird beim Sturm auf die Burg des Mauren gefangen genommen, dieser will ihn töten, was Bianca verhindert. Nun ist sein Misstrauen erwacht, er sieht in ihr eine Verräterin und ersticht sie, als er davon hört, dass sein Widersacher aus der Burg entfliehen konnte. Pelagio erobert mit den Seinen die Burg, Bianca stirbt in seinen Armen und der Vater schwört den Mauren ewige Rache. Die Geschichte spielte vor einigen hundert Jahren, doch das Problem ist ein durchaus heutiges, Ehrenmorde sind nicht nur von gestern.

Die Oper hat drei so dankbare wie anspruchsvolle Partien. Costantino Finucci verfügt über eine ausgesprochen gute Diktion, was für den Hörer, der das Libretto aus dem Internet herunterladen müsste, sehr nützlich ist. Die Stimme ist wie aus einem Guss, die Höhe gut, etwas holprig bewegt der Sänger sich in den Verzierungen, recht zittrig beginnt „Io non aveva più lacrime“, was vielleicht durch den Gemütszustand, in dem sich der Vater befindet, mitbedingt ist. Eine Aufsehen erregende Fermate versöhnt, allerdings nicht die folgende , gaumig klingende Cabaletta, in der die einheitliche Linie fehlt. Man kann sich den Sänger auch als soliden Verdi-Bariton vorstellen.

Mit ihrem umfangreichen Tonumfang ist die Bianca ebenfalls eine anspruchsvolle Rolle, der die dunkle Mittellage von Clara Polito gut ansteht. Die Intonation ist nicht immer eine sichere, aber die Sängerin erfreut durch raffinierte Sfumaturen, kann schillernd und ausgesprochen apart klingen und meistert die Intervallsprünge sicher. Sehr schön singt sie ihr Gebet im letzten Akt, „D’un infelice oh ciel“, erfreut mit innigem canto elegiaco.

Der Tenor Danilo Formaggia kämpft mit der hohen Tessitura des Abdel-Aor., sein Gesang klingt  streckenweise unstet, in der Höhe oft eng, gut gelingt ihm der Schluss des zweiten Akts, ein erregtes Rezitativ gelingt ihm gut mit „Ch’ella non osi offrirsi“, aber insgesamt erscheint der Tenor einfach zu flach, zu eindimensional für die Partie zu sein.

Weder vom Chor aus der Slowakei noch vom Orchestra Internazionale d’Italia hört man Sensationelles, noch von einer Aufnahme aus dem akustisch schwierigen  Innenhof des Palazzo Ducale, aber was Mariano Rivas trotz widriger Umstände auf die Beine gestellt hat, ist aller Ehren wert und das Werk auf jeden Fall einer größeren Beachtung, als sie ihm bisher, es gab noch eine Aufführung am Ort des Geschehens in jüngerer Zeit, zuteil wurde (Dynamic CDS 636/1-2). Ingrid Wanja

 

Der Tod ist weiblich: Jeder für sich war ein begabter Komponist, aber zu Höchstleistungen waren sie wohl nur in gemeinsamer Anstrengung fähig die Brüder Luigi und Federico Ricci, deren letzte von vier Opern, Crispino e la Comare, ein Riesenerfolg war, der bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts andauerte, und auch in jüngster Vergangenheit gab es hin und wieder Aufführungen, so in Bad Aibling, beim Festival in Wexford, in einem kleinen Theater in New York, in Venedig, Neapel (woher die CD bei Bongiovanni von 1989 stammt) und 2013 beim Festival della Valle d’Itria in Martina Franca, wovon es eine DVD und eine CD gibt. Stoff für eine Oper, wenngleich nicht für eine opera buffa oder vielmehr ein Melodramma fantastico-giocoso hätte auch das Leben zumindest eines der Brüder hergegeben, das Luigis, der eine von zwei Zwillingsschwestern heiratete und sich die andere als Geliebte hielt, die ihn beide zum Vater machten. Das wäre aber wohl selbst einem so phantasiereichen Librettisten wie Francesco Maria Piave, vielfacher Textschreiber auch für Giuseppe Verdi, zu viel an Verwicklungen gewesen. Dafür wartet das Werk der Gebrüder Ricci mit einer Besonderheit für die italienische Oper auf, ohne die kaum eine deutsche Oper des 19.Jahrhunderts auskam: das Wirken überirdischer Kräfte auf das Schicksal der Menschen. La Comare nämlich ist der Tod persönlich, la Morte, wie er im Unterschied zu unseren Breiten in romanischen Ländern mit weiblichem Artikel bedacht wird. Eine weitere Besonderheit von Crispino ist, dass, obwohl letztendlich eine opera buffa, tatsächlich ein Mensch im Verlauf der Handlung stirbt, allerdings geschieht das, damit ein Liebespaar endlich zueinander finden kann.

Die Musik ist höchst eingängig und erfindungsreich, man meint von einer neapolitanischen Canzone zur nächsten geführt zu werden, vermerkt Einflüsse Rossinis, und die Musik scheint unaufhörlich zum Tanzen aufzufordern. Obwohl die männlichen Partien weit überwiegen, der Herrenchor stets präsent ist, ist die anspruchsvollste und dankbarste Rolle einem Sopran vorbehalten, Annetta, der Gattin des Titelhelden, die von Sängerinnen wie Adelina Patti, Luisa Tetrazzini oder Amelita Galli Curzi gesungen wurde. In Martina Franca verkörpert sie Stefania Bonfadelli, ein aufstrebender Stern am Opernhimmel, besonders als Traviata und Lucia, von vielen Gesangskrisen verfolgt und inzwischen als Regisseurin, so auch in Martina Franca, tätig.

Dem nichtitalienischen Opernfreund sei dringend die DVD anstelle der CD empfohlen, denn wenn der Sprachkundige durchaus auch ohne Libretto viel vom Text dank der gut artikulierenden Sänger versteht, ist jeder andere Hörer hilf- und ratlos, da das Booklet zwar einen guten einführenden Artikel, aber zur Trackliste keine Namen, zum Personenverzeichnis nur Vornamen der Rollen, nicht ihre Funktion in der Oper liefert oder das Stimmfach angibt und die Inhaltsangabe nicht trennt zwischen dem, was wirklich auf der Bühne geschieht, und dem, was vorausgegangen ist.    

Crispino ist ein armer Schuster, seine Frau verkauft Geschichten und Lieder. Als die Schulden übermächtig werden, will sich Crispino ertränken, La Comare, der Tod, erscheint und verleiht ihm die Fähigkeit, vorauszusagen, welcher Kranke sterben, welcher geheilt werden wird. So kann der Schuster den allwissenden Arzt spielen, verhilft dadurch einem Liebespaar zu seinem Glück, verändert aber seinen Charakter zum Schlechten. Als der Tod ihm sein erlöschendes Lebenslicht zeigt, bittet er um Aufschub, erhält ihn und wird wohl nun ein vorbildliches Leben führen.

