Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Biblische Träume

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Voll und ganz dem spätbarocken Wiener Imperialstil verpflichtet und damit ein Fest für die Ohren ist Antonio Caldaras Oratorium Gioseffo che interpreta i sogni, zumindest wenn es in einer so hochkarätigen Besetzung wie der vom November 2024, als das Werk in Turin im Tempio Valdese mit Chor und Orchester Consort Maghini unter Alessandro De Marchi aufgeführt wurde. Kaiser Karl VI. hatte sich an den Werken des zunächst in Venedig, dann in Mantua und Rom tätigen Komponisten in Barcelona erfreut und holte ihn deswegen nach seiner Krönung zum Deutschen Kaiser als Vizekapellmeister der Kaiserlichen Hofkapelle hinter Johann Joseph Fux  nach Wien. Oratorien verschönerten mit dem Alibi geistlicher Erbauung die ansonsten trübe Fastenzeit, standen aber, und dafür ist Gioseffo ein gutes Beispiel, an musikalischem Prunk den Opern in nichts nach.

Die „Handlung“ von Gioseffo allerdings weiß nichts von dem Verführungsversuch der Gattin des Potifar an Joseph, dem Sohn von Isaak und Rachel, sondern sieht ihn wegen der falschen Anschuldigung durch die Verschmähte bereits im Kerker, zusammen mit einem Bäcker und einem Mundschenk, denen er den Gehalt ihrer Traumphantasien erläutert. Als er den Pharao dessen Träume als die Prophezeiung der sieben fetten und sieben mageren Jahre deutet, befreit ihn dieser nicht nur aus dem Kerker, sondern setzt ihn zudem als König über Ägypten ein. Interessant ist die Figur des Testo, der erläutert, was den Rezitativen und Arien nicht zu entnehmen ist. Außerdem hat Caldara die Figur des untreuen Dieners Sedecia der biblischen Erzählung hinzugefügt. Das viersprachige Booklet liefert eine sehr ausführliche und erkenntnisfördernde Beschreibung des Inhalts, nicht nur den Text, sondern auch die musikalischen Formen betreffend.

Interessant ist das Oratorium nicht zuletzt durch den Einsatz so selten zu hörender Instrumente  wie dem Psalterium, einer Art Zither, und dem Chalumeau, eines Holzblasinstruments.

Bereits die Sinfonia vermeidet jegliche Fastendürrheit, sondern lässt den Hörer über die Entfaltung weltlichen Glanzes staunen, über den Farbenreichtum, die Üppigkeit des Klangs, den das Orchester jubelnd oder trauernd erzeugt. Mit einem Alt ist die Titelfigur besetzt. Margherita Maria Sala hat für sie einen satten, stets engagiert klingenden Klang, kostet die Raffinessen der Partitur aus, klingt manchmal etwas affektiert, eher aber raffinert, so beim Ritardando und dem bewegten und bewegenden „Libertà cara“. Einen körperreichen Bariton hat Mauro Borgioni für den Testo, der mit einem breiten Farbspektrum aufwartet,  sich in gewagte Verzierungen schmiegt und in bemerkenswerte Tiefen hinabsteigt. Den unglücklichen Panatiere singt Lorrie Garcia mit entsprechend tränenreichem Timbre, den glücklicheren Coppiere Eleonora Bellocci mit mädchen- bis jungenhaftem Sopran, der in seiner Jubelarie mit dem zitierten „dolce suono“ tatsächlich aufwarten kann. Autoritätsheischend und in „Non, più di me nun può“ Schärfen nicht vermeidend überzeugt Arianna Vendittelli ganz besonders mit einer fulminanten Kadenz. Viel vokale Autorität strahlt der Faraone von Luigi De Donato aus, gewagte Variationen auskostend und einen irrwitzig schwierigen Arienschluss nicht nur bewältigend, sondern hörbar genießend. So engagiert wie die Solisten und das Orchester lässt sich auch der Coro Maghini unter Claudio Chiavazza vernehmen und setzt einen leuchtenden Schlusspunkt (GCD 923543). Ingrid Wanja

Drei Komponistinnen Frankreichs

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Geballte Frauenpower springt dem Betrachter des Covers wie dem Hörer der CD mit dem Titel Sisters in Augen und Ohr, nicht nur mit den Gesichtern von Dirigentin und Sängerinnen, sondern auch mit der Musik von Komponistinnen, die auf ihr vertreten sind, und so huldigt sie in extremer Weise dem Zeitgeist. Allerdings verwundert dabei umso mehr, dass von der französischen Komponistin Louise Bertin nur die Sinfonia ihrer Oper Fausto (nach Goethe), nicht aber die Arie des für Mezzosopran komponierten Titelhelden vertreten ist, und dass obwohl eine der beiden Solistinnen der CD diese Partie vor gar nicht langer Zeit gesungen hat. Sisters sind im übrigen nicht die Mezzosopranistinnen Karine Deshayes und Delphine Haidan, und auch die Dirigentin Débora Waldman kann sich verwandtschaftlicher Bande nicht rühmen, wohl aber sind Maria Malibran und Pauline Viardot Schwestern gewesen, letztere auch als Komponistin bekannt, während als dritte Komponistin Clémence Grandval mit Auszügen aus ihrem Mazeppa vertreten ist, leider nur mit Orchesterstücken, so dass schwesterliche Zusammenarbeit sich auch hier nicht auf die beiden Sängerinnen erstreckt.

Die männlichen Komponisten dominieren auch auf dieser CD, vor allem wenn die Sängerinnen gefragt sind, von denen nur der dunkleren Stimme von Delphine Haidan das Glück zuteil wird, mit Viardots Arie aus Le dernier sorcier ein von einer Geschlechtsgenossin komponiertes Werk darbieten zu dürfen.

In drei anspruchsvollen Rossini-Duetten aus La Donna del Lago, Elisabetta, regina d’Inghilterra und Semiramide ist die mit einer helleren Stimme begabte Deshayes jeweils Elena, Elisabetta und Semiramide, die mit der dunkleren aufwartende Haidan Malcolm, Matilde, Arsace, was man nicht dem Booklet entnehmen kann, das sehr sparsam mit Informationen ist, sondern was man sich irgendwie aus dem sonstigen Repertoire der beiden erschließt. In der Rolle der Elena funkelt die Stimme von Deshayes verführerisch, weiß sie sich als Elisabetta mit der ihrer Partnerin reizvoll zu umschlingen und ist sie als Semiramide klar dominierend, was vokale Energie und Strahlkraft angeht.

Aus Glucks Orphée et Eurydice singt Haidan geschmeidig, weich und doch mit vokalem Biss die berühmte Arie, während die heller getönte Deshayes in Amour, viens rendre behände durch die Koloraturen eilt, mehr auf die technische Bewältigung als tiefsinnige Gestaltung konzentriert ist und mit einer schönen Kadenz, aber auch stellenweise mit Schrillheit aufwartet.

Spätestens beim Anhören von Elviras Qui la voce sua soave fragt man sich, warum sich Karine Deshayes als Mezzosopran bezeichnet, denn hier offenbart die Sängerin vor allem Sopranqualitäten, eine weitere Frage dürfte die nach dem Warum des Überwiegens von Orchesterstücken der Komponistinnen sein, insbesondere, wie bereits erwähnt, den Fausto von Bertin betreffend , aber auch Mazeppa von Clémence de Grandval betreffend. Das Orchestre national Avignon-Provence unter Debora Waldman ist zwar ein solider, einfühlsamer Klangkörper, aber als Alibi für ihre Dominanz nicht geeignet, so wenig wie die Oper generell es sein kann, die zumindest gleichwertige Beteiligung  und Bedeutung von Frauen in ihrer Geschichte zu demonstrieren (NNM 118). Ingrid Wanja.                    

Indisches aus Athen

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Unsere Liebe zu griechischen Opern ist ja Lesern von operalounge.de hinlänglich bekannt, unsere Hochachtung vor dem griechischen Dirigent, Musikwissenschaftler und Musik-Archäologen Byron Fidetzis ja auch – wir haben vielfach über ihn berichtet und haben inzwischen doch eine Menge an unkeannten griechischen Operntiteln vorgestellt. So auch jetzt. Und das mit Blick auf die neue Veröffentlichung bei youtube.

Im Februar 2025 gab es, nach der Oper Lionella 2023 (die noch auf eine Präsentation bei uns wartet, aber bei youtube nachzuerleben ist), die Oper Medgé von Spyros Samaras, dessen Rhea zu den einigermaßen bekannteren gehört (Lyra) und dessen Mademoiselle de Belles Iles ebenso wie seine Tigra bei Naxos als CD vorliegt.

Zum ersten Mal nun Spyros Samaras´Oper Medgé in Athen im Maria Callas Saal in neuer Orchestrierung durch Byron Fidetzis, da die Originalpartitur verschollen ist und es nur ein gedrucktes italienisches Libretto (Übersetzung Ferdinando Fontana) und einen Klavierauszug in Französich-Italienisch  gibt.

Die Rollen wurden gesungen von: Lucie Peyramaure (Medgé/Mezzo-Sopran), Konstantinos Klironomos (Nair/Tenor), Dimitris Platanas (Sélim/Bariton), Héloïse Mas (Vazanta/Mezzo), Tassos Apostolou (Kadur/Bass) und Florent Leroux-Roche (Amtziad/Bariton). Byron Fidetzis dirigierte das Athener Philharmonia Orchester und den Athener Stadtchor (Leitung Stavros Beris) (17. 02. 254).

Wir halten diese Wiederbelebung, Nachschöpfung der Oper eines der bedeutendsten griechischen Komponisten für wichtig und bringen daher nachstehend einen einführenden Artikel von Giorgos Leotzakos sowie ein paar Worte von Byron Fidetzis zu seiner Arbeit an der Oper, gefolgt von einem Bericht über das Konzert selbst von Kostas Xakenis sowie eine ausführliche Inhaltsangabe. G.H.

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Foto von Samara mit Widmung 1913/ Samara Archive/Lyra

Zum Werk und seiner Entstehung ein Artikel von dem renommierten griechischen Musikwissenschaftler Giorgos Leotzakos. Als älteste erhaltene Oper von Spyros Samaras – ihre Komposition wurde bereits im Mai 1883 in der Pariser Presse angekündigt – erhält die Medgé eine wegweisende Bedeutung, sowohl für die Verfolgung der Entwicklung des Komponisten anhand von etwa zehn Opern, unter Berücksichtigung der unvollendeten Tígra, als auch für die weitere Verfolgung einiger möglicher Einflüsse auf die Entwicklung der späteren italienischen Oper und der veristischen Bewegung. Ihre Geschichte ist daher von großem Interesse.

Das Werk basiert auf einem Text eines gewissen Pierre Elzéar geb. Paris, 25. November 1849 – gest.?), der so unbekannt ist, dass nicht einmal sein Todesdatum im Lexikon der Librettisten von Stieger verzeichnet ist. In Wirklichkeit war Medgé sein einziges Libretto: Er wird zusammen mit drei anderen Mitverfassern des Librettos des Turms zu Babel, einer dreiaktigen komischen Oper (Opera buffa, Paris) in Musiklexika, selbst in französischen, nicht erwähnt.

Zu Samaras´“Medgé“: Pierre Elzéar (Elzéar Bonnier-Ortolan; né Elzéar Charles Joseph Bonnier le 25 novembre 1848 à Paris et mort le 25 mai 1916 à Villefranche-sur-Mer, dit Pierre Elzéar, est un poète et dramaturge français/Wikipedia)/OMU

Was jedoch die indische Geografie des Sujets betraf, so wusste Elzéar nicht viel über sein Vorhaben: Die Oper spielt in Mysore (indisch: Māisōr),  an der südwestlichen Spitze des indischen Subkontinents, während der Ganges, an dessen Ufern sich der letzte Akt abspielt, etwa am südwestlichen Ende des indischen Subkontinents, etwa… 2.000 Kilometer nördlich im Himalaya entspringt und in den Indischen Ozean in der Nähe von Kalkutta (Ganges-Delta) mündet.

Auf jeden Fall ist die Versuchung groß, Medgé mit der Lakmé Délibes´ zu vergleichen. Wir betonen jedoch nachdrücklich, dass die bislang älteste Information über Medgé aus der Musikzeitung vom 6. Mai 1883 stammt: Sie wurde offensichtlich schon lange vor der Premiere der Oper von Delibes an der Opéra-Comique (Salle Favart) am 14. April 1883 begonnen. (…) Alle Quellen stimmen darin überein, dass Samaras 1882 zum ersten Mal nach Paris kam: Nach unserem derzeitigen Wissensstand ist es nicht abwegig anzunehmen, dass sein Studium am Conservatoire, entweder bei Dubois oder bei Delibes, im Herbst 1882 begann. Zwischen Herbst 1882 und dem 6. Mai 1883 liegt höchstens ein halbes Jahr.

Zu Samaras´“Medgé“: die große Emma Calvé sang die Titelrolle in der Premiere 1888, hier als Salomé in Massenets „Hérodiade“ auf dem Cover der Zeitschrift „Le Thêatre“/Wikipedia

Samaras beginnt also Medgé, wobei er sich auf das stützt, was er vor allem von Giuseppe Stancampiano in Athen gelernt hat (a pupil of Mercadante, himself an opera conductor and music master, living in the Greek capital/Grove/GH), mit dem er bei der Oper Olao zusammengearbeitet hat! Wir werden nachstehend sehen, wann, wie und wo die Bearbeitung abgeschlossen wurde. 1874 hatte Massenet das fast halbfertige Libretto zu Medgé für eine bestimmte Sängerin (Emma Calvé) abgelehnt, das ihm Édouard Blau und Louis Gallet vorgeschlagen hatten. Gallet unterzeichnete das Libretto einer der ersten Opern von Massenet, der indischen Handlung von  Le Roi de Lahore (Opéra Garnier, 27. April 1877). Diese wird für Samaras wohl entscheidender gewesen sein, obwohl auch Lakmé als möglicher thematischer Einfluss für Samaras Oper angesehen wird. Jedenfalls irrt ein bedeutender Biograf Massenets, der Elzéar völlig ignoriert, wenn er behauptet, dass „mit aller Wahrscheinlichkeit” Samaras das Libretto vertonte, das Massenet 1874 abgelehnt hatte.

Immerhin wurde am 23. Januar 1877 (St. Petersburg) auch ein berühmtes „indische” Ballett La Bajadere aufgeführt, inspiriert von Sakuntala des großen indischen Dichters Kalidasa, in der Choreografie von Marius Petipa und der Musik von Ludwig Minkus, während schon viel früher, 1861, Gounod zu einem Text von Jules Barbier ein Lied gleichen Sujets für Gesang und Klavier komponierte.

Ob Samaras auch die „orientalische” Oper von Saint-Saëns, Samson und Dalila (Weltpremiere in Weimar am 2. Dezember 1877, 1. Ausgabe 1877, aber französische Premiere in Rouen erst 1890!), kannte, ist unklar, auf jeden Fall, abgesehen von der Medgé, wird seine Faszination für das Exotische deutlich (es ist sicherlich unwahrscheinlich, dass Samaras von Moniuszkos Paria gehört hat, der im fernen Warschau 1869/1872 seine Premieren, aber natürlich das gleiche indische Sujet hatte, aber es werden sich vielleicht andere Opern aus dem früheren 19. Jahrhundert mit eben diesem Thema finden lassen/GH) .

Maurice de Vries war der erste Sélim in Samaras´“Medgé“ 1888/courtesy Charles Mintzer/Rudi van den Bulck Archive

Diese Faszination mit dem Exotischen wird auch durch die Komposition der Vier orientalischen Szenen für Klavier zu vier Händen aus derselben Zeit bestätigt, von denen mindestens eine orchestriert wurde. Sie  sind die unmittelbaren indologischen und exotischen Vorgänger von Samaras Medgé.

Die nächste wichtige Erwähnung von Medgé stammt von Ferdinando Fontana, dem Übersetzer ins Italienische: Er spricht in zwei Briefen an Puccini vom August 1886 über seine (unvollständige) Übersetzung des Librettos. Somit können wir die Komposition von Medgé festmachen: Anfang 1883 – spätestens Juli 1886, in erster Fassung, mit einer Unterbrechung von vier bis fünf Monaten im Jahr 1885, in denen Samaras die Flora mirabilis am Comer See komponierte! Sollte, wider Erwarten, die verschollene Orchesterpartitur jemals wiederentdeckt (…) werden (Leotzakos´ Artikel ist von 2011, also vor der im Februar 2025 erfolgten Reorchestrierung durch Byron Fidetzis 2025/G. H.), dann sollte nicht die französische Originalfassung von Elzéar, sondern die italienischen Übersetzung von Fontana übernommen werden, der allem Anschein nach diskret, aber äußerst kreativ daran gearbeitet hat. Im französischen Text, den Samaras offenbar ursprünglich vertont hat, haben sehr viele Abweichungen einen poetischen, wenn nicht sogar literarischen Charakter und damit eine Unbestimmtheit hinsichtlich der Unmittelbarkeit und Klarheit der Gefühle und Reaktionen der Figuren in bestimmten Situationen. In Fontanas Text erhalten dieselben Gefühlsbereiche einen wohlverstandenen Realismus, eine psychologische Wahrhaftigkeit, die die Existenz der Figuren noch mehr betonen. Darüber hinaus gibt es zwischen dem gedruckten Libretto und dem zweisprachigen (französisch-italienischen) Klavierauszug, die beide 1888 erschienen, wesentliche Unterschiede, zumindest was die letzte Szene betrifft.

Zu Samaras´“Medgé“: Elena Hastreiter war die erste Vazanta 1888 am Teatro Costanzi/Archivio Storico del´Opera di Roma

Zwischen der Veröffentlichung des Librettos und des Klavierauszugs liegt offensichtlich ein gewisser Zeitraum, der es Samara nach dem Triumph von Flora mirabilis erlaubte, das Werk zu überarbeiten, wahrscheinlich in engster Zusammenarbeit mit Fontana. Das Ergebnis, im Vergleich zum gedruckten Libretto, zeigt sich deutlich in den beiden letzten Szenen: Es handelt sich nicht einige Änderungen oder Streichungen von Wörtern aus dem Notentext des Klavierauszuges, sondern auch um einige treffende Abweichungen, die den Charakter der Vazanta besser zur Geltung bringen. So übergibt die Königin im Libretto nachdem sie ihren untreuen Liebhaber Selim getötet hat, ihre Krone dem Paar Medgé-Nair zurück und erklärt, dass sie als Priesterin im Tempel von Deva sterben werde. Im Klavierauszug ist diese Abkehr verschwunden. Das Werk endet mit der schrecklichen Überraschung Vazantas über den Mord,  in einem Parlando, das das dramatisch Wesentliche auf den Punkt bringt: „Ah…spento egli è” („Ah. er ist tot”). Der Zuhörer weiß bereits, dass Vazanta das Paar Medgé-Nair unter ihren Schutz gestellt hat. Das reicht: Es gibt dem Komponisten die Gelegenheit zu einem wunderbaren Finale, das den frühen  Verismo ahnen lässt. Natürlich konzentriert sich das Werk damit eher auf das Paar Vazanta und Selim, das letztlich so menschlich ist, während das „ideale“ Paar Medgé und Nair vor allem als Katalysator dient, um das ganze Spektrum ihrer charakterlichen Gegensätze zu offenbaren. Aber auch diese Eingriffe rechtfertigen umso mehr die berühmte Aufforderung Fontanas an Samara im Jahr 1913, die Flora mirabilis noch einmal gemeinsam zu überarbeiten!

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Zu Samaras „Medgé“: Bühnenbild-Entwurf für Masenets „Roi de Lahore“ Akt 1, 1878 von Agosto Ferri/Archivio Storico Ricordi

Medgé, eine Oper in vier Akten (fünf Bilder), wurde am 11. Dezember 1888 am Teatro Costanzi in Rom in der italienischen Übersetzung durch Ferdinando Fontana (??? G. H.) uraufgeführt. Insgesamt wurde sie sechsmal gespielt und muss den uns vorliegenden Kritiken zufolge einen gewissen Erfolg gehabt haben. Zweifellos war sie ein gesellschaftliches Ereignis: Bei der Premiere waren die kunstliebende Königin Margherita, Cousine und Ehefrau von Umberto I., der Premierminister Francesco Crispi und der griechische Botschafter anwesend. Es war ein exotisches, hollywoodreifes Spektakel mit einer üppigen, anspruchsvollen Inszenierung und sicherlich hohen Kosten (á la Aida/G.H.). Wohl auch ein Grund dafür, dass die Oper seitdem nie wieder aufgeführt wurde.

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Der vorherrschende Eindruck beim Betrachten der Noten (des Klavierauszugs, da die Orchesterpartitur verschollen ist/G.H.) von Medgé ist der enorme Reichtum der Themen seiner Erfindungen, eine tropisch-orgiastische Vegetation spannender Inspirationen eines charismatischen Komponisten von nur 22 Jahren. Wir erinnern uns wieder an den prophetischen Fontana: „Una vera stoffa d’operista“. Samaras Technik, bewundernswert vollendet, lässt hier schon sein angeborenes Talent erahnen. Sehr oft unterstreichen seine harmonischen Fortschritte den emotionalen psychologischen Wechsel der Konflikte. Die Tempi in ihren gut durchdachten Wechseln, seine Rhythmen, die gesamte organische Begleitung, zusammen mit der Harmonik, wirken wie ein wunderbarer Pulsmesser. (…)  Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Details des riesigen Ton-Gemäldes richten, entdecken wir eine Vielzahl von fein gearbeiteten Miniaturen, deren oft kaleidoskopische vielfältige Abfolge das Gesamtbild vervollständigen. Medgé wird vielleicht einmal als einer der Bezugspunkte für die Verfolgung der Entwicklung der späteren italienischen Oper dienen… Es ist ein Jammer, dass die Orchesterpartitur verloren ist. Alles in der erhaltenen  Klavierfassung von Medgé unterstreicht eindringlich ihre Funktionalität: Wechsel und Kontraste in der Dichte der harmonischen Schreibweise, die der Begleitstimmen mit flüchtigen Pinselstrichen, die mit durchdachten Kontrasten oder Schattierungen der orchestralen Klangfarben usw. identisch sind.

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Zu Samaras´“Medgé“: Bühnenbild zum 3. Akt von Carlo Ferrario/Archvio Storico Ricordi

Obwohl das Werk genau zu der Zeit geschrieben wurde, als Wagner starb, finden sich stricto sensu in Medgé keine Leitmotive oder „Erinnerungsmotive”. Deutlicher sind thematische Elemente am Anfang des zweiten Aktes (Duett Mezzo – Vazanta), die vage miteinander in Verbindung stehen. Das zweite Motiv findet im letzten Akt recht deutlich als Synkope, Tonika und Rhythmus (Vazanta Anrufung der blutrünstigen, negativen Göttin), während die „Ton-Plejaden” (einzelne aufblitzende tonale Elemente wie Sternschnuppen?/G. H.) in der letzten Szene der Hinrichtung von Selim wieder auftauchen.

Aber diese Plejaden sind ein Teil der„Fingerabdrücke” des Stils von Samara. Um es deutlich zu sagen: Der vorherrschende Eindruck ist der unerschöpfliche Fluss neuer musikalischer Ideen. Daher ist die große Mezzosopran-Arie Medgés als eine Abfolge autonomer musikalischer Einheiten strukturiert, die man im Englischen als „Nummern” bezeichnen würde, mehr oder weniger kurz, oft nicht nur an sich bezaubernd, sondern auch als Abwechslung zu dem, was vorangeht oder folgt. Hier wieder eine wesentliche Verwandtschaft mit Aida: Verdi, der neben den Gefühlen seiner Helden, die in der Regel mit den Dur- und Moll-Tonarten der westlichen Musik ausgedrückt werden, eben auch „Modi” einer ganzen vollständig verlorenen Musikkultur der alten Ägypter erfindet. Etwas Ähnliches versucht vielleicht der 22-jährige Samaras auch, allerdings wesentlich zögerlicher und offenbar fast ohne jegliche Kenntnis der indischen Musik: Mit seinen exotischen Anspielungen, abgesehen von gelegentlichen Rückgriffen auf Monophonie oder sogar Unisono und pentatonischen Konturen, die typisch für „exotische” Musikkulturen sind, versucht er vorsichtig, aber immer mit Treffsicherheit, über den Dur- und Moll-Ton in die Welten des Trioletts und einiger „exotischen“ Varianten vorzudringen. Solche exotischen Bezüge vertraute er oft einem Holzblasinstrument, einer Flöte oder einer Oboe an.

Zu Samaras´“Medgé“: Bühnenbild zum 2. Akt von Carlo Ferrario/Archvio Storico del Teatro alla Scala

Als Ausgleich dafür weisen sein tonales Spektrum (insbesondere dieses) und sein harmonisches Vokabular über ihre psychographische Funktionalität hinaus eine bemerkenswerte Vielfalt (z. B. häufige harmonische Wechsel) und Ökonomie auf, da die harmonische Idee oft für den expressiven Höhepunkt des jeweiligen „Stücks” reserviert ist. (Wiederveöffentlichung aus dem Programmheft des Staatlichen Orchesters zur Würdigung Samaras beim Philologischen Verein Parnassos am 10. April 2011). Giorgos Leotzakos 

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Zu Samaras´“Medgé“: Bühnenbild zum 4. Akt von Carlo Ferrario/Archvio Storico dell Teatro alla Scala

Und nun der Dirigent und Musikwissenschaftler Byron Fidetzis zu seiner Neuausgabe der Oper Medgé von Spyros Samaras. Mit der Medgé von Samaras habe ich mich intensiv beschäftigt, nachdem seine Lionella während der Pandemie aufgeführt wurde. Das Werk hat mich besonders beeindruckt, als April 2011 im Rahmen des 7. Zyklus der Griechischen Musikfestspiele.  Ich zog es jedoch vor, mich zunächst mit Leonella zu beschäftigen, vielleicht weil mich die Geschichte und die Mythologie des Werks faszinierten. Die Uraufführung in der Mailänder Scala im Jahr 1891 und ihr eklatanter Misserfolg trotz der großen Namen, die sie interpretierten, wie der Dirigent Mugnone, und der Ruhm der Trennung unseres Komponisten von Leoncavallo waren äußerst reizvolle Anziehungspunkte, die über den musikalischen Wert hinausgingen.

Die Musik war mir übrigens bereits aus den EMG von 2011 bekannt. Über die Orchestrierung hatte ich ständig nachgedacht und auch einen groben Arbeitsplan erstellt. Als mir dann Olivier Decot den entsprechenden Vorschlag machte, stürzte ich mich mit voller Kraft in die Arbeit.

Zu Samaras´“Medgé“: Bühnenbild zum 1. Akt von Carlo Ferrario/Archvio Storico Teatro del´Opera di Roma

Von den drei Melodram-Instrumentierungen von Samaras, die ich gemacht habe, stellte jede seiner Opern besondere Probleme dar. Tigra, an der ich als erste gearbeitet habe, existierte in einem einzigartigen Manuskript Partitur, also einem ersten Entwurf für Stimmen und gegebenenfalls „erweitertes“ Piano. Wichtig war, dass Samaras seine musikalischen Ideen zu Papier brachte, ohne sich durch die Notwendigkeit, den Part für den zukünftigen für den zukünftigen Übungspädagogen, der das Werk den Sängern beibringen würde, spielbar zu machen. Der direkte Kontakt zu seinem Manuskript war daher für mich äußerst hilfreich bei der Frage, wie es orchestriert werden könnte.

Bei Lionella lag die Schwierigkeit einerseits in der Existenz eines bedeutenden orchestralen Auszugs wie der Ungarische Rhapsodie, die für die gesamte orchestrale Komposition recht verbindlich ist, und andererseits die für die Erlernbarkeit auf dem Klavier „komprimierte“ gedruckte Wiedergabe des orchestralen Klangs.

Zu Samaras´“Medgé“: Leopoldo Mugnone dirigierte die Oper 1888 am Teatro Costanzi Rom/Wikipedia

Im Fall von Medgé kam zu dieser letzten Schwierigkeit noch eine weitere hinzu, die sowohl praktischer als auch emotionaler Natur war. Das einzig bekannte Partitur des Werkes war war die des bedeutenden Dirigenten der Griechischen Nationaloper, Totis Karalivanos (1901-1987). Der Maestro liebte die Medgé besonders und hatte mehrere Auszüge daraus selbst orchestriert Er war sogar so freundlich, mir seine Partituren und die Stimmen zu schenken, die alle von ihm handschriftlich verfasst waren. Ich stand vor zwei Problemen. Erstens „beschränkten“ oder „begrenzten“ seine Orchestrierungsnotizen in gewisser Weise die Phantasie eines jeden nachfolgenden Arrangeurs. Zweitens war es nicht möglich, die konkreten Auszüge zu verwenden, da sie der allgemeinen Homogenität verpflichtet waren und urheberrechtlich geschützt waren.

Die Schwierigkeit wurde noch größer durch das Bewusstsein für den persönlichen Wert der Arbeit des Maestros. Ich kam zu dem Entschluss, eine vollständige eigene Orchestrierung des Werks vorzunehmen, wobei ich mich an den Arbeiten von D. Sostekin an Boris Godunow und M. Mussorgskys an Boris Godunow und die Chovanschtschina von M. Mussorgski orientierte, trotz der früheren brillanten Orchestrierungen der oben genannten Werke durch den genialen Orchestrator (und selber Komponisten) N. Rimski-Korsakow (danachl von Schostakowitsch und Strawinsky).

