Gleich zwei Neuerscheinungen mit der französischen Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac legt das Label harmonia mundi france vor. Erstere entstand bereits im September 2018 in Berlin und markiert das Debüt der Sängerin bei der Plattenfirma (HMM 902621). Unter dem Titel „Sirènes“ haben Stéphanie d’Oustrac und ihr Pianist Pascal Jourdan Lieder von drei berühmten Komponisten der Romantik zusammengestellt. Sechs von Franz Liszt stehen am Beginn, sie alle sind Vertonungen bekannter Textvorlagen von Heine und Goethe. Für die mit „Sirènes“ betitelte Sammlung könnte es keinen passenderen Einstieg geben als Liszts „Loreley“. Nicht optimal ist die Textverständlichkeit der Solistin, auch ihr zuweilen säuerlicher und in der Höhe schriller Ton ist gewöhnungsbedürftig. Der Vortrag allerdings ist spannungsvoll, gelegentlich wird die Dramatik allerdings von barschem Sprechgesang bestimmt. Das nächste Lied, „Freudvoll und leidvoll“ aus Goethes Egmont, vertonte der Komponist sogar zweimal und beide Fassungen (1844 und 1861) finden sich hier. In der ersten hat der Pianist Gelegenheit, zwischen energischen und lyrischen Begleitfiguren zu wechseln, in der zweiten mit noch subtileren, träumerischen Klängen aufzuwarten. Auch die Sängerin verwirklicht dies in ihrer Gestaltung. Dass Liszt auch für Goethes Faust große Affinität hatte, beweist seine Vertonung von Gretchens „Es war ein König in Thule“. Hier klingt der Mezzo wieder sehr herb, setzt sogar hässliche Töne ein, um Gretchens gespaltene Situation zu schildern. Bei Heines „Im Rhein, im schönen Strome“ hört man fein gesponnene Linien hinauf bis in die exponierte Lage. Die Liszt-Gruppe beendet Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“.
Auf Liszt folgt Hector Berlioz mit seinem bekannten Zyklus Les Nuits d’été, der erstmals 1841 erschien – in der originalen Fassung für Stimme und Klavier, die auf der CD zu hören ist. Hier ist die Sängerin sprachlich in ihrem Idiom und wirkt auch stimmlich ausgeglichener. Der Einstieg mit dem bewegten „Villanelle“ gelingt ihr ohne Verspannung, das folgende „Le Spectre de la rose“ duftig und mit intensiver Steigerung. Für „Sur les lagunes“ findet sie den gebührenden Schmerzenston, für „Absence“ bittere Klage. „Au Cimetìere“ ist in der nächtlichen Stimmung und den langen, schwebenden Bögen besonders gelungen, weniger „L’Île inconnue“ , das den Zyklus beendet.
Ein Jahr danach komponierte Berlioz die von Shakespeares Hamlet inspirierte Ballade „La Mort d’Ophélie“, welche in ihrem Fließen an Schuberts Wasser-Gesänge erinnert. Die Stimme ertönt träumerisch-entrückt, das Klavier steuert poetische Passagen bei.
Richard Wagners Wesendonck-Lieder von 1862 beschließen das Programm der CD – sie wurden (wie der Zyklus von Berlioz) erst später instrumentiert und erklingen hier im originalen Gewand für Frauenstimme und Klavier. Auch wenn in den meisten der existierenden Einspielungen die Orchesterfassung zu hören ist, hat sich D’Oustrac doch gegen eine Vielzahl von Referenzaufnahmen durchzusetzen. Das dürfte schwer sein angesichts der wieder oft heulend klingenden Stimme und der forcierten oberen Lage. Überzeugen können nur „Im Treibhaus“ in seiner schwermütigen Stimmung und das sanft fließende „Träume“.
Die zweite CD mit Stéphanie d’Oustrac ist besonders originell konzipiert, denn unter dem Motto „Portraits de la Folie“ hat die Mezzosopranistin Facetten des Wahnsinns aus dem musikalischen Kosmos des Barock zusammengestellt. Die Aufnahme entstand im September 2019 in Frankreich unter Mitwirkung des Ensemble Amarillis unter Leitung von Héloïse Gaillard (HMM 902646). Dieses hat in vier Instrumentaltiteln Gelegenheit, sich je nach Vorlage mit straffem oder delikatem Spiel zu profilieren. Als furioser Auftakt erklingt die Sinfonia aus Reinhard Keisers Jodelet, welche im Mittelteil bereits das berühmte follia-Thema anklingen lässt. Später ertönt das dreisätzige Concerto a 7 von Johann David Heinichen, das mit seinem lebhaften Vivace, dem kantablen Largo und dem munteren Allegro großes Hörvergnügen bereitet.
Erster Vokalbeitrag ist das kurze Air de la Folie „Accourez hâtez-vous“ aus André Campras opéra-ballet Les Fêtes vénitiennes von 1710, in dem die Sängerin einen ausgelassenen Ton anschlägt. Werke französischer Komponisten nehmen den größten Teil des Programms ein. Von André Cardinal Destouches finden sich nicht weniger als vier Titel. Zwei davon stammen aus der Cantate „Sémélé“. „Ne cesse point de m’enflammer“ ist geprägt von exaltiertem Impetus, „Aussitôt le bruit de tonnerre“ von dramatischem Furor. Die beiden anderen sind Airs de la Folie und der comédie lyrique von 1703 Le Carnaval et la Folie entnommen. Vor allem das zweite, „Souffrez que l’Amour vous lie“, bietet am Ende einen heiteren Ausklang und entschädigt für manch enervierenden Ton.
Marin Marais ist ein bekannter Name in der französischen Barockmusik. Aus seiner Tragédie Sémélé von 1709 ist das Air „Descendez cher amant“ zu hören, in dem die Solistin wieder einen jammernden Ton hören lässt. Das Ensemble Amarillis steuert mit der Caprice aus der Suite No 5 noch einen delikaten Instrumentalbeitrag bei.
Das Programm wird ergänzt von zwei Titeln des britischen Barockmeisters Henry Purcell. Ersterer, „From silent shades“, ist der Sammlung Choice Ayres and Songs von 1883 entnommen und breitet eine Sommernachtstraum-nahe Stimmung aus. D’Oustrac setzt hier eine Vielzahl von Farben und Ausdrucksfacetten ein – flüstert, seufzt, haucht und schimpft. Bemerkenswert ist die resolute tiefe Lage, die auch einer Sorceress oder Witch in Purcells Dido gut anstehen würde. Das zweite Stück betrifft die Arie „From Rosy bow’rs“ aus Don Quixote, in welcher irrlichternde Melismen ertönen.
Auch George Frideric Handel ist vertreten. In seiner italienischen Kantate „Ah! crudel nel pianto mio“ hat die Solistin in drei Arien Gelegenheit, wechselnde Gemütszustände zu reflektieren – Schmerz, Hoffnung und Zorn in larmoyanter oder verwirrter Gebärde. Bernd Hoppe