Archiv des Autors: Geerd Heinsen

In Gälisch: Robert O’Dwyers“Eithne“

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In Zeiten von Brexit, Backstop, Good Friday Abkommen oder erneuter Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten, also Pro-Republik-Irland-Tendierenden und Pro-Großbritannien-Verbleibenden, Nord-Irlands und der ebenso bewusst vorsichtigen Republik selbst ist es auch für Außenstehende lohnend, sich an die gemeinsamen kulturellen Wurzeln dieser so schmerzhaft geteilten Insel zu besinnen, die so lange und ebenso schmerzhaft dominiert unter der Jahrhunderte langen Fremd-Herrschaft in mannigfaltiger Hinsicht gelitten hat und deren kulturelle Identität von der englischen oft bis zur Unkenntlichkeit überdeckt wurde.

Das gilt auch und vor allem für die Literatur und Musik Irlands, die zur Zeit des Komponisten Robert O´Dywyer es unglaublich schwer hatte, zu einer eigenen Identität zu finden, ein eigenes Idiom in sprachlicher wie musikalischer Hinsicht zu erfinden und aus dem eigenen Fundus der Folklore und der zaghaften, eher amateurhaften Versuchen eine Selbständigkeit zu entwickeln. Vor Robert O´ Dywer (1862 – 1949; von ihm nachstehend mehr) hatte es nur mehr oder weniger gehobene Folklore, Balladen eines Thomas Moore und anderen gegeben (das romantische Europa ging der Legende vom gälischen Ossian durch den Iren Robert McPherson/ 1736 – 1796 auf den Leim, in Erinnerung heute nur noch durch Massenets Zitat im Werther). Aber eine Oper im eigenen irischen Idiom gab es eben nicht. Man sang von der Sehnsucht nach Befreiung vom britischen Joch oder der Schönheit der grünen Insel am Kamin, in den Kneipen oder den Music-Halls.

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Robert O´Dwyers Oper „Eithne“: die rte lyric Aufnahme vom Konzert 2017 in Dublin

Mit absoluter Überraschung und vielleicht das Objekt der Bewunderung überschätzendem Beifall wurde im Oktober 2017 im republikanischen Dublin von dem Chor der  National Opera Irlands und  dem RTE National Symphony (Radio) Orchestra unter Fergus Sheil Robert O´Dwyers  Oper Eithne von 1909 konzertant in modernen Zeit erstaufgeführt: Eine Oper über die mythische Vergangenheit Irlands in eben gälischer Sprache. Davon liegt nun die CD-Übernahme bei RTE Lyric vor, dem Radiosender der Republik, der das Konzert vom Oktober 2017 übertragen hatte, den Jubel des Konzertpublikums eingeschlossen (RTECD 1568/ 2 CD).

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Es ist dies eine Oper über die mythische Vergangenheit der gälischen Insel, mit Königsfindung, Giganten, magischen Vögeln, Fabelwesen, einer tragischen Liebesgeschichte natürlich (die schöne Eithne muss aus einem Zauber befreit werden und den High King heiraten, während ein anderer Ritter sie begehrt). Um 1900 begann auf der Insel eine Renaissance irischer Selbstfindung auch auf dem Musiksektor, und die 1902 gegründete Gaelic League spielte dabei eine entscheidende Rolle. Bereits 1904 beauftrage sie O´Dwyer mit der Komposition zu einem Libretto von Tadgh O´Donoghue, Cran ach Oir/ The Tree of Gold, die erfolgreich in Dublin aufgenommen wurde. Der Bariton und promovierte Musikwissenschaftler Gavan Ring beschreibt die Umstände zur Komposition der Oper Eithne im folgenden Artikel, den wir mit seiner Genehmigung dem Programmheft zur Aufführung 2017 entnahmen. Das Booklet zur neuen CD-Ausgabe bietet für nicht Gälisch-Sprechende neben dem Text von Gavan Ring das Libretto in englischer Übersetzung, während die Tracks in der irischen Sprache verbleiben, die in ihrer Schreibform noch verwirrender als Tschechisch aussieht und keine Hilfe beim Auffinden der Solonummern ist. Wir lernen aber, dass „… ard a mian chun fialdh lae gréine“ eben „Freude für die Jagd an diesem sonnigen Tag“ heißt, das ist doch was!

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„Ossian“, Gemälde von Anne-Louis Girodet/Wiki

Gavan Ring ist auch der prachtvolle High King in dieser Aufnahme aus der Concert Hall in Dublin, wo seine Kollegen Orla Boylan/ Eithne, Robert Tritschler/Ceart, Imelda Drum/Nuala sowie Brendan Collins, Eamon Mulhall, John Molloy, Robert McAllister, Rachel Croash, Fearghal Curtis, Eoghan Desmond und Conor Breen zusammen mit den genannten Kräften unter Fergus Sheil diese musikalisch sehr an Brahms, Mendelssohn, Sullivan und eine runde Mischung irischer Balladen erinnernde große spät-romantische Oper vorstellen. Sie mag in ihrem musikalischen Eindruck für kontinentale Ohren vielleicht nicht die genialste Schöpfung sein (und scheint mir in der Instrumentierung interessanter als von der Erfindung her), aber ihre ideologisch-patriotische Wirkung war damals bedeutend. Wir haben im vereinten Nachkriegseuropa ganz vergessen, dass Irland (1801 nach jahrhundertelanger Besatzung offiziell an Großbritannien angeschlossen) erst 1937 eine Republik wurde (ohne Nordirland, das bis heute in zwei sich bekämpfende Lager gespalten ist) und 1949 aus dem Vertrag mit Großbritannien austrat. Erst 1998 gab die Republik offiziell ihren Anspruch auf Nordirland auf, nachdem 1985 ein  Waffenstillstand mit der pro-republikanischen Sinn Fein und das sogenannte Karfreitags-Friedens-Abkommen, erreicht worden war, das wegen eines harten Brexit heute bedroht ist. G. H.

 

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Autor und Bariton Gavan King/ Konzert in Dublin 2017/ Foto website Gavan King

Und nun der Artikel von Gavan Ring zur Oper Eithne und deren Komponisten Robert O´Dwyer: Der vom irischen Musikwissenschaftler Joseph Ryan als „farbiger Charakter“ beschriebene Robert O’Dwyer wurde am 27. Januar 1862 in Bristol als Sohn irischer Eltern geboren. Er wurde dort in verschiedenen Kirchen als Chorknabe und Organist ausgebildet, bevor er seine Karriere als Tenor bei der Carl Rosa Opera Company und anschließend als Dirigent begann – sein erster Einsatz mit dem Taktstock ereignete sich, als er 1891 erfolgreich für den Chefdirigenten während einer Carl-Rosa-Aufführung von Wallace‘ Maritana einsprang. Es schlossen sich weitere Engagements bei verschiedenen britischen Wandergruppen an, bevor er sich 1897 in Dublin niederließ. Im Jahre 1900 wurde man landesweit erstmals auf O’Dwyer aufmerksam, als seine Orchesterouvertüre Rosalind den ersten Preis beim Belfast Feis Ceoil gewann. Diese Leistung stand am Anfang von O’Dwyers erfolgreichster Dekade als Komponist – eine Periode, in der er einer der Stimmführer wurde im Bestreben hinsichtlich der Etablierung einer unverwechselbaren nationalen Schule der irischen Musikkomposition.

Überaus nationalistisch und ein starker Befürworter einer Wiederbelebung der irischen Sprache (irisch Gaeilge), wurde er nicht lange nach seinem Erfolg mit Rosalind Mitglied der Conradh na Gaeilge (Liga des Irischen) und gründete 1902 den Festchor der Liga. Die Liga gab sogleich Chormusik bei O’Dwyer in Auftrag. Den Anfang machte eine Reihe von vierteiligen Liedern, genannt Amhrán an Oireachtais (1902). Bereits 1904 beauftragte die Liga O’Dwyer indes in Kooperation mit dem bekannten Schriftsteller Tadhg O’Donoghue mit einem Opernprojekt, das den ersten Akt des irischen Märchens Crann an Óir (Der Goldbaum) vertonten sollte. Dieser erste Aufzug wurde beim Oireachtas na Gaeilge, dem alljährlichen Festival der Liga, im selben Jahr aufgeführt und entpuppte sich insgesamt als großartiger Erfolg.

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ Kozert in Dublin 2017/ Orla Boylan/Foto Opera Theatre Company

In der Hoffnung, den Erfolg von Crann an Óir wiederholen zu können, verlangte die Liga von O’Dwyer für das Festival von 1909 etwas Ähnliches. Der Komponist entschied sich für die märchenhafte Legende von Éan an cheoil bhinn (Der Vogel der süßen Musik), die ihm die Basis für den Plot von Eithne lieferte. Die Geschichte dieser Legende selbst war bereits allgemein bekannt innerhalb der Kreise der Liga des Irischen, da sie bereits als Teil des unveröffentlichten Geschichtenwettbewerbs im Zuge des Festivals von 1901 eingereicht und 1908 schließlich publiziert worden war. O’Dwyer gewann den renommierten Wissenschaftler und Dramatiker Tomás Ó Ceallaigh als Librettisten für Eithne. Ó Ceallaigh, ein aus Sligo stammender Priester, war sehr aktiv in der Formierung der irischen kulturellen Wiedergeburt im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts; seine Übersetzung von W. B. Yeats Meilenstein Cathleen ni Houlihan im Jahre 1902 verschaffte ihm einen großen Bekanntheitsgrad.

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Das Libretto entstand in weniger als einem Monat im Juli 1909; die Proben für Eithne begannen, als O’Dwyer in seinem Haus in Rathmines komponierte. Er engagierte zudem drei Kopisten für die Orchesterparts. Der Kompositionsprozess ging so hektisch vonstatten, dass der Abend vor der Vollendung von Eithne mit der Generalprobe zusammenfiel. Eithne erlebte seine Uraufführung am 2. August 1909 und lief bis zum 5. August im Round Room der Dubliner Rotunda (dem heutigen Ambassador Theatre). Die von einem Orchester von vierzig Musikern und einem Chor von sechzig Sängern begleiteten und von O’Dwyer persönlich geleiteten Aufführungen waren ungeheuer erfolgreich und wurden von der Kritik mit Lob überschüttet. Dies führte dazu, dass man innerhalb der Liga ein Komitee einsetzte, das die Publizierung der Gesangspartitur initiierte und eine Wiederaufnahme der Oper für 1910 beschloss. Das unter dem Vorsitz des bekannten irischen Mediziners Sir Charles Cameron stehende Komitee bestand aus Vertretern der künstlerischen, politischen und gesellschaftlichen Intelligenzija Dublins, darunter Douglas Hyde und die Countess Markiewicz.

