Archiv für den Monat: September 2019

Mercadantes „Didone abbandonata“

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Eine Produktion der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik vom Vorjahr veröffentlicht Naxos auf DVD (2.110630). Mit Saverio Mercadantes Dramma per musica Didone abbandonata widmet sich das Festival, sonst vor allem auf die Epoche des Barock konzentriert, erstmals dem Zeitalter des Belcanto. Mercadante stammt aus Altamura in Süditalien und studierte in Neapel Komposition bei Niccolò Antonio Zingarelli, der auch Bellini unterrichtet hatte. Zwischen 1819 und 1866 schuf er mehr als sechzig Opern, Didone abbandonata stammt aus seiner frühen Schaffensperiode.

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Unseren Lesern von operalounge-de ist der wegen seiner musikwissenschaftlichen Artikel renommierte Autor Michael Wittmann kein Unbekannter. Er hat jedoch starke Einwände gegen die Edition dieser Mercadante Oper (wie sie sich bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck gegeben wurde und nun auf die Naxos-DVD gelangt ist). Diese Vorbehalte wollen  wir im Folgenden mit seiner freundlichen Erlaubnis hier wiederholen: Anmerkungen zur modernen Erstaufführung von Saverio Mercadantes Oper Didone abbandonata. 

Wieder einmal gilt es, die moderne Erstaufführung einer Oper Saverio Mercadantes zu würdigen. In diesem Fall diejenige der Didone abbandonata, die am 10. August 2018 im Rahmen der Festwochen der Alten Musik in Innsbruck stattgefunden hat. Grundsätzlich ist ein solches Ereignis natürlich zu begrüßen, auch wenn in diesem Fall das Werk in die Hände eines Ex-Opernintendanten fiel, der aus der Handlung ein beliebiges Stück Euro-Trash gemacht hat. (Wenn man die hundertste Aufführung der Zauberflöte verhunzt oder die tausendste Carmen ist das zwar immer noch ein Ärgernis, aber wenn man die Augen schließt, erträglich. Bei einer unbekannten Oper bleibt so etwas unverzeihlich.

Aber auch diese Edition der Oper ist fragwürdig. Jedenfalls hat man es versäumt, den aktuellen Forschungsstand in Sachen Mercadante zur Kenntnis zu nehmen. Wie anders wäre es zu erklären, daß als Librettist der Oper Andrea Leone Tottola genannt wird, was nun längst widerlegt ist und überdies die heutige Rezeption der Oper in völlig falsches Fahrwasser lenkt, (wie die inzwischen eingegangenen Zeitungskritiken anschaulich beweisen). Tatsächlich hat Mercadante die Oper de facto zweimal komponiert.

Die erste Version war für das Teatro Regio in Turin bestimmt, wo sie am 18. Januar 1823 erfolgreich ihre Premiere erlebte und andernorts mehrfach nachgespielt wurde: 1823: Torino, Lucca, Milano, Palermo 1824: Genova, Mantova, Palermo, Vicenza 1825: Cremona, Firenze, Palermo, Piacenza 1826: Ravenna, Milano, 1827: Lisboa, London, Milano, Venezia 1828: Genova, Verona, 1830: Firenze, 1832: Brescia, 1833: Ferrara. Die zweite Version war für das Teatro San Carlo Neapel bestimmt und erlebte dort seine Premiere am 31. Juli 1825. Die Chronik verzeichnet lediglich eine einzige Wiederholung, dann verschwand diese Version vollkommen von der Bühne. Trotzdem ist diese zweite Version musikhistorisch eigentlich bedeutsamer.

Mercadantes „Didone abbandonata“: „The Death of Dido“/ Jushua Reynolds (1668-1723)/ Wiki

Mercadante hatte 1819 mit L’apoteosi di Ercole an San Carlo in Neapel seinen Einstand als Opernkomponist gegeben. Rasch folgten Aufträge für Rom, Bologna, Mailand und Venedig. Als letztes der großen Opernhäuser trug ihm das Teatro Regio in Turin an, eine Oper für das Haus zu komponieren. Piedmont war in den 1820er Jahren ein Hort politischer Restauration, in der die Zensur strenger gehandhabt wurde, als in Neapel. Das schlug auch auf den Opernbetrieb durch. Das Teatro Regio brachte pro Saison zwei Neuinszenierungen: eine Turiner Erstaufführung und eine Uraufführung. Auf Wunsch des Königs musste dazu ein altes Libretto von Metastasio oder Zeno neu bearbeitet werden. Die Direktive war dabei, soviel Originaltext wie möglich zu erhalten. Das betrifft normalerweise die Rezitative. Nur die Arien mussten neu verfasst werden, da Metastasio ja vor allem Texte für Da-Capo-Arien geschrieben hatte. Es galt also die Textvorlage für Chöre, Duette und Ensembles zu schaffen, auf die man musikalisch nicht verzichten wollte. Das erzeugte von vornherein Libretti, die durch ihren hybriden  Charakter nicht unproblematisch waren. Meyerbeer vertonte so für Turin Metastasios Semiramide riconosciuta (1819), Mercadante Didone (1823), Nitocri (1824) und Ezio (1827). Bellini hingegen weigerte sich, einen solchen Auftrag anzunehmen, auch wenn man mir dafür das halbe Königreich geben würde. Die gedruckten Libretti nennen keinen Autor, jedoch war es wohlbekannt und wurde von Alberto Basso in seiner monumentalen Monographie zum Teatro Regio vielfach belegt, daß dafür der Grancamerlengo des Hofes, Conte Piosasco, zuständig war. Insofern stammt der Text der jetzt in Innsbruck aufgeführten Didone von diesem Autor/Bearbeiter. Andrea Leone Tottola kommt erst mit der zweiten Version der Oper ins Spiel, die 1825 in Neapel uraufgeführt wurde.

Mercadantes „Didone abbandonata“: „La Mort de Didon“ von Joseph Stallaert/ Franz. Wikipedia

Für die Fassung in Neapel wurden umfangreiche Änderungen vorgenommen. Das betrifft hauptsächlich die Musik, teilweise aber auch das Libretto. So insbesondere vier Nummern, die in Neapel komplett neu eingefügt wurden. Auch das gedruckte Libretto in Neapel nennt keinen Textautor. Die Zuschreibung zu Tottola ergibt sich ausschließlich durch einen Eintrag in die autographe Partitur der Oper mit der Signatur Nc. Rari 3-5-18/19, die die neapolitanische Fassung enthält. Der Eintrag weißt die charakteristischen Handschrift von Francesco Florimo, dem langjährigen Bibliothekar der Bibliothek, auf. Er verweist darauf, daß die vorliegende Partitur die Redaktion für Neapel mit der Tosi als Didone enthalte und erwähnt beiläufig auch Tottola als Textredaktor. Das kann man so missverstehen, daß Tottola den Text schon für Turin redigiert habe. Aber das ist, wie gesagt, durch die Forschungen von Bassi widerlegt. Glaubwürdig ist hingegen, daß er die Redaktion für Neapel übernommen hat, denn auch die Umarbeitung von Scipione in Cartagine zu Gli sciti und von Il podestá di Burgos zu Il Signore del Villaggio stammt aus seiner Feder. Vor allem aber war Tottola ein Librettist, der mit Rossini zusammengearbeitet hat und das gerade in dessen experimentellen neapolitanischen Opern. Und das war exakt das, was Mercadante 1825 benötigte.

Mercadantes „Didone abbandonata“: Enée avant Didon“  von Guerrin im Pariser Louvre/ Wikipedia

Wie schon geschrieben hat Mercadante binnen vierer Jahre (1819-1823) alle italienischen Opernbühnen von Rang im Sturm erobert. Barbaja berief ihn daher 1823 als Nachfolger Rossinis zum Hauskomponist am San Carlo in Neapel. In dieser Funktion machte Mercadante allerdings keine glückliche Figur. Besonders desaströs war sein mißglückter Wien-Aufenthalt im Sommer 1824. Barbaja hatte ihn werbeträchtig als Nachfolger Rossinis angekündigt. Auf die Funktion bezogen traf das ja auch zu, aber nicht auf die Komposition. Die Wiener Kritik stellte einhellig fest, dass Mercadante musikalisch im Grunde eine Kind der Scuola napoletana war, der sich an Cimarosa orientierte mit gelegentlichen Crescendo-Einschüben a´ là Rossini. Von einer echten Rezeption oder gar Erweiterung von Rossinis wegweisenden neapolitanischen Opern könne keine Rede sein. Ein Blick in Mercadantes frühe Partituren bestätigt dieses Urteil: überdies entsprach dies auch genau den Erwartungen, die sein Lehrer Zingarelli an seine Schüler stellte, da er Rossini eher für einen Ausrutscher, denn für einen Gewinn der Musikgeschichte ansah. Mercadante hat sich den Misserfolg in Wien sehr zu Herzen genommen, sich vom Einfluss seines Lehrers frei gemacht und versucht, sich ernsthaft und produktiv mit Rossinis Opernstil auseinanderzusetzen. Das erste Experiment in dieser Richtung war eben die Neubearbeitung der Didone für Neapel, der im selben Jahr 1825 noch Ipermestra I und Erode folgen sollten. Alle drei Opern, die wenig erfolgreich waren, sind Vorstudien für die Anfang 1826 in Venedig uraufgeführte Donna Caritea, die einen überwältigenden Erfolg erzielte und mit der Mercadante sich quasi neu erfunden hat. . In diesem Sinne lohnt es sich, beide Versionen einem genaueren Vergleich zu unterziehen.

Allein schon der Aufbau zeigt die vertiefte Auseinandersetzung Mercadantes mit Rossinis neapolitanischem Opernstil: Wichtiger als die textliche Bearbeitung und Erweiterung der Turiner Didone ist dabei freilich die Neubesetzung der Rollen. Aus dem Tenor Jarba in Turin wird in Neapel ein Baß, aus dem Musico/Alt Enea ein Tenor. Lediglich Didone bleibt ein Sopran. Mercadante entledigt sich dieser Aufgabe nicht allein mit den allfälligen Transpositionen, sondern nimmt die Aufgabe zum Anlass, das melodische Material auch in den hier als Übernahme klassifizierten Teilen nahezu Takt für Takt hinsichtlich Verzierung und Harmonik einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Da die Hauptrolle von Adelaide Tosi übernommen wurde, die zwar auch Sopran, vor allem aber Primadonna war, hat Mercdante deren Partie gleich ganz neu komponiert. Bemerkenswert ist auch, dass er gegenüber Turin das Orchester wesentlich stärker besetzt hat. Zudem wurde der Männerchor in Turin in Neapel durch einen gemischten Chor ersetzt. Der wichtigste Unterschied zeigt sich aber in den Nummern, die komplett gestrichen wurden. In Turin ist die Oper so angelegt, daß die drei Hauptprotagonisten je eine Cavatine und eine Arie erhalten, die drei Nebenfiguren je eine kürzere Arie. In Neapel treten die Nebenfiguren nicht mehr solistisch in Erscheinung. Dafür gewinnen die zwei Hauptpersonen an Gewicht. Didone und Enea singen eine Cavatina und eine große Scena ed Aria, Jarba muss sich mit zwei Duetten begnügen. Insgesamt gibt es drei Duette, die die Kombinationsmöglichkeiten von S,T,B durchdeklinieren. Schließlich gibt es für alle drei Stimmen ein großes Terzett. D.h. die neapolitanische Didone ist ein Drei-Personen-Stück, bei dem Solonummern und Duett-/Terzett- Nummern im ausgewogenen Verhältnis stehen und in ihrem stringenten Aufbau das Libretto von Bellinis Il pirata (als Paradigma eines melodrama romantico) exakt vorwegnehmen.

Mercadantes „Didone abbandonata“: Saverio Mercadante/ Gemälde von Cefaly/ Wiki

Ein Wort auch noch zur einleitenden Sinfonia: In Turin besteht diese Einleitung aus drei Sätzen. Nr. 1 + 2 sind aus Mercadantes komischer Oper Il geloso ravveduto übernommen, Satz Nr. 3 aus seinem Scipione in Cartagine. Die Einleitung der neapolitanischen Didone besteht aus Adagio und Allegro. Die ersten 12Takte sind neu komponiert, dann münden diese in die Sinfonia von Nitocri (1824), die dann auch in Donna Caritea (1826) wiederverwendet wurde. Daß Mercadante in Neapel das Orchester sehr erweitert hat, wurde schon bemerkt. In den 1830er Jahren war er begierig, das Serpent durch die Ophicleide oder das Glycibarifono oder Cor basso zu ersetzten. Und als er 1840 selbst Direktor des Konservatoriums wurde, legte er großen Wert darauf, die Ausbildung der künftigen Orchestermusiker zu verbessern, damit diese den gestiegenen Anforderungen in den modernen Opernorchestern gerecht werden können. Insofern darf man vermuten, dass er selbst eine Ausführung seiner Musik mit historischen Instrumenten eher kritisch gesehen hätte. Michael Wittmann

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Bernd Hoppe bespricht die Aufnahme aus Innbruck: Da in Pietro Metastasios Libretto nur Rezitative und Arien wechseln, beauftragte Mercadante Andrea Leone Tottola, dieses neu zu formen, Duette, Terzette, Finali und Chöre einzubauen. In Didone handelt es sich um einen Männerchor, der Enea begleitet, die kriegerische Schar des Jarba darstellt und zudem das Geschehen kommentiert wie in der griechischen Tragödie.

