Beeindruckendes Engagement

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„Ambizioso spirto …!“ Singt Lady Macbeth und meint damit sich oder ihren Mann. Und da hat sie ja auch recht. Es geht ja nichts über Ehrgeiz, bloß keine halben Sachen. Was nicht immer klappt …

Das Label Palazzetto Bru Zane hat es sich zwar vor allem zur Aufgabe gemacht, ganze Teile des in Vergessen geratenen musikalischen Erbes aus dem französischen 19. Jahrhundert wiederzuentdecken, schließt jedoch (nicht immer nachvollziehbar) die Produktion neuer Versionen für Werke, die bereits dokumentiert sind, nicht aus. Nun ist Edouard Lalos Le Roi d’Ys (von 1878 an der Opéra-comique) an der Reihe.

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Edouard Lalo/Wikipedia

Um was geht´s?  Das Libretto stammt von Édouard Blau und basiert auf einer Bretonischen Legende vom Untergang der mythischen Stadt Ys.. Im Königreich Cornouaille an der bretonischen Küste in mythischer Zeit neigt sich der Krieg zwischen Prinz Karnac und den Einwohnern der Stadt Ys endlich dem Ende zu. Die Bedingung des Friedensvertrags ist, dass Karnac Prinzessin Margared heiratet. Doch ihre Liebe zu Mylio, der mit ihrer Schwester Rozenn verlobt ist, wird eine schreckliche Flutwelle auslösen, die von ihrer Rachsucht angefacht wird. Édouard Lalo fand hier ein inspirierendes Libretto, das er mit einer selten erreichten theatralischen Dringlichkeit umsetzte. Die Figuren leben ihre Leidenschaften aus, unterstützt von einer vehementen, farbenfrohen Orchestrierung. Insbesondere die Rolle der Margared verdient es, zu den erfolgreichsten der französischen Romantik gezählt zu werden. Das Werk wurde 1888 in Paris uraufgeführt und feierte einen Triumph, der sich bei jeder Wiederaufnahme in der Provinz und im Ausland wiederholte.

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Obwohl die Oper kaum zwei Stunden dauert, bordet sie von dramatischen Situationen über: bretonische Feste, die übernatürliche Erscheinung des Heiligen Corentin, eine Hochzeit mit Orgelbegleitung, eine Flutwelle, deren tosende Wellen sehr eindrucksvoll wiedergegeben werden. Le Roi d’Ys hätte eine ambitionierte Inszenierung an der Pariser Oper verdient, die ihm zu Lalos Lebzeiten verwehrt blieb.

Das Werk wurde oft als wagnerisch bezeichnet, was zum Teil auf seine dunkle, blechbläserreiche Orchesterfärbung und die Anklänge an Elsa und Ortrud in Lohengrin zurückzuführen ist, die Lalo bei der Darstellung der Beziehung zwischen Rozenn und Margared verwendet. Diese Beschreibung ist jedoch in vielerlei Hinsicht unzutreffend, da Lalo mit seiner absoluten Prägnanz und der Vermeidung symphonischer Entwicklungen das genaue Gegenteil von Wagner darstellt. Wiederholte rhythmische Muster, die manchmal obsessiv werden, treiben die Musik voran. Die umfangreichen und anspruchsvollen Chöre oszillieren zwischen Ritual und Gewalt. Und die außergewöhnliche Gesangspartie für Margared, wahnsinnig geworden, neurotisch und deklamatorisch, untergräbt fatalerweise die Lyrik aller um sie herum.

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Lalos „Roi d`Ys“ in Budapest 2024: Cyril Dubolis und Judith van Wanroij/Müpa

Le grand repertoire der französischen Oper beinhaltet diese hochinteressanten, großformatigen „Schinken“, die in Umfang und Anforderung vergleichbar mit Wagners Tetralogie-Opern oder mit seinem Lohengrin oder Tannhäuser sind. Bei aller meine Dankbarkeit an den Palazzetto und den Prinzipal Alexandre Dratwicki (von dem nachstehend mit Dank an den Autor sein hochinformativer Artikel aus der Beilage zur neuen  Aufnahme folgt) die französische romantische Oper erneut bekannt zu machen: Der Palazzetto trifft bei Lalo auf dasselbe Problem für seine Ambitionen, das „große Fach“ der französischen Oper einzuspielen, wie man von anderen Aufnahmen weiß. Die Besetzung! Es gibt vielleicht auch keine großen Stimmen dafür mehr, wenngleich die Erinnerungen an Michael Spyres oder Edgar Montvidas oder auch Marina Rebeka doch gute sind. Frankreich selbst hat diese Stimmen nicht mehr, Amerika oder das Baltikum/Osteuropa sicher noch einen Reichtum an großen Stimmen mit guter französischer Diktion. Zumal der neue Roi d´Ys (nach dem Konzert am 12. Januar 2024) in Ungarn aufgenommen wurde. Die hatten doch immer viele gute Tenöre der Spinto-Schiene.

