Archiv des Autors: Geerd Heinsen

Filigrane Durchsichtigkeit

 

Die renommierte katalanische Barock-Interpretin Núria Rial zählt erklärermaßen Luigi Boccherinis Stabat Mater zu ihren favorisierten Kompositionen. Umso erfreuter war sie, im April des vergangenen Jahres die Gelegenheit zu bekommen, das 1781 geschriebene Werk für Coviello CLASSICS aufnehmen zu können (COV 91813). Mit dem orchester le phénix hat sie ein kompetentes Ensemble zur Seite, das mit delikatem Spiel von filigraner Durchsichtigkeit aufwartet.

Boccherini, gefeierter Cellist und Komponist, verbrachte den größten Teil seines Lebens am königlichen Hof von Madrid. Schwerpunkt seines Schaffens war die Kammermusik, doch dehnte er das Spektrum bis zur geistlichen Vokalmusik und Sinfonik aus. Das Stabat Mater setzte er zunächst für Sopran und ein Streichquartett mit zusätzlicher Bassstimme, ca. zwanzig Jahre später arrangierte er es für drei Singstimmen und ein größeres Streichorchester. Für die  vorliegende Aufnahme wählten die Produzenten einen Mittelweg mit  nur einer Solistin und mehrfach besetzten Streichern.

Das Werk ist in elf Teile gegliedert und bietet eine Fülle an Melodien und eine reiche Farbpalette. Trotz der schmerzlichen Trauer dominiert die hoffnungsvolle Nächstenliebe. Mit ihrem noblen, klaren Sopran ist Núria Rial dafür eine ideale Interpretin. Von getragenem Ernst erfüllt ist der Eingangssatz „Stabat mater dolorosa“, den die Sängerin mit  dem Ausdruck von Traurigkeit und Leid wiedergibt. Im „ Quae moerebat“ gewinnt die Stimme an Leuchtkraft und Jubel. Koloraturen geben „Pro peccatis“ einen fast opernhaften Anstrich – Rial meistert sie makellos. „Eja mater“ ist ein Stück, in welchem die kristallklare Stimme der Sängerin und ihr beseelter Ausdruck zu schönster Wirkung kommen. Inbrünstige Sehnsucht, die Leiden mit Christi zu teilen, bestimmen die nächsten Teile. Die Stimme schwingt sich hier oft in exponierte Höhen auf, doch nie lässt die Sopranistin schrille Töne hören. Stets bleibt die Stimme leuchtend und gerundet. Der letzte Satz, „Quando corpus“, endet nach introvertiertem Beginn mit fahlen Akkorden der Streicher ganz verhalten – kein jubelndes, sondern ein nachdenkliches, fragendes „Amen“ ist da zu vernehmen.

 

Das Programm der CD wird ergänzt durch die Sinfonia in D-Dur – ein Frühwerk des Komponisten von 1767 in vier kurzen Sätzen. Es zählt zu den ersten Versuchen Boccherinis, sich mit der größeren Form auseinanderzusetzen. Sein Charakter wird geprägt von eingängigen Melodien und ist dem frühklassischen neapolitanischen Stil verpflichtet. Dem bewegten, stürmischen Allegro folgt ein delikates Andante. Der dritte Satz ist unterteilt in Menuetto primo und Trio – ersteres scheint mit seinen Hörnern ein munteres Jagdsignal zu sein. Das abschließende Presto ist das kürzeste Stück – ein Wirbel, in welchem noch einmal die Hörner brillant auftrumpfen. Mit feinsinnigem Musizieren erweist sich das orchester le phénix nochmals als stilistisch versierter Klangkörper. Bernd Hoppe

Frühwerk in später Fassung

 

Wer nach weitgehend vergessenen, aber durchaus hörenswerten Opern sucht, kann beim als Ein-Oper-Komponisten bekannten Pietro Mascagni fündig werden, und es müssen nicht die immerhin bereits einigen Rettungsversuchen unterzogenen Le Maschere, Iris oder L’Amico Fritz sein. Der Komponist aus Livorno hat außer der populären Cavalleria Rusticana immerhin fünfzehn weitere Opern geschrieben, nach Il Piccolo Marat im Jahre 1921 allerdings elf Jahre lang keine einzige, bis er 1932 auf die Cantata Finlanda, die er zufällig in einem Koffer wiedergefunden hatte, zurückgriff und daraus das zweiaktige Idillio Pinotta gestaltete. Die Librettisten waren  Targioni-Tozzetti und Menasei. Ein Idillio ist Pinotta in vielerlei Hinsicht. Zum einen wird es durch ein Terzett der Zeffiri, angenehm wärmender und schmeichelnder Winde, eingeleitet, zum zweiten spielt es zwar im industriellen Milieu, einer Spinnfabrik, aber mit einem Fabrikbesitzer mit fürsorglich väterlichen Gefühlen für seine Arbeiter, und zum dritten wird sehr viel zu sehr schöner Musik gebetet, ist das Anflehen des Himmels durch Pinotta, die Fabrikarbeiterin, das populärste Stück des kurzen Werks. Übrigens sang bei der Uraufführung in San Remo keine Geringere als Mafalda Favero diese Partie. Fabrikbesitzer Andrea ermuntert seinen schüchternen Arbeiter Baldo, um die noch zurückhaltenere Pinotta zu werden, dieser fast sich ein Herz, nachdem er sie beim Gebet beobachtet hat, und dem gemeinsamen Glück steht nichts mehr im Weg. So wie das Libretto in seiner Harmlosigkeit weit hinter die Themen des Verismo oder die im Umkreis von D’Annunzio beliebten Problemkreise  zurückgeht, auch zur Nummernoper zurückkehrt, so ist auch die Musik angenehm, aber vergleichsweise harmlos, einer Idylle angemessen. Typisch für die Musik ist, dass Andrea „l‘ angelica armonia“, offensichtlich das Lebensziel der Figuren, lobt. Parallelen zur Cavalleria gibt es mit dem Einsatz von Glocken und mit dem Preludio, das von Vokalem unterbrochen wird, mit Chören, die sich aus der Ferne kommend der Bühne nähern. Auf Pinotta folgte dann nur noch Nerone.

Felicia Bongiovanni/ FB

Die Sinfonietta di Milano unter Francesco Ledda nimmt sich des Werkleins liebevoll an, der Coro Quadriclavio di Bologna der für so ein knappes Werk recht reichlichen Chorszenen. Eine feine lyrische Stimme kristallinen Charakters, frisch und hell, hat Felicia Bongiovanni, die „O stella della sera“ mit schöner Innigkeit singt. Sie ist auch der spiritus rector dieser so liebevoll besorgten  Aufnahme – Felicia Bongiovanni ist zudem eine Musikwissenschaftlerin mit dem Gespür für das Seltene, wie ihre bisherigen Aufnahmen zeigen, von denen operalounge.de bereits einige lobend besprochen hat, Pavanellis Vanna zum Beispiel. Einen metallischen Tenor mit beachtlichem Squillo setzt Gianluca Zampieri für den Baldo ein. Sollte er der Wagner-Tenor aus Erl sein, und ein anderer dieses Namens ist nicht auffindbar, dann ist erstaunlich, wieviel Schmelz und Flexibilität sich die Stimme bewahrt hat. Marcello Lippi, der mittlerweile eher Regie führt als dass er singt, ist mit reifem, etwas steifem Bariton der Andrea. Warum führt ein Opernhaus nicht einmal an der Seite der Cavalleria die Pinotta anstelle der Pagliacci auf (itunes/apple)?  Ingrid Wanja

Dokument aus Göttingen

 

Händels Arminio aus dem Jahre 1737 stand auf dem Programm der letztjährigen Händelfestspiele Götttingen. Den Mitschnitt aus dem Deutschen Theater unter Leitung von Laurence Cummings am Pult des FestspielOrchester Göttingen hat ACCENT auf drei CDs herausgebracht (ACC 2609). Die Ausgabe folgt den Produktionen von Alan Curtis bei Virgin und George Petrou bei Decca.

Das Stück basiert auf historischen Tatsachen, nämlich der Niederlage von Varus gegen Hermann in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. Das Libretto nach  Antonio Salvi behandelt allerdings mehr die persönlichen Konflikte von Varo und seiner Liebe zu Tusnelda, die Inhaftierung Arminios durch Segeste und schließlich beider Versöhnung.