Dirigent und Pionier der griechischen Musik, Byron Fidetzis, dirigierte Samaras´ Medgé 2025 in Athen/Lyra

Dieses Jahr jährt sich zum 40. Mal die meiner Meinung nach historische Aufführung und CD-Aufnahme von Rhea, die ich im September 1984 in Korfu mit hervorragenden griechischen Solisten und dem Orchester und Chor des Radios Sofia dirigiert (und eingespielt/G.H.) hatte. Ich glaube, dass dieses Ereignis sowohl für die Wiederentdeckung von Samaras durch die griechische Musikszene als auch für die anschließende grundlegende Forschung über sein kompositorisches Werk grundlegend war. Heute, am Ende meines Zyklus von Orchestrierungen und im Rückblick auf meinen persönlichen Weg durch das Werk des großen Komponisten aus Korfu, kann ich sagen, dass ich einen kleinen Beitrag zur wesentlichen Kenntnis seines Werks geleistet habe. Ich glaube, dass die jüngeren Musiker und Forscher mit ihrer Arbeit dazu beitragen werden, dass das Wissen über das Schaffenswerk von Samaras und das Werk anderer bedeutender Komponisten unserer Zeit eine breitere Gesellschaftsschicht erreicht und zum Eigentum unseres griechischen Volkes wird. Byron Fidetzis

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Kostas Xakenis zum Konzert im Februar 2025: Eine absolut unbekannte, absolut wichtige und musikalisch in die Zukunft reichende  Oper des Komponisten  aus Korfu, sein Meisterwerk Medgé, wurde im Rahmen einer Hommage an den großen griechischen Komponisten des Verismo in Zusammenarbeit mit dem Athener Philharmonischen Orchester auf der Bühne des Olympia-Theaters am 27. Februar 2025 in einer neuen Orchestrierung durch Byron Fidetzis konzertant aufgeführt.

Samaras, der Komponist, der die Olympiahymne vertont hat, war zweifellos der bedeutendste und erste Komponist der Ionischen Schule, der internationale Anerkennung erlangte. Seine Karriere blühte in Paris, Mailand und anderen Städten Italiens, bevor er zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Griechenland zurückkehrte. Leider sind die meisten Opern von Samaras nur in gekürzter Form, in Transkriptionen für Gesang und Klavier, erhalten, wobei viele Originalorchestrierungen des Komponisten offenbarverloren sind.

Der erfahrene Dirigent Byron Fidetzis arbeitet seit vielen Jahren systematisch an der Wiederbelebung von Samaras‘ Werk und hat aus diesem Grund mehrere seiner Opern neu orchestriert, damit das zeitgenössische Publikum sie genießen und würdigen kann.

Samaras´ „Medgé“ im Konzert in Athen/Foto Maria Callas Saal

Nach der Wiederaufführung der Oper„Lionella im Mai 2023 (auf youtube zu erleben) setzte der künstlerische Leiter der Philharmonie seinen unschätzbaren Beitrag zur Verbreitung des griechischen klassischen Repertoires fort und orchestrierte Medgé neu.

Mit diesem Satz hat der italienische Dichter und Librettist von Puccini und Samara (1861-1917), Ferdinando Fontana (1850-1919), vor etwa 140 Jahren das „Phänomen” Samara vorausgesagt! „Hören Sie es sich mit Ihrer Fantasie und im Original an: Spiro Samara: una vera stoffa d’operista! Ist die Musikalität der Worte nicht erstaunlich?“

Nach der Ausgrabung der Oper Lionella im Mai 2023 hat der Dirigent Byron Fidetzis, der seinen unschätzbaren Beitrag zur Verbreitung des wissenschaftlichen griechischen Repertoires fortsetzt, Medgé neu orchestriert, da die originale Orchestrierung von Samaras wie im Falle von Lionella als verloren gilt.

Byron Fidetzis orchestrierte und dirigierte 2025 die „Medgé“ von Spyros Sarama/Foto Athens State Orchestra

Die Oper, die nach dem französischen Originallibretto von Pierre Elzéar aufgeführt wird, ist eine beeindruckende Leistung des erst 22-jährigen Samaras. Ihr unendlicher melodischer Reichtum wurde von einer hervorragenden Besetzung von griechischen und französischen Opern-Sängern dargeboten.

Es war ein „Ozean“ origineller musikalischer Themen, die so vertraut sind und doch noch nie zuvor gehört wurden, sodass man sich dabei ertappt, abstrakt vor sich hin zu summen oder leicht im Takt der Ballettmusik des Werks mitzuwippen, als wäre es etwas ganz Eigenes. Aber ist das nicht das Wesen wahrer Kunst?

Was Byron Fidetzis betrifft, der das Werk nach dem Verlust der Originalpartitur neu orchestriert und damit eine weitere Meisterleistung in unserem Musikleben vollbracht hat, was soll man da noch sagen! Wir glauben, dass selbst wenn die Italiener 1888 in Rom ein völlig anderes Werk gehört hätten, Samaras, wäre er anwesend gewesen, von Fidetzis‘ „Handwerkskunst” begeistert gewesen wäre.

In der Musik des Komponisten konnte man die französische Finesse und den Einfluss seiner französischen Kollegen und Lehrer Delibes (Lakmé), Bizet (Les Pêcheurs de Perles), Charpentier (Louise) und Chabrier (L’Étoile), aber auch in der „trionfale” „alla” Aida mit den links und rechts „abgeschnittenen” (!) Trompeten. Vorbildliche Ensembles im italienischen Belcanto-Stil von Donizetti (siehe Sextett) und seine Ballette im französischen Stil (siehe Verdis Vêpres siciliennes), sowohl in der Oper als auch in französischen Operetten „à la“ (die an den berühmten Klein-Zack au Les contes d´Hoffmann, aber auch an die österreichisch-ungarische Operette seiner Zeit erinnern), aber immer mit einem persönlichen Stil, der nicht von seinen Zeitgenossen kopiert oder „gestohlen” wurde, sondern sich nur von den musikalischen Entwicklungen um ihn herum beeinflussen ließ, als Student und Kollege, der in ganz Europa intensiv studierte und dessen gesamtes musikalisches Œuvre das Gefühl vermittelt, dass etwas Neues die Geschichte unserer Kunst erschüttern wird, und die Wahrheit offenbart wird, um den kommenden musikalischen Trend des Verismo einzuführen und „zu gebären”, der von seinen Kollegen Puccini, Leoncavallo und Mascagni zu Recht als „Vater” dieser Bewegung bezeichnet wurde. Ein Beweis dafür ist das Intermezzo zwischen dem 3. und 4. Akt.

Samaras´ „Medgé“ im Konzert in Athen/Foto Maria Callas Saal

Das Athener Philharmonia Orchester, der Athener Stadtchor unter der Leitung des Dirigenten Stavros Beris und die Solisten in Bestform, obwohl für eine ausgewogene Balance mindestens ein weiterer Chor erforderlich gewesen wäre. Lucie Peyramaure (Medgé/Mezzo?), Konstantinos Klironomos (Nair), Dimitris Platanas (Selim), Héloïse Mas (Vazanta), Tassos Apostolou (Kadur) und Florent Leroux-Roche (Amtziad) sangen sehr anständig, der Tenor vor allem kraftvoll und mit Elan. Die beiden Frauenstimmen schienen mir zu dunkel um sich voneinander zu unterscheiden. Zudem hatte Lucie Peyramaure für die jugendliche Sopranpartie der Titelheldin ein gewisses Höhenproblem und klang uncharmant. Sie ist sicher ein Mezzo, und die Partie tat ihr keinen Gefallen. Tassos Apostolou machte mit seinem dunklem Bass viel her, und der Bariton Dimitris Platanas zeigte einen elegant geführten Bariton. Ensemble und Chor waren von Apostolos Palaios tadellos vorbereitet worden waren. Aber der Held des Abends war das rauschhafte, sinnliche Orchester in der neuen Orchestrieruzng durch den Dirigenten Byron Fidetzis, der das Elegante in der Musik ebenso hervorbrachte wie das Kriegerische und Sinnlich-Exotische (3. Akt) – absolut spannend.  (17. 02. 254).

Das Publikum, das den Theaterraum füllte, rief „Bravo” und applaudierte lange, was für die griechische Oper in unserer Zeit ungewöhnlich ist, und ließ die Künstler nicht von der Bühne. Es war ein echter Triumph für Samaras, Fidetzis und alle anderen. In Korfu und Italien wären sie sicherlich mit Rosenblättern überschüttet worden, wie es Tradition noch heute ist. Und es stellt sich erneut die Frage, warum die Nationaloper all diese erstklassigen griechischen Opern von Samaras, Carrer, Lavraga usw. nicht in ihr Repertoire aufnimmt und unsere 200-jährige Tradition unterschlägt. Kostas Xenakis

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Zu Samaras „Medgé“: Poster zu Davids „Lallah-Rouk“ 1862/Wikipedia

Inhalt: Medgé  wurde am 11. Dezember 1888 in Rom (Teatro Costanzi) uraufgeführt und sechsmal aufgeführt, mit der französischen Sopranistin Emma Calvé in der Titelrolle.

AKT I: Jäger verfolgen die Spuren eines wilden Tieres im Wald. Nair tötet mutig das Tier und feiert seinen Erfolg. Seine Schritte führen ihn zu einem verfluchten Felsen. Dort warnt ihn Kadur, sein weiser Diener, dass, wenn jemand es wage, dreimal Wasser aus dem Fluss zu trinken, ein Dämon in Gestalt einer Frau erscheine. Nair ist nicht überzeugt und trinkt, wodurch er die unbekannte „Göttin der Felsen“ heraufbeschwört. Tatsächlich steht eine schöne Frau vor ihm; sie ist kein Dämon, sondern die unglückliche Tochter des Königs von Mysore, Medgé. Nach der Niederlage ihres Vaters gegen den mächtigen Vazanta suchte sie Zuflucht in der Wildnis. Von ihrer Schönheit verzaubert, verspricht Nair, ihr zu helfen, über Nacht die Grenze zu überqueren. Bevor sie aufbrechen können, überrascht Sélim, der Anführer der Armee, sie und befiehlt seinen Soldaten, die Prinzessin zum Palast zu begleiten. Medgé muss gehorchen, während Sélim ihren Bitten nachgibt und Nair freilässt.

Zu Samaras´“Medgé“: das Teatro Constanzi 1880, nach dem Krieg wieder aufgebaut als Teatro dell´Opera di Roma/Wikipedia

AKT II: Medgé ist in die vertrauten Gemächern des Palastes zurückgekehrt, aber sie kann Nair nicht aus ihrem Kopf bekommen. Vazanta erscheint, majestätisch und benevolent. Im folgenden Duett gesteht die Königin der Prinzessin, die siegreich von der Grenze zurückgekehrt ist, ihre Liebe zu Sélim. Sie offenbart auch ihre verborgene Angst, dass Medgés erstaunliche Schönheit ihren Auserwählten verführen könnte. Medgé bietet an, den Palast zu verlassen, und Vazanta stimmt erleichtert zu. Unterdessen feiert das Volk die triumphale Rückkehr der Soldaten. In der Menge suchen Nair und Kadur Medgé, trotz der Gefahr. Während Vazanta zusammen mit den Priestern Brahma für den Sieg dankt, entdecken sie sie, aber Nairs unerwünschte Anwesenheit wird von Amgiad bemerkt. Nair wird verhaftet und zu Sélim gebracht, der über sein Schicksal entscheiden wird. Kadur flieht und übernimmt die Aufgabe, Medgé zu benachrichtigen. Im Palast wird Sélim zum König gekrönt. Als er von Medgés Entscheidung zu gehen erfährt, versucht er verzweifelt sie aufzuhalten, jedoch ohne Erfolg. Nair wird vor die Königin gebracht, die ihn dank der Fürsprache der Prinzessin freilässt. Das Drama erreicht seinen Höhepunkt, als die Personen sich in ihren Ängsten und Sehnsüchten gefangen sehen. AKT III: Eingehüllt in die Dunkelheit der Nacht und unter dem bedrohlichen Schatten von Sélim planen die beiden Liebenden ihre Flucht: Sie vereinbaren, dass Nair Medgé vorausgehen wird und sie sich bei Tagesanbruch am Flussufer treffen werden. Als Nair sich entfernt, erscheint Sélim und versucht, sich Medgé aufzuzwingen, die sich jedoch standhaft weigert, seinen Forderungen nachzugeben.  Versteckt hinter einer Säule beobachtet Vazanta die Szene und greift im richtigen Moment ein, um die Prinzessin unter ihren Schutz zu stellen.

Zu Samaras´“Medgé“: Flachrelief von David d’Angers (1788–1856) mit Darstellungen von Denkern und Schriftstellern aus Asien, deren Ideen durch den Buchdruck verbreitet wurden, unter der Statue von Gutenberg. Der Dichter Auguste Pavie (1847 – 1925) rechts, zeigt auf die Bücher. „Lakmé“ basiert auf seinem Werk „Les Babouches du Brahmane“ und anderen Geschichten/Wikipedia

AKT IV: Am Ufer des Ganges singen der Hohepriester und das Volk Lobeshymnen auf Deva, die Göttin der Nacht. Unter ihnen betet auch Vazanta in ihrer Funktion als Hohepriesterin. Szenenwechsel: Vor dem Tempel Kadur segnet die Vereinigung von Nair und Medgé. Der ekstatische Moment wird von Sélim unterbrochen, der sich bedrohlich Medgé zuwendet. Bevor er sie ergreifen kann, erscheint Vazanta: Sélims Verrat an der Königin wird noch schwerwiegender, als er die Göttin Deva beleidigt. Sélim gesteht seine Liebe zu Medgé und macht damit seine Verurteilung unvermeidlich. Die Oper endet damit, dass Vazanta ein Messer in Sélims Kehle stößt, der auf dem heiligen Altar geopfert wird. Im Morgengrauen stehen Nair und Medgé vereint auf den Stufen des Tempels. Maira Milolidaki

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Archivio Storico del Teatro dell´Opera die Roma: Spiro Samara (sic!) Medgé. Stagione 1888 al Teatro Costanzi Roma, Librettista: Fontana, Direttore: Mugnone, Leopoldo, Scenografia: Fidora, Natale, Cantano: Calvé, Emma (Medgé); Hastreiter, Elena (20, 31 dicembre Paolicchi-Mugnone, Maria) (Vazanta); Massart, Nestor (Nair); De Vries, [Devries Maurice?] (Selim); Cherubini, Enrico (Kadur); Navarri, Alberto (Amgiad); Terzi, Raffaele (Il gran bramiro). 11, 13, 15, 16, 20, 30 dicembre. Prima esecuzione assoluta: 11 dicembre 1888 Costanzi, Roma 

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Die vorliegenden Texte entnahmen wir mit Dank dem Programmheft zur konzertanten Aufführung im Maria Callas Saal in Athen im Februar 2024

Die eine oder andere Unklarheit im Text von Giorgios Leotzakos (9. 8. 1935 – 13. 8. 2024 !) führt darauf zurück, dass es nur den griechischen Originaltext gab – in griechischer Schrift -, der für mich keine weitere Referenz zuließ. Daher die kursiv gesetzten Einschübe. Leotzakos´Kritik an Pierre Elzéar scheint absolut unberechtigt, denn der war ein renommierter Autor und Dichter, Librettist für Chabriers Gwendoline und viele andere Opern und genoss ganz offentsichtlich die Freundschaft von Fauré und anderen Musikern.

Zudem: Solange es keine Klarheit darüber gibt, ob nun  Uraufführung (mit Emma Calvé) in französisch oder in Fontanas Übersetzung gegeben wurde (wie Leotzakos behauptet und wie die Annalen der römischen Oper belegen), scheint der Einschub des Textes zu Fontana bei Leotzakos etwas verwirrend, seine Verächtlichmachung des originalen Librettos von Elzéar verwunderlich, wenn denn Byron Fidetzis sich zur originalen Fassung entschieden hat, ob sie nun in der Uraufführung gegeben wurde oder nicht. Vielleicht gab es keinen anderen musikwissenschaftlichen Text zum Werk, den man hätte abdrucken können. Übersetzung DeepL./Bearbeitung, Redaktion und Kürzungen G. H.  (Foto oben: La Bajadere von Ludwig Minkus 1901 am Moskauer Bolshoi/Detail/Wikipedia)  

90 Minuten Unterhaltung

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Durchaus keine Garantie dafür, die Lachmuskeln des Hörers zu strapazieren, gibt die Gattungsbezeichnung farsa, nach deren einer Uraufführung der Mutter Rossinis vom aufführenden Impresario sehr nachträglich zur Geburt des gerade seinen Ruhm beginnenden Komponisten gratuliert wurde. Es geht um L’inagnno felice mit durchaus ernstem Inhalt, der Wiederzusammenführung eines edlen Paares, das einst durch höfische Intrigen voneinander getrennt wurde, indem der Gatte die des Ehebruchs beschuldigte Gattin auf hoher See aussetzen ließ, ein Steiger sie rettete und als „Nichte“ in seinen Haushalt aufnahm und im Verlauf der Handlung erlebt, wie die beiden Liebenden einander wiederfinden, alle Missverständnisse aufgeklärt werden und dem lieto fine nichts mehr im Weg steht. Das der Doppel-CD beiliegende Booklet berichtet ausführlich über die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Stücks, das etwa gleichzeitig mit dem frivolen und deshalb bald auf den Index gesetzten L’equivovo stravagante  komponiert wurde.

Nicht nur Pesaro und Bad Wildbad nahmen und nehmen sich unbekannterer Werke des Schwans von Pesaro an, sondern in diesem Fall auch das Reate Festival von Rieti, einer kleinen Stadt im nördlichen Lazio, nahe Umbrien, wo auch in diesem Herbst wieder ein Festival, allerdings für zeitgenössische Musik, stattfindet, während die vorliegende Aufnahme aus dem Jahre 2023 stammt. Das Verdienst der vorliegenden Doppel-CD gebührt dem Label cpo, das einen Vertrag mit dem die Sänger begleitenden Orchester THERESIA abgeschlossen hat.

Dirigent der Aufnahme ist der rossinierfahrene Alessandro De Marchi, der das mit leicht metallischem Klang aufwartende Orchester zügig vorantreibt, für ein sehr poetisch klingendes Finale sorgt und den der Partitur innewohnenden Esprit sehr schön zur Geltung bringt. Gut aufgehoben konnten sich hörbar die Sänger fühlen, die es in der auch für eine personen- und damit kostensparende Farsa ungewöhnlichen Zusammenstellung Sopran, Tenor, drei Bässe gibt.

Lieblich, weich und angenehm gerundet ist der Sopran von Miriam Albano, der sich schillernd zwischen Sopran- und Mezzoqualitäten bewegt, facettenreich die anspruchsvolle Partie der Isabella durchmisst und der dem Tenorpartner an Ausdrucksmöglichkeiten und Facettenreichtum weit überlegen ist. In der großen Arie „Al più dolce e caro oggetto“ überzeugt die Sängerin auch durch eine großzügige Phrasierung. Am besten in den markant dargebotenen Rezitativen macht sich der Tenor Antonio Garés, dessen Timbre ihn eher in Richtung Charaktertenor weist und der einen einmal gefundenen gerundeten Klang der Stimme nicht bis zum Ende einer Phrase durchhalten kann.

Angemessen unterschiedlich ist das Hörbild, das die drei Bässe vermitteln. Dem Bösewicht Ormondo wird von Giuseppe Toia dunkle Geschmeidigkeit verliehen, während der harmlosere Batone durch Luigi De Donato eher mit vokalen Buffoqualitäten ausgestattet wird. Mit sehr guter Diktion, mit Farbe und Buffo-Schalk in der Stimme, eher wie ein Bassbariton klingend, steuert Matteo Loi als Tarabotto  nachdrücklich eine dritte Variation einer tiefen Stimme bei.

Neunzig Minuten guter Unterhaltung werden durch die CDs garantiert, durch den einführenden gehaltvollen Text von Rossini-Spezialist Reto Müller bereichert durch mehr Wissen über Rossini und die Gattung Farsa (cpo 555 222-2). Ingrid Wanja              

Bayreuther Festspiele 2024

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Kaum ist der letzte Ton verklungen, liegt auch schon die Blu-ray von Tristan und Isolde auf dem Tisch (2 Blu-ray DG 00440 073 6685). Es handelt sich freilich nicht um den Mitschnitt aus dem aktuellen Festspieljahr, sondern um eine Aufnahme, die 2024 entstand, als diese Produktion ihre Premiere erlebte, und die pünktlich Anfang Juli auf den Markt kam. Als Dokument ist sie wichtig, weil sie den Tristan von Semyon Bychkov festhält, der 2018 bei Uwe Eric Laufenbergs Parsifal auf dem Grünen Hügel debütiert hatte und Tristan und Isolde suggestiv gestaltet und stellenweise wie neu leuchten lässt, voll sinnlicher, verführerischer Farben und dabei immenser Spannkraft und Dynamik. Diese glühende Interpretation hatte mich schon in diesem Sommer im Festspielhaus auf Anhieb elektrisiert, wobei sich im Haus die Nuancen und instrumentalen Feinheiten vielleicht noch eine Spur reicher und fesselnder gestalteten. Die Aufnahme hält auch das Rollendebüt von Andreas Schager fest. Dieser Tristan ist ein Kraftpaket, das sich bereits nach dem ersten zaghaften „Isolde“-Stammeln lieber in heldischer Emphase zeigt, was den Hörer eher ermüdet als den unermüdlich muskulös und kernig singenden Helden. Camilla Nylund war mit der Isolde, die sie 2022 in Zürich (und dann in Dresden) erstmals komplett gesungen hatte, endgültig in die Riege der Hochdramatischen vorgestoßen. Sie singt jugendfrisch, mit aufblühenden Bögen, runder Höhe, vielleicht etwas schwächerer Tiefe, insgesamt vermutlich die derzeit beste Vertreterin der Partie. Im Premierenjahr ist die erfahrene Brangäne der Christa Mayer der müden Ekaterina Gubanova vorzuziehen, Birger Radde war als Melot ein Gewinn, der markant rufende Kurwenal von Olafur Sigurdarson wurde 2025 von Jordan Shanahan abgelöst, ansonsten ist die Besetzung von Matthew Newlins jubelnd frischen Seemann, dem eleganten Daniel Jenz als Hirt bis Günther Groissböcks ausdrucksvollen Marke unverändert.

Der Inszenierung ist nicht viel abzugewinnen. Die Arbeit von Thorleifur Örn Arnarsson in den Bildern von Vytautas Narbutas und in den Kostümen von Sybille Wallum gibt sich auf dem Bildschirm belangloser und gefälliger als in der Festspielhaustotalen. Zunächst dominieren die dekorativ gehängten Schiffstaue die Szene sowie vor allem Isoldes sonderbares weißes Engelsgewand, eine Art überdimensionierter Reifrock, auf dem sie Erinnerungen und Gedanken festhält und in den sich auch Tristan gerne vergraben würde, was der Blick von oben sehr geschickt zeigt (Video Director: Michael Beyer). Vieles, wie der im zweiten Akt mit Antiquitäten, Kram und Nippes vollgestopfte Schiffsrumpf, wirkt allerdings in den kleinen Bildausschnitten befremdlich und unfertig und lässt, anders zwar als die rätselhaft wirkende Live-Aufführung, den Betrachter ratlos zurück. Rolf Fath

 

 

Im grossen Schatten anderer

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Eigentlich sollten einige Jahre zwischen den Aufführungen von Mozarts Idomeneo in der Lindenoper und den Konzerten mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München liegen, beide von Simon Rattle geleitet und in den meisten Partien identisch besetzt. Corona machte einen Strich durch die Aufführungspläne und führte dazu, dass die Premiere in Berlin erst im Frühjahr 2023 stattfinden konnte, die drei konzertanten Aufführungen in München mit dem neuen Chefdirigenten gerade einmal neun Monate später, nämlich m Dezember des gleichen Jahres. Abweichend in den Hauptpartien waren die Elettra und die Ilia besetzt, in Berlin sangen Sonya Yoncheva und Anna Prohaska, in München und damit auch auf den nun vorliegenden CDs sind Elsa Dreisig und Sabine Devieilhe zu hören, während die Besetzungen mit Andrew Staples als Idomeneo und natürlich Magdalena Kožená sich nicht voneinander unterscheiden. Für den Hörer, für den Luciano Pavarotti als Idomeneo und Edda Moser als Elettra das Maß aller Rollenportraits sind, gibt es natürlich einiges einzuwenden, was Timbrequalität des Tenors oder dramatische Wucht des Soprans angehen, wobei die Münchner Besetzung gegenüber der Berliner Licht- wie Schattenseiten aufweist.

Dem Idomeneo Andrew Staples mangelt es an Schönheit und Klarheit des Timbres, in Passagen, in denen der Hörer Heldisches erwarten könnte, bekommt er oft nur recht Weinerliches zu hören, auch die Rezitative leiden  streckenweise darunter, man vermisst eine präsentere vokale Autorität, wie sie durchaus stellenweise, so zum Beispiel im „Eccomi…“ zu vernehmen ist. Da ist ihm sein Tenorkollege Linard Vrielink als Arbace oft überlegen, der durchgehend sehr beteiligt wirkt, in der Arie des dritten Akts geradezu tollkühn, allerdings nicht in allen Registern mit der gleichen Qualität aufwartend. Der dritte Tenor ist Allan Clayton als Oberpriester mit der für das Amt notwendigen vokalen Eindringlichkeit. Als Stimme des Orakels lässt sich der Bass von Tareo Nazmi vernehmen.

In Berlin wie in München ist Magdalena Kožená ein in jeder Hinsicht idealer Idamante, nicht zuletzt als  Partnerin für die Ilia der Sabine Devieilhe, zu deren Sopran ihr runderer, dunklerer aber durch gleichwertige Timbreschönheit, Geschmeidigkeit und Farbigkeit hervorstechender Mezzosopran ideal passt, die die Rezitative zu Höhepunkten der Aufnahme werden lässt und die einfach ein Wunder an Ebenmaß ist.  Ein Riesengewinn im Vergleich zu den Berliner Aufführungen ist die Ilia von Sabine Devieilhe mit einem Sopran von pura dolcezza, mit einem tragisch klingenden Touch im Timbre, nur selten etwas zu viel gefällige Naivität ausstrahlend, aber hinreißend mit den „zeffiretti lusinghieri“, die bei ihr zu wahren zeffirettini werden, mit wunderschönen Schwelltönen und vielem zart Dahingetupftem.  Ein empfindsames Beben durchzieht die gesamte Leistung.  Elsa Dreisig ist eine wunderbare Sängerin, aber für die Elettra auch als Gegenspielerin einer ganz zarten Ilia und mit Tugenden wie Textverständlichkeit, Rundung der Töne, schöner Phrasierung einfach zu wenig „furore“ vermittelnd,  wohl eine schöne Trauer, aber kaum die Wut der Kränkung bei allem Bemühen um Rasantes, Hysterisches vermittelnd.

Vorzüglich ist der Chor des bayerischen Rundfunks, erschauern machend mit „Qual nuovo terror“, das Orchester folgt seinem Dirigenten und zaubert einen farbig-duftigen, durch Klarheit und Straffheit sich auszeichnenden Klang und sorgt für nie nachlassende Spannung (BR Klassik). Ingrid Wanja

 

Hochvirtuos

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Eng mit dem Namen des neapolitanischen Kastraten Giovanni Carestini verbunden sind die beiden bei Solo Musica  erschienenen CDs der aus Südafrika stammenden Mezzosopranistin Megan Kahts mit deutschen Wurzeln, deren erste sie im Bündnis mit dem Carestini Orchester und mit Musik von Händel und Haydn und den Damen Ariadne und Armida  zeigt, während die neueste zwar auch Händel, daneben aber  Johann Adolph Hasse berücksichtigt und neben Arien, die der Kastrat einst zum Erfolg führte, auch solche berücksichtigt, die für die Gattin Hasses, die Sängerin Fausta Bordoni komponiert wurden. Dabei schmeichelt die CD nicht nur den Ohren, sondern kann durch die Sorgfalt, mit der Cover und Booklet gestaltet wurden, sich auch für weitere Sinne und nicht zuletzt den Verstand anregendes Erlebnis beweisen.

Megan Kahts war in Südafrika bereits ein singender Teenager-Star gewesen, ehe sie sich zur weiteren Ausbildung nach Wien begab und unter anderem bei  Claudia Visca und mit Robert Holl studierte, immer noch als Sopran, ehe ihre Mezzoqualitäten entdeckt wurden. 2018 debütierte sie im neuen Fach als Costanza in Haydns L’isola disabitata. Neben alter Musik ist ihr zweites musikalisches Standbein die neueste Musik, wie die Teilnahme an der Uraufführung von Fabian Panisellos Oper Die Judith von Shimoda bezeugt. Erstaunlich ist ihr Werdegang schon allein dadurch, dass eine seit dem achten Lebensjahr musikalischer Ausbildung unterworfene Stimme eigentlich diese Erfolge gar nicht erreicht haben dürfte.

