Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Zu früh, zu spät oder oder fehlgeleitet?

 

Das Beste an der CD von Olga Peretkyatko mit dem Titel Mozart+ ist das Plus, sind die Tracks mit den Kompositionen von Komponisten, die im Booklet mehr oder weniger überzeugend mit dem musikalischen Genie in Verbindung gebracht werden.  Am besten gelingt das mit Vicente Martin y Soler, für dessen Il burbero di buon cuore Mozart zwei Arien schrieb, weniger mit Giovanni Paisiellos Barbiere di Siviglia, der eher mit Rossini in Verbindung gebracht wird, und ganz und gar nicht mit Tommaso Traetta und dessen Antigona, die weit vor des Salzburgers Zeit liegen. Gegen die Gestaltung der drei Antigona-Arien kann man insofern nichts einzuwenden haben, als die Ansprüche, die sie an die Sängerinnenstimme stellen, durchaus vereinbar mit den Möglichkeiten des Soprans sind. Zwar stört auch hier etwas der soubrettige Charakter der Stimme, aber ein Piano kann sehr schön konstant gehalten werden, die Phrasierung kann überzeugen, die Stimme klettert ohne Mühe in die Höhe. Zu überhören sind allerdings auch nicht eine verwaschene Diktion, besonders bemerkbar bei schnellerem Tempo, und ein heikler Intervallsprung nach unten. Die Cavatina der Rosina bedarf nicht der Grinta der Rossini-Heldin und wird in schöner Angemessenheit dargeboten. Die drei Burbero-Arien bringen die obere Mittellage der Stimme gut zur Geltung, geht es einmal in die Tiefe, dann ist die Stimme kaum präsent und klingt dazu noch recht uneinheitlich.

Kommen wir zu Mozart, so stoßen wir auf einen grundlegenden Irrtum der Sängerin, die vielleicht kein Blondchen mehr, aber noch lange keine Konstanze, wohl eine gute Susanna, aber eine inakzeptable Contessa, eventuell eine Zerlina, aber (noch?) keine Donna Anna ist.

Die einzige deutsche Partie wird wenig idiomatisch gesungen, das Rezitativ fällt recht geschmäcklerisch aus, die beiden Arien entbehren der edlen vokalen Gestik des Charakters, ein schrilles Auffahren in die Höhe, ein verhuschtes Piano erwecken den Eindruck, aus dem Unvermögen solle durch ein manieriertes Singen der Eindruck von Raffinesse entstehen. So klingen die Koloraturen in der Martern-Arie sicher und schön, aber eher verspielt als entschlossen und viel zu beiläufig, wie Zierrat und nicht wie Ausdruck der Gemütsverfasssung. Ohne vokales Gewicht wird schließlich ein akustisch blässliches „zum Schluss befreit mich doch der Tod“ gesungen. Der Contessa mangelt es in beiden Arien an Wärme, an Rundung der Stimme, ganz einfach an corpo, dünn und larmoyant klingend, entsprechen die Arien  nicht dem Charakter der Figur und ihrer Musik. Auch die Donna Anna besticht nicht durch eine pathetische Anklage, sondern beschränkt sich eher auf ein Keifen ohne Nachdruck. Der Charakter der Vitellia schließlich kommt nicht in der Stimme der Peretyatko zum Ausdruck, auch meint man eher die leichtere der beiden Frauenfiguren innerhalb des Werks zu hören.

Vielleicht kommt diese CD zu früh, vielleicht aber nimmt die Stimme der noch jungen Sängerin einen ganz anderen Weg als den hier irrtümlicherweise beschrittenen. Das Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton begleitet rücksichtsvoll und ausgleichend (Sony 19075919052). Ingrid Wanja

Aus Moskauer Schatztruhen

 

Bereits nach wenigen Minuten des Hörens bemerkt man, dass man es mit der konzertanten Aufführung von Tschaikowskis Pique Dame am 25. Dezember 1989 aus Moskau nicht mit einer 08/15-Aufführung zu tun hat, sondern mit einem mitreißenden, außergewöhnlichen Abend, der von Anfang bis Ende in seinen Bann zieht. Zwei Namen sind auf der Kassette mit den drei CDs und dem äußerst mageren Booklet fett gedruckt, der von Bariton Dmitri Hvorostovsky und der von Mezzosopran Irina Arkhipova, doch sie sind nicht die Einzigen, die diesem Abend in Moskau das Besondere verleihen. Bereits die ersten Klänge von Orchester und Chor sind von einer ganz besonderen Eindringlichkeit, und es ist kein Wunder, dass der Dirigent Vladimir Fedoseyev  einer der bekanntesten Pique Dame-Dirigenten wurde. Er peitscht das Moskauer Radio Sinfonie Orchester in der Großen Halle des Moskauer Konservatoriums durch die wilden Seelenlandschaften, lässt kontrastreich eine Orchesterleistung von großer atmosphärischer Dichte entstehen, sicherlich nicht zimperlich, aber doch fein gespenstisch zu Beginn des dritten Akts oder ausgewogen zwischen wilder Ausgelassenheit und intimen Momenten im letzten Bild. Man hört einen ganz besonders frischen Kinderchor und auch die Yurlov Republikanische Akademische Chor Capella (Was für ein Name!) ist auf der Höhe des Ereignisses.

Für Dmitri Hvorostvsky war es sein Moskauer Debüt, der Yeletsky war eine der Partien, die am Anfang seiner Karriere seinen Erfolg begründeten, und das Publikum honoriert mit dem enthusiastischsten Beifall des Abends seine Liebeserklärung an Lisa, seinen weich klingenden, farbigen, äußerst geschmeidigen Bariton mit toller Höhe, agogikreichem Singen und einem sensationellen Schwellton auf der Fermate am Schluss. Trotz überschrittener 60 ist Irina Arkhipova keine alternde Sängerin am Ende ihrer Karriere  als Gräfin, aus deren Couplet eine unendliche Trauer um ein aus den Händen gleitendes Leben zu hören ist, der man den Schreckherztod nicht abnimmt, so präsent ist die Stimme, die aber auch mit fahlem Mezzo als Geist überzeugend sein kann.  Eine Schicksalsrolle sollte für den 89 noch recht jungen Tenor Vitaly Tarashchenko der Herman werden, dem man schon in der ersten Szene die Gefährdung anhört, nicht wegen einer etwa schwächlichen Stimme, sondern wegen einer intensiven Gestaltung, die bereits im ersten Arioso eine sehr gute Mittellage offenbart, der sich vom zarten Piano ins Leidenschaftliche zu steigern weiß, einen schwärmerischen Ton im Duett mit Lisa annehmen kann und der mit der kurzen Arie im letzten Bild trotz leicht gequetschter Höhe das Publikum wahrnehmbar bewegt. Natalia Datsko singt die Lisa mit klarem, stämmigem Sopran, farbiger Mittellage und einem melancholischen Timbre, der dem Arioso im letzten Akt einen Hauch unendlicher Wehmut verleiht. Leider neigt die Stimme in der angestrengten Höhe zur Schärfe. Einen bärbeißig-süffisanten Tomsky gibt Grigory Gritsyuk, mit Ironie in der kraftvollen Stimme und in seinen beiden Bravourstücken alle Register einer grandiosen Stimmbeherrschung ziehend. Abgrundtief schwarz ist der Bass von Alexander Vedernikov für den Surin, sattes, vollmundiges Material hat der Mezzosopran Nina Romanova für die Polina. Sollte Melodija noch mehr solcher Schätze besitzen, dann rufen sie nach Veröffentlichung (3 CD Melodya MEL CD 10 02549). Ingrid Wanja

Und noch eine englische Komödie

 

Alfred Cellier zum Zweiten: Bereits vor kurzem erschien bei Dutton die komische Oper The Mountbanks unter der der Leitung von John Andrews, die Kollege Matthias Käther für uns besprach Nun lässt Naxos Altmeister Richard Bonynge mit dem Victorian Orchestra eine weitere „pastoral comedy“ von Alfred Cellier, Dorothy,  auferstehen, ebenfalls eine veritable Ersteinspielung wie die Mountbanks. Dorothy hatte, wie der Klappentext bei Naxos anmerkt, die längste Bühnenlaufbahn, die eine viktorianische Oper je aufweisen konnte und stellte Dauerbrenner wie The Mikado oder Ruddigore von G & S in den Schatten – sogar in dem Maße, dass aus den Erlösen das Lyric Theatre in der Londoner Shaftsbury Avenue finanziert werden konnte. Und es muss auch gesagt werden, dass bis zu Noel Cowards Zeiten, noch bis in die Sechziger sich die Bezeichnung „Friends of Dorothy“ als gewisperter Begriff für Homosexuelle gehalten hat. Das nennt man Nachwirkungen.