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Lalos „Roi d`Ys“: Évariste-Vital Luminais, 1884, „La fuite du roi Gradlon“/Wikipedia

Die Diskografie von Lalos Oper ist nicht eben umfangreich (davon nachstehend mehr). Diese Neu-Aufnahme erinnert daran, dass Le Roi d’Ys ein bedeutendes Werk des nationalen französischen Repertoires des späten 19. Jahrhunderts war (eben le grand repertoire), aus einer Zeit, in der die französische Oper (und auch Gesellschaft) mehr denn je auf der Suche nach ihrer Identität war angesichts des damals überwältigenden Wagnerismus, der für Unruhe und Diskussionen sorgte.

Die Sänger der damaligen Zeit hatten, neben Massenet, D´Indy oder Gounod eben auch Wagner im Programm, wie man den Pariser Besetzungslisten entnehmen kann. Sie waren Interpreten des großen Formats, selbst wenn sie nicht Birgit Nilssons Lunge besaßen (die eh ein Irrtum des Wagner- und Strauss-Gesangs für mich war). Man sang anders, konzentrierter (wie man noch bei Berthe Monmart,  Claudette Camart,  Jane Rhodes oder George Noré nacherleben kann).  Aber eine Brünnhilde oder ein Tristan singt sich nicht mit lyrischer Stimme (naja, da fallen einem doch heurige Gegenbeispiele ein…).

Lalos „Roi d`Ys“: Jean-Alexandre Talazac sang den Mylio der Uraufführung/Ipernity

Die Sänger der Neuaufnahme beim Palazzetto Bru Zane machen an Engagement wett, was ihnen an Kraft fehlt. Sie sind wirklich mehr als anständig, im Ganzen mir zu schmalstimmig und eher – sehr gut und richtig – für eine Art Referenzaufnahme mikrophongerecht stehend, wie sie die Aufnahme-Politik des Palazzetto verkörpert. Ich verstehe, dass dessen Prinzipal eine an der Wirkung durch die Aufnahme-Mikrophone orientierte Hausbesetzung anstrebt, und das ist absolut zu loben. Am Mikro ist ein idealerer Klang viel besser zu erreichen. Und das klappt für früher liegende Opern wie La Vestale (Spyres – Rebeka) ganz prächtig, wackelte bei Meyerbeer schon etwas mehr, bei Massenet besonders und zeigt sich nun im Roi d´Ys erneut als Problem. Zumal es akustisch auch ein bisschen rumst.

In der Rolle des Mylio, einem typisch französischen Démi-timbre-Tenor, dem ein kräftiger Schuss Heroismus abverlangt wird, schlägt sich mein Lieblingstenor im lyrischen französischen Fach, Cyrille Dubois, mehr als zufriedenstellend, auch wenn das Mikrophon mehr als das Budapester Konzert im Januar 2024  seine Grenzen aufzeigt, insbesondere in der berühmten Aubade im dritten Akt, die er mit seiner gewohnten Sensibilität singt (soft palate wird sein Problem, eben dieser mü-verzögerte Einsatz der Stimme bei exponierten Noten). Die heroischen Passagen bringen ihn akut an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Die Stimme ist dafür nicht gemacht. Er gibt einfach alles, manchmal auch mehr. Da denkt man aber auch an den klugen Alain Vanzo, der mit Raffinesse und noch geschickterer Verwaltung seiner nicht riesigen Resourcen die stimmlichen Anforderungen wie einen Spaziergang erscheinen ließ. Ich will hier nicht das Wort einem Brüller wie Guy Chauvet das Wort reden, und sicher war es auch nach dem Krieg schwierig, heroische französische Tenöre zu finden (nur so erklärt sich Jon Vickers Einsatz in diesem Feld), aber mehr Kraft hätte dem Mylio gut getan. Dubois, den ich über die Maßen schätze, bleibt zu höflich, zu liebenswürdig, einfach nett. Und auch mal auf der Strecke.

Lalos „Roi d`Ys“: Blanche Deschamps-Jehin sang die Margared der Uraufführung/Ipernity

Ihm gegenüber steht mit Judith van Wanroij eine sehr strenge, etwas schmale, stimmlich recht scharfe Rozenn. Auch die van Wanroij scheint mir zu klein für die Partie, die doch eine leuchtende, große Stimme einer Marguérite, Grisélidis/Massenet oder Ariane/dto. verlangt, keine Manon oder Berthe/Meyerbeer. Ihr Engagement wie das der übrigen trägt über vieles hinweg.

Kate Aldrich (was für eine attraktive Frau im Konzert) hingegen kompensiert für ihre Margared fehlende Farben mit Aplomb, schonungslosem zum Teil. Sie hat sich mit ihrer von Hause aus eher kleinen Stimme im Format einer Frederica von Stade mit ihren zu großen Rollen wie Carmen etc. absolut übernommen. Sie singt bedenkenlos, schonungslos. Auch wortfern. Eindrucksvoll das Vorhandene verwaltend. Schade, schade. Sie war mal so aufregend im mittleren französischen Fach.

Jerôme Boutillier ist ein Karnac in der großen französischen Tradition, die in dieser Partie von solchen Größen wie Jean Borthayre, Ernest Blanc oder vor allem Robert Massard verkörpert wurde. Er ist der eigentliche Held der neuen Aufnahme, wortmächtig, bedrohlich, vielfarbig, sehr schön. Was für eine tolle Stimme, was für ein Gestalter.

