Es war ein großer Tag für Piacenza. Zu Ehren der vor 800 Jahren verstorbenen Heiligen Franca da Vitalta gelangte im Frühjahr 2018 im Kloster Benedettino di San Raimondo, wo sie bestattet wurde, das vierteilige Oratorium zur Uraufführung, das die Geschichte der Benediktiner-Nonne erzählt, die als Kind in das Kloster San Siro eintrat und mit 24 Jahren Äbtissin von San Sisto wurde. Das Werk, das ein Stück immer noch lebendiger Stadtgeschichte präsentiert, wurde anschließend in der Renaissance-Kirche San Sisto aufgenommen (Tactus TC 991601), für deren Hochaltar übrigens Raffael seine in Dresden hängende Sixtinische Madonna malte. Mit ihrer Anhängerin Carenzia Visconti führte Franca im Zisterzienserkloster von Rapallo ein von absoluter Strenge geprägtes religiöses Leben und begründete mit der finanziellen Unterstützung der Visconti als dessen erste Äbtissin das Kloster in Montelana, dessen Gemeinde sich schließlich bei Pittolo niederließ, wo sie bald darauf starb. 1273 wurde sie heiliggesprochen. Francas Glaubenskämpfe und Ringen mit den Schwestern und ihr heute noch im religiösen Leben von Piacenza gegenwärtiger Kultus bildete der 25jährige in Piacenza geborene und als Organist und Komponist tätige Federico Perotti auf mehreren Zeitebenen ab: Francas Lebenszeit in den Dialogen zwischen Franca, Carenzia und Binia – die Sopranistinnen Carlotta Colombo und Anna Piroli und die Mezzosopranistin Cristina Calzolari – die im 17. Jahrhundert einsetzende biografische Beschäftigung mit der Heiligen, in der der Bassbariton Renato Cadel die Rolle des Historikers Pier Maria Campi einnimmt, und letztlich außerhalb der eigentlichen Handlungsstränge der vom Chor, Coro Vox Silva, illustrierte Fluss der Zeit. Ebenso geschickt mischt der junge Komponist im Sinn seines Lehrers Salvatore Sciarrino die musikalischen Stile und Ebenen von gregorianischen und Renaissance-Mustern und direkten Zitaten, die er in ein Netzt meditativer Passagen mit Anklängen bis an die Minimalmusic einbindet, und die neben folkloristischen und volkstümlichen Weisen Perottis Werk eine Stimmigkeit verleihen, die sicherlich bei den Aufführungen in Piacenza zwingender ausfiel als auf der von ihm geleiteten CD, wo das Oratorium etwas sperrig wirkt.
Eine andere Nonne stellt uns die aus Südossetien stammende Sopranistin Veronika Dzhioeva auf Ritorna Vincitor! (Delos DE 3575) vor. Angelicas „Senza mamma“ gehört zu den Höhenpunkten dieser Auswahl, die von Verdi (Lady, Amelia, Aida, beide Leonoren) über Puccini (Tosca, Butterfly) bis zur Adriana Lecouvreur und Maddalena reicht, da sie die zu Herzen gehende Verzweiflung der Nonne mit emotionaler Kraft und schönen Schattierungen, mit einer zarten, aber dennoch kraftvollen Stimme umsetzt. Ansonsten wirkt diese von Constantin Orbelian mit dem Kaunas City Symphony Orchestra wie stets animierend und sängerfreundlich begleitete Folge von Arien als das, was sie sein soll, eine Visitenkarte, auf der die einzelnen Arien noch nicht sauber aufpoliert und ausgedeutet sind, manches sehr vielversprechend angedeutet wird, es ihrer Tosca einfach an Temperament fehlt. Hart ist der Wechsel von der Lady zur Adriana, erste ein recht pauschaler Kraftakt, clean wie alles von Dzhioeva, die zweite in den Pianopassagen von großer Klangfülle und dabei beherrschter Sensibilität. Von den Verdi-Ausschnitten überzeugen am meisten die Amelia und vor allem die Aida, die sie in Nowosibirsk und Helsinki gesungen hat und demnächst in Kiel und Zürich vorstellen wird; mit Erstaunen sieht man auf Operabase, dass sie 2014 in Hamburg auch Violetta gesungen hat – ihre Jaroslawa 2012 ebenfalls in Hamburg dürfte einer der ersten Auftritte im Westen gewesen sein – , was die leichte und gute Höhe in „Tacea la notte“ erklärt.
