2015 kam nach Vaccajs Schillervertonung La Sposa di Messina (2009 in Wildbad) mit der Deutschen Erstaufführung der Oper Nevesta Messinska (Die Braut von Messina) von Zdeněk Fibich eine der bedeutendsten Opern der tschechischen Romantik im Theater Magdeburg zur Aufführung. Bildhaftigkeit und Suggestivkraft sind die hervorstechenden Merkmale der Musik von Zdeněk Fibich (1850 – 1900), der – in der Tradition eines Smetanas stehend – neben Dvořák zu den prägenden (heute) tschechischen Komponisten des alten K. u. K.-19. Jahrhunderts gehört. Musikalisch wie dramaturgisch von Wagners Musikdramen beeinflusst, schuf Fibich mit der Braut von Messina ein durchkomponiertes Werk, das aufgrund seines deklamatorischen Stils als Höhepunkt der tragischen (heute) tschechischen Oper gilt.
Operalounge.de brachte zu diesem Anlass einer „vergessenen Oper“ einen langen Beitrag zum Komponisten und zur Braut von Messina Fibichs, die bei cpo als CD mitgeschnitten wurde und immer noch im Programm ist. Matthias Käther rezensierte zudem die Neuaufnahme bei uns.
Nun hat sich Daniel Hauser nachstehend daran gemacht, den beachtlichen Schub von Fibichs sinfonischen Werken bei Naxos unter Marek Stilec zu besprechen und rundet damit unsere Präsentation eines der bedeutendsten böhmischen Komponisten ab, der wie viele seiner Landsleute und weiteren des slawischen Raums bei uns in Deutschland und im deutschsprachigen Raum beklagenswert unbekannt und fern der Konzerthäuser geblieben ist. Gerade in Corona-Zeiten wäre eine Auswahl eben auch seiner Werke zumindest im Radio und Fernsehen wünschenswert und musikalisch neue Aspekte vermittelnd. G. H.
Wer an die großen böhmischen Komponisten des 19. Jahrhunderts denkt, dem werden unweigerlich die unvermeidlichen Namen Bedřich Smetana (1824-1884) und Antonín Dvořák (1841-1904) auf der Zunge liegen. Dies hat gute und nachvollziehbare Gründe, doch unterschlägt es den großen Dritten, der selbst dem geneigten Klassikhörer nur vom Hörensagen ein Begriff sein dürfte. Die Gründe, wieso dieser Dritte, nämlich Zdeněk Fibich (1850-1900), so völlig ungerechtfertigt von den beiden anderen verdrängt wurde, sind gar nicht so einfach zu eruieren. Es einzig auf seinen frühen Tod zu schieben, verfängt nicht recht. In kaum einer musikalischen Gattung war Fibich nicht tätig. Besondere Geltung erlangte er freilich durch sein Opernschaffen [nicht weniger als acht an der Zahl, wobei gerade Die Braut von Messina (Nevěsta messinská), Der Sturm (Bouře) und Šárka Berühmtheit erlangten] und seine vielfältige Orchestermusik. Letzterer widmet sich Naxos seit bald einem Jahrzehnt, und kürzlich konnte mit Vol. 5 die Weltersteinspielung der kompletten Orchesterwerke von Fibich vollendet werden (Naxos 8.572985, 8.573157, 8.573197, 8.573310 sowie 8.574120). Verantwortlich zeichnet der junge, in Prag geborene Dirigent Marek Štilec mit dem erst 1993 gegründeten Tschechischen Nationalen Sinfonieorchester, welches die Orchesterlandschaft in Prag weiter bereichert hat.
Eine wirklich vollständige Gesamteinspielung all dieser orchestralen Kompositionen lag bisher, wie gesagt, nicht vor, was allerdings nicht bedeutet, dass man sich in Tschechien bzw. davor in der Tschechoslowakei nicht mit Fibich auseinandergesetzt hätte. Sicherlich, verglichen mit Smetana und Dvořák ist die Diskographie vergleichsweise überschaubar, doch erscheint es mir notwendig, auf den bisherigen Stand der Dinge zurückzublicken. Das Hauptverdienst kommt ganz ohne Frage dem Label Supraphon zu. Bereits Anfang der 1950er Jahre wagte sich Karel Šejna mit der Tschechischen Philharmonie an ein Fibich-Projekt, das die drei Sinfonien sowie zwei Tondichtungen umfasste (Supraphon SU 3618-2 902). Diese Interpretationen waren maßstäblich, obschon einzig die dritte Sinfonie von 1961 bereits in Stereo eingespielt wurde. Daher ist Šejna heute auch keine Standardempfehlung mehr. Dieser Rang kommt bezüglich der Sinfonien eigentlich eher den zwischen 1976 und 1984 entstandenen Supraphon-Produktionen der Brünner Philharmoniker unter Petr Vronský (Sinfonie Nr. 1 sowie Tondichtung Bouře), Jiří Waldhans (Sinfonie Nr. 2) und Jiří Bělohlávek (Sinfonie Nr. 3) zu. Eigentlich deshalb, da sie beinahe unbekannt und auf CD nur in Koproduktion mit dem japanischen Label Denon überhaupt komplett erschienen sind (Supraphon/Denon 32CO-1091 und 32CO-1256). Daneben wurden 1983 einige weitere Orchesterwerke mit dem Prager Rundfunk-Sinonieorchester unter František Vajnar (Supraphon/Denon 33C37-7909) sowie 1984 mit dem Prager Sinfonieorchester unter Vladimír Válek (Supraphon 11 1823-2 011) in vorbildlichen Darbietungen eingespielt. Als weniger geglückt muss die von Orfeo verantwortete Produktion der Tschechischen Philharmonie unter Gerd Albrecht bezeichnet werden, welche vor allen Dingen die dritte Sinfonie enthält (Orfeo C 350 951 A). Albrechts Chefdirigentenzeit in Prag verlief bekanntlich sehr spannungsreich, was hier womöglich auch künstlerisch durchschlägt. Ferner existieren Gesamtaufnahmen der Opern Die Braut von Messina unter František Jílek von 1975 (Supraphon 11 1492-2 612) und Šárka unter Jan Štych von 1978 (Supraphon SU 0036-2 612); zu letzterer gesellt sich eine Mitschnitt des RSO Wien unter Sylvain Cambreling von 1998 (Orfeo C 541 002 H) und natürlich der Mitschnitt der Magdeburger Aufführung von 2015 bei cpo (cpo 7136657). Sogar das dreiteilige monumentale Melodrama Hippodamia, zu welchem Fibich die Musik beisteuerte, hat man zu ČSSR-Zeiten unter Jaroslav Krombholc und František Jílek komplett eingespielt (Supraphon SU 3031-2 612, SU 3033-2 612 und SU 3035-2 612).
