Und noch ein Rossini aus Bad Wildbad

 

2012 veröffentlichte Decca Rossinis Dramma per musica Zelmira aus Pesaro in der Pariser Version von 1826 auf DVD. Nun legt Naxos nach und bringt das Werk in einer Produktion vom Festival Rossini in Wildbad 2017 auf drei CDs heraus (8.660468-70). Das Stück auf ein Libretto von Andrea Leone Tottola entstand auf Bestellung des einflussreichen Impresario Domenico Barbaja und wurde 1822 im Teatro San Carlo von Neapel uraufgeführt. Eine glanzvolle Besetzung war aufgeboten mit Rossinis künftiger Gattin Isabella Colbran in der Titelrolle sowie den beiden Startenören Giovanni David als Ilo, Prinz von Troja, und Andrea Nozzari als Antenore, Prinz von Lesbos. Als Barbaja auch die Leitung des Wiener Kärntnertortheaters übernahm, stand es außer Frage, dass Zelmira die erste italienische Saison in Wien eröffnen sollte. Die Sängerin der Emma, Zelmiras Vertrauter, die in Neapel noch keine Arie hatte, bekam nun ein Solo im 2. Akt („Ciel pietoso“), das fortan in fast alle Aufführungen der Oper eingegliedert war und auch in der von Bad Wildbad erklingt. Zudem ist jene Fassung des Schlussrondos zu hören, welche Rossini 1826 für Giuditta Pasta, regierende Diva des Théâtre-Italien in Paris, schrieb. Das ursprüngliche Finale für die Colibran („Riedi al soglio“) hatte er gekürzt und es auf drei Protagonisten verteilt.

Die Handlung fußt auf der französischen Tragödie Zélmire von Dormont de Belloy und berichtet von der Tochter des Königs Polidoro, Zelmira, die ihren alten Vater und ihren Sohn vor den Eroberern rettet, denen die Macht in den beiden Reichen von Mytilene und Lesbos gehört. Mit Silvia Dalla Benetta ist die Titelheldin hier einer Sopranistin anvertraut (während in Pesaro 2012 mit Kate Aldrich eine Mezzosopranistin besetzt war). Aber wie alle Colbran-Partien ist auch die Zelmira eine von hybridem Charakter, pendelnd zwischen den Stimmlagen. Die Italienerin verfügt über eine kraftvolle Stimme von ausreichender Flexibilität für die Koloraturpassagen, die ihr sogleich beim Auftritt in den beiden Terzetten abverlangt werden.

Als Tenöre konkurrieren der Türke Mert Süngü als Ilo und der Amerikaner Joshua Stewart als Antenore. Letzterer ist schon in der Introduzione zu hören und hat bereits hier exponierte Töne zu bewältigen. In seiner Arie „Mentre qual fera ingorda“, der sich die Cabaletta „Ah! dopo tanti palpiti“ anschließt, wartet er mit robuster, doch emphatischer Stimmgebung auf. Ilo beginnt mit der heroischen Cavatine „Terra amica/Cara! deh attendimi“, die ihn sofort bis in die Extremhöhe führt. Der Sänger erfüllt die Ansprüche dieser Nummer mit seinem metallischen Tenor beachtlich. Danach vereint er sich mit der Sopranistin im ausgedehnten Duett („Ah! se caro a te son io“) in kantabler Lyrik, aber auch vertracktem Zierwerk und einem bravourösen Schlussteil. Federico Sacchi gibt den Polidoro mit angenehmem, weichem Bass. Mi „Ah! già trascorse il dì“ fällt ihm die erste Cavatine der Oper zu, die er würdevoll vorträgt, nur in der Extremtiefe schmal klingt. Mit Ilo hat er im 2. Akt das Duett „In estasi di gioia“ zu singen, welches der Tenor auftrumpfend anstimmt und der Bass in gleichfalls euphorischer Stimmung fortführt.

Die in ihrem Fach renommierte Interpretin Marina Comparato singt die Emma und kann schon in einem wehmütigen Duettino mit der Titelheldin („Perché mi guardi“) mit empfindsamem Gesang auf sich aufmerksam machen, bevor sie in der bewussten, von Harfenklängen lieblich umspielten Arie zu Beginn des 2. Aktes mit innigem Ausdruck und kultivierter Linie gefällt. Die Cabaletta „Ah se è ver“ singt sie in schönem Fluss, nur in der Höhe etwas angestrengt klingend. Antenores Vertrauten Leucippo nimmt der Bassist Luca Dall’Amico wahr. Die Besetzung komplettieren der Tenor Xiang Xu als trojanischer Offizier Eacide und der Bariton Emmanuel Franco als der Hohepriester.

Mit Gianluigi Gelmetti steht ein versierter Orchesterleiter und Rossini-Spezialist am Pult der Virtuosi Brunensis. Schon in der Introduzione sorgt er für spannende Akzente mit den aufgewühlten Streicherfiguren und markanten Bläserstimmen. Der Górecki Chamber Choir (Mateusz Prendota) fällt ein mit dramatisch betontem Gesang. Das ausgedehnte Finale des 1. Aktes, der mit einer Dauer von fast zwei Stunden zu den längsten in Rossinis Schaffen zählt, hält Gelmetti  souverän zusammen, beginnend mit dem auftrumpfenden Chor der Krieger und Hofdamen „Si fausto momento“, dem mehrere dramatische Ensembles der Protagonisten folgen, darunter das Quintett „La sorpresa“, welches sich nach verhaltenem Beginn eindrucksvoll steigert. Auch vor dem Rondò Finale findet sich ein Quintett („Ne’ lacci miei cadesti“), das den dramatischen Konflikt der Handlung packend schildert und die Stimmen meisterhaft zusammenführt. Die letzte Szene verschafft der Heldin die gebührende Aufmerksamkeit mit ihrer flehentlichen Bitte „Da te spero“ und dem aufgewühlten „Dell’innocenza“, wo die Sopranistin von Gelmetti angefeuert wird und noch einmal alle Kräfte und Reserven sammelt. In „Riedi al soglio“ vereint sich ihre Stimme mit denen von Ilo und Polidoro zu einem triumphierenden Ensemble. Bernd Hoppe