Nicolas Courjal als König von Ys  jedoch zeigt akute Abnutzungserscheinungen, die auch von viel Charakter der Rollengestaltung nicht verdeckt werden. Christian Helmer (etwas unruhig im Ton) fällt angenehm in der Doppelrolle des Jahel und des Heiligen Corentin auf.

Lalos „Roi d`Ys“: Cécile Simonet (hier als Sélika) sang die Rozenn der Uraufführung/Foto Atélier Nadard/Ipernity

Die Qualität der französischen Aussprache des Ungarischen National Chores ist erfreulich, ebenso wie das Engagement des Ungarischen Nationalen Philharmonischen Orchesters, das man in einem Werk dieser Art nicht unbedingt erwartet hätte. György Vashegyi dirigiert mit Kenntnis und Entschlossenheit – man würde sich angesichts der jungen neuen Dirigenten wie Martin Wahlberg (und in Erinnerung an André Cluytens!) aber mehr Drive und orchestrale Rasanz und Transparenz wünschen. Hier ist manches doch auch dick und vor allem recht laut im Klang. Aber zweifellos engagiert.

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Als Konzert optisch vielleicht beeindruckender als rein akustisch auf der CD kann man bei Müpa das eben live im Budapester Saal miterleben, wo der Beifall nicht aufzuhören scheint. Das Video vom Januar 2024 bringt so viel mehr an Spannung und Drive herüber, fast als hätte man zwei verschiedene Gelegenheiten vor sich. Das Konzert fand am 12. 1. 24 statt, die Aufnahmestrecke wird vom 9. – 11. Januar angegeben. Möglich, dass das Live-Ereignis viele verfügbaren Kräfte aufbrauchte und für die Nach- und Probenaufnahmen soviel nicht übrig blieb, oder weniger zumindest. Natürlich hilft die Optik von Gestik und Gesangsproduktion selbst sehr viel zur Ergänzung des dramatischen Eindrucks.

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Wie stets ist die Ausstattung des CD-Buches (BZ 1060) beim Palazzetto hervorragend (wie gewohnt nur englisch und französisch), neben dem Libretto gibt es wieder einführende Artikel (Alexandre Dratwicki, Vincent Giroud und Erinnerungen von Victorin Joncieres) und die üblichen grauen Bildchen. Warum man das Ganze nicht nur ins Netz stellt? Und dann mit deutschen Texten? Wäre billiger.

Es soll absolut nicht lahm klingen, wenn ich trotz einiger Einschränkungen dem Palazzetto sehr danke, dies großartig instrumentierte Werk uns erneut zugänglich gemacht zu haben, darin liegt das eigentliche Verdienst des Labels über eine bloße Wiederholung hinaus. Keine der vorangegangenen offiziellen Aufnahmen ist ideal (davon nachstehend mehr). Und eine Neueinspielung mit heutigen Stimmen ohne den gewissen historischen Staub der älteren ist absolut lobenswert. Und das Engagement springt über, das ist viel.

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Lalos „Roi d´Ys“: Szene zu Akt 1/Victrola Book of Opera/BNF Gallica

Nun zum Vorhandenen: Wie meist und wie bereits angedeutet gibt es selten etwas zum ersten Mal zum Hören. So auch hier. Die Standardaufnahme des Roi d´Ys stammt von 1957 bei Pathé-Marconi (später EMI und nun Warner) unter einem rasanten, federnden und transparenten André Cluytens. Dass es schon damals Probleme gab, größere Stimmen zu finden zeigt sich bei der allgegenwärtigen Janine Micheau, die wie Mady Mesplé einen festen Fuß bei der Pathé hatte und viele Aufnahmen „bevölkerte“. Mein Ding war sie mit ihrer essig-dünnen, manierierten Sopranstimme nicht (Rozenn). Henry Legay ist ein bezaubernden, hier zu schüchterner Kavalierstenor im Stile eines Cyril Dubois (Mylio). Dagegen ziehen mit der etwas ordinären Rita Gorr ungestüme Gewitter auf, ich mag das Timbre und die knappe Höhe nicht, aber sie macht als geifernde Margared wirklich was her. Dass die alle ertrinken lassen will glaubt man sofort. Wirklich nicht nett.

Trotz Armin Jordans temperamentvoller Leitung bei Radio France (ca. 1985) ist die Erato-Aufnahme eine blasse Sache, als  Kammerbesetzung arbeiten sich dünnstimming Barbara Hendricks (leider mit festem Fuß bei Erato und im Frankreich jener Jahre) und die woanders besser aufgehobene Delores Ziegler durch die beiden Kontrahentinnen – nicht wirklich spannend. Edoardo Villa ist eher ein uneleganter Alfredo denn ein Mylio, timbremässig irgendwie fremd und rauh. Jean-Paul Courtis habe ich stets wegen seines balsamischen Tmbres geliebt (und viele Male in Frankreich und Liège gehört), und das ist hier bei dem König falsch. Marcel Vanaud war ein sehr vielseitiger Bariton, und auch ihn habe ich oft erlebt, sein Carnac ist robust und rollenfüllend. Aber die Mädels …

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Lalos „Roi d´Ys“: Szene zu Akt 2/Victrola Book of Opera/BNF Gallica