Mercadantes „Didone abbandonata“ von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2018 bei Naxos

Alessandro De Marchi, Dirigent der Aufnahme und Künstlerischer Leiter des Festivals, geht im Booklet auf die Herausforderung ein, eine Oper Mercadantes aufzuführen, und betont die Notwendigkeit, sie im Originalklang wiederzuentdecken. Mit seiner Academia Montis Regalis gelingt ihm dann auch ein federnder, transparenter Klangteppich, der den Sängern hilft, ihre fordernden Partien zu bewältigen. Das an Bellini erinnernde Melos der Sinfonia formt er kantabel aus, ebenso die lyrischen Soli der Sänger. Souverän hält er das Ensemble bei den Turbulenzen des Finale I zusammen.  Der Coro Maghini (Claudio Chiavazza) singt „Vieni, ed i numi“ zu Beginn des 2. Aktes  majestätisch und hat auch am dramatischen Finale gewichtigen Anteil.

Die Titelrolle hält der Dirigent für schwieriger als Bellinis Norma oder die Königinnen Donizettis. Der legendäre Gesangslehrer Manuel García bezeichnete das für die Partie benötigte Stimmfach als soprano assoluto, da sie sowohl lyrische als auch dramatische Fähigkeiten erfordert, Extremtöne bereithält und selbstverständlich virtuose Koloraturläufe. In Innsbruck stellte sich die litauische Sopranistin Viktorija Miskunaité dieser Herausforderung. Schon ihre Auftrittskavatine „Vedi, mio ben“, welche marschierende Soldaten in Khaki-Uniformen akustisch und optisch stören, ist ein Prüfstein wegen der vertrackten Koloraturen und Extremtöne. Das Timbre des Soprans ist nicht sonderlich individuell und sehr hell, aber die vokale Bewältigung der Partie nötigt Respekt ab. Ihre mehrteilige Scena e Rondò finale beschließt das Werk, den existentieller Schlussszenen einer Norma und Medea vergleichbar. „Dèi clementi“ ist ein ergreifendes Lamento, „Va crescendo“ ein tranceartiges Feuerwerk der Koloraturen hinauf bis in die Extremlage. Bevor sie sich das Leben nimmt, tötet sie auch Enea, um seine Flucht zu verhindern.

Dieser ist die zweite Hauptrolle des Werkes und wurde vom Komponisten als Travestierolle konzipiert, obwohl in seinen vorangegangenen Opern Andronico und Alfonso ed Elisa der berühmte Kastrat Giambattista Velluti die zentralen Partien übernommen hatte. (Bei den Salzburger Pfingstfestspielen vor drei Jahren hatte sich der argentinische Counter Franco Fagioli in einem Konzert dem legendären Sänger gewidmet.) Bei der Uraufführung der Didone in Turin 1823, im selben Jahr wie Rossinis Semiramide, sang die italienische Mezzosopranistin Fanny Eckerlin, die auch in vielen Opern Donizettis auftrat, den Enea. In Innsbruck war es die deutsche Mezzosopranistin Katrin Wundsam, die im ersten Auftritt, „Addio, felice sponde“, einen hohen Mezzo mit gut angebundener Tiefe hören lässt. Ihr Vortrag ist emphatisch, die Stimmführung agil. Bei der stabilen hohen Lage wirken einige Spitzentöne grell. Eneas Duett mit Didone im 2. Akt, „Ah, non lasciarmi“ erinnert an die berühmten Sopran/Mezzo-Duette Rossinis, ist wegen der reichen Ornamentierung von virtuosem Anspruch, was beide Sängerinnen Respekt gebietend erfüllen. Eneas nachfolgendes Rondò „Immagin del mio bene“ mit dem bravourösen Schlussteil „A trionfar mi chiama“ stellt die technischen Fähigkeiten der Interpretin aus.

Dritte Hauptrolle ist der Maurerfürst Jarba, der mit seinem Vertrauten Araspe eintrifft und Didone einen Heiratsantrag macht, den sie zurückweist. Der Innsbrucker Interpret ist der italienische Tenor Carlo Vincenzo Allemano, in Turin geboren und somit in einer Verbindungslinie zum in dieser Stadt uraufgeführten Werk. Auch Jarba führt sich mit einer Auftrittskavatine, „A Dido il re de’ Mori“, ein, gleichfalls gespickt mit Koloraturen und von schwärmerischer Linie. Die Partie wurde für einen baritenore komponiert, bewegt sich vorwiegend in mittlerer Lage. Allemanos Stimme ist passend baritonal getönt und von heroischem Charakter, was dem Cabaletta-artigen Schlussteil der Arie, „Superbo di me stesso“, gut ansteht. Der Sänger singt mit Emphase und Aplomb. Sein ausgedehntes, aus vier Teilen bestehendes Duett mit Didone, „Son regina, son amante“, ist ein schmachtendes Liebesgeständnis seinerseits, während sie auf ihrer Treue zu Enea beharrt. Die Nummer durchmisst von lyrischen Passagen bis zu bewegten Koloraturabschnitten eine weite vokale Spanne, wie auch das sich anschließende Duett mit Enea, „Quando saprai chi sono“. Allemano erweist sich konditionell diesen Anforderungen imponierend gewachsen. Gegen Ende des Werkes, vor dem Rondò finale der Titelsängerin, hat auch er noch ein Rondò zu absolvieren. Hier demonstriert er seine Macht, Karthago zu zerstören. Zur stimmlichen Vehemenz steht das alberne, vom Regisseur verordnete Gebaren des Sängers in krassem Widerspruch. Alle drei Protagonisten vereinen ihre Stimmen im dramatischen Terzett „So che gli affetti miei“, das Didone mit flammenden Spitzentönen dominiert.

Mercadantes „Didone abbadonata“ bei den Festwochen der Alten Musik Innsbruck 2018,/ Foto Festwochen der Alten Musik Innsbruck/ Rupert Larl

Ein zweiter Tenor ist Jarbas Vertrauter Araspe, den Diego Godoy wahrnimmt. Die Partie liegt deutlich höher, was sogleich in den Extremtönen seiner ersten Arie, „Tacerò, se tu lo brami“, zu vernehmen ist. Der Sänger stellt sich diesen furchtlos. Recht grob klingt der Bassbariton von Pietro Di Bianco als Osmida, Didones Vertrautem. Seine düstere Arie im 2. Akt, „Fosca nube“, leidet unter trüber Tongebung. Didones Schwester Selene singt Emilie Renard mit kultiviert-jugendlichem Mezzo.

Die geschmäcklerische Inszenierung im Tiroler Landestheater besorgte Jürgen Flimm in Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Magdalena Gut und der Kostümdesignerin Kristina Bell. Sie entwarf für die Titelheldin elegante Abendroben in Weiß und Rot von zeitloser Mode. Die Drehbühne mit Sesseln, Kühlschrank, Betonmischer und drapiertem rotem Vorhang über der Szene ist von kunstgewerblichem Anstrich. Bernd Hoppe

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Michael Wittmann, Musikwissenschaftler von Rang und Mercadante-Spezialist, schrieb seinen Artikel für uns; seine sehr akribische, durchnumerierte Untersuchung hat viele Fussnoten, die wir aus Platzgründen hier nicht bringen können die Red.

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Nicht nur Flórez…

 

Festlich geschmückt präsentierte sich die Geburtsstadt des Komponisten an der Adria anlässlich der 150. Wiederkehr seines Todestages 2018. Der Eröffnungsabend am 11. 8. 2018 galt dem Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide, das es bei den Festspielen erstmals 1990 (mit Wiederaufnahme 1996) in einer Inszenierung von Luca Ronconi gegeben hatte und nun auf DVD bei C-Major vorliegt: 752704 Bluray).

Hier nimmt sich ein Debütant beim ROF, Marshall Pynkoski, dessen Karriere beim klassischen Ballett begann, des Werkes an. Seine Inszenierung könnte aus der Entstehungszeit der Oper, die 1818 im Teatro San Carlo di Napoli uraufgeführt wurde, stammen. Die altmodischen Posen, pathetischen Gesten und als Bilder arrangierte Szenen in Rechts/Links/Mitte-Optik muteten für heutige Sehgewohnheiten seltsam an.  Man könnte diese Ästhetik durchaus goutieren und sich an der prachtvollen Ausstattung erfreuen, machte der Regisseur nicht den fatalen Einfall gehabt, viele Szenen mit tänzerischen Einlagen zu garnieren. Seine Frau Jeannette Lajeunesse Zingg ist für die Choreografie zuständig und hat sich im Stil gewaltig verhoben. Die Tanzeinlagen (auf Spitze!) mit klassisch-romantischem Vokabular, also Arabesquen, Pirouetten und grand jétés, hätten auch aus GiselleCoppelia oder einem Tschaikowsky-Klassiker stammen können, zeigen in keinem Moment eine exotische oder zumindest fremde Atmosphäre.

Gerard Gauci entwarf für die Aufführung hinreißende Bühnenbilder, wie man sie in unseren Breiten nicht mehr zu sehen bekommt – ein osmanisches Zelt, eine Halle mit Empore, deren Ornamentik aus der Alhambra entlehnt sein könnte, ein düsteres Tonnengewölbe, dessen schmale Fensterluken spärliches Licht einwerfen, ein funkelnder Sternenhimmel zum lieto fine. Nicht weniger opulent fielen Michael Gianfrancesco Kostüme aus kostbaren Stoffen, mit reichem Schmuck und kunstvoller Stickerei aus.

In der Besetzung konzentriert sich das Interesse des Publikums vor allem auf Juan Diego Flórez, der in der männlichen Titelrolle debütierte. Seinen ersten Auftritt in einem Kahn zur Kavatine „S´ella mi è ognor fedele“ leiten Tänzer als Matrosen und  Fahnenschwenker effektvoll ein. Der Tenor scheint im Klang etwas dumpfer als erinnert, vor allem der Höhe fehlt es an Glanz. Im 2. Akt kann man im Duett mit Zoraide („Ricciardo!… che veggo…“) dann seinen bekannt schwärmerischen Tonfall vernehmen, aber die Stimme klingt zunehmend auch strapaziert.

In der zweiten Tenorpartie des Werkes, Agorante, erlebte man Sergey Romanovsky, der im Vorjahr als Néoclès im Siège reüssiert hatte und nun erneut seine heroische, baritonal timbrierte Stimme hören lässt. Von imposanter Statur und attraktiver Erscheinung im glänzenden Goldmantel besticht er in seiner Auftrittskavatine, „Minacci pur“,  mit trompetenhaften Spitzentönen und triumphierte in der mit acuti gespickten Cabaletta, „Or di regnar“ mit sieghaftem Aplomb. Im Vergleich zum Volumen und der Kraft seiner Stimme nimmt sich die von Flórez geradezu schmal aus.

In der weiblichen Titelrolle kehrte Pretty Yende nach ihrer Amira im Ciro 2016 zum Festival in Pesaro zurück. Sie kann  mit ihrem substanzreichem Sopran besonders in der Schluss-Szene („Salvami il padro almeno“/“Per poco ti calma“) mit zärtlichem Ton und virtuoser Bewältigung der vertrackten Verzierungen gefallen, neigt allerdings zu grellem Klang in der Extremhöhe. Als ihre Gegenspielerin Zomira behauptet sich die Russin Victoria Yarovaya beeindruckend mit klangvollem, dramatisch auffahrendem Mezzo, sorgt im Terzett mit Agorante und Zoraide („Oh amor tiranno!“) für den ersten akklamierten Moment der Premiere. Und mit ihrer Arie „Più non sente“ die sie in schöner Kantilene und mit innigem Ausdruck formte sowie mit feinen Trillern schmückte, macht sie sich zum heimlichen Star der Besetzung.

Als Ircano erinnert Nicola Uliveri mit autoritärem Auftritt in Helm und Rüstung sowie nachdrücklichem Gesang an seine große Zeit in Pesaro. Zuverlässig in den kleinen Rollen Xabier Anduaga als Ernesto mit kompetentem Tenor und Sofia Mchedlishvili als Zoraides Vertraute Fatime mit leistungsfähigem Sopran sowie der Coro del Teatro Ventidio Basso (Giovanni Farina).