Für die Uraufführung am 12. Januar 1737 stand Händel eine attraktive Besetzung zur Verfügung mit den Kastraten Domenico Annibali als Titelheld und Gioacchino Conti als Sigismondo sowie der Sopranistin Anna Strada als Tusnelda. In Göttingen singt der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey den Etruskerfürsten Arminio. Seine Gattin Tusnelda ist die Sopranistin Anna Devin. Beide eröffnen den 1. Akt mit einem Duett („Il fuggir“), in welchem sich die Stimmen gut verblenden. Und sie finden sich auch am Ende der Oper noch einmal im Duett zusammen („Ritorna nel core“), das den glücklichen Ausgang preist. Die Sopranistin lässt in ihrem ersten Solo („Scagliano amore“)  eine in der Höhe limitierte Stimme hören, der zudem ein starkes Vibrato eigen ist. Danach folgt der Counter mit seinem ersten solistischen Auftritt („Al par della mia sorte“), der einen gemischten Eindruck hinterlässt. Die Stimme klingt larmoyant und im unteren Register schwach, was auch seine zweite Arie („Duri lacci“) bestätigt. In der nachfolgenden („Sì, cadrò“) kann er mit bravourösen Koloraturläufen und vehementem Aplomb imponieren. Störend sind hier die lauten Bühnengeräusche. Berührend gestaltet er das Solo im 2. Akt („Vado a morir“) mit entrückten Tönen, die den Tod ahnen lassen.  Mit reicher Klangfülle und auch mehr Substanz in der Tiefe überrascht er in der Arie des 3. Aktes („Fatto scorta al sentier“).

In ihrer zweiten Arie („E’ vil segno“) überzeugt auch Devin mehr mit innigem, beseeltem Gesang. Mit leuchtenden, verinnerlichten Tönen nimmt sie bei „Rendimi il dolce sposo“ am  Ende des 2. Aktes für sich ein. Entschlossen geht sie „Va’, combatti“ im 3. Akt an, lässt aber grelle Spitzentöne hören. Die Altistin Helena Rasker singt Arminios Schwester Ramise, die von Sigismondo geliebt wird. Sophie Junker leiht ihm ihren Sopran, kann aber einen jungen Helden nicht imaginieren – zu leichtgewichtig klingt die Stimme. In ihrer Arie „Posso morir“, die den 1. Akt beendet und ein Wechselbad darstellt mit introvertiertem Gefühl und furiosem Ausbruch, versucht sie ein größeres Ausdrucksspektrum. Rasker mit ihrem energischen, dunklen Ton könnte man sich eher in einer Hosenrolle vorstellen. Ihr beherzter Vortrag und das interessante Timbre erfreuen sehr. Und sie füllt auch eine so liebliche Arie wie „Niente spero“ voll aus. Reizvoll ist ihr Duett mit Tusnelda in wiegendem Rhythmus („Quando più minaccia“) und es ist auch ein musikalisch besonders gelungener Moment. Dazu zählt auch die Arie im 3. Akt („Voglio seguir“) in ihrem kraftvoll-resoluten Duktus.

Die Besetzung ergänzen der römische General Varo (Paul Hopwood mit charaktervollem, in der exponierten Lage bemühtem Tenor), der römische Volkstribun Tullio (der Counter Owen Willetts mit zittrigem Vibrato) und der Verbündete Varos Segeste (Cody Quattlebaum mit verquollenem und in der Höhe gequältem Bassbariton als schwächstes Glied der Besetzung).

Solide ist die orchestrale Leistung, wenngleich man sich gelegentlich einen strafferen, energischeren Zugriff mit mehr Affekten wünschte. Das Klangbild ist gepflegt, entbehrt aber zuweilen der Spannung. Bernd Hoppe

 

Verliebt in Hexen

 

Schelmisch blicken uns Elizabeth Montgomery, Agnes Moorehead und Dick Sargent aus Verliebt in eine Hexe an. Die amerikanische Fernsehserie aus den 1960er und 70er Jahren hat mit dieser Neuaufnahme von Hervé Niquet und Le Concert Spirituel so viel zu tun wie Warren Bakers Musik mit jener von Lully und seinen Zeitgenossen. Gar nichts. Zum 30jährigen Bestehen seines Ensembles zauberte sich Niquet mit seinen Protagonisten Karine Deshayes, Katherine Watson und Reinaud Van Mechelen eine Pasticcio-Oper, L’Opéra des Opéras,  in der Mezzosopran, Sopran und Tenor in die Rollen der jungen Prinzessin, des mutigen Prinzen und der intriganten Zauberin schlüpfen. Ein bisschen Bewitched. Na ja. Immerhin ein hübscher Hingucker, der manchen, wie den Dirigenten selbst, an Uralt-Serien erinnert. Eine solche Uraltserie ist auch die Folge der 33 Nummern aus Ouvertüre, Zwischenspielen, Arien, Chören, Szenen und Duetten, mit der Niquet im Oktober 2017 in der Königlichen Oper in Versailles an die große Zeit der Opéra Royal erinnerte, als Ludwig XIV. beispielsweise 1671 Lully bat, aus Ausschnitten von rund dreißig Balletten ein „Ballet des ballets“ zu kompilieren. Diesem Beispiel und dem beliebten Brauch der Pastiches folgendend, entwarf Niquet L’Opéra des Opéras als Gipfel aller höfischen Opernpracht um 1700. Es funktioniert. Keiner würde merken, dass es sich nicht um eine originale Oper vom Hof Ludwig XIV. handelt. Wir wollen uns nicht mit der unterlegten Story mit den Standardsituationen wie Sturm, Schlaf, Kampf und Anrufungen beschäftigen. Kein Flickwerk ist auf jeden Fall die Musik. Die Abfolgen aus virtuosen Arien, von Trommeln und Trompeten begleiteten Chören und prächtigen Ballettnummern wirken wie aus einer Hand, sind aber von Lully und Rameau, Campra, Bertin de La Doué, Destouches, Stuck, Rebel, Colin de Blamont, Francouer, Montéclair, Leclair und Dauvergne. Benoït Dratwicki vom Centre de Musique Baroque de Versailles, Zwillingsbruder von Palazzetto Bru Zanes Alexandre Dratwicki, schreibt im Beiheft dieser Alpha-Classics-CD (Alpha 442), „All diese Musikstücke hintereinander zu hören, zeugt vom Fortbestand und der Kohärenz des französischen Stils, wie in Lully vorgefunden hatte, und der mehr als 100 Jahre von fünf Komponistengenerationen gepflegt wurde. Selbst wenn die Musik in einem Abstand von mehr als einen halben Jahrhundert geschrieben wurde, stehen die Komponisten zueinander nicht im Kontrast, sondern ganz im Gegenteil miteinander im Einklang. Denn die rechte Deklamation, der Sinn für die Bühne und das Pulsieren der Choreographie sowie die Neigung für harmonische und orchestrale Färbungen sind Elemente, die im Großen und Ganzen alle französischen Autoren dieser Zeit charakterisieren“. Von Mondonvilles Ouverture zu Titon et L’aurore bis zur Prinzen-Arie aus Lullys Armide spannen Niquet und Le Concert Spirituel, die eigentlichen Protagonisten dieses Fest-Pastiches, einen großen Spannungsbogen, dabei flammend und leidenschaftlich in der Sturm-Szene aus Alcyone von Marais, großartig in der subtilen Orchesterkunst der Ausschnitte von Rameau, der dann doch etwas aus dem Kreis seiner Kollegen heraussticht. Schön, wie nahtlos die erwähnte Sturmszene mit den Einwürfen des Prinzen in eine Tenor-Arie aus Rameaus Dardanus übergeht. Reinaud Van Mechelen gibt mit feinem, geschmeidigem Tenor den liebend zurückhaltenden Prinzen, Karine Deshayes zeigt sich in der Rolle der Endora von außerordentlicher Allüre, einzig die zarte Katherine Watson ist nicht ganz so bezaubernd, wie wir es von Samantha erwarten würden (Alpha 442) Rolf Fath

Wegbereiterin der Musik

 