Das war´s eigentlich an offiziellen/Studio-Aufnahmen. Der Rest sind Live-Mitschnitte, von denen der jüngste „offizielle“ ein Soundtrack der DVD aus Liége 2009 bei Dynamic ist. Sébastien Guéze hat mich woanders in lyrischen Partien (Werther, Priester in Salammbo) beeindruckt, als Mylio bleibt er blass (ich red´ mal nur von der akustischen Seite). Giuseppina Piunti ist eine tapfere, erfahrene Zwischenfach-Sängerin einer Verdi-Leonora oder Aida, und ihre Margared klingt nicht unrecht, aber auch unspezifisch italienisch. Guylaine Girard war mir unbekannt und macht einen guten Eindruck – sie ist nationalsprachig, das ist´s wohl. Mit dem gestandenen Léonard Graus, dazu sehr tapfer Werner van Mechelen und anderen ist dies unter Patrick Davin ein schöner Abend in der Wallonie. Klanglich etwas dumpf.

Auf dem mir unbekannten Label Ornamenti gibt es eine Mittelklasse-Übernahme mit Inva Mula (in diesem Fach in Frankreich sehr vertreten und vielseitig), Sophie Koch (für die Margared viel zu höflich), Charles Castronuovo (stramm und engagiert) unter Yves Abel aus Toulouse 2007, soso in der gesanglichen Wirkung und toll dirigiert.

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Lalos „Roi d´Ys“: Szene zu Akt 3/Victrola Book of Opera/BNF Gallica

Radioaufnahmen: Die älteste  dokumentierte Aufnahme gibt es bei youtube und Malibran zu hören: Désiré-Émile Inghelbrecht dirigiert die Aufführung mit Germaine Cernay, Gaston Micheletti, Ginette Guillamat und Georges Ravoux   aus Marseille, die 1943 für den Rundfunk aufgenommen wurde. Die Sopranistin Ginette Guillamat, die die Rolle der Rozenn sang, erinnert sich, dass am Tag vor der Aufnahme französische Widerstandskämpfer in Marseille einen deutschen Offizier getötet hatten. Als Vergeltungsmaßnahme verhängten die deutschen Besatzungsbehörden eine Ausgangssperre für die Bevölkerung. Da die Solisten und das Orchester nach einer nächtlichen Aufführung nicht nach Hause zurückkehren konnten, wurde beschlossen, die Oper am Nachmittag auf Acetatplatten aufzunehmen, die dann nachts eingespielt werden sollten. Aus diesem Grund ist diese Aufführung erhalten geblieben. Die Aufnahme soll übrigens aus der persönlichen Kopie von Mme. Guillamat stammen. Die Besetzung wird im Vorspann genannt. (Die Ouvertüre und Szene 2 des zweiten Aktes wurden aufgeführt, aber die Aufnahme ist nicht erhalten geblieben).

1986 gab es eine Aufführung in Avignon mit Vanzo und der bemerkenswerten Michele Vilma. Dazu kamen Marion Sylveste, der alte Pierre Thau und immerhin schon der aufsteigende Alain Fondary. Beim Massenet-Festival in Saint-Etienne sah ich Lalo 2007 mit der als Rozenn dünnen Nathalie Manfrino unter Laurent Campellone. Nora Javakhize blieb als Margared eher laut als erfüllend und verschwand danach. Florian Lanconi und Olivier Grand bestreiten nicht nachhaltig die Herrenpartien. Aber ich hatte zumindest die Gelegenheit, das Werk live zu erleben. Saint-Etienne war immer eine Reise wert.

Sehr historisch wird’s noch einmal 1963 mit Cerani, Guillamat und Micheletti bei Radio France, ebenso 1954 mit Boué, Macaud und Noré, dto., zudem stark gekürzt.

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Die eigentlichen Goodies kommen nun: 1967 singt meine große Liebe Andrée Esposito die Rozenn neben Berthe Monmart (Margared, die sang auch Fidelio und Brünnhilden), José Liccioni, Espsitos Ehemann Julien Haas (Karnac) und Jacques Mars unter Maurice Suzan beim französischen Rundfunk – mannomann, ist da was los (Musidisc). Diese Stimmen eben füllen Anforderungen und Rollen beispielhaft aus. Zum Niederknien.

Und dann sind da Alain Vanzo, Robert Massard (ahhhh,  quelle voix), Pierre Thau, Jules Bastin, Andréa Guiot und natürlich die unvergleichliche Jane Rhodes als CD-sprengende Rozenn, 1973 beim französischen Radio und in auch bestem Radio-Sound (Musidisc). Dies ist die Aufnahme für die einsame Insel. Auf die Kunst Vanzos, aus seiner nicht großformatigen Tenorstimme alles Nötige herauszuholen bei Bedarf verwies ich ja bereits, aber seine Kollegen um ihn herum machen die Aufnahme zum Fest. Ob nun ohne scheinbare Limits die immer fulminante Jane Rhodes als Margared (da bebt der Saal) oder leuchtend und doch keusch-französisch die leistungsfähige Guiot, ob die Herrenriege, angeführt von dem bedrohlich-charaktervollen (und dazu schönstimmigen) Massard: noch 1973 war es einfacher, diese Partien entsprechend zu besetzen. Dazu Pierre Dervaux am Pult auch des fabelhaften Radiochores unter Renée Alix – einfach super (ehemals Gala und andere Graue).