Das ist eine ganze Menge, die interpretatorisch und überwiegend auch klanglich noch heute höchsten Ansprüchen genügt. Was nun allerdings die Naxos-Neueinspielungen absolut rechtfertigt, ist die schlechte Verfügbarkeit der oftmals seit Jahren vergriffenen vorgenannten Aufnahmen. Erstmals ist durch diese fünf Volumes umfassende Serie eine leicht greifbare und zudem preiswerte Möglichkeit gegeben, sich eingehend mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Eine Beschäftigung, die sich tatsächlich lohnt, erscheinen mir zumindest die Sinfonischen Dichtungen Fibichs nicht nur auf derselben Höhe wie jene von Smetana und Dvořák, sondern teilweise diesen gar überlegen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Toman und die Waldnymphe, eine Thematik, dem sich später in ähnlicher Weise auch Jean Sibelius annehmen sollte, sowie die nationalistischer angehauchte Tondichtung Záboj, Slavoj und Luděk. Aber auch die etwas leichteren Stücke wie die Ouvertüre Eine Nacht auf Karlstein mit ihrem Mendelssohn-artigen Tonfall sollten nicht unterschlagen werden. Von den drei Sinfonien ist die dritte sicherlich die wichtigste, obgleich sie allesamt ihre Meriten aufzuweisen haben. Nun ließe sich trefflich darüber debattieren, ob die zwischen 2012 und 2019 entstandenen Neueinspielungen die bisher vorliegenden toppen. Tontechnisch profitieren sie ohne Frage von der hier von Naxos erzielten Klangbalance, welche die frühen, zuweilen wenig überzeugenden Versuche zu Anfangszeiten dieses Labels vergessen macht. Die durchweg schlüssigen Tempi, die Štilec anschlägt, orientieren sich jedenfalls stark an den älteren Produktionen. Von Fall zu Fall wird man diesen oder eben den neuen den Vorzug geben. Die dem tschechischen Theologen und Bischof Johann Amos Comenius gewidmete feierliche Festouvertüre etwa kommt in der Supraphon-Einspielung unter Válek noch etwas bezwingender herüber. Aber all dies sind eher Nuancen als wirklich feststellbare Qualitätsunterschiede.
Bei Naxos bewusst ausgespart wurden im Rahmen dieser Reihe diejenigen Werke, die eine Gesangsbeteiligung aufweisen, so die hörenswerte Kantate Frühlingsromanze für Solisten, Chor und Orchester. Nicht ganz konsequent ist auch, dass die reine Orchestermusik aus Fibichs Opern nur teilweise berücksichtigt wurde. So sind zwar die Ouvertüre zu Šárka, die Ouvertüre zum dritten Aufzug von Der Sturm (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, ebenfalls enthaltenen Tondichtung) und der Trauermarsch aus Die Braut von Messina inkludiert worden, wurde aber die phänomenale Ouvertüre zu Fibichs letzter Oper Der Fall von Arkona ausgespart – womöglich aufgrund des prominenten Orgeleinsatzes am Ende. Wer diese hören will, muss zwangsweise auf die alten Aufnahmen zurückgreifen. Tatsächlich ist der Kompositionsstil Fibichs irgendwo zwischen der nationalen böhmischen Schule (zumal in den großen dramatischen Stücken) und den Bewunderern Richard Wagners anzusiedeln. Und doch ist Fibichs Musik gänzlich eigenständig, wobei sein Sinn für Theatralik unverkennbar durchscheint. Dass er sich außerdem für bedeutende Ereignisse der im Werden begriffenen tschechischen Nation durchaus bereitwillig zur Verfügung stellte, beweisen die hier erstmals vorgelegten kurzen, aber nicht uninteressanten Tableaux zur Eröffnung des Neuen Tschechischen Theaters (1876), zur Errichtung des Nationaltheaters (1881), zur Wiedereröffnung desselben (1883) sowie zum 300. Geburtstag des bereits genannten Comenius (1892).
Alles in allem eine ungemein bedeutende Bereicherung für die Diskographie, die gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann, weiß sie doch sowohl in künstlerischer als auch in klanglicher Hinsicht auf ganzer Linie zu überzeugen. Die Naxos-typisch knappen, lediglich englischsprachigen Textbeilagen sind darüber verschmerzbar. Daniel Hauser