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Robert O´Dwyer: „Eithne“/ Kozert in Dublin 1910 Besetzungsliste und Details/ Foto Opera Theatre Company

Die Aufführungen am Gaiety Theatre im Mai 1910 wurden von der Kritik sogar mit noch mehr Hochachtung bedacht und der Erfolg übertraf selbst den vom Vorjahr in der Rotunda. Die Irish Times schrieb: „Die Oper wurde begeistert aufgenommen und Mr. O’Dwyer erschien etliche Male mit den Direktoren auf der Bühne, um den Applaus nach dem Ende jeder Szene entgegenzunehmen.“ Obwohl die Gaiety-Vorstellungen nicht abhängig waren von der Fertigstellung der Orchesterpartitur, erwiesen sich die Proben des Jahres 1910 als weitere rasende Erfahrung. In einer interessanten kleinen Anekdote des Freeman’s Journal wird erwähnt, wie O’Dwyer in der Eröffnungsvorstellung 1910 seinen Dirigierstab vergaß: „Der arme Mr. O’Dwyer hat sich mit den Proben etc. beinahe selbst zu Tode gearbeitet, und an diesem Abend wusste er kaum, ob er auf seinem Kopf oder auf seinen Absätzen stand, bevor er das Dirigentenpodium erreichte; und dann bemerkten wir, dass er nun wieder er selbst war. Doch als er im Begriff war, seinen Platz einzunehmen, fiel ihm auf, dass er seinen Dirigierstab vergessen hatte. Der Bühnenmanager rannte hinüber zu einem kleinen Geschäft auf der anderen Straßenseite, kaufte einen Stock für einen Penny, kürzte ihn um ein Stück und übergab ihn Mr. O’Dwyer. Damit dirigierte er die erste Aufführung von Eithne.“

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Eithne lief vom 16. bis 21. Mai 1910 am Gaiety Theatre, wurde jedoch unterbrochen durch das Begräbnis von König Eduard VII., dass es notwendig machte, das Theater während der beiden letzten Vorstellungen zu schließen. Dies bedingte einen Verlust von 200 Pfund – heute ungefähr 25.000 Euro –, die O’Dwyer selbst bezahlen musste.

Obschon O’Dwyers Großtat mit Eithne ihm eine Professur für irische Musik am University College Dublin verschaffte und seine vorzügliche Reputation in Irland bis zu seinem Tode 1949 fortdauerte, blieben verschiedentliche Bitten um eine Wiederaufnahme von Eithne unerhört. Auch wenn die Aufführungen von 1909 und 1910 tatsächlich sehr positiv aufgenommen worden waren, führten die wenig später verstärkt aufgeworfenen sozialpolitischen Fragen wohl auch dazu, dass das Werk an Popularität einbüßte. Die Opernszene in Dublin im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde hauptsächlich durch einen Appetit auf ausländisches Repertoire gestützt. Nach der Ausrufung der Republik im Jahre 1922 wurde Irlands kulturelle Anschauung zunehmend in sich gekehrt und Kunstmusik stand nur mehr wenig im Zentrum. Einheimische Erfindungen wie Eithne konnten diesem Typus des kulturellen Paradigmas nicht genügen. Gavan Ring ( Übersetzung Daniel Hauser)

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Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Autor und Geschichtswissenschaftler Axel Klein/ Foto website

 Dazu auch ein Artikel des Musikwissenschaftlers Axel Klein über Keltizismus in der irischen Oper: Robert O’Dwyers Eithne ist einer der bedeutendsten Beiträge zum Keltizismus in der irischen Musik – ein Trend, der besonders an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verbreitet war und der auf entsprechende Entwicklungen innerhalb der Literatur, des Schauspiels und der bildenden Künste reagierte. Anders als im Falle der meisten anderen Vertreter dieser Kunstgattungen, sind die musikalischen Entsprechungen weitgehend vergessen. Eithne erinnert uns daran, was wir verloren haben. Wir sollten und könnten einen ausgewogeneren Blick auf diese Epoche der irischen Kunst wiederbeleben, indem wir die Zeit und eben die Musik mehr in den Fokus stellten.

Definieren wir Keltizismus für unseren Zweck als einen Rückgriff auf Figuren, Geschichten, Legenden oder Mythen durch einen zeitgenössischen Künstler. Diese sind Teil des gemeinsamen Erbes der früheren Kelten. Im Falle von Irland geht dies oftmals bis lange vor die frühe Christianisierung zurück, bis zu den Legenden der Fianna oder den Ereignissen in den Annalen der vier Meister. Oftmals schlachten solche Werke existierende irische Legenden aus, indes spielen nicht selten halbauthentische oder erfundene Charaktere, die ein keltisches Klischee erschaffen, ebenfalls eine Rolle.

Der Keltizismus in der irischen Oper begann weder mit O’Dwyer noch endete er mit ihm. Sein Ruhm liegt beinahe ausschließlich in Eithne begründet. Die Anfänge des Wiedererwachens der verlorenen keltischen Vergangenheit Irlands beginnt im 18. Jahrhundert. In der Operngattung sind die ersten Werke The Milesian (1777) des in Dublin geborenen Charles Thomas Carter (um 1735-1804) und vielleicht die musikalischen Theaterstücke Genius of Ireland (1784) und The Island of Saints (1785) des eingewanderten italienischen Komponisten und Impresario Tommaso Giordarni (um 1733-1806) – der heute in erster Linie für seine Tenorarie Caro mio ben bekannt ist. Ob die beiden letzteren Werke überhaupt als Opern bezeichnet werden können, ist eine andere Frage, doch sind wir auf sichererem Terrain mit Thomas Simpson Cookes Thierna-na-Oge oder The Prince of the Lakes (1829), anglisiert von Tír na nÓg, dem mythologischen Land der ewigen Jugend. Interessanterweise erfuhren sowohl Carters Milesian als auch Cookes Thierna-na-Oge ihre Aufführungen nicht auf irischen, sondern auf englischen Bühnen.

Robert O´Dwyer: „Eithne“/ der Komponist 1921/ DRG

Cork war der Ort der nächsten irischen keltizistischen Oper. Es handelt sich um Amergen, geschrieben von Paul McSwiney (1856-1890) und erstaufgeführt am 23. Februar 1881 in Cork. Das Werk erregte seinerzeit erhebliches lokales Interesse. Verschiedene Zeitungen berichteten täglich über den Fortgang der Proben, und während der fünf Aufführungen war das Haus „bis auf den letzten Platz besetzt vom Boden bis zur Decke“. McSwineys eigenes Libretto konzentrierte sich auf eine versuchte wikingische Invasion Irlands, die aufgrund des Heldenmutes von Amergen fehlschlägt, der das Leben des irischen Hochkönigs Conaire Mór rettet und zum Dank dafür dessen geliebte Tochter Adela zur Frau erhält.

Kurz nach der Jahrhundertwende erfasste die Welle an keltizistischen Opern ganz Irland. Die erste war Connla of the Golden Hair (1903) von William Harvey Pélissier, einem ziemlich obskuren Komponisten, der um 1873 in Clonmel in der County Tipperary geboren wurde und während des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts in Dublin aktiv war. Das Werk gewann den Kantatenpreis (!) beim Feis Ceoil im Mai 1903, wurde als Resultat dessen gedruckt und verlegt und erlebte eine konzertante Aufführung. Die Publikation zeigt klar Pélissiers Intentionen in Sachen Oper, unter anderem eine sehr detaillierte Liste an Leitmotiven, die von Wagner inspiriert wurden. Das Libretto des Komponisten basiert auf einer alten irischen Erzählung aus dem Königszyklus, ursprünglich genannt Echtrae Chonnlai (Connlas Abenteuer). Es erzählt verschiedene, zunächst erfolglose Versuche verführerischer Elfen, den Opernhelden nach Moy-Mell zu locken, ein mythologisches Elfenland; am Ende sind diese Versuche von Erfolg gekrönt. Geht man von der Partitur aus, handelt es sich keinesfalls um ein schlechtes Werk; es weist einige reizvolle Chöre und ein paar wirklich dramatische Momenten auf, auch wenn die Leitmotividee ein wenig überambitioniert erscheint.

Im Dezember desselben Jahres wurde Muirgheis (1903) von Thomas O’Brien Butler (1861-1915) uraufgeführt, ein Stück mit dem Untertitel „Die erste irische Oper“ mit Verweis auf sein irisches Libretto. Dies entpuppt sich freilich als eine von Thadgh O’Donoghue vorgenommene irische Übersetzung eines englischen Textes von Nora Cheeson und George Moore. Wahrscheinlich war zwar eine irischsprachige Aufführung geplant, doch da die erste (und einzige) Vorstellung auf Englisch gesungen wurde, geht die Ehre, die erste Oper auf Irisch zu sein, tatsächlich an O’Dwyers Eithne. Muirgheis löste eine hochgradig kontroverse Rezeption aus, die sich vor allem mit der Frage beschäftigte, ob die löbliche Idee einer irisch-keltischen Handlung im Einklang zu bringen sei mit einer vergleichsweise unreifen Musik.

Weder O’Dwyers Eithne (1909) noch die einaktige Oper The Tinker and the Fairy (1910, nach Douglas Hyde) von Michele Esposito (1855-1929) können der Unreife bezichtigt werden. Letztere wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein lohnendes Werk, das nach einer modernen Aufführung verlangte. Der produktivste Komponist keltizistischer Opern war gleichwohl Geoffrey Molyneux Palmer (1882-1957) mit Werken wie Finn Varra Maa (1917), Sruth na Maoile (1923), der komischen Oper Grania Goes (1924) und Deirdre of the Sorrows (1925), der ersten eines beabsichtigten „Cuchulainn-Zyklus“ von drei Opern, der indes aufgrund Palmers schlechtem Gesundheitszustand eingestellt werden musste. Sruth na Maoile war eine weitere vollwertige ernste Oper auf Irisch – und die letzte ihrer Art. Spätere Produktionen von Éamonn Ó Gallchobhair (1906-1982) während der 1940er und 50er Jahre gehörten einem eher leichten Typus an. Axel Klein (Übersetzung von Daniel Hauser)

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Beide Artikel entnahmen wir mit sehr freundlicher Genehmigung der Autoren Gavan Ring und Axel Klein dem Programmheft zur konzertanten Aufführung der Oper 2017 in Dublin. Zu beziehen ist die neue CD (RTE lyric fm 2 CD 158) über den online-shop von rte-lyric und in ausgesuchten Geschäften. Abbildung oben:Edmund Blair Leighton „The End of The Song“ 1902 Wikipedia.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Verdienstvoll, aber …

 

Keine Spur von Atonalität, dafür viel Wagner und Strauss im Orchester und Puccini in den Gesangsnummern finden sich in Italo Montemezzis 1943 via Radio (NBC) uraufgeführtem Einakter L‘Incantesimo (Die Verzauberung), ohne dass das Echo darauf auch nur vergleichbar war mit dem auf die bekannteste seiner Opern, L’Amore dei tre Re, die sich 25 Jahre lang im Repertoire der Met gehalten hatte, von Toscanini dirigiert wurde. Montemezzi war nicht etwa einer der europäischen Emigranten aus faschistischen Ländern in den USA, sondern mit einer reichen amerikanischen Erbin verheiratet und durchaus im Briefwechsel mit Mussolini, den er für die Aufführung seiner patriotischen Oper La Nave, deren Libretto von d’Annunzio stammte und die in operalounge.de anlässlich ihrer amerikanischen Präsentation ausgiebig vorgestellt wurde, zu interessieren versuchte.

L’Incantesimo  erlebte seine szenische Uraufführung erst nach dem Tode des Komponisten 1952 in der Arena di Verona. Wenn man den heutzutage zwischen Aida, Carmen und Tosca sich bewegenden Spielplan des Freilichttheaters betrachtet, bewundert man den Mut der damaligen Spielplangestalter. Jüngst gab es in Lettland einen Abend mit der Kombination Pagliacci/Incantesimo, eine gute Idee, ein hochpopuläres mit einem unbekannten Werk zu koppeln.