Für eine britische operetta von 1886 haben wir uns einen britischen Fachmann geholt, John Groves, der bei den Kollegen vom Operetta Research Center Amsterdam seine Kritik an der neuen Aufnahme, die wir mit Dank übernehmen. Daniel Hauser besorgte wieder einmal die Übersetzung. Über John Groves heißt es im Netz (neben einem lustigen Foto in Polizistenuniform): Experienced Musical Director with a demonstrated history of working in the entertainment industry. Skilled in Musical Theatre, Choral, Dance, Jazz, and Music Composition. Strong arts and design professional with a Associate’s degree focused in Singing, theory from London College of Music. Das klingt doch gut. Danke an ORCA und John Groves. G. H.

 

John Groves, Musikkritiker und mehr/ OBA

Nun also John Groves über Celiers Dorothy bei Naxos (8.660447 mit Libretto digital): im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnstrecken zwischen London und dem Südosten Englands gebaut wurden und daraufhin am frühen Abend häufiger, zuverlässiger (!) Zugverkehr aus den Vororten in die Hauptstadt (mit Rückfahrt einige Stunden später) gewährleistet war, kannte man lange Serien der Produktionen der Theater im Londoner West End mitnichten. Mikado von Gilbert & Sullivan erzielte den längsten Durchlauf all dieser Produktionen und kam auf 672 Vorstellungen, doch wurde dies wenige Jahre später locker überboten durch den phänomenalen Erfolg von Dorothy, welche in drei verschiedenen Theatern gar auf 931 Vorstellungen kam. Das letzte dieser Häuser, das Lyric Theatre, wurde aus den Gewinnen von Dorothy bezahlt. Gleichzeitig tourten fünf Kompanien damit durch das Vereinigte Königreich wie auch nach Australien; aber als Dorothy Anfang des 20. Jahrhunderts in London wiederaufgenommen wurde, floppte dies zweimal. Seither wurde das Werk selbst von Amateuren selten aufgeführt, zumal die Partitur und die Orchesterstimmen in den frühen 1960er Jahren bei einem Brand beim Verleger Chappell verlorengingen.

Alfred Cellier war über viele Jahre hinweg musikalischer Leiter der D’Oyly Carte Opera Company am Savoy Theatre und komponierte für die Company Stücke für vor und nach dem jeweils gespielten Hauptwerk des Abends sowie Stücke in voller Länge. Seine letzte Bühnenarbeit, The Mountebanks, zusammen mit W. S. Gilbert geschrieben, wurde kürzlich ebenfalls erfolgreich eingespielt.

Hayden Coffin as Harry Sherwood in Cellier’s “Dorothy,” 1889. (Photo: Hayden Coffin’s Book / Alston Rivers, London 1930)/ ORCA

1876 schrieb Cellier Nell Gwynne, was allerdings als Misserfolg galt. Da er niemals Ideen verschwendete, bat er ein paar Jahre später B. C. Stephenson (den Autor von Sullivans The Zoo), ein neues Libretto zu schreiben, dessen Texte zur bereits komponierten Musik passten, wie es Lorenz Hart 50 Jahre später für Richard Rodgers tun sollte.

Dies mag erklären, wieso manche der Texte von Dorothy nicht sonderlich inspiriert wirken. Das CD-Booklet vermittelt uns, dass das Stück tatsächlich sehr amüsant ist. Stilmäßig erinnert es stark an Germans Merrie England, das etwas später veröffentlicht wurde. Cellier nannte es „eine pastorale komische Oper“, und das zurecht. Seinerzeit wurde die Musik als „hübsch, anmutig und charmant“ empfunden, was eine gute Sache ist; um ehrlich zu sein, ist sie dies alles, aber nicht sehr einprägsam.

Die Ouvertüre ist das sinfonischste Stück, dauert beinahe acht Minuten, aber selbst sie verwandelt sich ziemlich rasch in ein Potpourri verschiedener Melodien. Die bekannteste Nummer ist möglicherweise „Queen of my Heart“, tatsächlich nach der Premierenvorstellung aus dem früheren Werk Old Dreams eingefügt, und zwar für Hayden Coffin, einen der drei Stars der Uraufführung (die beiden anderen waren Ben Davies und Marie Tempest).

Der Komponist Alfred Cellier/ Wikipedia

Die Handlung dreht sich um Dorothy, die sich in ländliche Kleidung hüllt, ihren Namen in Dorcas ändert und dadurch ihren ungezogenen Vetter bezaubert, der sich weigert, sie zu heiraten.

Die Operngesellschaft Victorian Opera, die für diese CD verantwortlich zeichnet, hat in den letzten fünfzehn Jahren mehrere britische Opern eingespielt: Dorothy ist bei weitem die erfolgreichste. Man bedient sich für den superben Chor bei Studenten des Royal Northern College of Music: nicht zu groß und mit nahezu perfekter Diktion, sind besonders die Tenöre beeindruckend. Für die Hauptrollen nahm man hauptsächlich graduierte Sänger des RNCM sowie ein kleines Theaterorchester, welches sich ebenfalls aus Musikern des Colleges zusammensetzt.

Soweit ich verstehe, wurden Teile des Werkes in Australien gefunden, wo ein reduziertes Orchester verwendet wurde, um Geld zu sparen, basierend auf Celliers Original.

Der unermüdliche Richard Bonynge hat die Gesamtleitung inne und sorgt mit seinem Dirigat für Leichtigkeit und einen Stil, der völlig im Einklang mit dem ist, was Cellier beabsichtigte.

Die Sopranistin Majella Cullagh brilliert in der Titelrolle der Dorothy. Lucy Vallis singt ihre Cousine Lydia und Stephanie Maitland übernimmt Phyllis, die Tochter des Gastwirtes, mit einem erstaunlich ausgedehnten und attraktiven Vibrato.

Daniel Hauser hat für die Übersetzung gesorgt.

Die männlichen Rollen sind tadellos charakterisiert, wiederum mit exzellenter Aussprache. Michael Vincent Jones, der Lurcher, den Offizier des Sheriffs, mimt, versteht seine Partie ganz klar und sein Lied „I am the Sheriff’s faithful man“ darf als eines der Highlights angesehen werden.