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Der Schlager der Oper, die berühmte Aubade des Mylio, fand die Liebe von vielen Tenören, von Richard Crooks, J. Rogatchevky, André D´Arkor, Beniamino Gigli, Caruso, Maurice Muratore, José De Trevi, sogar Nellie Melba bis hin zu modernen. Und auch populäre Sänger wie Tino Rossi waren mit der Aubade vertreten.

Als Kuriosum sei noch eine Bearbeitung von Frank Wright für Brass-Band bei Paxton angemerkt. Major G. H. Willcocks 1960 dirigiert die Black Dyke Mills Band, was es alles gab.

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Und nun  Alexandre Dratwicki zur Entstehung der Oper und zum Werk selbst:  Bedauernswert ist der arme Édouard Lalo, der mehr als ein Jahrzehnt warten musste, bevor er seine Oper Le Roi d’Ys hören konnte, die heute neben der Symphonie espagnole und dem Cellokonzert als eines der Juwelen seines Oeuvres gilt. Die 1875 begonnene Partitur erlitt das gleiche Schicksal wie viele andere Werke dieser Zeit, in der sich der Wettbewerb zwischen den Komponisten der neuen französischen Schule verschärfte: Massenet, Godard, Massé, Reyer, Saint- Saëns, Chabrier, Delibes und andere. Viele von ihnen mussten warten, sich für eine Premiere in Brüssel oder Monaco eine Gelegenheit bot, um ihre Musik zu hören, oder sie gaben ihre Bemühungen einfach auf.

Der Musikwissenschaftler und Prinzipal des Palazetto, Alexandre Dratwicki (Palazetto Bru zane)

Das Libretto von Édouard Blau basiert auf einer bretonischen Legende, deren Ursprünge so weit zurückreichen, dass seit dem 18. Jahrhundert sehr unterschiedliche Versionen davon existieren. Die dem Pariser Publikum in den 1880er Jahren am bekanntesten erzählt von dem Mord an Dahut durch ihren Vater, König Gradlon, der sie in die tosenden Fluten wirft, um sein eigenes Leben zu retten, während sie auf Pferden aus der Stadt Ys fliehen, die zusammen mit ihren Einwohnern in den wütenden Wellen versinkt. Je nach Fassung ist es entweder der Heilige Gwennolé oder der Heilige Corentin, der sich den bösen Mächten entgegenstellt, die die Stadt bedrohen. Die Legende vom König von Ys wurde auch von einem Gemälde von Évariste-Vital Luminais wiederbelebt, das im Pariser Salon von 1884 (also zwischen dem Zeitpunkt, als Lalo mit der Komposition der Partitur begann, und ihrer Uraufführung 1888) für Aufsehen sorgte. Das großformatige Gemälde zeigt den Moment, in dem der flüchtende König seine Tochter ins Meer fallen lässt.

Das Publikum war beeindruckt von Blaus Darstellung der verzweifelten Bewegungen Dahuts, als sie sich an ihren Vater klammert, während das wilde Aufbäumen der Pferde die Gischt der bedrohlichen Wellen hochpeitscht. Wahrscheinlich aus Gründen der Klangfülle wird in Lalos Oper „Dahut“ zu „Margared“, „Corentin“ wird ‚Gwennolé‘ vorgezogen und ‚Gradlon‘ wird nur als ‚le Roi‘ bezeichnet.

Nachdem die Oper 1878 für das Programm des Théâtre Lyrique angenommen und dann wieder zurückgezogen worden war, wurde Le Roi d’Ys eine Zeit lang für die Pariser Opéra in Betracht gezogen, bevor sie 1879 abgelehnt wurde. Vielleicht würde Lalo heute zustimmen, dass diese Verzögerungen ein Glücksfall waren. Denn sie gaben ihm viel Zeit, seine Oper reifen zu lassen und vorteilhafte Änderungen vorzunehmen, insbesondere in der letzten Arbeitsphase im Jahr 1886. Die Uraufführung am 7. Mai 1888 durch die Opéra-Comique  „extra muros“ (nach dem Brand, der 1887 die Salle Favart zerstört hatte) präsentierte eine radikal veränderte Partitur. Ein Journalist schrieb, dass sie ursprünglich „vier Akte und ein Ballett“ umfasste, bevor sie komplett „überarbeitet“ worden (Le XIXe Siècle, 3. Mai 1888).

Lalo ging so rigoros vor, das, was er als ‚Längen‘ oder ‚obligatorische‘ Ziernummern betrachtete, herauszuschneiden, dass am Ende nicht einmal mehr zwei Stunden Musik übrig blieben. Hundert Aufführungen im Jahr nach der Premiere sind ein ausreichender Beweis für den Erfolg dieser endgültigen Fassung. Vergleicht man die veröffentlichte vollständige Partitur mit der wahrscheinlich später entstandenen Vokalpartitur, zeugen zahlreiche Abweichungen im Text und in den Gesangsstimmen von diesen zehn Jahren des Zweifelns und Umschreibens.