Das Werk spielt im Mittelalter in einem Schloss zu Füßen der Alpen zur Winterszeit. Der Schlossherr Folco (Bariton) erwartet die Ankunft des Wahrsagers  Salomone (Bass), der ihm erklären soll, was es bedeutet, dass er auf der Jagd in einer von ihm erlegten sterbenden Hirschkuh seine Gattin Giselda (Sopran) zu erblicken glaubte. Der Ersehnte erscheint gemeinsam mit dem einstigen Rivalen, Rinaldo (Tenor) um die Gunst Giseldas, der sie immer noch liebt und zu erobern hofft. Salomone erklärt, es sei der Mangel an Liebe, die Folco nur in Verbindung mit dem Tod spüren könne,  die zu der Erscheinung geführt habe. Er müsse an den Ort der  blutigen Tat zurückkehren, und wenn er dort anstelle der Hirschkuh seine Gattin finde und ihren Körper zurückbringe, sei er der Liebe fähig. Rinaldo benutzt die Abwesenheit des Gatten, der nur den Kadaver des Tieres finden wird, dazu, Giselda seine Liebe zu erklären. Diese will seinem Werben nachgeben, wenn es ihm gelingt, am Morgen aus dem verschneiten Garten einen in voller Frühlingspracht zu zaubern – dann würde sie an die Kraft der Liebe glauben und die Seine werden. Das Wunder geschieht und die Oper endet mit der ekstatischen Anrufung von l’amore durch Giselda.

Die über alle Maßen verdienstvolle Firma Bongiovanni aus Bologna, die sich trotz inzwischen fast hundertfünfzehnjährigen Bestehens nur mit einem „70 anni“ schmückt, hat einmal mehr einer vergessenen oder eigentlich nie recht auf der Bühne präsenten Oper zur Wiederentdeckung verholfen, wenn auch leider mit einer teilweise mehr als heiklen Besetzung. Denia Mazzola Gavazzeni, Witwe des besonders um den Verismo verdienten Dirigenten Gianandrea Gavazzeni, singt nicht nur in L’Incantesiomo, sondern auch in der folgenden Debussy-Kantate L’Enfant Prodigue die weibliche Hauptrolle. Die Stimme klingt nun ausgesprochen ältlich, brüchig, bricht auch manchmal einfach weg, und anstelle von scherzosa klingt sie ausgesprochen nervosa. Nur die Musikalität der Sängerin bewahrt sie vor der totalen Katastrophe.Ebbene, allora Rinaldo“ ist eine tremolierende Bankrotterklärung.

Bei Debussy wird zumindest der Sopran nicht unter Druck gesetzt und klingt damit angenehmer in der Rolle der verhärmten Mutter. Markig, viril und dunkel ist der Bariton von Armando Likaj, ausgesprochen metallisch und den Charakter des starren Folco angemessen treffend. Gut gelingt ihm die Jagd-Erzählung in ausdrucksvoller Verhangenheit. Als Vater bei Debussy weiß er auch mildere Töne anzuschlagen, und auch der Tenor Giuseppe Veneziano kann die angenehme Stimme strömen lassen, die zuvor bereits bei „si, l’amore tutto può“ als Rinaldo durch ihr Strahlen aufgefallen war. Als Salomone lässt Fulvio Otelli einen dumpfen Bass hören.

Der Chor, La Camerata di Cremona, der zuvor wenig zu tun hatte, kann im Bonus, FaurésCantique de  Jean Racine“, für sich einnehmen, das Orchestra Filarmonica Italiana unter Marco Fracassi glänzt bei allen Stücken in den fein ziselierten Einleitungen und behauptet auch als Begleitung der Sänger seine Position als hochprofessionelles Musikerensemble (GB 2498/99-2Ingrid Wanja 

Analytiker und Psychologen

 

Neben dem gründlichen Studium sämtlicher Quellen zur Vorbereitung einer Inszenierung komme es sogar vor, so Dmitri Tcherniakov, „dass ich den Ort besuche, an dem die Oper spielt, egal, wie weit entfernt er ist, wie ich das zum Beispiel während der Vorbereitung zu Dialogues des Carmelites gemacht habe, als ich nach Compiègne in ein Karmelitisches Kloster gereist bin, um mich dort mit den Nonnen zu unterhalten. Die Inszenierung selbst ist dann am Ende ganz unabhängig von dieser historischen Basis entstanden“. Für seine Züricher Inszenierung der Debussy-Oper Pelléas et Mélisande im Mai 2016 musste er nicht nach Allemonde reisen und hat für das in einem Märchenmittelalter auf dem Schloss des Königs von Allemonde spielende Stück als sein eigener Ausstatter einen hohen, modernen loftartigen Raum entworfen. Wohnhaus und Praxis in einem, mit schräger Wand und Abtrennung zum Essbereich, von dem aus man auf einen Wald im Wandel der Jahreszeiten blickt, Sitzwürfel, zwei Couches im vorderen Bereich, Flachbildschirme und Kameras, die die Patienten im Nebenraum beobachten (DVD Belair BAC157).

Hier wohnt eine Familie von Therapeuten, die sich gerne selbst beobachtet und analysiert. Golaud hat den Ehrenkodex gebrochen, sich in eine Patientin verliebt, diese geheiratet und mit in dieses Haus gebracht. Klar, dass der ohnehin selbst psychisch deformierte Golaud ausrastet, nachdem er Mélisandes Beziehung zum jüngeren Halbbruder aufgedeckt hat und sich vom smarten Arzt zum ausrasenden Gewaltmenschen wandelt. Der bärtige Kyle Ketelsen bildet mit seinem schweren, kernigen rauen Bariton als viriler Golaud vom Typ angelsächsischer Hochschulprofessor den rechten Gegensatz zum schmal-zarteren, übersensiblen Pulloverträger Pelléas, den Jacques Imbrailo mit weichem Mozart-Bariton gibt. Nicht nur Golaud erlaubt sich schwerer Übergriffe, auch Arkel scheut sich nicht, sich der Frau seines Enkels zu nähern.

Es ist frappierend, wie in diesem Intellektuellen- und Therapeuten-Milieu, wo der Senior-Analyst Arkel mit seiner Schwiegertochter Geneviève am Esstisch die Familiensituation durchdekliniert, Maeterlincks Text neue Farben annimmt und Allgemeinplätze wie Arkels, „Wir sehen unser Schicksal immer von ganz hinten“ beim Kamerablick ins Behandlungszimmer einen neuen Klang erhält. Wie Geneviève bei aller scheinbaren Offenheit und Direktheit hinter Arkels Rücken Pelléas Zeichen macht, wie er sich zu verhalten habe. Oder wie sich Mélisande und Geneviève nebeneinander auf die Liegen betten und Geneviève Mélisandes Ängste in der Manier der Analytikerin deutet. Der bildkräftige, symbolastige Text nimmt in diesem klinischen Umfeld neue Nuancen an, ohne sein Geheimnis einzubüßen. Tcherniakov macht aus dem Fünfakter einen spannenden Psycho-Thriller, in dem auch Arkel und Geneviève, oft stiefmütterlich behandelte Figuren, als dominante Repräsentanten der Analytiker-Szene ständig geistig präsent sind; selbst Pelléas‘ kranker Vater tritt in Erscheinung. Der im Text angelegte Blick in menschliche Abgründe wird bei Tcherniakov zum Blick in die Abgründe der Seele, eben ein Psycho-Thriller wie ihn Debussy in seinen beiden Fragmenten nach Poe, La chute de la maison Usher und Le diable dans le Beffroi, nicht zu Ende führte und der in dem scheinbar so geordneten Ambiente um so perfider ausfällt. Mélisande ist eine seelisch schwer zerrüttete, immer wieder von schmerzlichen Erinnerungen geplagte Frau, die Golaud von Anfang an nicht liebt. Sie wird Opfer einer dysfunktionalen Familie, die sich selbst nicht heilen kann. Auslöser für Mélisandes Leiden ist möglicherweise Golaud, der sich nicht nur an ihr vergriffen hat. Corinne Winters spielt diese Mélisande auszeichnungswürdig, sing flatterhaft zart. Einzig bei Pelléas, der ihre Verschlossenheit respektiert, scheint sie sich zu lösen – während Golaud diese Nähe vom Nebenzimmer aus beobachtet, den verständnisvollen älteren Bruder spielt, gleich darauf Mélisande vor den Augen des Pélleas würgt und dessen Hand auf ihre Brüske drückt. Tcherniakov spielt dieses geschlossene System der Beziehungen und Abhänigkeiten – immer wieder die sprechenden Bilder am Esstisch – so gekonnt durch, dass ich diese Aufführung mit großer Faszination gesehen habe, umso mehr als mit Yvonne Naef und Brindley Sheratt als Geneviève und Arkel und dem sehr sauber singenden Damien Göritz als sich mit Kopfhörern gegen seine Umwelt abschirmender und später selbst als Analytiker versuchender Yniold und dem von Alain Altinglou mit zunehmender Dringlichkeit dirigierten Orchester und Chor auch der musikalische Teil bestens ausgerichtet war.

 

Maurice Ravels Debussy-Hommage Shéhérazade stand in diesem Sommer (2019) auf dem Programm eines Berliner Waldbühnen-Konzerts mit den Berlinern Philharmonikern unter Tugan Sokhiev – außerdem Sergej Prokofjews Leutnant Kije-Suite op. 60 und Romeo und Julia-Suite in einem Arrangement Sokhievs – bei dem sich die als neuer Stern am französischen Opernfirmament gegrüßte Marianne Crebassa der Orchesterlieder annahm. Crebassa singt auf diesem Mitbringsel für die Daheimgebliebenen (EuroArts 2067794) die drei Orchesterlieder mit starker Bildkraft und aparter Linie, beschwört mit dunklem Timbre auf eindringliche Weise die von Ravel und Tristan Klingsor in verschwimmenden Farben gemalten exotischen Paläste. Ihre Stimme ist nicht durchgehend elegant verblendet, weshalb sie trotz der Ausdruckskraft und Beweglichkeit ihres Mezzosoprans noch nicht an große Vorbilder heranreicht. Rolf Fath

Anspruchsvolle Neuaufnahme

 

Das in unseren Breiten noch unbekannte Label LINN legt eine im Mai/Juni 2018 in London produzierte Aufnahme von Händels Samson auf drei CDs vor (CKD 599). Im Februar 1743 wurde das Oratorium in Londons Covent Garden uraufgeführt und markierte die Abkehr des Komponisten von der italienischen Oper. Das letzte Werk des Genres der opera seria kam 1741 zur Premiere – mit nur wenig Erfolg. Danach setzte Händel den Messiah in Musik und begann, sich dem Samson in der Dichtung John Miltons zu widmen. Nach der erfolgreichen Uraufführung wurde das Werk in den folgenden Jahren unter Händels Leitung in den unterschiedlichsten Besetzungen gespielt.

Bei der aktuellen Aufnahme steht am Pult des 1995 gegründeten Barockensembles Dunedin Consort dessen Musical Director John Butt, der eine dramatisch pulsierende Deutung bietet. Händel hatte einige seiner biblischen Oratorien als Sacred Drama bezeichnet, was die Bedeutung des dramatischen Elementes in der Musik bestätigt, und der Dirigent befolgt diese Vorgabe konsequent. Dem Chor fällt in diesem Werk eine bedeutende Aufgabe zu, und der Tiffin Boy`s Choir (Einstudierung: James Day) erfüllt sie bravourös. Die Gesänge strahlen in majestätischer Pracht, besonders im Finale, wenn Samsons Sieg über den Tod gefeiert wird.

Das vorwiegend englische Solistenensemble wird angeführt von Joshua Ellicott in der Titelpartie, der eine stilistisch kompetente Interpretation liefert. Die Stimme des Tenors ist von weicher Textur, was seiner klagenden ersten Arie „Torments, alas“, ideal entspricht. Ergreifend ist „Total eclipse!“, was den Zustand des Blinden, der das verlorene Licht beklagt, eindrücklich schildert. Wunderbar formt er Samsons Abschiedsarie im 3. Akt, „Thus when the sun“, in der er das Bild der untergehenden Sonne und seinen wieder erlangten Frieden beschreibt.