Ebenso erfolgreich präsentiert sich der Tenor Matt Mears als Geoffrey („Though born a man“), den Dorothy schließlich heiratet, ebenso wie John Leuan Jones als Sherwood, einst die Rolle des Hayden Coffin. Edward Robinson als Dorothys Vater, Squire Bantam, überzeugt mit seinem sehr angenehmen Bariton in seinem einzigen Auftritt mit „Contentment I give you“, auch wenn er für diese Rolle womöglich etwas jung klingt. (Originaltext von John Groves/ Übersetzung Daniel Hauser)

 

More historical detail can be found in Kurt Gänzl’s Encyclopaedia of Musical Theatre, Victorian Opera publish an illustrated guide to the opera, available from their website. John Groves/ Operetta Research Center/ 20 January, 2019

DYNAMISCH DEKLAMIERT

 

La Doriclea ist kein verbreiteter Opernstoff. Francesco Cavalli komponierte eine Doriclea für Venedig (1645, Libretto von Giovanni Faustini), ebenso Pietro Andrea Ziani (1666) und Giovanni Porta (1729). Und auch Vivaldi nahm sich des Stoffes an (1716 in Venedig und 1732 in Prag). Alessandro Stradella schuf seine Doriclea in den 1670ern in Rom, wahrscheinlich für eine Privataufführung, einfach strukturiert, sängerisch nicht hochvirtuos, ohne aufwändige Szenenwechsel und ohne Regie-Hinweise. Das Beiheft bezeichnet diese Oper als Komödie in der spanischen Mantel-und-Degen Tradition, bei der es sich um galante Abenteuer und amouröse Verstrickungen des niederen Adels handelt, die ohne historische Kostüme in der Zeit spielten, zu denen sie aufgeführt wurden. Es geht um drei Paare, zwei aus gehobenen Umfeld – Doriclea und Fidalbo, Lucinda und Celindo – sowie ein Paar aus dem Volk: Delfina und Giraldo. Diese Paare durchleben Höhen und Tiefen, man schmiedet Heiratspläne und ist eifersüchtig, es gibt Verkleidungen, Verwechslungen, Verdacht und Versöhnung.

1938 wurde die Partitur wiederentdeckt, geriet in Vergessenheit und wurde erneut den Archiven entrissen. Die Ersteinspielung legte Estévan Vehardi mit dem Alessandro Stradella Consort 2017 bei Concerto Classics auf 4 CD vor, Rosita Frisani sang die Titelrolle. Die vorliegende Neuaufnahme vom September 2017 ist die fünfte Einspielung und erste Opernaufnahme der Stradella-Reihe des Labels Arcana. Sie erscheint auf drei CDs, durch schnelle Szenenwechsel enthalten diese 122 Track-Nummern – eine Handlungsfolge, der man beim Anhören nur konzentriert folgen kann. Jeder der drei Akte besteht aus durchschnittlich ca. 15 Arien und sechs Duetten sowie zahlreichen Rezitativen, statt einer musikalischen Einleitung beginnt diese Oper sogar mit einem Rezitativ. Man hat es in dieser Hinsicht mit einem Deklamationsmarathon zu tun, beim handlungsfolgenden Zuhören lässt sich eine gewisse Ermüdung nicht immer vermeiden.

Wer es hingegen versteht, nur zuzuhören und sich nicht um die Details des Librettos bemüht, der kann hier eine hochengagierte, lebendige, fast übermütige Interpretation verfolgen, in der sechs Sänger individuell timbriert lieben und klagen, besonders auf Ausdruck und Eloquenz geachtet wird und auch mal im Sinne der Komik übertrieben werden kann. Die ungarische Sopranistin Emőke Baráth ist in der Titelrolle eine starke Persönlichkeit und überzeugt erneut durch Fundament und Flexibilität, Countertenor Xavier Sabata singt den Fidalbo mit typisch gefühlvoller weicher Stimme. Als Lucinda hört man den warmen Mezzosopran der attraktiven Giuseppina Bridelli, Tenor Luca Cervoni als Celindo komplettiert stimmig die jungen Liebenden. Contralto Gabriella Martellacci singt als Delfina mit samtig-tiefer Stimme, zusammen mit Bariton Riccardo Novaro als Giraldo kommentieren sie teils bitter teils witzig das Geschehen. Andrea De Carlo dirigiert ein entsprechend klein besetztes Il Pomo d’Oro, neun Musiker (Streicher und Continuo) musizieren gut gelaunt und klingen nie dünn oder nebensächlich. Stradellas Oper ist melodiös und anschaulich, wer bspw. Cavalli schätzt, wird hier viel Schönes und Lohnenswertes entdecken können. Libretto und Beiheft sind in Italienisch, Englisch und Französisch verfügbar, am deutschen Markt scheint man bei Arcana kein primäres Interesse zu haben. (3 CDs, Arcana, A454) Marcus Budwitius

Dienst an Verdis Frühwerk

 

Nur I Lombardi und nicht mehr alla prima crociata tummelten sich im vergangenen Sommer bei den Heidenheimer Opernfestspielen auf der Bühne, die spärlich gefüllt mit vielen Stühlen und einem einsamen, hochkant gestallten Tisch bestückt war, weshalb man es auch verschmerzt, dass nur der Ton auf zwei CDs, nicht aber die Szene verewigt wurde. Den ganz frühen Werken Verdis, deren viertes nach Oberto, Un Giorno di Regno und Nabucco die Lombardi waren, hat man sich in Heidenheim gewidmet, wobei die Lombardi sich nicht nur mit dem Schauplatz Naher Osten eng anlehnen an den Nabucco, dessen Erfolg nach dem kurzlebigen Oberto und der Katastrophe der Buffa Verdi hörbar wiederholen wollte, am deutlichsten wahrnehmbar im Chor der Kreuzfahrer, der an Va pensiero erinnert. Immerhin war die Tenorarie immer ein beliebter Recital-Bestandteil, wurde mit der Giselda bereits ein Vorgriff auf die Violetta hörbar.

Die Stars der Aufnahme aus Heidenheim sind nicht die Gesangssolisten, sondern der Chor und das Orchester. Opernchöre aus den Ostblockstatten waren besonders auch in Italien auch wegen der finanziellen Vorteile für die Veranstalter  immer schon beliebt. Der hier tätige Czech Philharmonic Choir Brno ist einer der allerbesten, kaum übertreffbar, was die Aneignung des sprachlichen und musikalischen Idioms angeht, völlig unangefochten im Prestissimo, wahrlich überirdisch klingend als himmlische Geister und immer wie von innerer Spannung erfüllt. Nicht nach steht ihm das Orchester, die Cappella Aquileia, unter dem Dirigenten Marcus Bosch Garant für eine brio- und temporeiche, den Umtata-Rhythmus des frühen Verdi nicht verleugnende, aber veredelnde und ihm quasi seine volksnahe Naivität und damit Unschuld zurückgebende Aufführung.

Die Oper hat zwei fast gleichwertige Tenorrollen, wobei die des Vaters von Giselda, Arvino, durchaus Charaktertenorqualitäten haben darf, so dass mit León de la Guardia und seiner etwas larmoyant und trocken klingenden Stimme keine falsche Wahl getroffen wurde. Den Liebhaber und Konvertiten Oronte singt Marian Talaba zwar nicht mit ausgesprochen italienischem Timbre und nicht immer ganz frei, aber doch mit sicherer Höhe und kluger Phrasierung. Aus den himmlischen Sphären herunter allerdings klingt es etwas mühsam. Den sich zum Eremiten, wenn nicht gar Heiligen wandelnden Bösewicht Pagano verkörpert Pavel Kudinov mit angemessen schwarzem Bass, der schlank und gut konturiert, in allen Registern gleichmäßig gefärbt, auch die Cabaletta im ersten Akt mit viel slancio und mit Nachdruck bewältigt. Hörbar an Qualität weit unter dieser Leistung liegt die von Daniel Dropulja als Gefolgsmann Pirro.