Wie bereits gesagt, ist die der Annetta die herausragende Gesangspartie. Stefania Bonfadelli meistert die schwierigen Koloraturen mit duftig und kapriziös klingendem Sopran,  manchmal etwas gläsern oder scharf klingend, niedliche Koketterie vermittelnd, mit einem innigen Gebet “Nume benefico salva Crispino“ erfreuend und sehr virtuos in „Io non sono più Annetta“ auftrumpfend. Anspruchsvoll ist auch die Tenorpartie des Contino del Fiore, den Fabrizio Paesano mit klarem tenore di grazia, der auch mal zum Charaktertenor mutieren kann, singt. Sein „Bella come un angelo“ ist nicht zu verwechseln mit Don Pasquale, aber ähnlich gefühlvoll. Ein munteres Krähen ist sein Kennzeichen bei guter Laune. Romina Boscolo gibt mit so verführerischem wie bedrohlich klingendem Mezzosopran-Sirenenklang die Tödin. Den Schalk in der Stimme hat Domenico Colaianni für die Titelpartie, sein Bariton besticht eher durch Flexibilität und eine vorbildliche Diktion als durch Schönheit, italienische Buffotradition wird mit ihm eindrucksvoll fortgeführt. Auch alle anderen Partien sind rollengerecht besetzt. Der Chor des Opernhauses Bari weiß hörbar, was er singt, das Orchestra Internazionale d’Italia unter Jader Bignamini hat mit dieser Aufnahme einen seiner besten Auftritte in seiner inzwischen auch schon langen Geschichte (CDS 7675/1-2). Ingrid Wanja

 

Kein Meisterwerk: Es kommt nicht oft vor, dass im Booklet zu einer Opern-CD ein anderes Werk, das denselben Stoff als Grundlage hat, gelobt und zur Aufführung empfohlen wird. So geschehen aber mit Albert Lortzings Zar und Zimmermann, die Donizettis l Borgomastro di Saardam gegenübergestellt werden. Tatsächlich war der deutsche Komponist gut beraten, sein eigener Textdichter zu sein, denn gerade die populärsten Nummern und Handlungsstränge in seiner Oper, die Einstudierung der Kantate zum Ruhme des Zaren, der Wettstreit der beiden Gesandten um die Gunst des Zaren, der Holzschuhtanz, die Reflexion des Zaren über sein Leben als Herrscher oder das charmante „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“ haben keine Entsprechung bei Donizetti, der sich sein Libretto von Domenico Gilardoni zurechtschustern ließ und eine Nullachtfünfzehn-Buffa-Handlung erhielt mit einer abschließenden Bravourarie für den Sopran und einer seconda donna ohne dramaturgischen Sinn. Das mag damit zu tun haben, dass der einzige Star bei der Mailänder Premiere, die auf die in Neapel folgte und ein Riesenreinfall war, die Sängerin Carolina Ungher war. Das erste Finale hingegen bietet dem Hörer den üblichen Plapperunsinn, von russischem oder holländischem Kolorit keine Spur.

Immerhin gab es 1973 im Handlungsort Zaadam eine Aufführung mit Renato Capecchi in der Titelpartie, und das Donizetti-Festival in Bergamo, woher die hier besprochene Aufnahme stammt, lässt es sich natürlich  nicht nehmen, alles, was der Sohn der Stadt komponiert hat, auch aufzuführen. Selbstverständlich übernahm man hier nicht die im neapolitanischen Dialekt geschriebene Fassung, sondern die aus Mailand von 1828, revidiert von Alberto Sonzogni.

Die Besetzung aus Bergamo ist durchwachsen. Giorgio Caoduro hat für den Zaren immerhin einen markanten Bariton, mit herrscherlicher Attitüde erfolgreich eingesetzt, in den Koloraturen etwas meckernd, eindrucksvoll wird „Vili! Qual folle ardite“, durch die Cabaletta stolpert der Sänger eher, als dass er lustvoll gestaltet. Ein typischer Donizetti-Tenor ist Juan Francisco Gateli, in der Mittellage recht flach klingend, sehr hübsch hingegen im Duett über die Liebe mit dem Zaren , und mit „Allor che tutto tace“ gewinnt er hörbar an corpo und damit vokaler Präsenz. Einen satten Bass setzt Andrea Concetti für den Bürgermeister, der hier Wambett heißt und sein Mündel heiraten will, ein, die Prestissimo-Passagen beherrscht er und in „Ma se son proprio un asino“ kann er sogar etwas an „Ja, ich bin klug und weise“ erinnern. Der Vertraute des Zaren namens Leforte ist Pietro Di Bianco mit sonorer Stimme, einen Intrigentenor hat Pasquale Scircoli für die Partie des Ali Mahmed.

Einen recht ältlich klingenden Mezzo setzt Aya Wakizono für die Carlotta ein, die weibliche Hauptrolle ist die der Marietta, für die Irina Dubrovskaja eine frische Soubrettenstimme hat, eine kristallklare Höhe und die notwendige Virtuosität für den Schluss.

Zum Glück war mit Roberto Rizzi Brignoli ein erfahrener Dirigent gewonnen worden, der das muntere, aber unspezifische Werk sicher durch die Vorstellung führt, der Chor, ob nur Herren- oder Gesamtchor, schlägt sich ebenfalls wacker, aber auch sie können dem Hörer nicht weismachen, dass es sich mit diesem um eines der bedeutenden Werke Donizettis handelt (Dynamic CDS 7812.02). Ingrid Wanja

 

 

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Von Sirenen und Verwirrten

 

Gleich zwei Neuerscheinungen mit der französischen Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac legt das Label harmonia mundi france vor. Erstere entstand bereits im September 2018 in Berlin und markiert das Debüt der Sängerin bei der Plattenfirma (HMM 902621). Unter dem Titel „Sirènes“ haben Stéphanie d’Oustrac und ihr Pianist Pascal Jourdan Lieder von drei berühmten Komponisten der Romantik zusammengestellt. Sechs von Franz Liszt stehen am Beginn, sie alle sind Vertonungen bekannter Textvorlagen von Heine und Goethe. Für die mit „Sirènes“ betitelte Sammlung könnte es keinen passenderen Einstieg geben als Liszts „Loreley“. Nicht optimal ist die Textverständlichkeit der Solistin, auch ihr zuweilen säuerlicher und in der Höhe schriller Ton ist gewöhnungsbedürftig. Der Vortrag allerdings ist spannungsvoll, gelegentlich wird die Dramatik allerdings  von barschem Sprechgesang bestimmt. Das nächste Lied, „Freudvoll und leidvoll“ aus Goethes Egmont, vertonte der Komponist sogar zweimal und beide Fassungen (1844 und 1861) finden sich hier. In der ersten hat der Pianist Gelegenheit, zwischen energischen und lyrischen Begleitfiguren zu wechseln, in der zweiten mit noch subtileren, träumerischen Klängen aufzuwarten. Auch die Sängerin verwirklicht dies in ihrer Gestaltung. Dass Liszt auch für Goethes Faust große Affinität hatte, beweist seine Vertonung von Gretchens „Es war ein König in Thule“.  Hier klingt der Mezzo wieder sehr herb, setzt sogar hässliche Töne ein, um Gretchens gespaltene Situation zu schildern. Bei Heines „Im Rhein, im schönen Strome“ hört man fein gesponnene Linien hinauf bis in die exponierte Lage. Die Liszt-Gruppe beendet Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“.

Auf Liszt folgt Hector Berlioz mit seinem bekannten Zyklus Les Nuits d’été, der erstmals 1841 erschien – in der originalen Fassung für Stimme und Klavier, die auf der CD zu hören ist. Hier ist die Sängerin sprachlich in ihrem Idiom und wirkt auch stimmlich ausgeglichener. Der Einstieg mit dem bewegten „Villanelle“ gelingt ihr ohne Verspannung, das folgende „Le Spectre de la rose“ duftig und mit intensiver Steigerung. Für „Sur les lagunes“ findet sie den gebührenden Schmerzenston, für „Absence“ bittere Klage. „Au Cimetìere“ ist in der nächtlichen Stimmung und den langen, schwebenden Bögen besonders gelungen, weniger „L’Île inconnue“ , das den Zyklus beendet.

Ein Jahr danach komponierte Berlioz die von Shakespeares Hamlet inspirierte Ballade „La Mort d’Ophélie“, welche in ihrem Fließen an Schuberts Wasser-Gesänge erinnert. Die Stimme ertönt träumerisch-entrückt, das Klavier steuert poetische Passagen bei.

