Puccinis Erstling

 

Es ist für mich nicht leicht, von Puccinis Opernerstling begeistert zu sein. Die Geschichte gehört auf die Ballettbühne. Von dort kommt sie auch her, gehört seit Heines Erwähnung in seinen Elementargeistern und Aubers Musik zu Perrots und Corallis Giselle zum unverrückbaren Kanon des klassischen Repertoires, wo sich die vor der Hochzeit verlassenen Bräute des Nachts noch immer tanzend mir ihren Geliebten treffen. Puccini hat seinen 70-Minuten-Zweiakter, mit dem er sich 1883 erfolglos am ersten Sonzogno-Wettbewerb beteiligte, „Opera ballo“ genannt. Und getanzt wird in dem Stück, zu dem ihm Ferdinando Fontana den auf der Erzählung Les Willis von Alphonse Karr fußenden Text schrieb, viel. Dazu gibt es einen Erzähler, der während der beiden, durch einen unsichtbaren Frauenchor getrennten sinfonischen Intermezzi zu Beginn des zweiten Aktes in knappen Worten wiedergibt, wie Roberto in Mainz den Lockungen einer Sirene erlag und seine Braut Anna, die glauben musste, dass er sie verlassen hat, bald darauf stirbt. Auch von der Legende der Willis erzählt er, die ihre untreuen Liebhaber zu Tode tanzen. Das alles erleichtert die Aufführung der Oper, die bei jedem Hören gewinnt, nicht.

In Florenz kam im Oktober 2018 eine Produktion der Villi heraus, die die hochromantischen Bilder ohne Gothic Touch in eine fast zeitlose Gegenwart fasst und die anfängliche Szene der feiernden Dörfler vor einem roten Horizont in eine filigranen Szenerie mit Kafffeehausstühlen und schickem Schnickschnack wie Koffer und Trenchcoat für den reisenden Roberto, Rollstuhl für den greisen Vater rückt (Dynamic DVD 37840/ auch als NUR-CD-Ausgabe). Anna hockt bei ihrer Romanze im Unterkleid in der Badewanne, die der auch für die Ausstattung zuständige Regisseur in einem Kastenraum hereinfahren lässt. Viel zu singen hat sie nicht, anschließend noch zwei Duette mit Roberto, das zweite davon in der Waldesszene, wo sie Roberto als Geist erscheint. Doch „Se come voi piccini io fossi“ ist von erlesener Schönheit, und Maria Teresa Leva hat dafür nicht den dürren Mädchensopran, mit dem die Partie gelegentlich besetzt wird, sondern einen dunklen, runden, ins reife lirico spinto Fach weisenden kernigen Sopran, den man gerne hört und der die Aufnahme lohnt. Leonorado Caimo erweist sich als Roberto als passabler Allround-Tenor, ohne die breite, heldische Attacke, die man mit José Cura verbindet, der die Partie gerne gesungen hat und die bereits den kämpferischen Edgar ahnen lässt. Für die dunklen Stimmen hat schon der 25jährige Puccini nicht gern geschrieben; Guglielmo Wulf, dem Elia Fabbian baritonalen Rückhalt gibt, indes ist eine für Puccinis Verhältnisse relativ dankbare Partie. Tony Laudadio ist der auch als Pfarrer eingesetzten Narrator.

Le villi ist ein bemerkenswertes Stück, auf einer deutschen Legende basierend, mit französischen Vorbildern, mit einem schwärmerischen Ton, der die Nummern in einen durchgehenden  Erzählfluss bindet und geschlossener wirkt als Catalanis ebenfalls auf einer deutschen Sage basierende Loreley wenige Jahre später. Marco Angius ist sich der außerordentlichen Herausforderungen für das Orchester bewusst und dirigiert das Orchester del Maggio Musicale Fiorentino mit Feuer, vor allem in dem Tanz der Willis, den Susanna Sastro mit der Compagnia Nuovo Balletto di Toscana nicht übermäßig stimmungsvoll als Auseinandersetzung barbusiger Frauen mit jungen Männern in Anzugshosen und Mänteln choreographiert hat. Regisseur und Ausstatter Francesco Saponaro arrangiert den Chor, in gut ausgewählten Kostümen von Chiara Aversano, und lässt ihn bei Guglielmos Segen für das junge Paar Kerzen tragen. Die Aufführung gewinnt im zweiten Teil an szenischer Spannung, wenn ein tanzendes Paar Robertos Romanze, bei der Caimi ziemlich erschöpft klingt, illustriert und die Geschichte eine allegorische Dimension annimmt. Schließlich erscheint Anna im roten Kuttenkleid oben auf dem Kasten. Keine pathetische Liebesszene, sondern, begleitet vom Getue der TänzerInnen, ein letzter Zwiegesang der einstigen Liebenden, in dem sich Puccinis melodische Kraft zeigt, mit dem er sich von seinen jungen Mitstreitern unterscheidet. Rolf Fath