Für die auch dramatische Anforderungen stellende Giselda hat Ania Jeruc weniger Kraft als viel Leichtigkeit und vokalen Liebreiz für die vielseitige Partie. Leider ist die Diktion verwaschen, und in der Höhe zeigen sich leichte Schärfen, den Cabaletten fehlt es an Nachdruck. Sehr schön klingt der Anteil des Soprans am Duett „Oh belle, a questa misera“. Eine sanfte Stimme für das Objekt der Begierde des verfeindeten Bruderpaars, die Viclinda, besitzt Anna Werle, interessant klingt die Sofia von Kate Allen (Coviello Classics COV91901). Ingrid Wanja      

Mager und ausgedünnt

 

Tatsächlich befinden sie sich auf dem Cover. Johann Heinrich Füsslis Hexen, an die man bei dieser MacbethAufnahme (Glossa GCD 923411) ständig denken muss, sind als raunende Schrecken der Nacht allgegenwärtig. Fabio Biondi schafft es mit dem von ihm 1990 gegründeten und auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble Europa Galante in Verdis Oper eine durchgehende Atmosphäre erbarmungsloser Düsternis und Trostlosigkeit zu erzeugen. Der magere und ausgedünnte Klang entspricht so ganz den hohlwangigen Frauen, wie sie der Schweizer Maler vor rund 200 Jahren als Verkörperung dunkler Ahnungen und Träume und schwarzromantischer Abgründe festhielt. Bei Biondi geraten die Hexenszenen knarzend ausdrucksvoll, geradezu geisterhaft schrecklich: ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Das klingt durchaus gelegentlich neu, rhythmisch präzise, in der Marcia des ersten Aktes und den orchestralen Darstellungen der Erscheinungen, die Macbeth und Banco ihre Zukunft weisen, geheimnisvoll. Doch die Düsternis lastet über dem Geschehen wie Mehltau, der Musik und den Figuren mangelt jegliche Entschlossenheit und Energie, der Aufnahme jegliche Italianità.

Die Hell-Dunkel-Effekte, die Füsslis Bildern ihre theatralischen Qualitäten geben, fehlen in dieser durchgehend trocken fahlen Wiedergabe völlig. Die Lady, das Energiezentrum der Oper, schleicht vorsichtig zur Tat. Nadja Michael singt mit ungenauer Tongebung, eiernden Koloraturen, grauem hohlem Klang, mit vagen angetippten Höhen, sie ist kurzatmig und zögerlich. Wir kennen Verdis Wünsche hinsichtlich der Besetzung der Lady. Kaum vorstellbar, dass er mit der Lady, die in der im August 2017 in Warschau entstandenen Aufnahme den Hörer das Fürchten lehrt, einverstanden gewesen wäre. Michaels Timbre ist noch immer interessant, doch bereits beim schlingernden „Or tutti sorgete“ würde man gerne weiterzappen, nach den wilden Klüften im ersten Finale ist man fast amüsiert, aber spätestens bei „Trionfai“ unwillig. Als ich erstmals die Fassung von 1847 auf der Bühne hörte, in den 1980er Jahren mit Olivia Stapp, war ich hingerissen vom Aplomb dieser großartigen Szene, die Verdi später durch „La luce langue“ ersetzte, wie u.a. auch die Cabaletta „Vada in Fiamma“ durch das Duett Lady/Macbeth „Ora di morte“. Biondi ist aufgrund ihrer stilistischen und dramatischen Kohärenz ein Verfechter dieser frühen Florentiner Fassung, die Verdi – wie auch Mussorgsky seinen Ur-„Boris“ – mit dem Tod des Titelhelden ausklingen lässt. Giovanni Meoni singt einen sehr achtbaren Macbeth. Sein heller, höhenstarker Bariton ist in den auffahrenden Passagen überzeugender als in den Momenten der Reflektion und Resignation, wo es der Stimme ein wenig an Fülle und Breite fehlt. Von den weiteren Sängern ist vor allem Fabrizio Beggis gediegen seriöser Banco zu nennen. Valentina Marghinotti ist als Dame der Lady korrekt, Giuseppe Valentino Buzza singt einen jugendlichen Macduff.. Am besten schlägt sich in dieser Aufnahme, die man schwerlich empfehlen kann, der ausgezeichnete Podlasie Opera and Philharmonic Choir.  Rolf Fath

Standard-Biographie

 

Das Offenbach-Jahr 2019 bringt auch seine Zeitgenossen erneut in den Fokus: André Messager hat gerade eine Würdigung mit der Veröffentklichung seiner Oprette Les P´tites michou beim Palazetto Bru Zane erfahren. Ein wichtiges Buch zu Messager ist Christophe Mirambeaus ultimative Biographie André Messager. Le passeur de siècle bei Actes Sud/ Palazetto, die der neuseeländische Operettenfachmann Kurt Gänzl (operalounge.de-Lesern kein Unbekannter spätestens seit seinem Kompendium über Victorianische Sängerinnen) bespricht – Dank an die Kollegen vom Operetta Research Center Amsterdam, wo seine englischsprachige Rezension im Juni 2018 erschien. Da noch keine deutsche Übersetzung des Buches in Sicht ist, bringen wir Kurt Gänzls Artikel ebenfalls in der Originalsprache, ein bisschen Bildung muss sein… G. H.

 

The Musical Theatre book of the decade. I sha’n’t gush. Well, I’ll try not to. But … I thought that it was unlikely, in this day and age, that a new book dealing with the 19th and/or 20th century musical theatre could surprise and enthuse me. I mean, it’s all been said and done, hasn’t it? Chuckle, much of it by me. But then there is the new: André Messager. Le passeur de siècle by Christophe Mirambeau.

The last time I was really grabbed by musical-theatre book, a book that really taught me something interesting and novel and wasn’t just a re-hash of told stories and opinions, was when I read John Kogel’s American Music in German Immigrant TheatreYes, that was 2009. It was sent to me for review by Kevin Clarke of the Operetta Research website and it consisted largely of a biography of Adolf Philipp, the half-forgotten ‘inventor of the American musical comedy’ (Americans don’t admit this!). Well, this week Kevin got in touch again (nine years on) with another book for me to review, and I was having a quiet, dawn-sunny (6.45 am) breakfast on my Australian seaside terrace, when bang! 500 pages (plus illustrations) landed on my desktop. Aw, gee. Tomorrow? But I peeped in, and I was lost. It’s now 5.42 pm. Eleven hours (with comfort stops). I’ve just read the entire book, cover to cover. So I shall pour a lime and gin, and tell you all about it.

The book is a biography of André Messager. Yeah. Him. Composer of ‘Trot here, trot there’? And some. And a heck of a lot of ‘some’. This new book is written by French author, Christophe Mirambeau, who has previously expended his talents on books about Luis Mariano, Barbra Streisand and Albert Willemetz. This one is in way, way up another league, even, than the Willemetz. Gold. Pure gold.

Messager is (I know now!) a wonderful subject for a biography. He begins with a success in the world of 1880s opérette, remakes himself – while carrying on a parallel career as a conductor and administrator – in the early 20th century with ‘gentille opérette’ and, all over again, after the war, with some dazzling musical comedies. He starts on a high, ends on a high … and even if there is the occasional bloop (and paramour) in between, well, everyone has them, and that makes for an interesting story, too.

And that’s what this book is: an enthralling story, set in a period and place in the world’s musical theatre which has largely missed proper coverage and investigation up to now. The tale of our man is peopled by such colleagues and friends as Fauré, Saint-Saëns, Massenet, Pierné, d’Indy (to drop but a few musical names) not to mention, latterly, the great Willemetz and Christiné, as we follow him through forty years of Parisian (mostly) musical history, with all its in-fighting, jiggery-pokery, cabals and ‘immorality’ …

Now, I know this era pretty well. I’ve splashed around in this Parisian music and theatre milieu for many, many years. And I’ve written quite a lot about some of its characters. But nothing like this!