Giacomo Sagripanti am Pult des Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai sorgt nach dem elegischen Beginn der Sinfonia mit ihrem kantabel ausschwingenden Horn-Thema für einen straffen musikalischen Ablauf. Bei den  auf der Orchesterumrandung postierten Szenen sowie den beiden Finali brachte er mit fulminanten accelerando-Steigerungen echten Rossini-Drive in die Adriatic Arena. Bernd Hoppe

Von Sintis und/oder Romas…

 

Als wenn die Belastung mit einem ganz und gar political non correct name, der Sinti wie Roma diskriminiert, nicht schon schlimm genug wäre, StraußDer Zigeunerbaron bietet dem erschrockenen Zuschauer und –hörer auch noch wüste Szenen der Kriegsverherrlichung und zumindest einige Prisen Rassismus. Da kann nur Trost spenden und zur Verteidigung einer Aufführung ins Feld geführt werden, dass ausgerechnet ein Mitglied der bewussten Minderheit sich als edelste Personalie herausstellt: die alte Czypra, die nicht nur ihrem Herrn die Treue hält, sondern auch das Geheimnis um ihre vermeidliche Tochter Saffi uneigennützig enthüllt. Man darf also den Zigeunerbaron weiterhin spielen, wenn man sich wie die Macher der CD mit der NDR Radiophilharmonie unter Lawrence Foster gewissenhaft Gedanken über das alles macht, sie im Booklet darlegt, auch bekennt, dass man sein gutes Gewissen der Tatsache verdankt, dass man bei der Aufführung von 2016 die revidierte Fassung von Michael Rat aus dem Jahre 2004 benutzt.

Wie die zwei Jahre später aufgenommene Fledermaus verfügt die Aufnahme vom Zigeunerbaron über ein hochkarätiges Sängerensemble, das teilweise sogar identisch mit der des Flattertiers ist. Nikolai Schukoff, gestandener Opernsänger des dramatischen italienischen Fachs, bringt tenorales Strahlen und unermüdlichen Überschwang auf die beiden CDs, hat ein Lächeln beim Duett „Wer uns getraut“ auf den Stimmbändern und dominiert die Ensembles. Ebenfalls kraftvoll und nicht zu stark karikierend, eher augenzwinkernd gibt Wagnersänger Jochen Schmeckenbacher den Zsupan. Zum Glück keine typische Operettenstimme alten Stils hat Claudia Barainsky, die intonationssicher und klar ein Gewinn für die Aufnahme ist, auch wenn die Höhen manchmal ertrotzt werden müssen. Ebenfalls von der Oper kommt Khatuna Mikaberidze, die eine gar nicht ältlich klingende Czypra singt, vielleicht etwas zu hell timbriert für die Partie ist. Ein typisches Operettensoubrettenstimmchen hat Jasmina Sakr für die Arsena, leidgeprüft klingt der Sopran von Renate Pitscheider für die Mirabella. Heinz Zednik bietet eine halb liebenswerte halb lächerliche Charakterstudie als Sittenwächter Carnero, Markus Brück von der Deutschen Oper Berlin singt den Homonay, bedenkt man dessen Funktion im Stück, fast schon zu schön. Paul Kaufmann, ebenfalls aus Berlin, setzt seinen angenehmen Tenor für Ottokar und Pali ein. Dirigent Lawrence Foster macht den Herold, sorgt aber natürlich vor allem für Schwung, Eleganz und Spannung, so wie der NDR Chor unter Eberhard Friedrich  mit Verve das Geschehen vorantreibt (Pentatone 2 CD  PTC 5186 482Ingrid Wanja   

Grandios

 

Entschieden auf die buffoneske Seite von Berlioz Benvenuto Cellini, als Buffa entworfen und für die Grand Opéra in eine ebensolche umgewandelt, schlug sich Terry Gilliam, als er das Werk nach Art des Hauses an der ENO in englischer Sprache inszenierte. Die original-französische Fassung aus Amsterdam gibt es nun als DVD bei Naxos, und man kommt aus dem Staunen über die komödiantische Phantasie des Regisseurs einfach nicht heraus. Da wird einiges an eindrucksvollem Personal erfunden wie die köstlichen Muhmen im Hause des Balducci mit umwerfend komischer Mimik und Gestik des Missfallens, die Akrobaten, das den Fasching feiernde Volk von Rom, die irren Kneipenszenen oder das Hin- und Hergerissensein des Ascanio, der die Braut Cellinis eigentlich behüten soll und doch der Versuchung, anzubändeln, nicht widerstehen kann. Subtil ist die Personenführung, Derbheit wird nie prollig und Erotisches nie obszön. Dazu kommt ein phantasievolles Bühnenbild, das der Regisseur gemeinsam mit Aaron Marsden entworfen hat, eine wunderbare Werkstatt für Cellini mit herrlichen Skulpturen, das Haus des Balducci wie aus der Renaissance stammend, während die Kostüme von Katrina Lindsay von der Entstehungszeit der Oper inspiriert sind.

Auch wer ein Feind inszenierter Ouvertüren ist, wird von dieser Realisierung voller Witz und Charme entzückt sein. Diese Aufführung zu erleben ist trostreiche Erholung und allerschönste Erbauung nach all dem intellektuell verbrämten Hinterfragen und Umdeuten, das zum täglichen kargen Brot des Opernbesuchers geworden ist.

Der genialen Inszenierung würdig sind die Sängersolisten, die sich mit sichtbarer Lust an der Sache in ihre Aufgaben stürzen. John Osborn singt ein perfektes Französisch, meistert die vertrackte Tessitura der Cellini-Partie scheinbar mühelos und weiß trotz Jux und Tollerei auch die ernsten Momente zur Geltung zu bringen, so mit einem ergreifenden Flehen zum Schluss des Werks. Außerdem ist nicht zu verachten, dass er die richtige Optik für den Künstler und Liebhaber hat. Zauberhaft ist die Teresa von Mariangela Sicilia, anmutig und spielgewandt, wahrhaft dolcissima in Aussehen und Gesang, mit mühelosen Koloraturen und mit feiner Ironie die vorgetäuschte Tugendhaftigkeit darstellend. Urkomisch ist der Fieramosca von Laurent Naouri, allein die Frisur ist ein abendfüllendes Vergnügen, dazu kommt ein geschmeidiger Bariton, besonders wirkungsvoll eingesetzt im „Ah, qui pourrait  me résister?“ Mit markantem Bass singt Maurizio Muraro den Balducci, verleiht ihm dazu eine komische Würde und altväterlichen, drolligen Charme. Ascanio, eine Niklasse ähnliche Partie, wird von Michéle Losier elegant im Couplet und anrührend im Gebet-Duett mit Teresa gesungen. Vorzüglich sind die Comprimari, so der Bernardino von Scott Connor. Raustimmig und eher wie Dschingis Khan als Papst Clemens VII. aussehend, ist Orlin Anasstassov beinahe eine Karikatur, weniger ernst zu nehmender Heilsbringer und betont so die komische Seite des durchaus tragische Momente zeigenden Werks. Dirigent Mark Elder spielt mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra so farbig, so tempo- und spannungsreich, wie es die zauberhafte Optik vorgibt (Naxos 2.110575-76). Ingrid Wanja         

Wahnsinns-Oper

 

Der Sigmunde, Könige von Polen, allerdings keine polnischen Könige, gibt es drei, doch sie alle taugten wohl nicht für das Libretto von Rossinis Sigismondo, der zwischen erfolgreichen Opern wie Tancredi, Italiana und Barbiere bereits bei der Uraufführung in Venedig zum Flop wurde. Es ist die altbekannte Geschichte von der einer Intrige zum Opfer fallenden reinen und treuen Gattin, die durch einen Glückszufall überlebt und auf den Thron und an die Seite des vor Kummer dem Wahnsinn verfallenen Gatten zurückkehrt, und selbst die Urheber des Unrechts können in den Schluss-, der zugleich ein Jubelchor ist, einstimmen. In Pesaro nahm man die vorübergehende Trübung des Geistes der Titelfigur zum Anlass, die Geschichte in einer Irrenanstalt spielen zu lassen. Dem Bayerischen Rundfunk ist die konzertante Aufführung von 2018 und die dabei entstandene CD zu verdanken.

Das Stück wurde, wohl auch wegen der unwilligen Aufnahme durch das Publikum, zum Steinbruch für spätere Opern des Komponisten, so findet sich der Beginn des zweiten Akts des wenig später entstandenen Barbiere wieder, aber auch sonst wird man auf der Suche nach Wiederverwertung fündig. Bemerkenswert ist auch, dass die Tenorpartie die eigentlich umfangreichste, bedeutendste und interessanteste ist, aber nicht die des Titelhelden, sondern, der Tradition entsprechend, die des Intriganten ist.

Der amerikanische Tenor Kenneth Tarver ist ein renommierter Rossinispezialist (der bereits einen Sigismondo aus Wildbad 2016 bei Naxos aufgenommen hat, ein weiterer erschien zudem als Ersteinspielung des Werkes bei Bongiovanni/ G. H.), und seine edel timbrierte Stimme lässt auch bei dieser Aufnahme eher an Almaviva als an einen Brunnenvergifter denken. So gefühlsintensiv wie virtuos meistert er mit gar nicht anämisch klingender Stimme sowohl den temperamentvollen Aplomb seiner Arien wie die verzierungsreichen Cabaletten.

Das Schwanken zwischen umnachteten und wachen Momenten macht Marianna Pizzolato, ohne dabei stilistisch zu stolpern, in der Titelpartie mit androgyn timbriertem, die Rezitative phantastisch ausdeutendem Mezzosopran deutlich. Sie beherrscht die Skala von sanftem Wahnsinn bis zum glutvoll Auffahrenden und krönt das große Duett mit der Gattin mit einer wundervollen Fermate.

Die verfolgte Gattin Aldimira wird von Hera Hyesang Park mit melancholischer Dolcezza, mit sicheren Acuti und leichter Emission der Stimme gesungen. Ein virtuoser Ausbruch und eine besonders schön gesungene A-capella-Stelle sind ihr am Schluss vergönnt.

Herb und unausgeglichen in der Stimmführung gibt Rachel Kelly die Rivalin Anagilda, überaus sonor klingt Il Hong als rächender Vater Ulderico, mehr Geschmeidigkeit wünscht man dem Zenobio von Guido Loconsolo, zuverlässig stützt Gavan Ring als Radoski.

Temperamentvoll stürzt sich der Chor des Bayerischen Rundfunks  besonders als frohes Jägervolk ins musikalische Geschehen, unter Keri-Lynn Wilson trägt das Münchner Rundfunkorchester viel zur Ehrenrettung der mit vielen musikalischen Perlen bestückten Oper des Schwans von Pesaro bei BR Klassik 900327, 2 CD). Ingrid Wanja       

 

Ernst Haefliger zum 100.

 

Im Rückblick erweist sich die Bindung von Ernst Haefliger an die Deutsche Grammophon, das älteste Klassiklabel der Welt, als Glücksfall. Diese Zusammenarbeit hat es ermöglicht, dass die Karriere des schweizerischen Tenors, der am 6. Juli 1919 in Davos zur Welt kam und dort am 17. März 2007 auch starb, in ihrem zentralen Zeitraum dokumentiert ist. Derselbe Geburts- und Sterbeort verheißt Verbundenheit und Verwurzelung. Insofern will es passen, dass er seine wichtigsten Aufnahmen bei nur einer Firma machte. Sie hat ihn anlässlich seines hundertsten Geburtstages mit einer Edition geehrt, die dieses Lebenswerk auf zwölf CDs zusammenzufassen versucht (483 7122). Ob es geglückt ist, wird jeder, der diese Ausgabe erwirbt, für sich entscheiden. Etwas fehlt bekanntlich immer. Anderes ist überflüssig, weil gleich in mehreren Alternativen vorhanden. Mein Eindruck ist durchwachsen.

Erstmals machte Haefliger 1949 auf einer internationalen Bühne auf sich aufmerksam. Bei der von Ferenc Fricsay betreuten Uraufführung von Carl Orffs Antigonae am 9. August in der Salzburger Felsenreitschule sang er den blinden Propheten Tiresias, wenige Tage zuvor, nämlich am 27. Juli an eben diesem Ort, den ersten Geharnischten in der Zauberflöte, die Wilhelm Furtwängler dirigierte. Beide Werke haben sich als Mitschnitte der Radioübertragungen erhalten. Fricsay war nachhaltig beeindruckt von Haefliger. Er hatte seinen Tenor gefunden. „Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge künstlerische Partnerschaft“, bestätigt Michael Haefliger, der Sohn des Tenors im Booklet. Bis zu seinem frühen Tod 1963 betraute ihn der Dirigent mit zahlreichen Aufgaben. Auch Fricsay hatte sich an die Grammophon gebunden. 1952 gingen sie erstmals gemeinsam für die Produktion des Fliegenden Holländer in die zum Studio umfunktionierte Berliner Jesus-Christus-Kirche. Haefliger sang den Steuermann: „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer…“ Das Lied, das zu Wagners populärsten Erfindungen gehört, wurde für die Edition aus der Gesamtaufnahme herausgelöst. Anfang und Ende sind gut abgetrennt, so dass es den Anschein hat, es handele sich um ein Einzelstück. Dieser Eindruck wird durch Haefligers Interpretation noch verstärkt. Er gestaltet die Szene tatsächlich wie ein Kunstlied, das für sich allein steht – ohne musikdramatischen Zusammenhang. Was er darüber hinaus zu singen hat in der Oper wirkt denn nach meiner Beobachtung auch etwas unbeholfen. In seiner Unverwechselbarkeit ist das Timbre bereits voll ausgeprägt. Daran würde Haefliger bis zum Ende seiner langen Karriere stets zweifelsfrei zu erkennen sein. Die Höhe ist offen und frei. Mitunter wirkt der Aufstieg in die oberen Lagen etwas angestrengt. Zwei Nummern aus Massenets Manon von 1962, die etwas unvermittelt auf den Holländer folgen, entfalten ihre betörende Wirkung denn auch eher in der Mittellage, während in der Arie des Chapelou aus Adams Postillion von Lonjumeau „Freunde, vernehmet die Geschichte“ als CD-Erstveröffentlichung die extremen Spitzentöne nur unter größten Anstrengungen hervorgebracht werden. Haefliger bringt den Mut auf, seine Grenzen öffentlich auszutesten. Beide Szenen waren zuerst auf einer von Ernst Märzendorfer geleitetet Arienplatte erschienen. Sie enthielt auch Fentons „Horch die Lerche singt im Hain“ aus Nicolais Lustigen Weibern von Windsor, für die Edition nebst dem Duett mit Anna „Fenton! Mein Mädchen!“ (Catarina Alda) aber aus einem Querschnitt durch die Oper entliehen, den Hans Löwlein dirigierte.