Erato legt eine Neuveröffentlichung von hohem Seltenheitswert vor (0190295632212). Voglio cantar nennt sich diese CD mit der Sopranistin Emöke Baráth, die das Programm rund um die italienische Komponistin Barbara Strozzi konzentriert. Jene war in der Musikgeschichte eine der ersten komponierenden und für ihr Schaffen auch anerkannten Frauen. Neben Kompositionen der Strozzi selbst finden sich in der Anthologie auch Stücke ihres Lehrers Francesco Cavalli und von Antonio Cesti sowie instrumentale Beiträge von Tarquinio Merula und Biagio Marini. Das Programm beginnt mit drei Nummern von Barbara Strozzi – der Arie „Che si può fare “, der Canzone „Mi fa rider la speranza“ und einem Lamento. Die Sopranistin imponiert sogleich mit ihrer klaren, in der Höhe leuchtenden Stimme. Das erste Stück in seiner traurigen Hoffnungslosigkeit fängt sie mit schmerzlich-empfindsamen Tönen plastisch ein. Der nächste Titel ist dagegen von kessem Übermut geprägt, während der dritte einen ernsten Klageton bereithält. Für all diese Stimmungen findet die Interpretin den passenden Ausdruck. Später folgen von Barbara Strozzi noch eine Kantate mit dem Titel „Il Lamento“, die Ariette „Amante loquace“ und die zweiteilige Komposition „L’Astratto“. Die Kantate ist die ausgedehnte balladeske Schilderung von Cinq-Mars, Günstling des französischen Königs Louis XIII., der als Kopf einer Verschwörung gegen Kardinal Richelieu 1642 in Lyon hingerichtet wurde. Das erfordert expressiv-deklamatorischen Gesang, was die Sopranistin beeindruckend erfüllt. Die Ariette ist von heiterem Charakter, der Zweiteiler  „L’Astratto“ gibt in seinem ersten Teil den Titel der CD vor und ist ein energisch-entschlossener Abschluss des Programms.

Cestis Komposition „Speranza ingannatrice“ und Cavallis „Statira, principessa di Persia“ ergänzen die Auswahl. Erstere schwankt zwischen quälender Eifersucht und trügerischer Hoffnung, die zweite besingt Glück und Liebe. Baráth erweist sich auch hier als kompetent und stilsicher.

Das inspirierend begleitende renommierte Barock-Ensemble Il Pomo d’Oro unter Francesco Corti kann in den Instrumentalnummern – der Sinfonia grave und einer Sonata von Marini sowie dem Balletto detto Eccardo von Merula ­– seinen Ruf als einer der führenden Klangkörper in der Pflege der Barockmusik eindrucksvoll bestätigen. Bernd Hoppe

 

Hurra: Ein Heldentenor!

 

Mit einer shining voice daher kommt die Debüt-CD des australischen Tenors Stuart Skelton, die den Titel Shining Knight trägt wie die bekannten Comics mit dem strahlenden, unüberwindlichen Ritter. Zur leuchtenden Stimme, die sich gegenwärtig zwischen Siegmund und Otello bewegt, kommt, wie es das Booklet verrät, noch ein sehr bewusst seine Kunst ausübender Sänger, der der Musik Wagners von Herzen zugetan scheint, denn sie beschenkt ihn mit „comfort, joy, sadness and joy again“.

Bereits beim ersten Track, dem Gebet des Rienzi, lässt sich eine Tenorstimme bewundern, die Schmelz, Flexibilität, viel corpo und einen eindrucksvollen Höhenstrahl in sich vereint, der sie für die lyrischeren Wagnerhelden prädestiniert erscheinen lässt. So folgen denn auch Lohengrin, Siegmund und Parsifal, auf der Bühne hat der Sänger bereits den Tristan verkörpert, noch nicht die Siegfriede und Tannhäuser. Ein manchmal ganz leichter Akzent stört kaum, das Gebet wird mit reicher Agogik gesungen, mezza voce und piano verlieren nicht an Farbe. Ein machtvolles „Gott“ wirkt ungeheuer eindringlich.

Für die Gralserzählung und somit wohl generell für den Lohengrin hat der Tenor noch genügend lyrische Qualitäten, auch wenn er sich von dieser Partie allmählich wegzubewegen scheint, wenn sie weniger silbrig als stählern klingt. Immerhin kommt die „Taube“ so sanft daher, wie der „Gral“ zu strahlen scheint.

Dem Siegmund des ersten Akts der Walküre gelingen ein schönes parlando, ein zärtlicher Klang und ein guter Registerausgleich. Wenn es stürmisch wird, übertrifft die Stimme das Orchester an leidenschaftlichem Einsatz. Man merkt diesem wie allen anderen Tracks an, dass der Sänger diese Musik liebt.

Als Parsifal des zweiten Akts gelingt Skelton das beeindruckendste „Amfortas“, den man sich denken kann, scheint der Künstler ganz in der Partie aufzugehen, wie es auch die schöne Feierlichkeit im dritten Akt bezeugt.

Es folgen die Wesendoncklieder mit Orchesterbegleitung, die offensichtlich ohne jeden Vorbehalt gegenüber den Texten interpretiert, ja eher in deren schwülstiger Sentimentalität noch verstärkt werden. Gut gefallen kann, wie der Tenor die Stimme schlank hält, gut mit dem Tempo von Stehe still zurechtkommt und „sein“ und „ganz“ wie Monolithen, den Schluss wie einen Choral erscheinen lässt. Sehr feinfühlig wird das tristannahe dritte Lied gesungen, sehr zart und extrem langsam, während „Schmerzen“ heldisch strahlend erklingt.

Den Schluss der CD bilden drei Lieder von Charles Griffes, denen der Künstler die gleiche Ernsthaftigkeit und Raffinesse angedeihen lässt wie seinem Gott Wagner. Barbers Sure on this shining night bildet den Abschluss einer CD, die den Hörer in der freudigen Gewissheit bestätigt, dass er einen wahren Heldentenor gehört hat.

Asher Fisch und das West Australian Symphony Orchestra begleiten solide, wenn auch nicht die dem Sänger eigene Leidenschaft für die Musik hören lassend. (ABC 481 7219Ingrid Wanja

Ein Ochs ist kein Frosch

 

Immer etwas problematisch insbesondere in nördlichen Breiten ist die Gestaltung des dritten Akts von Johann StraußFledermaus, der vom slibowitzseligen Frosch dominiert wird. Die Aufnahme mit der NDR Radiophilharmonie unter Lawrence Foster wollte wohl besonders authentisch werden mit einem echten Wiener, nämlich dem Wagnerbass Kurt Rydl in der Partie des Justizvollzugsbeamten, auch ein bewährter Ochs und hier bereits auf dem Fest des Prinzen Orlofsky zusätzlich die Rolle des besonders bei Silvesteraufführungen beliebten special guest einnehmend. Auch er strebt wie die Kammerzofe Adele eine Bühnenkarriere und die Protektion des Prinzen an und bewirbt sich darum mit dem Flohlied des Mephisto von Mussorgsky. Bei der bassgewaltigen Darbietung wundert man sich allerdings, dass er nicht längst auf einer Bühne steht.

Die neue Textfassung der Dialoge des Tenors Nikolai Schukoff, der auch Eisenstein ist, gönnt ihm keine tagespolitischen Anspielungen, nur noch ein paar Noten Osmin und Ochs, sondern spielt lieber insgesamt mit amerikanischen und russischen Wortfetzen, der internationalen Besetzung angemessen, und doppeldeutigen sexuellen Anspielungen wie „bei mir können sie aufsteigen“. Am stärksten erinnert noch die Ida von Alice Waginger an Wiener Aufführungen, während Solisten wie auch Chor (WDR Rundfunkchor) und Orchester eine gewisse Globalisierung des Klangs nicht verleugnen können.

Laura Aikin, die Alleskönnerin, ist eine beherzte Rosalinde mit stählern klingendem Csárdás, den Rhythmus leicht ironisierend, mit sicheren Koloraturen und einigen Problemen beim Registerwechsel im letzten Akt. Eine frische, spritzige Adele singt Annika Gerhards, quietschend vor Übermut, mit üppiger Höhe in Mein Herr Marquis und feinen Differenzierungen für die drei Rollen in Spiel ich…Sehr direkt mit tenoraler Prachtentfaltung recht opernhaft gibt Nikolai Schukoff den Eisenstein, etwas verhuscht im Finale des zweiten Akts wirkend. Christian Elsner darf als Alfred sein Fach mit Florestan und Stolzing antippen, verbreitet aber auch in der Straußmusik tenoralen Wohlklang. Eine ideale Besetzung für den Orlofsky ist Elisabeth Kulman, durchaus wie ein übermütiger, beschwipster Jüngling klingend. Rollendeckend besetzt sind der Frank mit Joachim Schmeckenbecher und Dr. Falke mit Mathias Hausmann. Die Aufnahme entstand im Januar 2018 im Großen Sendesaal des Landesfunkhauses Hannover (2 CD Pentatone  PTC 5186635). Ingrid Wanja

Michael Davidson

 

Der Sänger Michael Davidson starb am 19. Januar 2019. Viele seiner Anhänger werden ihn vermissen, der lange am Nationaltheater Manheim gesungen hat. Ein Blick in das unentbehrliche Kompendium von Kutsch/Riemens zeigt eine ebenso lange wie glanzvolle Karriere.