Richard Wagners Wesendonck-Lieder von 1862 beschließen das Programm der CD – sie wurden (wie der Zyklus von Berlioz) erst später instrumentiert und erklingen hier im originalen Gewand für Frauenstimme und Klavier. Auch wenn in den meisten der existierenden Einspielungen die Orchesterfassung zu hören ist, hat sich D’Oustrac doch gegen eine Vielzahl von Referenzaufnahmen durchzusetzen. Das dürfte schwer sein angesichts der wieder oft heulend klingenden Stimme und der forcierten oberen Lage. Überzeugen können nur „Im Treibhaus“ in seiner schwermütigen Stimmung und das sanft fließende „Träume“.

 

Die zweite CD mit Stéphanie d’Oustrac ist besonders originell konzipiert, denn unter dem Motto „Portraits de la Folie“ hat die Mezzosopranistin Facetten des Wahnsinns aus dem musikalischen Kosmos des Barock zusammengestellt. Die Aufnahme entstand im September 2019 in Frankreich unter Mitwirkung des Ensemble Amarillis unter Leitung von Héloïse Gaillard (HMM 902646). Dieses hat in vier Instrumentaltiteln Gelegenheit, sich je nach Vorlage mit straffem oder delikatem Spiel zu profilieren. Als furioser Auftakt erklingt die Sinfonia aus Reinhard Keisers Jodelet, welche im Mittelteil bereits das berühmte follia-Thema anklingen lässt. Später ertönt das dreisätzige Concerto a 7 von Johann David Heinichen, das mit seinem lebhaften Vivace, dem kantablen Largo und dem munteren Allegro großes Hörvergnügen bereitet.

Erster Vokalbeitrag ist das kurze Air de la Folie „Accourez hâtez-vous“ aus André Campras opéra-ballet Les Fêtes vénitiennes von 1710, in dem die Sängerin einen ausgelassenen Ton anschlägt. Werke französischer Komponisten nehmen den größten Teil des Programms ein. Von André Cardinal Destouches finden sich nicht weniger als vier Titel. Zwei davon stammen aus der Cantate „Sémélé“. „Ne cesse point de m’enflammer“ ist geprägt von exaltiertem Impetus, „Aussitôt le bruit de tonnerre“ von dramatischem Furor. Die beiden anderen sind Airs de la Folie und der comédie lyrique von 1703 Le Carnaval et la Folie entnommen. Vor allem das zweite, „Souffrez que l’Amour vous lie“, bietet am Ende einen heiteren Ausklang und entschädigt für manch enervierenden Ton.

Marin Marais ist ein bekannter Name in der französischen Barockmusik. Aus seiner Tragédie Sémélé von 1709 ist das Air „Descendez cher amant“ zu hören, in dem die Solistin wieder einen jammernden Ton hören lässt. Das Ensemble Amarillis steuert mit der Caprice aus der Suite No 5 noch einen delikaten  Instrumentalbeitrag bei.

Das Programm wird ergänzt von zwei Titeln des britischen Barockmeisters Henry Purcell. Ersterer, „From silent shades“, ist der Sammlung Choice Ayres and Songs von 1883 entnommen und breitet eine Sommernachtstraum-nahe Stimmung aus. D’Oustrac setzt hier eine Vielzahl von Farben und Ausdrucksfacetten ein – flüstert, seufzt, haucht und schimpft. Bemerkenswert ist die resolute tiefe Lage, die auch einer Sorceress oder Witch in Purcells Dido gut anstehen würde. Das zweite Stück betrifft die Arie „From Rosy bow’rs“ aus Don Quixote, in welcher irrlichternde Melismen ertönen.

Auch George Frideric Handel ist vertreten. In seiner italienischen Kantate „Ah! crudel nel pianto mio“ hat die Solistin in drei Arien Gelegenheit, wechselnde Gemütszustände zu reflektieren – Schmerz, Hoffnung und Zorn in larmoyanter oder verwirrter Gebärde. Bernd Hoppe

Starkes aus dem Bolshoi-Archiv

 

Denkt man an Pjotr Iljitsch Tschaikowski und seine Opern, so sind es ganz ohne Frage Eugen Onegin und Pique Dame, die auch nicht nicht nur primär an der russischen Oper interessierten Klassikfreunden etwas sagen und die sich auch im Standardrepertoire der Opernhäuser etablieren konnten. Bereits bei Iolanta, die zumindest ab und an aufgeführt wird, besteht ein gewaltiger Abstand in Sachen Popularität. Die restlichen Tschaikowski-Opern sind vornehmlich Kennern geläufig, auch wenn einige Produktionen der Jungfrau von Orléans (wohl nicht zuletzt auch aufgrund des spannenden Sujets) durchaus zu einer gewissen Berühmtheit gelangt sind. Mazeppa, 1884 im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt, indes ist ein wirklicher Exot, auch wenn die Thematik hierzulande nicht völlig unbekannt ist, was auch der gleichnamigen, 30 Jahre zuvor komponierten Tondichtung von Franz Liszt zu verdanken ist.

Im Mittelpunkt dieser dreiaktigen Oper steht Iwan Masepa (so die korrektere Translation), zwischen 1687 und 1709 Hetman der ukrainischen Saporoger Kosaken und schillernde Figur im Konflikt zwischen Russland und Schweden. Während Liszt sich auf die Jugendzeit Mazeppas konzentriert (angelehnt an Voltaire), steht bei Tschaikowski und Puschkins Vorlage der spätere Kosakenführer im Zentrum. Dabei verlaufen die historischen Ereignisse in der Oper vielmehr im Hintergrund, gipfelnd in der berühmten Schlacht bei Poltawa, während Tschaikowski das persönliche Drama Mazeppas, der Maria, die Tochter des Gutsherrn Kotschubej liebt, aber aufgrund seines Alters vom Vater nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird. Zudem gibt es ihm jungen Kosaken Andrej einen weiteren Verehrer. Der Versuch Kotschubejs, Mazeppa eine Verschwörung gegen den Zaren anzulasten, geht indes nach hinten los; vielmehr wird Kotschubej selbst auf Betreiben Mazeppas hingerichtet. Am Ende, nach der verlorenen Schlacht, kommt es zum Duell zwischen dem mittlerweile gejagten Mazeppa und Andrej, in welchem letzterer fällt. Maria verliert darüber den Verstand, die Oper endet düster und hoffnungslos.

Allzu viele Einspielungen dieser Oper gibt es bis zum heutigen Tage nicht, wobei in erster Linie die Aufnahmen unter Neeme Järvi aus Göteborg von 1993 (DG) und unter Valery Gergiev aus dem Mariinski-Theater in St. Petersburg von 1996 (Philips) zu den Standardempfehlungen gerechnet werden. Daneben der bereits 1949 eingespielte Klassiker unter Wassili Nebolsin (Melodija). Während die erstgenannten klanglich freilich den Sieg davontragen, erreichen sie nicht die Idiomatik der alten Einspielung aus Sowjetzeiten. Dass gegen Ende der Sowjetunion eine weitere Studioaufnahme in vorzüglichem Klangbild entstand, war aufgrund mangelnder Verfügbarkeit bislang nur Eingeweihten überhaupt geläufig. 1982 nämlich spielte abermals Melodija unter dem Dirigat von Fuat Mansurow diejenige Produktion ein, die man mit Fug und Recht als die Referenz bezeichnen darf, vereint sie doch einen zeitgemäßen Klang mit einem exzellenten wahrlich russischen Sängerensemble, wie man es heutzutage in dieser idiomatischen Vollendung nicht mehr vorfindet. 2020 erscheint sie erstmals auf CD (Mel CD 10 02613).