Die nun vorliegende CD verrät das abgelegte Sopranfach noch immer in der leuchtenden Höhe, die bruchlos an die farbige, nicht geschlechtsgebunden erscheinende Mittellage  angebunden ist, während in der Extremtiefe doch manch nur angetippter und trotzdem recht mühsam formulierter Ton auf die einstige Stimmlage hinweist, so in Händels „Tempesta e calma“ der Arie des Alessandro.  Das sind aber recht belanglose Einwände, denn insgesamt erfüllt die mit einem angemessenen Vibrato ausgestattete Stimme alle Voraussetzungen für die Bewältigung der anspruchsvollen Partien, lässt die Erleichterung des Ariodante in „Dopo notte“ ebenso erspüren wie die Weiblichkeit einer Alcina in „Mi lusinga il dolce affetto“. Eine schöne Leichtigkeit zeichnet die Darbietung von Ariodantes Arie „Dopo notte“ aus, eine ebensolche Melancholie  und bruchlose Schwerelosigkeit „Scherza infida“, auch die kluge Phrasierung kann gefallen. Ist ein Stück derart virtuos wie die Arie des Tolemeo, dann verzeiht man den ein oder anderen verhuschten Ton gern. Ein wesentlicher Pluspunkt für die CD ist das Orchester Wiener Akademie unter Jeremy Joseph, das spritzig, straff und präzise agiert. Insgesamt und einschließlich des Booklets ist das eine höchst erfreuliche Bereicherung des CD-Markts (Solo Musica SM 493). Ingrid Wanja   

Fürstliche Noten

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Die Historie verzeichnet einige gekrönte Häupter, die sich erfolgreich im Komponieren versuchten, so Ludwig XIII., Kaiser Leopold I. oder König Friedrich II. von Preußen. Das Label Chateau de Versailles, unermüdlich in der Aufarbeitung des Erbes der französischen Barockoper, widmet sich in seiner neuen Ausgabe einem Werk von Philippe d´Orléans, der Suite d´ Armide ou Jérusalem délivrée. Die Tragédie en musique in einem Prolog und fünf Akten, basierend auf Tassos Gerusalemme liberata, wurde wahrscheinlich 1704 im Schloss von Fontainebleau uraufgeführt und war als Fortsetzung von Lullys Armide und Campras Tancrède konzipiert. Die Handlung kreist um die in den Ritter Renaud verliebte Zauberin Armide, die ihn um jeden Preis in ihre Arme zu locken versucht. Prinzessin Herminie, die von Armide gefangen gehalten wird, ist Renauds Begleiter Tancrède zugetan, der jedoch zunächst seiner Clorinde treu bleibt und sich erst am Ende zu Herminie bekennt. Auch Renaud und Armide sind schließlich versöhnt und für immer vereint.

Ende Juni 2023 fand im Château de Versailles die Aufnahme des Werkes mit der Cappella Mediterranea unter Leonardo García-Alarcón statt, die CVS auf zwei CDs mit umfangreichem Booklet veröffentlicht hat (CVS125). Der argentinische Cembalist und Dirigent fächert die an Effekten und Harmonien reiche Musik faszinierend auf und leitet ein renommiertes Solistenensemble, das von Véronique Gens in der Titelrolle angeführt wird. Ihr Sopran ist nachgedunkelt, der Ton energisch und herrscherlich, der Ausdruck verschlagen und bedrohlich. Aber sie findet auch zu tragisch umflorten Momenten, die für ihren Konflikt stehen („Amour, funeste amour“ im 2. Akt). Auch Herminie ist mit Marie Lys prominent besetzt, ebenso der Renaud mit dem französischen Tenor Cyrille Dubois. Die französische Sopranistin weiß sogleich in Herminies erstem Monolog, „Malheureuse Herminie“, mit feiner Lyrik zu betören. Auch im 4. Akt wartet sie bei „Que Vattrin tarde à revenir“ mit bewegenden Tönen auf.

Klangvolle Stimmen lassen der Tenor Nicholas Scott als Adraste und der Bariton David Witczak als Tissapherne, zwei Verehrer Alcinas, hören. Tancrède ist der lyrische Bariton Victor Sicard aus Frankreich, der im 3. Akt in einer dramatischen Szene seiner Clorinde gedenkt, deren Stimme (Gwendoline Blondeel) visionär ertönt. Mit Armide hat er eine Schlussszene von großer Leidenschaft („Heureux, et trop heureux“).  Der Choeur de Chambre de Namur (Einstudierung: Thibaut Lenaerts) lässt als Armides Gefolge puren Wohllaut hören, so am Ende des 1. Aktes bei „Pour mieux servir la belle Armide“, weiß aber auch dramatisch aufzutrumpfen wie zu Beginn des 5. Aktes bei „Combattons, triomphons“, wo Christen und Sarazener konfrontiert sind.

Dreißig Jahre vor Rameau ist das Werk das bedeutende Zeugnis eines Komponisten von großer Kreativität und Phantasie (09. 09. 25). Bernd Hoppe

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Philippe von Frankreich, Duc d´Orleans/  Gemälde von Matthieu/Wikipedia

Philippe von Frankreich, Herzog von Orléans (* 21. September 1640 in Saint-Germain-en-Laye; † 9. Juni 1701 in Saint-Cloud), war Prinz von Frankreich und Navarra, Herzog von Anjou (1640–1668), Herzog von Orléans, Chartres und Valois sowie Pair von Frankreich (1660), Herzog von Nemours und Pair von Frankreich (1672), Herzog von Montpensier und Pair von Frankreich (1695), Dauphin der Auvergne und Fürst von Dombes (1693–1701), Herzog von Beaupréau und Châtellerault, Fürst von Joinville und La Roche-sur-Yon, Marquis von Mézières, Graf von Eu und Saint-Fargeau sowie Baron von Beaujolais. Bei Hofe wurde er allgemein Monsieur genannt, was der offizielle Titel des Bruders von König Ludwig XIV. war; seine Gemahlinnen wurden als Madame bezeichnet. Seine zweite Ehefrau war Liselotte von der Pfalz.

Festivals 2025

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Auch in diesem Jahr sind wir bei der Auswahl der besuchten Live-Aufführungen wählerisch und konzentrieren uns auf wenige und eben für uns interessante Operntitel. Eine Auflistung alle Festival-Beiträge finden sie hier.

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Bayreuth Baroque Opera Festival: Lustvolles Barock-Spektakel. Im nach stilvoller Restaurierung 2018 wieder eröffneten  Markgräflichen Opernhaus von Bayreuth gibt es seit 2020   alljährlich im Spätsommer ein Festival, das der Countertenor Max Emanuel Cencic gegründet hat. Neben seiner Funktion als Intendant wirkt er auch als Sänger und Regisseur, ist der Spiritus rector des Unternehmens, welches sich vor allem der Opera seria des frühen 18. Jahrhunderts widmet. Nach Werken von Porpora, Vinci, Vivaldi, Monteverdi und Händel in den vergangenen Jahren stand in dieser Saison der in Venedig wirkende und dort 1676 gestorbene Komponist Francesco Cavalli im Mittelpunkt des Programms, womit man einen Schritt zurück in das 17. Jahrhundert ging.

Die Festspieleröffnung galt dem Dramma per musica von 1666 Pompeo Magno, einer venezianischen Karnevalsoper. Die in Rom verortete Handlung um Konsul Pompeo und Issicratea, Königin von Ponto, sowie deren totgeglaubten Gemahl Mitridate und Sohn Farnace verlegte Cenic nach Venedig mit seinem bunten, ausgelassenen Karnevalstreiben, bevölkerte die Szene mit vielerlei Figuren, die man von den Straßen der Lagunenstadt kennt – Damen, Kavaliere, Kurtisanen, Nonnen, Kleriker, Intriganten, verwirrte Alte, Kleinwüchsige. Letztere sorgten en travestie mit zur Schau gestellten üppigen (Stoff-)Brüsten für besonderes Aufsehen. Corina Gramosteanu hatte aber auch Kostüme von opulenter Eleganz geschaffen mit edlen Materialien, stilvollen Ornamenten und subtilen Farben. Die Welt der Commedia dell´arte wurde lebendig in Kleidung und Masken, in drastischen erotischen Details, aber auch im turbulenten Treiben der Akteure. Sie alle – Sänger wie Komparsen – waren mit totalem Einsatz, atemberaubendem Tempo, ansteckender Spielfreude und imponierender körperlicher Agilität dabei. Chiara d´Anna als Bewegungscoach hatte vorzügliche Arbeit geleistet, für  jede Figur das für sie typische Bewegungsvokabular gefunden. Auf Venedig stimmte auch Helmut Stürmers Bühne mit ihrem Portal, über dem der venezianische geflügelte Löwe thront, und einem Saal mit Säulen, Podesten und bunten Glasfenstern ein.

Cavalli „Pompeo Magno“ Bayreuth Baroque 2025/ Foto © Clemens Manser Photography

Ein exzellentes Ensemble brachte Cavallis Musik mit Elan und Vitalität zum Klingen. Nicht weniger als acht Countertenöre mit Vertretern aus mehreren Generationen waren vertreten, darunter das Urgestein der Gattung Dominique Visse, der als Diener Delfo wie stets lustvoll krähte. Dagegen war der Italiener Nicoló Balducci als Pompeos Sohn Sesto ein Newcomer und mit seiner klangvollen, ausgewogenen Stimme sowie den bravourösen Koloraturläufen mehr als willkommen. Im schwarz/goldenen, reich verzierten Wams war er auch optisch ein Blickfang. Zur jüngeren Generation zählt auch der österreichische Counter Alois Mühlbacher, der als Issicrateas und Mitridates Sohn Farnace im weißen Pierrot-Kostüm jugendlich keusche Klänge einbrachte und später auch noch als halbnackter Amor mit weißen Flügeln und knappem Lendenschurz auftrat. Renommiert ist Valer Sabadus durch seine zahlreichen Tondokumente und Auftritte bei Musikfestivals. Auch bei Bayreuth Baroque war er schon zu Gast. Hier sang er solide den Servilio und hatte Gelegenheit für muntere Liebesspiele mit seiner angebeteten Giulia, Tochter des römischen Konsuls Cesare, im großen Doppelbett. Charaktervolle stimmliche Counter-Momente brachten Kacper Szelazek als exaltiert grölende Arpalia, Issicrateas Dienerin, sowie Pierre Lenoir und Angelo Kidoniefs als Primo und Secondo Prencipe ein.

In der Titelrolle gab Max Emanuel Cencic keinen virilen, auftrumpfenden Helden, sondern einen gebrechlichen alten Mann mit weißem Haar, was zur stimmlichen Verfassung des Counters harmonierte. Doch nach verhaltenem Beginn gewann die Stimme an Fülle und Durchschlagskraft, gefiel besonders im sanften Schlaflied („Sonno, placido nume“) am Endes des 1. Aktes. Zwei Damen werden heiß umworben in diesem Stück. Pompeo begehrt Giulia, deren. Herz jedoch Servilio gehört. Die belgische Sopranistin Sophie Junker sang sie mit schöner lyrischer Substanz bei lebhaftem Agieren. Sesto wirbt vergeblich um Issicratea, die ihrem Gemahl Mitridate die Treue hält. Die Argentinierin Mariana Flores war die Primadonna des Abends und trug gebührend hoheitsvolle Roben. Mit flammendem, strengem Sopran von resoluter Attacke und fulminantem Ausdruck sowie einem vehementen Koloraturfeuerwerk setzte sie sich souverän an die Spitze des Ensembles. Der italienische Tenor Valerio Contaldo formte ein eindrückliches Porträt des Mitridate, der Arpalia tötet, am Ende aber seine Tat gesteht und von Pompeo begnadigt wird. Die baritonal getönte Stimme sorgte mit virilem Duktus in der Arie „Tormentosa gelosia“ für einen vokalen Höhepunkt.

Die Besetzung ergänzten der niederländische Charaktertenor Marcel Beekman, der als die verrückte Alte Atrea ein Kabinettstück bot und kicherte, winselte, keifte, der britische lyrische Tenor Nicholas Scott, der als Claudio, Sohn des Cesare, in „Rendimi la mia pace“ nachdrücklich auftrumpfte, und der begabte junge Bariton Victor Sicard als Cesare. Am Ende gibt es einen fröhlichen, jauchzenden Abgesang, den Farnace anstimmt und der den glücklichen Ausgang preist („Imparate, o mortali“).

Leonardo García-Alarcón spornte hier mit seiner Cappella Mediterranea, die er 2005 gegründet hatte, alle Sänger noch einmal an. Seine Leitung voller Energie und Schwung trug den vierstündigen Abend, was ihm und den Mitwirkenden am Ende euphorische Publikumsovationen bescherte. Das Residenzorchester des Bayreuth Baroque Opera Festival 2025 hatte mit seinem Musizieren voller Spannung und Klangreichtum immer wieder begeistert – mit festlichem Bläserglanz, federnden Rhythmen, majestätischen Märschen, aber auch lyrischen Inseln und kammermusikalischer Delikatesse in den Ritornellen (6. 9. 2025).

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Das Orchester mit seinem argentinischen Dirigenten begleitete auch mehrere Solisten bei ihren Konzerten, welche traditionell zum Festival gehören. Am 5. September war der italienische Countertenor Carlo Vistoli mit seinem Programm Opera Antica zu erleben. Konzeptionell korrespondierte der Abend mit der Cavalli-Oper, bot er doch Werke von Zeitgenossen des Komponisten, wie Antonio Cesti, Claudio Monteverdi und Alessandro Stradella. Reizvolle instrumentale Einlagen – u.a. eine Sinfonia aus Cavallis Erismena, die Xácara del primer tono von Lucas Ruiz de. Ribayaz, die Tarantela von Santiago de Murcia und die Ciacona in B-Dur von Antonio Caldara – sorgten für vielfarbige Klänge, rasante Steigerungen und melancholische Episoden.

Vistoli besitzt (für mich) den schönsten Countertenor unserer Zeit. Die Stimme ist rund, weich, warm und ausgeglichen, kann zärtlich schwärmen, ergreifend klagen, aber auch männlich auftrumpfen. Im ersten Teil stellte er Szenen aus fünf Opern Cavalliis vor, beginnend mit dem Lamento des Apollo aus Gli amori di Apollo e Dafne, bei dem die Stimme sogleich in ihrem Wohllaut. berührte. Ein schöner Wechsel dazu war der freudige Überschwang des Xerse, „Ombra mai fu“, aus der gleichnamigen Oper, die zu Händels getragener Version einen starken Kontrast bildete. Immer wieder wechselten die Emotionen – ob im flehentlichen Lamento des Idraspe aus Erismena, der heiteren Arie des Giasone, „Delizie, contenti“, aus der gleichnamigen Oper oder der inbrünstigen Arie des Endimione, „Lucidissima face“, aus La Calisto. Aus Monteverdis Poppea stellte Vistoli zwei Szenen des Ottone vor – das schwärmerische „E pur io torno“ und das verzweifelt klagende „I miei subiti sdegni“. Der affektreiche Gesang des Solisten und seine vorbildliche Wortbehandlung imponierten immer wieder – so in der  erregten Arie des Alidoro aus Cestis L´Orontea oder in zwei Szenen des Nino aus Stradellas Il Trespolo tutore. Da gab es im Dialog mit der Flöte auch bravouröse Koloraturgirlanden zu hören und am Ende in der Wahnsinnsszene des Nino ganz sanftes, entrücktes Verlöschen. Zwei Gesänge von Monteverdi – „Voglio di vita uscir“ und „Si dolce è ´l tormento“ – als Zugaben beendeten diesen beglückenden Abend im Markgräflichen Opernhaus. Bernd Hoppe       .

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Pacinis Amazilia bei Festival Il Belcanto Ritrovato im italienischen Fano (Apulien): Vor fast genau zweihundert Jahren, am 6. Juli 1825, wurde Giovanni Pacinis Oper Amazilia im Teatro San Carlo in Neapel mit einer wirklich bemerkenswerten Besetzung aufgeführt.

Nun, am 23. August 2025, wurde die Oper im Rahmen des jährlichen Festivals Il Bel Canto Ritrovato (IBR) im Teatro della Fortuna in Fano, Italien, zum ersten Mal in einer vollständigen modernen Aufführung wiederbelebt. Das IBR möchte das umfangreiche Erbe der italienischen Oper erkunden, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde, einer Zeit, in der selbst das kleinste Dorf auf der italienischen Halbinsel wahrscheinlich ein Opernhaus hatte und das Operngeschäft seinen größten und intensivsten Höhepunkt erreichte.

Amazilia mit einem Libretto von Giovanni Schmidt, hat eine interessante und verworrene Geschichte, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe(dazu auch die beiden Artikel in operalounge.de, s. am Ende), und lag Pacini offensichtlich sehr am Herzen Pacini sehr am Herzen, da sie während der Flitterwochen des Komponisten mit seiner ersten Frau geschrieben wurde und er sein zweites Kind nach der Heldin benannte. Pacini, der während seiner langen Karriere fast 80 Opern schrieb, war 29 Jahre alt, als er Amazilia komponierte; es war seine 28. Oper.

Pacinis „Amazilia“ bei Festival Il Belcanto Ritrovato 2025 in Fano/Konzertausschnitt/Foto Luigi Angelucci

Die beeindruckende Besetzung der Oper bei ihrer Uraufführung 1825 in Neapel im Rahmen der Geburtstags-Feierlichkeiten für die bourbonische Königin Maria Isabella umfasste den Tenor Giovanni David als Zadir, den Bass Luigi Lablache als Cabana und die Sopranistin Joséphine Fodor-Mainvielle als Amazilla selbst. Ihre Virtuosität macht eine Wiederaufführung der Oper heute schwierig, da nicht viele Sänger die Musik, die Pacini dem Original-Cast zu singen gab, bewältigen können.

Ursprünglich ein Einakter, wurde die Oper 1827 in Wien in einem erweiterten Format mit einer neu komponierten Ouvertüre und zwei neuen Gesangsnummern präsentiert und in zwei Akte unterteilt. Es war diese Fassung, die in Fano vom Bel Canto Ritrovato in einer neuen kritischen Ausgabe von Gianmarco Rossi aufgeführt wurde.

Die einfache Story, die in Florida spielt, handelt von der Rivalität zweier Stammesführer, Cabana und Zadir, um die Hand von Amazilia, einer indianischen Jungfrau, die zum Stamm von Cabana gehört. Die spanischen Konquistadoren schweben im Hintergrund und sorgen für einen Deus ex machina, um die Rivalität beizulegen und ein glückliches Ende herbeizuführen, nachdem Zadir einen Kampf gegen Cabana verloren hat und auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden soll.

Da das Werk für die Geburtstagsfeier einer Königin mit spanischer Abstammung geschrieben wurde, diente das Lob der spanischen Weisheit und Friedensstiftung unter den Konquistadoren, so ungerechtfertigt es auch war, als nicht allzu subtile Art, der Königin ein Kompliment zu machen, und auch als Möglichkeit, die Geschichte an der berüchtigten neapolitanischen Zensur vorbeizuschmuggeln, die Monate zuvor ein ähnlich benanntes Pastiche verboten hatte

.In vielerlei Hinsicht ist Pacini der faszinierendste der weniger bekannten Opernkomponisten im Italien des 19. Jahrhunderts, weil er zu seiner Zeit so beliebt war und weil er so viel geschrieben hat; bei Pacini gibt es eine Menge Musik für Musikwissenschaftler und Opernhäuser zu entdecken, die mutig genug sind, etwas anderes zu versuchen, als immer wieder dieselben wenigen Titel zu recyceln. Die Musik von Amazilia bietet viele wunderbare Momente, und selbst manche eher formelhaften Passagen sind melodiös.

Pacinis „Amazilia“ bei Festival Il Belcanto Ritrovato 2025 in Fano/Konzertausschnitt/Foto Luigi Angelucci

Man könnte mit der völlig unbekannten Sinfonia beginnen, die Pacini für Wien schrieb, weil die Wiener erwarteten, dass eine Oper eine vollständige, formelle Ouvertüre haben sollte. (Donizetti musste derselben Tradition folgen.) Die Sinfonia in diesem Fall ist absichtlich rau und laut und voller Kesselpauken, vielleicht als Vorahnung der Welt der Indianerstämme, deren Konflikte die Grundlage der Geschichte bilden, aber sie ist gut aufgebaut und zweifellos eine Verbeugung vor dem symphonischen, „germanischen” Musikgeschmack der Österreicher. Einige der langsamen Stücke sind ebenfalls bestens komponiert und einprägsam, wie zum Beispiel Zadies eröffnende Cavatina „Come mai calmar le pene” und Amazilias wunderschöne „Ah! Non fia mai ver”.

Pacini wurde wegen seiner Kreativität und seiner Gewandtheit in dieser Form als „Maestro delle Cabalette” bekannt, und die Cabaletten in Amazilia sind immer eingängig und interessant aufgebaut, angefangen mit Cabanas „Paventi il perfido”. Zadirs „Io ti vidi, t’adorai” war so beliebt, dass Mauro Giuliani ein Thema und Variationen für Gitarre darauf komponierte. Und während wir Cabaletten normalerweise als schnelle Stücke betrachten, die im Kontrast zu den langsamen Cantabiles einer Cavatina oder einer Arie stehen, war Pacini seinen Komponistenkollegen um Jahre voraus,  als er die doppelt so schnelle Cabaletta „Parmi vederlo” schrieb, ein Jahrzehnt, bevor Donizetti eine langsame Cabaletta für das Finale  seiner Lucrezia Borgia komponierte. „Parmi vederlo” beginnt mit einem traurigen Adagio, gefolgt von einer teuflisch schwierigen schnellen Koloratur, die Amazillas Qualen wirkungsvoll zum Ausdruck bringt, als sie glaubt, dass Zadir auf den Scheiterhaufen kommen wird „Parmi vederlo” war so beliebt (und ungewöhnlich), dass es Sopranistinnen wie Giuditta Pasta und Giulia Grisi als „Aria di baule” diente, die es in verschiedene Opern einfügten, in denen sie auftraten. Selbst in unserer Zeit hat Beverly Sills es in ihre Aufführungen von Rossinis Assedio di Corinto aufgenommen; es ist in der kommerziellen Sills-Aufnahme der Oper erhalten geblieben, aber Pacini wird als Urheber nicht genannt…

In Amazilia gibt es keine großartigen Ensembles, wie sie Rossini in den 1810er und 1820er Jahren schrieb, aber das Trio für die drei Hauptdarsteller, das in der Zwei-Akt-Fassung als Finale des ersten Aktes dient, ist spannend und angemessen klimatisch. Das kleine finaletto, das die Oper beendet, ist jedoch etwas enttäuschend, ebenso wie das gesamte lieto fine mit seinem absurden Lob der spanischen Konquistadoren. Tatsächlich kann sich Amazilia nie ganz von ihrem ursprünglichen Zweck als Geburtstagsgeschenk für Königin Maria Isabella lösen. Am Ende hat man das Gefühl, dass der Komponist und sein Librettist eine willkürliche Frist für ihr Werk erreicht hatten und das Drama schnell beendeten, damit die Königsfamilie weiter essen und trinken konnte, wodurch die Oper ziemlich unerwartet und abrupt endet.

.Das IBR versammelte eine Gruppe talentierter junger Sänger für ihre einzige Aufführung. Amazilia selbst wurde von Paola Leoci gesungen, die sich durch ihre technische Meisterschaft und ihr engagiertes Einbringen in die Rolle auszeichnete. Leoci hatte gerade die weibliche Hauptrolle der Fanni in La cambiale di matrimonio beim Rossini-Festival gesungen. Sie passte die Soubretten-Stimme, die sie für Fanni in der leichten Komödie verwendet hatte, erfolgreich an die dramatischeren Anforderungen und die größere Beweglichkeit an, die für Amazilia erforderlich waren. Ihre atemberaubende Darbietung der teuflisch schwierigen Koloratur in „Parmi vederlo” konnte sich durchaus mit der von Sills aufgenommenen Version messen – und diesmal wussten wir, dass sie von Pacini stammte.

Pacinis „Amazilia“ bei Festival Il Belcanto Ritrovato 2025 in Fano/Schluss-Applaus/Foto Luigi Angelucci

Wenn die Rolle der Amazilia für jede Sängerin eine Herausforderung darstellt, dann ist die Tenorrolle des Zadir, die für Giovanni David geschrieben wurde, vielleicht noch schwieriger. Das IBR gab uns Manuel Amati, der die extrem hohen Töne sang und die schwierige Koloratur meisterte, für die David berühmt war, obwohl Amati eine eher kleine Stimme besitzt. Bass Giorgio Caoduro vervollständigte das Trio der Hauptdarsteller als Cabana. Auch seine Rolle ist extrem schwierig; der ursprüngliche Cabana, Luigi Lablache, war der berühmteste Bass in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Caoduro begann etwas zögerlich, da er sofort mit einer großen Arie mit einer technisch anspruchsvollen Cabaletta konfrontiert war, wurde aber im Laufe der Aufführung immer stärker und sicherer; er war sehr gut in seinem „Wiener” Duett mit Amazilia, „Tu sprezzar gli affetti miei”. Die Nebenrollen wurden von Mariano Orozco (Orozimbo), Naomi Umani (Mila) und Michele Albiati (Alvaro) wahrgenommen. Das Orchestra Sinfonica G. Rossini und der Chor des Teatro della Fortuna in Fano wurden von Enrico Lombardi geleitet. Lombardi hauchte Pacinis vergessener Musik neues Leben ein und zeigte uns einen Komponisten, der trotz seines Rufs, es mangele ihm an „Wissenschaft”, es verstand, interessante Orchesterwerke zu schreiben.

.Die Inszenierung war leicht halbszenisch, d. h. sie war mehr als ein reines Konzert mit Sängern, die vorne auf der Bühne standen, aber weniger als eine szenische Aufführung ohne Kulissen und Kostüme. Tomasso Casadei sorgte für passende Hintergrundprojektionen der im Libretto beschriebenen Schauplätze, darunter Floridas „bergiges” Gelände, eine Beschreibung, die jeden, der schon einmal in Florida war, zum Schmunzeln bringen dürfte.

Festival Il Belcanto Ritrovato in Fano: Die Macher mit Hausherrn/Intendanten Rudolf Colm in der Mitte/Foto Luigi Angelucci

Es ist unwahrscheinlich, dass Amazilia jemals außerhalb eines Festivals aufgeführt wird, da es sich um ein Geburtstagsgeschenk für einen längst vergessenen Monarchen handelt, das Werk ein abruptes Ende hat und es schwierig ist, Sänger zu finden, die die Musik singen können. Dennoch enthält es viele musikalische Juwelen, und die Aufführung trug dazu bei, unser Verständnis für einen Komponisten zu vertiefen, der zu lange im Schatten stand. Chronologisch gesehen liegt die Oper in Pacinis Karriere zwischen Alessandro nelle Indie (die in Neapel häufiger aufgeführt wurde als alle Opern, die Rossini für diese Stadt schrieb) und seinem L’ultimo giorno di Pompei, einem noch größeren Erfolg. Als solche ist sie Teil eines Trios, das den ersten Teil von Pacinis sehr fruchtbarer Karriere krönt.

Die Aufführung wurde von Bongiovanni aufgezeichnet und soll in etwa einem Jahr erscheinen. Zum ersten Mal hat das IBR eine kritische Ausgabe seiner Hauptoper herausgebracht, die in diesem Fall von dem hervorragenden jungen Musikwissenschaftler Gianmarco Rossi erstellt wurde – ein wirklicher Beitrag zur Musikwissenschaft.

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Das IBR-Festival bestand nicht nur aus Amazilia. Es gab zahlreiche Konzerte und Vorträge rund um Pacini, aber die Konzerte umfassten auch faszinierende Musik von anderen Komponisten, die heute noch unbekannter sind als Pacini. Es gab ein Konzert mit Orchesterauszügen aus Opern, die an der Scala uraufgeführt wurden, aber von sizilianischen Komponisten geschrieben worden waren; mehrere davon waren Werke von PaciniIl barone di Dolsheim (1818), La vestale (1823) und I cavalieri di Valenza (1828). Giulias Arie mit Harfe „Io son rea, né imploro” aus La Vestale war äußerst schön, die beste von allen.

Festival Il Belcanto Ritrovato 2025: Nicola Vaccai (* 15. März 1790 in Tolentino bei Ancona; † 5. August 1848 in Pesaro) war einer der aufgeführten Komponisten/Wikipedia

Aber es gab auch Stücke aus Mario Aspas I due Savoiardi (1838), Pietro Coppolas La festa della Rosa (1836) und Placido Mandanicis Il Buontempone di Porta Ticinese (1841). Coppola ist ein Komponist, der viel mehr Beachtung verdient; ein weiteres seiner Werke, Nina pazza per amore, war ein großer internationaler Erfolg und zu seiner Zeit ein größerer Kassenschlager als jede Oper von Rossini, während Mandanicis unwiderstehlicher Il Buontempone voller mitreißender Musik ist und Mailand auf einzigartige Weise feiert, so wie viele andere Opern untrennbar mit Rom, Venedig oder Neapel verbunden sind. Dieses Konzert wurde gekonnt begleitet vom Orchestra Sinfonica G. Rossini unter der Leitung von Daniele Agiman. Agiman war so begeistert von dem Trio aus Il Buontempone di Porta Ticinese, mit dem das Konzert endete, dass er selbst eine Zugabe (Encore) des gesamten Stücks forderte, noch bevor das Publikum dies tun konnte, und die drei talentierten Sänger der La Scala Accademia (Fan Zhou, Aldo Sartori und Sung Hwan Park) sangen es erneut. Das Publikum war begeistert.

Festival Il Belcanto Ritrovato 2025: Pietro Antonio Coppola (* 11. Dezember 1793 in Castrogiovanni; † 13. November 1877 in Catania)war einer der aufgeführten Komponisten/Wikipedia

Ein Open-Air-Konzert im Innenhof mit Blick auf das Haus von Nicola Vaccai feierte Werke von vier Komponisten aus Pesaro – natürlich Rossini, aber auch Vaccai und die fast völlig unbekannten Gioacchino Albertini und Vincenzo Federici. Weitere Werke von Pacini waren in einem Konzert zu hören, das seine Opern mit Passagen aus seinen künstlerischen Memoiren verband. Mit anderen Worten: Das IBR bot uns ein reichhaltiges Programm seines Hauptkomponisten Pacini, aber auch Kostproben anderer einst beliebter Opernkomponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in Vergessenheit geraten sind, und erfüllte damit seine Mission, dieses reiche Erbe für das Vergnügen des heutigen Publikums zu erschließen. Das IBR, das nun bereits im vierten Jahr erfolgreich stattfindet, ist auch für den erfahrensten Opernliebhaber wieder eine lehrreiche Erfahrung. CDs mit den Werken des letzten Jahres, Luigi Rossis La casa disabitata und einem Konzert mit Auszügen von Vaccai, sind jetzt beim Label Bongiovanni erhältlich.