Davidson, Michael, Bariton, geb. 2.5.1935 Long Beach (Kalifornien) – gest. 19. 1. 2019; er erhielt seine Ausbildung durch Vladimir Dubinsky in Los Angeles. Er kam nach Westdeutschland und debütierte hier 1962 als Opernsänger am Stadttheater von Koblenz in der Partie des Renato in Verdis »Ballo in maschera«. Seine eigentliche künstlerische Heimat fand er am Nationaltheater Mannheim, dessen Mitglied er seit 1966 für mehr als zwanzig Jahre war. Er sang auch gastweise an den Staatsopern von Wien, München, Stuttgart und Hamburg, an den Opernhäusern von Köln, Karlsruhe, Hannover, Wuppertal, Frankfurt a.M. und Essen, an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, in Nürnberg und Dortmund. Er gastierte weiter am Teatro Liceo Barcelona, in Vancouver und Portland (USA). In seinem umfassenden Bühnenrepertoire standen die heldischen Partien im Vordergrund: der Amonasro in »Aida«, der Don Carlo in »La forza del destino«, der Ford in Verdis »Falstaff«, der Rigoletto, der Jago im »Othello«, der Graf Luna im »Troubadour«, der Germont-père in »La Traviata«, die Titelfiguren in den Verdi-Opern »Macbeth«, »Nabucco« und »Simon Boccanegra«, der Gérard in »Andrea Chénier« von Giordano, der Sebastiano in »Tiefland« von d’Albert, der Lescaut in »Manon Lescaut« von Puccini, der Scarpia in »Tosca«, der Faninal im »Rosenkavalier« von R. Strauss, der Graf in dessen »Capriccio«, die vier Dämonen in »Hoffmanns Erzählungen« und der Tonio im »Bajazzo«.

Privat-Aufnahmen (Mitschnitte von Opernaufführungen). [Nachtrag] Davidson, Michael; noch 1997 trat er am Mannheimer Nationaltheater als Jago in Verdis »Othello« auf, s. auch youtube. [Lexikon: Davidson, Michael. Großes Sängerlexikon, S. 5276 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 790; Sängerlex. Bd. 6, S. 285) (c) Verlag K.G. Saur]

Vergebens hoffte man auf einen offiziellen Nachruf von Michael Davidsons Stammhaus, dem Nationaltheater Mannheim, wo man auf den Artikel im Mannheimer Morgen verwiesen wurde – den man als nicht abbonent allerdings ebenfalls leider nicht lesen kann …. Dem Mimen pflicht die Nachwelt“…. G. H.

Über den Niedergang einer Kunstform

 

“Without question, the most important book ever written in English about opera in performance . . .a cri de coeur, documenting the devastation of a single precinct of Western high culture in modern and postmodern times. . . It is hardly an exaggeration to suggest that the fate of 21st-century opera partly hinges on the fate of the bristling insights delineated and pondered in this singular megabook”. Schreibt Joseph Horowitz im The Wall Street Journal.

 

Von Zeit zu Zeit gibt es einen Anstoß, ein neues Buch über etwas, das die Wahrnehmung des Gewohnten verändert oder Zweifel am Gewohntebn verstärkt bzw. erklärt – das 827 Seiten starke Kompendium von Conrad L. Osborn Opera as Opera bei Proposito Press ist so eines, das die Augen für den heutigen Opern-Betrieb, seine akuten Defizite, seine Verwurzelung in zeitlich und politisch langen problematischen Entwicklungen sowie seine Unfähigkeit zur Erneuerung herausarbeitet, beleuchtet, erklärt. Die Oper, sagt der Autor, befindet sich in künstlerischen Untiefen, die weit über die generationsweisen Unterbrechungen hinausgehen und durch Opernliebhabern und Machern selber verschuldet sind.

Das Buch gliedert sich in sieben Teile. Vierzehn Essays über die Kunstform Oper, ein Kapitel über die Produktionen und Ausstattungen, eines über den intellektuellen Background, ein sehr langes über die Auffürungen, ein nächstes über Kritiken und einige Updates, schließlich der Epilog/ die Ausschau und ein letztes Die Backstories (eine Chronologie der audiovisuellen Medien, ein bibliographischer Aufsatz sowie Themen und Variationen). Dazu ein sehr hilfreiches Glossar  und Namensverzeichnis, alles auf satten 827 Seiten ohne Illustrationen, was sicher die Herstellungskosten in schwindelnde Höhen getrieben hätte.

Conrad L. Osborne/ Photo Hammann/ Osborne

Ein Wort zum Autor: Conrad C. Osborn ist in amerikanischen Kritiker- und Opernkreisen kein Unbekannter. Während seiner Karriere als Kritiker von mehr als 60 Jahren hat er Hunderte von Artikeln und Kritiken für das Magazin High Fidelity Musical America, Opera News, The Times und The Financial Times, The Musical Newsletter, Opus, Keynote und viele andere Publikationen geschrieben. Er ist zudem der Autor des Romans O Paradiso und schreibt regelmäßige Beiträge für The Metropolitan Opera Guide to Recorded Opera und Opera on Video. Auch als Schauspieler und Sänger ist er hervorgetreten und hat für lange Jahre Gesang und Interpretation unterrichtet. Osborne saß zudem im Vorstand und in beratenden Positionen mehrerer Kunst-Stiftungen und NGOs. Er lebt und unterrichtet in New York City. Sein zweiwöchiger Blog Osborne on Opera erreicht eine große und ergebene Leserschaft. (Quelle: Klappentext)

Da das Buch in Englisch geschrieben ist und gewisse Kenntnisse der Sprache und auch der Materie voraussetzt, ist es uns eine besondere Freude, von den Kollegen der amerikanischen platform operawire.com (meine morgendliche web-Diät) ein Interview mit Professor Osborn übernehmen zu können, das der Herausgeber und renommierte Musikjournalist David Salazar mit ihm im Dezember 2018 gehalten hat, dies auch in Englisch natürlich. Wir danken für die Großzügigkeit unter Kollegen. G. H.

 

Why ‘Opera As Opera’ Author Conrad L. Osborne Asserts That Artform Is In Creative Decline by David Salazar  “They just don’t sing as well as they used to.” You’ve heard it at some point during your opera-going. Some might dismiss such a statement as Golden Age Fallacy, nostalgic thinking that only emphasizes the positive aspects of the past and holding them up as better than the positives of the modern era.

But Conrad L. Osborne thinks that is very true, not only with singing, but the performance of opera as a whole. Osborne has known opera his whole life. Growing up in Denver in the 1940s, his father, a bass, used to perform at the Denver Civic Operas and would take the five-year-old Osborne to dress rehearsals. But his big fascination with opera often came from the record collection his father kept. “You would fantasize through these records and you imagine what the world must be when you listen to it,” he told OperaWire in a recent interview. He then moved to New York at age nine and took in his first opera experiences at the New York City Opera and Met Opera in 1947; his first City Opera performance was “Carmen,” while at the Met he saw “Il Barbiere di Siviglia.”

He started his career as an actor, then performed a bit as a singer, and started writing criticism in 1959 for Opera News and later for High Fidelity. He would remain a critic for a lengthy period of time, going back and performing intermittently. He also took up teaching, which remains his “day job.” Throughout his life as an opera lover he has felt that the trend toward the artform’s decline is truly real and he believes it so strongly that he spent the better part of the last 18 years writing an 800-plus page book explaining that not only was opera presented in a far superior manner in the past, but that the current trajectory will not lead to the long-term sustainability of the artform.

“Opera as Opera” is an encyclopedic look at every single aspect of the artform and how it has devolved over the last century. He breaks down trends in directing, singing, acting, and even the creation of operas in the 20th century, all of which he feels have contributed to the artform’s decline. He does establish that opera’s challenges in the 21st century are also demographic and economical, but for him the central issue that is causing the increasing marginalization is an artistic one.