Neu beim Palazzetto: Messagers Operette „Les p´tites Michou“

This is a seminal and will-be-standard book. It will be – it must be – translated into German, Japanese and English (it’s written in French) – it is a classic biography and also a picture of an opérettic era that (as far as I know) has not ever been thoroughly covered anywhere else. And with some great pictures!

I promised I wouldn’t gush, so here are my thoughts on modern (theatrical) biography. And you can fit this one in, on the scale, where it you seems fit.

My opinion. At the two ends of the biographer scale, it seems, we have two ‘styles’. Firstly, what I call the academic thesis. ‘Well, I didn’t know much about him/her at the start, but I researched (other people’s often incorrect books?) and I got my degree and the University press published it! This works fine, sometimes: see Mr Koger. Mostly, it doesn’t, and I don’t like it. The authors don’t know the milieu, names of supporting characters in the Life are chucked about mindlessly, it’s a biography without a background. But with copious footnotes … argggghhhhh! (‘It’s not my fault if it’s wrong, someone else said it first’, ‘primary sources … what are they?’).

On my own very first book (2 volumes), my editor said to me: ‘if it’s not worth putting in the text, leave it out, if it is of interest, put it in the text body.’ I have mostly followed his wise words for forty years. Footnotes are a whacker’s way out.

At the other end of the scale, there is the non-academic. The person who has just immersed themselves in the time and period on which they are writing. This person knows who all those subsidiary folk are, and can hopefully tell us, if it is relevant, in a phrase. And such people know the flavor of the era, the feeling, as well as the facts …   Enough, you can tell from which side I am coming!

Anyway, all this to say that Mons Mirambeau has pretty well achieved the impossible here. He has encompassed both ends of the scale.

Der Autor Kurt Gänzl/ OBA

However – I know it’s the French way, but – I would have cut the footnotes in this book very, very largely. We don’t need biographical data of well-known folk detailed in footnotes. This is not a reference book. If you feel you must quote source, do it in text. Because all those footnotes (on one page there are two lines of text – shades of Louis Schneider! – and all the rest bloody footnotes) break up your great story, and murder the flow of your engaging writing … I just skipped them. Mons. Christophe Mirambeau, sir, thanks for a grand day. Great read! Great adventure! Great book. What next? Without French footnotes please! Kurt Gänzl/ Operetta Research Cente Amsterdam

 

To order the book via the publisher Palazetto Bru Zane, click here. Palazetto Bru Zane is in the process of recording various Messager/Foto Wiki works and releasing them on CD and DVD. Christophe Mirambeau’s Messager biography is part of this project. André Messager. Le passeur de siècleChristophe Mirambeau; Collection : Actes Sud / Palazzetto Bru Zane; 512 pages | ISBN 978-2-330-10264-7 | 2018; Livre en français

Filigrane Durchsichtigkeit

 

Die renommierte katalanische Barock-Interpretin Núria Rial zählt erklärermaßen Luigi Boccherinis Stabat Mater zu ihren favorisierten Kompositionen. Umso erfreuter war sie, im April des vergangenen Jahres die Gelegenheit zu bekommen, das 1781 geschriebene Werk für Coviello CLASSICS aufnehmen zu können (COV 91813). Mit dem orchester le phénix hat sie ein kompetentes Ensemble zur Seite, das mit delikatem Spiel von filigraner Durchsichtigkeit aufwartet.

Boccherini, gefeierter Cellist und Komponist, verbrachte den größten Teil seines Lebens am königlichen Hof von Madrid. Schwerpunkt seines Schaffens war die Kammermusik, doch dehnte er das Spektrum bis zur geistlichen Vokalmusik und Sinfonik aus. Das Stabat Mater setzte er zunächst für Sopran und ein Streichquartett mit zusätzlicher Bassstimme, ca. zwanzig Jahre später arrangierte er es für drei Singstimmen und ein größeres Streichorchester. Für die  vorliegende Aufnahme wählten die Produzenten einen Mittelweg mit  nur einer Solistin und mehrfach besetzten Streichern.

Das Werk ist in elf Teile gegliedert und bietet eine Fülle an Melodien und eine reiche Farbpalette. Trotz der schmerzlichen Trauer dominiert die hoffnungsvolle Nächstenliebe. Mit ihrem noblen, klaren Sopran ist Núria Rial dafür eine ideale Interpretin. Von getragenem Ernst erfüllt ist der Eingangssatz „Stabat mater dolorosa“, den die Sängerin mit  dem Ausdruck von Traurigkeit und Leid wiedergibt. Im „ Quae moerebat“ gewinnt die Stimme an Leuchtkraft und Jubel. Koloraturen geben „Pro peccatis“ einen fast opernhaften Anstrich – Rial meistert sie makellos. „Eja mater“ ist ein Stück, in welchem die kristallklare Stimme der Sängerin und ihr beseelter Ausdruck zu schönster Wirkung kommen. Inbrünstige Sehnsucht, die Leiden mit Christi zu teilen, bestimmen die nächsten Teile. Die Stimme schwingt sich hier oft in exponierte Höhen auf, doch nie lässt die Sopranistin schrille Töne hören. Stets bleibt die Stimme leuchtend und gerundet. Der letzte Satz, „Quando corpus“, endet nach introvertiertem Beginn mit fahlen Akkorden der Streicher ganz verhalten – kein jubelndes, sondern ein nachdenkliches, fragendes „Amen“ ist da zu vernehmen.

 

Das Programm der CD wird ergänzt durch die Sinfonia in D-Dur – ein Frühwerk des Komponisten von 1767 in vier kurzen Sätzen. Es zählt zu den ersten Versuchen Boccherinis, sich mit der größeren Form auseinanderzusetzen. Sein Charakter wird geprägt von eingängigen Melodien und ist dem frühklassischen neapolitanischen Stil verpflichtet. Dem bewegten, stürmischen Allegro folgt ein delikates Andante. Der dritte Satz ist unterteilt in Menuetto primo und Trio – ersteres scheint mit seinen Hörnern ein munteres Jagdsignal zu sein. Das abschließende Presto ist das kürzeste Stück – ein Wirbel, in welchem noch einmal die Hörner brillant auftrumpfen. Mit feinsinnigem Musizieren erweist sich das orchester le phénix nochmals als stilistisch versierter Klangkörper. Bernd Hoppe

Frühwerk in später Fassung

 

Wer nach weitgehend vergessenen, aber durchaus hörenswerten Opern sucht, kann beim als Ein-Oper-Komponisten bekannten Pietro Mascagni fündig werden, und es müssen nicht die immerhin bereits einigen Rettungsversuchen unterzogenen Le Maschere, Iris oder L’Amico Fritz sein. Der Komponist aus Livorno hat außer der populären Cavalleria Rusticana immerhin fünfzehn weitere Opern geschrieben, nach Il Piccolo Marat im Jahre 1921 allerdings elf Jahre lang keine einzige, bis er 1932 auf die Cantata Finlanda, die er zufällig in einem Koffer wiedergefunden hatte, zurückgriff und daraus das zweiaktige Idillio Pinotta gestaltete. Die Librettisten waren  Targioni-Tozzetti und Menasei. Ein Idillio ist Pinotta in vielerlei Hinsicht. Zum einen wird es durch ein Terzett der Zeffiri, angenehm wärmender und schmeichelnder Winde, eingeleitet, zum zweiten spielt es zwar im industriellen Milieu, einer Spinnfabrik, aber mit einem Fabrikbesitzer mit fürsorglich väterlichen Gefühlen für seine Arbeiter, und zum dritten wird sehr viel zu sehr schöner Musik gebetet, ist das Anflehen des Himmels durch Pinotta, die Fabrikarbeiterin, das populärste Stück des kurzen Werks. Übrigens sang bei der Uraufführung in San Remo keine Geringere als Mafalda Favero diese Partie. Fabrikbesitzer Andrea ermuntert seinen schüchternen Arbeiter Baldo, um die noch zurückhaltenere Pinotta zu werden, dieser fast sich ein Herz, nachdem er sie beim Gebet beobachtet hat, und dem gemeinsamen Glück steht nichts mehr im Weg. So wie das Libretto in seiner Harmlosigkeit weit hinter die Themen des Verismo oder die im Umkreis von D’Annunzio beliebten Problemkreise  zurückgeht, auch zur Nummernoper zurückkehrt, so ist auch die Musik angenehm, aber vergleichsweise harmlos, einer Idylle angemessen. Typisch für die Musik ist, dass Andrea „l‘ angelica armonia“, offensichtlich das Lebensziel der Figuren, lobt. Parallelen zur Cavalleria gibt es mit dem Einsatz von Glocken und mit dem Preludio, das von Vokalem unterbrochen wird, mit Chören, die sich aus der Ferne kommend der Bühne nähern. Auf Pinotta folgte dann nur noch Nerone.

