Warum nur hört man diese herrliche, dem Freischütz in nichts nachstehende Musik so selten, fragt sich der Opernfreund, begegnet ihm doch einmal wieder Webers Euryanthe, so in einer Aufzeichnung der Aufführung im Theater an der Wien aus dem Jahre 2018. Ist die an romantischem Schwung und ebensolcher Innigkeit dem berühmteren Vorläufer gleichwertige Ouvertüre verklungen, ist das Rätsel schnell gelöst, liegt es in dem von Kitsch und von Moralinsäure triefenden Libretto von Helmina de Chézy, die unsäglich peinliche, die deutsche Sprache vergewaltigende Reime schmiedete, dazu noch an dem unseligen Einfall Webers , die bekannte Geschichte von der schönen Genoveva um das Motiv von der armen Emma, die nur durch Tränen einer Unschuldigen, die auf ihren Ring fallen, aus dem Untotendasein erlöst werden kann, zu „bereichern“. Das kann nicht einmal durch den Vorzug des Werks, als einziges Webers durchkomponiert zu sein, hinwegtrösten.
Vor einigen Jahren gab es aus Cagliari, experimentierfreudigstes Opernhaus Italiens, bereits eine Aufnahme, nun beweist Constantin Trinks mit dem ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, welche Qualitäten bereits in der Ouvertüre stecken, lässt sie kontrastreich, schwungvoll und geheimnisraunend erklingen. Frisch klingt der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner, kann besonders dem Jubel von Land- wie Hofleuten beredten Ausdruck verleihen.
Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelpartie, die die 17jährige Henriette Sonntag aus der Taufe hob, die von Jessy Norman und Joan Sutherland gesungen wurde, durch die Amerikanerin Jacquelyn Wagner, die völlig akzentfrei singt und das mit einer klaren, reinen, leuchtenden Sopranstimme, die besonders elegant geführt wird. Innig klingt die Cavatine zu Beginn des zweiten Akts, ein feines Piano erfreut in „Hier dicht am Quell“, mit viel vokaler Emphase wird die Unschuld beteuert. Auch die Ortrud nahe stehende Eglatine ist mit Theresa Kronthaler vorzüglich besetzt, auffahrend in den Rezitativen, schattierungsreich, rasant im Racheduett und unangefochten in der abschließenden Wahnsinnsszene. Die dritte weibliche Partie, die Braut Bertha, wird im Booklet nicht erwähnt, obwohl die feine Stimme bemerkens- und erwähnenswert ist.
Beim Adolar des Tenors Norman Reinhardt vermisst man zunächst eine großzügige musikalische Linie, manches klingt holprig, doch steigert sich der Sänger einer ausgeprägt lyrischen Stimme im Verlauf des Stücks, weiß empfindsam zu interpretieren und verfügt über eine gute Höhe. Eine leichte Spreizung des Timbres im vierten Akt müsste noch vermieden werden. Mit einem leichten Akzent irritiert zunächst der Lysiart von Andrew Foster-Wiliams,, dessen Bariton bereits nach dem Telramund verlangt, der markig und kernig und wie für die Brunnenvergifter geschaffen klingt. Zunächst dröge, zunehmend aber markant und angenehm schwarz ertönt der Bass, den Stefan Cerny für den König einsetzt.
Die Fotos im Booklet verraten dem Betrachter, dass Regisseur Christof Loy die Handlung in die Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts versetzt hat, da lässt man doch besser beim Nur-Hören die eigene Phantasie walten (2 CD Capriccio C5373). Ingrid Wanja