C.L.O. (L.) with bass-baritone Michael Burt (R.) and a friend, southern Austria, l988/ Photo Osborne

Repertory Stagnation: It all starts with the repertoire. Osborne posits that the main staples of the operatic canon start with the major works of Mozart and stretch through until the operas of Richard Strauss; he calls this the Extended 19th Century or “E-19 for short.” Osborne does note that many operas from before and after this period have become part of the repertoire, but in his view, these works are the ones that are part of the “renewable re-affirmability that sustain our operatic institutions.” Moreover, he notes that operas of this period showcase similarity of content in terms of the music, plot and themes they tell, even if there are marked differences of style throughout the period.

In his view, there is a general “flight from E-19” with new operatic creators placing more emphasis on theory and philosophy with regard to how the artform is created, de-emphasizing the narrative roots that were at the core of major staples.

In musical terms, he points to the “atonalists and serialists, creating a whole new language that forbid diatonic melody and sought to express things in different way.” The idea was taken up by the musical intellectuals, pedagogues, and institutions, leading to the idea that “simple, expressive melodies” were outdated for expressive purposes. “And if you did [use melodies], then it had to be so harmonically disguised that the listener couldn’t pick up on it anyway,” he added. “That’s a central problem as far as opera is concerned,” Osborne further opined. “The singing-actor is the center of the operatic experience and characters are expressed through their individual vocal achievements. If you don’t have melody to sing or take advantage of how the voice has been developed over 400 years or so of operatic history, you don’t have much of anything at the center of the form’s expressive possibilities.”

He noted that the result is opera getting built up of other things. “Modernism is built up of materials and structure. The content is not the subject. The subject is the materials.” He referenced the idea that in modern art, the subject of the painting is not what is being depicted, but the paint and canvas itself. In music, the harmonic structures, rhythm, and instrumental timbre are given preponderance over melody in modernism. “That isn’t to say that it isn’t interesting. Some modernist music is very compelling. But it’s not an individual, subjective, emotional expression based on the vocal line, which is, by definition, melodic.”

On a narrative level, Osborne believes “another issue is that everyone is floundering about trying to figure out what there is to sing about. What kind of story makes an opera and how can we tell the story in operatic terms? It isn’t that people aren’t intelligent, or skilled, or creative. But how do you apply them and find solutions to those problems and tell stories in operatic manner.”

Osborne mit Ehefrau und Schauspielerin Molly bei Ralph Lauren’s, Chicago, 2001/ Photo Osborne

He devotes an entire chapter to exploring the stories and themes explored continuously throughout E-19 operas and why they were so potent for operatic expression; he feels that these principles have been largely abandoned by modern-day librettists. The result is a proliferation of many new works, but few (or none in his estimation) that actually get repeatedly produced and retain strong places in the repertoire. “For a little over 100 years now, we haven’t been adding to the canonical repertory with any degree of success at all,” Osborne noted, emphasizing an overall quality gap that has made these works lack the transcendence of something like the operas of Wagner, Verdi, or Mozart, among others.

That isn’t to say that Osborne hasn’t found anything of quality. He referenced that some composers, such as Thomas Adès, have occasionally excited him. “[Sometimes you run into] compelling passages and scenes, but in terms of adding up to a whole piece that I want to see or hear again or get the score, I don’t ever come away feeling that. Occasionally, I wonder if a different cast or different conductor and director, I wouldn’t mind seeing what might be brought out of it. But that’s as far as I get.”

One particular opera that did pique his interest and makes a prominent appearance in the book is George Benjamin’s “Written on Skin.” Osborne noted that one of the work’s finest features is its narrative, which returns to the medieval roots that most E-19 operas were so successfully based on. “I found the piece quite fascinating and I think it is very compelling and very well-produced and performed,” he noted though he did warn that it is a “a connoisseur’s piece” and worried about whether it would ever hold a place alongside “La Traviata” or “Turandot” in the standard repertory with audiences clamoring at which great opera singer would step up to interpret it at a major theater. “It’s a piece to be appreciated on a more specialized and somewhat more intellectualized level. And that’s fine. It’s a good opera and I think it will have revivals and be done. But it isn’t the kind of opera that will be repeatable or renewable works that will be part of your core repertory.”

Directors As Authors: Because there is repertory stagnation, large opera companies must keep returning to the well of E-19 operas to keep the organizations alive and vital. But in his view, there has been a mistake in how these works have been presented, with the implementation of cultural revisionism and authorial production methods distorting not only the works, but the understanding of what an interpreter is.

The person at the center of this movement? The director. Osborne notes that for him the director’s first and primary job “is to work with the performers to help them find their own creative ways through roles and to bring that out of them on the stage. To find what it is that they individually can bring to a role. And then to coordinate and stage that. And to conform it a very broad outline of the ‘aboutness’ of the work. “Within those boundaries there is an infinite variety of things that you find. Any individual performer or good actor going about looking at these parts will find very different things from another good actor and still be true to the basics of what’s there in the text. And the same with the musical expression of it. Any good singer with a good stylistic feel for a Verdi aria, who looks carefully at what is there in the text and consults his own imagination about what’s going on inside the character, can come up with different interpretations and responses from another artist of that caliber. And any good director will accept that, as long as it doesn’t get out of line with the overall arc that is being done with how the story is being told.”

The “aboutness” is crucial for Osborne as in his estimation, it comes directly from the text and its intentions; not derived from the director’s own imagination of what he or she wishes was in the text. But that is precisely what the director is doing when he or she becomes another author, instead of interpreter, as is the case in the modern opera system. “In my view, it is not the director’s prerogative to believe that he can tell a different story, rewrite the text to mean something that he or she prefers would have been said. If the director doesn’t like what is said or doesn’t think it is relevant, then he should direct something else,” Osborne pointed out. “[In many productions today], the director really is the co-author of the piece. And for me that is an enormous distortion of how interpretation should be done.”

Der Autor, David Salazar, Chefredakteur von operawire.com/ Linkin

This creates issues with how performers can develop and express their characters onstage. Osborne referenced an interview that famed tenor Jonas Kaufmann had with Marie d’Origny in NYBooks.com to set the table. “[Kaufmann] talks about going around from production to production trying to find how to express what it is that you believe about the character, but everything going on around you has nothing to do with that,” Osborne explained. “He even says it would be amusing if it wasn’t sad. He just tries to remember what the last ‘traditional’ impression he had of the role was and tries to go ahead and do that, even though everything around him is something else. And when he tries to bring it up with the director and asks why they have to do something that isn’t indicated and that he as a performer doesn’t believe is going on with the character, he’ll be told not to be so literal about it.” (…)

 

Soweit unsere Übernahme … die restlichen Teile des Interviews lesen Sie weiter auf der originalen platform operawire.com. Dort spricht Osborne über die verlorenen Stimm-Traditionen und die Hoffnung, die ihm doch noch bleibt:  “An effort has to be made from an interpretative point of view to restore the essential integrity of what interpretation is,” he stated. “Any of the canonical operas can still be a thrilling, exciting, transformative experience, if they are performed well enough.” (Conrad L. Osborne: “Opera as Opera – The State of the Art”, Proposito Press, 827 Seiten, Personenverzeichnis,  2018, ISBN 978-0-9994366-0-8/ oder direkt bestellen beim Autor: conrad@conradlosborne.com

CHARMANT, GALANT UND HOMOGEN

 

André Campra steht zeitlich zwischen Lully und Rameau und will nicht so richtig aus deren Schatten treten. Er begann als Kirchmusiker, seine erste Oper L’Europe galante (1697) gilt als erstes maßgebliches und beliebtes Werk der Gattung Opéra-ballet, das über Jahrzehnte in Paris gespielt wurde. Bereits 1973 nahm Gustav Leonhardt Auszüge diese Oper mit La Petite Bande für Schallplatte auf. In der Folge versuchte man wiederholt, Campra zurück ins Rampenlicht zu holen: bspw. Jean-Claude Malgoire spielte 1986 Campras Tragédie lyrique Tancrède (1701) ein, William Christie und Les Arts Florissants 1991 Idoménée (in der Version von 1732). 2011 erschien Campras zweite Opéra-ballet Le carnaval de Venise (1699) in einer schönen Aufnahme Hervé Niquets und seines Concert spirituel, 2015 erneut Tancrède mit dem Ensemble Les Temps Présents dirigiert von Olivier Schneebeli.