Felicia Bongiovanni/ FB

Die Sinfonietta di Milano unter Francesco Ledda nimmt sich des Werkleins liebevoll an, der Coro Quadriclavio di Bologna der für so ein knappes Werk recht reichlichen Chorszenen. Eine feine lyrische Stimme kristallinen Charakters, frisch und hell, hat Felicia Bongiovanni, die „O stella della sera“ mit schöner Innigkeit singt. Sie ist auch der spiritus rector dieser so liebevoll besorgten  Aufnahme – Felicia Bongiovanni ist zudem eine Musikwissenschaftlerin mit dem Gespür für das Seltene, wie ihre bisherigen Aufnahmen zeigen, von denen operalounge.de bereits einige lobend besprochen hat, Pavanellis Vanna zum Beispiel. Einen metallischen Tenor mit beachtlichem Squillo setzt Gianluca Zampieri für den Baldo ein. Sollte er der Wagner-Tenor aus Erl sein, und ein anderer dieses Namens ist nicht auffindbar, dann ist erstaunlich, wieviel Schmelz und Flexibilität sich die Stimme bewahrt hat. Marcello Lippi, der mittlerweile eher Regie führt als dass er singt, ist mit reifem, etwas steifem Bariton der Andrea. Warum führt ein Opernhaus nicht einmal an der Seite der Cavalleria die Pinotta anstelle der Pagliacci auf (itunes/apple)?  Ingrid Wanja

Dokument aus Göttingen

 

Händels Arminio aus dem Jahre 1737 stand auf dem Programm der letztjährigen Händelfestspiele Götttingen. Den Mitschnitt aus dem Deutschen Theater unter Leitung von Laurence Cummings am Pult des FestspielOrchester Göttingen hat ACCENT auf drei CDs herausgebracht (ACC 2609). Die Ausgabe folgt den Produktionen von Alan Curtis bei Virgin und George Petrou bei Decca.

Das Stück basiert auf historischen Tatsachen, nämlich der Niederlage von Varus gegen Hermann in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. Das Libretto nach  Antonio Salvi behandelt allerdings mehr die persönlichen Konflikte von Varo und seiner Liebe zu Tusnelda, die Inhaftierung Arminios durch Segeste und schließlich beider Versöhnung.

Für die Uraufführung am 12. Januar 1737 stand Händel eine attraktive Besetzung zur Verfügung mit den Kastraten Domenico Annibali als Titelheld und Gioacchino Conti als Sigismondo sowie der Sopranistin Anna Strada als Tusnelda. In Göttingen singt der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey den Etruskerfürsten Arminio. Seine Gattin Tusnelda ist die Sopranistin Anna Devin. Beide eröffnen den 1. Akt mit einem Duett („Il fuggir“), in welchem sich die Stimmen gut verblenden. Und sie finden sich auch am Ende der Oper noch einmal im Duett zusammen („Ritorna nel core“), das den glücklichen Ausgang preist. Die Sopranistin lässt in ihrem ersten Solo („Scagliano amore“)  eine in der Höhe limitierte Stimme hören, der zudem ein starkes Vibrato eigen ist. Danach folgt der Counter mit seinem ersten solistischen Auftritt („Al par della mia sorte“), der einen gemischten Eindruck hinterlässt. Die Stimme klingt larmoyant und im unteren Register schwach, was auch seine zweite Arie („Duri lacci“) bestätigt. In der nachfolgenden („Sì, cadrò“) kann er mit bravourösen Koloraturläufen und vehementem Aplomb imponieren. Störend sind hier die lauten Bühnengeräusche. Berührend gestaltet er das Solo im 2. Akt („Vado a morir“) mit entrückten Tönen, die den Tod ahnen lassen.  Mit reicher Klangfülle und auch mehr Substanz in der Tiefe überrascht er in der Arie des 3. Aktes („Fatto scorta al sentier“).

In ihrer zweiten Arie („E’ vil segno“) überzeugt auch Devin mehr mit innigem, beseeltem Gesang. Mit leuchtenden, verinnerlichten Tönen nimmt sie bei „Rendimi il dolce sposo“ am  Ende des 2. Aktes für sich ein. Entschlossen geht sie „Va’, combatti“ im 3. Akt an, lässt aber grelle Spitzentöne hören. Die Altistin Helena Rasker singt Arminios Schwester Ramise, die von Sigismondo geliebt wird. Sophie Junker leiht ihm ihren Sopran, kann aber einen jungen Helden nicht imaginieren – zu leichtgewichtig klingt die Stimme. In ihrer Arie „Posso morir“, die den 1. Akt beendet und ein Wechselbad darstellt mit introvertiertem Gefühl und furiosem Ausbruch, versucht sie ein größeres Ausdrucksspektrum. Rasker mit ihrem energischen, dunklen Ton könnte man sich eher in einer Hosenrolle vorstellen. Ihr beherzter Vortrag und das interessante Timbre erfreuen sehr. Und sie füllt auch eine so liebliche Arie wie „Niente spero“ voll aus. Reizvoll ist ihr Duett mit Tusnelda in wiegendem Rhythmus („Quando più minaccia“) und es ist auch ein musikalisch besonders gelungener Moment. Dazu zählt auch die Arie im 3. Akt („Voglio seguir“) in ihrem kraftvoll-resoluten Duktus.

Die Besetzung ergänzen der römische General Varo (Paul Hopwood mit charaktervollem, in der exponierten Lage bemühtem Tenor), der römische Volkstribun Tullio (der Counter Owen Willetts mit zittrigem Vibrato) und der Verbündete Varos Segeste (Cody Quattlebaum mit verquollenem und in der Höhe gequältem Bassbariton als schwächstes Glied der Besetzung).