In diesem Jahrzehnt gelang es Lalo, mehrere Auszüge aus dem Werk in Konzerten aufführen zu lassen. Insbesondere die Ouvertüre war ab Mitte der 1870er Jahre ein Favorit in französischen Orchesterkonzerten und wurde zu einer festen Größe im Repertoire der großen Orchester. Nach dem Prinzip des Potpourri aufgebaut, bot sie dem Publikum die Möglichkeit, die attraktivsten Melodien des Werks zu entdecken. Le Roi d’Ys war auch durch Margareds Arie bekannt, die die Altistin Julie de Marigny – die Frau des Komponisten – bei jeder sich bietenden Gelegenheit sang. Möglicherweise war es auch für sie, dass Lalo die beiden Sopranarien der Partitur, die normalerweise Rozenn zugewiesen waren, transponierte, damit seine Frau sie als eigenständige Soli in den Salons oder bei Sinfoniekonzerten singen konnte. Die Bibliothèque de l’Opéra in Paris bewahrt die Manuskripte dieser Transpositionen auf. Leider scheint es unmöglich, die bei der Überarbeitung herausgeschnittenen Musikabschnitte zu finden.

Das Werk enthielt wahrscheinlich eine große Arie für Karnac, eine weitere für den König, und möglicherweise eine Konfrontation zwischen Mylio und dem rebellischen Prinzen oder zwischen Margared und Mylio. Die Presse erwähnt – ohne Beweise – dass für den Anfang des zweiten Aktes ein ganzes Tableau geplant war, das Karnacs Armee zeigt, wie sie vom Heiligen Corentin in Stein verwandelt wird. In diesem Fall wäre der Siegeschor, der nun den Akt einleitet, nur das verkürzte Finale der fraglichen Szene. Die Ouvertüre, die die die Motive des Werkes vorstellt, deutet auf die Stretta des Duetts für Margared und Karnac im dritten Akt hin. Denn als die beiden Protagonisten den Vorplatz der Kapelle verlassen, in der die verhasste Hochzeit stattfindet, präsentiert das Orchester ein stürmisches Motiv, das das Ohr schon einmal gehört hat. Es ist jenes, das zu Beginn des Allegro der Ouvertüre erklingt, wo es sich durch äußerst gelungene melodische Erweiterungen auszeichnet und durchaus die ursprüngliche Musik für dieses Duett sein könnte, die später aus dramaturgischen Gründen gekürzt wurde. Nur eine wesentliche Änderung findet sich in der Autographen-Handschrift der Bibliothèque Nationale de France: Sie betrifft Änderungen an der Konfrontation zwischen Rozenn und Margared am Ende des ersten Tableaus des zweiten Aktes. Das ursprüngliche Libretto sah vor, dass der König und Mylio Margareds Schmähungen miterleben und sie verfluchen, während Rozenn sich zwischen die beiden Gruppen stellt und mit ihrem Arioso „Que ta justice fasse taire la plainte de ton coeur brisé“ die Gemüter zu beruhigen versucht.

Dies macht es leichter, einige von Margareds Zeilen zu verstehen, die sich direkt an den Mann richten, den sie liebt, und nicht an ihre Schwester: „Pars! Mylio, c’est là mon voeu suprême! / Pars! pour ne plus revenir!‘.

Eine letzte Frage stellt sich: Hatte Lalo wirklich ein „bretonisches“ Ballett für die Opéra im Sinn, als das Werk 1879 für diesen Veranstaltungsort in Betracht gezogen wurde? Zumindest wissen wir aus Beschreibungen der Inszenierung von 1888, dass die Hochzeitsszene im dritten Akt teilweise choreografiert war, wahrscheinlich zu der Musik, mit der die Feierlichkeiten beginnen, die die Feierlichkeiten einleitet (Noce bretonne).

Wo wir gerade dabei sind: In welcher Beziehung stand Lalo in seiner Partitur zur bretonischen Folklore? Die Vokalpartitur weist einige direkte Anleihen aus traditionellen Melodien auf, insbesondere das Lied, das Rozenn Mylio nach seiner Aubade im ersten Tableau des dritten Aktes singt. Weniger sicher ist, dass die drei aufeinanderfolgenden Refrains, die den ersten Akt eröffnen, echte bretonische Melodien sind, aber jede von ihnen besitzt einen unverwechselbaren Charakter dank einiger auffälliger rhythmischer Details, darunter stark akzentuierte offbeats. Es sei daran erinnert, dass Lalo ein enger Freund des Komponisten und Musikschriftstellers Louis Albert Bourgault-Ducoudray war, der nach einer zweimonatigen Reise in die Bretagne im Sommer 1881 eine Sammlung von Trente Mélodies populaires de Basse-Bretagne bei Lemoine veröffentlichte.

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Lalos „Roi d´Ys“: Schluss-Szene/Presse-Illustration/BNF Gallica

Es wird gesagt, der Komponist sei ein überzeugter Wagnerianer gewesen. Obwohl Le Roi d’Ys den Einfluss des Bayreuther Meisters andeutet, offenbart es auch Lalo’s sehr persönliche Auffassung von Wagner. Zwar ist der Gesamtdiskurs kontinuierlich, aber das freie Rezitativ nimmt nicht mehr Raum ein als die formalen Nummern:  Chöre, Arien, Duette, Quartette. Lalo bestritt jeglichen Wunsch, mit der alten Form zu brechen, außer dass er versucht habe, den dramatischen Verlauf zu beschleunigen.

