Auf den Spuren von Régine Crespin

 

In der Aufnahmetätigkeit des Palazzetto Bru Zane ist die französische Sopranistin Véronique Gens eine feste Größe. In Zusammenarbeit mit dem Label ALPHA CLASSICS erschienen schon mehrere Einspielungen mit ihr – vor allem mit französischen mélodies, die in den Salons der Belle Époque erklangen. In diesem Genre ist sie – neben ihrem Einsatz für Barockopern oder die Werke Mozarts – eine Spezialistin. Davon zeugt auch die neueste Veröffentlichung mit dem Titel Nuits (ALPHA 589), wo sie in vier Abschnitten die Nacht in all ihren Emotionen besingt. Die Sängerin wird hier zur Diseuse und zeigt sich als legitime Nachfolgerin der großen  Régine Crespin, die in diesem Metier Maßstäbe gesetzt hat. Begleitet wird sie vom fünfköpfigen, 2012 gegründeten Ensemble I Giardini, das die Lieder in eine neue, kammermusikalische Form gegossen hat. Es steuert auch drei Instrumentalstücke bei und erweist sich dabei als Meister der Farben und Stimmungen.

Die erste Abteilung ist überschrieben „Crépuscule. Nuit d’amour“. Die Gruppe mit drei Titeln wird eröffnet von Guillaume Lekeus „Nocturne“ aus seinen Trois Poèmes. Die Stimmung der Dämmerung fängt die Sopranistin mit träumerischem Ausdruck und fein gesponnenen Linien ein. Gabriel Faurés „La lune blanche“ ist von ähnlicher Atmosphäre und fügt sich passend in diesen Block. Es folgt als eines der bekanntesten Lieder der Anthologie „L’ile inconnue“ aus Hector Berlioz’ Zyklus Les Nuits d’été. In dieser Komposition von aufgeregt-hastigem Duktus klingt die Stimme etwas herber und in der Höhe gespannter.

Die zweite Abteilung „Rêve. Nuit d’ailleurs“ beginnt mit Fernand de la Tombelles instrumentaler „Orientale“, die in ihrer flirrenden Stimmung einen erotischen Traum wiedergeben könnte. Jules Massenets „Nuit d’Espagne“ atmet sinnlich-mediterranes Flair und Gens klingt hier besonders verführerisch. Dazu passt Camille Saint-Saëns’ „Désir de l’Orient“ in seinem fremdartigen Melos. In solchen leicht hingetupften Stücken erweist sich Gens als Meisterin der Poesie und Melodie.

Die dritte Abteilung, „Cauchemar. Nuit d’angoisse“, eröffnet Ernest Chaussons bekanntes „Chanson perpétuelle“, das in seinem wehmütig-träumerischen Kolorit den Sopran zu wunderbarer Wirkung kommen lässt. Danach folgt der zweite Instrumentaltitel, Franz Liszts „La lugubre gondole“ für Cello und Klavier, welches in seiner tristen Stimmung Todessehnsucht suggeriert. Mit „Ceux qui, parmi les morts d’amour“ aus Guy Ropartz’ Quatre poèmes hört man eine veritable Rarität und die Interpretin mit verinnerlicht-schmerzlichen Tönen. Faurés berühmtes „Après un rêve“ komplettiert diesen Block und auch hier trifft Gens genau die Melancholie und Sehnsucht der Komposition.

Natürlich dürfen in Liedern der Nacht Trunkenheit und Rausch nicht fehlen. Und so lautet der Titel der letzten Abteilung „Ivresse. Nuit de fête“. Eröffnet wird sie mit dem dritten Instrumentaltitel, dem stürmischen „Molto vivace“ für Klavierquintett von Charles-Marie Widor. Unsterblich wurde Marcel Louiguys Komposition „La Vie en rose“ durch Edith Piaf. Véronique Gens hält dem großen Vorbild stand mit einer Interpretation voller Duft und Delikatesse. Auch den leicht frivolen Ton von André Messagers „J’ai deux amants“ trifft sie genau, hält die Balance zwischen Eleganz und Anzüglichkeit. Mit Reynaldo Hahns „La dernière valse“ endet die Sammlung in melancholischer Stimmung. Für Freunde der mélodie française ist sie eine echte Fundgrube. Bernd Hoppe

 

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