Solide ist die orchestrale Leistung, wenngleich man sich gelegentlich einen strafferen, energischeren Zugriff mit mehr Affekten wünschte. Das Klangbild ist gepflegt, entbehrt aber zuweilen der Spannung. Bernd Hoppe

 

Verliebt in Hexen

 

Schelmisch blicken uns Elizabeth Montgomery, Agnes Moorehead und Dick Sargent aus Verliebt in eine Hexe an. Die amerikanische Fernsehserie aus den 1960er und 70er Jahren hat mit dieser Neuaufnahme von Hervé Niquet und Le Concert Spirituel so viel zu tun wie Warren Bakers Musik mit jener von Lully und seinen Zeitgenossen. Gar nichts. Zum 30jährigen Bestehen seines Ensembles zauberte sich Niquet mit seinen Protagonisten Karine Deshayes, Katherine Watson und Reinaud Van Mechelen eine Pasticcio-Oper, L’Opéra des Opéras,  in der Mezzosopran, Sopran und Tenor in die Rollen der jungen Prinzessin, des mutigen Prinzen und der intriganten Zauberin schlüpfen. Ein bisschen Bewitched. Na ja. Immerhin ein hübscher Hingucker, der manchen, wie den Dirigenten selbst, an Uralt-Serien erinnert. Eine solche Uraltserie ist auch die Folge der 33 Nummern aus Ouvertüre, Zwischenspielen, Arien, Chören, Szenen und Duetten, mit der Niquet im Oktober 2017 in der Königlichen Oper in Versailles an die große Zeit der Opéra Royal erinnerte, als Ludwig XIV. beispielsweise 1671 Lully bat, aus Ausschnitten von rund dreißig Balletten ein „Ballet des ballets“ zu kompilieren. Diesem Beispiel und dem beliebten Brauch der Pastiches folgendend, entwarf Niquet L’Opéra des Opéras als Gipfel aller höfischen Opernpracht um 1700. Es funktioniert. Keiner würde merken, dass es sich nicht um eine originale Oper vom Hof Ludwig XIV. handelt. Wir wollen uns nicht mit der unterlegten Story mit den Standardsituationen wie Sturm, Schlaf, Kampf und Anrufungen beschäftigen. Kein Flickwerk ist auf jeden Fall die Musik. Die Abfolgen aus virtuosen Arien, von Trommeln und Trompeten begleiteten Chören und prächtigen Ballettnummern wirken wie aus einer Hand, sind aber von Lully und Rameau, Campra, Bertin de La Doué, Destouches, Stuck, Rebel, Colin de Blamont, Francouer, Montéclair, Leclair und Dauvergne. Benoït Dratwicki vom Centre de Musique Baroque de Versailles, Zwillingsbruder von Palazzetto Bru Zanes Alexandre Dratwicki, schreibt im Beiheft dieser Alpha-Classics-CD (Alpha 442), „All diese Musikstücke hintereinander zu hören, zeugt vom Fortbestand und der Kohärenz des französischen Stils, wie in Lully vorgefunden hatte, und der mehr als 100 Jahre von fünf Komponistengenerationen gepflegt wurde. Selbst wenn die Musik in einem Abstand von mehr als einen halben Jahrhundert geschrieben wurde, stehen die Komponisten zueinander nicht im Kontrast, sondern ganz im Gegenteil miteinander im Einklang. Denn die rechte Deklamation, der Sinn für die Bühne und das Pulsieren der Choreographie sowie die Neigung für harmonische und orchestrale Färbungen sind Elemente, die im Großen und Ganzen alle französischen Autoren dieser Zeit charakterisieren“. Von Mondonvilles Ouverture zu Titon et L’aurore bis zur Prinzen-Arie aus Lullys Armide spannen Niquet und Le Concert Spirituel, die eigentlichen Protagonisten dieses Fest-Pastiches, einen großen Spannungsbogen, dabei flammend und leidenschaftlich in der Sturm-Szene aus Alcyone von Marais, großartig in der subtilen Orchesterkunst der Ausschnitte von Rameau, der dann doch etwas aus dem Kreis seiner Kollegen heraussticht. Schön, wie nahtlos die erwähnte Sturmszene mit den Einwürfen des Prinzen in eine Tenor-Arie aus Rameaus Dardanus übergeht. Reinaud Van Mechelen gibt mit feinem, geschmeidigem Tenor den liebend zurückhaltenden Prinzen, Karine Deshayes zeigt sich in der Rolle der Endora von außerordentlicher Allüre, einzig die zarte Katherine Watson ist nicht ganz so bezaubernd, wie wir es von Samantha erwarten würden (Alpha 442) Rolf Fath

Wegbereiterin der Musik

 

Erato legt eine Neuveröffentlichung von hohem Seltenheitswert vor (0190295632212). Voglio cantar nennt sich diese CD mit der Sopranistin Emöke Baráth, die das Programm rund um die italienische Komponistin Barbara Strozzi konzentriert. Jene war in der Musikgeschichte eine der ersten komponierenden und für ihr Schaffen auch anerkannten Frauen. Neben Kompositionen der Strozzi selbst finden sich in der Anthologie auch Stücke ihres Lehrers Francesco Cavalli und von Antonio Cesti sowie instrumentale Beiträge von Tarquinio Merula und Biagio Marini. Das Programm beginnt mit drei Nummern von Barbara Strozzi – der Arie „Che si può fare “, der Canzone „Mi fa rider la speranza“ und einem Lamento. Die Sopranistin imponiert sogleich mit ihrer klaren, in der Höhe leuchtenden Stimme. Das erste Stück in seiner traurigen Hoffnungslosigkeit fängt sie mit schmerzlich-empfindsamen Tönen plastisch ein. Der nächste Titel ist dagegen von kessem Übermut geprägt, während der dritte einen ernsten Klageton bereithält. Für all diese Stimmungen findet die Interpretin den passenden Ausdruck. Später folgen von Barbara Strozzi noch eine Kantate mit dem Titel „Il Lamento“, die Ariette „Amante loquace“ und die zweiteilige Komposition „L’Astratto“. Die Kantate ist die ausgedehnte balladeske Schilderung von Cinq-Mars, Günstling des französischen Königs Louis XIII., der als Kopf einer Verschwörung gegen Kardinal Richelieu 1642 in Lyon hingerichtet wurde. Das erfordert expressiv-deklamatorischen Gesang, was die Sopranistin beeindruckend erfüllt. Die Ariette ist von heiterem Charakter, der Zweiteiler  „L’Astratto“ gibt in seinem ersten Teil den Titel der CD vor und ist ein energisch-entschlossener Abschluss des Programms.

Cestis Komposition „Speranza ingannatrice“ und Cavallis „Statira, principessa di Persia“ ergänzen die Auswahl. Erstere schwankt zwischen quälender Eifersucht und trügerischer Hoffnung, die zweite besingt Glück und Liebe. Baráth erweist sich auch hier als kompetent und stilsicher.

Das inspirierend begleitende renommierte Barock-Ensemble Il Pomo d’Oro unter Francesco Corti kann in den Instrumentalnummern – der Sinfonia grave und einer Sonata von Marini sowie dem Balletto detto Eccardo von Merula ­– seinen Ruf als einer der führenden Klangkörper in der Pflege der Barockmusik eindrucksvoll bestätigen. Bernd Hoppe

 

Hurra: Ein Heldentenor!

 

Mit einer shining voice daher kommt die Debüt-CD des australischen Tenors Stuart Skelton, die den Titel Shining Knight trägt wie die bekannten Comics mit dem strahlenden, unüberwindlichen Ritter. Zur leuchtenden Stimme, die sich gegenwärtig zwischen Siegmund und Otello bewegt, kommt, wie es das Booklet verrät, noch ein sehr bewusst seine Kunst ausübender Sänger, der der Musik Wagners von Herzen zugetan scheint, denn sie beschenkt ihn mit „comfort, joy, sadness and joy again“.

Bereits beim ersten Track, dem Gebet des Rienzi, lässt sich eine Tenorstimme bewundern, die Schmelz, Flexibilität, viel corpo und einen eindrucksvollen Höhenstrahl in sich vereint, der sie für die lyrischeren Wagnerhelden prädestiniert erscheinen lässt. So folgen denn auch Lohengrin, Siegmund und Parsifal, auf der Bühne hat der Sänger bereits den Tristan verkörpert, noch nicht die Siegfriede und Tannhäuser. Ein manchmal ganz leichter Akzent stört kaum, das Gebet wird mit reicher Agogik gesungen, mezza voce und piano verlieren nicht an Farbe. Ein machtvolles „Gott“ wirkt ungeheuer eindringlich.