Abgesehen von der Figur in der Oper (und dem Namen von Pacinis Tochter) ist „Amazilia” der Name einer Kolibri-Gattung, die denselben Namensstamm hat wie die Heldin der Oper. Das IBR trägt mit seinen zahlreichen wissenschaftlichen und künstlerischen Initiativen dazu bei, dass diese seltenen und farbenprächtigen Geschöpfe wieder fliegen können. Charles Jernigan/DeepL/G.H.

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Dazu auch bei operlounge.de: Pacinis Kinder sowie Die vergessene Oper: Pacinis Amazilia

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36. Musikfest Bremen: Musikalische Glanzlichter: Halbszenische Opernaufführungen haben eine schöne Tradition beim Musikfest an der Weser. Fast immer sind sie hochkarätig besetzt mit exzellenten Solisten und einem renommierten Dirigenten. Im Konzertsaal Die Glocke stand am 27. 8. 2025 bei Mozarts Die Zauberflöte der junge Finne Tarmo Peltokoski vor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, seit Anfang 2022 Principal Guest Conductor des Orchesters. Seine eminente musikalische Begabung offenbarte sich bereits in der Ouvertüre, die er spannungsvoll und kontrastreich aufbaute. Feierlich und würdevoll erklang die Einleitung zum 2. Aufzug, wobei Transparenz und Schlankheit des Klanges stets gewahrt blieben. Das ChorWerkRuhr (Einstudierung: Michael Alber) absolvierte zuverlässig seine Auftritte von der Empore. Romain Gilbert hatte die Handlung an der Rampe diskret, doch spielfreudig arrangiert, wobei er von Hervé Garys Lichtdesign unterstützt wurde, welches besonders mit den Rot- und Blau-Tönen bei der Feuer- und Wasserprobe Sinn machte.

Ein Salzburg würdiges Ensemble sorgte für einen Abend voller Sängerglanz, angeführt vom Schweizer Tenor Mauro Peter, der den Tamino schon  2018 in der verunglückten Inszenierung von Lydia Steier bei den Salzburger Festspielen gesungen hatte. Sein kultivierter lyrischer Tenor hat mittlerweile an Farbe, Volumen und Kraft gewonnen. Das verhalf der gefühlvoll vorgetragenen „Bildnis“-Arie zu starker Wirkung und erbrachte für „Wie stark ist nicht dein Zauberton“ eine ideale Balance von Virtuosität und Emphase. Eine perfekte Besetzung war auch für seine Pamina gefunden worden, denn Elsa Dreisig wartete mit leuchtendem Sopran, innigem Gefühl und bester Stimmführung auf. Während ihre Ausflüge in das italienische und französische Fach in der Vergangenheit zwiespältig ausfielen, konnte sie hier in ihrem ureigenen  Repertoire überzeugen und mit der Arie „Ach, ich fühl´s“ für ein sängerisches Glanzlicht sorgen. Nicht weniger als eine Sensation markierte der Auftritt von Kathryn Lewek als Königin der Nacht. Man muss schon an Edda Moser oder Diana Damrau in ihrer besten Zeit zurückdenken, um ein vergleichbares Niveau zu finden. Mit dunkel grundiertem, fülligem Sopran von warmem Klang konnte sie die mütterlichen Gefühle der Figur plastisch transportieren, mit rasender Attacke, phänomenalen Koloraturläufen und gestochenen staccati gleich Messerstichen ihren Rachefuror verdeutlichen. Von seltener klanglicher Homogenität erklang das Trio der drei Damen mit Silja Aalto, Iris van Wijnen und Marie Seidler. Dies ist auch den Solisten der St. Florianer Sängerknaben zu bescheinigen, die die Gesänge der Drei Knaben wohllautend und intonationsrein vortrugen. Nobel und sonor erklang der schlanke Bass von Manuel Winckhier in Sarastros beiden Arien, mit beeindruckender Autorität im letzten Auftritt des Priesters „Die Strahlen der Sonne“. Der ungarische Bassbariton Marcell Bakonyi gefiel mit potenter, kerniger Stimme als Sprecher und gab darüber hinaus noch den Zweiten Geharnischten, assistiert vom slowenischen Tenor Martin Logar als Erstem. Scharfzüngig und grell charakterisierte Andreas Conrad den Monostatos.

Wie oft war auch hier Papageno ein Publikumsliebling. Der Schweizer Bariton Äneas Humm sang ihn mit angenehmer Stimme, allerdings gespreizt gesprochenem Dialog und überflüssigen Extempores sowie einer gänzlich überflüssigen Einlage mit dem Song „The Sound of Silence“. An seiner Seite war Miriam Kutrowatz eine reizende Papagena – in der Verkleidung als altes Weib zunächst keifend und krächzend, nach der Demaskierung dann aber entzückend singend. Der Abend, welcher in seiner musikalischen Perfektion viele internationale Festspielaufführungen übertraf, wurde vom Publikum gebührend bejubelt.

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Stets gehören auch Konzertabende mit Interpreten von Weltrang zum Programm des Musikfestes. Am 28. 8. 2025 war Gelegenheit, die finnische Sopranistin Camilla Nylund zu erleben. Das Programm, Von Heldinnen und Helden betitelt, bot zwei der forderndsten Finalszenen der gesamten Opernliteratur: „Starke Scheite“ aus Wagners Götterdämmerung und den Schlussgesang der Salome aus Strauss´ Oper. Zudem war das zweite renommierte  Orchester der Hansestadt zu hören – die Bremer Philharmoniker unter ihrem GMD Marko Letonja. Das Konzert markierte eine würdige Feier zum 200. Jubiläum des Klangkörpers. Brahms´ „Akademische Festouvertüre“ war ein schwungvoller Auftakt mit seinen Anklängen an Studentenlieder.

Camilla Nylund hatte als Einstieg Elisabeths Hallen-Arie aus Tannhäuser gewählt, in der die Stimme leicht verhärtet klang. Dann aber Brünnildes Weltabschied in einem silbernen, eng anliegenden Kleid, das die Sängerin umschloss wie ein stählerner Panzer und auch optisch einer Walküre entsprach. Grandios meisterte sie mit ihrem kraftvollen Sopran und unangefochtenen Spitzentönen die lange Szene, dominierte bis zum letzten Moment das Orchester, welches der Dirigent groß aufrauschen ließ.

Nach der Pause Richard Strauss mit seiner „Sinfonischen Fantasie“ aus Die Frau ohne Schatten, welche 1946 entstand und Motive aus dem monumentalen Werk vereint. Klänge, Farben, Lyrismen und Dissonanzen fügten sich in der Wiedergabe des Orchesters zu einem Klangrausch von magischer Wirkung. Auch der nachfolgende „Tanz der sieben Schleier“ aus Salome verfehlte in der lasziven Atmosphäre und orgiastischen Steigerung nicht seinen Effekt. Zweifellos besitzt Nylunds Stimme eine neue Qualität und Dimension, was auch Salomes Schlussgesang bewies. In ihrem Charakter, ihrer Klangfarbe ist sie nicht eigentlich hochdramatisch, wohl aber in ihrer Leistungsfähigkeit. Und so bot sie auch als Salome einen mühelos bewältigten Auftritt von ekstatischer Steigerung und tranceartigem Schluss, der in seiner Tragik tief berührte.

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Verdienstvoll und vom Publikum hoch geschätzt sind die Veranstaltungen des Musikfestes in Bremens Umgebung. Der prachtvolle Dom zu Verden ist ein solcher Ort, wo am 29. 8. 2025 Mozarts Requiem d-Moll KV 626 erklang. Hochrangige Interpreten der Barock-Szene waren versammelt, so das 1990 von Václaw Luks gegründete Collegium 1704 und das 2005 von ihm ergänzte Collegium Vocale 1704. Der Dirigent entschied sich für die von Eybler und Süssmayr vollendete Fassung des von Mozart als Torso hinterlassenen Werkes. Und er stellte ihm ein hierzulande unbekanntes Stabat Mater von Frantisek Ignác Tuma voran, welches der 1704 geborene böhmische Komponist ca. 1750 schuf. Das Werk von strenger Schlichtheit ist nur sparsam instrumentiert und atmet kaum barocken Geist. Fast mutet es modern an, wie hier alte und neue Stile kombiniert sind. Orchester und Chor beeindruckten mit hoher Klangkultur und das Solistenquartett konnte in zwei Duetten bereits seine Qualität herausstellen, wie es danach bei Mozarts Werk noch deutlicher wurde. Tereza Zimkovás Sopran war von keuschem Klang, der Mezzo von Henriette Gödde dagegen eher von fraulicher Sinnlichkeit. Herausragend war der Tenor von Krystian Adam in seiner Potenz und Substanz, Tomás Selc komplettierte mit einem Bass von warmem, weichem Klang. Der Gesang des Chores war überwältigend, ob im Kyrie mit seiner apokalyptischen Dimension, dem gewaltigen Confutatis maledictis oder dem erhabenen Agnus Dei. Und am Ende überraschten die 17 Sängerinnen und Sänger noch mit einer unbekannten Zugabe – einem frühen A-capella-Werk von Zelenka, das den Abend bewegend und würdig beschloss. Bernd Hoppe

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LGBT in Pesaro 2025: Das Rossini Opera Festival endete mit einer hervorragenden Aufführung der Missa, die Verdi nach Rossinis Tod im Jahr 1868 für ihn organisiert hatte. Sie besteht aus 13 Sätzen, die jeweils von einem anderen Komponisten der damaligen Zeit komponiert wurden (der letzte von Verdi selbst), wurde jedoch zu Verdis Lebzeiten nie aufgeführt und blieb tatsächlich unaufgeführt, bis sie 1970 von David Rosen entdeckt und 1988 in Deutschland aufgeführt (und anschließend aufgenommen) wurde. Sie war zuvor noch nie beim Rossini-Festival aufgeführt worden. Die Qualität der einzelnen Abschnitte ist unterschiedlich, aber der letzte Abschnitt von Verdi, den er später in seine Requiem-Messe für Manzoni übernahm, ist glühend.

Ansonsten bestand das Festival aus drei Hauptopern – der Rarität Zelmira, einer skurrilen Interpretation von L’Italiana in Algeri und Rossinis erster aufgeführter Oper, La cambiale di matrimonio, die zusammen mit seiner Liedersammlung „Soirèes Musicales” aufgeführt wurde.

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Rossini Opera Festival 2025: „Zelmira“/Szene/Foto Amati Bacciardi

Zelmira wurde mit einer spektakulären Besetzung von Sängern unter der Leitung von Giorgio Sagripanti mit dem Orchester des Teatro Communale in Bologna in einer Inszenierung des spanischen Regisseurs Calixto Bieito aufgeführt. Bieito machte sich zunächst in der Opernwelt einen Namen, indem er Standardwerke auf subversive Weise mit viel Nacktheit, Gewalt und explizitem Sex inszenierte und damit das biedere Opernpublikum in Europa schockierte – ein Quentin Tarantino der Opernwelt. Nun scheint Bieito sich von der Infragestellung westlicher Werte, wie sie in kulturellen Ikonen wie Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ oder Bizets „Carmen“ verkörpert sind, zu einer völlig nihilistischen Welt des unerbittlichen Negativismus und der Sinnlosigkeit weiterentwickelt zu haben.

In dieser Inszenierung von Zelmira gab es keine Nacktheit und die Gewalt wurde gedämpft, aber die Inszenierung untergrub alle Werte, die wir normalerweise mit der Oper und Rossini verbinden, und suggerierte, dass alles an der sozialen und kulturellen Erfahrung der Oper bedeutungslos ist – die Musik, die Aufführung, die Inszenierung und das Publikum selbst. (…) Der Sinn der Inszenierung bestand darin, dass sie sinnlos war: Nichts hatte irgendeine Bedeutung. Es gab keine Übertitel, um der Handlung zu folgen, wahrscheinlich weil die Inszenierung so oft im Widerspruch zum Libretto stand, aber auch weil die gesungenen Worte bedeutungslos sind. Der Nihilismus, ein in Europa und Amerika mittlerweile weit verbreitetes Phänomen, da so viele Institutionen und Persönlichkeiten ihre Bedeutung verloren haben – Religion, Politik, demokratische Institutionen und die Künste –, scheint in Bieitos Inszenierung nun auch die Oper befallen zu haben. Die Gründe, warum man in die Oper geht, sind zunichte gemacht. Selbst die Handlungen, die mit einem Opernabend verbunden sind – Ticket kaufen, sich ankleiden, anreisen, zuhören, applaudieren – sind bedeutungslos. Bieito verspottet weniger die Institution oder das Publikum, als dass er uns sagt, dass eine kulturelle Handlung nicht mehr Bedeutung hat als alles andere.

Wenn die „Bedeutung” Bedeutungslosigkeit ist, dann sahen wir keinen Grund zu bleiben. Wir gingen in der Pause. Eineinhalb Stunden totale Negation waren genug. Wenn die Musik wertlos war, die harte Arbeit der Sänger und des Orchesters bedeutungslos und die Inszenierung ein endloser Kreislauf sich wiederholender Handlungen ohne jeden Grund, warum dann bleiben? Unser Akt des Nihilismus bestand darin, zu gehen und ein Eis zu kaufen. Italienisches Gelato an sich ist anti-nihilistisch. Oder vielleicht war Bieito einfach nur verwirrt und hatte keine Ahnung, was er tat.

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Rossini Opera Festival 2025: „L´Italiana in Algeri“/Szene/Foto Amati Bacciardi

Rosetta Cucchis Inszenierung von Italiana in Algeri befand sich gewissermaßen am anderen Ende des philosophischen Spektrums. Sie interpretierte die Geschichte von Isabella, der Italienerin auf der Suche nach ihrem lange verschollenen Freund Lindoro, neu als eine Gruppe von Drag Queens, deren Bus auf einer Reise eine Panne hat. „Isabella und ihre Mädchen” werden von den Polizisten unter Mustafà verhaftet, einem despotischen Herrscher, der von seiner Frau Elvira gelangweilt ist. Die gestrandeten italienischen Drag Queens versprechen ihm eine Art neue Stimulation, sexuell oder anderweitig. In einer cleveren Vorführung vor der Oper hält die Gruppe mit einem regenbogenfarbenen VW-Bus vor dem Teatro Rossini und die „Polizei“ jagt die extravagant gekleideten Drag Queens, um sie schließlich ins Theater zu treiben, damit die Oper beginnen kann. Es ist ein lustiges Durcheinander in wilden Kleidern und leuchtenden Farben.

.Cucchi verwendet Isabellas patriotische Arie „Pensa alla patria”, um eine Art ernsthafte Aussage über die Befreiung von Homosexuellen oder die Akzeptanz von Drag Queens oder die Freiheit, sein Leben so zu leben, wie man es für richtig hält, zu machen, aber es passt nicht zum Text, und tatsächlich funktioniert die ganze Drag-Überlagerung nicht: Isabella ist eindeutig eine Frau, eine Mezzosopranistin, und kein Mann in Frauenkleidung. Sie sucht einen Liebhaber, der ein Mann ist (Lindoro). Die Inszenierung entpuppt sich als Camp-Übung und nicht als ernsthafter Aufruf zur Befreiung, trotz alter Wochenschauen, die Demonstranten für die Befreiung von Homosexuellen, für Transsexuellenrechte oder für Drag Queens zeigen. Cucchi glaubt eindeutig, dass eine soziale Sache im Gegensatz zu Bieito eine Bedeutung hat, aber sie hat das falsche Mittel gewählt, um ihre Ansicht zu verbreiten. Italiana ist eine köstliche Opera buffa: Sie verspottet alberne „Türken” und italienische Männer (Taddeo), preist aber die Macht und Intelligenz italienischer Frauen. Es ist nicht La Cage aux Folles oder Priscilla, Queen of the Desert. Der Gesang war sehr gut. Daniella Barcelona ist mit 59 Jahren immer noch wunderbar, und die beiden Buffo-Bässe Giorgi Manoshvili und Misha Kiria waren in der Tat sehr gut. Der Tenor Josh Lovell hat eine liebliche tenore di grazia-Stimme, aber er hat einige hohe Töne ziemlich schlecht getroffen, und seine Stimme ist in seiner Arie im zweiten Akt gebrochen. Vielleicht war das alles nur ein Insider-Witz: Daniella Barcelona hat ihre Karriere in Travesti-Rollen verbracht, in denen sie als Mann verkleidet war. Können wir sie als „Drag King” bezeichnen?

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Rossini Opera Festival 2025: „La cambiale di matrimonio“/Szene/Foto Amati Bacciardi

Der dritte Abend war eine Art Doppelvorstellung. Die Einakter-Oper war Rossinis Cambiale di matrimonio, die mit vier Sängern kombiniert wurde, die die „Soirées Musicales” aufführten, eine Sammlung von zwölf Liedern, die Rossini in den frühen 1830er Jahren komponiert hatte. Dieser eher seltsame Abend versuchte nicht, eine Aussage zu einem aktuellen gesellschaftlichen Thema (Drag Queens) zu machen oder eine gesellschaftliche Unzufriedenheit wie Nihilismus auszudrücken. Er war einfach nur unterhaltsam und hat Spaß gemacht. Die Lieder wurden für diesen Anlass von Fabio Maestri orchestriert und vor dem Vorhang von vier jungen Sängern auf einfache Weise präsentiert: Vittoriana De Amicis, Andreas Niño, Paola Nevi und Gurgen Baveyan. In der Oper spielte der bekannte und lustige Buffo-Bass Pietro Spagnoli die Rolle des Tobia Mill und die exzellente Paola Leoci seine hübsche Tochter Fanni. Ihr Liebhaber Edoardo wurde von Jack Swanson gespielt, und der Kanadier Slook, der mit einem Bären im Schlepptau auftauchte, wurde von Matt Olivieri dargestellt. Ramiro Mataran und Inés Lorann waren die beiden Diener Norton und Clarina. Der ehemalige Tenor Laurence Dale inszenierte eine charmante, traditionelle und lustige Produktion. Auf der Bühne stand ein realistisches zweistöckiges georgianisches Londoner Reihenhaus, und die Sänger trugen historische Kostüme. Der einzige Misston war der Bär, der fast während der gesamten Oper auf der Bühne blieb und den Witz zermürbte. Christopher Franklin dirigierte.

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Wenn es ein Gegenmittel zur nihilistischen Zelmira gab, dann war es der letzte Teil der Messe für Rossini, Verdis „Libera me, Domine”, ein großer Schrei nach Freiheit und Sinn, gerichtet an ein kaltes Universum und gesungen von der großartigen Vasilisa Berzhanskaya. Das Universum mag nicht zuhören, aber der verzweifelte Schrei, eines der größten Werke Verdis, ist an sich schon eine Bestätigung der größten Aufgabe der Kunst – uns in der Weite von Zeit und Raum einen Sinn zu geben. Charles Jernigan/DeeplL/G. H.

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Salzburger Festspiele 2025: Counter-Gipfel. Noch nie gab es im Salzburger Festspielsommer eine derart hohe Beteiligung von Counter/Falsetisten wie in diesem Jahr. Schon in der Eröffnungsproduktion mit einem Barockwerk – Händels Giulio Cesare in Egitto -, mit dem der russische Regisseur Dmitri Tscherniakov sein Debüt in Salzburg gab, waren vier Vertreter dieser Stimmgattung besetzt. Ohne Zweifel führte sie der Franzose Christophe Dumaux als Titelheld an. Viele Jahre war er auf die Partie des Tolomeo abonniert, die er weltweit und bei allen großen internationalen Festivals gesungen hat. Für die Interpretation der Titelrolle hat er sich viel Zeit gelassen – mit dem Ergebnis einer bewundernswerten Vollkommenheit. Schon der Auftritt mit „Presti omai l´egizia terra“ war in seiner energischen Attacke fulminant, ähnlich rasant das Solo „Empio, dirò, tu sei“. Dazu kontrastierte das lieblich intonierte „Se in fiorito ameno prato“ mit imitierten Vogelstimmen zauberhaft und geradezu magische Wirkung hatte „Aure, deh, per pietà“ mit berückend schwebenden Tönen.

Ihm fast ebenbürtig der ukrainische Sänger Yuriy Minenko als Tolomeo, auch er eine Größe im internationalen Barock-Geschehen. Der Regisseur zeichnet ihn als fiesen, effeminierten Schurken und lässt ihn sein Entrée „L´ empio, sleale“ mit hysterischer Aggressivität vortragen. Aber Minenko kann später auch die Schönheit seines Timbres zeigen und mit einer kunstvollen Kadenz imponieren.

Salzburger Festspiele 2025: „Giulio Cesare“/Szene/Foto Monika Rittrershaus/SF

Ein relativ neuer Name ist der italienische Sopranist  Federico Fiorio, der aber bereits an der Mailänder Scala aufgetreten ist und bei den jüngsten Festspielen Potsdam Sanssouci in Galuppis Didone abbandonata beeindruckte. Mir war sein Sesto bei aller zur Schau gestellten Virtuosität zu kindlich im Klang, ungeachtet der Tatsache, dass die Rolle einen Sänger mit jugendlicher Stimme verlangt. Wie alle Figuren in diesem unterirdischen Gefängnis ist auch er traumatisiert, allein die flatternden Hände bei „Svegliatevi nel core“ zeigen seinen pathologischen Zustand an. Später wird er eine Art Veitstanz aufführen und völlig die Kontrolle über seine Aktionen verlieren, was der Interpret mit bewundernswertem körperlichem Einsatz zeigt. Vierter Counter war der junge Amerikaner Jake Ingbar als Nireno mit auffallend klangvoller Stimme.

Gefeiert wurde Olga Kulchynska für ihre Cleopatra, mit der sie ein beachtliches Salzburg-Debüt gab. Optisch als billige Nutte eher abstoßend, gelang es ihr doch, die Gefühle für Cesare und ihre Ängste um sein Leben glaubhaft zu vermitteln. Die makellose Technik erlaubte ihr einen bravourösen Vortrag der fordernden Arien und auch die lyrischen Passagen gelangen ihr vortrefflich. Zwitschernd klang „Non disperar“, verführerisch „V´adoro, pupille“, tragisch umflort „Piangerò“ und gebührend bravourös „Da tempeste“. Einzig das recht anonyme Timbre versagt die Einordnung der Stimme in eine von Weltrang.

Gespalten. waren die Meinungen über die französische Mezzosopranistin Lucile Richardot als Cornelia. Ihre Stimme mit maskulinem, extrem gutturalem Klang verfärbte sie bis zur Hässlichkeit. Die Ausbrüche bis zum veristischen Schrei verfehlten zuweilen nicht ihre Wirkung, waren aber kaum noch in die Kategorie Gesang einzuordnen. Echte männlich-tiefe Töne brachten der moldawische Bariton Andrey Zhilikhovsky als Achilla und Robert Raso vom Young Singers Project als Curio ein. Ersterer trumpfte bei „Tu sei il cor“ mit energischer, ausladender Stimme auf, während Raso die Rezitative resolut formulierte.

Das zentrale Thema des diesjährigen Festspielprogramms, Machtkampf und Krieg, war deprimierend, doch angesichts der aktuellen Weltlage nachvollziehbar. Und natürlich war es auch in dieser Eröffnungsproduktion präsent. Wie stets fungierte Tcherniakov als sein eigener Bühnenbildner und hatte im Haus für Mozart einen unterirdischen Bunker auf die Bühne gestellt, in welchen die Protagonisten geflüchtet waren und dort in klaustrophobischer Enge eingepfercht sind. Ihre Machtkämpfe setzen sie dennoch fort. Der Einheitsschauplatz evozierte eine szenische Eintönigkeit. Elena Zaytsevsas moderne Kostüme bewegten sich im sattsam bekannten Spektrum von Business-Anzügen, Lederjacken, Hoodies und einem pinkfarbenen Girly-Outfit für Cleopatra mit Felljacke und langer Perücke. Befremdlich waren einige Ideen des Regisseurs, wie Tolomeos versuchte Vergewaltigung der Cornelia, die sich ihm angeekelt entzieht, aber darauf ihren eigenen Sohn Sesto sexuell bedrängt und damit eine inzestuöse Neigung offenbart. Auch die permanente Korrektur ihres Make-up´s während der Trauergesänge um den ermordeten Gatten schien unpassend. An Komik grenzten der schier endlos verblutende Achilla und Sesto, der am Ende den Verstand verliert und in einen Wahnsinnstanz verfällt. Vorhersehbar, dass Tschernjakov auch dem lieto fine nicht traute. Alle singen von Freude und Lust, doch eine ohrenbetäubende Explosion zeigt unmissverständlich an, dass die Wirklichkeit eine andere Sprache spricht.

Mit alarmierendem Sirenengeheul begann die Aufführung auch akustisch verstörend. Aber dann setzte die Musik ein, welche Emmanuelle Haim mit ihrem Concert d´Astrée in aggressiver Härte und schonungsloser Dramatik erklingen ließ. Da waren die weichen Streichertöne, die ziselierten Gambenakkorde und feinen Bläserpassagen der Bühnenmusik ein wunderbarer Kontrast zu den fiebrigen, harsch pulsierenden Passagen. Aus dem Orchestergraben sang der Bachchor Salzburg (Einstudierung: Michael Schneider) und sorgte gleichermaßen für dramatische Effekte (wie im Schlachtruf „Mora Cesare, mora“) und versöhnliche Harmonie (wie im Finale „Ritorni omai nel nostro core“) – wenn dies auch von der Regie nicht bedient wurde. Aber musikalisch war diese Festspieleröffnung verheißungsvoll (14. 8. 2025).

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Salzburger Festspiele 2025: „Drei Schwestern“/Szene/Foto Monika Rittrershaus/SF

Die Besetzungsliste einer weiteren Neuproduktion, Peter Eötvös´ Oper Tri Sestri (Drei Schwestern) (Uraufführung am 13. März 1998 in der Opéra de Lyon) wies gleichfalls vier Counter auf, dazu als komischen Verfremdungseffekt den orgelnden polnischen Bass Aleksander Teliga in einer Travestie-Rolle – der Amme Anfisa. Das Trio der drei hohen Männerstimmen in den Titelrollen sorgte in Salzburg für eine Sensation. Der Sopranist Dennis Orellana als Irina sowie die Counter Cameron Shabazi als Mascha und Aryeh Nussbaum Cohen als Olga hatten den Abend schon im Prolog für sich entschieden, wo sie in schlichten weißen Kleidern (Kostüme: Emma Ryott) an ihr bisheriges Leben erinnern und von einem Neuanfang träumen. Wunderbar vereinten  sich die drei Stimmen zu einem harmonischen Zusammenklang, getragen von der sphärischen Musik des ungarischen Komponisten, die 1998 uraufgeführt wurde. Der französische Dirigent Maxime Pascal breitete sie mit dem Klangforum Wien atmosphärisch aus, gab auch ihren winselnden, lärmenden Passagen gebührenden Raum. Alphonse Cemin leitete ein unsichtbares Orchester hinter der Bühne.

An Tschechows Schauspiel Drei Schwestern mit seinen intimen Kammerspiel-Szenen, mit seiner Bühne voller Birken darf man bei der Vertonung und bei der Inszenierung von Evgeny Titov nicht denken. Sie fügt sich ganz ein in das aktuelle Thema der Festspiele, zeigt eine apokalyptische Trümmerlandschaft aus geborstenem Beton und zerstörten Eisenbahnschienen im Nebel (Bühne: Rufus Didwiszus). Die Akteure müssen über riesige Gesteinsbrocken balancieren, wobei der vierte Counter, Kangmin Justin Kim in der Rolle der hysterischen und extravagant gewandeten Natascha, Andrejs Frau, dem Bruder der Schwestern, durch seine geradezu artistische Gewandtheit besonderes Aufsehen erregte. Die Hoffnung, welche Eötvös´ Musik auch innewohnt, atmet die Szenerie nicht. Der Krieg ist allgegenwärtig, wenn Soldaten mit den Utensilien des Kriegers die Bühne stürmen und Brände aufflammen. Die zugemauerten Arkaden der Felsenreitschule suggerieren zudem eine bedrückende Eingeschlossenheit.

Im Unterschied zum Schauspiel haben der Komponist und sein Librettist Claus H. Henneberg die Oper in drei Sequenzen aufgeteilt, in denen Irina, Mascha und Andrej aus ihren individuellen Blickwinkeln erzählen. Den Anfang macht Irina, die jüngste der Schwestern, der die Oboe zugeordnet ist und die von Baron Tusenbach (Mikolaj Trabka mit obertonreichem Bariton) geliebt wird. Orellana verlieh ihr einen feinen, träumerischen Sopranklang. Auch der Stabshauptmann Soljony (Anthony Robin Schneider mit sonorem Bass) liebt Irina, was zum Duell mit dem Baron führt, in dem dieser sein Leben verliert.

Die zweite Sequenz ist Andrej vorbehalten, der sich in Selbstvorwürfen quält. Seine Frau Natascha hat ein Verhältnis mit Protopopow (Henry Diaz), was der Choreograf Otto Pichler in einer Liebesszene pantomimisch umgesetzt hat. Der südafrikanischer Bariton Jacques Imbrallo zeigt sich als Andrej schonungslos nackt, so die Sinnlosigkeit seiner Existenz darstellend. Die Sequenz III ist Mascha vorbehalten, der die Klarinette gehört und die von dem Batteriekommandanten Werschinin (Ivan Ludlow mit potentem Bariton und starker Aura ) fasziniert ist. Der Abschied von ihm wegen seiner privaten Probleme ist für Mascha schmerzlich. Shahbazi bestach durch seine elegante, attraktive Erscheinung und die sinnliche, dunkel timbrierte Stimme. Der Bass Andrei Valentiy gab Maschas Ehemann Kulygin als skurrile Figur. An Irinas Namenstag erscheint er mit roter Clownsnase und langen Eselsohren, um ihr ein Geschenk zu machen. Valentiy formte daraus ein Kabinettstück und imponierte darüber hinaus mit seiner prachtvoll sonoren Stimme. Der dritten Schwester, Olga, ist keine Sequenz gewidmet, wohl aber ein Instrument – die Flöte.