Es hätte sich angeboten, einzelne Platten, die meist nur noch antiquarisch zu finden sind, in ihrer Gesamtheit in die Edition aufzunehmen. Das gilt auch für die lediglich teilweise berücksichtigte von Karl Richter betreute LP mit Arien von Bach und Händel. Dadurch wäre der Anreiz, sich diese Neuerscheinung zuzulegen, womöglich noch größer. Sammler wissen dokumentarische Akribie zu schätzen. In solche Einzelheiten geht das Booklet nicht. Es finden sie zwar alle relevanten Daten zu den einzelnen Werken und Stücken, es werden Produzenten und Tonmeister genannt, was hoch zu schätzen ist. Schließlich haben diese Herren, die meist im Hintergrund blieben, erheblichen Anteil am Gelingen von Einspielungen. Ihr Beruf war zumindest damals eine strenge Männerdomäne. Sind einzelne Arien oder Szenen wie der Holländer-Steuermann Gesamteinspielungen entnommen, bleibt das Begleitheft diese Hintergrundinformation schuldig. Warum eigentlich? Wer sich für solche Zusammenhänge interessiert, muss durch die eigenen Bestände gehen, sein Gedächtnis befragen oder selbst recherchieren.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, sich bei den kompletten Operneinspielungen zu bedienen. Operngesamtaufnahmen, in denen Haefliger mitwirkte, sind oft aufgelegt worden, zuletzt kompakt in einer großen Edition für den ungarischen Dirigenten Ferenc Fricsay. Sie wären am ehesten verzichtbar gewesen. Dennoch gibt es eine ganze CD mit Auszügen aus ZauberflöteEntführung aus dem Serail und Don Giovanni. Für Ferrando aus Cosi fan tutte wurde auf die Einspielung unter Eugen Jochum zurückgegriffen. Introduktion und Arie des Florestan sowie das Duett „O namenlose Freude“ mit Leonore (Leonie Rysanek) aus Beethovens Fidelio werden ebenfalls ohne Verweis auf die berühmte Gesamtaufnahme mit Fricsay zwischen einzelne Arien geklemmt. Der Florestan ist ein Sonderfall für Haefliger. Er hat ihn nie auf einer Bühne gesungen. Offenbar kam es ihm und seinem Dirigenten darauf an, die Dramatik bei allem Verzicht auf äußere Effekte zu verinnerlichen und ganz nahe an die Hörer heranzuführen. Unter den Bedingungen einer Theateraufführung wären diese Feinheiten in der Gestaltung, dieser lyrische Grundduktus kaum zu realisieren. Diesmal finden sich die besonderen Umstände und die Einzigartigkeit der Produktion auch im Booklet erklärt. Autorin Susanne Stähr geht sogar so weit, Haefligers Rollenporträt als „die vielleicht überzeugendste Florestan-Interpretation“ zu nennen, die „es überhaupt gibt. Er deutet den ausgemergelten, desillustrierten Gefangenen, der am Ende seiner Kräfte ist und Hoffnung allenfalls noch im Fieberwahn schöpft, gerade deshalb so ergreifend , weil er auf heldisches Pathos und Stentortöne verzichtet“. Er habe es nicht „nötig, seine prächtiges Stimmmaterial vorzuführen – es stellte sich ganz uneitel in den Dienst des Dramas und der Figur“.

Nicht nur gewisse Opernszenen – zu nennen wären auch noch Arien aus deutsch gesungenen Querschnitten von Rossinis Barbier von Sevilla und Verdis La Traviata – führen in der Edition ein Dasein als Stückwerk. Besonders krass ist die Reduzierung von Mahlers Lied von der Erde mit dem Concertgebouworkest Amsterdam unter Eugen Jochum auf die dem Tenor vorbehaltenen drei Nummern. Händels Messias, 1964 von Karl Richter in deutscher Sprache eingespielt, besteht nur noch aus zwei Arien nebst Rezitativen. Eine vollständige Fricsay-Einspielung von Rossinis Stabat Mater wurde mit der berühmten Tenor-Arie „Cujus animam gementem“, die den Schmelz vermissen lässt, und dem etwas erdenschweren Quartett „Sancta mater, istud agas“, zu dem sich Maria Stader, Marianna Radev und Kim Borg einfinden, beliehen. Detektivischer Spürsinn und Geduld sind gefragt, um die auf einer CD versammelten fünfzehn Arien und Rezitative aus Werken von Bach ihren Quellen zuzuordnen. Auch sie führen zu diversen vollständigen Einspielungen sowie zur großen Kantatensammlung der Archivproduktion, die aus 26 CDs besteht. Lediglich die Kantate Ich armer Mensch, ich Sündenknecht kommt ungeschoren davon, weil sie mit Haefliger nur einen Solisten hat. Auch Bruckners Te Deum unter Jochum, das von Rafael Kubelik betreute Tagebuch eines Verschollenen sowie von Janácek und als einzige Liveaufnahme Zoltán Kodálys Psalmus hungaricus mit Fricsay als Dirigent von 1959 bleiben unangetastet. Sowohl der Tscheche Kubelik und als auch der Ungar Fricsay hatten sich aus gutem Grund dazu entschlossen, die Werke ihrer Landsmänner Janácek und Kodály, die ihnen besonders am Herzen gelegen haben dürften, in deutscher Fassung darzubieten. Sie sollten nämlich vom Publikum, für das sie eingespielt bzw. aufgeführt wurden, auch verstanden werden.

Mit insgesamt sieben CDs bilden Lieder die größte Abteilung der Edition. Sie wird mit Schuberts Schöner Müllerin, begleitet von Jacqueline Bonneau, aus dem Jahr 1959 eröffnet. Es folgt die Winterreise, die zehn Jahre später mit Michio Kobayashi am Klavier in Tokio für die Deutsche Grammophon eingespielt wurde. Daran schließt sich der erst nach Schuberts Tod postum zusammengestellte Schwanengesang an, für den 1965 Erik Werba als Begleiter zur Verfügung stand. Drei Jahre zuvor nahmen beide auch Schumanns Dichterliebe und Beethovens Ferne Geliebte auf. Mir wurde allenthalben deutlich, dass Ernst Haefliger seine sängerischen Stärken in Liedern am besten entfalten konnte. Insofern ist die Gewichtung der Edition zugunsten dieses Genres angebracht. Erscheint die Berliner Pianistin Hertha Klust (1907 – 1970) am Flügel, ist dies wie bei Dietrich Fischer-Dieskau zugleich ein Hinweis auf Aufnahmen aus den fünfziger Jahren. Von zunehmender Schwerhörigkeit geplagt, zog sie sich als Liedbegleiterin relativ früh zurück. 1956 spielten sie Schubert und Brahms, 1959 Schumann, Schoeck, Kodály und Wolf ein, in der Edition auf zwei CDs verteilt. Für mich sind sie die Schatzkammer der Edition. Haefliger klingt sehr sanft und in sich gekehrt. Er lässt die Töne schweben. Die Höhe ist gut eingebunden, der Atem so perfekt kontrolliert, dass die einzelnen Phrasen – getragen vom Klavier – nahtlos ineinander gehen. Bei Schuberts „Jüngling an der Quelle“ lassen die Tasten die Pappeln wallen und flüstern. Selten habe ich das Zusammenspiel von Sänger und Begleitung in solcher Vollendung wahrgenommen wie in der „Waldeinsamkeit“ von Brahms und in den Liedern von Wolf, darunter „Auf einer Wanderung“ und „In der Frühe“. Dass in Mono aufgenommen wurde, gerät zur Nebensache, weil die Kunst über die Technik triumphiert. Rüdiger Winter

Ganz ohne Countertenöre

Leonardo da Vinci ist ein Künstler, von dem fast jeder schon mal etwas gehört hat. Doch es gibt auch einen gleichnamigen Opernkomponisten, der im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts lebte. Leonardo Vincis Werke werden in letzter Zeit immer öfter aufgeführt – nun hat seine Oper Siroe CD Premiere bei Dynamic.

Vinci, einer der populärsten Opernkomponisten seiner Zeit, hatte eine sehr eingängige Musiksprache, ohne je platt zu werden. Der Musikwissenschaftler Reinhard Strohm nannte Vincis Satztechnik einmal verblüffend einfach und seine Melodien klar gegliedert. Wie viele Komponisten der Neapolitanischen Schule stand er auch auf gutem Fuß mit der komischen Oper und ließ die liedhaften, sinnlichen Elemente dieser Werke auch in seine ernsten Werke einfließen, und das mit unendlich größerem Erfolg als sein Kollege Pergolesi.

Speziell beim Siroe, einem Stoff, den auch Pergolesi und Händel vertont haben, zeigt sich aber auch Vincis Achillesferse. Seine Arien sind vielleicht süffiger, eingängiger als die der Konkurrenz, insgesamt erscheint mir aber die Abfolge der Arien selbst hier recht einförmig. Die Affekte selbst sind längst nicht so abwechslungsweich herausgearbeitet wie bei Händel oder Pergolesi. Man sucht hier vergeblich nach den großen kontrastreichen Gewittern, wo die Kaltfront einer lauten Hassarie auf die Hitze einer Liebesklage stößt. Dennoch bleiben Vincis subtiles Gespür für Rhythmik und originelle deklamatorische Phrasen atemberaubend, hartnäckig wiederholte Wortabschnitte in den Dacapo-Arien und originelle melodische Wendungen verweisen schon auf Pioniere der Vorklassik wie Nicolo Jommelli und Johann Christian Bach.

Ganz ohne Countertenöre: Dies ist eine Weltersteinspielung der Oper, doch beileibe nicht die erste Vinci-Oper auf dem Markt. Eine Artaserse von ihm erlangte 2012 eine (für mich) traurige Berühmtheit – diese Aufnahme wurde damals nämlich durchgehend von Countertenören besetzt. Eine Oper mit sechs Countertenören ist eine stilistische Monstrosität (man komme mir nicht mit dem Frauenverbot in Rom – Kastraten waren keine Countertenöre!) 2015 hat die Decca diesen Counter-Schrecken mit Vincis Catone in Utica wiederholt – und ich war völlig verzweifelt, weil ich mich jetzt darauf eingerichtet habe, jegliche Musik des liebenswürdigen Signore Vinci nur noch von hochstimmigen Männern präsentiert zu bekommen. Insofern ist dieser Mitschnitt aus Neapel vom November 2018 klingendes Schmerzensgeld für alle Counter-Muffel wie mich. Eine große opulente Vinci-Oper ganz ohne Counter! Die Hauptrolle des persischen Königs Siroe singt die Mezzosopranistin Cristina Alunno.

Kein Dauerbrenner: Dennoch hält sich die Freude in Grenzen. Zwar  steht mit Antonio Florio ein ausgezeichneter Kenner der alten Opera seria am Pult, aber er hat mit zwei Handicaps zu kämpfen. Erstens lenkt er eben keins dieser stromlinienförmigen Alte-Musik-Ensembles, die dem Werk einen aparten Reiz verleihen könnten, sondern einen schweren Sattelschlepper, das Orchester der Oper San Carlo in Neapel. Für ein konventionelles Opernorchester leistet das Ensemble hier Außerordentliches, die Solisten der obligaten Passagen agieren hervorragend. Nur sind unsere Ohren inzwischen Anderes, Subtileres von Klangkörpern gewohnt, die sich auf diese Art Musik spezialisiert haben.