Tatsächlich ist es unverständlich, wieso diese diskographische Glanzleistung fast vier Jahrzehnte nicht auf dem CD-Markt verfügbar war und daher insbesondere im Westen niemals den ihr zustehenden Bekanntheitsgrad erlangte. Während dort Anfang der 1980er Jahre die goldene Ära des Operngesangs bereits vorbei war, dauerte diese in der UdSSR mehr oder weniger bis zu deren Untergang an. Der wohl berühmteste unter den mitwirkenden Sängern ist der Bassist Jewgeni Nesterenko, hier in der Rolle des Kotschubej, der sich stimmlich deutlich abhebt vom Bassbariton von Wladimir Walaitis, der die Titelrolle übernimmt und, der Figur durchaus angemessen, auch ältlicher daherkommt. Dadurch besteht nicht im Ansatz die Gefahr, dass sich die beiden wichtigsten tiefen Stimmen der Oper allzu sehr ähneln. Die dritte bedeutende männliche Partie übernimmt der Tenor Wladislaw Pjawko in der Rolle des Andrej. Subtiler Schönklang ist seine Sache zwar nicht, doch überzeugt er durch wahrlich heroisch-slawischen Tonfall auf seine Weise doch und zeichnet die Figur sehr maskulin. Kurioserweise singt Pjawkos Ehefrau, die Mezzosopranistin Irina Archipowa, in der Oper Ljubow, die Gemahlin des Kotschubej. Tamara Milaschkina schließlich brilliert als Maria und repräsentiert mit ihrem voluminösen dramatischen Sopran ebenfalls den mittlerweile ausgestorbenen alten russischen Gesangsstil. Die übrigen Rollen sind absolut rollendeckend mit bewährten Gesangskräften des Bolschoi-Theaters besetzt. Der heutzutage zu Unrecht im Schatten stehende Fuat Mansurow, seinerzeit als „die Staatskutsche der Sinfonieorchester der Sowjetunion“ bezeichnet (wie der kundige Booklet-Text von Boris Mukosej weiß), erweist sich als kongenialer Begleiter, dessen eher gemessene Tempi idealtypisch erscheinen und zum opulenten Charakter der Einspielung beitragen. In den rein instrumentalen Abschnitten, so etwa bei der Einleitung zum ersten Akt und im sinfonischen Bild der Schlacht bei Poltawa zu Beginn des dritten Aktes, kann er besonders glänzen. Dass der Chor und das Orchester des Bolschoi-Theaters mit seinen schmetternden Blechbläsern selbstredend die Idealbesetzung darstellen, braucht im Grunde genommen gar nicht extra betont zu werden.

All dies und nicht zuletzt die ansprechende Aufmachung der 3-CD-Box macht diese Gesamtaufnahme nicht nur für genuine Freunde russischer Opern zu einem absoluten Muss. Da sieht man auch darüber hinweg, dass leider kein Libretto beiliegtDaniel Hauser

Für die Kommilitonen

So düster, wie das kaum erkennbare Cover es weismachen will, ist das Erstlingswerk von Vincenzo Bellini gar nicht, denn am Ende finden trotz einiger Intrigen doch die „richtigen“ Liebespaare zueinander. Adelson e Salvini lieben, teilweise über Kreuz, Fanny und Nelly, daneben gibt es viele männliche Partien, denn die Oper aus dem Jahr 1825 war für das Konservatorium von Catania und seine Studenten, deren einer der Komponist war, bestimmt, und dort mussten auch die Frauenrollen von Männern gesungen werden. Später hat Bellini aus dem Drei-Akte-Stück noch ein zweiaktiges umkomponiert, hier liegt die Urfassung mit langen gesprochenen Dialogen vor, allerdings mit Sängerinnen für die entsprechenden Partien. Wie so manch andere Oper seiner Zeitgenossen wurde auch Adelson und Salvini später als Steinbruch benutzt, und die schönste Arie, die der Nelly „Dopo l’oscuro nembo“ wurde später zu Giuliettas „Oh quante volte“.
So wie Bellini das Stück als Examensarbeit für seine Kommilitonen komponierte, so spielen auch auf den beiden CDs die Studenten des Orchestra Accademica del Conservatorio Santa Cecilia unter dem Dirigenten Maurizio Ciampi, der Herrenchor der Bediensteten von Lord Adelson ist ebenso tüchtig in Form des Ensemble vocale del Conservatorio Santa Cecilia und wird von Corrado Valvo geleitet.
Die für einen Sänger mit neapolitanischem Dialekt bestimmte Partie des Dieners Bonifacio wird anders als die weiteren Rollen von einem erfahrenen Künstler verkörpert. Luigi Pisapia scheint zunächst etwas atemlos in seine Rolle einzusteigen, klingt recht flach, steigert sich aber zuhörens und kann mit „Taci, attenti, e bedarraje“ an die gute alte italienische Buffotradition anknüpfen. Auch der auf dem Weg zum tenore di grazia befindliche Christian Collia als Hosenrollen-Salvini steigert sich, nachdem er mit recht kläglich klingendem Timbre begonnen hat, als Sprecher zunächst weit eindrucksvoller war denn als Sänger, jedoch im dritten Akt in „Ebben perchè respira“ und auch im folgenden Duett zunehmend empfindsamer und klangvoller wirkt. Die andere Titelpartie, die des Adelson, wird vom Bariton Donato Di Colla stilvoll, wenn auch spröde beginnend, gesungen. Seine Phrasierung kann gefallen, „Torna a questo seno“ ist einer der Höhepunkte der Aufnahme. Den Intriganten Struley gibt Shangrong Jiang mit nachdrücklicher vokaler Präsenz, sein Zuträger Geronio ist ihm in dieser Hinsicht mit Antonino Mistretta noch überlegen. Annapaola Pinna hat die schönste Stimme der Aufnahme und verleiht der Nelly ein schönes, melancholisch klingendes Timbre und viel Geschmeidigkeit. Sie lässt vernehmen, was mit Bellinis „unendlicher Melodie“ gemeint ist. Ausdruckslos bleibt die Fanny von Mariangela Marini, verhuscht die Madama Rivers von Eleonora Filipponi. Es ist sicherlich eine interessante Idee, das Jugendwerk wie bei seiner Uraufführung der Jugend anzuvertrauen, ob man die Aufnahme der Nachwelt anvertrauen muss, ist eine andere Sache. (Stärker besetzt sind die von Opera Rara unter Rustioni, die bei ehemals Nuova Era unter Licata mit immerhin Alicia Nafé sowie die DVD bei  Bongiovanni unter José Miguel Pérez Sierra – das Bessere ist eben des Guten Feind/ G. H.)  (Urania Records LDV 14053). Ingrid Wanja

Fibich Sinfonisch

 

2015  kam nach Vaccajs Schillervertonung  La Sposa di Messina (2009 in Wildbad) mit der Deutschen Erstaufführung der Oper Nevesta Messinska (Die Braut von Messina) von Zdeněk Fibich eine der bedeutendsten Opern der tschechischen Romantik im Theater Magdeburg zur Aufführung.  Bildhaftigkeit und Suggestivkraft sind die hervorstechenden Merkmale der Musik von Zdeněk Fibich (1850 – 1900), der – in der Tradition eines Smetanas stehend – neben Dvořák zu den prägenden (heute) tschechischen Komponisten des alten K. u. K.-19. Jahrhunderts gehört. Musikalisch wie dramaturgisch von Wagners Musikdramen beeinflusst, schuf  Fibich mit der Braut von Messina ein durchkomponiertes Werk, das aufgrund seines deklamatorischen Stils als Höhepunkt der tragischen (heute) tschechischen Oper gilt.

Operalounge.de brachte zu diesem Anlass einer „vergessenen Oper“ einen langen Beitrag zum Komponisten und zur Braut von Messina Fibichs, die bei cpo als CD mitgeschnitten wurde und immer noch im Programm ist. Matthias Käther rezensierte zudem die Neuaufnahme bei uns.