Zwei Zeichen der Hoffnung setzte der Regisseur am Ende dennoch gegen Tristesse, Verzweiflung und Apokalypse.  Irina malt auf eine weiße Mauer mit Kohle einen Tunnel als möglichen Ausweg und  das Alte Mütterchen (Eva Christine Just) steigt aus ihrem Krankenbett, um von der vierstöckigen Schokoladentorte zu kosten. Selten gab es für eine zeitgenössische Oper solch euphorischen Jubel wie in der Felsenreitschule am 12. 8. 2025.

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Salzburger Festspiele 2025: „Maria Stuarda“/Szene/Foto Monika Rittrershaus/SF

Für die Vielseitigkeit des diesjährigen Festspielprogramms stand auch die Inszenierung von Donizettis Maria Stuarda. Die 1835 uraufgeführte Tragedia lirica zeigte Regisseur Ulrich Rasche im Großen Festspielhaus als Machtkampf der beiden Königinnen Elisabetta und Maria. Jeder ist ein eigenes Reich zugeordnet, welches sie nie verlassen und auch in ihrem Duett die Trennung beibehalten werden. Rasche als sein eigener Bühnenbildner hat dafür zwei riesige drehbare Scheiben installiert, die auch kippen können und von unten illuminiert werden. Von oben senkt sich eine dritte Scheibe herab, welche als Leuchtkörper dient und zudem für die Projektion von Filmaufnahmen der Titelheldin (Video: Florian Hetz) genutzt wird. Umgeben werden die beiden Herrscherinnen von ihren Höflingen (Tänzer der Salzburg Experimental Academy), die sich in der Choreografie von Paul Blackman bewegen – zumeist gegen die Drehrichtung der Scheibe – oder im Gleichschritt marschieren, gegen Ende halbnackt und zunehmend gekrümmt erscheinen. Auch die beiden Regentinnen sind in ständiger Bewegung, um sich gegen die Drehung der Scheiben zu behaupten. Irgendwann ähnelt Elisabetta in ihrer gebeugten, gebrechlichen Haltung, sich mühsam vorwärts schleppend, gar einer Mutter Courage. Kate Lindsey, in Salzburg ein häufig gesehener Gast, gab sie mit strengem, stark gutturalem Mezzo, dem gelegentlich ein heulendem  Beiklang eigen war. In der Erscheinung imponierte die herrscherliche, stolze, hochmütige Aura, im Ausdruck ihre Energie und Entschlossenheit. Von Sara Schwartz zumeist in Schwarz gekleidet, ist sie ein starker Kontrast zu Maria ganz in Weiß. Lisette Oropesa, kürzlich bei ihrem Rollendebüt am Teatro Real in Madrid gefeiert, war eine empfindsame schottische Königin mit weichem, lyrischem Koloratursopran. Die Auftrittskavatine „Guarda: su´ prati appare“ besaß Süße und Leuchtkraft, die Cabaletta „O nube“ Verve und strahlende Spitzentöne. Tief empfunden war ihre Preghiera vor dem Tod auf dem Schafott, bei der sie in einem transparenten hautfarbenen Hosenanzug aus glitzerndem Stoff auftreten muss – ein absurder Einfall der Kostümbildnerin. Auch Antonello Manacordas forsche Leitung der Wiener Philharmoniker wurde gelegentlich zum Problem, wenn das auftrumpfende Orchester den Sängerinnen alle Reserven abverlangte. Mit seinem robusten Latino-Tenor hatte Bekhzod Davronov als Roberto keine Mühe, sich gegen die Wiener Musiker durchzusetzen. Zur Optik als jugendlicher Beau korrespondierten seine strahlenden Spitzentöne und die Italianità seines Vortrags. Der russische Bass Aleksei Kulagin gab den Talbot mit ausladender, körniger Stimme, Thomas Lehman den Cecil mit solidem Bariton. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Alan Woodbridge) sang aus dem Off, was gelegentlich zu Koordinationsproblemen mit dem Orchester führte. Das Publikum am 11. 8. 2025, mit der Interpretation von Belcanto-Opern in Salzburg nicht eben verwöhnt, feierte die Sänger ausnahmslos euphorisch.

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Salzburger Festspiele 2025: „Hotel Metamorphosis“/Szene/Foto Monika Rittrershaus/SF

Traditionell wurde eine Produktion von den Pfingstfestspielen Salzburg in das Sommerprogramm übernommen – in diesem Jahr Barrie Koskys schon im Juni gefeiertes Vivaldi-Pasticcio Hotel Metamorphosis. Michael Levine hatte die Geschichte in einem Hotelzimmer mit Doppelbett und variierenden Gemälden verortet, welche mythologische Szenen zeigen: Pygmalion und seine Statue, Arachne und Minerva, Myrrha, Echo und Narcissus, Orpheus und Eurydice. Die Geschichten stammen aus Ovids Metamorphosen, deren berühmteste die von Orpheus ist, den Angela Winkler im schwarzen Hosenanzug (Kostüme: Klaus Bruns) mit ihrer bekannt manierierten kindlichen Stimme sprach und dabei einige Konzentrationsprobleme offenbarte. Auch Pfingst-Prinzipalin Cecila Bartoli als Eurydice (im roten Kleid) und Arachne (im bunten Hosenanzug und Turban) brauchte eine Zeit, um ihre Form zu finden. Bei „Quell`augellin che canta“ aus La Silvia entzückte sie mit den imitierten, kichernden und gackernden Vogelstimmen, bei „Dite, oimè“ aus La fida ninfa beeindruckten der schmerzliche Ausdruck und die souveräne hohe Lage. Am Ende tritt sie noch einmal als Eurydice auf, nun im schwarzen Kleid, und imponierte mit langen Bögen bei „Sposa… son disprezzata“ aus Giacomellis Il Bajazet und „Gelido in ogni vena“ aus Il Farnace, bei dem die Stimme wie erfroren klirrte. Auch Philippe Jaroussky, ein Veteran in der Counter-Szene, offenbarte als Pygmalion und Narcissus stimmliche Defizite.  Überzeugend war aber der träumerische Klang in „Tu dormi in tante pene“ aus Tito Manlio.

Zum Star der Aufführung avancierte die französisch-italienische Mezzosopranistin Lea Desandre als Statua,  Myrrha und Echo. Als Myrrha brillierte sie mit der Bravour-Nummer „Agitata da due venti“ aus La Griselda (früher selbst ein Ganzstück der Bartoli), wozu das lyrisch gesponnene „Non ti lusinghi la crudeltade“ aus Tito Manlio ein schöner Kontrast war. Berührend auch die Arie „Sonno, se pur sei sonno“ aus dieser Oper, die Myrrha nach ihrer Verwandlung in einen Baum singt. Überwältigend schließlich Desandre als Echo mit der Arie „Zeffiretti che sussurrate“ aus Ercole sul Termodonte mit dem reizend imitierten Vogelzwitschern. Die Besetzung komplettierte die russisch-schweizerische Merzzosopranistin Nadezhda Karyazina als Minerva, Nutrice und Juno. Als Minerva begann sie mit wimmernder Fistelstimme, als Nutrice trumpfte sie mit „Nel ,profondo cieco mondo“ aus Orlando furioso energisch auf und als Juno berührte sie mit „Ho nel petto un cor si forte“ aus Il Giustino.

Il Canto di Orfeo (Einstudierung: Jacopo Facchini) hatte in mehreren Szenen Gelegenheit für klangvolle Auftritte („Dell´ aura al sussurrar“ aus Dorilla in Tempe oder mit dem finalen  „Sileant zephyri“).

Optisch wurde die Aufführung entscheidend geprägt von Otto Pichlers choreografierten Tanzszenen, die an seine Arbeiten in den Musicals an der Berliner Komischen Oper erinnerten. Vor allem zu Beginn des 2. Aktes mussten die Tänzer in bunten Röckchen und mit Blütenkränzen im Haar zur Sinfonia aus Dorilla in Tempe hopsen und kreischen. Im Finale sorgten sie beim Concerto grosso auf das „La Follia“-Thema von Geminiani immerhin für eine strengere Form. Exzellent war das orchestrale Niveau, das Gianluca Capuano mit Les Musiciens du Prince – Monaco bot. Ein reiches Farbspektrum schloss flirrende, harsche und klirrende Töne ein. Zu hören waren zärtliche, sinnliche und dramatisch explosive Momente, welche das Seelenleben der Protagonisten plastisch widerspiegelten. Das Publikum im Haus für Mozart am 13. 8. 2025 feierte die Interpreten anhaltend. Bernd Hoppe

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Quietschekuh und Rumpelkammer: Bayreuther Festspiele 2025 –  Die Meistersinger von Nürnberg unter Daniele Gatti und Tristan und Isolde unter Semyon Bychkov. Die rot-grün-bunte aufblasbare Kuh, deren durchgebogener Rücken und das nach oben gestreckter Euter die Nürnberger Festwiese überspannen, schwebt unantastbar über Jubel und Frohsinn, Schunkelei und Gruppentanz. Zwar hatte Beckmesser ihr kurzfristig die Luft rausgelassen, was zum Abbruch der Fröhlichkeit geführt hätte, doch Allkümmerer Sachs erkennt rechtzeitig die Notlage und verbindet Stecker und Kabel wieder. Das wäre auch zu schade gewesen. Das Bild wird in Erinnerung bleiben: eine Festwiese in quietschbunter 70er Jahre Optik als Mischung aus Volksfest und Vereinsabend, Musikantenstadl, Schlagerparade, Bauerntheater und Faschingssitzung mit zwei Merkel-Doubles, blond geschneckerlte Schlagerfuzzis, viel Volk in zünftigen Lederhosen und Dirndln. Und ganz viele Zipfelmützen, die an diesem Abend nie fehlen, als rote Vorgartenzwergmützen, fahle Narren- oder verzierte Faschingskappen.

Bayreuth 2025: „Die Meistersinger von Nürnberg“/Szene/©Enrico Nawrath press

Wie als Warnung wurde Regisseur Matthias Davids als Musicalregisseur angekündigt. Tatsächlich hat er seit 30 Jahren landauf landab an unterschiedlichsten Häusern gelegentlich Opern und Operetten, doch vor allem Musicals inszeniert. Und ich erinnere mich auch mal Gershwins Crazy for you von ihm gesehen zu haben. Gelernt hat er daraus ein Gefühl für Timing, die Mischung aus sentimentalen und leidenschaftlichen, aus kleinen und großen Szenen. Langweilig darf es nie sein. Das alles passt zu den Meistersingern, die Davids bewusst als Gegenentwurf zu Barrie Koskys und Katherina Wagners Geschichtsstunden und der jahrzehntelange Öde bei Wolfgang Wagners als – und das will bei den Längen der Schusterstube etwas bedeuten – nie langweiliges komödiantisches Entertainment bringt. Das war vielen zu leicht, zu heiter, zu oberflächlich. „Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts“, würde die lebenskluge Marschallin aus der anderen großen deutschen Musikkomödie sagen, die die Gefühlslage der Beteiligten erkannt hat. Oberflächlich ist Davids nie. Und die Bilder von Andrew Edwards bleiben in Erinnerung. Die sehr schmalen und sehr hohen, umsichtig mit einem Warnhinweis versehenen Stufen, die zu einem Kirchlein führen, aus dem anfangs die Kirchgänger strömen, angetan entweder in Trachten der Dürer- und Wagner-Zeit oder gar im modetrendigen Männerwickelrock. Auf der Fläche daneben treffen sich Eva und Stolzing erstmals. Er hat ein Herzchen aus Papierfliegern auf den Boden gelegt und flattert mit zwei Papierflügeln wie ein verliebter Teenager-Engel. Anschließend schwenkt die Handlung in das Innere eines Versammlungsraums. Im zweien Akt dann die bunt illuminierte, mittelalterliche Gasse mit den wie im Erzgebirge gedrechselten Häusern von Sachs und Pogner, samt Bäumchen von der Märklin-Eisenbahn und einer zum Bücherschrank umfunktionierten Telefonzelle. Am Ende des Aktes bricht ein Pandämonium aus, die Bäume scheinen sich zu biegen, die Häuser rücken auseinander, die Dächer heben sich, eine wütende Prügelei beginnt, die zwischenzeitlich zwischen den Hauptbeteiligten im Boxring geführt wird. Und schließlich diese Festwiese, die aus der krähwinkelschen Enge in die Weitläufigkeit der gegenwärtigen Unterhaltungsbranche führt. Ähnlich bunt – und stillos würde manch einer meinen – hat Susanne Hubrich die Kostüme zusammengesucht als habe ganz Nürnberg im Second-Hand-Laden gewühlt, doch auch mit viel Sinn für aparte Kombinationen und Details bis hin zu dem Harlekins-Wams und den roten Socken des Sachs und seinen guten Maßschuhen, die er im dritten Akt trägt, oder den wechselnden Outfits des Beckmesser. Davids hat die Figuren eindringlich gezeichnet. Herrscht anfangs noch ein gestelzter Vorzeigeton mit demonstrativen und jedes Wort untermalenden Gesten, so gewinnen die Figuren langsam an Leben und Individualität, vor allem Stolzing und Eva wirken wie Zeitgenossen. Eva wird am Ende zur treibenden Kraft, schält sich aus der Festwiesendeko, in der sie wie ein aufgerüschter Hauptgewinn vorgeführt wird, verabschiedet sich von der Amme, gibt dem Vater die Preiskette, ergreift ihren Junker, der nach seiner Ablehnung der Meisterwürde von Sachs ausgiebig belehrt wurde und nun etwas hilflos herumsteht, und flieht ihm aus dem Treiben.

Bayreuth 2025: „Die Meistersinger von Nürnberg“/Szene/©Enrico Nawrath press

Auch Sachs selbst hat neben allen besserwisserischen Lehrer-Lämpel-Zügen grüblerisch selbstquälerische und durchaus selbstironische Momente. Wie Georg Zeppenfeld diese Entwicklung darstellerisch zeigt, ist großartig. Nicht weniger bewundernswert die, man muss schon sagen, vokale Bravour, mit der er trotz des etwas sehr beiläufigen Flieder-Monologs die Partie trägt und bis zu den Schlusssequenzen mit seinem klaren, hohen Bass und auch in der vierten Aufführung nie nachlassender Kraft (11. August) meisterlich durchleuchtet, auch wenn man sich eine opulentere, profundere Stimme vorstellen könnte. Zeppenfeld führt eine großartige Besetzung an, die es in dieser fabelhaften Geschlossenheit auf dem Grünen Hügel auch nicht alle Jahrzehnte gibt. Sachsens Sparringpartner ist Beckmesser, mit dem er nach dem Schlussgesang die endlosen Diskussionen weiterführen wird. Michael Nagy ist darstellerisch ebenso großartig, wobei ich es interessanter gefunden hatte, wenn die Regie auf einige klamaukige Züge verzichtet hätte und den aparten Sänger mit seinem schönen Kavaliersbariton als echten Konkurrenten zum favorisierten Ritter aufgebaut hätte. Der Ritter ist ein Dutt tragender Teddy im blauen Anzug. Michael Spyres singt den Stolzing mit edelzartem, groß aufblühendem Ton, goldenen Timbre, in jeder Lage speziellem Klang und endlosem Atem, schön phrasiert und textdeutlich und einer heldenhaften Leichtigkeit, wie wenn er nach „Parnass und Paradies“ noch Rossinis Koloraturen versprühen könnte. Da ist alles zwingend erfasst. Nach dem sehr guten, doch keineswegs überrumpelnden Wagner-Debüt mit dem Lohengrin im Vorjahr in Straßburg hat Spyres mit Stolzing seine ideale Wagner-Partie gefunden. Im Frühjahr geht es an der Met mit dem Tristan weiter. Dort hat Christina Nilsson kürzlich die Aida gesungen. Mit kühl gestähltem, fast schon dramatischem Sopran ist die junge Schwedin eine auffallende Eva, die sich in den Szenen mit Sachs im zweiten und dritten Akt nicht unterbuttern lässt, die Pep hat und das Quintett mit ruhigem Strahl und sattem Klang anführt. Ausgezeichnet der bestechend artikulierende, in der Höhe etwas verunsicherte und mit einem großen Spieltenor singende Matthias Stier als David. Christa Mayers schuf mit der Magdalene eine pralle Figur, unter den allesamt individuell gezeichneten Meistern fielen Daniel Jenz als Balthasar Zorn, Matthew Newlin als kettenrauchender Ulrich Eisslinger, Patrick Zielke als Hans Foltz und Jordan Shanahan als gemütlicher Kothner auf. Ein schwarzer Fleck: der eigentlich schön, doch klein, völlig unidiomatisch und unverständlich klingende Pogner des Jongmin Park. Und Daniele Gatti? Ihm eilt die Regie zur Hilfe, lässt über den betulichen und langsamen Anfang hinweghören, bis sein ausziseliertes Musizieren und die Sicherheit, mit der er Orchester und den etwas kleiner als früher besetzten Chor führt und steigert, im dritten Akt an Überzeugungskraft gewinnt. Am Ende grenzenloser Jubel, einige Buhs für den Dirigenten.

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Bayreuth 2025: „Tristan und Isdolde“/Szene/©Enrico Nawrath press

Rätselhaft, dunkel, raunend tags zuvor die zweite von fünf Aufführungen von Tristan und Isolde (10. August). Die Inszenierung des isländische Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson, der mit Inszenierungen der Edda und Orestie, aber auch von Lohengrin 2014 in Augsburg und Parsifal 2023 in Hannover aufgefallen ist und prädestiniert für geheimnisvolle Urstoffe scheint, hatte im Vorjahr die kurzlebige Tristan-Inszenierung Roland Schwabs aus dem Jahr 2022 abgelöst. Isolde, die bald ihren Bräutigam Marke treffen wird, schleppt im wahrsten Sinn des Wortes einen immensen Ballast an Erinnerungen mit sich, der in Form des gewaltigen weißen Reifrocks, welcher sich wie eine Insel um sie herum ausdehnt und wallt, alles andere auf der nur wegen der herunterhängen Taue als Schiff erkenntlichen Bühne in den Hintergrund treten lässt. Ein Riss im Boden steht für den Riss in der Welt und die unerfüllte Sehnsucht der Liebenden. Das weiße Gewand, das Isolde wie einen Engel erscheinen lässt, ist bereits über und über beschrieben, und immer noch kritzelt die Tagebuchschreiberin Isolde weiter, ruft sich die zurückliegende Begegnung mit Tristan in Erinnerung, bei der sich beide ineinander verliebten: „Vergeltung“, „Rache“, „Tantris“ usw. Da braucht es keinen Liebestrank mehr, damit beide bei der Überfahrt von Irland nach Cornwall, wohin Tristan die Braut Isolde führen soll, neuerlich entflammen. Im undurchschaubaren Hantieren mit Liebes- und Todestrank ist es unwichtig, zu welchem Trank sie greifen. Um die beiden war es bereits geschehen, so das Regieteam im Programmheft, sobald Isolde sagt, „Er sah mir in die Augen“.

Ganz entfliehen können sie dem Ballast, der Vergangenheit und ihrer Geschichte nicht, wenn man die Anhäufung von Gegenständen, die ab dem Erscheinen Markes am Ende des ersten Aktes fortan das vom litauischen Bühnenbildner Vytautas Narbutas voll geräumte Schiffsinnere bestimmen, als eine solche Last nimmt. Es ist ein Lager oder Speicher, durch den dicke Röhren und Leitungen führen, angefüllt mit dem kulturgeschichtlichen Treibsand aus mehreren Jahrhunderten, Kruscht und Krempel, die wahllos und schwer zu erkennen durcheinanderliegen, Karyatiden, ein Röhrenradio, ein alter Globus, Büsten und Amphoren, Bilder, vielleicht eines von Caspar David Friedrich, das Ziffernblatt einer Comtoise, die Statue eines Kriegers. Das Vergangene lässt sich nicht wegräumen und bestimmt bis zu Tristans Fieberfantasien die Handlung. Im zweiten Akt verspielen sich Tristan und Isolde ein wenig mit dem Zeugs. Tristan erbittet von Isolde den tödlichen Schwertstoß, dem sie ihm einst verweigerte. Indem er schließlich selbstmörderisch zum Todestrank greift, entgeht er Melots Hieb. Im dritten wird Tristan auf einem der Stühle sterbend zusammenbrechen, die anderen, ohnehin zu Stichwortgebern reduziert, sinken auf den Lagern zusammen. Arnarssons Inszenierung lässt den Betrachter ratlos und verwirrt zurück.

Bayreuth 2025: „Tristan und Isdolde“/Szene/©Enrico Nawrath press

Es ist der große Abend des Semyon Bychkov, der die „Handlung in drei Aufzügen“ mit dem in Bestform spielenden Festspielorchester mit ausgepichter Klangdelikatesse aufdröselt, so detailverliebt, dass man scheinbar nie gehörte Details neu beachtet, dabei bei durchaus ausladenden Tempi von großer Spannung und Intensität bereits in der sich sehrend ballenden und steigernden Einleitung mit dem berühmten Tristan-Akkord. Sensibel leuchtet er, wie in der Einleitung zum dritten Akt, Farben und Nuancen vorimpressionistisch aus und gibt den zartesten Pianissimi Gehalt, kreiert zu Beginn des zweiten Aktes ein sensuelles Fluidum, in dem sich Camilla Nylunds schöner Sopran ebenso edel entfaltet wie im bemerkenswert sicher gesteigerten Liebestod, den Isolde mit dem Gifttrank herbeiführt; nur aus Liebe stirbt man eben doch nicht. Ihrem durch und durch lyrischen Sopran mag es im ersten Akt etwas an hochdramatischem Fundament fehlen, was vor allem neben dem brünstig lauten Andreas Schager auffällt, doch im zweiten Akt ist besticht sie durch einen ruhigen und sicheren Strahl und ein feines Piano bei verinnerlichtem Ausdruck und Gestaltung. Schagers Tristan ist bis zu den letzten „Isolde“-Rufen ein kämpfender, mit voller Kraft und ungeniertem Ausdruck singender und sich verausgabender Held, der sich nur selten leisere, dann ins Sprechen abgleitende Töne gestattet und sich lieber auf die pure Kraft seines robusten und metallisch schwingenden Tenors verlässt. Wirklich zusammen passen die beiden Stimmen nicht. Ekaterina Gubanova macht als Brangäne durch ihre gute Höhe bei merklich blassem Mezzosopran auf sich aufmerksam, Jordan Shanahan ist ein sympathischer Diener seines Herrn, Günther Groissböck gibt den Marke mit überzeugender Gestaltung und Ausdruck und einem bedenklich festgefahrenen Bass. Festspielwürdig der feinstimmige junge Seemann von Matthew Newlin und der Hirte des Daniel Jens, weniger der Melot des Alexander Grassauer. Rolf Fath

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Bad Wildbad: Otello mit Happy End beim 36. Rossini in Wildbad-Festival. Geballtes Programm. In zehn Tage hat Rossini in Wildbad diesmal alle Aufführungen und Konzerte gepackt. Das hat durchaus Reiz für anreisende Liebhaber, die nach der Eröffnung mit der Petite Messe Solennelle auf dem Baumwipfelpfad an verlängerten Wochenenden vormittags und abends La Cenerentola, die einzige aktuelle szenische Neuinszenierung, oder den Einakter L’inganno felice genießen können. Oder die Klavieroper Un avvertimento ai gelosi des legendären Rossini-Tenors und Gesangslehrers Manuel Garcia, von dessen Gelegenheitsstücken für seine Gesangsschüler das Festival bereits einige aufgeführt hat. Alle drei im Königlichen Kurtheater. Dennoch wirkt das diesjährige Angebot sparsam und ausgedünnt. Die große Rarität, die Grand opéra Pierre de Médicis des Józef Michał Ksawery Poniatowski (1816–1873), fand als einmalige konzertante Aufführung statt. Der in Rom geborene Großneffe des letzten polnischen Königs war als Sänger, Komponist und Diplomat ein Kosmopolit. Er lernte Rossini in Paris kennen, wo er sich 1853 niederließ, ab 1873 das Théâtre Italien leitet und seine Oper Pierre de Médicis (1860) in der Opéra Le Peletier zur Uraufführung brachte.

„Baritenor“ Manuel Garcia Vater als Rossinis Otello von 1816/Wikipedia

Auch die die zweite Rarität, Rossinis Otello in einer bislang in modernen Zeit nicht aufgeführten Fassung aus Rom von 1820 mit Happy End, erlebte nur eine konzertante Aufführung. Unvergessen die Aufführung des Otello beim 20. Rossini in Wildbad-Festival im Juli 2008 mit Jessica Pratt und Michael Spyres (Naxos 8.660275-76), die beide vom Enztal aus ihre Karriere starteten. Nun übernahm Francesco Meli, der sich Ende 2024 in Venedig erstmals an Verdis Otello getraut hatte, die Titelrolle; versierte Rossini-Tenöre würden den Weg andersrum wählen. Meli leitet übrigens das Opernstudio des Teatro San Carlo in seiner Geburtsstadt Genua, von dem die Produktion von Un avvertimento ai gelosi stammt. Diana Haller, die hier schon von Tancredi bis Isolier vielfach reüssiert hat und mittlerweile auch Sopran-Partien (Elettra) singt, ist erstmals die Desdemona. Die verbindende Konstante wäre Antonino Fogliani gewesen, der offenbar in vorletzter Minute durch Nicola Pascoli ersetzt werden musste, der sich im Vorjahr bei Michele Carafas Masaniello mit der heiklen Akustik der schmalen und langgestreckten Trinkhalle vertraut gemacht hatte.

Otello war nach Elisabetta, regina d’Inghilterra die zweite der neun ernsten Opern, die Rossini für das Teatro San Carlo in Neapel schrieb. Er war 23 Jahre alt, als ihn Domenico Barbaja 1815 zum musikalischen Leiter der beiden Königlichen Theater Neapels, des Teatro San Carlo und des Teatro des Fondo, ernannte mit der Auflage jedes Jahr zwei Opern zu schreiben. Für das San Carlo, das am prächtigsten ausgestattete Theater Italiens, schuf er fortan seine experimentierfreudigsten Seria-Opern. Der Vertrag erlaubte Rossini auch umfangreich für andere Theater zu arbeiten. Als er nach Il Barbiere di Siviglia in Rom nach Neapel zurückkehrte, hatte ein Feuer das Teatro San Carlo Opfer zerstört, weshalb der unliebsame – „Ich erinnere mich nicht, mich jemals so abgemüht zu haben“, schrieb er nach Hause –und vielfach verschobene Otello am 4. Dezember 1816 im kleineren Teatro del Fondo uraufgeführt wurde. Das Libretto des Francesco Berio di Salsa wurde so lange belächelt, bis man feststellte, dass sich der literarisch gebildete Marchese nicht direkt auf Shakespeare bezogen hatte und in den 1970 Jahren zeitgenössische Shakespeare-Adaptionen von Jean-François Ducis (1792) und Giovanni Carlo Baron Cosenza (1813) als Quellen ausgemacht wurden. Der dritte Akt mit dem Lied des Gondoliere, der Canzone des Desdemona und dem gegen den Sturm ankämpfenden einzigen Duett, das Desdemona und Otello haben, entspricht dagegen Shakespeares Drama.

Davon entfernte sich Rossini in seiner für die Karnevalssaison 1819/20 bestimmten Fassung mit Lieto fine, also einem Happy End, für das Teatro Argentina in Rom, die am 26. Dezember 1819 ihre erste Aufführung erlebte. In dieser Fassung versucht Desdemona Otello von Jagos Intrige zu überzeugen, der aus Rache für ihre Zurückweisung Otellos Eifersucht angefeuert habe. Zögernd lässt Otello seinen Dolch fallen. Der Doge kommt. Otello erfährt, dass der Nebenbuhler Rodrigo das gemeinsame Duell, mit dem der zweite Akt geendet hatte, überlebt hat und Jago seine Intrige zugegeben hat. Der Bösewicht wird zum Tod verdammt. Elmiro akzeptiert Otello als Schwiegersohn.

Rossinis römischer „Otello“ von 1819 in Bad Wildbad 2025/Foto Magdalena Kiwior

Das Festival nennt es eine moderne Premiere. Das Label Opera Rara hat bei seiner Otello-Einspielung 1998 diese Fassung als Anhang berücksichtigt, beim Festival della Valle d’Itria in Martina Franca war im Jahr darauf eine seltsame Mischfassung mit diesem Finale zu hören. Doch Rossini in Wildbad kann tatsächlich die Moderne Erstaufführung der vollständigen Fassung für Rom für sich beanspruchen. Die Änderungen, für die Rossini bereits vorhandene Stücke anpasste, sind umfangreicher als es zunächst den Anschein haben mag und rücken das Paar Desdemona und Otello stärker in den Mittelpunkt: Statt ihres Duetts mit Emilia, mit dem Desdemona im ersten Akt quasi als scheues Mädchen eingeführt wird, erhält sie nun eine Kavatine mit Chor (Quanto è grato all’alma mia), die aus der Elisabetta stammt und einer ersten Sopranistin würdig ist. Für das entfallene Duett wird Emilia zu Beginn des zweiten Aktes durch die Arie entschädigt, welche die Vertraute Isaura in Tancredi gesungen hatte (Tu che i miseri conforti).