Und dann hat Florio eine sehr unausgewogene Sängerriege – die reicht vom sehr mulschigen unterbesetzten Tenor Carlo Allemano bis herausragenden Sopranistin Leslie Visco als Medarse. Dazwischen: solide bis gute Sänger wie Roberta Invernizzi und Christina Alunno. Ja, das ist fast alles passabel – doch für Vinci muss es eigentlich mehr sein. Der funkelnde Glanz, das Sahnehäubchen Extravaganz, das man unbedingt braucht, damit die großen Da-Capo-Arien wirklich swingen – das liefert hier eigentlich  nur bei Leslie Vasco. Insofern ein erfreuliches und gut anhörbares Dokument zur musikalischen Weiterbildung, aber bestimmt keine CD, die als Dauerbrenner auf dem Player der Barockfans laufen wird  (Leonardo Vinci: Siroe mit Carlo Allemano | Christina Alunno | Leslie Visco | Roberta Invernizzi | Orchestra del Teatro di San Carlo | Antonio Florio; Dynamic 2 CD CDS 7838.03). Matthias Käther

 

Vincis „Siroe“: Pietro Metastasio/ Wikipedia

Und nun eine Eloge auf den schweigenden Helden in Metastasios und Vincis Siroe von Dinko Fabris: Verschiedene Umstände trugen zum außergewöhnlichen und langanhaltenden Erfolg von Siroe bei, einem Libretto von Metastasio, das von 1726 und bis nach 1800 unzählige Male von Komponisten wie Porpora, Vivaldi, Händel, Hasse, Latilla, Perez, Galuppi, Piccini, Traetta, Sarti und einigen mehr musikalisch aufgegriffen wurde.

Als er es schrieb, war Metastasio gerade 28 Jahre alt und hatte noch nicht den Ruhm erlangt, der ihn zum wichtigsten Librettisten seines Jahrhunderts und der gesamten Geschichte der europäischen Oper machen sollte; gleichwohl hallte das Echo des Erfolges seines ersten Titels Didone abbandonata, besonders in der in Rom aufgeführten Fassung, ein paar Monate vor Siroe, bereits weit. Seine Beziehung zur Sängerin Marianna Bulgarelli, geb. Benti und ihren Spitznamen „La Romanina“ der Stadt ihrer Herkunft verdankend, für die er 1724 in Neapel Didone geschrieben hatte, war noch immer in einer sehr positiven Phase, und dies trotz ihres Altersunterschiedes, mit zufriedenstellenden Aspekten auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Gleichwohl: Der Hauptgrund für den Erfolg der „Operation Siroe in Venedig 1726 war die Musik von Leonardo Vinci.

Vinci kam aus Kalabrien, doch wurde er in Neapel ausgebildet und hatte dasselbe Alter wie Metastasio. Während des vorhergehenden venezianischen Karnevals 1725 gelang ihm eine beispiellose Leistung, indem er nicht weniger als zwei Opern auf die Bühne brachte, die zu glänzenden Erfolgen des Theaters Grimani di San Giovanni Grisostomo wurden und die Lagunenstadt im Sturm eroberten, die nie zuvor neapolitanische Autoren willkommen geheißen hatte. Selbst der große Alessandro Scarlatti wurde dort gedemütigt und wurde zum Ziel von satirischen Versen. Die Präsenz von süditalienischer Komponisten war in Venedig sehr sporadisch, obwohl deren Werke in Italien und ganz Europa gespielt wurden. Die außerordentliche Heldentat von 1725 wurde von Reinhard Strohm 1995 meisterhaft rekonstruiert (und 2016 noch weitergehend erläutert): Im Dezember 1724 wurde Vinci – der in Neapel bereits bekannt war für seine Opernwerke und sich auch in Rom einen Namen gemacht hatte – nach Venedig geholt, um Ifigenia in Tauride am Grimani-Theater auf die Bühne zu bringen; dem Werk lag ein Libretto des Venezianers Benedetto Pasqualigo zugrunde.

Vincis „Siroe“: der Komponist Leonardi Vinci/ Wikipedia

(…) Man kann in allen Fällen Reinhard Strohm zustimmen, wenn er schreibt, dass „die Tatsache, dass es Vinci war, der unter den vielen neapolitanischen Komponisten ausgewählt wurde, seine eigene Stadt in Venedig zu vertreten, eine signifikante historische Bedeutung hat“, weil in den folgenden Jahren „Hasse und Pergolesi, um nur zwei Namen zu nennen, durch Vincis Stil inspiriert wurden, sicherlich aber nicht durch jenen Sarros“.

Siroe re di Persia erlebte seine Uraufführung 1726 in Venedigs Theater San Giovanni Grisostomo; die Impresarios betrieben ungemeine ökonomische Anstrengungen, indem sie die besten Sänger der vorigen Saison engagierten, die im Libretto aufgelistet sind: Nicola Grimaldi (Siroe)/ Marianna Benti Bulgarelli (Emira)/ Giovanni Paita (Cosroe)/ Lucia Facchinelli (Laodice)/ Giovanni Carestini (Medarse)/ Pellegrino Tomii (Arasse).

Von der ersten Aufführungen haben wir eine Fülle an Quellen, die es uns erlauben, dieses spektakuläre Ereignis nahezu vollständig zu rekonstruieren: Zunächst die musikalischen und textlichen Quellen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden; dann eine Serie von Karikaturen von Marco Ricci, welche männliche Charaktere in persischer Aufmachung zeigen (Grimaldi, Cosroe und Medarse); zuletzt die wertvolle Aussage von Johann Joachim Quantz, welcher der venezianischen Premiere beiwohnte und über die drei Hauptsänger schrieb:

„… Die Präsenz in dieser Aufführung [von Siroe] von Cavalier Nicolino, einem Altisten, von La Romanina, einer dunklen Sopranistin, und des berühmten Tenors Giovanni Paita machte sie prestigeträchtig. Tatsächlich waren Nicolino, dessen wahrer Name Grimaldi war, und La Romanina, die Marianna Benti Bulgarelli hieß, nicht nur ausgezeichnete Sänger, sondern auch exzellente Schauspieler. Paitas Tenorstimme war nicht so mächtig, aber sehr ansprechend, und sie hatte wahrscheinlich nicht so wunderbar und natürlich geklungen, hätte er nicht um das Geheimnis gewusst, wie man Kopf- und Bruststimme nahtlos miteinander kombiniert […] Er verwendete nicht allzu viele passaggi, und sein Schauspiel war ziemlich gut.“

Vincis „Siroe“: Karikatur von Nicola Grimaldi (detto Nicolini) mit Lucia Facchinelli (detta «La Becheretta»), in Pergolesis Oper „La Salustia“, in Vincis Oper sang sie den Laodice/Wikipedia

Kurt Malkstrom zitiert eine ähnlich lobende Kritik von Grimaldis und Benti Bulgarellis Interpretationen, geschrieben von Owen Swiney, dem Agenten der Londoner Royal Academy of Music in Venedig. Reinhard Strohm zufolge ist „Siroe re di Persia ein komplexes Libretto und fraglos eines der besten von Metastasio“ (The Neapolitans in Venice, S. 264), und der Dichter selbst, der die Premiere in Venedig 1726 leitete, schreibt, dass dieses Libretto sogar erfolgreicher war als jenes von Didone („Mein Siroe ist brillant, mehr noch als Didone im letzten Jahr“, so Metastasio an seinen Bruder Leopoldo gleich nach der Uraufführung), und dies dank Vincis Musik. Metastasios Meinung wird durch Quantz bestätigt, der auch Porporas rivalisierender Oper beiwohnte, die in derselben Spielzeit in Venedig gegeben wurde, und erklärte, dass Vincis Siroe mehr Beifall erhalten habe als Porporas Siface. Wie wir sehen werden, benutzte Siroe einige Elemente der Handlung von Partenope, gleichsam als wäre es eine Fortsetzung in Persien.

Das Libretto der venezianischen Premiere von 1726 ist uns in elf Kopien überliefert, davon acht in italienischen Bibliotheken. Unser Referenzlibretto war die Kopie aus dem Deutschen Historischen Institut in Rom (Rar. Libr. Ven. 598).

Von Vincis Partitur sind vier Kopien bekannt, wovon sich drei in England befinden (Royal College of Music, Royal Accademy of Music und Fitzwilliam Museum in Cambridge) und eine in Deutschland (Santini-Kollektion in Münster). Antontio Florio verwendete für seine Edition davon zwei praktisch identische Londoner Manuskripte, die ich mit jenem aus Münster verglich. Auf diese Weise wurden alle bedeutenden Quellen analysiert. Nach Strohm und Markstrom unterscheidet sich das Cambridge-Manuskript, welches vom berühmten Sammler und Reisenden Viscount Fitzwilliam Ende des 18. Jahrhunderts erworben wurde (seine Titelseite ist datiert auf 1782), in musikalischer Hinsicht nicht von den beiden Londoner Partituren. Das Manuskript der Santini-Kollektion hat auf der letzten Seite indes verzeichnet: „Fine dell’Opera | del Vinci | di G. F. C. 1728 | X.bre“. Daher wissen wir, dass es im Dezember 1728 durch den Kopisten Francesco Cantoni in Rom entstand, der zahlreiche Partituren, die am Aliberto-Delle-Dame-Theater dieser Jahre gespielt wurden, zusammentrug. Vincis Partitur hat weniger Arien – nur 26 – als die übliche Opera seria dieser Tage, aber Hasses Fassung des Siroe von 1733 aus Bologna mit demselben Libretto hat sogar noch weniger: 24.

 Die fünf Hauptcharaktere (ohne Arasse, der im ersten Akt gleichwohl eine feine aria di paragone mit obligatorischer Oboe erhält, in der das Schwanken des menschlichen Herzens mit dem Meer und mit Ästen im Wind verglichen wird) haben dieselbe Anzahl an Arien, gleichmäßig verteilt (jeweils zwei in den ersten beiden Akten und je eine im dritten Akt), ausgenommen Medarse, der im Gegensatz dazu eine Arie im zweiten, dafür aber zwei im dritten Akt bekommt. Metastasio sah keine Duette oder Ensembleszenen vor, und weder Hasse noch Vinci waren der Ansicht, dass dergleichen eingefügt werden sollte, um die Struktur der Aufführung zu variieren.

Auf der anderen Seite nutzt Vincis üppiges Vokalmaterial die Qualitäten der fünf außergewöhnlichen Solisten, welche ihm zur Verfügung standen (der sechste, Pellegrino Tomii aus Vicenza in der Rolle des Arasse war vielleicht zu jung, hatte erst 1723 debütiert und war 1726 in seiner ersten Saison in Venedig; im darauffolgenden Jahr aber wurde er in die Rolle des Cosroe befördert, als Siroe in Reggio gespielt wurde). Wie wir sahen, erregten nur der erfahrenen Nicolino, Romanina und Paita die Aufmerksamkeit von Quantz im Jahre 1726. Gleichwohl wurde Medarse von einem der berühmtesten Kastraten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Giovanni Carestini, einem Zeitgenossen und Rivalen Farinellis, interpretiert. Dieser männliche Sopran von schlanker und gebieterischer Figur war seit mindestens 1719 aktiv und hatte zunächst Wien und daraufhin die Gunst des Herzogs von Parma erobert, doch seine Weihe kam erst 1733, als er durch Händel nach London gerufen wurde, für dener prominente Rollen übernahm. Nicht zufällig hat sein Charakter Medarse einige der akrobatischsten Arien (zusätzlich zu den begleitenden Rezitativen im ersten Akt) und ist der einzige mit zwei Arien im dritten Akt, eine davon mit Trompete, was bedeutet, dass der Interpret nicht fürchtete, am Ende hin zu ermüdet zu sein.

Vincis „Siroe“/ die konzertante Aufführung in Neapel 2018/ Conessi all´Opera/Dynamic

Die andere vieldeutige Figur des Librettos, Laodice, wurde von der Venezianerin Lucia Facchinelli interpretiert, die am Anfang ihrer Karriere stand (sie hatte in derselben Stadt erst zwei Jahre zuvor debütiert), aber eindeutig von der städtischen Öffentlichkeit unterstützt wurde. Dies ist womöglich der Grund, warum sie dieselbe Anzahl an Arien erhielt wie ihre berühmteren Kollegen und im dritten Akt gar eine Arie mit Jagdhörnern (wie in der Partitur vermerkt). Im Text wird der König, der Siroe tot sehen will, mit einer Tigerin verglichen, die im Falle einer Bedrohung für ihr Jungtier, anders als er menschlich wird und es vor dem Jäger beschützt.