Zdenek Fibich/fibich.cz

Nun hat sich Daniel Hauser nachstehend daran gemacht, den beachtlichen Schub von Fibichs sinfonischen Werken bei Naxos unter Marek Stilec zu besprechen und rundet damit unsere Präsentation eines der bedeutendsten böhmischen Komponisten ab, der wie viele seiner Landsleute und weiteren des slawischen Raums bei uns in Deutschland und im deutschsprachigen Raum beklagenswert unbekannt und fern der Konzerthäuser geblieben ist. Gerade in Corona-Zeiten wäre eine Auswahl eben auch seiner Werke zumindest im Radio und Fernsehen wünschenswert und musikalisch neue Aspekte vermittelnd. G. H.

 

Wer an die großen böhmischen Komponisten des 19. Jahrhunderts denkt, dem werden unweigerlich die unvermeidlichen Namen Bedřich Smetana (1824-1884) und Antonín Dvořák (1841-1904) auf der Zunge liegen. Dies hat gute und nachvollziehbare Gründe, doch unterschlägt es den großen Dritten, der selbst dem geneigten Klassikhörer nur vom Hörensagen ein Begriff sein dürfte. Die Gründe, wieso dieser Dritte, nämlich Zdeněk Fibich (1850-1900), so völlig ungerechtfertigt von den beiden anderen verdrängt wurde, sind gar nicht so einfach zu eruieren. Es einzig auf seinen frühen Tod zu schieben, verfängt nicht recht. In kaum einer musikalischen Gattung war Fibich nicht tätig. Besondere Geltung erlangte er freilich durch sein Opernschaffen [nicht weniger als acht an der Zahl, wobei gerade Die Braut von Messina (Nevěsta messinská), Der Sturm (Bouře) und Šárka Berühmtheit erlangten] und seine vielfältige Orchestermusik. Letzterer widmet sich Naxos seit bald einem Jahrzehnt, und kürzlich konnte mit Vol. 5 die Weltersteinspielung der kompletten Orchesterwerke von Fibich vollendet werden (Naxos 8.572985, 8.573157, 8.573197, 8.573310 sowie 8.574120). Verantwortlich zeichnet der junge, in Prag geborene Dirigent Marek Štilec mit dem erst 1993 gegründeten Tschechischen Nationalen Sinfonieorchester, welches die Orchesterlandschaft in Prag weiter bereichert hat.

 

Matthias Käther 2015 in operalounge.de:  Jetzt ist Fibichs Oper Nevesta Messinska beim label cpo erschienen.(…) dies hier ist also eine durchaus willkommene Neuaufnahme und ein wichtiges Dokument – denn mitgeschnitten wurde hier eine Produktion aus Magdeburg von 2015, und das war wirklich die (längst überfällige) deutsche Erstaufführung dieser tschechischen Oper! Rein musikalisch jedenfalls ist das eine äußerst solide Leistung. Großes Kompliment an Chor und Orchester im Magdeburger Theater unter Generalmusikdirektor Kimbo Ishii! Das ist sehr hohes Niveau, und zeigt wieder einmal, dass inzwischen auch an den kleineren Theatern der Republik spannende Experimente würdig umgesetzt werden können. Matthias Käther
 

Eine wirklich vollständige Gesamteinspielung all dieser orchestralen Kompositionen lag bisher, wie gesagt, nicht vor, was allerdings nicht bedeutet, dass man sich in Tschechien bzw. davor in der Tschechoslowakei nicht mit Fibich auseinandergesetzt hätte. Sicherlich, verglichen mit Smetana und Dvořák ist die Diskographie vergleichsweise überschaubar, doch erscheint es mir notwendig, auf den bisherigen Stand der Dinge zurückzublicken. Das Hauptverdienst kommt ganz ohne Frage dem Label Supraphon zu. Bereits Anfang der 1950er Jahre wagte sich Karel Šejna mit der Tschechischen Philharmonie an ein Fibich-Projekt, das die drei Sinfonien sowie zwei Tondichtungen umfasste (Supraphon SU 3618-2 902). Diese Interpretationen waren maßstäblich, obschon einzig die dritte Sinfonie von 1961 bereits in Stereo eingespielt wurde. Daher ist Šejna heute auch keine Standardempfehlung mehr. Dieser Rang kommt bezüglich der Sinfonien eigentlich eher den zwischen 1976 und 1984 entstandenen Supraphon-Produktionen der Brünner Philharmoniker unter Petr Vronský (Sinfonie Nr. 1 sowie Tondichtung Bouře), Jiří Waldhans (Sinfonie Nr. 2) und Jiří Bělohlávek (Sinfonie Nr. 3) zu. Eigentlich deshalb, da sie beinahe unbekannt und auf CD nur in Koproduktion mit dem japanischen Label Denon überhaupt komplett erschienen sind (Supraphon/Denon 32CO-1091 und 32CO-1256). Daneben wurden 1983 einige weitere Orchesterwerke mit dem Prager Rundfunk-Sinonieorchester unter František Vajnar (Supraphon/Denon 33C37-7909) sowie 1984 mit dem Prager Sinfonieorchester unter Vladimír Válek (Supraphon 11 1823-2 011) in vorbildlichen Darbietungen eingespielt. Als weniger geglückt muss die von Orfeo verantwortete Produktion der Tschechischen Philharmonie unter Gerd Albrecht bezeichnet werden, welche vor allen Dingen die dritte Sinfonie enthält (Orfeo C 350 951 A). Albrechts Chefdirigentenzeit in Prag verlief bekanntlich sehr spannungsreich, was hier womöglich auch künstlerisch durchschlägt. Ferner existieren Gesamtaufnahmen der Opern Die Braut von Messina unter František Jílek von 1975 (Supraphon 11 1492-2 612) und Šárka unter Jan Štych von 1978 (Supraphon SU 0036-2 612); zu letzterer gesellt sich eine Mitschnitt des RSO Wien unter Sylvain Cambreling von 1998 (Orfeo C 541 002 H) und natürlich der Mitschnitt der Magdeburger Aufführung von 2015 bei cpo (cpo 7136657). Sogar das dreiteilige monumentale Melodrama Hippodamia, zu welchem Fibich die Musik beisteuerte, hat man zu ČSSR-Zeiten unter Jaroslav Krombholc und František Jílek komplett eingespielt (Supraphon SU 3031-2 612, SU 3033-2 612 und SU 3035-2 612).

 

Das ist eine ganze Menge, die interpretatorisch und überwiegend auch klanglich noch heute höchsten Ansprüchen genügt. Was nun allerdings die Naxos-Neueinspielungen absolut rechtfertigt, ist die schlechte Verfügbarkeit der oftmals seit Jahren vergriffenen vorgenannten Aufnahmen. Erstmals ist durch diese fünf Volumes umfassende Serie eine leicht greifbare und zudem preiswerte Möglichkeit gegeben, sich eingehend mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Eine Beschäftigung, die sich tatsächlich lohnt, erscheinen mir zumindest die Sinfonischen Dichtungen Fibichs nicht nur auf derselben Höhe wie jene von Smetana und Dvořák, sondern teilweise diesen gar überlegen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Toman und die Waldnymphe, eine Thematik, dem sich später in ähnlicher Weise auch Jean Sibelius annehmen sollte, sowie die nationalistischer angehauchte Tondichtung Záboj, Slavoj und Luděk. Aber auch die etwas leichteren Stücke wie die Ouvertüre Eine Nacht auf Karlstein mit ihrem Mendelssohn-artigen Tonfall sollten nicht unterschlagen werden. Von den drei Sinfonien ist die dritte sicherlich die wichtigste, obgleich sie allesamt ihre Meriten aufzuweisen haben. Nun ließe sich trefflich darüber debattieren, ob die zwischen 2012 und 2019 entstandenen Neueinspielungen die bisher vorliegenden toppen. Tontechnisch profitieren sie ohne Frage von der hier von Naxos erzielten Klangbalance, welche die frühen, zuweilen wenig überzeugenden Versuche zu Anfangszeiten dieses Labels vergessen macht. Die durchweg schlüssigen Tempi, die  Štilec anschlägt, orientieren sich jedenfalls stark an den älteren Produktionen. Von Fall zu Fall wird man diesen oder eben den neuen den Vorzug geben. Die dem tschechischen Theologen und Bischof Johann Amos Comenius gewidmete feierliche Festouvertüre etwa kommt in der Supraphon-Einspielung unter Válek noch etwas bezwingender herüber. Aber all dies sind eher Nuancen als wirklich feststellbare Qualitätsunterschiede.

