Nicht nur Flórez…

 

Festlich geschmückt präsentierte sich die Geburtsstadt des Komponisten an der Adria anlässlich der 150. Wiederkehr seines Todestages 2018. Der Eröffnungsabend am 11. 8. 2018 galt dem Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide, das es bei den Festspielen erstmals 1990 (mit Wiederaufnahme 1996) in einer Inszenierung von Luca Ronconi gegeben hatte und nun auf DVD bei C-Major vorliegt: 752704 Bluray).

Hier nimmt sich ein Debütant beim ROF, Marshall Pynkoski, dessen Karriere beim klassischen Ballett begann, des Werkes an. Seine Inszenierung könnte aus der Entstehungszeit der Oper, die 1818 im Teatro San Carlo di Napoli uraufgeführt wurde, stammen. Die altmodischen Posen, pathetischen Gesten und als Bilder arrangierte Szenen in Rechts/Links/Mitte-Optik muteten für heutige Sehgewohnheiten seltsam an.  Man könnte diese Ästhetik durchaus goutieren und sich an der prachtvollen Ausstattung erfreuen, machte der Regisseur nicht den fatalen Einfall gehabt, viele Szenen mit tänzerischen Einlagen zu garnieren. Seine Frau Jeannette Lajeunesse Zingg ist für die Choreografie zuständig und hat sich im Stil gewaltig verhoben. Die Tanzeinlagen (auf Spitze!) mit klassisch-romantischem Vokabular, also Arabesquen, Pirouetten und grand jétés, hätten auch aus GiselleCoppelia oder einem Tschaikowsky-Klassiker stammen können, zeigen in keinem Moment eine exotische oder zumindest fremde Atmosphäre.

Gerard Gauci entwarf für die Aufführung hinreißende Bühnenbilder, wie man sie in unseren Breiten nicht mehr zu sehen bekommt – ein osmanisches Zelt, eine Halle mit Empore, deren Ornamentik aus der Alhambra entlehnt sein könnte, ein düsteres Tonnengewölbe, dessen schmale Fensterluken spärliches Licht einwerfen, ein funkelnder Sternenhimmel zum lieto fine. Nicht weniger opulent fielen Michael Gianfrancesco Kostüme aus kostbaren Stoffen, mit reichem Schmuck und kunstvoller Stickerei aus.

In der Besetzung konzentriert sich das Interesse des Publikums vor allem auf Juan Diego Flórez, der in der männlichen Titelrolle debütierte. Seinen ersten Auftritt in einem Kahn zur Kavatine „S´ella mi è ognor fedele“ leiten Tänzer als Matrosen und  Fahnenschwenker effektvoll ein. Der Tenor scheint im Klang etwas dumpfer als erinnert, vor allem der Höhe fehlt es an Glanz. Im 2. Akt kann man im Duett mit Zoraide („Ricciardo!… che veggo…“) dann seinen bekannt schwärmerischen Tonfall vernehmen, aber die Stimme klingt zunehmend auch strapaziert.

In der zweiten Tenorpartie des Werkes, Agorante, erlebte man Sergey Romanovsky, der im Vorjahr als Néoclès im Siège reüssiert hatte und nun erneut seine heroische, baritonal timbrierte Stimme hören lässt. Von imposanter Statur und attraktiver Erscheinung im glänzenden Goldmantel besticht er in seiner Auftrittskavatine, „Minacci pur“,  mit trompetenhaften Spitzentönen und triumphierte in der mit acuti gespickten Cabaletta, „Or di regnar“ mit sieghaftem Aplomb. Im Vergleich zum Volumen und der Kraft seiner Stimme nimmt sich die von Flórez geradezu schmal aus.

In der weiblichen Titelrolle kehrte Pretty Yende nach ihrer Amira im Ciro 2016 zum Festival in Pesaro zurück. Sie kann  mit ihrem substanzreichem Sopran besonders in der Schluss-Szene („Salvami il padro almeno“/“Per poco ti calma“) mit zärtlichem Ton und virtuoser Bewältigung der vertrackten Verzierungen gefallen, neigt allerdings zu grellem Klang in der Extremhöhe. Als ihre Gegenspielerin Zomira behauptet sich die Russin Victoria Yarovaya beeindruckend mit klangvollem, dramatisch auffahrendem Mezzo, sorgt im Terzett mit Agorante und Zoraide („Oh amor tiranno!“) für den ersten akklamierten Moment der Premiere. Und mit ihrer Arie „Più non sente“ die sie in schöner Kantilene und mit innigem Ausdruck formte sowie mit feinen Trillern schmückte, macht sie sich zum heimlichen Star der Besetzung.

Als Ircano erinnert Nicola Uliveri mit autoritärem Auftritt in Helm und Rüstung sowie nachdrücklichem Gesang an seine große Zeit in Pesaro. Zuverlässig in den kleinen Rollen Xabier Anduaga als Ernesto mit kompetentem Tenor und Sofia Mchedlishvili als Zoraides Vertraute Fatime mit leistungsfähigem Sopran sowie der Coro del Teatro Ventidio Basso (Giovanni Farina).

Giacomo Sagripanti am Pult des Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai sorgt nach dem elegischen Beginn der Sinfonia mit ihrem kantabel ausschwingenden Horn-Thema für einen straffen musikalischen Ablauf. Bei den  auf der Orchesterumrandung postierten Szenen sowie den beiden Finali brachte er mit fulminanten accelerando-Steigerungen echten Rossini-Drive in die Adriatic Arena. Bernd Hoppe