Dies erklärte er in einem Brief an den Kritiker Adolphe Jullien im Mai 1888: Ich habe eine einfache Oper geschrieben [un simple opéra] – wie der Titel meiner Partitur; diese elastische Form erlaubt es noch, Musik zu schreiben, ohne seine Vorgänger zu pastichieren, so wie Brahms Symphonien und Kammermusik in der alten Form schrieb, ohne Beethoven zu pastichieren. Bei der Rekonstruktion von Le Roi d’Ys habe ich bewusst sehr kurze Formen verwendet: Der Vorteil, den ich mir davon versprach, war, die dramatische Handlung zu beschleunigen, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht zu ermüden; der Nachteil ist der, den Sie ansprechen – die Verkürzung der Musik. Sie kennen meine Kammermusik und wissen, dass ich ein Thema mit seinen Motiven entwickeln kann; in Le Roi d’Ys habe ich bewusst das Gegenteil getan: Ich habe systematisch jede Entwicklung des Themas weggelassen, um die Handlung auf der Bühne niemals zu verlangsamen. Ich versuche nicht, dies zu rechtfertigen; ich gebe Ihnen eine Erklärung.

Ein weiteres Thema in der Pariser Presse war das deutsche Leitmotiv, ein typisch wagnerianisches Stilmittel, das Lalo zugunsten der seit langem etablierten französischen Technik des Motif de rappel (Erinnerungs-Motiv) verworfen hatte. Letzteres wird ohne wirkliche melodische oder harmonische Veränderung präsentiert und somit ohne Veränderung des emotionalen Inhalts. Unter den Motiven, die der Zuhörer leicht erkennen kann, ist das ansprechendste ein melodisches Muster aus sieben regelmäßigen Noten, das Rozenns zarte Natur symbolisiert und zu Beginn des Duetts im ersten Akt erklingt. Es kehrt dann regelmäßig wieder und hüllt die Heldin schließlich in einen orchestralen Heiligenschein, der ihrem Arioso im zweiten Akt („Que ta justice fasse taire…“) eine fast mystische Farbe verleiht.

Lalos „Roi d´Ys“: Poster für die Uraufführung 1888 von Francois-Marie Gourget/BNF Gallica

Angesichts dieser moralisch untadeligen Jungfrau wird die wilde Margared von zwei gegensätzlichen musikalischen Stilen begleitet. Der erste ist eine lange, heftige Melodie, die den unbändigen Drang zum Ausdruck bringt, der ihr Herz zu Mylio zieht.  Dieses Thema untermalt die Worte ihrer großen Arie „Lorsque je t’ai vu soudain reparaître, / Vivant et superbe ainsi qu’autrefois“. Die empörte Prinzessin ist jedoch vor allem an der „abgehackten“ Begleitung erkennbar, die ihren ersten Auftritt kennzeichnet und die Lalo anschließend bei allen ihren Einsätzen beibehält. Fortissimo-Ausbrüche des Orchesters untermalen ihre kämpferischen Phrasen und wechseln sich ab mit einer Begleitfigur, deren ungleichmäßiger Rhythmus (zwei Sechzehntel und eine Achtel), der in den Kontrabässen dröhnt, mit der Gesangslinie kollidiert.

Mylio seinerseits wird zunächst mit einer zarten Melodie in Verbindung gebracht, die er seiner Geliebten ins Ohr flüstert („Si le ciel est plein de flammes, Ô Rozenn…“). Diese Phrase ist zu Beginn der Ouvertüre zu hören, gespielt von der Solo-Klarinette, und wird dann in identischer Form zu Beginn des zweiten Aktes wiederholt, als wolle sie Margareds Wut wecken, die bald darauf wirklich explodieren wird. Als Kontrapunkt zu dieser zarten Vokalisation erhält Mylio auch eine kämpferische Phrase, die martialischste der Oper: „Et les croyants sont les forts“, ruft er aus, als wolle er sich selbst Kampfgeist einflößen. Das Thema wandert vom Orchester (Ouvertüre und Vorspiel zum zweiten Bild des zweiten Aktes) zum Chor und zum Trio der „guten“ Figuren (Mylio, Rozenn und der König). Es sind keine Änderungen erforderlich, um die Spannung und Kraft dieses bestens  gewählten heroischen Motivs zu bewahren.

Weder Karnac noch der König noch der Heilige Corentin haben ein eigenes musikalisches Thema, vielleicht weil sie weniger introspektive persönliche Gefühle als vielmehr universelle Haltungen repräsentieren, nämlich Kriegslust, Religiosität und Politik.

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Lalos Orchester besticht durch das erstaunliche Fehlen einer Reihe von Instrumenten: keine Harfe, kein Englischhorn: Farben, die seit Berlioz charakteristisch für die französische Musik waren.