Für die Gralserzählung und somit wohl generell für den Lohengrin hat der Tenor noch genügend lyrische Qualitäten, auch wenn er sich von dieser Partie allmählich wegzubewegen scheint, wenn sie weniger silbrig als stählern klingt. Immerhin kommt die „Taube“ so sanft daher, wie der „Gral“ zu strahlen scheint.

Dem Siegmund des ersten Akts der Walküre gelingen ein schönes parlando, ein zärtlicher Klang und ein guter Registerausgleich. Wenn es stürmisch wird, übertrifft die Stimme das Orchester an leidenschaftlichem Einsatz. Man merkt diesem wie allen anderen Tracks an, dass der Sänger diese Musik liebt.

Als Parsifal des zweiten Akts gelingt Skelton das beeindruckendste „Amfortas“, den man sich denken kann, scheint der Künstler ganz in der Partie aufzugehen, wie es auch die schöne Feierlichkeit im dritten Akt bezeugt.

Es folgen die Wesendoncklieder mit Orchesterbegleitung, die offensichtlich ohne jeden Vorbehalt gegenüber den Texten interpretiert, ja eher in deren schwülstiger Sentimentalität noch verstärkt werden. Gut gefallen kann, wie der Tenor die Stimme schlank hält, gut mit dem Tempo von Stehe still zurechtkommt und „sein“ und „ganz“ wie Monolithen, den Schluss wie einen Choral erscheinen lässt. Sehr feinfühlig wird das tristannahe dritte Lied gesungen, sehr zart und extrem langsam, während „Schmerzen“ heldisch strahlend erklingt.

Den Schluss der CD bilden drei Lieder von Charles Griffes, denen der Künstler die gleiche Ernsthaftigkeit und Raffinesse angedeihen lässt wie seinem Gott Wagner. Barbers Sure on this shining night bildet den Abschluss einer CD, die den Hörer in der freudigen Gewissheit bestätigt, dass er einen wahren Heldentenor gehört hat.

Asher Fisch und das West Australian Symphony Orchestra begleiten solide, wenn auch nicht die dem Sänger eigene Leidenschaft für die Musik hören lassend. (ABC 481 7219Ingrid Wanja

Ein Ochs ist kein Frosch

 

Immer etwas problematisch insbesondere in nördlichen Breiten ist die Gestaltung des dritten Akts von Johann StraußFledermaus, der vom slibowitzseligen Frosch dominiert wird. Die Aufnahme mit der NDR Radiophilharmonie unter Lawrence Foster wollte wohl besonders authentisch werden mit einem echten Wiener, nämlich dem Wagnerbass Kurt Rydl in der Partie des Justizvollzugsbeamten, auch ein bewährter Ochs und hier bereits auf dem Fest des Prinzen Orlofsky zusätzlich die Rolle des besonders bei Silvesteraufführungen beliebten special guest einnehmend. Auch er strebt wie die Kammerzofe Adele eine Bühnenkarriere und die Protektion des Prinzen an und bewirbt sich darum mit dem Flohlied des Mephisto von Mussorgsky. Bei der bassgewaltigen Darbietung wundert man sich allerdings, dass er nicht längst auf einer Bühne steht.

Die neue Textfassung der Dialoge des Tenors Nikolai Schukoff, der auch Eisenstein ist, gönnt ihm keine tagespolitischen Anspielungen, nur noch ein paar Noten Osmin und Ochs, sondern spielt lieber insgesamt mit amerikanischen und russischen Wortfetzen, der internationalen Besetzung angemessen, und doppeldeutigen sexuellen Anspielungen wie „bei mir können sie aufsteigen“. Am stärksten erinnert noch die Ida von Alice Waginger an Wiener Aufführungen, während Solisten wie auch Chor (WDR Rundfunkchor) und Orchester eine gewisse Globalisierung des Klangs nicht verleugnen können.

Laura Aikin, die Alleskönnerin, ist eine beherzte Rosalinde mit stählern klingendem Csárdás, den Rhythmus leicht ironisierend, mit sicheren Koloraturen und einigen Problemen beim Registerwechsel im letzten Akt. Eine frische, spritzige Adele singt Annika Gerhards, quietschend vor Übermut, mit üppiger Höhe in Mein Herr Marquis und feinen Differenzierungen für die drei Rollen in Spiel ich…Sehr direkt mit tenoraler Prachtentfaltung recht opernhaft gibt Nikolai Schukoff den Eisenstein, etwas verhuscht im Finale des zweiten Akts wirkend. Christian Elsner darf als Alfred sein Fach mit Florestan und Stolzing antippen, verbreitet aber auch in der Straußmusik tenoralen Wohlklang. Eine ideale Besetzung für den Orlofsky ist Elisabeth Kulman, durchaus wie ein übermütiger, beschwipster Jüngling klingend. Rollendeckend besetzt sind der Frank mit Joachim Schmeckenbecher und Dr. Falke mit Mathias Hausmann. Die Aufnahme entstand im Januar 2018 im Großen Sendesaal des Landesfunkhauses Hannover (2 CD Pentatone  PTC 5186635). Ingrid Wanja

Michael Davidson

 

Der Sänger Michael Davidson starb am 19. Januar 2019. Viele seiner Anhänger werden ihn vermissen, der lange am Nationaltheater Manheim gesungen hat. Ein Blick in das unentbehrliche Kompendium von Kutsch/Riemens zeigt eine ebenso lange wie glanzvolle Karriere.

Davidson, Michael, Bariton, geb. 2.5.1935 Long Beach (Kalifornien) – gest. 19. 1. 2019; er erhielt seine Ausbildung durch Vladimir Dubinsky in Los Angeles. Er kam nach Westdeutschland und debütierte hier 1962 als Opernsänger am Stadttheater von Koblenz in der Partie des Renato in Verdis »Ballo in maschera«. Seine eigentliche künstlerische Heimat fand er am Nationaltheater Mannheim, dessen Mitglied er seit 1966 für mehr als zwanzig Jahre war. Er sang auch gastweise an den Staatsopern von Wien, München, Stuttgart und Hamburg, an den Opernhäusern von Köln, Karlsruhe, Hannover, Wuppertal, Frankfurt a.M. und Essen, an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, in Nürnberg und Dortmund. Er gastierte weiter am Teatro Liceo Barcelona, in Vancouver und Portland (USA). In seinem umfassenden Bühnenrepertoire standen die heldischen Partien im Vordergrund: der Amonasro in »Aida«, der Don Carlo in »La forza del destino«, der Ford in Verdis »Falstaff«, der Rigoletto, der Jago im »Othello«, der Graf Luna im »Troubadour«, der Germont-père in »La Traviata«, die Titelfiguren in den Verdi-Opern »Macbeth«, »Nabucco« und »Simon Boccanegra«, der Gérard in »Andrea Chénier« von Giordano, der Sebastiano in »Tiefland« von d’Albert, der Lescaut in »Manon Lescaut« von Puccini, der Scarpia in »Tosca«, der Faninal im »Rosenkavalier« von R. Strauss, der Graf in dessen »Capriccio«, die vier Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen« und der Tonio im »Bajazzo«.

Privat-Aufnahmen (Mitschnitte von Opernaufführungen). [Nachtrag] Davidson, Michael; noch 1997 trat er am Mannheimer Nationaltheater als Jago in Verdis »Othello« auf, s. auch youtube. [Lexikon: Davidson, Michael. Großes Sängerlexikon, S. 5276 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 790; Sängerlex. Bd. 6, S. 285) (c) Verlag K.G. Saur]

Vergebens hoffte man auf einen offiziellen Nachruf von Michael Davidsons Stammhaus, dem Nationaltheater Mannheim, wo man auf den Artikel im Mannheimer Morgen verwiesen wurde – den man als nicht abbonent allerdings ebenfalls leider nicht lesen kann …. Dem Mimen pflicht die Nachwelt“…. G. H.