Sophie Bevan ist eine Dalila mit energischem Sopran. Ihr Duett mit Samson im 2. Akt, „Traitor  to love“, ist ein vehementes Kräftemessen. Samsons Freund Micah ist hier keinem Countertenor anvertraut, sondern wird von der Altistin Jess Dandy wahrgenommen. Ihr Timbre ist freilich genügend androgyn, um eine männliche Figur suggerieren zu können. Träumerisch entrückte Klänge lässt sie im Arioso „Then long eternity“ vernehmen, in der nachfolgenden Arie „Joys that are pure“ wirken die Koloraturen etwas matt. In „Return, O God“ im 2. Akt erklingt die Stimme in ruhigem Fluss. Mary Bevan übernimmt die Soli von A Virgin, An Israelite Woman und A Philistine Woman mit hellem, klarem Sopran. Ihr fällt die berühmte Tauben-Arie „With plaintive notes“ zu, in der sie zärtliche und leuchtende Töne hören lässt. Zudem gebührt ihr am Ende des Werkes der jubelnde Gesang „Let the bright seraphim“. Reizvoll klingt der Sopran von Fflur Wyn als A Virgin und A Philistine Woman. In der Arie „It is not virtue“ kann sie besonders brillieren.

Hugo Hymas übernimmt die Soli von An Israelite, A Philstine und A Messenger mit leichtem, flexiblem Tenor. Die Bässe Matthew Brook als Samsons Vater Manoa und Vitali Rozynko als Philisterkrieger Harapha sorgen für kontrastierend tiefe Töne. Ersterer führt sich imponierend ein mit der energischen Arie „Thy glorious deeds“ und erfüllt auch „Just are the ways of God“ zu Beginn des 2. Aktes mit Nachdruck. Weicher, aber sinnlich-resonant klingt Rozynko, der in der prahlerischen Arie„Hounour and arms“ auftrumpft und Samson im Duett „Go, baffled coward“ Paroli bietet.

Neben den Referenz-Aufnahmen des Werkes (Somary, Leppard, Harnoncourt, Christophers) kann sich diese Neuaufnahme durchaus behaupten. Bernd Hoppe

Dokument früher Reife

 

Eigentlich ein „intermedium“, ein Pausenfüller innerhalb einer Oper, war das vom Professor Rufinus Widl beim erst elfjährigen Mozart als dessen zweites Bühnenwerk in Auftrag gegebene Apollo et Hyacinthus, fast ausschließlich für Knabenstimmen, weil für die Aufführung an einem Salzburger Gymnasium bestimmt, komponiert. Entsprechend jugendfrei war die Handlung, die anstelle einer homosexuellen Leidenschaft Apollos für Hyacinthus eine Freundschaft schildert, dazu die gleichzeitige Liebe des Gottes zu der Königstochter Melia, die Erfüllung findet, während die diese Beziehung störenden Elemente Hyacinthus als gleichnamige Blume, der Bruder der Prinzessin, Zephyrus, als mildes Lüftchen enden.

Auf der bei Signum Classics 2019 erschienenen CD sind zwar auch Salzburger, The Mozartists unter Ian Page, zu hören, aber durchweg Erwachsene, seien es Frauen- oder Countertenorstimmen, abgesehen vom König und Vater und zwei Priestern, die männlichen Stimmen anvertraut sind. Der Tenor Andrew Kennedy setzt für den König und Vater Oebalus einen schlanken Charaktertenor ein, ausdrucksvoll in den wichtigen Rezitativen und zugleich kraftvoll und empfindsam in seiner Arie „Ut navis in aequore“. Klara Ek hat einen zarten, empfindsamen Mädchensopran von seltener Anmut für die umworbene Melia, der in „Laetari iocari“ sichere Intervallsprünge und insgesamt eine beachtliche Virtuosität wahrnehmen lässt. Im Duett mit Apollo zeigt sie durchaus auch einiges Temperament. Der Griechengott ist Lawrence Zazzo anvertraut, der ihn mit nobel-sinnlichem Countertenor und viel vokaler Autorität singt. Dem zweiten Countertenor, Christopher Ainslie, wurde der Zephyrus zugewiesen, den er mit weniger präsenter, aber von zarter Tragik umflorter Stimme singt, in seiner Arie etwas verhuscht, aber mit einem schönen Triller endend. Bleibt noch der Sänger des Hyacinthus, der eine Sängerin ist, Sophie Bevan mit frischem, mit den Instrumenten um die Wette strahlendem Sopran, der in der allerdings selten geforderten Tiefe matt klingt. Pure Munterkeit hingegen sind The Mozartists und machen aus der frühreifen Angelegenheit eine durch und durch muntere Unternehmung (2 CDs Signum Classics  CD577). Ingrid Wanja

 

Facettenreich

 

Die französische Firma Aparte bringt zwei Recitals heraus, welche die Herzen von Barockfreunden und Raritäten-Sammlern höher schlagen lassen. Beide wurden Ende 2018 bzw. Anfang 2019 aufgenommen – das erste im September in Metz in Zusammenarbeit mit dem Centre de musique baroque de Versailles. Es trägt den Titel „L’opéra du roi soleil“ und wird gestaltet von der englischen Sopranistin Katherine Watson und dem Ensemble Les Ambassadeurs unter Leitung von Alexis Kossenko (AP 209). Das Programm umfasst Ausschnitte aus der französischen Oper des 17. und 18. Jahrhunderts, darunter seltene oder erstmals aufgenommene Titel, wie es das Anliegen des koproduzierenden CMBV ist. Gleich der Auftakt, die Arie der Eurydice, „Ah! que j’éprouve bien que lámoureuse flamme“, aus Louis de Lullys Orphée von 1690, ist eine Rarität. Es ist ein getragenes Lamento, das Eurydices Zweifel, ob Orphée sie noch liebt, eindrücklich wiedergibt. Die Sopranistin lässt einen schmerzlichen Tonfall hören, welcher der  existentiellen Situation perfekt entspricht.

Der folgende Komponist, Marin Marais, ist in der Barocklandschaft kein Unbekannter. Aus seiner Oper Alcyone, die in dieser Saison am Gran Teatre del Liceu von Barcelona gezeigt wird, erklingen die Ouverture sowie die rhythmisch reizvolle Marche pour les und das pompöse Deuxième Air des Matelots. Aus Ariane et Bacchus gibt es sogar vier Ausschnitte – die wehmütige Arie der Titelheldin, „Croirai-je“, die sehr delikat musizierte Symphonie du sommeil, das Air pour les flutes und das Rondeau. In diesen Instrumentalstücken imponiert das Orchester mit farbigem, akzentuiertem Spiel.

Auch von André Campra finden sich in der Programmfolge mehrere Titel. Aus seinem Idoménée  von 1712 bzw. der Version von 1732 gibt es die feierliche Chaconne, die Arie der Illione „Espoir des malheureux“ und die Arie der Vénus „Coulez, ruisseaux“. Auch die Arie der Zaide, „Mes yeux“, aus L’Europe galante von 1697 steht in ihrem Lamento-Charakter ganz in der Tradition der tragédie-lyrique. Vier Szenen aus Téléphe (1713) bringen die Sarabande und drei Arien von La Pythonisse, von denen besonders die letzte, „Quelle épaisse vapeur“, durch ihren majestätischen Charakter heraus ragt.

Natürlich darf in einer solchen Anthologie Jean-Baptiste Lully nicht fehlen. Es finden sich die Arie der Galatée, „Enfin, j’ai dissipé la crainte“, aus Acis et Galatée (1686), welche von Watson zunächst gefühlvoll, später sehr engagiert vorgetragen wird, die wehklagende Arie von Une Femme affligée, „Deh, pangete al pianto mio“, aus Psyché und die tänzerisch beschwingte Marche pour la cérémonie des Turcs aus Le Bourgeois gentilhomme.

Zu erwähnen sind noch Titel von weiteren unbekannten Komponisten – eine furiose und eine klagende Arie der Titelheldin aus Circé von Henri Desmarest sowie zwei Szenen aus Werken von Jean-Baptiste Stuck. Aus dessen Thétis et Pélée erklingt in pompöser Feierlichkeit und Koloraturjubel das Air ajouté „Non sempre guerriero“, aus Polydore die Arie der Ilione „C’en donc fait“, welche noch einmal den Sopran in seiner technischen Kompetenz und sensiblen Gestaltungsintensität zeigt. Benrd Hoppe

 

Nicht weniger originell ist das Recital mit der Sopranistin Sophie Karthäuser und dem Ensemble Le Concert de la Loge unter Julien Chauvin (AP 210). Es wurde im Oktober 2018 im Pariser Louvre bzw. im März 2019 im Conservatoire Jean-Baptiste Lully in Puteaux aufgenommen und trägt den Titel „Haydn – L’Impatiente“. Auch hier finden sich unbekannte Komponisten, wie die dreisätzige, dramatisch pulsierende Symphonie en ré mineur, op. 10 no 1 von Louis-Charles Ragué, welche die Anthologie beendet, oder die Arie der Titelheldin, „Il va venir“, aus Jean-Baptiste  Lemyones Phèdre. Dagegen nimmt sich der Auftakt der Programmfolge geradezu populär aus. Es ist Haydns Symphonie no 87 en la majeur, deren Untertitel „L’Impatiente“ der Sammlung den Titel gab. Das Orchester verleiht dem 1. Satz, Vivace, federnden Schwung, breitet das folgende Adagio mit starker Empfindung aus, setzt im Menuet – Trio übermütige Akzente und beschließt  die Komposition mit heiterem Elan. Auch die Arie der Eurydice, „Fortune ennemie“, aus Glucks Orphée et Eurydice ist ein sattsam bekannter Titel. Die Anthologie wird vervollständigt von weiteren Raritäten – der Arie der Titelheldin „C’ est votre bonté“ aus Antonio Sacchinis Chimène ou Le Cid, der Arie der Dircée „Age d’or“  aus Johann Christoph Vogels  Démophon und der Arie der Éliane „O sort“ aus André-Ernest-Modeste Grétrys Les Mariages samnites. Sophie Karthäuser lässt in den Gesangsnummern einen reizvoll timbrierten Sopran hören, der in den lyrischen Szenen mit reicher Empfindung berührt und in den dramatischen mit flammender Intensität imponiert. Bernd Hoppe

 

Ein originelles Konzept erdachte der katalanische Countertenor Xavier Sabata für sein im Januar 2018 aufgenommenes Recital bei APARTÉ (192). Unter dem Titel L’Alessandro amante stellt er elf Arien aus zehn Barockopern von acht verschiedenen Komponisten vor, die sich sämtlich mit der Person Alexander des Großen oder einer aus dessen Umfeld beschäftigen. In der Geschichte der Oper ist Alexander eine der am meisten in Musik gesetzten Figuren – Metastasios Libretto Alessandro nell’Indie von 1726 wurde über 65mal vertont. Die Spanne des Programms reicht chronologisch von Antonio Draghis La Vittoria della fortezza (Uraufführung 1687 in Wien) bis zu Leonardo Leos Alessandro in Persia (1741, London) und bietet die Möglichkeit, den vielschichtigen Charakter des berühmten Feldherren zu beleuchten – den Kämpfer und Liebhaber. Darunter finden sich viele Raritäten, so die beiden Titel von Giovanni Battista Bononcini, welche die Anthologie eröffnen – das straffe Preludio aus seinem Abdolomino (1711, Neapel) und die Arie von Alessandros treuem Begleiter Efestione „Da tuoi lumi“ aus L’Euleo festeggiante nel ritorno d’Alessandro Magno dall’Indie (1699, Wien). Später folgt aus dieser Serenade noch eine klagende Arie des Alessando, „Chiare faci“. Sabata nimmt vom ersten Ton an mit seiner weichen, sinnlichen Stimme für sich ein, die sanft und wohltönend erklingt, in den Koloraturläufen mit gebotener Virtuosität aufwartet. In zwei Arien der Titelhelden aus Opern Händels, welche die einzig bekannten der Sammlung markieren, kann der Counter besonders imponieren. Aus Poro, re dell’Indie (1731, London) singt er das getragene, emotionsstarke „Se possono tanto“, welches er im Da capo phantasievoll variiert, aus Alessandro (1726, London) „Vano amore“, wo er energisch auftrumpft und mit einem rasanten  Koloraturfeuerwerk brilliert.