Ein weiteres Opfer der vielen Überarbeitungen ist die Glocke, die die Hochzeitsszene im dritten Akt untermalen sollte: Sie ist in der Orchesterpartitur deutlich markiert (und nicht durchgestrichen) und erscheint auch teilweise als Stichwort in der Gesangspartitur. Doch die separate Stimme fehlt im Orchestermaterial… Die Rekonstruktion in unserer Aufnahme ist also ist der erste belegte Nachweis auf Tonträger für den von Lalo beabsichtigten Effekt. Eine weitere Bemerkung betrifft die Tuba, die in der Ouvertüre zu hören ist, aber ab der ersten Szene für den Rest der Oper plötzlich zu einem Ophikleiden wechselt (ein historisches Blechblasinstrument aus der Familie der Klappenhörner, mit Klappen und nach oben gerichtetem Schalltrichter). Man könnte vermuten, dass die klangvollere Tuba ideal für separate Konzertaufführungen der Ouvertüre war und dass der Verleger – der bei der Veröffentlichung der vollständigen Stimmen der Oper wiederverwendete, dieses Detail entweder nicht bemerkt oder für unwichtig hielt. In jedem Fall handelt es sich um eine Kuriosität, die in keiner anderen Oper dieser Zeit zu finden ist.

Ausgehend von einer traditionellen instrumentalen Grundlage entwickelte der Komponist Farben und dynamische Kontraste, die zuvor nur selten verwendet worden waren. Dies ist einer der Punkte, der von allen Kritikern hervorgehoben und der selbst von den progressivsten unter ihnen am wenigsten verstanden und akzeptiert wird.

Im Allgemeinen, getrieben von dem Wunsch, den Text von jeder musikalischen Komplikation zu befreien, konzipierte Lalo einen orchestralen Stil, der eher eine Frage der Interpunktion als einer dicht gewebten Melodienstruktur war. Dennoch erfordern die Chöre, die Finales und die Zusammenfassung der Ensembles einen Einsatz des gesamten Orchesters. Ebenso wie die Flutwelle am Ende der Oper: ein Phänomen, das in der Musik so schwer zu vermitteln ist, dass es zumindest eine ungewöhnlich überwältigende Klanggewalt erfordert. Die Presse beklagte das Ungleichgewicht zwischen den Blech- und Streichersätzen, da sie den Komponisten als geschickten „Symphonisten“ betrachtete. Lalo erklärte dies auch Adolphe Jullien: Ebenso für die Klänge, die Ihnen missfallen, hier ist meine Erklärung: Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich an unsere Symphonieorchester gewöhnt, in denen die große Streicherbesetzung mir immer ein Gegengewicht zu den Klängen der Blechbläser geboten hat, und es kam mir nicht in den Sinn, dass ich im Theater völlig andere Bedingungen vorfinden würde: dünne Streicher aufgrund ihrer geringen Anzahl neben der gleichen Besetzung der Blechbläser. Dabei hätte mir das Beispiel Wagners als Lehre dienen müssen: Wenn ich Wagners extravagante Klänge in Sinfoniekonzerten höre, gefallen sie mir, weil die große Masse der Streicher sie im Gleichgewicht hält, aber dieselben Stücke, die ich in allen Theatern Deutschlands gehört habe (außer in Bayreuth, wo die Balance offenbar perfekt ist), haben mir überall dieselbe unangenehme Überraschung bereitet: die Brutalität der Blechbläser gegenüber der Unzulänglichkeit der unzureichenden Streicherbesetzung. […] Die Wahrheit ist, dass ich vor fünfundzwanzig Jahren im Theater Misserfolge hätte erleben müssen, um allmählich die Erfahrung zu sammeln, die ich in der Orchestermusik durch Hören und mich jedes Jahr korrigieren, erworben habe.

Lalos „Roi d´Ys“: Reklame-Bildchen/Beilage/BNF Gallica

Was können wir aus der frustrierenden Entstehungs-Geschichte von Le Roi d’Ys lernen? Vielleicht schlummern noch andere, weniger vom  Glück begünstigte Meisterwerke in öffentlichen oder Familienarchiven und warten nur darauf, einem Publium präsentiert zu werden. Wenn ja, würden sie beweisen, dass Louis Paravey, der Direktor der Opéra-Comique im Jahr 1888, mit seiner Einschätzung Recht hatte: Ich würde behaupten, dass es heute keinen Mangel an Komponisten gibt. Es gibt sicher zehn Carmens in den Schubladen der Entmutigten! (in Gil Blas, 9. Mai 1888). Alexandre Dratwicki/Übers. Christa Baumann

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Édouard Lalo (1823-1892). Le roi d’Ys, opéra en trois actes et cinq tableaux sur un livret d’Édouard Blau, d’après une légende bretonne. Uraufführung: 7.5.1888 Paris, Opéra Comique (Salle du Chatelet).
mit Blanche Deschamps-Jehin, Cécile Simonnet, Jean-Alexandre Talazac, Max Bouvet, Jean-Henri-Arthur Cobalet, René Fournets,
Dirig. Jules Danbé

Pazzetto Bru Zane: Judith van Wanroij, soprano (Rozenn) ; Kate Aldrich, mezzo-soprano (Margared) ; Cyrille Dubois, ténor (Mylio) ; Jérôme Boutillier, baryton (Karnac) ; Nicolas Courjal, basse (Le Roi) ; Christian Helmer, (Jahel / Saint Corentin). Hungarian National Choir. Hungarian National Philharmonic Orchestra, direction : György Vashegyi. BZ 1060 2 CD Bru Zane. Enregistrés du 9 au 11 janvier 2024 au Béla Bartók National Concert Hall du Müpa Budapest.