Die Neueinspielung des L’Europe galante entstand im November 2017 in Versailles und ist die erste Gesamtaufnahme bei der eigenen Firma Chateau de Versailles Spectacles. Das Genre der Opéra-ballet hatte schon zuvor Prototypen, bspw. 1695 Le Ballet des Saisons von Pascal Colasse. Besonders ist bei Campra, daß seine Oper weder mythologische oder antike noch allegorische Helden als Hauptfiguren hat, sondern in Abfolge Liebesgeschichten erzählt. Die Liebe in vier Ländern wird besungen, man sieht und hört eine Länderreise als Revue in vier Akten mit vier eigenständigen kurzen Handlungen und einem Vorspiel, das das Thema vorgibt. Die Charakterisierung der Länder bildet Kontraste, der französische Akt ist pastoral, eine nächtliche Serenade für Spanien, ein italienischer Maskenball und farbiges Kolorit im osmanischen Serail. Die barocken Stimmungen schwanken, mal charmant, mal launisch, edelmütig und schwärmerisch, eifersüchtig und temperamentvoll. Die einzelnen Nummern sind stets kurz, die Handlungen sind durch Divertissements unterbrochen, die orchestralen Zwischenstücke, Chöre und Tänze setzen auf Abwechslung, Schwung und instrumentale Raffinesse – das Anhören ist kurzweilig, aber genrebedingt ohne Spannungsbogen. Rameaus bekanntes Opéra-ballet Les indes galantes nimmt nicht nur im Titel Anleihen bei Campra.

Musiziert und gesungen wird in dieser Einspielung charmant, galant und homogen. Fünf Sänger singen 18 Rollen, Sopranistin Caroline Mutel als etwas zu wenig verführerische Venus und die warm timbrierte Mezzosopranistin Isabelle Druet als Discorde bestimmen den Prolog, die kanadische Sopranistin Heather Newhouse als spröde Schönheit Céphise, Isabelle Druet als Doris und der vielfältig einsetzbare Bassist Nicolas Courjal mit durchgängig schöner und ausdrucksvoller Stimme als Silvandre stellen das Dreiecksverhältnis des französischen Akts dar. Tenor Anders J. Dahlin – ein bemerkenswerter haut-contre – als Dom Pedro und Nicolas Courjal als Dom Carlos rivalisieren in Spanien unter den Balkonen. In Italien prägen dunkle Leidenschaft und Eifersucht die Liebe Octavios (Nicolas Courjal) zu Olimpia (Isabelle Druet). Und im Serail verliebt sich die Sklavin Zaïde (Isabelle Druet) in Sultan Zuliman (Nicolas Courjal), der Roxane (Caroline Mutel) nicht mehr begehrt. Sébastien d’Hérin dirigiert das mit 28 Musikern besetzte Ensemble Les Nouveaux Caractères, der Eindruck ist frisch und lebendig. Die Ouvertüre schreitet zeremoniell tänzelnd und pompös, als ob dem Sonnenkönig gehuldigt wird, danach hört man eine Interpretation mit viel Sinn für Details, bei der die jeweils aufspielenden Einzelinstrumente oft im Vordergrund sind. Die 18 Chorsänger haben einiges zu tun und meistern ihre Aufgabe souverän. In der Summe eine gelungene und lückenschließende Einspielung mit vielen Stärken, bei der man bestenfalls anmerken kann, dass manchmal ein pastoser Pinselstrich fehlt, der etwas mehr Kontur verleiht (2 CD,  Château de Versailles Spectacles, CVS002). Marcus Budwitius

Gruppengedenken

 

Vielleicht hätte Giuseppe Verdi doch ein neues Libera me für seine Messa da Requiem komponiert, hätte er gewusst, dass mehr als hundert Jahre nach seinem Brief an seinen Verleger Ricordi mit dem Vorschlag, die damals berühmtesten Komponisten Italiens sollten ein Requiem für den verstorbenen Rossini schreiben, dieses zwar komponierte, aber nie gespielte Werk doch noch im Jahre 1988 vom Leiter der Stuttgarter Bachakademie, Helmuth Rilling, uraufgeführt werden sollte. Auf jeden Fall – Mercadante hatte sich Verdi als einen von zwölf Mitstreitern gewünscht, doch dieser sagte wegen Hinfälligkeit ab. Zeitgenössische Opern- und Kirchenmusiker (die man in Teilen – wie Cagnoni oder Nini – heute von ihren Opern in Martina Francas Festival der jüngeren Jahren kennt) sagten zu, doch die von Verdi vorgesehene Aufführung in der Kirche San Petronio von Bologna, nach der die Komposition in einem Archiv verschwinden sollte, kam auch wegen des Widerstands der Verleger nicht zustande, nur das vorgesehene Archivieren fand tatsächlich statt. Für die Nachwelt entdeckt wurde sie von David Rosen; Pierluigi Petrobelli, der Leiter des Istituto Nazionale di Studi Verdiani machte sie Helmuth Rilling zugänglich. Nach dem Konzert in Stuttgart fanden noch Aufführungen im Dom von Parma und in Pesaro statt, auch in Frankreich und England spielte man das Werk.

Interessant ist die Messa per Rossini, die Riccardo Chailly im November 2017 in der Scala aufführte, nicht nur, weil sie einen Einblick in das Schaffen der damals bekanntesten Kirchenmusiker Italiens gibt, sondern auch weil man anhand der Veränderungen, die Verdi am Libera me für sein Requiem vornahm einen Einblick in seine Entwicklung als Komponist bekommt. Erstaunt ist man darüber, dass Namen wie BoitoPonchielli oder Faccio fehlen, doch das vorzügliche Booklet zur Aufnahme der DECCA weiß das Rätsel zu lösen. Sie wurden als nicht für reif genug für das Werk empfunden. Immerhin sind die einzelnen Beiträge durchaus von beachtlicher Qualität, insbesondere die Vorspiele und die Chöre, die von den Sängern der Scala so gewaltig wie kultiviert zu Gehör gebracht werden. Das Besondere dieser Messe ist der Einsatz von fünf Solisten, auch ein Bariton ist neben den anderen Stimmfächern vertreten.

Requiem und Kyrie stammen von Antonio Buzzolla, der in Berlin und Venedig wirkte und der ein dramatisches Orchestervorspiel beisteuert, ein eindrucksvolles Arrangement und eine reiche Agogik. Das Dies Irae ist Antonio Bazzini zu verdanken, der die Stimmen durch das Entsetzen peitscht und schließlich in Hoffnungslosigkeit ersterben lässt. Puccini und Catalani waren in Mailand seine Schüler. Auch das Turbam mirum hat eine interessante Orchestereinleitung, der Bariton Simone Piazzola klingt angemessen hohl und dumpf. Carlo Pedrotti, zur Zeit der Komposition Intendant des Teatro Regio, hatte auch in Amsterdam italienische Opern aufgeführt. Quid sum miser komponierte Antonio Cagnoni, wie Verdi an einer Oper über King Lear arbeitend, es klingt wenig geistlich, die beiden Frauenstimmen gehören Maria José Siri, deren aufblühender Sopran höchst angenehm zu hören ist, und dem Mezzosopran Veronica Simeoni. Das Recordare ist Carlo Pedrotti zu verdanken, Begründer der concerti popolari, hier durch einen Chor wie zu einem Opernfinale gehörend auffallend. Das Ingemisco ist  Alessandro Nini, Leiter der Basilica Santa Maria Maggiore in Bergamo und der angeschlossenen Musikschule, zu verdanken, einem Kirchenmusiker, dessen Musik der Tenor Giorgio Berrugi opernhafte, schmachtende Tragik mit schönem Material verleiht. Ein wildes Toben entfesselt der Bass Riccardo Zanellato mit dem sanften Damenchor im Hintergrund in Raimondo Boucherons Confutatis. Der Komponist war mehr noch als durch seine Musik durch seine theoretischen Werke zur Ästhetik berühmt. Der erste Teil wird beschlossen durch das Lacrymosa mit einem nicht enden wollenden Amen, ansonsten aber wohl einer der schwächeren Beiträge trotz des schönen Schwelltons am Schluss. Carlo Coccia hatte seine Meriten eher bei der opera buffa (wenngleich seine jüngst aufgeführte und in operalounge.de besprochene Oper Catarina di Giusa doch tragisches Format aufwies G. H.)