Giovanni Battista Pescettis Vertonung von Metastasios Libretto wurde 1732 in Venedig uraufgeführt. Der Komponist war später der Lehrer von Josef Myslivecek und Antonio Salieri. Sabata stellt Alessandros Arie „Serbati a grandi  imprese“ vor, die in ihrem wiegenden  siciliano-Rhythmus die Schönheit und Sanftmut seiner Stimme besonders herausstellt. Aus dem frühesten Werk der Zusammenstellung, Draghis Einleitung zum Ballett La Vittoria della fortezza, erklingen zwei kurze Arietten Alessandros im Canzonetta-Charakter. Den neapolitanischen Stil vertritt Francesco Mancini mit Alessandro il Grande in Sidone, uraufgeführt 1706 in Neapel. Daraus ist die Arie des Eumene, „Spirti fieri“, zu hören, in welcher der Counter mit heroischer Verve aufwartet und einmal die Agilität seiner Stimme demonstriert. Auch Leonardo Vincis Version (1730, Rom) repräsentiert diesen Stil. Alessandros Arie „Serbati a grandi  imprese“ war vorher bereits in Pescettis Vertonung zu hören, hier klingt sie eher beschwingt, doch lässt sie mit ihren getupften staccati Sabatas Stimme gleichfalls zu schöner Wirkung kommen.

Leonardo Leo führt zum galanten Stil. Seine Oper nennt sich Alessandro in Persia (1741, London). Die Arie der Titelfigur, „Dirti, ben mio“, ist eine zärtliche Liebeserklärung, die Sabata mit schmeichelnden Tönen formuliert. Mit Nicola Porporas Poro (1731, Turin) endet das Recital höchst spektakulär, denn der Komponist widmete sie der Kastraten-Legende Farinelli. Poros Arie „Destrier ch’all’armi usato“ porträtiert den Feldherren Alexander mit Koloraturbravour und schmetterndem Klang der Trompeten und Hörner, die im Wettstreit mit dem Sänger auch mal in Bedrängnis geraten.

Sabata unterstreicht mit dieser CD eindrucksvoll seine prominente Position unter den derzeit führenden Vertretern seiner Gattung.

Das den Sänger begleitende Ensemble Vespres d’Arnadí unter Leitung von Dani Espasa kann sich schon im Eröffnungsstück imponierend profilieren, wie auch in den später folgenden Instrumentalnummern – der gewichtigen Sinfonia aus Agostino Steffanis Il Zelo di Leonato (1691, Hannover) und der tänzerischen aus Francesco Mancinis Alessandro il Grande in Sidone (1706, Neapel). In den Klangteppich des Orchesters ist die Stimme Sabatas harmonisch eingebettet, wirkt aber dennoch stets präsent. Bernd Hoppe

Les beaux moments

 

Im September 2018 hatte Glucks Orphée et Eurydice in der von Hector Berlioz bearbeiteten Fassung an der Pariser Opéra Comique begeistert gefeierte Premiere (an der man auf Arte teilhaben konnte). Ein Mitschnitte von zwei Vorstellungen ist jetzt bei Naxos als DVD erschienen, ein wahrer Glücksgriff! Bei dieser Aufnahme stimmt einfach alles, die Gestaltung auf der Bühne, Chor und Orchester des fabelhaften Ensembles Pygmalion sowie drei glänzende Gesangssolisten. Aber schön der Reihe nach: Als erstes möchte ich die Darstellerin des Orphée nennen, die junge, auf dem Weg zur Weltkarriere befindliche Marianne Crebassa. Ihre durch alle Lagen wunderbar ausgeglichene Stimme verfügt über eine faszinierende Vielfalt von Farben, die die französische Mezzosopranistin in allen Passagen gekonnt zur Entfaltung bringt, ob in den lyrisch verhaltenen Trauerphasen, bei den sehnsüchtigen Rufen nach der Geliebten oder in den dramatischen Ausbrüchen. Dazu kommt eine Gestaltung des verzweifelten Orphée, die von Beginn an anrührt. Mit kultiviert geführtem, charaktervollem Sopran gefällt Hélène Guilmette als Eurydice ebenso wie der flexible Mezzo von Lea Desandre in der kleinen Partie des Amour, hier als Frau dargestellt. Auch die szenische Verwirklichung überzeugt rundum; der Regisseur Aurélien Bory lässt auf der von ihm gemeinsam mit Pierre Dequivre gestalteten Bühne das mythologische Geschehen ohne jedes Mobiliar und ohne konkrete Ortsbestimmung ablaufen. Durch raffinierte Spiegelungen und immer wieder überraschende Lichteffekte (Arno Veyrat) entsteht eine diffuse Atmosphäre, die die Welt zwischen Diesseits und Totenreich charakterisiert. Eine wichtige Rolle spielen die Choristen sowie sechs Tänzerinnen und Tänzer, die die Gefühle der Protagonisten mitempfinden oder ihnen beim Eintritt in die Unterwelt entgegenstehen. Dabei ist der sehr homogene, exzellent ausgewogene Klang des Chores des Lausanner Ensembles Pygmalion auffällig, ganz gleich, ob die Choristen im Liegen oder sich teilweise sehr lebendig bewegend singen müssen. Dies ist auch dem Gründer des Ensembles Raphael Pichon zu verdanken, der souverän mit durchweg angemessenen Tempi für ein stets ansprechendes Musizieren des wie aus einem Guss spielenden Orchesters sorgt. Diese DVD kann man sich gut mehrmals ansehen (NAXOS 2.1106.38). Gerhard Eckels

Gute-Laune-Platte

 

Nach„Du bist die Welt für mich“ mit Berliner Liedern der 1920er und 30er Jahre und „Dolce Vita“ mit italienischen Canzonen begibt sich Jonas Kaufmann mit seiner neuen CD „Wien“ erneut auf abseitiges Terrain (Sony 19075950402). Doch mit seiner Reverenz an die österreichische Metropole reiht er sich ein in die illustre Schar von berühmten Vertretern seiner Stimmgattung, die neben ihren Auftritten auf der Opernbühne sich immer wieder dem Genre der leichteren Unterhaltung widmeten. Dass dieses durchaus hohe Ansprüche an die stimmlichen und technischen Fähigkeiten des Interpreten stellt, beweisen die Operetten von Johann Strauß II, Franz Lehár und Emmerich Kálmán. Von letzterem Komponisten offeriert Die Zirkusprinzessin gar die Operettenversion von Leoncavallos Pagliacci mit der Figur des Mister X, der mit seinem Monolog  „Wieder hinaus ins strahlende Licht“ an Canios „Recitar“ erinnert. Kaufmann überzeugt mit diesem Titel besonders, gestaltet ihn mit imponierender Steigerung und existentiellem Ausdruck.

Von Lehár findet sich ein Ausschnitt aus der Lustigen Witwe – das Duett Hanna/Danilo „Lippen schweigen“, in welchem die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen die Partnerin des Tenors ist. Sie war in der konzertanten Fledermaus in der Semperoper zu Silvester, wo er erstmals (und durchaus mit zwiespältigem Ergebnis) den Einsenstein sang, seine Rosalinde. Im cremigen Ton und sinnlichen Timbre ihres hohen Soprans erinnert sie an Renée Fleming.

Allein sechs Nummern sind dem Schaffen von Johann Strauß II gewidmet. Die erste ist das Duett Graf/Gräfin„Wiener Blut“ aus der gleichnamigen Operette mit Kaufmann und Willis-Sørensen, die zu perfekter Balance von Schmelz und Schmalz finden. Mit dem koketten Uhrenduett Eisenstein/Rosalinde aus der Fledermaus erinnern sie an ihren gemeinsamen Dresdner Auftritt. Mit drei Arien aus Eine Nacht in Venedig kann der Solist besonders brillieren – die Partien des Caramello und Herzogs fanden sich im Repertoire aller gefeierten Tenöre von Tauber und Schmidt bis Schock und Gedda. Bei „Sei mir gegrüßt“ und „Komm in die Gondel“, wo er jeweils mit Spitzentönen auftrumpft, hört man bei Jonas Kaufmann am ehesten den Opernsänger heraus. Zu den weniger bekannten Werken von Strauss II zählt Die Tänzerin Fanny Elssler, doch hat sich das Lied „Draußen in Sievering“ längst einen Platz in der Hit-Liste der Operette erobert. Kaufmann singt es bezaubernd mit Charme und Nostalgie.

Neben den Beiträgen aus der klassischen Wiener Operette mit üppiger  Orchestrierung, wo sich die Wiener Philharmoniker unter Ádám Fischer schwelgerisch ausbreiten, hat Kaufmann auch eine Reihe von Wienerliedern ausgewählt, die zum Teil in kleiner Besetzung wie mit einem Salonorchester erklingen. Da gibt es zwei Kompositionen von Robert Stolz – „Wien wird bei Nacht erst schön“ (dem stimmungsvollen Auftakt des Programms) und „Im Prater blühn wieder die Bäume“  – sowie zwei Ausschnitte aus dem Film „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“ von 1935 mit der Musik von Hans May, die Joseph Schmidt so unvergleichlich interpretierte. Neben dem auftrumpfenden Titelsong ist „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben“ eher von resignierter Wirkung. Hatte Kaufmann bei der Berliner Platte seinem Gesang einen Kabarett-Ton beigemischt und damit den Vergleich mit Richard Tauber von vornherein vermieden, finden sich in der Interpretation der Wiener Titel Parallelen zu Michael Heltau.

