Barockes Füllhorn

 

Gleich drei Counter-Stars sind auf einer Neuausgabe von Erato versammelt, die sich dem Schaffen des italienischen Komponisten Luigi Rossi widmet, der von 1597 bis 1653 lebte (0190295372309, 3 CDs). Aus seinen zwei Opern und mehr als 300 Kantaten, welche heute zumeist vergessen sind, hat Christina Pluhar eine Auswahl getroffen und zwischen 2005 und 2019 mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata aufgenommen. Die Ausgabe, die nicht weniger als 21 Weltpremieren aufweist, ist untergliedert in die Abschnitte La Lyra d’Orfeo und die zweiteilige Arpa Davidica. Prominente Solistin des ersten Stückes ist die französische Sopranistin Veronique Gens – neben ihrem Einsatz für das französische Repertoire eine ausgewiesene Spezialistin der Barockmusik. Die Aufnahmen dafür  erfolgten bereits im Jahre 2005, doch konnten sie wegen eines Rechtsstreites zunächst nicht veröffentlicht werden. Nach Beilegung des Konfliktes entschloss sich die Dirigentin und Harfenistin, nach weiteren Werken Rossis zu suchen, der auch Harfenist war, weshalb ihm Pluhars große Liebe gehört. Aus ihren Bemühungen resultierten 2019 die beiden Alben Arpa Davidica, in denen sie neben der Sopranistin Céline Scheen und der Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli die drei Counter Philippe Jaroussky, Jakub Józef Orlinski und Valer Sabadus besetzte.

Der erste Teil trägt den Titel La Lyra d’Orfeo deshalb, weil sich eine von Rossis beiden Opern Orfeo nennt. Sie wurde uraufgeführt in Paris, wohin Rossi 1646 gegangen war. Daraus singt Gens drei Szenen: Euridices „A l’imperio d’Amore“ und „Mio ben“ sowie des Titelhelden„Lasciate Averno“. Ihr Vortrag ist geprägt von kultivierter Tongebung und Feinsinnigkeit im Ausdruck.

Aus Rossis zweiter Oper Il palazzo incanto (Uraufführung: 1642 in Rom) erklingen eine lyrisch empfindsame Szene zwischen Pittura und Rivi,„Vaghi rivi“, sowie zwei instrumentale Beiträge (der Ballo di fantasmi und ein  Ritornello), in denen das Ensemble L’Arpeggiata mit farbigem und akzentreichem Spiel erfreut. Die Auswahl auf der ersten CD wird ergänzt durch weitere Instrumentalstücke (eine Sinfonia von Giovanni Felice Sances und„Dormite, begl’occhi“ aus Orfeo), einige Arien aus Kantaten und das ausgedehnte, leidvolle  Lamento di Arione „Al soave spirar“.

Die CDs 2 und 3 sind den beiden Teilen von L’Arpa Davidica vorbehalten. Da hört man weitere Ausschnitte aus Il palazzo incanto und Orfeo. Zudem gibt es die Lamenti der Olimpia und der Erminia sowie weitere Kantaten-Arien. Gleich die erste, „Dopo lungo penare“, ist eine Besonderheit – zum einen, weil sie von heiterem Charakter ist (eine Seltenheit bei Rossi), zum anderen, weil sie einige Worte enthält, die gesprochen werden sollen. Orlinski singt sie kokett und bindet die gesprochenen Laute geschickt in die Gesangslinie ein. Es folgt Jaroussky mit „M’uccidete begl’occhi“, das den gebührend klagenden Ton aufweist. Danach verbindet er seine Stimme harmonisch mit dem Sopran in „Ai sospiri“ – auch diese Arie ist von  schmerzlichem Charakter. Dann stellt Orlinski mit einer Canzonetta, „Da cielo cader“, ein Werk von Marco Marazzoli (1602 – 1662) vor, bringt später noch mit „Dimmi sogno pittore“ eine anonyme Komposition zu Gehör. Seine Stimme ist auch hier sinnlich, weich und ausgeglichen. Dritter Counter ist Sabadus mit der Arie „Gelosia ch’a poco a poco“, die vom Orchester mit erregten Figuren eingeleitet wird, was der Solist mit eben solchen Koloraturketten fortsetzt. Die Mezzosopranistin stellt sich mit zwei Titeln vor – der Arie „Sol per breve momento“ aus Il palazzo incanto und dem Lamento di Olimpia,  lässt eine obertonreiche, androgyn wirkende Stimme hören. Von heiter-tänzerischem Charakter ist das abschließende Instrumentalstück, „L’Avignone“ aus Il palazzo incanto, bevor der zweite Teil der Arpa Davidica mit der Arie „Quando spiega la notte“ anhebt, die Scheen mit nobler Empfindung vorträgt. Nochmals sind die beiden Counter Orlinski und Sabadus vertreten – ersterer mit der schwermütigen Arie „Io piangea presso d’un rio“, der zweite mit Orfeos „Lagrime, dove sete“ von gleichfalls schmerzlichem Charakter. Der Schluss ist der Initiatorin und Leiterin dieses aufwändigen Projektes vorbehalten: Christina Pluhar spielt die Passacaille del seigneur Luigi an der Harfe.

Rossis Kompositionen sind Ausdruck des galanten Stils und spiegeln den Geschmack wider, der in den Pariser Salons vorherrschte. Seine  Musik erklang aber auch in der Bibliothek des Königs, in den Privatkonzerten des Adels und in den Aufführungen der Académie Royale de Musique. Die informative Erato-Ausgabe, deren Cover Domenico Zampieris berühmtes Gemälde von König David mit der Harfe (heute im Schloss von Versailles) schmückt, bietet eine willkommene Gelegenheit, das Schaffen dieses Komponisten in seiner grandiosen Fülle und Vielfalt zu entdecken. Bernd Hoppe