Vergeblich wartet man im Offertorium auf die Feinheiten eines Verdischen Hostias, hier geht es dank Gaetano Gaspari durchweg hochdramatisch zu. Er war Kapellmeister von San Petronio in Bologna, wo die Messe aufgeführt werden sollte. Vielleicht gehörte er auch deswegen zu den drei zunächst als alleinige Komponisten vorgesehenen Künstlern. Rauschhaft klingt das Sanctus mit Sopran und Chor von Piero Platania, innig das Agnus Dei, das der Mezzosopran angemessen singt. Lauro Rossi, nach dem das Theater in Macerata benannt ist, ist der Schöpfer. Die drei Herren zünden die Lux Aeterna an, Teodulo Mabellini, in Oper wie Kirchenmusik zu Hause (und vor kurzem mit einem langen Artikel in operalounge.de gewürdigt), lässt es teilweise a cappella erklingen. Wunderbar zart zeigt der Sopran im Libera me, dass er auch des Singens des Verdischen Requiems würdig wäre.

Riccardo Chaillly und das Orchester (und Chor) der Scala wirken natürlich weit italienischer und weit opernhafter als die Aufnahme mit Helmuth Rilling und werden so vielleicht zu den eigentlichen späten Geburtshelfern des interessant-kuriosen Werks (DECCA 483 4084). Ingrid Wanja    

Keusche Töne

 

Miriam Feuersinger und Franz Vitzthum sind die Solisten in der Einspielung von Christoph Graupners Duo-Kantaten bei CHRISTOPHORUS (CHR 77427). Sie werden begleitet vom sechsköpfigen Capricornus Consort Basel, das unter der Leitung von Peter Barczi für zarte, liebliche Klänge sorgt. Die vier Kompositionen für Sopran und Alt schrieb der Komponist, der von 1683 – 1760 lebte, 1712 und 1720. Aus dem Erzgebirge war er als junger Mann an die Leipziger Thomasschule gekommen, wo er eine fundierte musikalische Ausbildung genoss. Von Leipzig ging er nach Hamburg, das mit seinem Theater am Gänsemarkt ein Zentrum des Musiklebens darstellte. Der Komponist Reinhard Keiser spielte bei diesem Unternehmen eine führende Rolle und wurde für Graupner ein neuer Lehrmeister. Bis zu seiner Erblindung 1754 schrieb dieser Werke von hohem musikalischem Niveau. Sie werden heute in der Hessischen Landesbibliothek Darmstadt verwahrt und warten großteils noch auf ihre Wiederentdeckung.

Der Capricornus Consort stellt den vier Kantaten, die hier erklingen, jeweils einen Satz aus dem Instrumentalschaffen Graupners voran, der in der Art einer Sinfonia auf die Vokalwerke einstimmen soll. Diese sanften, ruhig fließenden Stücke sind ebenso wie die Begleitung für die Sänger in den Kantaten auf den intimen Rahmen der Darmstädter Schlosskapelle abgestimmt. Die beiden Sängerinnen, Anna Maria Schober und Margaretha Susanna Kayser, hatte Graupner von der Hamburger Oper abgeworben. Sie hoben im Juni 1712 die beiden Kantaten Demüthiget euch nun und Wenn wir in höchsten Nöthen seyn aus der Taufe. Erstere eröffnet – nach dem Instrumentalstück Le Desire aus der Ouvertüre in F-Dur – das Programm der CD. Sie besteht aus zwei Duetten, einer Arie und einem Recitativo accompagnato, gesetzt in opernhafter Da-capo-Manier. Die österreichische Sopranistin Miriam Feuersinger und der deutsche Countertenor Franz Vitzthum bestechen im eingehenden Duett durch eine geradezu mirakulöse Verblendung ihrer Stimmen. Beide klingen in ihren Soli angenehm gerundet, auch in der exponierten Lage ohne jede Schärfe oder Schrillheit. Meisterhaft beherrscht wird das virtuose Vokabular, seien es Triller, Koloraturen oder Auszierungen, wie das abschließende Duett beweist. Die andere Kantate, die in der Reihenfolge als dritte ertönt, wird von einem Choral eingeleitet, den beide Stimmen unisono singen. Danach folgen zwei Arien, ein Accompagnato und ein Duett. Wieder erstaunt die perfekte Verschmelzung der Stimme des Soprans mit der des Altus.

Die zweite Kantate der Programmfolge ist Waffne dich, mein Geist, zu kämpfen von 1720, die erstmals in der Darmstädter Schlosskapelle zur Aufführung kam. Ihr wird das Affettuoso aus der Trio-Sonate in D-Dur vorangestellt. Auch hier findet man die Kombination aus Arien, Recitativi und einem Duett. Der Altus eröffnet mit einer bewegten Arie, deren Text der Kantate den Titel gab. Die Partie wurde wahrscheinlich für den Kastraten Antonio Gualandi, genannt Campioli, geschrieben, der in Darmstadt engagiert war. Die folgende Arie „Jesu, teure Kraft der Schwachen“ ist ein inniges Largo, in welchem die Sopranistin mit empfindsamem Vortrag berührt. Das finale Duett „Komme, teure Himmels-Gabe“  vereint dann wieder beide Interpreten in einem jubelnden Preisgesang.

Das letzte Beispiel aus Graupners Kantatenschaffen ist Weg, verdammtes Sündenleben. Nach einer Sonata in g-Moll gibt es wiederum die bekannte Zusammenstellung aus zwei Arien, Rezitativen und einem Zwiegesang als Abschluss. Erneut beginnt der Altus mit einem Gesang von sanfter Schönheit und auch dieser Part wurde für den Kastraten Campioli komponiert. Der Sopran hat danach eine Arie von berückendem Wohllaut, während der Schluss beiden Solisten vorbehalten ist. Im Duett „Mein Leben, meine Freude“ können sie noch einmal gebührend jubilieren. Bernd Hoppe

Caligula im Wahn

 

Giovanni Maria Pagliardis Oper  Caligula, die 1672 bei ihrer Uraufführung am Teatro San Giovanni e Paolo in Florenz auf Anhieb erfolgreich war und danach mehr als zehn Jahre in ganz Italien gespielt wurde, gibt ALPHA in einer ungewöhnlichen und sehr reizvollen Produktion mit der Compagnie nationale de Théatre Lyrique et Musical, Arcal, und dem Ensemble Le Poème Harmonique auf Blue-ray Disc heraus (716). Die Aufführung ist von Mimmo Cuticchio für Marionetten konzipiert, welche die Spieler zur Ouvertüre auf der winzigen Miniatur-Bühne von Isaure de Beauval vorstellen und sogleich in einen dramatischen Zweikampf ausbrechen, der die Konflikte der Handlung symbolisiert. Das Stück handelt vom römischen Kaiser Caligula, der sich in die unbekannte Königin Teosena verliebt hat und von ihr ein Porträt anfertigen lassen möchte. Das löst bei Caligulas Gattin, Kaiserin Cesonia, Gefühle der Eifersucht aus. Auch den beauftragten Maler bringt es in Verwirrung, ist er doch kein anderer als Teosenas tot geglaubter Gatte Tigrane, der einen Schiffbruch überlebt und sich verkleidet hat, um in Teosenas Nähe zu gelangen. Aber er muss auch gegen seinen Herrn Artabano, König der Parther, kämpfen, der ihn als Sklaven gekauft und sich gleichfalls in Teosena verliebt hat und sie entführen will. Höhepunkt des Werkes ist Caligulas Wahnsinnsszene, in welcher er seine Gattin verstößt, der alten Amme den Hof macht, sich für Herkules hält, der Diana verfolgt, und schließlich als Hirte den Mond anbetet. Daraufhin setzt der Senat Caligula zugunsten des Patriziers Claudio ab und ruft Cesonia aus ihrem Exil zurück. Tigrane macht seine Ansprüche auf Teosena gegenüber Artabano geltend, der nicht begreift, dass die Königin einen Sklaven ihm vorzieht. Überraschend kommt Caligula, der sich bis auf das Blut verletzt hatte,  wieder zu Verstand und kehrt zu seiner Gattin zurück, womit das lieto fine gesichert ist.