Von den venezianischen Stars der Besetzung war der Genueser Giovanni Battista Paita seinem Rückzug von der Bühne am nächsten. Seine bedeutende Karriere begann 1708 in Venedig und würde 1729 in der Lagunenstadt enden; er hat Norditalien fast nie verlassen. In einer Oper, die stark die höheren Register beansprucht und vier Sopranpartien enthält, war Paitas Tenorstimme ideal für die Rolle des Cosroe, des alten Königs, erschüttert ob des Verdachts, sein älterer Sohn habe ihn verraten, doch nach wie vor verwundbar durch den Charme der jungen Laodice; mit gutem Grund wurde dieser Charakter mit Shakespeares König Lear verglichen. (…)

Vincis „Siroe“: Marianna Benti Bulgarelli, detta la Romanina sang die Emira/ Wikicommons

Sicherlich auf Metastasios Anregung hin hat Vinci die Rolle der Emira auf die stimmlichen Mittel von Marianna Benti Bulgarelli zugeschnitten, die nicht nur knapp vierzig war (ein überaus fortgeschrittenes Alter für eine Sängerin jener Tage), sondern auch im Rufe stand, eher schauspielerische Fähigkeiten denn vokale Virtuosität zu besitzen. Sicher nicht zufällig hatte Metastasio nach Siroe nicht länger La Romanina im Kopf, als er die Prima-Donna-Partien seiner Libretti schrieb. (…)

Bezüglich des Titelcharakters, wurde Siroe vom Kastraten Nicolino Grimaldi gesungen, der auf eine exzeptionelle internationale Karriere zurückblicken konnte, die Ende des 17. Jahrhunderts begonnen hatte, als er gerade etwas über 25 war (ohne sein Debüt in Neapel 1685 in Provenzales Stellidaura vendicata im Alter von zwölf zu berücksichtigen). Den Zenit seiner Berühmtheit erreichte er 1711, als er die Titelrolle in Händels Rinaldo übernahm, der ersten englischen Produktion dieses Komponisten. Von da an strahlte sein Ruhm nach ganz Europa aus. 1718 kehrte er nach Italien zurück. In der Saison vor Siroe hatte er mit Benti Bulgarelli in Didone abbandonata zur Musik von Albinoni gesungen (1724 sangen die beiden auch in Sarros Version in Neapel). Obwohl Neapolitaner, war er fraglos einer der meist gefeierten Sänger in Venedig. Metastasios und Vincis Entscheidung für das Romanina-Nicolino-Paar für Siroe in Venedig war daher ein doppelter Gewinn. (…)

Wie wir zuvor erwähnten, offeriert Vincis Partitur keine concertati, nicht einmal ein Duett, und einzig im Finale tun sich die Solisten zusammen für ein allzu abruptes und oberflächliches Ensemble, das die Geschichte mit moralisierenden und voraussagenden Worten beendet.  (…)

Wie in einem Spiel mit dreieckigen Symmetrien überlagert das siegreiche Trio Metastasio-Romanina-Vinci das magische Dreieck der italienischen Oper des frühen 18. Jahrhunderts: Neapel-Rom-Venedig. Wir sahen, wie die neapolitanische Eroberung Venedigs 1725, angeführt durch Vinci, durch die Vorarbeit in Rom ermöglicht wurde. Die Operation wäre nicht geglückt ohne die Zusammenarbeit der drei, die alle davon profitierten: Metastasio erklommt mit Hilfe Mariannas die Leiter des internationalen Erfolges, die ihn wenige Jahre später nach Wien führen sollte; Vinci eroberte Venedig und dann auch London, dank Händels Hilfe; Benti Bulgarelli wollte freilich ihre letzten stimmlichen Karten in der bestmöglichen Weise ausspielen, dabei auf zwei Meister wettend, die ihr zumindest einen ehrenhaften Rückzug ermöglichten. Das Siroe-Projekt war eine Wiederholung und Ausweitung des Erfolges von Didone abbandonata und Partenope, das demonstrierte, dass das römisch-neapolitanische Team bereit war, sich selbst zum neuen Referenzpunkt der europäischen Oper zu erklären. Die vier intensiven nachfolgenden Jahre bewiesen, dass die beiden Meister ihre Versprechen einhielten; die Strukturen der italienischen Opera seria wurden völlig umgestürzt und überarbeitet. Gleichwohl, nach Metastasios Abreise nach Wien (nachdem er seine andächtige Romanina verlassen hatte) und nach Vincis plötzlichem Tod 1730, schlug die italienische Oper neue Richtungen ein. Ohne es zu wissen, hatte Leonardo Vinci durch seine Musik für Metastasios Libretti eine neue Methode eingeführt, die binnen kurzem zum ungezügelten „galanten Stil“ führen sollte. Was Metastasio betrifft, sollte dieser in Hasse – der Sachse, der in Neapel zur Zeit Scarlattis und Vincis geschult worden war – einen neuen musikalischen Partner finden für seine weiteren Opernproduktionen. Dinko Fabris

Den Artikel von Dinko Fabris (englische Übersetzung von Daniela Pilarz; Übersetzung ins Deutschs von Daniel Hauser entnahmen wir dem Booklet zur CD-Veröffentlichung bei Dynamic)

Ahoi Esther, Cora & Howard

 

Eine neue cpo-Aufnahme bringt Freund Kevin Clarke so in Wallung, dass wir seinen hymnischen Artikel (und seine witzigen Assoziationen) zur neu- und wiederentdeckten Ballett-Musik in Offenbachs Orphée aux enfers auf seiner Website des ORCA (Operetta Research Center Amsterdam) für uns ausborgten und operalounge.de-Lesern nicht vorenthalten wollen. Unterwassermusik in der Operette (und in der Oper allemal) gibt´s nicht alle Tage, und nicht nur Kevins Gedankenausflügen ist freier Lauf gelassen. Ahoi also im Reich des Neptuns (Le Royaume de Neptune) bei Offenbach und cpo (555 301-2). G. H.

 

When Germany’s ultra-conservative Offenbach crusader Peter Hawig – who in a recent Jacques Offenbach Society newsletter remarked that “tying” the composer to anything explicitly sexual is “unappetizing” – writes about courtesan Cora Pearl and (!) the million dollar mermaid Esther Williams in the booklet for this latest Offenbach CD, you might want take a deep breath. And wonder: what is going on? The CD in question presents ballet music for the revised Orphée aux enfers version of 1874, with the world premiere recording of the later added aquatic ballet Le Royaume de Neptune, i.e. in the kingdom on Neptune, Offenbach’s very own version of Aquaman. (Yes, move over Jason Momoa and Nicole Kidman.)

As you probably know, Offenbach expanded his small scale 1858 Orphée for the Théâtre de la Gaîte into an “opéra-bouffe-féerie” of four acts and 12 scenes. The supersizing of the originally rather intimate show meant that a lot of dancing was added. This glorious extra music has been included in various recent performances, at least partially. It’s in the Marc Minkowski Orphée from Lyon, it’s also in the latest Orphéefrom the Salzburg Festival. The most expansive recording of the 1874 version is by Michel Plasson on EMI, there’s also an album on Philips with Antonio de Almeida conducting the Philharmonia Orchestra, it includes most of this ballet music and the newly composed overture. Plasson only recorded the rousing second part of it, de Almeida the entire thing. (I admit the shortened Plasson version is a much more effective opening; for me at least; it knocks you right in the face with its fanfare.)

„Le Royaume de Neptune“:Esther Williams iin dem Film „Million Dollar Mermaid“ (also known as The One Piece Bathing Suit in the UK) is a 1952 Metro-Goldwyn-Mayer biographical musical film of the life of Australian swimming star Annette Kellerman. It was directed by Mervyn LeRoy and produced by Arthur Hornblow Jr. from a screenplay by Everett Freeman. The music score was by Adolph Deutsch, the cinematography by George Folsey and the choreography by Busby Berkeley. George Folsey received a 1953 Oscar nomination for Best Cinematography, Color.The film stars Esther Williams, Victor Mature, and Walter Pidgeon, with David Brian and Donna Corcoran/ theblondeatthefilm.com

So here you have all of this ballet music, again. Not quite as quirky as Mr. Plasson plays it, often a little slower and with more gravitas, performed by conductor Howard Griffiths and the Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO). The must-have item on this new album, however, is music that was only recently discovered, composed by Offenbach as a later extra alteration of the 1874 version.

In the “original” 1874 score the third act (in Eurydice’s boudoir) ends with a ballet of golden flies who are summoned by Cupid to find Eurydice. You’ll recall that she’s gone missing to run off with Jupiter. At the end of the ballet, Pluto as the God of the Underworld flies off into the air himself – it’s one of those jaw-dropping moments that opéras-féeries were famous for, a century before Marvel Studios or Roland Emmerich made such effects their trade mark.

Since this new Orphée was a success, it ran for quite some time. And it seems that Offenbach needed some novel attraction to draw in crowds in the summer of 1874. As an antidote to the heat, he conceived an water ballet as substitute for the dancing golden flies. This water ballet is entitled L’Atlantide or Le Royaume de Neptune, consisting of eleven (!) extra scenes.

In this underwater spectacular, Eurydice can be seen on the shores of the mythical island Atlantis. The tide begins to rise and water consumes the entire stage. We’re swept away to a sea world where lobsters and crabs dance (à la Disney’s Little Mermaid), where children are costumed as toads etc. In this wet-and-wild paradise scenes of jealousy are being played out (between the crabs), before Aphrodite awakes and takes us to the lost world of Atlantis itself – with trumpeters, amazons, Argonauts. And let’s not forget Eurydice!

„Le Royaume de Neptune“: Cora Pearl (Emma Elizabeth Crouch) (1842- 1886) war ebenfalls der Cupido in Offenbachs Operette (allerdings war wohl ihr Ruf nicht der beste bzw. ein riskanter, wie auf Pinterest nachzulesen ist: She became a prostitute in France. She was mistress of Edward VII (Albert Edward) (1841-1910) UK. She once arranged to be „served“ naked on a huge silver platter during his dinner. She had restless nature and innate curiosity that led her to rebel against the conventional morals of the time. Her goal was to become the kept woman of select dedicated lovers, ones with the financial means to keep her in extreme luxury…)/ Pinterest

The 32 minute (!) ballet ends with the birth of a pearl, then this entire magical world sinks back into the deep ocean – a hidden treasure island, in which Neptune rules triumphant. (Und wäre es zu weit hergeholt, cher Kevin,  wenn ich da an das Verdi-Handlungs-Ballett aus seinem Don Carlos 1867la peregrina – denke, wo sich die Muschel öffnet und ihr die Königin/ peregrina entsteigt?/ G. H.)

This ballet was recently discovered by Jean-Christophe Keck in a loft, he claims. It was edited and published by Boosey & Hawkes and given a first concert performance in Vienna. Now, DSO recorded it in Berlin, in March 2019. Hardly five months later there is this CD, released by cpo.

The CD closes – after the Ballet Pastoral and the Divertissement des sognes et des heures – with the better-known Carl Binder version of the Orpheus in der Unterwelt overture, written for the first Viennese production. That score was recently bought by the Vienna Stadt- und Landesbibliothek and included in their Offenbach/Suppé exhibition.

The music throughout is beautifully played by DSO, even though a bit on the grand side, not in a tongue-in-cheek version; but it’s a treat I enjoyed very much.

If you wonder how Cora Pearl fits into all of this (yes we do, Kevin/ G. H.) the answer is: she was Cupid in the 1867 revival (without extra ballet music). The fact that Mr. Hawig mentions her, and Miss Williams, documents a new way of thinking outside-the-box in German musicological circles. And maybe it also documents a new awareness of pop culture, in the wider sense of the world.

In the aforementioned newsletter of the Jacques Offenbach Society, Laurence Senelick writes about this summer’s symposium in Cologne and Paris, at which Mr. Hawig was obviously present, and states about two of his disciples: “There were stimulating papers on dance and reception history, but musicological pedantry was also on display, with papers painstakingly analyzing scores note by note and using terms too technical even for this audience of specialists.”

A different kind of musicological “pedantry” is evident in this cpo booklet, because Mr. Hawig takes great pains to explain that Offenbach’s operettas are not really “operettas” – a term we “mostly associate with the more sentimental Viennese shows of the 20th century,” he writes. But Orpheus and many other shows were labeled “operetta” in Vienna, Berlin, and elsewhere, so we might ask if the sentimental notion of the genre – as also promoted by Richard Traubner in his Operetta: A Theatrical History – might not need revision. (I think it does; and that would benefit Offenbach and many 20th century operettas.)

One way or another, this CD is a most welcome summer treat. Not just because Neptune’s ballet is filled with amazing music which Offenbach partly took from earlier sources (e.g. the Décameron dramatique, and Le Papillon). Some of the newly written music was later recycled by Offenbach in Le Voyage dans la lune, including the famous tune that was utilized for the Mirror Aria in Tales of Hoffmann; it pops up here unexpectedly and is as beautiful as always, even or especially in an underwater context.

It would be great if DSO and its new chief conductor Robin Ticciati could embark on a more expansive Offenbach voyage in the future and present more Offenbach music. The playing of the orchestra is wonderful. And there are still so many Offenbach shows that are not available in modern recordings, among them Genevieve de Brabant et al.

Autor und Operettenchampion Kevin Clarke/Foto ORCA

By the way, when Erik Charell produced his Im weißen Rössl in Berlin in 1930 he also included a notorious aquatic ballet, showing his hand-picked dancers in bathing suits jumping into the Wolfgangssee and emerging dripping wet. The Nazis and other conservative groups were appalled by this display of almost naked bodies in an Alpine setting. It ruined their idea of “German” culture. And they took Rössl out of circulation almost immediately in 1933. I’m sure the scandalous potential of such a bathing setting was not lost on Offenbach and a prime reason for him to take his audience on an underwater journey.