Die junge Mezzosopranistin Verena Kronbichler polierte das lähmende Füllsel zum vokalem Juwel auf. Rodrigos hochvirtuoses, brillantes Showstück fällt dagegen weg. Neu ist vor seiner Begegnung mit Jago eine Szene des Otello, die aus Cimarosas Penelope stammt (Smarrita quest’alma). Im dritten Akt verzichtet Rossini auf das hübsche Lied des Gondoliere mit seinen Dante-Versen und lässt die Liebenden nach Desdemonas Weidenlied und ihrem Gebet im Duett aus Armida (Amor! Possente nome) mit dem hymnischen Schlussteil Cara per te quest’anima wieder zueinanderfinden. Ein kurzer Rundgesang aus Ricciardo e Zoraide besiegelt das glückliche Ende (Or più dolci intorno al core). Die kleinen Partien des Lucio und Gondoliere entfallen, der Chor ist ein reiner Männerchor. Gianmarco Rossini, hat, wie er in seinem Revisionsbericht darlegt, weit mehr Quellen aufgetan als sie bei der Herausgabe der Kritischen Edition der Fondazione Rossini berücksichtigt wurden.

Dieser Otello ist nicht den umfassenden Mosè in Egitto und Maometto-Überarbeitungen für Paris vergleichbar, dennoch ist er ein neues Stück, das Nicola Pascoli mit Begeisterung und Temperament in die Trinkhalle stemmte, wobei ihm das ungestüm aufspielende Orchester der Krakauer Szymanowski-Philharmonie mit Leidenschaft folgte. Auch wenn manche Feinheiten der Lautstärke zum Opfer fielen, gelang es dem Orchester auf die zahlreichen instrumentalen Solomomente hinzuweisen, gelegentlich fehlende Innenspannung und Dichte ersetzte Pascoli durch effektvoll gesteigerte Finali, in denen der Chor der Szymanowski-Philharmonie durch fabelhafte Tenöre auffiel. Die Besetzung war gediegen. Francesco Meli, der Otellos Sieg Vincemmo, o prodi gleich mit der Kraft und dem bronzenen Edelmetall eines Verdischen Esultate verkündete, tat sich nicht leicht, seinem schweren und etwas angedickten Ton die nötige Geschmeidigkeit und Eleganz zu geben oder ein schönes Piano zu singen und setzte durchgehend auf einen massiven und einförmigen Ausdruck. Meli, den man kaum noch mit dem Belcanto-Repertoire und den Rossini-Partien der Anfängerjahre, die er vor rund 15 Jahren langsam hinter sich gelassen hat, in Verbindung bringt, wird diesen neuerlichen Versuch mit Rossini vermutlich so schnell nicht wiederholen, doch Respekt, wie er sich die Partie, mit der er gegen Ende merklich zu kämpfen hatte, zu eigen machte und aus den Rezitativen alles rausholt.

Souverän und triumphierend, wie eine Königin der Trinkhalle, sang Diana Haller mit einer von den runden Tiefen bis zu den aufblitzenden Höhen durchgehend schön verblendeten Stimme eine leidenschaftlich glühende Desdemona, die heftig und selbstbewusst mit manchmal etwas harschem Tonsatz für ihre Liebe kämpft und dabei seelenvolle Töne für das Weidenlied und das Gebet findet. Juan de Dios Mateos war mit seinem leichten hohen, doch auch etwas unruhigen Tenor ein eher larmoyanter denn kämpferischer Rodrigo, der chinesische Tenor Anle Gou gab dem Jago hell durchdringende Spitzentöne, als Elmiro bestach der souveräne Nathanaël Tavernier durch wohltuende Bassautorität in den Ensembles.  Rolf Fath

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Österreich – Graz: Die 40. Styriarte mit dem Motto Raum & Klang. Die steirischen Festspiele feierten in diesem Jahr ein stattliches Jubiläum, wenn auch überschattet durch die jüngsten erschreckenden Ereignisse in der Stadt. Im  Eröffnungskonzert am 20. 6. 2025 in der Helmut List Halle gedachte man dann auch mit einer Schweigeminute der Opfer. In einer Fotoausstellung im Foyer wurden 40 Bilder gezeigt, welche an die beteiligten Künstler erinnerten, vor allem natürlich an Nikolaus Harnoncourt, den Pionier des Unternehmens. Es war eine treffliche Idee, das Programm mit Johann Sebastian Bachs Partita in d, BWV 1004 für Violine solo zu beginnen – mit Thomas Zehetmair als Interpret, der dieses Werk schon beim 1. Konzert der Styriarte 1985 im Schloss Eggenberg gespielt hatte. Er fungierte dann auch als inspirierender Dirigent des Styriarte Festspiel-Orchesters bei Mozarts Sinfonia concertante in Es, KV 364 und der Sinfonie Nr. 41 in C. KV 551 „Jupiter“.

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Schloss Eggenberg war am nächsten Abend auch der Schauplatz für die diesjährige Opernproduktion – Antonio Draghis Ballettoper Gl´incantesimi disciolti, die 1673 im Schloss Eggenberg anlässlich der Hochzeit von Kaiser Leopold I. mit Erzherzogin Claudia Felizitas von Tirol  aufgeführt wurde. Draghi war Hofkomponist des Kaisers und verarbeitete im Stück auch die Intrigen, welche sich im Vorfeld der Vermählung am Wiener Hof ereignet hatten und den Bund fast verhindert hätten. In der von ihm erdachten Geschichte verlieben sich das Glück und der Gute Wille, werden aber durch den missgünstigen Neid sowie Selbstsucht und Lüge verhext und kommen erst durch die Zuneigung und den zur Vernunft geläuterten Neid zum glücklichen Ende.

Im prachtvollen Planetensaal des Schlosses hatte Dramaturg Thomas Höft eine deutsche Fassung unter dem Titel Das verwunschene Glück erstellt – eine freie Übersetzung des originalen Aufgelöste Zaubereien. Sein szenisches Arrangement wurde dominiert durch Lilli Hartmanns fast lebensgroße Handpuppen, die den allegorischen Figuren zugeordnet waren und entfernt am Arcimboldos Gemälde mit den Köpfen aus Früchten und Gemüse erinnerten. Geführt wurden sie von den Sängern und vier Tänzerinnen, die in der Choreografie von Mareike Franz pantomimische Episoden ausführten, zuweilen an den Ausdruckstanz der 1930er Jahre erinnerten und mit hüpfenden, zappelnden, hopsenden Figuren auch banales Vokabular auszuführen hatten. Die Optik war durch diese verschiedenen Elemente etwas überladen, zumal in diesem mit Gemälden reich dekorierten Saal – hier wäre eine Reduzierung vorteilhafter gewesen.

Die Aufführung hatte ihre Meriten durch das farbenreiche musikalische Klangbild, welches Michael Hell als Dirigent am Cembalo mit dem Ensemble Ärt House 17 verantwortete. Da die originale Partitur nur in Teilen erhalten ist und die bei der Uraufführung gespielten Ballettmusiken gänzlich verloren sind, hat Hell Instrumentalmusiken von zeitgenössischen Komponisten eingefügt. Diese Intermezzi von Biber (eine Sinfonia), Schmelzer (eine Gigue) und Rittler (eine Ciaconna) bringen rhythmisch prägnante Momente, Trompetengeschmetter und festlichen Fanfarenglanz ein, bedeuten zweifellos eine Bereicherung des musikalischen Kosmos.

Styriarte 2025: Antonio Draghis Oper “ Gl´incantesimi disciolti“/Szene/Foto Nicola Milatovic

Auf recht unterschiedlichem Niveau singt die Besetzung. Dominiert wird sie von den beiden Sopranen. Die junge Johanna Rosa Falkinger erfreut als Glück mit klangvoller, leuchtender Stimme, während die gestandene Sophie Daneman als Lüge noch immer mit souveränem Vortrag und makellosen Koloraturen besticht. Reizvoll dunkel timbriert ist der Mezzo von Anna Manske als Neid, der sich später in die Vernunft wandelt. Kraftvoll-energisch trumpft Julian Habermann als Zuneigung auf, während die beiden Veteranen der Gesangsszene – Markus Schäfer als Selbstsucht und Dietrich Henschel als Guter Rat – mit überreifen, teils verquollenen oder matten Stimmen Wünsche offen lassen. Das Publikum applaudierte begeistert, dankbar für diese Wiederentdeckung einer barocken Preziose. Bernd Hoppe

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Potsdam-Sanssouci: Grand Tour bei den Musikfestspielen.  Alljährlich bieten die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci ein attraktives Programm unter einem originellen Motto. Diesmal lautet es vom 13. bis 29. Juni Grand Tour und widmet sich dem Reisen in die Musikmetropolen von London über Paris und Wien bis Venedig. Gleich das Eröffnungskonzert am 13. 6. in der Friedenskirche mit dem Thema Dr. Burneys Reiseführer erinnerte an den britischen Organisten und Komponisten Charles Burney, der zwei ausgedehnte Reisen auf den Kontinent unternahm, um das Musikleben der einzelnen Länder kennenzulernen. Der zweite Ausflug 1772 führte ihn auch nach Berlin und Potsdam.

Das Konzert mit dem polnischen, auf Alte Musik spezialisierten Ensemble (oh!) ORKIESTRA unter Leitung seiner Gründerin Martyna Pastuszka offerierte ein anspruchsvolles und abwechslungsreiches Programm, das die einzelnen Reise-Etappen nachzeichnete. Der Auftakt mit der Ouvertüre zu Carl Heinrich Grauns Oper Catone in Utica     führte nach Berlin, wo dieser Komponist das Musikleben. der deutschen Hauptstadt maßstäblich bestimmte. Mit seiner Oper Cleopatra e Cesare wurde das Opernhaus Unter den Linden, das Friedrich II. hatte erbauen lassen,  1742 festlich eröffnet. Die Ouvertüre dazu erklang im 2. Teil und weckte lebendige Erinnerungen an die Aufführung unter René Jacobs in der Staatsoper 1992, welche die beliebten Barocktage des Hauses eröffnete. Beide Titel Grauns demonstrierten den musikantischen Schwung des Orchesters und dessen exzellentes spielerisches Niveau. Auch das Flötenkonzert G-Dur von Johann Joachim Quantz, den Burney in Berlin getroffen hatte, war ein Verweis auf die preußische Metropole. Die namhafte Flötistin Laura Quesada brillierte mit ihrem virtuosen Vortrag – heiter-beschwingt im Allegro assai, träumerisch-empfindsam im Arioso e mesto und brillant im Presto.

Vokalsolist des Abends war der renommierte Countertenor Max Emanuel Cencic, der eine reich gefüllte Pralinenschachtel öffnete und eine Preziose nach der anderen servierte. Der Beginn mit der Arie „Sol da te“ aus Antonio Vivaldis Orlando furioso führte nach Venedig, wo das Werk 1727 uraufgeführt wurde. Die Nummer ist ein Dialog zwischen Instrument und Stimme. Laura Quesada an der Traversflöte war dem Sänger eine inspirierende Partnerin. Der Counter ließ eine runde und warme Stimme von hoher Kultur hören. Imponierend waren die großen Atemreserven, die ihm lange Bögen ermöglichten. Noch eindrucksvoller war sein zweiter Beitrag – die berühmte Arie „Va tacito“ des Giulio Cesare aus Händels gleichnamiger Oper, womit die Reise zurück nach London führte. Hier war der Hornist Bart Aerbeydt der kompetente Partner im musikalischen Dialog. Cencic fühlte sich in diesem höher notierten Stück hörbar heimisch, sang mit Aplomb und Verve und variierte das Da capo spannungsreich. Ein Werk Händels, Flavio. Re de´Langobardi, 1723 in London uraufgeführt, markierte auch den virtuosen Schlusspunkt des offiziellen Programms. Cencic hatte es 2023 bei seinem Festival Bayreuth Baroque inszeniert und selbst die Partie des Guido, von Senesino kreiert, gesungen. In dessen Arie „Rompo i lacci“ setzte Cencic energische Akzente, imponierte mit stupenden Koloraturgirlanden und schoss im Da capo effektvolle Raketentöne ab. Das Orchester sorgte mit seiner Affekt betonten Begleitung für große Wirkung, hatte darüber hinaus in zwei Stücken Gelegenheit, Abstecher nach Wien und Prag zu unternehmen. Für ersteren diente die Sinfonia G-Dur von Karl (oder Joseph?) Kohaut – beschwingt im Allegro assai, elegisch-sanft im Andante und hurtig eilend im Presto. In Böhmen war Josef Myslivecek einst gefeiert, bis der Erfolg ausblieb und er in Italien Karriere machte. Seine Sinfonie G-Dur ist anfangs von pastoraler Stimmung, findet aber im Prestissimo zu einem ausgelassenen Finale.

Zwei Arien von Johann Adolf Hasse, mit dessen Werk sich der Sänger seit langem beschäftigt, hatten nach Neapel und Dresden geführt. Tigrane wurde 1729 am Teatro San Bartolomeo von Napoli uraufgeführt. „Solca il mar“ des Titelhelden ist eine Gleichnis-Arie, welche die Gefahren des tobenden Meeres beschreibt. Entsprechend stürmisch ist der Gesangsduktus, entsprechend halsbrecherisch sind die Koloraturen. Nicht weniger glanzvoll meisterte der Solist die Arie des Aminta „Siam navi all´onde algenti“ aus L´Olimpiade, die 1756 am Dresdner Hoftheater zur Premiere kam. Nicht fehlen in der Auswahl durfte Nicola Antonio Porpora. Der große Konkurrent Händels in London brachte 1733 seine Arianna in Nasso heraus – vier Wochen vor der Arianna in Creta seines Rivalen. Cencic beeindruckte mit der getragenen Arie des Teseo „Nume che reggi il mare“. Effektvoller waren freilich die beiden Zugaben aus Händels Poro – „Vedrai con tuo periglio“ und „Senza procelle ancora si perde“. Den Titelhelden der Oper hatte bei der Uraufführung in London 1731 der berühmte Kastrat Senesino gesungen. Entsprechend hoch sind die virtuosen Ansprüche der beiden Arien und Cencic konnte damit seinen Auftritt glanzvoll krönen.

Das Eröffnungskonzert, dessen Mitwirkenden vom Publikum in der ausverkauften Friedenskirche begeistert gefeiert wurden, war ein stimmungsvoller Auftakt auf zwei Wochen Festspiele, die noch manche Rarität offerieren.

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Prinzipalin und Dirigentin Dortothée Oberlinger in Potsdam 2025/Foto Stefan Gloede

Liebeswahnsinn: Immer wieder bewundert man den Spürsinn und die Entdeckerfreude der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci mit ihrer Künstlerischen Leiterin Dorothee Oberlinger. In diesem Sommer wartete man mit einer besonderen Rarität auf – einem Werk des 1654 geborenen Komponisten Agostino Steffani, der in Hannover als Hofkapellmeister wirkte. Im Schlossopernhaus der Stadt wurde 1691 sein Orlando generoso uraufgeführt, der nun in der Pflanzenhalle der Orangerie als die diesjährige szenische Produktion der Festspiele erklang. Das Libretto von Ortensio Mauro fußt auf Ariostos Epos Orlando furioso und erzählt von Paaren, die sich nicht finden können. Da sind Ruggiero und Bradamante, deren Heirat der mächtige Magier Atlante verhindern will, sowie die chinesische Prinzessin Angelica, Tochter des Galafro, und ihr heimlicher Geliebter Medoro. In sie ist hoffnungslos auch Orlando verliebt, was den Titelhelden zunehmend in den Wahnsinn treibt. Das Stück ist voll von den in Barock-Opern üblichen Verwirrungen und Verstrickungen, was das Verständnis der Handlung nicht eben erleichtert.

Die deutsch-britische Regisseurin Jean Renshaw hat das Geschehen in die Gegenwart verlegt, jedes historische Kolorit und jeden exotischen Zauber vermieden. Dafür sind Smartphones und moderne Schusswaffen im Einsatz. Die spartanische, stimmungsarme Bühne des Ausstatters Alfred Peter zeigt zwischen zwei weißen Wänden mit je einer Tür, welche mit In und Out gekennzeichnet sind, einen Tisch, der zum Schauplatz brutaler Attacken wird. Dafür ist neben Galafro vor allem Brunello (Martin Dvorák) zuständig – ein Tänzer, der mit seiner Partnerin Melissa (Katharina Weidenhofer) auch für die Choreografie voller bizarrer  Körperverrenkungen zuständig war. Für diese tänzerischen Intermezzi dienten andere Kompositionen Steffanis – die Sonate da camera à 3  und Auszüge aus seiner Oper Niobe, regina di Tebe, welche 2010 an der Covent Garden Opera London eine glanzvolle Aufführung erlebte.

Steffanis „Orlando generoso“ in Potsdam 2025/Szene/Foto Stefan Gloede

Dorothee Oberlinger hat mit ihrer musikalischen Assistentin Olga Watts und der Regisseurin das Aufführungsmaterial für die gespielte Fassung erstellt. Sie dirigiert ihr ENSEMBLE 1700, das hinter der Spielfläche postiert ist und Steffanis vielfarbige Musik mit ihren herrlichen Duetten, den klagenden Arien und der reizvollen Instrumentation zum Klingen bringt. Tänzerisch beschwingt und mit federndem Rhythmus sind die Intermezzi besondere Höhepunkte der Aufführung.

Die exemplarische Besetzung verleiht der Produktion einen Ausnahmerang. Die Sänger in Uniformen, Business-Anzügen oder Abendkleidern, zunehmend verschmutzt oder blutverschmiert, agieren mit gespannter Intensität und bis an die Grenze gehender körperlicher Verausgabung. Mehr als die Regie tragen sie den über dreistündigen Abend mit ihrem darstellerischen Einsatz und dem expressiven Gesang. Der renommierte Countertenor Terry Wey als Titelheld konnte schon in dessen Auftrittsarie „In quest´alma“ den seelischen Konflikt der Figur plastisch umreißen und zudem mit bravourösen Koloraturgirlanden brillieren. Furios seine „Furien“-Arie, die vom Orchester mit spannenden Affekten begleitet wird, von starker Wirkung sein letztes, auftrumpfendes Duett mit Angelica, welches das Orchester mit stampfendem Rhythmus untermalt. Kontrastreich dazu gab er den zahlreichen Lamenti der Partie innige Empfindung und eine wunderbar schwebende Gesangslinie. In der Parade der Counter hinterließ auch der Däne Morten Grove Frandsen als Ruggiero einen glänzenden Eindruck. Die klangvolle Stimme harmonierte perfekt in den Duetten mit Bradamante und Angelica, bewältigte auch die vehemente „Gelosia“-Arie souverän. Der spanische Counter Gabriel Díaz als Galafro sang den Tyrannen mit gebührend reifer Stimme. Am Ende, wenn Bradamante und Ruggiero sich getrennt haben und seine Tochter mit Medoro fortgegangen ist, bleibt er verwirrt und allein zurück – eine zeitgemäße Deutung des lieto fine, die auch nicht der festlichen Musik mit dem Schlusschor „Amanti fortunati“ und der beschwingten Chaconne en rondeau entspricht.

Agostino Steffani/Gemälde von Ludovico Kapper/Wikipedia

Die exzellente Sopran-Riege wurde angeführt von der Französin Hélène Walter als Angelica, deren obertonreiche, innige Stimme die Figur eindrücklich profilierte. Ihr dramatisches Vermögen gestattete ihr auch beeindruckend extrovertierte Momente. Nicht nach stand ihr Shira Patchornik aus Israel als Bradamante mit exzessivem Engagement und totalem stimmlichem Einsatz. Fulminant ihre Attacke in der Arie „Troppo rapido“, berührend die Empfindsamkeit in „S´hò perduto ogni mio bene“. Von androgyner Erscheinung und ebensolchem Mezzo-Timbre war Natalia Kowalek eine ideale Interpretin für die Partie en travestie des Medoro. Auch ihre Arien  bewegten sich in extremen Gefühlszuständen und wurden mit entsprechend leidenschaftlichem, erregtem, rasendem Ausdruck sowie reicher Farbpalette interpretiert. Imponierende bassprofunde Töne brachte Sreten Manojlovic als zynischer Atlante ein. Sein gewaltiges stimmliches Potential gab den  Arien „Non voglio cedere“ und „Ombre del cieco abisso“ grandiose Wirkung. Am Ende der 2. Vorstellung am 24. 6. 2025 (nach der Premiere am Vorabend) feierte das Publikum das Ensemble anhaltend – dankbar für die Wiederentdeckung einer Rarität und beglückt über das musikalische Niveau. 

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Noch eine Sternstunde: Auch die zweite Opernproduktion im diesjährigen Festspielprogramm widmete sich mit Baldassare Galuppis Didone abbandonata einer Rarität. Der Stoff um das Liebespaar Dido und Aeneas ist mit dem Libretto von Metastasio (nach Vergils Aeneis) viele Male vertont worden, darunter von Porpora, Vinci, Hasse und Jomelli. Die bekanntester Version ist jene von Henry Purcell, die allerdings auf einem Libretto von Nahum Tate fußt. Metastasio schrieb seinen Text 1724 und bearbeitete ihn für den spanischen Hof in Madrid 1752 auf Bitten des Kastratenstars Farinelli neu. Auch Galuppi, dessen Urfassung 1740 in Modena ihre Premiere erlebte, stellte eine Neuvertonung vor, die am 28. 6. 2025 im Nikolaisaal in konzertanter Form als Version Madrid 1752 erklang.

Baldassare Galuppi/Wikipedia

Das Ensemble NEREYDAS musizierte unter seinem Gründer Ulises Illàn mit hinreißendem Elan, hoher musikantischer Kultur und reichem Farbspektrum. Markante  orchestrale Höhepunkte waren die einleitende dreiteilige Sinfonia mit dem lebhaften Presto, dem kantablen Andante und dem beschwingten Non tanto allegro, die pompöse Marcia und die stürmische Sinfonia im 3. Akt, die gleich einer battaglia vorüber fegt sowie die stürmische Sinfonia per l´incendio mit dem effektvollen Einsatz von Donnerblech und Windmaschine.

Wieder war eine exemplarische Besetzung zu erleben, die keine Schwachstelle aufwies und einige spektakuläre Interpreten offerierte. Deren Sensation war für mich der amerikanischen Tenor Joshua Sanders als maurischer König Iarba – eine veritable Idomeneo-Stimme mit kultiviertem Vortrag und vielfarbiger Klangpalette. Die furiose, vom Orchester vehement begleitete Arie im 1. Akt „Non ho pace“ zeigte seine auftrumpfende Attacke, wie auch die Arie „Fosca nube“ im 2. Akt einen fulminanten Schwung. Höhepunkt seiner Interpretation war die triumphale, von Trompeten begleitete Arie „Cadrà fra poco in cenere“ am Schluss, welche brausende Meereswogen. und tobende Stürme suggeriert. Und der Sänger erschien sogar ganz am Ende noch einmal als Meeresgott Nettuno, der mit seiner Arie „Tacete, o mie procelle“ die Oper feierlich beschließt.

Den bravourösesten Auftritt hatte der Sopranist Federico Fiorio als Enea zu absolvieren. Er ist kein Unbekannter in Potsdam, hatte er doch schon im Vorjahr in der Aufführung von Grauns Adriano (der gerade als CD erschienen ist) mitgewirkt. Bei Purcell ist die Rolle einem Bariton anvertraut, was eine männlichere Wirkung  evoziert, als das einer hohen, hellen Sopranstimme möglich ist. Aber die technischen Fertigkeiten des Sängers und sein bis in die Extremhöhe gerundeter Klang nötigten Bewunderung ab. Auf das Schönste entfaltete sich die Stimme in der klagenden Arie „Tormento il più crudele“ und Atem beraubend in der Aria di bravura „A trionfar mi chiama“. Pompös eingeleitet mit Pauken und wirbelnden Streicherfiguren, konnte der Sänger hier mit Koloraturen, staccati und Extremtönen in der Höhe ein Feuerwerk an Virtuosität entfachen. Prominentester Vertreter in der Solistenriege war der italienische Counter Filippo Mineccia als Osmida, Vertrauter der Königin Didone. Auch er kein Unbekannter in Potsdam wie bei vielen anderen internationalen Festivals, bedauerte man bei ihm am meisten die fehlende Szene, ist er doch ein engagierter Darsteller mit starker Aura und expressiver Gestik. Die klangvolle Stimme war schon in seiner Auftrittsarie „Tu mi scorgi“ zu vernehmen, und auch „Quando l´onda“ im 3. Akt imponierte durch den virilen Zugriff.

View of a scene from the opera „Didone abbandonata“ (Act I, Scene 9) by Metastasio and Galuppi, organised by Farinelli at the Coliseo del Buen Retiro Between 1754 and 1759, 1754 and 1759/ Ricordi Archivio Storica

In der Titelrolle ließ die französische Mezzosopranistin Natalie Pérez eine noble Stimme von hoher Kultur und schlankem Volumen hören. Die untere Lage wirkte gelegentlich etwas verhalten, aber der Vortrag war energisch und passioniert, was ihrer großen Arie „Son regina“ einen selbstbewussten Zuschnitt verlieh. Das wiegende Melos der Arie „Ah! non lasciarmi“ lag ihr besonders und beklemmende Wirkung erreichte sie mit ihrer finalen Arie „Vado… Ma dove?“, welche nach einem aufgewühlten Recitativo accompagnato den verwirrten Zustand der Königin aufzeigt.

Nicht weniger edel klang der Sopran von Alexandra Tarniceru als Didones Schwester Selene. Die Rumänin imponierte schon durch ihre hoheitsvolle Aura, was die edle Stimme von hoher Musikalität und feinem Gespür noch unterstrich. „Ardi per me“ im 2. Akt zeichnete sich durch den inbrünstigen Vortrag aus, „Io d´amore“ im 3. durch die schmerzliche Empfindung. Einem weiteren Sopran war die Partie (en travestie) des Araspe, Vertrauter Iarbas und verliebt in Selene, anvertraut. Die Italienerin Carlotta Colombo sang sie beherzt und mit frischem Ton. Die Aufführung, die dem Festspiel-Almanach dieses Jahres ein weiteres Ruhmesblatt hinzufügte, wurde vom Publikum enthusiastisch gefeiert (Foto oben Stefan Gloede). Bernd Hoppe

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 

 

Saint-Saens Oper „Lancêtre“

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Better today than yesterday? The Palazzetto Bru Zane’s series of recordings of the complete operas of Saint-Saëns, begun in 2012, now continues with the release of one of his most mysterious works. For L’Ancêtre, unlike Phryné or La Princesse jaune, is a score that the history of French music has stubbornly ignored and whose title says little about its subject matter. One never ceases to be surprised by opera houses’ general lack of interest in Saint-Saëns’s output for the theatre, even though his Danse macabre, his concertos for piano and cello and the Bacchanal from Samson et Dalila are constantly heard. Let us examine whether the quality of L’Ancêtre justifies its subsequent neglect.

Rather than proposing an answer to the question by means of musicological analysis, perhaps it would be preferable to give the music critics of our day a chance to speak, those journalists who hastened to express their views following the concert performance given in Monaco in October 2024, from which this recording derives. And let us see if today’s discourse matches the – thoroughly enthusiastic – reaction of those who were present at the world premiere (including Gabriel Fauré himself).

François Laurent (Diapason) went so far as to describe the opera as ‘a marvel’ in which ‘nothing drags, the action flows. […] Old Saint- Saëns seeks to astonish his audience at every turn’. Laurent Bury (Classica) called it a ‘brief but powerful piece’, with ‘well-characterised protagonists’ and a libretto that is ‘wholly effective in its tragic character’. For Damien Dutilleul (Olyrix), L’Ancêtre is ‘musically very rich. It is the work of an audacious, mature composer. Several numbers, especially ensembles and choruses, are particularly striking’. Jany Campello (Resmusica) appreciated the ‘concision’ and ‘luxuriance’ of a score that ‘unwinds a dramatic thread of rare tension, particularly from Act Two onwards. […] The variety of effects and orchestral colours, the absence of longueurs, and the vitality of his music prevent boredom, and offer moments of great beauty […] right up to a vocal quartet of overwhelming lyricism’. According to Clément Mariage (Forum Opéra), the music is particularly ‘inspired’, contriving ‘highly successful dramatic episodes. […] What’s more, the orchestration of the work is highly meticulous’, especially the final ‘passionate lyrical outpouring, staggering in its sensuality and pain’. Finally, Laurent Bury (again, but this time writing for Concertclassic) praises ‘a concision and freedom rare in Saint-Saëns, who does not feel obliged to adopt the austere drapery of antiquity and allows himself more flexible forms’; the critic confessed himself ‘struck by certain motifs whose dramatic efficacy almost seems to prefigure the film music of Bernard Herrmann’.

What can we conclude from this chorus of praise, whose unanimity even surpasses the reviews of the premiere (which one might well put down to a polite esteem for the elderly Saint-Saëns)? Firstly, that the tireless work of institutions that go out prospecting for buried treasure can bear fruit and is not in vain. But also that such dormant works must be championed with enthusiasm and talent by artists conscious of their responsibility in this mission of resurrection. For all the aforementioned commentators praised the quality of a team of performers fully committed to the work’s revival. Which is why we would like to pay heartfelt tribute to the instrumentalists, conductor and singers who strove to give L’Ancêtre a new lease of life. For if the score is the prerequisite for displaying the artist’s talent, it is the latter’s sensitivity and exacting standards that transcend that score and raise it to new heights. And, finally, we wish to put in a word for the enthusiasm of our collaboration with the Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo and its conductor Kazuki Yamada, a joint effort initiated and sustained thanks to Didier de Cottignies, to whom we express our warm gratitude for having made this adventure possible. Thanks to him, from now on it will be a pleasure to listen to our ancestors. Alexandre Dratwicki (Palazzetto Bru Zane)

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Camille Saint-Saens (1835-1921): L’Ancetre (Deluxe-Ausgabe im Hardcover-Buch); Michael Arivony, Gaelle Arquez, Helene Carpentier, Julien Henric, Jennifer Holloway, Matthieu Lecroart, Tokyo Philharmonic Chorus, Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, Kazuki Yamada

2 CDs; Michael Arivony, Gaelle Arquez, Helene Carpentier, Julien Henric, Jennifer Holloway, Matthieu Lecroart, Tokyo Philharmonic Chorus, Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, Kazuki Yamada/Bru Zane

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Eine Besprechung folgt zeitnah/ g.h.