Das zauberhafte Spiel der Pupi von Cuticchios Teatro die Pupi figlie d’Arte gibt der Aufführung einen ganz eigenen Zauber. Die Sänger sind ausgewiesene Barock-Spezialisten, so der Tenor Jan van Elsacker in der Titelrolle, die Sopranistinnen Caroline Meng als Cesonia und Sophie Junker als Teosena, der Bariton Florian Götz als Artabano und der Countertenor Jean-François Lombard als Tigrane und Claudio. Vincent Demestre leitet Le Poème Harmonique mit großem Gespür für das musikalische Idiom des Frühbarock.

Das Booklet der Ausgabe bietet zwar kein Libretto, aber einen dreisprachigen Einführungstext, darunter auch – oh Wunder! –  in Deutsch. Bernd Hoppe

LICHT UND SCHATTEN

 

Der 1733 in Venedig uraufgeführte Motezuma gehört zu den rekonstruierten Opern Vivaldis, nur der zweite Akt ist vollständig erhalten, der erste und dritte nur teilweise, manchmal finden sich auch noch Fragmente fehlender Arien. Alan Curtis legte 2006 eine schlüssige Einspielung bei Archiv/Deutsche Grammophon  vor, bei der der Vivaldi-Experte Alessandro Ciccolini die fehlenden Stellen ersetzte bzw. Rezitative neu komponierte. Auf dieser Basis wurde 2008 im Teatro Comunale di Ferrara ein Live-Mitschnitt  auf DVD erstellt. Motezuma handelt von der spanischen Eroberung Mexikos durch Cortés und die Niederlage der Azteken und ihres Herrschers. Die Inszenierung (Regie: Stefano Vizioli) belässt die historische Einordnung, man sieht bunte Fantasie-Azteken im Kampf gegen die spanischen Eroberer, Szenenfolge, Tempo und Dramatik stimmen, beide Parteien sind gleichberechtigt, Cortés und Motezuma sind als Gegenspieler auf Augenhöhe. Das Bühnenbild von Lorenzo Cutuli ist durch ein auf dem Boden liegendes großes goldenes Kreuz als Podest gekennzeichnet, das blutverschmiert ist und eine waffenähnliche Spitze hat – Katholizismus und Kolonialismus gehören hier zusammen. Symbolische Farben und  Licht erzeugen Stimmungen, in der Summe sieht man eine schlüssige und homogene Produktion und wem die CD-Einspielung nicht genügt, der wird hier eine anschauliche  Bühnenfassung finden, die auch musikalisch überzeugt. Curtis und Il Complesso Barocco spielen animiert und eloquent ohne Extreme oder Zuspitzungen und verzichten wie gewöhnlich auf Countertenöre. Stimmen und Darstellung passen zusammen, nur ein Sänger der CD-Aufnahme findet sich auch auf der DVD wieder: Vito Priante singt erneut die Titelrolle. Die deutsche Mezzosopranistin Franziska Gottwald singt den Cortés, die interessanteste Figur ist die Mitrena von Mary-Ellen Nesi. Die Liebesgeschichte zwischen Montezumas Tochter Teutile (Laura Cherici) und Cortès‘ Bruder Ramiro (Theodora Baka) ist eher mager, dennoch bietet Motezuma aufgrund seines Themas und Potentials als politische Barockoper spannende Konflikte. 20 Minuten Zusatzmaterial zur Produktion und ein viersprachiges Beiheft werten diese Aufzeichnung weiter auf (2 DVD, Dynamic 33586).

Welten entfernt von Motezuma ist hingegen der ebenfalls bei Dynamic auf DVD erschienene Il Farnace. Keine andere Oper hat Vivaldi so oft überarbeitet, es gibt Versionen aus den Jahren 1727 1730, 1731 und 1732. 1738 änderte der Venezianer erneut für den Karneval des Folgejahrs in Ferrara, in der zum ersten Mal ein Kastrat für die Titelrolle vorgesehen war. Die von Dynamic als DVD herausgebrachte Live-Aufzeichnung erfolgte im Mai 2013 in Florenz und lässt viele Fragen offen. Regisseur Marco Gandini inszeniert semikonzertant: Bühne und Kostüme wirken improvisiert und ohne erkennbaren visuellen Reiz, Metallgestelle, Neonröhren, Affekt und Effekt finden in den Szenen kaum zueinander. Die Sänger singen meistens vom Blatt, die Rezitative hingegen sitzen, es gibt Notenständer an verschiedenen Stellen, die Inszenierung positioniert sie mal hier mal dort. Der Chor singt aus dem Orchestergraben und ist nicht ins Geschehen eingebunden. Visuell wird hier der Oper nichts hinzugefügt außer Alibi-Konstellationen. Wieso man diese Produktion auf DVD veröffentlichte, ist rätselhaft. Tatsächlich scheint sie auch auf CD vorzuliegen. Statt drei gibt es nur zwei Akte – die seltsame Edition von Bernardo Ticci wirft Fragen auf, die das Beiheft nicht ansatzweise beantwortet. Man verwendet die Version von 1738, besetzt die Titelrolle aber nicht mit einem Countertenor. Mary-Ellen Nesi ist eine sehr gute Wahl als Farnace, wie überhaupt die Frauenfiguren Eindruck hinterlassen: Sonia Prina ist Tamiri, Roberta Mameli singt die Gilade und Delphine Galou die Berenice. Die guten Männerstimmen von Magnus Staveland als Aquilio und Emanuele d’Aguanno als Pompeo bleiben dagegen etwas unauffällig. Federico Maria Sardelli dirigiert kein Barock-Ensemble, sondern das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino. Sowohl Curtis bei Motezuma als auch Sardelli bei Farnace wählten die Sinfonia aus Vivaldis Bajazet als Ouvertüre. Der Vergleich geht eindeutig zu Gunsten von Curtis und Il Complesso Barocco aus, die federnder und geschmeidiger musizieren. Auch sonst wird wenig geboten, es gibt kein Zusatzmaterial und lediglich ein zweisprachiges Booklet. Diego Fasolis Einspielung des Farnace von 1738 mit Max E. Cencic bei Erato ist allemal empfehlenswerter, Mary-Ellen Nesi singt dort übrigens die Berenice (2DVD, Dynamic 37670). Marcus Budwitius

Sanfte Klänge

 

Virtuose Musik der venezianischen Renaissance stellt die Sopranistin Ulrike Hofbauer in ihrem Album „Co’l dolce suono“ bei audite (97.731) vor. Begleitet wird sie vom Baseler ensemble arcimboldo unter seinem Gründer Thilo Hirsch. Es sind Kompositionen für Sopran, Blockflöte und Streicher aus dem Künstlerkreis um Silvestro Ganassi, Adriano Willaert und Polissena Pecorina, die allesamt in Venedig wirkten. Mit ihrem silbrigen, reinen Sopran bietet die Solistin den Feunden dieses Genres großen Hörgenuss, so in dem Stück, welches der Sammlung den Titel gab – „Quando do’l dolce suono“ aus dem Primo libro di Madrigali von Jacques Arcadelt – oder der letzten Nummer, „Passa la nave“ von Adriano Willaert wegen  der tiefen Empfindung im Vortrag. Schon im ersten Beitrag, „Il bianco e dolce cigno“, gleichfalls von Arcadelt, becirct die Sängerin mit süßen, leicht getupften Tönen und keuscher Anmut. Einen Text von Petrarca, „Lasciar’ il velo“, vertonte Francesco de Layolle in asketisch strenger Anmutung. Jacquet de Berchem schrieb „O amorose mamelle“ mit orientalisch tönenden Melismen. „Un giorno mi pregò una vedovella“ von Willaert zeugt davon, dass der Komponist sich auch im volkstümlichen Idiom auskannte.

Mehr als die Hälfte der eingespielten Stücke sind reine Instrumentalwerke, welche auf Violen da gamba musiziert werden, die nach Instrumenten der Renaissance rekonstruiert wurden. Man dürfte damit dem Klang der Instrumente in jener Epoche nahe gekommen sein – er ist spröde, aber sehr reizvoll. Da finden sich Stücke von Willaert, wie das von der Blockflöte lieblich umspielte „Amor mi fa morire“, oder Madrigali und Ricercari von Giulio Segni, Giacomo Fogliano und Ganassi. Die sechs Mitglieder des ensemble arcimboldo überzeugen mit ihrem kultivierten Spiel, das viele filigrane Finessen offenbart (Foto oben Hofbauer). Bernd Hoppe