Auch Rudolf Sieczynskis „Wien, du Stadt meiner Träume“, Ralph Benatzkys „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein“ und Peter Kreuders „Sag beim Abschied leise Servus“ sind längst Klassiker der Sparte. Eine Rarität ist das Lied „Du wärst für mich die Frau gewesen“ aus Jaromir Weinbergers Frühlingsstürme, das mit wehmütigen Kopftönen schmerzliche Erinnerungen heraufbeschwört. Der Abschluss des Programms mit Georg Kreislers hintergründigem„Der Tod, das muss ein Wiener sein“ wirkt wie ein Bonus, den hier begleitet Michael Rot den Solisten am Flügel. Der Titel fällt auch in seiner Stimmung aus dem Gesamtkonzept der Platte heraus, die aber dennoch gute Laune garantiert. Berd Hoppe

Franco Zeffirelli

Er galt vielen als Synonym für den Opernregisseur schlechthin. Zumindest in Sachen der traditionellen, naturalistischen Inszenierung suchte Franco Zeffirelli in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinesgleichen. Dabei war der am 12. Februar 1923 in Florenz geborene Künstler weit mehr als bloßer Opernregisseur. Einer breiten Öffentlichkeit dürfte er gerade auch durch seine Filme in Erinnerung bleiben, welche ein ähnlicher Monumentalstil auszeichnet wie seine sonstigen Inszenierungen. Hier muss sicherlich als erstes die schlichtweg geniale Filmadaption von Shakespeares Romeo und Julia von 1968 genannt werden, die ihm eine Oscar-Nominierung für die beste Regie sowie den David di Donatello und den Nastro d’Argento als bestem Regisseur einbrachte. Die Besetzung mit den seinerzeit noch völlig unbekannten und blutjungen Schauspielern Olivia Hussey und Leonard Whiting erwies sich als goldrichtig. Bereits ein Jahr zuvor hatte er mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker verfilmt, in welchem die Hassliebe zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton kongenial im Mittelpunkt stand. Ein Kind seiner Zeit im Zuge der Hippie-Bewegung dann 1973 der Film Bruder Sonne, Schwester Mond über den heiligen Franziskus von Assisi. Den Grundstein für diese und weitere Erfolge legte freilich trotzdem die Opernregie. Nach einem Studium der Kunst und Architektur in seiner Heimatstadt Florenz kam er in den Dunstkreis des Regisseurs Luchino Visconti, der ihn stark prägte und zu dem er zeitweilig auch eine Liebesbeziehung unterhielt. Obwohl persönlich konservativ und bekennender Katholik, machte Zeffirelli seit 1996 kein Geheimnis mehr um seine bereits zuvor kolportierte sexuelle Veranlagung. Ihm, der er selbst unter schwierigen Bedingungen aufwuchs (die Mutter starb, als er sechs war, der Vater anerkannte ihn erst im Alter von 16), gelang es, sich ab den 50er Jahren an den berühmten Opernbühnen der Welt einen Namen zu machen. Er inszenierte unter anderem an der Scala von Mailand, an der Wiener Staatsoper, an der New Yorker Met, an der Arena di Verona sowie an der Comédie-Française. Seine opulenten Produktionen, vielerorts noch im Repertoire, wurden rasch zu seinem Markenzeichen, was ihm die Anerkennung eines Großteils des Publikums einbrachte, bei Kritikern aber auch den Ruf des Verstaubten und Ewiggestrigen. Spätestens mit seinem politischen Engagement für die rechtsgerichtete Forza Italia Silvio Berlusconis, für die er zwischen 1994 und 2001 im italienischen Senat saß, verstimmte er auch manchen Anhänger. Die Widersprüchlichkeit machte Zeffirelli in der Tat aus. So hatte er trotz seines Bekenntnisses zur eigenen Homosexualität kein Problem mit der Sexualmoral der katholischen Kirche. Vielfach ausgezeichnet, erhielt er schon 1977 den Verdienstorden der Italienischen Republik und wurde 2004 als Knight Commander of the Order of the British Empire ehrenhalber zum Ritter Ihrer Majestät geschlagen. Umtriebig bis zuletzt, inszenierte er noch bis zum letzten Atemzug, so für geplanten Produktionen in Verona (Sommer 2019) und gar am Königlichen Opernhaus im Oman (Anfang 2020). Franco Zeffirelli starb hochbetagt, im 97. Lebensjahr stehend, am 15. Juni 2019 in Rom. Er hinterlässt zwei adoptierte erwachsene Söhne (Foto Wikipedia). Daniel Hauser

Noch zu retten?

 

Die Umrandung des Covers mit einem kräftigen Grün, der Farbe der Hoffnung, widerspricht dem skeptischen Fragezeichen, das nach dem Titel Musiknation Deutschland steht, gefolgt von dem tatkräftigen „Ein Plädoyer für die Zukunft unserer Orchester“. Arnold Werner Jensen, geborener Österreicher, aber vor allem in Deutschland als Musikpädagoge und Musikwissenschaftler tätig, macht sich Sorgen um den Erhalt der reichen musikalischen Landschaft, die Deutschland mit seinen 129 „Kulturorchestern“, einmalig in der Welt,  immer noch darstellt.  1992 waren es immerhin 168, meistens führten Fusionen zur Verringerung der Anzahl.

Das Buch erläutert dem Leser, wie es zu der großen Anzahl von Orchestern und auch Opernhäusern kam, einer der wenigen Vorteile, den die deutsche Kleinstaaterei bot, denn jeder noch so unbedeutende Fürst wollte sich eine Kapelle leisten, ähnlich selbstbewusst, dazu aber auch kulturbeflissen war in späteren Zeiten das Bürgertum, so dass in Städten wie Hamburg oder Frankfurt von ihm getragene Institutionen entstanden. Da dürften höhere Ausgaben entstanden sein als die 0,2 % des Gesamtetats, den die Bundesrepublik nach Jensen für Kultur ausgibt. Was Länder und Kommunen beitragen, darf allerdings nicht unterschlagen werden, und am Schluss des Buches führt der Autor auch ein Gespräch mit einem Mäzen, Reinhold Würtz, der nicht nur einen Chor und eine Band, sondern auch ein Orchester finanziert, das sich sogar Anna Netrebko und Gatte als Begleiter bei ihrem gemeinsamen Konzert wünschten.

Im Mäzenatentum sieht Jensen allerdings nur eine weniger bedeutende Säule, auf der das musikalische Leben in Deutschland ruhen kann. Er nimmt den Staat in die Pflicht, der immerhin jeden Abend für jeden Sitz 257 Euro in der Berliner Staatsoper aufbringt, sieht ihn aber insofern als Gefahr für die Kulturlandschaft Deutschland an, als junge Musiker und junges Publikum nicht genügend stark durch einen regelmäßigen und dazu guten Musikunterricht vom Kindergarten bis zur Hochschulreife mit klassischer Musik in Kontakt gebracht werden. Da er selbst als Gymnasiallehrer gearbeitet hat, weiß er um den Unmut von Schülern, wenn sie sich mit einer Oper oder Sinfonie beschäftigen sollen, und schlägt deshalb einige Tricks vor, die helfen sollen, junge Menschen an klassische Musik heranzuführen. Daniel Barenboim sollte seiner Meinung nach ein Vorbild mit seinem Musikkindergarten sein.

Der Autor setzt sich ausführlich mit den Problemen auseinander, die bei der Wiedervereinigung Berlins durch die Vielzahl von Orchestern, die alle ihr Stammpublikum hatten, entstanden. Er zeichnet die Geschichte einiger Berliner Orchester, so des heutigen DSO,  nach, berichtet über das Orchesterranking, meint aber zugleich, es gäbe keine „Provinz“ im schlechten Sinne mehr, wenn sich Coburg Wagner-Opern und das Brandenburgische Staatsorchester Aufnahmen von Brahms-Sinfonien zutrauen.

Ein umfangreiches Kapitel beschäftigt sich mit den Orchestern zwischen Profilbildung und Globalisierung, die vor der klassischen Musik nicht Halt mache. Mit Christian Thielemann, der in einem umfangreichen Interview befragt wird, ist er der Meinung, dass nur noch die Dresdner Staatskapelle und die Wiener Philharmoniker, diese wegen ihrer Instrumente, ein unverkennbares Profil haben. Von Petrenko erhofft er sich, dass der den Berlinern dazu verhilft, wieder unverwechselbarer zu werden, verschweigt allerdings auch nicht, dass Qualitätssteigerung durch Verpflichtung der weltbesten Musiker die andere Seite der Medaille ist.

Das vielseitige Buch entwirft auch Berufsbilder, schildert Ausbildungsgänge, befasst sich mit der Rolle der Frauen als Orchestermitglieder, aber auch als Dirigentinnen, befragt Musiker darüber, ob viele Ausländer in einem Orchester fremde Elemente darstellten, ein anderes Musizieren bewirkten. Ein weiteres Kapitel ist den Spielstätten gewidmet, der Erörterung der Vorzüge und Nachteile von Weinberg- oder Schuhschachtel-Sälen.

Der zweite Teil des Buches befasst sich mit den deutschen Orchestern, d.h. der Bedeutung der DOV, der Frage, ob Unkündbarkeit gleich Qualitätsverlust sei, der Problematik von zwei Orchestern an einem Ort ( z.B. Dresden oder Wien) und der Orchestertypologie. Interessant zu erfahren ist, dass die Bamberger Symphoniker von böhmischen Musikern gegründet wurden, die Philharmonia Hungarica, inzwischen aufgelöst,  von 1956 geflüchteten Ungarn.

Aufschlussreich ist das Interview mit Christian Thielemann, der über die Funktion des Musikdirektors in Bayreuth spricht, übe  die besondere Akustik des Festspielhauses,  die Zusammensetzung des Orchesters, die Bedrohung der kleinen Theater durch die Möglichkeit für den Opernfreund, auch in der Provinz auf dem Fernsehschirm Anna Netrebko erleben zu können.  Der Dirigent strahlt Gelassenheit aus, wenn er meint, auch griechische, ägyptische und andere Kulturen seien einst untergegangen, und er lässt sich nicht aufs Glatteis führen, wenn er pauschal auf die Frage nach eventueller Veränderung des Orchesterklangs durch Frauen meint, sie seien das starke Geschlecht. Wertvoll ist sicherlich sein Ratschlag, jeder Dirigent soll an einem kleineren Theater die Lustige Witwe dirigieren und sich erst danach an die Meistersinger wagen.

Das Buch bietet eine Fülle von Informationen, wiederholt sich manchmal, gibt aber viele Anregungen und überzeugt durch Sachkenntnis und Engagement (210 Seiten, 2019 Henschel Verlag, ISBN 978 3 89487 809 2/ Abbildung oben Munari: Stillleben mit Instrumenten, galleria Palatina, Wikipedia). Ingrid Wanja   

 

Rolando Panerai

 

Seine Ausbildung absolvierte Rolando Panerai, am 17. Oktober 1924 in Campi Bisenzio bei Florenz geboren, am Konservatorium der toskanischen Hauptstadt bei Vito Frazzi, später auch in Mailand bei Giacomo Armani und Giulia Tess. Sein Debüt erfolgte 1946 als Lord Ashton in Donizettis Lucia di Lammermoor. Von da an ging es steil bergauf. Er sang an den großen Bühnen der Welt, so an der Scala von Mailand, am Royal Opera House, Covent Garden, an der Met in New York, an der Wiener Staatsoper, am Liceu von Barcelona, an der Pariser Oper sowie bei den Festspielen von Salzburg, Edinburgh und Aix-en-Provence.

Sein Repertoire umfasste zuletzt mehr als 150 Opern, darunter besonders Verdi und Puccini. In komischen Rollen feierte er seine größten Erfolge, so als Ford in Verdis Falstaff, in beiden Figaro-Partien von Mozart und Rossini, ferner als Leporello, Guglielmo und Alfonso bei Mozart, als Belcore und Dulcamara in L’elisir d’amore von Donizetti sowie in der Titelrolle von dessen Don Pasquale. Den Gianni Schichi sang er noch 2011 im Alter von 87 Jahren. Aber auch neueren Opern gegenüber war Panerai aufgeschlossen, so etwa Hindemiths Mathis der Maler und Der feurige Engel von Prokofjew. Zu seinen Gesangspartnern zählten solche Größen wie Maria Callas, Renata Scotto, Beverly Sills, Giuseppe di Stefano, Carlo Bergonzi und Nicolai Gedda. Seine womöglich berühmtesten Einspielungen machte er unter Herbert von Karajan in dessen legendärer Bohème neben Pavarotti und Freni (1973) und später auch im Falstaff  (1980). Das Gros seiner Studioaufnahmen entstand indes bereits in den 1950er und 60er Jahren. Ja sogar Wagner hat er gesungen, wie eine italienischsprachige Aufnahme des Parsifal von 1950 beweist (neben der Callas und Boris Christoff). Selbst im greisenhaften Alter war er noch als Gesangslehrer tätig und versuchte sich daneben auch als Opernregisseur, so zuletzt noch im Vorjahr in Genua mit Gianni Schicchi. 1992 wurde er zum österreichischen Kammersänger ernannt. Am 23. Oktober 2019 ist Rolando Panerai kurz nach seinem 95. Geburtstag im florentinischen Settignano gestorben. Daniel Hauser

 

Üppiger Aufwand ohne Nachhaltigkeit

 

Zwei ganz unterschiedliche Inszenierungen von Henzes Bassariden an einem einzigen Tag kann sich der Berliner Opernfreund zu Gemüte führen, wenn er am Nachmittag die gerade bei Arthaus erschienene Blu-ray Disc aus dem Salzburg von 2018 und am Abend die Produktion der Komischen Oper live genießt. Fast möchte man meinen, es handle sich um zwei unterschiedliche Stücke, so grundverschieden ist die Herangehensweise der Regisseure Barrie Kosky in Berlin und Krzystof Warlikowski in Salzburg, stehen strenge Stilisierung und üppiges sich Austoben mit allem, was Phantasie und Technik  zuwege bringen, einander gegenüber, wobei, das sei schon vorausgeschickt, letzterer zwar zunächst überwältigt, ersterer aber den stärkeren, weil dauerhafteren Eindruck beim Zuschauer hinterlässt. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Besetzung in drei Hauptpartien identisch ist.