Ambitioniert in die Sackgasse

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Die einheimische Presse feierte die Neuproduktion von Les contes d´Hoffmann bei den Salzburger Festspielen 2024 als großes künstlerisches Ereignis, und auch das Premierenpublikum zeigte sich angetan von der Regiearbeit von Mariame Clément und dem Dirigat von Marc Minkowski. Nun gibt es die Produktion als Bluray und DVD und fordert dem Betrachter bzw. Hörer ein Höchstmaß an Geduld ab. Das von Offenbach nicht vollendete und vielen Verschlimmbesserungen und Vervollständigungen unterworfene Werk wurde  zuletzt 2003 bei den Salzburger Festspielen gegeben, davor waren über zwanzig Jahre vergangen, bis man es hier hatte erleben dürfen, und die Erwartungen waren entsprechend hoch gespannt, besonders weil man wie inzwischen allüberall „die weibliche Perspektive“ erwartete. Gewählt worden war die Rezitativfassung von Michael Kaye und Jean-Christoph Keck.

Nun ist die Handlung des Werks zwar keine verworrene, aber eine doch recht komplizierte mit einer Rahmenhandlung, innerhalb derer sich drei Episoden, des Dichters Suche nach der wahren Liebe darstellend, abspielen, während im Epilog deutlich wird, dass Hoffmann sich selbst um die wahre Liebe, die Stellas, durch seine Trunksucht gebracht, sie an den ewigen Gegenspieler verloren hat.

Die drei Episoden führen Hoffmann in das Berlin seiner Zeit, in dem ihn Doktor Miracle mit der Puppe Olympia verzaubert,  nach Venedig zur Kurtisane Giulietta, wo er auf den Romantiker Schlemil trifft, und in das Haus der Sängerin Antonia, die von einer tödlichen Krankheit bedroht ist. Mehr Abwechslung, mehr interessante Milieus  können nicht sein, doch die Regie macht alles zunichte, indem sie aus dem Dichter Hofmann einen Regisseur macht, der allerdings oft mit einer Kamera, vor allem aber mit einem Einkaufswagen voller Filmrollen, aber auch Schnapsflaschen über die Einheitsbühne von Julia Hansen schlurft, das nützliche Gerät sogar zur Schlafstätte umzufunktionieren weiß, der Bösewicht sein Filmproduzent ist.  Da der Tenor aber nicht nur der Regisseur Hoffmann, sondern auch dieser selbst in seinen Episodenfilmen, die er umgeben von einer Überfülle umher wieselnden Personals dreht, ist,  singt der Regisseur, während der stumme Hoffmann in den Episoden zwar hübsch anzusehen, aber halt stumm ist. Trostlos ist die Optik, denn vor einer grauen Betonwand gibt es nur kleine Szenen-Ausschnitte, so aus dem Musikzimmer der Antonia, ganz und gar trostlos ist die Kulisse für den Venedig-Akt, der durch kümmerliche Leuchtstäbe dargestellt wird. Nicht nur für  die übervölkerte potthässliche Bühne, sondern auch für die ebensolchen Kostüme  ist Julia Hansen verantwortlich, die offensichtlich ein Faible für untragbare BHs hat, die auch mal explodieren können, oft gerade  von einer Walküre abgelegt zu sein scheinen und wie fast alle Kostüme höchst unkleidsam bis der Lächerlichkeit anheimgebend gegenüber dem Sopran sind. Ausgemerzt ist alles, was dem Stück seine lokale und zeitliche Gebundenheit und Farbigkeit verlieh, angefangen vom Weinkeller Lutters, Lächerliches hinzugefügt wie das Komponieren der Barcarole auf einer öden Parkbank bis hin zum geschmacklosen Auftischen von  Spaghetti mit Tomatensoße plus Parmesan und Schlagrahm.  Das Schicksal des unglücklichen Poeten geht unter in einem Wust von Darstelllern, Nebenhandlungen, witzig sein sollenden Einfällen. Der Verzicht auf viele dieser Einfälle wäre der vom Grundgedanken her gar nicht so abwegigen Regieidee dienlich gewesen.

Marc Minkowski steht Jacques Offenbach, so sollte man meinen, durchaus nahe, hat für diesen Hofmann aber nicht die notwendige leichte Hand, lastet mit den Wienern eher schwer auf der Partitur als sie aufblühen, ihre Eleganz entfalten, ihre Straffheit Triumphe feiern zu lassen. In den Achtzigern war Placido Domingo, gleichzeitig und danach Neil Shikoff nicht nur in Salzburg der Hoffmann vom Dienst. Benjamin Bernheim ist natürlich schon einmal als Muttersprachler prädestiniert für die Partie, geht aber im Inszenierungswust häufig visuell unter und wirkt insgesamt wie von recht leichter vokaler Statur, nur wenn er nicht gleichzeitig szenisch heftig beansprucht wird, wird man gewahr, was vokal in ihm steckt. Wunderbar in jeder Hinsicht und sich in jeder noch so umtriebigen Szene visuell wie vokal behauptend ist Kate Lindsley als Muse. Kathryn Lewek singt alle vier Frauenrollen, ist in keiner ein Ausfall und doch nicht die Idealbesetzung, da nicht einmal im heimischen Koloratursopranfach Außerordentliches leistend. Recht eintönig, wenn auch machtvoll gebietend gibt Christian Van Horn die Bösewichter, auf deren aufsehenerregende Optik man viel Aufmerksamkeit verschwendet hatte. Marc Mauillon kann dem Couplet des Frantz nicht viel Hörenswertes entlocken, eindrucksvoll ist die Stimme der Mutter mit der von Géraldine Chauvet.

Die Aufnahme ist ein trauriges Beispiel dafür, dass auch noch so viel szenische Masse nicht für musikalische Klasse garantieren kann, im Gegenteil (Unitel 811904). Ingrid Wanja

Gemischtwarenladen

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Lumina (die Leuchtende, Lichter) heißt das neue Recital von Samuel Mariño bei DECCA, das im Oktober 2024 in Berlin und im Dezember desselben Jahres in London aufgenommen wurde (487 1226). Über diese Neuaufnahme werden sich Liebhaber der bemerkenswerten Stimme des Sopranisten aus Venezuela freuen, doch müssen sie eine Programmauswahl hinnehmen, die einem Gemischtwarenladen gleichkommt. Sie reicht vom Barock über die Romantik bis zum Piaf-Chanson. Der Einstieg mit Almirenas Arie „Lascia ch´io pianga“ aus Händels Rinaldo ist erwartungsgemäß, wenn das Tempo auch extrem verlangsamt wirkt. Die Stimme klingt keusch, was auf fast jede Nummer zutrifft und damit eine gewisse Einförmigkeit evoziert. Schon der nächste Titel, Schuberts „Ave Maria“, scheint fragwürdig, zumal das Arrangement von Chris Hazell für die von Ben Palmer geleitete Covent Garden Sinfonia geschmäcklerisch wirkt in seinem wolkigen Sound. Gänzlich unerwartet erklingt Marguerite Monnots „Hymne à l´amour“, unsterblich durch die Interpretation von Edith Piaf. Muss dieser Ausflug in die Unterhaltungsmusik sein? Wenigstens bleibt die Begleitung von Jonathan Ware am Klavier im schlichten Bereich. Auch Rusalkas Lied an den Mond aus Dvoráks Oper ist eine befremdliche Wahl trotz der des einfühlsamen Vortrags und melancholischen Stimmung, welche der Interpret erzeugt, ebenso Liszts „Oh! quand je dors“, das der Sänger mit der Begleitung von Ware übermäßig aufrauschen lässt. Mit Caccinis träumerisch vorgetragenem „Amarilli, mia bella“ geht es zurück in den Frühbarock, mit „Ombra mai fu“ aus Serse erklingt eine der berühmtesten Arien Händels, leider in einem schwammigen Arrangement. Aber Mariños Stimme ist schwebend, und und ausgeglichen.

Die letzten Titel der Programmauswahl sind dann wieder Außenseiter – Hahns „À Chloris“, Canteloubes „Bailèro“ aus den Chants d´Auvergne in voluminösem Klang, Strauss´ Lied „Morgen!“, von Ware am Flügel zauberisch intoniert, aber von Mariño mit zu kindlichem Klang angestimmt, das irische Traditional „The Last Rose of Summer“ in traumversunkener Wiedergabe und Rachmaninoffs „Vocalise“, in der er die Stimme mühelos strömen lässt. Eine dramaturgische Konzeption mag man in dieser Auswahl nicht erkennen, sie scheint eher dem „Best of“ verpflichtet.

So verständlich das Bemühen des Sängers um eine Repertoire-Erweiterung ins lyrische Fach anmutet – Mariño sollte sich auf das Repertoire konzentrieren, in welchem er durch seine Auftritte bei internationalen Produktionen und Festivals Aufsehen erregt hat – den Barock. Mit den Werken von Porpora, Vinci, Giacomelli, Vivaldi, Graun u.a. gibt es ein reiches Bestätigungsfeld für den Sänger mit seiner Stimme. Bernd Hoppe

Gladys Kuchta

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Bei youtube gibts – in grauer Qualität, aber immerhin – den wunderbaren alten TV-Film der Elektra (unter Leopold Ludwig mit Regina Resnik, Ingrid Bjoner, Helmut Melchert, Hans Sotin und einer ganzen Garde von ersten Sängern jener Zeit),  1968 in der Regie von Joachim Hess im Deutschen Fernsehen und danach eine Zeitlkang als Gratisstream der Hamburgischen Staatsoper gezeigt. Den Soundtrack gab´s mal bei Ponto (wie auch eine 3-CD-Box mit Live-Ausschnitten). Aber anders als andere Opern aus dieser Hamburger Serie ist Elektra nie als DVD herausgegeben worden – das selbe Schicksal teilen die Arabella mit Arleen Saunders und die Martha unter Stein. Elektra ist die Berliner Hochdramatische Gladys Kuchta.

Und bei erneutem Anschauen/Anhören verbeuge ich mich einmal mehr vor meiner Isolde, Turandot, Leonore, Senta oder Brünnhilde und eben Elektra meiner Lehrjahre an der Deutschen Oper Berlin.  Damals eher schnöde ihre Dauerpräsenz beklagend, bin ich heute demütig und preise sie als eine der wirklich wichtigen Nachkriegsstimmen, ohne die das große Repertoire in Deutschland und vor allem an der Deutschen Oper Berlin nicht hätte stattfinden können. Ich muss gestehen, wir haben damals im 2. Rang uns über die gewisse Schärfe der Stimme beklagt, auch über ihr nicht immer so liebenswürdiges und etwas nasales Timbre. Und eine Hollywood-Schönheit war sie nicht. Aber mit heutigen Ohren gehört, staune ich über ihr ungeheures Engagement, über ihre Emphase (Schluss Elektra und vor allem in ihrer Glanzpartie der Isolde), über ihr schieres Beharrungsvermögen (neben dem stentoralen Beirer damals keine kleine Leistung, der aber ihre letzte Isolde an der DOB nicht schmälern konnte). Sie war eine Bedeutende, wie ich heute reumütig und bewundernd erkenne.

Gladys Kuchta in „Elektra“/ ARD/Produziert von Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft für NDR © Polyphon 1968; Regie: Joachim Hess; Ausstattung: Herbert Kirchhoff/ Screenshot 

Die Kuchta war der Inbegriff der tüchtigen Amerikanerin an den deutschen Bühnen jener Jahre. Ihre Karriere reichte von Berlin und Kassel, Hamburg bis nach Buenos Aires, mit Umwegen u. a. über London, die Met und San Francisco. Auch sie hatte das Pech, im immer größer werdenden Schatten der Nilsson zu stehen, neben der sie manche Sieglinde singen musste, während sie an anderen Häusern eben in den großen Rollen ihres Fachs glänzen konnte (ein Lebenslauf findet sich am Ende dieses Beitrags).

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Ihre Dokumente auf dem offiziellen Markt sind wenige (der „berühmte“ Fidelio unter Bamberger von 1965/ Concert Hall/ Nonesuch, die Giulietta im quergeschnittenen, deutschen Hoffmann unter Kraus bei DG jener Jahre, die Sopranpartie in Beethovens Neunter/ dto. bei Concert Hall und anderen sowie bei DG in Kagels Staatstheater 1971).

Live ist sie besser repräsentiert, aber nur für Sammler, und die meisten Dokumente sind auch schwer zu ergattern (so als Senta und Isolde neben Beirer in Buenos Aires 1964, ebendort auch als Turandot neben der jungen Caballé 1965 sowie die Brünnhilde im dortigen Ring ebenfalls 1964; vom Berliner Stammhaus DOB gibt es Zeugnisse ihrer Lady Macbeth neben William Dooley 1963, Isolde neben Beirer 1964 und mehr; aus Bayreuth ist sie Sammlern ein Begriff als GötterdämmerungsBrünnhilde 1968 und 1969 sowie bei youtube Ausschnitte aus dem letzten Akt Götterdämmerung unter Lorin Maazel 1971 im sehr eindrucksvollen Konzert optisch ; als Abigaille trifft man sie in San Francisco 1964 an; und an der Met ist sie mit der Sieglinde (neben Vickers und Nilsson 1961) auch Brünnhilde, sowie als Donna Anna neben Peerce 1963 belegt. Der Mabeth von der DOB mit William Dooley ist gerade wieder aufgetaucht. Ganz sicher habe ich einige Auftritte ausgelassen, mea culpa.

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Diese eindrucksvolle Wieder-Begegnung mit Gladys Kuchta als Elektra nun wollen wir mit einem Artikel würdigen.Also bringen wir noch einmal ein historisches Porträt von ihr, das wir 2017 bereits veröffentlichten und das  Peter Maria Katona, seit 1983 machtvoller Besetzungschef des Royal Opera House Covent Garden, für unsere Kollegen der deutschen Opernzeitschrift Opernwelt 1967 in Berlin geführt hatte und das sowohl seine Eindrücke von ihr auf der Bühne beschreibt, wie auch die Künstlerin selbst zu Wort kommen lässt. Dank an beide, den Autor wie die OpernweltG. H.

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Gladys Kuchta privat/Buhs/DOB

Gladys Kuchta privat/Buhs/DOB

Ihre Brünnhilde in Sellners neuem Berliner Ring (von 1967/ G. H.) ist wieder ein vorläufiger Höhe­punkt in der Karriere dieser sympathischen Sängerin und rechten Vollblutkünstlerin, die in den letzten Jahren in einer beständigen Entwicklung ganz in das große Fach des schweren Wagner-Soprans hineingewachsen ist. Beständigkeit – das scheint überhaupt einer der Momente zu sein, die für die Lauf­bahn von Gladys Kuchta leitend waren. Sie lässt sich nicht von der allgemeinen Hetze des Berufes mitreißen – obwohl sie nun eine der höchst raren echten „Hochdramatischen“ ist, die heute gewiss an einer Hand abzuzählen sind.

Natürlich singt sie mittlerweile an allen gro­ßen Häusern der Alten und der Neuen Welt, doch sie ist auch nunmehr zehn Jahre ihrer Berliner Oper treu geblieben. Während so manchem in den letzten Jahren Berlin bloß als Sprungbrett für dann recht unruhige und wechselhafte Karrieren diente. Gladys Kuchta weiß –  und sie betont es gerne -, was ein künstlerisches Domizil, eine kontinuierliche Arbeit mit wesentlichen Regisseuren an ein und demselben Haus bedeutet.

als Turandot in Berlin/Buhs/DOB

als Turandot in Berlin/Buhs/DOB

Diese Einstellung verrät auch unschwer ihr sehr folgerichtiger Aufstieg selbst: Geboren in Massachusetts und „solange sie sich besinnen kann“ zum Singen entschlossen, studierte sie fünf Jahre in New York und kam dann 1952 mit einem Fulbright-Stipendium nach Italien. Ein halber Zufall ergab es, dass sie schon wenige Wochen später von Tullio Serafin für den Don Giovanni nach Florenz geholt wurde (sie sang damals die Elvira und, pikanterweise, Birgit Nilsson die An­na).

Die Zeit in der Provinz – die fünf Jahre in Kassel zeigen es – hat sie keineswegs als raschen „Absprung“ nach oben betrachtet, sondern als ganz entscheidende und in Ruhe genutzte Vorbereitung: „Natürlich – manche Karrieren gehen gleich kurz und steil hinauf und werden als Sensation aufgemacht, doch dann geht es meist ebenso so steil wieder herunter, nur dann spricht niemand mehr davon. Es hat mir, gerade als Amerikanerin, die in Amerika und Italien im Grunde nur die Stagione kannte, sehr gut getan, hier in Deutschland in einem Ensemble und unter erfahrenen Regisseuren zu wachsen. Das ist eine absolute Notwendigkeit, schon um über­haupt erst einmal Sicherheit und solide Grundlagen zu gewinnen. Nur so kann sinn­voll gearbeitet werden, kann ein Sänger und eine Persönlichkeit sich entwickeln. Das ist ja genau der Punkt, warum es fast überhaupt keine Heldenstimmen mehr gibt und alles sich wundert, warum zum Beispiel keine Siegfried-Tenöre nachwachsen – Leute wollen sich einfach nicht in Ruhe entwickeln, sondern meinen, gar schon als schwere Hel­den auf die Welt zu kommen. Und bis sie kaum dreißig sind, ist das Material dann verbraucht, ehe es sich richtig entfalten konnte. Ich habe selbst ganz lyrisch angefan­gen und nichts forciert.“

Erst 1961, so erzählt sie, fragte Professor Seefehlner in Berlin sie, warum sie noch nicht das schwere Fach sän­ge. „Nun, ich habe gesagt: Man hat mir noch keine Chance gegeben. Und als wir dann da­nach über die Elektra-Neuinszenierung sprachen, in der ich die Chrysothemis singen sollte, sagte ich einfach: Lassen Sie mich doch die Elektra singen.  Und so kam es dann eben.“

as Lady Macbeth mit William Dooley/Buhs/DOB

Als Lady Macbeth mit William Dooley and der DOB/Buhs/DOB

Sie ist ein Star ohne Allüren, nennt als Hob­by sehr hausfrauliche Neigungen und ist eine charmante Erzählerin, der man es so kaum glauben würde, dass ihr auf der Bühne die wilden Elektra-Figuren weitaus lieber sind als die freundlich-damenhaften. „Ich habe Mozart immer gerne gesungen, aber auch nicht zuviel – nach einiger Zeit fühle ich mich da eingeengt, es ist mir zu wenig Spielraum im Temperament. Die Gräfin etwa möchte ich nie wieder singen – stimm­lich ist das gar kein Problem, aber im Spiel“ – sie musste so sehr Dame sein – „und das widerstrebte mir immer.“ Es klingt wohl scherzhaft, aber man kann sie durchaus ver­stehen, wenn man gerade ihre Elektra gese­hen hat: Sie hat zum Stimmfach auch das fu­riose Temperament, das sie nicht so gerne zurückdrängen lässt.

Sie probt ausgesprochen gerne – „weil man in jeder neuen Arbeit an einer Partie auch immer wieder etwas Neues herausfinden und sich deutlich machen kann“. Die Gepflogen­heit, bis in die letzten Proben hinein nur zu markieren oder gar im Play-back-Verfahren nur stumm von einer Position in die andere zu agieren, liegt ihr gar nicht: „Eine Partie muss als Ganzes entstehen und nicht aus Stücken. Gestik, Aktion und voller stimm­licher Einsatz müssen organisch zusammen­passen und auch so immer wieder geprobt werden.“

als Brünnhilde in Berlin/Buhs/DOB

Als Brünnhilde in Berlin/Buhs/DOB

So wird schon deutlich – obwohl sie gern und viel reist -, dass sie doch das Ideal kon­zentrierter Ensemblearbeit ganz für sich angenommen hat und daran „deutscher als die Deutschen“ festhalten möchte. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass sich in Deutschland jetzt auch schon Stagione-Gewohnheiten aus­breiten, und das gerade von einigen ent­scheidenden Theatermännern auch noch ge­fördert wird. Das ist kein gesunder Nähr­boden für das Theater. Aber das kommt auch durch den Einfluss der viel schnelllebigeren Massenmedien; und besonders die Schall­platte tut ein Übriges. Gewiss: Die Schallplatte ist großartig, weil sie Musik zu Leuten bringt, die sonst nicht damit in Berührung kämen. Auf der anderen Seite aber vermittelt sie ein ganz falsches Bild, eine falsche Perfektion, die im Theater nie und nimmer zu erreichen ist. Und mancher Künstler setzt sich selbst im Studio einen Maßstab, vor dem er auf der Bühne glatt versagt.“

Nach den Dirigenten gefragt, unter denen sie gesungen hat, zählt sie eigentlich die meisten großen Namen auf, die heute zu nennen sind, und berichtet von manchem für sie bestim-menden Erlebnis. Eines allerdings ist beson­ders erzählenswert, zumal da es ihr nicht nur künstlerisch einen unvergesslichen Eindruck gemacht hat, sondern auch den Reiz des Ku­riosen besitzt. Und zwar war es während ihrer New Yorker Studienzeit, als für eine Benefiz-Aufführung von Verdis Requiem, das Arturo Toscanini leitete, ein Chor von hundertzwanzig Solisten (!) zusammenge­stellt wurde – überwiegend Studenten und Kirchensänger. „Die Auswahl war schon sehr streng. Ich zählte dann sogar zu den vier Solosopranen des Kyrie. Grace Hoffman war übrigens auch dabei. Als wir zur ersten Probe kamen, hat wohl kaum die Hälfte von uns gesungen, so fasziniert waren wir von Toscaninis unerhört überlegener Persön­lichkeit und Ausstrahlung. Aber auch so einen Chorklang habe ich nie wieder gehört – das Rex tremendae, gesungen von dreißig aus­gesucht schönen Bass-Stimmen, hörte sich ein­fach unbeschreiblich an. Wir alle sangen übri­gens umsonst – auch die Solisten, darunter Di Stefano und Siepi.“ Ihr Bericht lässt sich nachprüfen – das Konzert wurde damals live mitgeschnitten und kam später als (noch heute im Katalog stehende) Plattenaufnahme heraus. Unter diesen Umständen kam es also zu Gladys Kuchtas erster Platte!

Gladys Kuchta als Färbersfrau mit Grace Hoffman in Berlin/Buhs/DOB

Doch nach dem Blick in die Vergangenheit – die Pläne für die Zukunft? „Nun, zu­nächst einmal Brünnhilden und kein Ende. Ein Ring nach dem anderen.“ Und auch sonst: Wagner über Wagner, wäre hinzuzu­fügen. So sehr sie da auch in ihrem Element ist: Interessante neue Rollen würden sie na­türlich besonders reizen, zumal in dem schwe­ren Fach eben relativ wenig Gelegenheit dazu gegeben ist. Sie würde gern moderne Partien singen – Liebermanns Penelope steht zum Beispiel auf dem Wunschzettel». Oder so etwas wie eine „Lulu für dramatischen So­pran“. Überhaupt ist sie aller modernen Mu­sik erstaunlich zugetan – von der Ansicht, die moderne Oper befinde sich in einer star­ken Krise oder nähere sich einem toten Grenzbereich, will sie gar nichts wissen. „Ich habe ein altes Lexikon von 1827. Da steht über Beethoven zu lesen: Er geht bis an die Gren­ze des Möglichen. Wo gibt es also absolute Grenzen? Wer will denn wissen, ob nicht all das, was heute schon als Grenze betrachtet werden soll, in fünfzig oder hundert Jahren einmal als Neuanfang gewertet werden wird? Ich würde nie eine Rolle ablehnen aus Be­quemlichkeit oder weil ich sie selbst nicht gleich begreife. Es müsste aber natürlich etwas sein, was mich zu singen und darzustellen wirklich reizt – wie eben die Penelope – und was nicht der Stimme schadet. Die Marie im Wozzeck habe ich zum Beispiel in Kassel ja gesungen – das war allerdings eine für die Stimme äußerst gefährliche Partie, die ich auch nicht mehr singen möchte. Ich sollte sie ja auch an der Met machen, aber das habe ich abgelehnt. Wenn man diese Rolle so sin­gen soll, wie sie im Notentext dasteht, ohne es sich bequem zu machen, und gleichzeitig mit allem Einsatz und Temperament – das zerreißt auf die Dauer wirklich die Stimme.“

Gerade dieses Beispiel zeigt vielleicht am klarsten, wie präzise und bewusst sie arbeiten will, eben „genau so zu singen, wie es da­steht“. Sie macht sich niemals etwas leicht. Ih­re Partien sind – und das verdient hervor­gehoben zu werden, gerade weil es nicht die Regel ist – musikalisch bis ins kleinste De­tail ausgearbeitet und gegenwärtig. Jede Ak­zentuierung, dynamische Werte und Abstu­fungen, die (besonders im italienischen Fach) gerne mit Sorglosigkeit übergangen werden, realisiert sie mit ganz auffälliger und er­staunlicher Konsequenz. Diese zunächst vom rein musikalischen ausgehende Ausformung ist dann eine denkbar sichere Basis für die dramatische Realisierung. In wirklich emi­nenter Weise verbindet sich die vorbildlich balancierte Gesangslinie – ohne je ins Grelle, Scharfe zu geraten – mit starker dramati­scher Projektion, fern von allem kalten, „keimfreien“ Glanz. Und dann eben natür­lich: Gladys Kuchta hat ein geradezu erup­tives Bühnentemperament, und ihre Lieb­lingsrollen, die ihr besondere Gelegenheit geben, dies zur Geltung kommen zu lassen – also Elektra, die Färberin, Isolde und Brünnhilde -, sind gleichzeitig nicht zufäl­lig auch ihre hervorragendsten Leistungen.

Ihre Elektra hat vom Auftrittsmonolog bis hin zur Ekstase des Schlusses eine ständig zu­nehmende intensive Gewalt. Dabei breitet sie schon in dem ersten Monolog die ganze Ge­spanntheit der Figur aus, mit einer expressi­ven stimmlichen Vehemenz, die normaler­weise schon den Verbrauch der rein physi­schen Möglichkeiten bedeuten müsste, doch der Kuchta stehen, und das gilt generell, im­mer noch außerordentliche Steigerungen zur Verfügung. Ich habe eigentlich nie entdecken können, dass sie sich in irgendwelchen Passa­gen einmal ausruht, „auf halbe Kraft schal­tet“, was ja durchaus legitim wäre.

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als Senta mit Ruth Hesse in Berlin/Buhs/DOB

Als Senta mit Ruth Hesse in Berlin/Buhs/DOB

Ihre wichtigsten Rollen, mit denen sie zwischen Hamburg und Rom ein ebenso begehrter Gast ist wie etwa an der Met und in Buenos Aires, umfassen außer dem ganzen Wagner-Fach die großen dramatischen Partien: Turandot, Lady Macbeth, Ariadne, Fidelio und auch noch die Verdi-Amelia, Tosca, Donna Anna. Zwei seien hier noch herausgehoben: die Färberin in der Frau ohne Schatten und die Götterdämmerung-Brünnhilde. Beide Male verlangt in diesen Rollen der Mittelakt dramatische Ausbrüche bis an die Grenze des Möglichen. Die lyrische Linie, die dann das Duett des dritten Aktes der Färberin abver­langt, ist eine kaum lösbare Aufgabe, doch gerade diese Stelle ließ Gladys Kuchta beide Male, wie ich sie sah, zum stärksten gesang­lichen Eindruck der Berliner Aufführung werden, die ja auch sonst wahrlich an sängerischen Höhepunkten nicht arm war. Vor kurzem schließlich die Götterdämmerung: Nach der exzessiven Dramatik von Eid und Racheschwur sang sie die „Starken Scheite“ mit einer herrlichen inneren Gelassenheit und stimmlichen Ruhe, die kein Zeichen vorheriger Beanspruchung verriet. Die kantablen, leisen Stellen dieses Schlussgesanges (vor allem die Anrufung „O ihr, der Eide ewiger Hüter!“) kamen mit einer fast liedhaften Lauterkeit des Tones, die ebenso im szenisch-dramatischen Ausdruckswert wie als persönliche Lei­stung und menschliche Äußerung zutiefst be­wegend erschien. Peter Maria Katona

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als Brünnhilde mit Josef Greindl in Berlin/Buhs/DOB

Noch kurz ein Blick in das tüchtige Wikipedia mit Dank: Gladys Kuchta (* 16. Juni 1915 in Chikopee, Massachusetts; † 7. Oktober 1998 in Hamburg) war eine US-amerikanische Opernsängerin (Sopran). Ihre Familie stammte aus Polen. Sie absolvierte ihre Gesangsausbildung an der Mannes School sowie an der Juilliard School of Music in New York. Eine ihrer Gesangspädagoginnen war Zinaida Lisitchkina. Anfang der 1950er Jahre setzte sie ihre Gesangsausbildung in Italien fort, wo sie 1952 in Florenz als Donna Elvira in der Oper Don Giovanni debütierte. Ein Jahr später übernahm sie ein Engagement am Stadttheater von Flensburg. Von 1954 bis 1958 gehörte sie zum Ensemble des Staatstheater Kassel. Anschließend war sie festes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin. Dort gab die Künstlerin, einen Tag nach ihrem 60. Geburtstag, ihre Abschiedsvorstellung, als Isolde in Tristan und Isolde.