Bei Naxos bewusst ausgespart wurden im Rahmen dieser Reihe diejenigen Werke, die eine Gesangsbeteiligung aufweisen, so die hörenswerte Kantate Frühlingsromanze für Solisten, Chor und Orchester. Nicht ganz konsequent ist auch, dass die reine Orchestermusik aus Fibichs Opern nur teilweise berücksichtigt wurde. So sind zwar die Ouvertüre zu Šárka, die Ouvertüre zum dritten Aufzug von Der Sturm (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, ebenfalls enthaltenen Tondichtung) und der Trauermarsch aus Die Braut von Messina inkludiert worden, wurde aber die phänomenale Ouvertüre zu Fibichs letzter Oper Der Fall von Arkona ausgespart – womöglich aufgrund des prominenten Orgeleinsatzes am Ende. Wer diese hören will, muss zwangsweise auf die alten Aufnahmen zurückgreifen. Tatsächlich ist der Kompositionsstil Fibichs irgendwo zwischen der nationalen böhmischen Schule (zumal in den großen dramatischen Stücken) und den Bewunderern Richard Wagners anzusiedeln. Und doch ist Fibichs Musik gänzlich eigenständig, wobei sein Sinn für Theatralik unverkennbar durchscheint. Dass er sich außerdem für bedeutende Ereignisse der im Werden begriffenen tschechischen Nation durchaus bereitwillig zur Verfügung stellte, beweisen die hier erstmals vorgelegten kurzen, aber nicht uninteressanten Tableaux zur Eröffnung des Neuen Tschechischen Theaters (1876), zur Errichtung des Nationaltheaters (1881), zur Wiedereröffnung desselben (1883) sowie zum 300. Geburtstag des bereits genannten Comenius (1892).

Alles in allem eine ungemein bedeutende Bereicherung für die Diskographie, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann, weiß sie doch sowohl in künstlerischer als auch in klanglicher Hinsicht auf ganzer Linie zu überzeugen. Die Naxos-typisch knappen, lediglich englischsprachigen Textbeilagen sind darüber verschmerzbar. Daniel Hauser

 

Orientalisches aus Toronto

 

Die Anzahl der Einspielungen von Jules Massenets Comédie lyrique Thaïs ist überschaubar – jüngstes Dokument war die Aufnahme mit Renée Fleming und Thomas Hampson bei Decca 2005. Frankophile Opernfreunde favorisieren als Referenzaufnahmen noch immer jene mit Renée Doria von 1961 (ebenfalls Decca) und Andrée Esposito (1959/live). Nun bringt das Label CHANDOS auf 2 CDs (CHSA  5258) eine Produktion vom November 2019 mit dem Toronto Symphony Orchestra heraus, mit der auch eine Konzertaufführung in der Roy Thomson Hall in Toronto einherging. Spiritus Rector des Unternehmens ist Andrew Davis, der dem Orchester von 1975 – 88 als Principal Conductor vorstand und in diesem Jahr als Interim Artistic Director fungiert. Ihm ist eine atmosphärische Aufnahme zu danken, die Massenets schillernder Musik in jedem Takt gerecht wird. Der Dirigent entschied sich für eine Mischfassung aus der Pariser Uraufführung 1894 und Massenets späterer Überarbeitung von 1898, in der er dem 3. Akt eine Eröffnungsszene hinzufügte, welche die entbehrungsreiche Reise von Thais und Athanaël durch die Wüste schildert. Der Komponist integrierte auch mehrere Ballettmusiken in die spätere Fassung, die – bis auf eine Ausnahme – in dieser Einspielung allerdings fehlen. Neben der inspirierenden Begleitung der Sänger sorgt Davis auch für effektvolle Instrumentalnummern – die Vision mit ihrem orientalischen Kolorit, das Prélude zum Second Tableau mit seinem sinnlichen Rausch, die Méditation in ihrer betörenden Süße, der dramatisch aufgepeitschte Course de la nuit.

In der Titelrolle ist Erin Wall mit reizvoll timbriertem Sopran zu hören. Mit dem schwelgerischen Ausdruck, der blühenden Höhe und dem sinnlichen Klang besitzt sie alle Voraussetzungen für eine ideale Interpretin der Partie. Ihren großen Auftritt hat die Kurtisane zu Beginn des 2. Aktes mit der Spiegelarie, in der sich Wall von melancholischer Tongebung zu trancehafter Erregung steigert. Im nachfolgenden Duett mit dem Mönch Athanaël erweist sich der kanadische Bariton Joshua Hopkins als ebenbürtiger Partner. Die Stimme ist von resoluter Strenge, verfügt aber auch über virile Sinnlichkeit. In seinem großen Solo zu Beginn des Second Tableau („Voilà donc la terrible cité!“) breitet sich sein Organ strömend und in reicher Fülle aus. Beide Sänger tragen auch den 3. Akt mit Thais’ Tod und Apotheose. Im Duett „Baigne d’eau“ mischen sich ihre Stimmen perfekt und bringen auch die geboten entrückte Stimmung ein. Überwältigend im sinnlichen Rausch ist beider Zwiegesang zum Thema der Méditation, bei dem die Sopranistin zweimal bis zum hohen D hinaufsteigen muss. Massenet hatte damit der Interpretin der Uraufführung, Sybil Sanderson, seinen Tribut gezollt. Bei Erin Wall sind diese Extremtöne nicht ideal in die Linie eingebunden, aber das ist ein marginaler Einwand angesichts ihrer insgesamt großartigen Leistung.

Der britische Tenor Andrew Staples als junger Alexandriner Nicias bleibt in Timbre und Gestaltung etwas allgemein, absolviert seine Auftritte jedoch in professioneller Manier. Die Besetzung wird komplettiert von Nathan Berg mit reifem Bassbariton als alter Zenobit Palémon, Emilia Boteva als Äbtissin Albine mit delikatem Mezzo sowie Liv Redpath und Andrea Ludwig als die Sklavinnen Crobyle und Myrtale, die nicht nur ihre staccato-Lachsalven präzise und mit kokettem Ausdruck absolvieren, sondern im 2. Akt auch Gesänge von betörend flirrender Wirkung beisteuern. Der Mendelssohn Choir (Jonathan Crow) setzt im Second Tableau des 2. Aktes gewaltige Akzente, wenn die aufgebrachte Menge gegen Athanaël, der Nicias’ Palast angezündet hat, rebelliert. Großen Kontrast dazu haben die verklärten Gesänge der Nonnen im Kloster. Bernd Hoppe

 

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Auf den Spuren von Régine Crespin

 

In der Aufnahmetätigkeit des Palazzetto Bru Zane ist die französische Sopranistin Véronique Gens eine feste Größe. In Zusammenarbeit mit dem Label ALPHA CLASSICS erschienen schon mehrere Einspielungen mit ihr – vor allem mit französischen mélodies, die in den Salons der Belle Époque erklangen. In diesem Genre ist sie – neben ihrem Einsatz für Barockopern oder die Werke Mozarts – eine Spezialistin. Davon zeugt auch die neueste Veröffentlichung mit dem Titel Nuits (ALPHA 589), wo sie in vier Abschnitten die Nacht in all ihren Emotionen besingt. Die Sängerin wird hier zur Diseuse und zeigt sich als legitime Nachfolgerin der großen  Régine Crespin, die in diesem Metier Maßstäbe gesetzt hat. Begleitet wird sie vom fünfköpfigen, 2012 gegründeten Ensemble I Giardini, das die Lieder in eine neue, kammermusikalische Form gegossen hat. Es steuert auch drei Instrumentalstücke bei und erweist sich dabei als Meister der Farben und Stimmungen.