As the 2018 hit movie Aquaman demonstrates, our fascination with underwater worlds à la Le Royaume de Neptune has not stopped, and dripping wet stars can still draw in crowds, not just during the height of summer. Kevin Clarke (Kevin Clarke ist der Chefredakteur des ORCA/ Operetta Research Center Amsterdam/ Foto oben Neptun Brunnen in Danzig/ Pixabay

Wer schreibt ein neues Libretto?

 

Warum nur hört man diese herrliche, dem Freischütz in nichts nachstehende Musik so selten, fragt sich der Opernfreund, begegnet ihm doch einmal wieder Webers Euryanthe, so in einer Aufzeichnung der Aufführung im Theater an der Wien aus dem Jahre 2018. Ist die an romantischem Schwung und ebensolcher  Innigkeit dem berühmteren Vorläufer gleichwertige Ouvertüre verklungen, ist das Rätsel schnell gelöst, liegt es in dem von Kitsch und von Moralinsäure triefenden Libretto von Helmina de Chézy, die unsäglich peinliche, die deutsche Sprache vergewaltigende Reime schmiedete, dazu noch an dem unseligen Einfall Webers , die bekannte Geschichte von der schönen Genoveva um das Motiv von der armen Emma, die nur durch Tränen einer Unschuldigen, die auf ihren Ring fallen, aus dem Untotendasein erlöst werden kann, zu „bereichern“. Das kann nicht einmal durch den Vorzug des Werks, als einziges Webers durchkomponiert zu sein, hinwegtrösten.

Vor einigen Jahren gab es aus Cagliari, experimentierfreudigstes Opernhaus Italiens, bereits eine Aufnahme, nun beweist Constantin Trinks mit dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, welche Qualitäten bereits in der Ouvertüre stecken, lässt sie kontrastreich, schwungvoll und geheimnisraunend erklingen. Frisch klingt der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner, kann besonders dem Jubel von Land- wie Hofleuten beredten Ausdruck verleihen.

Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelpartie, die die 17jährige Henriette Sonntag aus der Taufe hob, die von Jessy Norman und Joan Sutherland gesungen wurde, durch die Amerikanerin Jacquelyn Wagner, die völlig akzentfrei singt und das mit einer klaren, reinen, leuchtenden Sopranstimme, die besonders elegant geführt wird. Innig klingt die Cavatine zu Beginn des zweiten Akts, ein feines Piano erfreut in „Hier dicht am Quell“, mit viel vokaler Emphase wird die Unschuld beteuert. Auch die Ortrud nahe stehende Eglatine ist mit Theresa Kronthaler vorzüglich besetzt, auffahrend in den Rezitativen, schattierungsreich, rasant im Racheduett und unangefochten in der abschließenden Wahnsinnsszene. Die dritte weibliche Partie, die Braut Bertha, wird im Booklet nicht erwähnt, obwohl die feine Stimme bemerkens- und erwähnenswert ist.

Beim Adolar des Tenors Norman Reinhardt vermisst man zunächst eine großzügige musikalische Linie, manches klingt holprig, doch steigert sich der Sänger einer ausgeprägt lyrischen Stimme im Verlauf des Stücks, weiß empfindsam zu interpretieren und verfügt über eine gute Höhe. Eine leichte Spreizung des Timbres im vierten Akt müsste noch vermieden werden.  Mit einem leichten Akzent irritiert zunächst der Lysiart von Andrew Foster-Wiliams,, dessen Bariton bereits nach dem Telramund verlangt, der markig und kernig und wie für die Brunnenvergifter geschaffen klingt. Zunächst dröge, zunehmend aber markant und angenehm schwarz ertönt der Bass, den Stefan Cerny für den König einsetzt.

Die Fotos im Booklet verraten dem Betrachter, dass Regisseur Christof Loy die Handlung in die Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts versetzt hat, da lässt man doch besser beim Nur-Hören die eigene Phantasie walten (2 CD Capriccio C5373). Ingrid Wanja  

Puccinis Erstling

 

Es ist für mich nicht leicht, von Puccinis Opernerstling begeistert zu sein. Die Geschichte gehört auf die Ballettbühne. Von dort kommt sie auch her, gehört seit Heines Erwähnung in seinen Elementargeistern und Aubers Musik zu Perrots und Corallis Giselle zum unverrückbaren Kanon des klassischen Repertoires, wo sich die vor der Hochzeit verlassenen Bräute des Nachts noch immer tanzend mir ihren Geliebten treffen. Puccini hat seinen 70-Minuten-Zweiakter, mit dem er sich 1883 erfolglos am ersten Sonzogno-Wettbewerb beteiligte, „Opera ballo“ genannt. Und getanzt wird in dem Stück, zu dem ihm Ferdinando Fontana den auf der Erzählung Les Willis von Alphonse Karr fußenden Text schrieb, viel. Dazu gibt es einen Erzähler, der während der beiden, durch einen unsichtbaren Frauenchor getrennten sinfonischen Intermezzi zu Beginn des zweiten Aktes in knappen Worten wiedergibt, wie Roberto in Mainz den Lockungen einer Sirene erlag und seine Braut Anna, die glauben musste, dass er sie verlassen hat, bald darauf stirbt. Auch von der Legende der Willis erzählt er, die ihre untreuen Liebhaber zu Tode tanzen. Das alles erleichtert die Aufführung der Oper, die bei jedem Hören gewinnt, nicht.

In Florenz kam im Oktober 2018 eine Produktion der Villi heraus, die die hochromantischen Bilder ohne Gothic Touch in eine fast zeitlose Gegenwart fasst und die anfängliche Szene der feiernden Dörfler vor einem roten Horizont in eine filigranen Szenerie mit Kafffeehausstühlen und schickem Schnickschnack wie Koffer und Trenchcoat für den reisenden Roberto, Rollstuhl für den greisen Vater rückt (Dynamic DVD 37840/ auch als NUR-CD-Ausgabe). Anna hockt bei ihrer Romanze im Unterkleid in der Badewanne, die der auch für die Ausstattung zuständige Regisseur in einem Kastenraum hereinfahren lässt. Viel zu singen hat sie nicht, anschließend noch zwei Duette mit Roberto, das zweite davon in der Waldesszene, wo sie Roberto als Geist erscheint. Doch „Se come voi piccini io fossi“ ist von erlesener Schönheit, und Maria Teresa Leva hat dafür nicht den dürren Mädchensopran, mit dem die Partie gelegentlich besetzt wird, sondern einen dunklen, runden, ins reife lirico spinto Fach weisenden kernigen Sopran, den man gerne hört und der die Aufnahme lohnt. Leonorado Caimo erweist sich als Roberto als passabler Allround-Tenor, ohne die breite, heldische Attacke, die man mit José Cura verbindet, der die Partie gerne gesungen hat und die bereits den kämpferischen Edgar ahnen lässt. Für die dunklen Stimmen hat schon der 25jährige Puccini nicht gern geschrieben; Guglielmo Wulf, dem Elia Fabbian baritonalen Rückhalt gibt, indes ist eine für Puccinis Verhältnisse relativ dankbare Partie. Tony Laudadio ist der auch als Pfarrer eingesetzten Narrator.

Le villi ist ein bemerkenswertes Stück, auf einer deutschen Legende basierend, mit französischen Vorbildern, mit einem schwärmerischen Ton, der die Nummern in einen durchgehenden  Erzählfluss bindet und geschlossener wirkt als Catalanis ebenfalls auf einer deutschen Sage basierende Loreley wenige Jahre später. Marco Angius ist sich der außerordentlichen Herausforderungen für das Orchester bewusst und dirigiert das Orchester del Maggio Musicale Fiorentino mit Feuer, vor allem in dem Tanz der Willis, den Susanna Sastro mit der Compagnia Nuovo Balletto di Toscana nicht übermäßig stimmungsvoll als Auseinandersetzung barbusiger Frauen mit jungen Männern in Anzugshosen und Mänteln choreographiert hat. Regisseur und Ausstatter Francesco Saponaro arrangiert den Chor, in gut ausgewählten Kostümen von Chiara Aversano, und lässt ihn bei Guglielmos Segen für das junge Paar Kerzen tragen. Die Aufführung gewinnt im zweiten Teil an szenischer Spannung, wenn ein tanzendes Paar Robertos Romanze, bei der Caimi ziemlich erschöpft klingt, illustriert und die Geschichte eine allegorische Dimension annimmt. Schließlich erscheint Anna im roten Kuttenkleid oben auf dem Kasten. Keine pathetische Liebesszene, sondern, begleitet vom Getue der TänzerInnen, ein letzter Zwiegesang der einstigen Liebenden, in dem sich Puccinis melodische Kraft zeigt, mit dem er sich von seinen jungen Mitstreitern unterscheidet. Rolf Fath                 

Spontini restituito

 

Mit einer letzten Petitesse verabschiedete sich Gaspare Spontini von Italien. Anschließend ging er nach Paris, später nach Berlin, nachdem er sich sechs Jahre zwischen Palermo, Neapel, Rom und Florenz vergeblich abgemüht hatte, einen Namen zu machen. Der schmale Einakter Le metamorfosi di Pasquale lässt freilich noch nicht die fünf Jahre spätere La vestale, Fernand Cortez von 1809, Olimpie von 1819 oder gar die deutsche Agnes von Hohenstaufen erwarten. Die Verwandlungen des Pasquale ist eine jener einaktigen Buffoopern, mit denen auch Rossini ab 1810 die Opernbühne betrat. Und wie Spontini erfand sich Rossini, freilich als gemachter Mann, mit seiner Übersiedlung nach Paris ebenfalls neu, wobei sein venezianisches Abschiedsgeschenk an Italien mit der Semiramide ungleich prächtiger ausfiel. Der Pasquale des 27jährigen Spontini kam 1802 am Theater der Familie Giustiniani in San Mosè in Venedig heraus, an ebenjenem Theater, an dem auch Rossinis Farsen folgten. Lange war Pasquale verschollen, bis er mit weiteren Autografen Spontinis 2016 au dem flandrischen Schluss Ursel widerauftauchte. Es fehlten die Sinfonia und Teile des Finales, die für die als Koproduktion der Fondazione Pergolesi in Jesi und dem Teatro la Fenice 2018 erfolgten Aufführungen durch die von Spontini mehrfach zuvor benutzte und möglicherweise auch in Venedig eingesetzte Ouvertüre zu La fuga in maschera und Rekonstruktionen ergänzt wurden.

Der Untertitel von Giuseppe Foppas Libretto, der später auch für Rossini arbeitete, hilft bei der Handlung weiter: Tutto è illusion nel mondo. Zwischen den üblicherweise zehn Nummern, die durch die Sinfonia, das große Ensemble in der Mitte, also das Sextett Nr. 5, sowie das Finale ihren Rahmen erhalten, sind fünf Arien und zwei Duette verteilt, die auf das Hausmädchen Lisetta, den Adeligen Baron und die jungen Liebenden, der Marchese und Costanza, und den Rivalen, il cavaliere, entfallen. Als Schmiermittel der Handlung dient der ungeschickte Pasquale, der nach Jahren der Wanderschaft in seine Heimat zurückkehrt. Nachdem er unter einem Baum einschlief, wacht er in der Kleidung eines Marchese auf. Statt diesen Umstand einem bösen Streich zuzuschreiben, glaubt Pasquale an Schicksal und verhält sich entsprechend. Mit Ausnahme dieser hübschen Idee unterscheidet sich die kleine Komödie in nichts von ähnlichen Stücken. Bekannte Muster und Modelle befolgt Spontini zwischen den tenoral schwärmerischen Liebesbeteuerungen des Marchese (Antonio Gares) „Sol per te, mio diletto tesoro“ und der Virtuosität der Sopranist „Ah dov’é chi ha l’ardimento“ – diese, Lisetta (Carolina Lippo) ist die Primadonna des Stücks und darf auch im Finale nochmals mit einer vom Englischhorn begleiteten Koloraturszene auftrumpfen – brav. In vibrierender Buffomanier erklingen die Duette, darunter das Duett zwischen Pasquale, den der auch in Bad Wildbad mehrfach in Erscheinung getretene kasachische Bassbariton Baurzhan Andershanov mit Verve singt, und dem Diener Frontino von Davide Bartolucci. Oder eben das Sextett „Ah! La festa“, in dem eine gewisse Spritzigkeit anklingt, obwohl Spontini insgesamt doch schwerfälliger und schematischer agiert als wenige Jahre darauf Rossini. Die von Giuseppe Montesanto am 22 September 2018 in Jesi dirigiere und großzügig auf 2 CDs verteilte Aufführung (Dynamic CDS7836.02) mit dem Orchestra Sinfonica G. Rossini und dem Bass Carlo Feola als Barone, Michela Antenucci als Costanza, dem Tenor Daniele Adriani als Cavaliere) gibt eine Ahnung von den Werken des jungen Spontini. Vom späteren Opernreformer ist da noch keine Spur. Rolf Fath       

 

 

Dazu auch den Bericht von der Aufführung selbst: In January, 1802, almost exactly 216 years ago, Gaspare Spontini’s one act farsa, Le Metamorfosi di Pasquale (The Metamorphoses of Pasquale) played for a disappointing handful of performances at the small Teatro San Moisè in Venice.  Spontini (1774-1851), born like Rossini in the Marche, and having learned his profession in Naples, left Italy and went to Paris where he became famous as Napoleon’s favorite composer, and produced large scale works like La Vestale, Fernand Cortez and Olympie.   He enjoyed great success in Paris during the Napoleonic period, but fell out of favor there at the Bourbon restoration, and he transferred to Berlin, where his operas were well known.  How this early, small-scale comic work came back to Venice over two-hundred years later is a tale in itself.