Gladys Kuchta sang auf den großen Opernbühnen dieser Welt u. a. in Wien, London, Dresden, Düsseldorf, Florenz, Stuttgart, München, Bayreuth, San Francisco, Buenos Aires, Edinburgh, Hamburg, Rom, New York, Stockholm, Paris etc. Dabei arbeitete sie mit den großen Dirigenten der Zeit zusammen, allen voran Karl Böhm, Herbert von Karajan, Lorin Maazel und Leopold Ludwig. Die Sopranistin wirkte 1968 an der ersten Studio-Operngesamtproduktion in Farbe für das Fernsehen mit. Sie verkörperte die Elektra in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss. Ein weiterer Höhepunkt ihrer internationalen Karriere war das Gastspiel der Deutschen Oper Berlin 1963 in Tokyo. Dort sang sie die erste Isolde im asiatischen Raum.

Neben ihrer Bühnenpräsenz war die Künstlerin weltweit als Lied- und Konzertsängerin engagiert. Ferner war sie als Gesangspädagogin an der Folkwang-Schule in Essen tätig. Zu ihren Schülern gehören Albert Dohmen, Hans-Peter König, Andreas Förster, Vuokko Kekäläinen u. a. m.

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Wir danken der Opernwelt (und dort besonders der ehemaligen Archivarin Andrea Müller für ihre Grabungen im Archiv) für die Genehmigung zum Nachdruck dieses Artikels, der eben dort in der Nummer 8/1967 und bei uns 2017 erstmals erschien. Der Autor Peter Katona ist berühmt als casting director des Royal Opera Hauses Covent Garden, und er wird sein Jugendwerk sicher mit einem Lächeln noch einmal sehen. Dank geht auch an die wie stets liebenswürdige Pressefrau Bettina Raeder damals von der Deutschen Oper, die die Fotos von Ilse Buhs heraussuchte und überhaupt für uns Berliner Journalisten unvergessen ist.  G. H.

In Bild und Ton

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Die Veröffentlichungen des französischen Labels CVS sind stets hochwertig und informativ ausgestattet, doch die Neuaufnahme von Jean-Baptiste Lullys Atys ist eine  besonders aufwändige Ausgabe mit zwei CDs, einer DVD und einer Blu-Ray (CVS113). Das Cover verzeichnet Leonardo García-Alarcón als Dirigenten und Angelin Preljocaj als Regisseur und Choreografen – eine Zusammenarbeit auf exzeptionellem Niveau. Der argentinische Dirigent leitet die  von ihm 2005 gegründete Cappella Mediterranea, der französische Choreograf gründete 1984 seine eigene Compagnie, arbeitet hier aber mit dem Ballet du Grand Théâtre de Genève zusammen.

Lullys Tragédie lirique wurde 1676 in Paris uraufgeführt und sogleich als „die Oper des Königs“ eingestuft – so hoch schätzte der Monarch das Werk. Es erzählt von der Liebe der Göttin Cybele zum Jüngling Atys, der die Nymphe Sangaride liebt. Deren Hochzeit mit dem phrygischen König  Célénus, einem Freund von Atys, steht bevor. Atys unterbricht die Hochzeitsfeier und flieht mit Sangaride. Cybele ruft aus Rache die Furie Alecton herbei, die Atys verhext. In Wahn hält er Sangaride für ein Ungeheuer und tötet sie. Wieder bei Sinnen, nimmt er sich das Leben und wird von Cybele in eine Pinie verwandelt.

Preljocaj inszeniert die Handlung im März 2022 in der Opéra Royal de Versailles in einer monochromen Optik. Die Bühne von Prune Nourry wird dominiert von einer hellgrauen archaischen Mauer im Hintergrund. Auch die Kostüme von Jeanne Vicérial werden von grauen Farben beherrscht, ergänzt um dunkelblaue und schwarze Töne.

Der amerikanische Tenor Matthew Newlin, dem Berliner Publikum als Tenor in der Winterreise beim Staatsballett erinnerlich, profiliert im mausgrauen Jogging-Anzug mit Kapuze die Titelrolle eindrucksvoll mit expressiver Stimme und hohem darstellerischem Engagement. Wie auch die anderen Sänger hat ihn der Regisseur/Choreograf zu erstaunlichen körperlichen Aktionen befähigt. Eine furiose Cybèle gibt Giuseppina Bridelli mit strengem Sopran, auch sie bewunderungswürdig im tänzerischen Gestus. Ein lyrischeres Naturell ist Ana Quintans eigen, die der Sangaride einen weichen Umriss verleiht. Der Bassbariton Andreas Wolf ist der sonor tönende König Célénus. Von starker Wirkung sind Preljocajs choreografierte Gruppenszenen, welche die Tänzer aus Genf mit Passion und suggestiver Körpersprache umsetzen. Nicht zuletzt trägt die Capella Mediterranea mit ihrem farbigen Spiel und dem tänzerischen Duktus, der besonders in den orchestralen Nummern (Préludes, Entrées, Ritournelles) zu faszinierender Wirkung kommt, zum Erfolg der Produktion bei. Bernd Hoppe (11.08.25)

Giovanni Pacinis „Amazilia“

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Giovanni Pacini war 29 Jahre alt und hatte bereits 27 Opern komponiert, als seine Amazilia am 6. Juli 1825 im Teatro San Carlo uraufgeführt wurde. Politisch war es eine Oper, die eng mit Neapel und der spanischstämmigen Herrscherfamilie Bourbon verbunden war und indirekt deren Geschichte lobte, indem sie die Behandlung der Ureinwohner Nordamerikas durch die spanischen Konquistadoren in einem positiven Licht darstellte.

Ein schöner Mann und so erfolgreich bei den Damen: Giovanni Pacini/Wikipedia

Die Handlung spielt im Florida des 16. Jahrhunderts und zeigt zwei verfeindete Indianerstämme. Der eine, der an der „Grenze Floridas“ lebt, wird von Cabana angeführt, der andere, namenlose Stamm unter der Führung von Miscou besetzt die „Hügel von Luisiana“, ein fruchtbares Gebiet, das einst von Cabanas Volk bewohnt war. Amazilia, ein Mitglied des Florida/Cabana-Stammes, ist in Zadir, den Sohn von Miscou, verliebt. Vor dem Hintergrund der bewaffneten spanischen Konquistadoren möchte Miscou (der in der Oper nie auftritt) einen Friedensvertrag mit Cabana schließen und sich gegen die Spanier verbünden, und Zadir will den Vertrag durch die Heirat mit Amazilia besiegeln. Cabana jedoch will Amazilia für sich selbst, weshalb er jeglichen Vertrag ablehnt. Cabana und Zadir kämpfen um Amazilia, und Cabana gewinnt. Das Gesetz der Stämme verurteilt den Verlierer zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Zadir, der der Gefangennahme entkommen ist, will Amazilia zu seinem Vater Miscou bringen, als er von Cabana gefasst wird. Gerade als sein tragisches Schicksal besiegelt scheint, taucht wie ein Deus ex machina ein bewaffnetes spanisches Korps unter Captain Alvaro auf. Sie haben einen Vertrag mit Miscou geschlossen und befreien nun Zadir und nehmen Cabana gefangen, sodass die Liebenden einer glücklichen Zukunft entgegensehen und Cabana vor sich hin murren kann.

Pacinis „Amazilia“: Figurine für Cabano (Luigi Lablache) von Carlo Dellarocca zur Uraufführung 1825/Archivio Storico Ricordi/Wikipedia

Der Librettist Giovanni Schmidt (von dem keine Abbildung zu finden ist/G.H.) musste für seine Inspiration nicht lange suchen: Sein eigenes Libretto für Gli americani, das von Giacomo Tritto vertont wurde (Neapel: San Carlo, 1802), war die wichtigste Quelle. Gli americani, das 1805 am San Carlo wiederaufgenommen wurde, schmeichelte dem spanischen Erbe der Monarchie, als Ferdinand I. Neapel regierte. Nach einer Pause, als Napoleon Bonaparte die Bourbonen zur Flucht nach Sizilien zwang, kehrten sie im Mai 1815 nach Neapel zurück, nachdem die Österreicher Murat in der Schlacht von Tolentino besiegt hatten und Ferdinand wieder auf den Thron gesetzt worden war. Zehn Jahre später, als Ferdinands Sohn Francesco 1825 den Thron bestieg, wurde die alte Geschichte in einem leicht veränderten Rahmen wiederbelebt, um dem neuen König und seiner Königin Maria Isabella von Spanien zu schmeicheln. Schmidt reduzierte sein Libretto auf einen Akt, verlegte den Schauplatz nach Florida, und es wurde als Geburtstagsfeier für die Königin aufgeführt.

Abgesehen von der üblichen opernhaften Dreiecksbeziehung, die in der primitiven Wildnis Floridas ebenso verbreitet zu sein scheint wie im alten Rom oder im mittelalterlichen Europa, ist die ziemlich explizite Moral von Schmidts Werk, dass das überlegene und wohltätige europäische (spanische) Recht über das barbarische Recht der Ureinwohner („selvaggi“) triumphiert. Es gibt keine Todesstrafe durch den aufgeklärten Spanier. (Schmidt vergisst dabei geflissentlich die Inquisition oder die spanische Gepflogenheit des Autodafés.) Die Spanier, in der Oper durch Alvaro verkörpert, sind ganz auf Respekt gegenüber den Ureinwohnern bedacht und versorgen sie sanft mit europäischer Aufklärung. Vermutlich hat Maria Isabella das gutgeheißen.

Pacinis „Amazilia“: Giovanni David sang die Tenorpartie des Zadir bei der Uraufführung 1825/Wikipedia

Tatsächlich war an Schmidts Libretto nichts neu. Die ursprüngliche Quelle war Jean-François Marmontels Roman Les Incas, ou La destruction de l’empire du Pérou aus dem Jahr 1777. In Italien verarbeitete Andrea Willi einen Teil von Marmontels Geschichte bald zu einem fünfaktigen Drama mit dem Titel La vergine dei sole, das 1780 in Venedig uraufgeführt wurde. La vergine dei sole spielt in Ecuador in der Nähe von Quito und handelt von Cora, einer Inka-Jungfrau und Priesterin des Sonnengottes, und Alonso, einem spanischen Adligen, die sich ineinander verlieben. Als ein Vulkan ausbricht und den Sonnentempel zerstört, rettet Alonso Cora, doch sie hat gegen das Gesetz der Inka verstoßen, indem sie das heilige Gelände verlassen hat, und wird zum Tode verurteilt. Alonso schwört, mit ihr zu sterben, doch am Ende wird ihr vergeben und ein aufgeklärteres Gesetz setzt sich durch.

Diese Werke dienten als Vorlage für mindestens elf Opern (nicht nur) in Italien vor Pacinis Werk und mehrere Ballette. Zu den bekanntesten Komponisten, die Opern zu dieser Geschichte unter verschiedenen Titeln (La Vergine dei sole oder Alonso e Cora oder Idaiaide oder Gii americani) schrieben, gehörten Giuseppe Sarti, Giacomo Tritto, Domenico Cimarosa und Giovanni Simone Mayr. Tritto schuf zwei völlig unterschiedliche Opern zu diesem Thema – die erste mit einem Libretto von Carlo Giuseppe Lanfranchi mit dem Titel La vergine dei sole (Neapel, 1786) und Gii americani mit einem Libretto von Schmidt (Neapel, 1802). Mayrs Alonso e Cora, die 1803 an der Scala uraufgeführt wurde, wurde 1815, kurz nach der triumphalen Rückkehr Ferdinands nach der Schlacht von Tolentino, in einer überarbeiteten Fassung unter dem einfachen Titel Cora am San Carlo aufgeführt. Eine Oper zu diesem Thema von Francesco Bianchi mit einem Libretto von Francesco Maria Foppa (Venedig, 1786) hatte bereits eine Figur namens Amazili eingeführt, die die Freundin/Begleiterin von Cora ist.

Pacinis „Amazilia“: Josephine Mainville sang die Titelpartie in der Uraufführung 1825/Ipernity

In der Oper Gii americani von Schmidt/Tritto handelt die Liebesgeschichte immer noch von einem Spanier (namens Gonzalvo) und einer einheimischen Jungfrau, die nun jedoch Amazilia heißt. Der Name stammt von einer völlig anderen Figur in Marmontels Roman von 1777. In Les Incas… ist Amazili eine Inka-Jungfrau, die von den grausamen spanischen Konquistadoren gefangen gehalten wird, die Cortez in Mexiko übertrumpfen wollen, indem sie das Inka-Reich in Peru erobern; Amazili und ihr Geliebter Telasco sind das Mittel, mit dem die Spanier an Orozimbo, den Anführer der Inkas, gelangen wollen. (Ironischerweise ist Marmontels Roman eine scharfe Anklage gegen die Grausamkeit der spanischen Konquistadoren in Amerika.) In Schmidt/Tritto ist Cabana jedoch Amazilias Vater und Orozimbo ihr Bruder. „Cora“ hat die Rolle ihrer „Vertrauten“ übernommen. Gonzalvo ist der Sohn von Arias Davila, einem kastilischen General.

Als Schmidt fast 25 Jahre später für Pacini schrieb, änderte er einige der Charakternamen, verlegte die Handlung nach Florida, stellte den Konflikt zwischen zwei einheimischen Stämmen in den Mittelpunkt und kehrte die Handlung von Marmontels Original komplett um, indem er die nun wohlwollenden spanischen Konquistadoren im letzten Moment eintreffen lässt, um den Streit beizulegen. Zu diesem Zeitpunkt ist es offensichtlich, dass die erstmals in La vergine del sole aufgeführte Geschichte stark von René de Chateaubriands Atala ou Les amours de deux sauvages dans le desert beeinflusst ist, das 1801 veröffentlicht wurde und unter indigenen Stämmen in Florida spielt. Pacini hatte tatsächlich eine Atala (Padua, 1813) komponiert, die auf Chateaubriands Novelle basiert und die tragische Liebe zwischen zwei amerikanischen Ureinwohnern, Chactas und Atala, erzählt; Chactas‘ Großvater ist Miscou, der Name eines der Stammeshäuptlinge in Amazilia.

Pacinis „Amazilia“:  Beverly Sills sang als Einschub Amazilias langsame Cabaletta „Parmi vederlo” dann in der Rolle der Pamira in Rossinis L’assedio di Corinto in den späten 1960er und 1970er Jahren an der Met und an der Scala. Dazu auch Thomas Lindner: „Parmi vederlo, ahi misero“ – Pacinis ‚Amazilia‘ und Rossinis ‚L’assedio di. Corinto‚, S. 87-92. in La Gazetta/Deutsche Rossini Gesellschaft

Die Geschichte von Amazilia mag „vecchio come Noe“ (eine Zeile, die Bellini verwendete, als er ein Libretto für Cesare in Egitto ablehnte, einen Titel, der bereits von Pacini komponiert worden war) gewesen sein, aber sie passte zur konservativen Bourbonenmonarchie von Neapel und den beiden Sizilien. Tritos Oper von 1786 hatte dort Premiere, als Ferdinand IV. regierte, bevor Napoleon ihn nach Sizilien verbannte, und Mayrs Cora wurde 1815 kurz nach der Vertreibung der Bonapartes und der Rückkehr Ferdinands aufgeführt. Ein Jahrzehnt später, als Ferdinand starb und sein Sohn Franz I. den Thron bestieg, feierte Amazilia, die neue Oper von Pacini und Schmidt – ganz im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Vorlage – erneut die Gnade und Aufklärung Spaniens.

Sie war am Abend des 6. Juli 1825 ein großer Erfolg mit einer Starbesetzung, darunter Luigi Lablache (Cabana), Josephine Fodor-Mainvielle (Amazilia) und Giovanni David (Zadir) neben Gaetano Chizola, Eloisa Manzochi und Domenico Pizzoni . Im folgenden Jahr wurde sie in Neapel wiederaufgenommen und im November 1826 an der Mailänder Scala, 1828 in Rom, 1829 in Palermo und 1832 in Messina aufgeführt. In seinen Memorie artistiche berichtet Pacini, dass der Impresario Barbaja das Werk 1826 auch nach Wien brachte und für diese Wiederaufnahme zwei zusätzliche Nummern komponierte, die die Oper so weit verlängerten, dass eine Fassung in zwei Akten gerechtfertigt war.

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Pacinis „Amazilia: Quasi Florida-Stimmung auf Anton Goerings Gemälde „Flamingos  in Venezuela“ 1855/Wikipedia

Musikalisch entspricht die Oper Pacinis früherem Stil, der, wie er selbst oft zugab, stark von Rossini beeinflusst war. Alexander Weatherson beschrieb die Partie der Amazilia im Newsletter der Donizetti Society vom Mai 1991. (1) Eine „fröhliche Sinfonia mit Crescendo; (2) Introduzione, Coro e Cavatina für Cabana. Der Eröffnungschor und das Cantabile („Tutto annunzia quella gloria“) sind reiner Rossini; die Cabaletta („Paventi il perfido“) ist kraftvoll, eingängig und weist bereits auf den frühen Verdi hin. Man versteht fast sofort, warum Pacini als „Maestro delle cabalette“ bezeichnet wurde! (3)  Zadirs Scena e Cavatina, „sehr hoch für die Stimme gesetzt“ (Weatherson). Das Cantabile („Come mai calmer le pene“) ähnelt einem der weniger bedeutenden Werke Rossinis in diesem Genre, aber dann setzt wieder die eingängige Cabaletta („lo ti vidi, t’adorai“) ein, die so bekannt war, dass Giuliani kurz nach ihrer Entstehung eine Reihe von Variationen darauf komponierte – und der italienische Patriot Giuseppe Mazzini seine Vorliebe für Giulianis Version zum Ausdruck brachte. (4) Duett für Amazilia und Zadir („Se non ti muove, o caro“), in dem die Liebenden ihre Situation beklagen. Das Duett ist mit drei Teilen sehr rossinianisch angelegt. Der mittlere Andante-Teil ist der attraktivste. (5) Scena e coro „Vi regga, vi guida“. Die Familien sorgen sich um die bevorstehenden Schlachten. (6) Terzetto („Frena quel labbro audace“). Dieses Trio bildet eine Art Finale in der Mitte der Oper in der Einakterfassung und schließt den ersten Akt in der Zweiachterfassung ab. Es hält sich eng an die Rossini-Formel: Allegro-Adagio-Allegro mit recht formelhafter Musik, obwohl das Adagio („Oh ciel! veggio svanita“) reizvoll ist.

Pacinis „Amazilia“ mit der Handlung in Florida – Anton Goehrings Gemälde „See in Venezuela“ kommt der Stimmung sehr nahe/Wikipedia

(6A) Duett („Tu sprezzar gli affetti miei“). Der zweite Akt der Zweiakter-Fassung (für Wien) beginnt mit einem sehr schönen Duett für Cabana und Amazilia. Weniger rossinianisch als einige andere Musikstücke, ist die Basslinie würdevoll, während Amazilias Gesangslinie blumiger ist. Hier scheint Pacini eher in seiner eigenen Sprache zu komponieren als in der Rossinis. (6B) Die zweite Nummer, die Pacini für die Zweiakter-Fassung hinzugefügt hat, ist eine erweiterte Szene für Zadir mit Chor. Die Arie selbst („Affanno spietato“) ist freier als üblich und sehr ausdrucksstark, während die Cabaletta Pacini in diesem Genre alle Ehre macht.

(7) Nun kehren wir zu der Musik zurück, die in beiden Fassungen zu finden ist, mit dem hübschen Frauenchor „Di pace la speme“. Ein ausgedehntes Rezitativ zwischen Orozimbo und seiner Tochter Mila ist musikalisch uninteressant, bereitet aber das Rettungsfinale durch die gütigen Spanier vor. Mila drückt ihr Entsetzen darüber aus, dass der Verlierer des Kampfes zwischen Cabana und Zadir auf den Scheiterhaufen kommen wird, und sagt, dass die Dinge in Europa anders sind: „Oh, wie anders sind die europäischen Sitten von den unseren! Kein Gefangener würde [dort] jemals auf den Scheiterhaufen kommen.“ Orozimbo bestätigt dies mit seiner eigenen Erfahrung, als er auf dem Schlachtfeld vom „starken Alonso“ besiegt wurde und nicht nur am Leben blieb, sondern auch seine Freiheit behielt.

Pacinis „Amazilia“: Das Teatro San Carlo Neapel um 1830/Wikipedia

(8) Dies ist die große Nummer für Amazilia mit einem ausgedehnten Rezitativ, einer Arie mit Chor und einer langsamen Cabaletta. Es ist zweifellos die beste Musik in der Oper. Die Arie („Ah! non fia mai ver“) ist ein wunderschönes Andante, voller Leidenschaft und Trauer, als sie erfährt, dass Zadir den Kampf gegen Cabana verloren hat. Die langsame Cabaletta („Parmi vederlo“) ist ungewöhnlich und im Stil Rossinis gehalten, aber in der Art der Musik für Maometto Secondo (vergl. Sills) und Le siege de Corinthe. Sie ist sehr blumig, aber voller Gefühl. (9) Das Finale beginnt mit einer langen orchestralen Einleitung, die ebenso wie Amazilias Kantabile „Dove sei, mio dolce amore“ eine Tragödie anzukündigen scheint. Sie glaubt, Zadir zu sehen, aber sie halluziniert. Doch dann taucht er tatsächlich auf, und in schneller Folge beginnen die Liebenden zu fliehen und werden von Cabana gefangen genommen, nur um sich der Ankunft der Spanier unter Alvaro zu stellen. Er nimmt Cabana gefangen und vereint die Liebenden so schnell, wie man „Vaudeville-Finale“ sagen kann, in einem weiteren Trio mit Pertichini für Alvaro und dem Chor („Mio core, ah! si, ti sento“). Die Spanier und Alvaro singen „Tutto cangio d’aspetto“, und das war nie wahrer. Die Musik klingt, als hätte Rossini sie selbst für eine seiner Komödien geschrieben.

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Pacinis „Amazilia“: das Innere Teatro San Carlo mit der Aufführung von „L´ultimo Giorno die Pompei“ Pacinis im Bühnenbild von Sanquirico/Wikipedia

So wichtig Amazilia für die Festigung Pacinis‘ Position bei den Bourbonen-Monarchen von Neapel (wo das Opernhaus an den Palast angrenzt) war, so sehr sprach seine nächste Oper, L’ultimo giorno di Pompeii, nicht nur die Bourbonen an, sondern bescherte ihm auch den größten Triumph der ersten Hälfte seiner künstlerischen Laufbahn. Die Monarchie hatte maßgeblich an der Ausgrabung Pompejis beteiligt, die unter Carlo I. begann und unter Ferdinando (sowie während der napoleonischen Zeit) fortgesetzt wurde. Bis 1825 war Pompeji zu einer Touristenattraktion geworden, da ausländische Besucher nach der Niederlage Murats nach Neapel zurückkehrten. Die erstaunlichen Entdeckungen wurden von der Monarchie genutzt, um die kulturelle und historische Bedeutung des Königreichs zu unterstreichen, und Pacinis neue Oper schürte das Interesse an Pompeji mit einer spektakulären Inszenierung, in der der Ausbruch des Vesuvs auf der Bühne zu sehen war. Wie wir noch sehen werden, spielte diese Oper auch eine Rolle im Leben von Amazilias Namensgeberin. Charles Jernigan/DeepL/G. H.

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Pacinis „Amazilia“: Luigi Lablache, hier mit Giulia Grisi in Bellinis „Puritani“/Wikipedia

Handlung. Die Szene spielt am Fluss. Cabana und die Wilden aus Florida marschieren an einem Fluss entlang, hinter dem in der Ferne die Hügel von Louisiana zu sehen sind. Die Sonne geht auf, Vorbote einer Zukunft voller Siege. Erste Szene. Die Wilden und ihr Häuptling haben ihren Weg fortgesetzt. Vom Fluss taucht vorsichtig Zadir auf, der seine Liebe zu Amazilia besingt und sich Sorgen macht, dass er die Empfehlungen seiner Geliebten nicht beachtet hat. Zweite Szene. Amazilia kommt hinzu und wirft Zadir seine Unvorsichtigkeit vor. Der Anführer der Wilden aus Louisiana hofft seinerseits, dass es noch Hoffnung für ihre Liebe gibt, und vertraut auf eine Verbindung mit Cabana. Amazilia glaubt hingegen nicht, dass dies möglich ist. Die beiden schwören sich Liebe, selbst wenn sie dafür sterben müssen, und verabschieden sich. Zadir geht zum Fluss, Amazilia kehrt zurück, woher sie gekommen ist. Dritte Szene. Auf der Bühne sehen wir Cabana, seinen Bruder Orozimbo und die Wilden. Die Frauen und Kinder verabschieden sich von ihren Familienoberhäuptern, die bereit für den Krieg sind. Vierte Szene. Orozimbo schlägt seinem Bruder vor, nicht zu kämpfen, sondern vielmehr den Frieden zwischen den Völkern zu fördern. Cabana lehnt dies jedoch vehement ab und beschuldigt Miscou, sich seines fruchtbaren Landes bemächtigt zu haben, und seinen Sohn Zadir, seinen Wert auf dem Schlachtfeld verachtet zu haben. Fünfte Szene. Ein Wilder kommt zu Cabana und Orozimbo und verlangt, Zadir zu sehen, den er im Auftrag von Miscou gebracht habe. Orozimbo überredet seinen Bruder, der jedoch misstrauisch ist, ihm zuzuhören. Sechste Szene. Zadir tritt ein, gefolgt von zwei Wilden, die jeweils einen Palmzweig in der Hand halten. Zadir bittet darum, die gegenseitigen Missstimmungen zugunsten eines Bündnisses gegen den spanischen Feind beizulegen. Cabana unterstellt, dass hinter dieser Bitte kein Wunsch nach Frieden, sondern nur Angst stecke. Zadir rechtfertigt die Angst, die Cabana selbst empfinden würde, wenn er den Spaniern gegenüberstünde.Er legt dann die Vereinbarung dar: Sie werden das Land teilen und Amazilia wird Zadir zur Frau gegeben. Cabana wirft ihm Arroganz vor und fordert ihn zum Schweigen auf.

Pacinis „Amazilia“: das Teatro della Fortuna in Fano, wo 2025 die Oper erstmals in moderner Zeit gegeben wird/Teatro della Fortuna

Siebte Szene. Zadir wird wütend. Die beiden schwören sich, sich auf dem Schlachtfeld zu vernichten, während Amazilia, die gerade hinzugekommen ist, verzweifelt. Als Zadir geht, erblickt er seine Geliebte und lässt sie an sich heran, indem er sie bei der Hand nimmt. Cabana will ihn töten, doch. Achte Szene. Amazilia hält ihn zurück. Zadir eilt davon, Cabana und seine Krieger wenden sich dem Fluss zu, Amazilia nimmt einen anderen Weg. Neunte Szene. Der Frauenchor besingt die verlorene Hoffnung auf Frieden zwischen den Völkern. Zehnte Szene. Orozimbo und Mila sprechen miteinander. Der erste erklärt ihr, dass Cabana nicht die Absicht hat, die Friedensforderungen anzunehmen, und dass er in seinem Feind zudem einen Rivalen in der Liebe gefunden hat. Die beiden sind besorgt über die Folgen, die ein Sieg Cabanas mit sich bringen würde. Elfte Szene. Die beiden werden von Amazilia eingeholt, die verzweifelt ist wegen dem, was geschehen wird. Plötzlich hört man Stimmen, die im Chor den Sieg Cabanas verkünden.

Il belcanto ritrovato Pesaro: Rudolf Colm und seine Kollegen (u. a. der Sovrintendenti Saul Salucci, der direttore artistico Daniele Agiman und Paolo Rosetti)/IBR

Zwöflte Szene. Amazilia glaubt, dass Zadir im Kampf gefallen ist, aber der Chor der Wilden teilt ihr mit, dass ihr Geliebter gefangen genommen wurde und auf den Scheiterhaufen kommen soll. Amazilia geht weg, umarmt von ihrer Freundin Mila, gefolgt von den anderen Frauen. Dreizehnte Szene. Orozimbo versucht vergeblich, Cabana davon zu überzeugen, Zadir nicht zu töten, da er die Rache seines Vaters Miscou fürchtet. Cabara beruft sich daraufhin auf das Gesetz: Jeder, der gefangen genommen wird, muss auf dem Scheiterhaufen sterben.Vierzehnte Szene. Orozimbo, der allein zurückgeblieben ist, beschließt, sich von der Grausamkeit seines Bruders zu distanzieren. Die vierzehnte Szene spielt in einem Wald. Mila und Amazilia suchen nach Zadir, damit das Mädchen ihren Geliebten ein letztes Mal sehen kann. Fünfzehnte Szene. Amazilia glaubt, Zadir zu sehen. Sechzente Szene. Die beiden Liebenden begegnen sich und verlassen den Weg, um dem Überfall der Feinde zu entgehen. Siebzente Szene. Cabana und die Wilden erreichen die beiden Liebenden. Zadir schießt einen Pfeil auf Cabana. Achtzehnte Szene. Alvaro und die spanischen Krieger kommen hinzu und umzingeln die Wilden. Alvaro fordert sie auf, ihre Waffen fallen zu lassen, wie Miscou es getan hat. Die Wilden folgen dem Befehl. Cabana gehorcht nicht und wird gefangen genommen und ins spanische Lager verschleppt, während Amazilia und Zadir endlich wieder vereint sind. Wikipedia Italia/Deep/G. H.