Die erste Abteilung ist überschrieben „Crépuscule. Nuit d’amour“. Die Gruppe mit drei Titeln wird eröffnet von Guillaume Lekeus „Nocturne“ aus seinen Trois Poèmes. Die Stimmung der Dämmerung fängt die Sopranistin mit träumerischem Ausdruck und fein gesponnenen Linien ein. Gabriel Faurés „La lune blanche“ ist von ähnlicher Atmosphäre und fügt sich passend in diesen Block. Es folgt als eines der bekanntesten Lieder der Anthologie „L’ile inconnue“ aus Hector Berlioz’ Zyklus Les Nuits d’été. In dieser Komposition von aufgeregt-hastigem Duktus klingt die Stimme etwas herber und in der Höhe gespannter.

Die zweite Abteilung „Rêve. Nuit d’ailleurs“ beginnt mit Fernand de la Tombelles instrumentaler „Orientale“, die in ihrer flirrenden Stimmung einen erotischen Traum wiedergeben könnte. Jules Massenets „Nuit d’Espagne“ atmet sinnlich-mediterranes Flair und Gens klingt hier besonders verführerisch. Dazu passt Camille Saint-Saëns’ „Désir de l’Orient“ in seinem fremdartigen Melos. In solchen leicht hingetupften Stücken erweist sich Gens als Meisterin der Poesie und Melodie.

Die dritte Abteilung, „Cauchemar. Nuit d’angoisse“, eröffnet Ernest Chaussons bekanntes „Chanson perpétuelle“, das in seinem wehmütig-träumerischen Kolorit den Sopran zu wunderbarer Wirkung kommen lässt. Danach folgt der zweite Instrumentaltitel, Franz Liszts „La lugubre gondole“ für Cello und Klavier, welches in seiner tristen Stimmung Todessehnsucht suggeriert. Mit „Ceux qui, parmi les morts d’amour“ aus Guy Ropartz’ Quatre poèmes hört man eine veritable Rarität und die Interpretin mit verinnerlicht-schmerzlichen Tönen. Faurés berühmtes „Après un rêve“ komplettiert diesen Block und auch hier trifft Gens genau die Melancholie und Sehnsucht der Komposition.

Natürlich dürfen in Liedern der Nacht Trunkenheit und Rausch nicht fehlen. Und so lautet der Titel der letzten Abteilung „Ivresse. Nuit de fête“. Eröffnet wird sie mit dem dritten Instrumentaltitel, dem stürmischen „Molto vivace“ für Klavierquintett von Charles-Marie Widor. Unsterblich wurde Marcel Louiguys Komposition „La Vie en rose“ durch Edith Piaf. Véronique Gens hält dem großen Vorbild stand mit einer Interpretation voller Duft und Delikatesse. Auch den leicht frivolen Ton von André Messagers „J’ai deux amants“ trifft sie genau, hält die Balance zwischen Eleganz und Anzüglichkeit. Mit Reynaldo Hahns „La dernière valse“ endet die Sammlung in melancholischer Stimmung. Für Freunde der mélodie française ist sie eine echte Fundgrube. Bernd Hoppe

 

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Keine Jahrhundertaufnahme

 

Nato sotto maligna stella? Natürlich ist man froh, wenn es überhaupt neue Gesamtaufnahmen von Opern, die immerhin konzertant entstanden sind, in Corona-und damit opernfreien Zeiten gibt, und wenn gar ein Star wie Jonas Kaufmann nach seinem Bühnendebüt in der Partie des Otello in London und München mit einem so renommierten Orchester und Chor wie dem der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom am Werk war, sind die Erwartungen hoch. Leider werden sie nur teilweise erfüllt, was nicht nur an dem Star selbst, sondern auch an einigen weiteren Faktoren liegt.

Das Werk beginnt stürmisch, und das Orchester und der Chor sollten mit dem gebotenen Aplomb bei der Sache sein,  aber wenn man auch den schneidenden, aufbrausenden Anfang goutieren kann, ist man im Verlauf der Aufnahme doch zunehmend irritiert von einer sehr veristischen Auffassung von Verdis letztem tragischem Werk, von manchmal überzogenen Tempi, vor allem, weil man vor dem Liebesduett im ersten  und zu Beginn des vierten Akts jeweils unter Antonio Pappano ein Orchestervorspiel hören kann, das besser nicht auf das Kommende vorbereiten könnte.

Natürlich gibt es kaum ein heikleres Entree für einen Tenor  als das von Otello mit seinem „Esultate“, und wenn eine alte Weisheit meint, ein Sänger sollte immer nur so viel auf der Bühne (auch der Konzertbühne oder bei der Aufnahme) geben, dass er noch eine Reserve für eine Steigerung hätte, dann wurde sie von Jonas Kaufmann in den Wind geschlagen, denn man hört dem Tenor an, dass er alle Kräfte aufbieten muss, um einigermaßen eindrucksvoll zu wirken. Auch das „Abassa le spade“ wirkt erzwungen, teilweise klingt die Stimme gaumig, nie wie aus einem Guss und für eine Oper, in der die meisten Szenen sich zwischen Tenor und Bariton abspielen, zu baritonal. Die eindrucksvolle Höhe dann wirkt wie eine zweite Stimme, die mit der Mittellage wenig zu tun hat. Die größte Enttäuschung bereitet also der erste Akt, das „Ora e per sempre“ liegt dem Tenor gut in der Stimme, und diese klingt hier auch wie die eines Tenors, der Kraftakt am Schluss des zweiten Akts gelingt, auch wenn er um die Stimme bangen lässt. Schön herausgearbeitet ist der Kontrast innerhalb des „Datemi ancor“. In „Dio! Mi potevi scagliar“ wird auf Kosten des Gesangs für manchen Geschmack dem Sprechgesang zu viel Raum gegeben, während ganz am Schluss das „Gloria“ strahlend und schön klingt, nicht deutlich wird, dass es ein eher sarkastischer Abgesang auf dieselbe ist. Alles in allem muss man feststellen, dass die Stimme sich zur Zeit der Aufnahme nicht im allerbesten Zustand befand, will man nicht noch weitergehen und die Partie generell als eine für den Tenor nicht geeignete erachten.

„Onesto“ Jago ist Carlos Alvarez mit einem schwerer  gewordenen Bariton, der nicht nur einsam in seinem Credo, sondern auch im Umgang mit Otello seiner Stimme einen bärbeißigen, bösartigen Charakter verleiht, die Kontraste, besonders in der Lautstärke sucht und in dieser veristischen, den Charakter im Sound offenbarenden Darstellung eigentlich weder das Vertrauen Otellos noch Cassios gewinnen dürfte. Sein Credo hat eher Vorder- als Abgründiges zu offerieren. Im Parlando, wenn die Stimme nicht unter Druck gesetzt wird, klingt sie angenehm, schön tückisch klingt „Temete signor la gelosia“, der Sogno di Cassio ist gut dem lauernden Klang des Orchesters angepasst.