Die Bühne der Felsenreitschule bietet Bühnenbildnerin Malgorzata Szczesniak die Möglichkeit, mit Hilfe der wechselnden Beleuchtung (Felice Ross) von einem Handlungsort zum nächsten überzublenden, der erste ist das Schlafzimmer der Agave, aus dessen Schrank heraus der verklemmt wirkende Sohn Pentheus die in ein Korsett der Marke „Triumph krönt die Figur“ gezwängte Mutter  heimlich beobachtet. Dies geschieht zur Musik des Prologs, den man hier ebenso wie das Intermezzo beibehalten hat.  Im Königssaal liegt die ja eigentlich zu Asche zerfallene Semele in einem Schneewittchensarg, aus dem sie am Schluss, ehe er die Burg von Theben mit einem sehr unzuverlässigen Feuerzeug in Brand steckt, ihr Sohn Dionysus befreit. Das einzige Requisit aus antiker Zeit sind Helm und Schwert des Pentheus, ansonsten herrschen moderne Zeiten in der Welt der Kostüme, geht es orgiastisch zu, dann herrscht Schiesser-Feinripp vor, wenn man nicht wie Solotänzerin und Choreographin Rosalba Torres Guerrero nach Ablegen eines übersparsamen Glitzerbikinis ganz nackt die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sich in bewunderungswürdiger Weise tänzerich-akrobatisch verausgabt, aber doch zu sehr von Dionysus bzw. Pentheus ablenkt und im Zuschauer die Besorgnis aufkommen lässt, sie könne sich mit dem irren Kopfschütteln eine Gehirnerschütterung zuziehen. Insgesamt ist auch diese Orgie auf der Bühne wie die meisten nicht ohne eher komische als erotisch aufwühlende Elemente, so das übermäßig häufige auf den Popo Klopfen im Intermezzo, in dem die Königstöchter hechelnde Hundesklaven an der Leine führen. Sehr schön sind die Kostüme der Mänaden im letzten Teil, für die ebenfalls Malgorzata Szczesniak verantwortlich ist.

Sean Panikkar sieht nicht nur exotisch aus, sondern verleiht dem Dionysus auch eine süß sich einschmeichelnde Tenorstimme. Schneidend eindringlich klingt sein langgezogenes „No“. Eher viril-gestanden, nicht jünglingshaft, aber er ist ja auch ein Bariton, hört sich der Pentheus von Russell Braun an. Nicht nach steht ihm an baritonaler Autorität Karoly Szemeredy als Hauptmann. Mit kraftvollem Tenor singt Nikolai Schukoff den Tiresias, eindrucksvoll in der Urteilsverkündigung als Calliope, während Willard White als Cadmus nur optisch hinfällig im Rollstuhl, vokal aber potent sowohl im ergreifenden „Fall night“ wie in der Anrufung des Todes ist. Eine noch recht junge, elegante Amme gibt Maria Dur mit eindringlicher Bitte und schöner Klage, weich, rund und farbig ist der Mezzo von Tanja Ariane Baumgartner als Agave, während Vera-Lotte Böcker unangefochten in die höchsten Sopranhöhen steigt. Pure, rauschhafte Prachtentfaltung gibt es durch die Wiener unter Kent Nagano, der Wiener Staatsopernchor steht dem Orchester in nichts nach (Arthaus 109413). Ingrid Wanja 

 

Tee bei Wagners

 

Was ein rechter Wagnerianer ist, der findet sich in dieser Inszenierung sofort zurecht, kennt er sich doch im Gartensaal von Wahnfried so gut wie im eigenen Wohnzimmer aus. Auf diesem Wiedererkennungseffekt baut die aktuelle Bayreuther Inszenierung der Meistersinger (von 2017), in der Barrie Kosky zum Tee bei den Wagners lädt. Während der Meister noch die Hunde im Hofgarten ausführt, haben sich schon einige Freunde eingefunden, darunter Liszt und Levi. Es gibt unendlich viel zu sehen. Hier macht die DVD Sinn. Wie Wagner eine Batterie an Parfums auspackt und die Freunde einnebelt, diese mit ihren Teetassen klappern, Cosima bei seinem Getöse am Klavier die Fingerspitzen an die Schläfen hält und nach ihrer Medizin verlangt und die Miniaturwagners nacheinander dem Flügel entsteigen, das alles ergibt eine putzige Familienszene wie von einem Genremaler des 19. Jahrhunderts entworfen und wird von der Kamera dicht eingefangen, manchmal aus einem merkwürdigen Blickwinkel von schräg oben. Kosky macht aus diesem ersten Akt eine köstliche Gesellschafts-, Familien- und Sittenkomödie, bei der die Versammlung andächtig dem Choral aus der Nürnberger Katharinenkirche lauscht, Cosima, Richard und Liszt kniend, Levi erst nach heftigem Drängen Wagners ebenfalls auf die Knie sinkt, bis endlich eine der im Hause Wagner so beliebten Scharaden anfängt und der junge Wagner alias Walther von Stolzing Cosima, die sich für die Eva ein Tuch umwirft, den Hof macht. So geht es ständig hin und her zwischen Wagners Haushalt und seiner Schöpfung, von Kosky klug und gewitzt in geschäftige, teils intime und teils polternde Bilder gefasst, dass man mehr hinschaut als hinhört. Dabei sorgt Philippe Jordan für einen federleichten, quecksilbriges Parlandoton, als werfen sich Bühne und Graben ständig die Bälle zu. Im Lauf des kurzweilig langen Abends fehlen der Blick aufs Ganze, die erfüllte Ruhe für die kontemplativen Momente und das rechte Gewicht für die Festwiese.

Die bei ihrer Reprise im zweiten Festspieljahr eingehend auf operalounge.de beschriebene Aufführung ist auch auf  der DVD (DG 2 DVD 004400735450) aus dem Premierenjahr 2017 ein großes Vergnügen. Das liegt auch an Kosky, der nicht einfach ein Famiilienalbum aufschlägt oder einen Tag im Jahr 1875 nachbildet, bei dem die berühmten Porträts Richards und Cosimas präsentiert werden, sondern von Wahnfried und dem mittelalterlichen Nürnberg aus Wagners Phantasie in seinem inszenierten Exkurs über „Das Judentum in der Musik“ weiterschreitet ins 20. Jahrhundert mit den „Stürmer“-Fratzen im zweiten Akt und schließlich dem Saal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse am Ende (Bühne Rebecca Ringst). Alles ist handwerklich souverän, geradezu operettenartig leicht und kühn umgesetzt. Die Aufführung, die Geschichte schreiben wird, erlebt man mit diesen DVDs nochmals mit Gewinn. Michael Volles farbenreich gestalteter, weiser, aber auch selbstgefälliger Sachs und der seraphimkeusche Stolzing Klaus Florian Vogts sind bereits klassische Interpretationen. Beckmesser war, allen Besetzungshöhen und -tiefen zum Trotz im Bayreuth stets gut besetzt. Der eminente Singdarsteller Johannes Martin Kränzle reiht sich nach Prey, Andreas Schmidt, Volle, Eröd würdig in die Beckmesser-Statistik ein, singt mit präziser Diktion und spielt alle Facetten dieser Figur aus. Günther Groissböck ist ein praller Pogner. Neu war Daniel Behle, der sich nicht lange mit dem Lehrbuben David aufhalten wird. Anne Schwanewilms war verständlicherweise nur im ersten Jahr der Inszenierung dabei, die Besetzung der Eva bereitet Schwierigkeiten.     Rolf Fath

Gemeinsame Mission

 

Normalerweise berichten wir in operalolunge.de – wie es unser Name ja vorgibt – über Stimmen und Opern und Chorwerke, gelegentlich über Lieder und Liedsänger. Ungewöhnlich ist deshalb – für uns – ein Interview mit einem Liedbegleiter, in diesem Fall der Pianist Daniel Beskow, der mit „seinem“ Sänger Johannes Held eine enge künstlerische Symbiose eingegangen ist. Stefan Pieper hat ihn anlässlich der neuen Winterreise bei Ars (Franz Schubert: Winterreise; Johannes Held: Bariton ; Daniel Beskow: Klavier ; ARS Produktion 2019) zu einem Gespräch getroffen: In Johannes Held fand Daniel Beskow seinen idealen Weggefährten für eine spannende Reise (die in operalounge.de besprochen wurde). G. H.

 

Daniel Beskow (r) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Es war im Fall von Johannes Held und Daniel Beskow eben nicht so, dass ein Sänger sich einen Pianisten als „Begleiter“ sucht. Im vorliegenden Fall waren der Pianist und der Sänger gleichermaßen auf der Suche nach einem Partner, um die für sie großen Werke des Liedgenres anzugehen. Als Beskow in Kopenhagen den Sänger Johannes Held hörte, hatten sich zwei gefunden. Die Zeit war für  einen gemeinsamen Weg richtig. In ihren ambitionierten Lieder-Programmen wollen die beiden seitdem ein kulturelles Erbe weiter geben. Dabei kommen auch unkonventionalle visuelle Darstellungsformen ergänzend zum Einsatz. Davon abgesehen fühlt sich Daniel Beskow gerade in solchen Lied-Besetzungen pianistisch zuhause. Denn auch für einen Pianisten sind nicht die Noten alles. Denn jedes Wort aus dem Liedertext findet im Klavierpart unmittelbare Abbildung.

 Neben Ihrer Karriere als Solist ist Ihre Rolle als Kammermusikpartner und eben auch Duopartner beim Liedgesang zum zentralen Aspekt geworden. Wie kam es dazu? Ich möchte mit meinem Spiel Sängerinnen und Sänger inspirieren und umgekehrt von diesen inspiriert werden. Der Gesang wurde zum Hauptaspekt. Ich habe bis ins Jahr 2012 meist solo und mit Orchester gespielt, ebenso im Trio mit Cellisten, Violinisten und dann immer mehr in Gesangsbesetzungen. Die Arbeit mit Gesang erweitert meinen Horizont ungemein. Immer mehr komme ich dabei zur Erkenntnis, dass das Piano genauso viel vom Text transportiert wie der Gesang. Alles, was ich im Piano spiele ist im Text enthalten, sämtliche Symbole kommen hier vor. Genau das fasziniert mich sehr.