Spontini’s early career in Italy included the composition of several works, mostly comic, for different Italian cities.  The first of them, Le puntigli delle donne (Rome, 1796) was revived in 1998 at the Putbus Festival, but most of the others were thought to be lost.  But just last year several leather-bound volumes were found in a castle in Flanders containing four of the autograph scores of the early operas, including Le metamorfosi di Pasquale.  Evidently, Spontini himself had treasured his early scores and kept them, and after his death, his faithful wife guarded them carefully.  After her death, what happened to them is not clear, but they seem to have gone to her inheritors, and through hazy connections made it to Flanders.  This work is the first of these short, comic operas to be revived, and since its less-than-successful premiere was in Venice, it seems appropriate that its first revival since 1802 would take place in Venice, this time at the Teatro Malibran.

The libretto of the opera is by Giuseppe Foppa, the extremely prolific writer, librettist and civil servant who also wrote the texts for three of Rossini’s early farse and his full length opera, Sigismondo.  Ten years before Rossini’s first staged work, La cambiale di matrimonio, Foppa was using the same form for the small San Moisè.  A small orchestra, no chorus, a work of about an hour and a half with a big concerted number in the middle—these were the nearly unchanging features of the Venetian farsa.  At the end of the eighteenth and beginning of the nineteenth centuries, Venetians, by now having lost their republic and under the thumb of the Austrians, then Napoleon, then back to the Austrians, wanted comedy and a familiar formula, not unlike the sitcoms which used to populate American TV.  This particular farsa has two features which are variations on the formula though—the eponymous Pasquale is an adventurer who undergoes two “metamorphoses” and ends up without anyone or anything.  He is an ambivalent character, clever and stupid at the same time.  Lisetta, who was once his girlfriend, but now loves Frontino, is a servant, and she is the prima donna, not the wealthy daughter of the Baron, Costanza, as we might expect.

„Le metamorfosi di Pasquale“ am Teatro Malibran/ Szene/ Foto Antonio Farinelli

The plot is almost to silly to relate, but Pasquale, having returned from some years of wandering seeking his fortune, is back (we aren’t clear exactly where) to find Lisetta, who was once his love.  When he falls asleep under a tree, the Cavalier changes clothes with him to escape the law.  So Pasquale is transformed into a nobleman, which gets him in all manner of trouble.  Towards the end, he is transformed again when he dresses as an old woman to escape the law himself, and neither ‘metamorphosis’ does him any good.  Lisette loves Frontino, the Cavalier’s servant, and the Cavalier himself is in love with Costanza and opposed by her father, the Baron.  The typical intrigues end up in a double wedding, but poor Pasquale is out in the cold—no girl and no money.

Thus this farsa will have particular interest for anyone interested in Rossini’s early farse, because it adds to our understanding of the ready-made form, but Spontini’s work is not a lost masterpiece in spite of some very nice musical moments which intervene in a LOT of secco recitative.  Things get off to a good start with the overture, which was not written for this score, but apparently served Spontini for several of his early Italian comedies, all given in different cities where the audience would not have heard it before.  It already establishes Spontini as a composer who makes the transition from eighteenth century Neapolitan music to classicism.  Also most amusing is the sextet “Ahi la testa” which adumbrates much more accomplished movements in Rossini’s operas.  Also fine is Lisetta’s aria “Signori galanti” and her final aria “Ah, dov’è chi ha l’ardimento.”  There is a funny buffo duet, and what might have been a lovely romantic aria by the Cavalier had it been better sung.  But those long passages of secco recitative are pretty “dry” for a modern audience.

The production by Bepi Morassi was lively, sometimes too lively in that the constant shtick distracted from the music.  He seemed determined to stuff (‘farce’) the proceeding with constant visual jokes which had little or nothing to do with the story or the characters.  I guess it alleviated the long passages of dialogue, but a little less would have been more.  The set, and particularly the costumes, were very colorful and lively.  Morassi set the story in early twentieth century Naples, in a kind of “Café Gambrinus,” where the characters come and go, and the costumes seemed out of the satiric magazines of that period.  Both emerged from competitions held in the Scuola di Scenografia of the Academy of Fine Arts in Venice, specifically with sets by Piero de Francesco and costumes by Elena Utenti.  They gave a lot of color to the goings-on!

The singing varied.  Attractive Irina Dubrovskaya sang Lisetta with a lot of verve and solid coloratura.  Towards the end, she has an aria addressed to the men in the audience, “Signori galanti.”  She asks them (us) not to take advantage of women, ‘or you’ll find that it will come back to haunt you’.  It is a perfect message for the “Me Too” moment, and Morassi and  Dubrovskaya played it in front of a black curtain as a moment between the singer and the audience, not between the characters.  It is obvious that what we call “harassment” today was a problem in 1802, and that Foppa and Spontini, through the determined character of Lisetta were making their comments, with no need to change the story, as the producers of Carmen had done in Florence.  Unfortunately for Ms. Dubrovskaya, all the lights in the orchestra went out as she was launching this aria, and she had to stop and wait until lighting was restored before beginning again.  Deliberate sabotage by an enemy of the singer?  By someone who did not like feminist sentiment?  Who knows, but the audience applauded all the more vociferously.

Andrea Patucelli was equally as engaging as Pasquale, and his ability with the long recitatives kept you engaged too.  Carlo Checchi was just as good as the wily servant Frontino, but Christian Collia as the romantic Cavaliere (and doubling as a soldier) had trouble with his aria and duet with Costanza (Michela Antenucci).  Francesco Basso was a stereotypical father, the Baron, and Giorgio Misseri was a dandified Marquis, the Cavalier’s rival in love.  Conductor Gianluca Capuana led the La Fenice orchestra from the harpsichord, and his conducting was lively; he seemed to really believe in the score.

Venice is always Venice, and even in mid-January low season it is crowded with tourists.  I can’t imagine coming here in summer anymore or even spring or fall when the huge cruise ship dump thousands of cruisers into this small town.  As it was, the Teatro Malibran was full at 100 euro per seat (Venice prices! Where it now costs $10 for a two-stop ride on the water-bus.  We had paid about $20 for a seat to Pia de’Tolomei in Livorno.). In any case it was a pleasant afternoon, and a chance to see a minor work which could still entertain after being lost for over 200 years.  We left the theater and went next door to the Malibran Restaurant for a superb bronzino (sea bass), cooked in the oven with vegetables and potatoes, washed down with far too much white wine.  Then we stumbled off to bed at the connected Malibran Hotel, with its clean, comfortable rooms in an old Venetian building.  The theater (and much later the restaurant and hotel,) were named for the great nineteenth century singer Maria Malibran, who came to the city in 1835 to sing Bellini’s La sonnambula.  She was so appalled by the state of the deteriorated theater, which was inaugurated in 1678, that she refused her fee, and donated it to restoration of the theater; in gratitude the impresario renamed it for her.  The more famous La Fenice operates the smaller Malibran, and often mounts rarer titles in it like Le Metamorfosi di Pasquale.  I have seen several memorable productions of rarities there over the years, including the Ricci brothers’ Crispino e la Comare and Donizetti’s Marin Falliero.  The theater like its city, doomed by global warming (I once recall that the Malibran had to close down and cancel performances due to high water and flooding), hold a warm place in my heart (Foto oben: „Le metamorfosi di Pasquale“ am Teatro Malibran/ Szene/ Foto Antonio Farinelli). Charles Jernigan

Kein Turban nirgends

 

Traditionell wird in das Sommerprogramm der Salzburger Festspiele eine TV-gezeigte Produktion von den Pfingstfestspielen übernommen – im 2018 war es Rossinis  Dramma giocoso L´Italiana in Algeri, das nun von UNITEL auf zwei DVDs veröffentlicht wurde (801808). Das Regie-Duo Moshe Leiser/Patrice Caurier wollte bei der Aufführung keine märchenhaft orientalische Atmosphäre, keine Haremskulisse, sondern setzte auf eine zeitgenössische Optik. Diese ist freilich gewöhnungsbedürftig, vor allem was die Kostüme von Agostino Cavalca angeht – ein scheußliches Sammelsurium von Jogging-Anzügen, Jeans, Kapuzenshirts, Base-Caps und Unterwäsche. Christian Fenouillats Bühne ist inspiriert von Fotos aus Algier, die Beton-Häuserfassaden mit Balkonen voller Wäsche und Antennenschüsseln zeigen. In diesem Ambiente entfesseln  die Regisseure eine turbulente Slapstick-Parade mit viel Witz, aber auch albernen Gags. Eingespielte Geräusche – Vogelstimmen, psalmodierende Gesänge, Möwengekreisch – sollen zusätzlich atmosphärische Akzente setzen. Deprimierend ist die Kostümierung des Mustafà, der als ausgestopfter Dickwanst im Unterhemd und Slip agieren muss, so dass man den stattlichen Sänger Ildar Abdrazakov kaum wiedererkennen kann. Anfangs sieht man ihn bei der Sinfonia im Ehebett – überdrüssig seiner Gattin Elvira, deren Annäherungsversuche er mit Schreck geweiteten Augen abwehrt wie lästige Fliegen. Beim sprudelnden Allegro-Thema werden sogar die Kamele auf einem Wandbild wach und beginnen zu tanzen. Der baschkirische Bass singt prachtvoll mit raumgreifender Stimme voller Autorität und angemessener Agilität, gleichermaßen souverän in Höhe und Tiefe. So kann er vokal den traurigen optischen Eindruck wettmachen.

Die Besetzung ist insgesamt auf hohem Niveau. Edgardo Rocha geht die heikle, hoch notierte Tenorpartie des Lindoro furchtlos an, singt mit schmetternder, gar nicht verzärtelter Stimme, was zuweilen auf Kosten des eleganten Klanges geht. Aber man braucht in keinem Moment um sein stimmliches Durchhaltevermögen bangen. Und das Plapperduett mit Mustafà, „Se inclinassi a prender moglie“, beweist bei beiden Interpreten die gebührende stimmliche Eloquenz.

Mit Alessandro Corbelli nimmt sich ein klassischer Bassbuffo des Taddeo an. Bewährt in diesem Fach auf allen internationalen Bühnen, bietet er auch hier eine exemplarische Demonstration von Stimme, Stilgefühl und Darstellung. Sein kokettes Duett mit der Titelheldin, „Ai capricci della sorte“, zeigt ihn der Starsängerin ebenbürtig. Cecilia Bartoli hat einen imposanten Auftritt hoch zu Kamel, braucht allerdings eine Anlaufzeit, um ihrer Stimme Wohllaut zu verleihen. Ihr Gesang ist zupackend und resolut, aber sehr guttural und auch zischend. Natürlich jongliert sie gekonnt mit den Koloraturen, gackert munter die staccati bei „O che muso“ und schnurrt in der  Badewanne die lyrische Arie „Per lui che adoro“ sehr ansprechend. „Pensa alla patria“ beginnt sie grimmig und setzt brustige tiefe Töne ein, findet aber im Schlussteil zu höchster Virtuosität. Im eleganten Abendkleid sieht man sie mit Lindoro vereint auf einem großen weißen Kreuzschiff wie einst das Liebespaar in Titanic. Das lange Warten auf ihre Isabella hat sich gelohnt, nachdem sie von Deccas Produzenten Christopher Raeburn bereits zu Beginn  ihrer langen Karriere dazu gedrängt wurde, diese aber stets abgelehnt hatte. Recht hat sie gehabt.

Aufhorchen lässt der junge bolivische Bass José Coca Loza als Haly, dessen muntere Arie „Le femmine d`Italia“ er mit schönem Klang und beweglicher Stimmführung zu einem Höhepunkt der Aufführung macht. Illustriert wird sie mit Einblendungen aus Fellinis Dolce vita mit Anita Elkberg und Marcello Mastroianni am Trevi-Brunnen. Die von Mustafà vernachlässigte Gattin Elvira, die anfangs im Ehebett ihren Mann zu verführen sucht, gibt Rebeca Olvera mit potentem Sopran, der das Finale des 1. Aktes mit durchschlagenden Spitzentönen dominiert. Als ihre Vertraute Zulma lässt Rosa Bove einen resoluten Mezzo hören.

Ein Vergnügen ist die musikalische Interpretation durch Jean-Christophe Spinosi am Pult seines Ensemble Matheus, das auf historischen Instrumenten Rossinis Komposition sprühen und funkeln lässt. Pulsierender Rhythmus, federnder Klang und unglaubliche  accelerando-Steigerungen geben der Aufführung mitreißenden Schwung. Das Publikum im Haus für Mozart ist so begeistert, dass das Ensemble das Finale als Zugabe gibt. Bernd Hoppe