Desdemona ist eine starke Frau, die es, obwohl aus vornehmem venezianischem Hause stammend,  wagte, einen Underdog zu heiraten. Dafür klingt die Stimme von Federica Lombardi etwas zu unbedarft, allerdings schön, ja lieblich, empfindsam, Verletzbarkeit verratend. Im zweiten Akt hat sie als Antwort auf die Huldigungen des Chors einen angenehmen Glockenton. Leichte Schärfen fallen kaum ins Gewicht, die „prime lacrime“ könnten melancholischer ausfallen, das „a terra“ klingt sehr verhalten, im vierten, ihrem Akt ist der Wechsel zwischen Beherrschung und Ausbruch der Angst sehr intensiv gestaltet. Einen angenehmen lyrischen, rollengerecht etwas läppisch klingenden Tenor hat Liparit Avetisyan für den Cassio. Virginie Verrez als Emilia sowie Riccardo Fasi, Fabrizio Beggi und Gian Carlo Fiocchi bleiben in weiteren Partien solide. Alles in allem hält diese CD nicht, was die großen Namen auf dem Cover versprechen ( 2 CD, Sony 19439707932). Ingrid Wanja

Tempi per sempre passati?

 

Seit Jahren stand er überlebensgroß in perfektem Ritter-Outfit jeden Sommer auf der Piazza Bra in Verona, das Schwert in die Brust des Gegners stoßend, wartete auf seine Auftritte in Franco Zeffirellis Trovatore-Inszenierung in der Arena, war ein beliebtes Fotomotiv für die Touristen so wie die Sphinx aus Aida oder der Engel aus Tosca. Wo mögen sie alle in diesem Jahr wohl sein, nachdem der verzweifelte Versuch vom direttore artistico Cecilia Gasdia, wenigstens für jeweils 3000 anstelle der 16 000 abendlichen Arenabesucher die Aufführungen der Saison 2020 zu retten, gescheitert ist, wo auf der Website der Fondazione bereits ausschließlich von der Saison 2021 die Rede ist, von einem Requiem, von Riccardo Muti als Aida-Dirigent, von Domingo- und Kaufmann-Galas. Und was tun die vielen Menschen, die drei Monate lang als Statisten, Platzanweiser, Getränkeverkäufer, Bühnenarbeiter, Kissenvermieter oder gar als Tänzer, Sänger, Orchestermitglieder gearbeitet haben? Womit verdient die Dame, die den Maestro in den Orchestergraben geleitet, ihr täglich pannino und was wird aus dem Chef der Claqueure, der mit einem Bravo Maestro den Abend stimmungsvoll beginnen ließ? Waren die Champagnergläser bereits mit Arena di Verona 2020 graviert und sind nun nicht mehr zu gebrauchen? Dieser Sommer wird für Verona ein verlustreicher und trauriger sein, und so kommt eine DVD aus dem vergangenen Jahr, als Anna Netrebko in der Arena als Trovatore-Leonora debütierte, gerade recht zur Auffrischung schöner Erinnerungen.

Die Arena wird noch eine Zeitlang von den Produktionen, die Franco Zeffirelli zu verdanken sind, zehren können, denn keiner wie er, vielleicht noch Hugo De Ana und Pier Luigi Pizzi, konnte mit dem Riesenrund umgehen, es mit Leben, manchmal sogar zu viel des Guten, füllen, dem Auge immer wieder Neues, Farbenprächtiges, Staunenswertes bieten. Auf der anderen Seite konnte er Monumentalopern wie Aida und I vespri siciliani auch auf kleinstem Raum wie dem Theater der Verdi-Stadt Busseto unterbringen. Da er nicht nur Regisseur, sondern auch Ausstatter war, stammt von ihm auch der mittlere der drei Wehrtürme des Trovatore, der sich, wenn Leonora der Welt abschwören will, zu einer prachtvollen gotischen Kathedrale öffnet. Und er konnte es sich, besonders zur Freude nicht opernerfahrener Arenabesucher, auch erlauben, zusätzliche Zigeunerballette einzufügen, um die für diese Minderheit viel zu prächtigen Kostüme (Raimonda Gaetani) so richtig zur Schau zu stellen, echte Tiere, für die Bühne immer ein unkalkulierbares Risiko, auftreten und Manrico und Leonora ihrem kurzen Glück entgegenreiten zu lassen. Staunen kann der Betrachter auch über das Geschick, mit welchem der Regisseur die Chöre, oft in der Arena eine unbeholfen bzw. gar nicht agierende  Masse, zu bewegen weiß.

Wer Anna Netrebko engagiert, muss auch Yusif Eyvazov nehmen, wenigstens meistens, und so war es auch bei dieser Aufführung , für die als Datum nur 2019 angegeben ist, was einen Zusammenschnitt mehrerer Aufführungen, durchaus legitim, vermuten lässt. Der Tenor kann auf eine angenehme Optik bauen, die durch die prachtvollen Kostüme noch unterstrichen wird, erweist sich als zuverlässig, kann mit seiner Stimme weit ausholen, hat die Acuti für die Stretta, was seinen Eindruck auf das Publikum nicht verfehlt, so dass ein doch recht gequetscht klingendes Timbre nicht weiter ins Gewicht fällt. Strahlend schön ist die Leonora von Anna Netrebko, dazu kommt eine tadellose, Begeisterung provozierende sängerische Leistung eines dunkel grundierten, leidenschaftlich lodernden Soprans mit feinem Spitzenton im Piano für die erste Arie, einem virtuosem Feuerwerk für die anschließende Cabaletta. Wunderbar ist das Zaubern mit agogikreichem chiaro scuro in der zweiten Arie, auch diese mit Cabaletta vorgetragen, und sogar zum Abschluss des allein schon durch die schweren Kostüme bei sommerlicher Hitze anstrengenden Abends findet sie noch zu engelsgleichen Tönen. Von allen guten Geistern verlassen scheint der Luna von Luca Salsi zu sein, der seinen granitgleichen Bariton allzu ungefüge kraftmeierisch einsetzt, der „Leonora è mia“  zum Brunftschrei werden lässt und der nach so viel überdimensionalem Einsatz nur mit Mühe wieder zu einem einigermaßen auf Linie gesungenem „Il Balen del suo sorriso“ zurückfinden kann. Beim Duett mit Leonora ist er dann, wen wundert‘s, schon heiser. Schwer an ihren Gewändern zu tragen hat die Azucena von Dolora Zajick, deren einst süffiger Mezzosopran bereits in mehrere Teile zerfallen ist, die Höhe wie entfärbt, die Tiefe überbrustig. „Mi vendica“ klingt wie aus einer anderen Welt kommend und angenehmes Erschauern provozierend, aber die unterschiedlichen Farben der Stimme sind doch sehr irritierend. Zum Schluss bleibt ihr immerhin il rogo erspart, sie erdolcht sich und statt ihrer steht die Burg in Flammen. Oft unterschätzt wird die Aufgabe des Basses, wenn behauptet wird, der Trovatore benötige die vier besten Sänger zum Gelingen. Einer, der unzählige Male  Zaccaria und Ramfis in der Arena gesungen hat, meinte einmal, am stolzesten mache ihn seine Leistung als Ferrando, der tatsächlich perfekten Verdi-Gesang vom Sänger fordert. Riccardo Fassi wird dieser Aufgabe durchaus gerecht. Pier Giorgio Morandi hält als erfahrener Kapellmeister alles perfekt zusammen, was in der Arena eine respektable Leistung ist.

Man kann nur hoffen und wünschen, dass 2021 bruchlos an 2019 anknüpfen, Cecilia Gasdia alle ihre Vorhaben verwirklichen kann und das Publikum den wackeren Ritter tagsüber  auf der Piazza Bra und abends in der Arena wieder bestaunen kann ( C-Major 754608). Ingrid Wanja

 

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