 

Im Booklet zur CD-Ausgabe bei Ars schreibt Johannes Held, dass sie beide unabhängig voneinander schon lange mit Schuberts Winterreise befasst waren. Was war Ihr persönlicher Zugang?  Ich habe die Winterreise durch meinen Großvater kennen gelernt. Der hat diese Lieder zuhause gesungen und ich war sehr beeindruckt davon. Als ich Teenager war, haben wir den Text zusammen studiert. Ich habe die ganze Bedeutung erfasst und war infiziert. Es sind auch persönliche Erlebnisse aus der Vergangenheit mit eingeflossen, da haben Johannes und ich durchaus mal ähnliche Erfahrungen mit gebrochenen Herzen gehabt. Aber das ist lange her und rangiert unter Jugenderlebnissen. Heute leben wir beide in glücklichen Beziehungen. (lacht)

Als ich viel später dann meine Karriere vorantrieb und dafür auch in Kopenhagen studierte, aber damals hauptsächlich Solistenkonzerte gab, habe ich Johannes in der Opernakademie Kopenhagen getroffen. Wir tauschten uns aus und erkannten, dass Schuberts Winterreise auch für ihn eine tiefe persönliche Bedeutung hatte. Auch er war sehr tief darin involviert. Wir kamen immer mehr ins Gespräch und haben endlos darüber geredet. Letztlich brauchte es aber noch bis ins Jahr 2013, das die Zeit für ein gemeinsames Projekt reif war. Es kam aber erst nach unserem Examen zu einer Aufnahme der Winterreise.

 

Ihre Aufführungen markieren ja schon etwas Ungewöhnliches, wenn Sie optische darstellerische Elemente mit einbeziehen. Was war die Idee dahinter? Schon bald hatten wir den Impuls, etwas anderes und Neues aufzubauen. Johannes entwickelte das Konzept einer Bühnenversion, bei der die Musik um Bilder von Jörn Kaspuhl erweitert wird. Er ist ein deutscher Illustrator und arbeitet hauptsächlich für Printmedien. Im Konzert präsentieren wir Bilder, die 2 mal 3 Meter groß sind und als optische Erzählebene die Geschichte bereichern. Regisseur Ebbe Støvring Knudsen half uns bei der Umsetzung und durch ihn konnten wir auch eine erste, nicht-öffentliche Vorstellung in den Räumen der königlich-dänischen Oper in Kopenhagen machen. Mittlerweile haben wir die Winterreise – sowohl szenisch, als auch konzertant circa 60 mal in Skandinavien, Deutschland und Österreich aufgeführt. Unser Anliegen ist es, ein jüngeres, breiteres Publikum ansprechen und mehr Leute in Skandinavien neugierig machen. Die Bilder helfen einmal mehr, in die erzählte Geschichte hineinzuziehen, auch bei Menschen, die des Deutschen vielleicht nicht so mächtig sind.

 

Daniel Beskow (r) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Welche elementaren psychologischen Inhalte der Winterreise sind für die Menschen in heutiger Zeit von Bedeutung? Je mehr wir uns eingearbeitet haben, desto vieldeutiger erschien uns dieser Stoff. Schuberts Winterreise ist viel universeller, als dass man sie nur auf die Leidensgeschichte eines Verlassenen reduzieren mag. Die geschilderte Einsamkeit könnte auch auf jemand bezogen sein, den die Gesellschaft ausstößt – oder ist es die Empfindungswelt eines Flüchtlings? Es steckt sehr viel drin, was auf die Welt von heute passt. Außerdem sind da diese rätselhaften, mystischen Aspekte: Im letzten Lied taucht dieser merkwürdige Leiermann auf. Keiner weiß, wer diese obskure Gestalt wirklich ist. Die meisten sagen, es ist der Tod, aber das ist keineswegs eindeutig fest geschrieben. Überhaupt passieren viele Dinge nur in der Imagination. Auch das ist psychologisch sehr interessant.

 

Gibt es eine Botschaft, die Sie Ihrem Publikum vermitteln wollen?  Wir suchen nach zeitgemäßen Wegen, den Reichtum dieser Lieder auf lebendige, spannende Weise zu vermitteln. Da ist so viel Inhalt und Ausdruck enthalten, der jeden unmittelbar berührt. Egal ob Die schöne Müllerin oder die Winterreise. Die größten Meisterwerke ihrer Zeit haben für heute noch so viel zu sagen. Leider sind die Wege der Vermittlung im Konzert etwas trocken und steif, einfach zu konservativ.

 

Daniel Beskow (links) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Das Foto im Booklet von Ihnen beiden drückt sehr viel aus: Sie beide wandern durch eine Winterlandschaft. Ihr Gesichtsausdruck spricht eine tiefe, ernste Verbundenheit. Widerspiegelt Sie Ihr gemeinsames Anliegen? Die Fotos entstanden in Österreich aufgenommen, als wir morgens laufen waren. Ja, es widerspiegelt eine sehr konzentrierte Stimmung in den Tagen der Aufnahme. Wir wollen ehrlich mit dem Text umgehen. Aber auch eine persönliche Freiheit, darin zu leben und alles mit unserem Leben zu füllen. In diesen Liedern ist so viel drin und wir sind auf einer tiefen Ebene damit verbunden. Die gemeinsame Wellenlänge ist hier alles: Wir bewundern uns gegenseitig und hatten von Kleinauf diese tiefe Verbindung. Die Zusammenarbeit kam erst später. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht, nicht zuletzt auf unseren Reisen. Wir ergänzen uns, gehen einen gemeinsamen Weg voran. Und es ist wichtig, an so einem Prozess Spaß zu haben. Wir haben uns schon in verschiedenen Zyklen bewährt, einschließlich der Schönen Müllerin, Heine-Lieder von Schubert und Schumann, Beethovens An die ferne Geliebte, und zuletzt Lieder von Finzi nach Texten von William Shakespeare. Die Winterreise steht aber über allem. Sie war unser Debüt und ist immer noch unser zentrales Projekt.

 

Gibt es Reibungen und Differenzen? Wir ticken schon etwas unterschiedlich: Ich bin sehr zielorientiert und habe ein konkretes Bild im Kopf. Johannes ist eher darauf aus, alles sehr offen zu empfinden. Der Weg ist gewissermaßen das Ziel. Gerade aus dieser Spannung erwächst eine produktive Symbiose.

 

Daniel Beskow und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Welche Bedeutung hat Schuberts Winterreise in Skandinavien? Die Winterreise ist auch in Skandinavien ein sehr berühmter Liederzyklus – auch, wenn sie natürlich hier nicht so ganz zentraler Bestandteil der Kultur ist wie in Deutschland und Österreich. In Skandinavien ist auf jeden Fall noch viel Luft nach oben, um diesen Zyklus bekannter zu machen.

 

Was sind Ihre Zukunftspläne? Und wie denken Sie über das heutige Konzertpublikum? Das Durchschnittsalter wächst nach oben. Zugleich gibt es immer mehr junge Musiker wie Sie, die hungrig danach sind, sich auf der Bühne auszudrücken. möchten diese großen Meisterwerke aufführen und noch mehr CDs zusammen aufnehmen. Es ist eine große Freude, zum Teil dieser großen Stücke zu werden und an diesen zu arbeiten und durch diesen Prozess durchzugehen. Wir sind auf einem guten Weg und es gibt noch viel zu tun. Eigentlich sind wir erst am Anfang.

Ich sehe diesen Zwiespalt zwischen alterndem Publikum und jungen Musikern genauso – vor allem wenn man den Kern der Winterreise betrachtet: Diese Musik und die Texte von Wilhelm Müller handeln von einem Menschen in einem jungen Lebensabschnitt. Es geht um tiefe, innerliche Gefühle. Um Romantik. In der Winterreise ist dies alles enthalten. Ich bin zuversichtlich, dass diese Emotionalität wiederkommt. Trotz so vieler Ablenkungen durch Internet, Soziale Medien etc. geht der Hunger danach nicht verloren – uns geht es darum, hier Fenster zu öffnen. Ich sehe also eine Chance für neues Publikum. Dieses zu begeistern, ist ein ganz wichtiger Teil unserer Mission.

 

Ein schöner Mann

 

Auf weißem Grund prangen wie gemeißelt großformatige goldene Buchstaben, der Name Jonas Kaufmanns, dessen Abbild relativ kleinformatig in Schwarz-Weiß-Druck wie verlegen über den Aufwand eines dickleibigen Bildbands zu seinen Ehren die Arme verschränkt und lachend den Blick senkt. Drei Texte gehen den zahlreichen Abbildungen voraus und sind typisch für den Umgang in deutschsprachigen Landen mit dem Starruhm welcher Art auch immer, besonders aber in der Klassik.

Nikolaus Bachler, Intendant in München, wo der Tenor viel singt, rühmt an ihm, dass er die Sehnsucht der Menschen in der heutigen heroenlosen Zeit nach dem wahren Helden stillt, womit er nur bedingt recht hat, denn Kaufmann brillierte gerade auch mit der Darstellung des allzu sensiblen Antihelden wie Werther oder Don Carlo. Er schätzt an ihm das unermüdliche Ringen „um das Wesen seiner Kunst“ und meint, dass dies auch seine Beliebtheit beim Publikum bedinge. Aber würde das Publikum einen 450seitigen Bildband kaufen, wenn der Gefeierte zwar eine ebenso schöne Stimme und künstlerischen Ernst zeige, aber glatzköpfig, dicklich und bebrillt wäre?

Christine Cerletti, die nicht mehr in die Oper geht, weil die moderne Regie sie abschreckt, stieß über die „Wintereise“ und die in ihr eingesetzte Tenorstimme auf das Phänomen Kaufmann und entschloss sich wegen der Stimme, nicht nur Mäzenin, sondern auch Mitarbeiterin am vorliegenden Werk zu werden.

Thomas Voigt, Biograph Kaufmanns, lobt die Wandlungsfähigkeit seines Künstlers, der nie in Routine erstarre.

Nicht einer der Drei erwähnt, dass Jonas Kaufmann ein ungewöhnlich schöner, charmanter, Sexappeal ausstrahlender Mann ist, dass zunächst einmal aus diesem Grund Hunderte von Fotos für den Betrachter sehenswert sind und danach, je nach Betrachter mehr oder weniger, die sich in ihnen demonstrierende Wandlungsfähigkeit. In Italien geht man mit la bellezza unbefangener um, überbetont ihre Bedeutung vielleicht, verschweigt sie aber nicht, wie es hier in allen drei Beiträgen geschieht. Wer sich auf Youtube  „Parla più piano“ aus der Mailänder Scala ansieht, wird verstehen, woraus auch sich der Ruhm des deutschen Tenors nährt, was keine Schande ist und deshalb auch nicht verschwiegen werden sollte.

Die Artikel und Bildunterschriften gibt es in Deutsch und Englisch, Eine Bilderreise oder A Picture Journey lautet der Untertitel und nimmt den Leser, dem allerdings nur ein englisches Inhaltsverzeichnis geboten wird, mit durch einen Band wunderschöner Fotos, mal nach Komponisten geordnet (Mozart, Verdi, Puccini, Verismo, Wagner, französisches Repertoire, deutsches Repertoire), mal nach Situationen (Proben, Aufnahmen, Tourneen), mal nach Gattungen (Lied). Auf den Fotos findet sich bestätigt, was von Thomas Voigt behauptet wurde: die enorme Wandlungs- und Ausdrucksfähigkeit des Sängers, der auch nicht davor zurückschreckt, dem intensiven Ausdruck die Schönheit zu opfern. Am bewegensten sind die Abbilder des nachdenklichen, versonnenen, in die Musik versunken erscheinenden Jonas Kaufmann, aber jeder glückliche Besitzer des Buchs wird sich seine Lieblingsbilder aus dem unermesslich gehaltvollen Schatz zusammenstellen (Verlag für moderne Kunst 2019; 450 Seiten, ISBN 978 3 903269 75 0  ). Ingrid Wanja