Auch in Hamburg war ab den 1990er Jahren die chinesische Mezzosopranistin Ning Liang als Rosina, Dorabella oder Maddalena zu hören. Liang ist eine nicht unrenommierte Sängerin, deren Verpflichtungen vom Octavian 1993 an der Met bis zu La Cieca im Frühjahr 2019 in Brüssel reichen. Liang Ning sings operatic Arias by Mozart and Gounod and chinese classics (Marco Polo 8.225825) zeigt diese Spannweite nicht, stammt von 1984 aus Peking, wirkt wie der Abschlussabend einer Hochschulabsolventin und wurde tatsächlich in der „Hall of the Central Conservatory“, immerhin mit dem Orchestra of the Central Opera (unter Zheng Xiaoying), aufgenommen. Liang singt Sextus und Vitellia, Gounods Stéphano und Siébel; die sechs chinesischen Volkslieder dürften für Freunde chinesischer Musik den Repertoirewert dieser CD heben.
Musikalischer Ortswechsel: An American Song Book legt Melody Moore vor. Darin finden sich im Unterschied zu den im Great American Songbook versammelten ewigen Songs der amerikanischen Unterhaltungsmusik 31 Lieder der Klassiker Samuel Barber, Carlisle Floyd, Aaron Copland und Gordon Getty. Im Beiheft der wie immer bei Pentatone gut ausgestatteten CD (PTC 5186770) werden Stimmen zitiert, die die amerikanische Sopranistin mit Tebaldi und Tucci vergleichen, wird ebenfalls erwähnt, dass ihre Karriere einen Sprung machte, als sie 2012 in Los Angeles nach dem ersten Akt für Gheorghiu als Tosca einsprang. Bereits seit der Jahrtausendwende konzentriert sich Moores Karriere auf Süd- und Nordamerika, wo sie von Marguerite bis demnächst Elektra ein weites Fach bewältigt. Moore zeigt sich durchgehend als kluge und sorgfältige Interpretin dieser Lieder und Zyklen, deren Texte sie klar, präzise und mit intellektueller Schärfe und einem in allen Lagen präsenten, natürlich anspringenden, nicht unbedingt individuellem Sopran und intensiver Höhe zum Klingen bringt, seien es die einst von Leontyne Price 1953 uraufgeführten Hermit Songs von Barber, Floyds fünf von Phyllis Curtin kreierte Lieder The Mystery von 1959, die erst posthum veröffentlichten impressionistisch-spätromantischen gefärbten Four Early Songs von Copland oder der erst jüngst, 2018, uraufgeführten Zyklus These Strangers von Jake Heggie mit Gedichten von Emily Dickinson, Walt Whitman und Martin Niemöller („Als die Kommunisten holten“, hier als „I did not speak out“). Pentatone pflegt intensiv den 1933 geborenen Gordon Getty. Mit ihrer patenten Professionalität und der kompetenten Begleitung von Bradley Moore bringt Moore u.a. eine Arie aus Gettys Oper Goodbye, Mr. Chips sowie mehrere Lieder, darunter stimmungsvolle Arrangements von „Deep River“ und dem bittersüßen „Danny Boy“, zur Wirkung. Rolf Fath
Bewegend (und auch von Nonnen gelegentlich gesungen) ist das Requiem op. 9 von Maurice Duruflé (1902-1986), das in einer vorzüglichen Aufnahme durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Robin Ticciati beim Label LINN erschienen ist. Wie in dem Requiem von Gabriel Fauré, das sich Duruflé zum Vorbild nahm, und dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms stehen weniger das Jüngste Gericht und die Schrecken der Hölle, sondern Trost und Hoffnung auf ewiges Leben im Vordergrund. Das Requiem hat eine etwas bizarre Entstehungsgeschichte: 1941 erhielt Duruflé von dem kollabierenden Vichy-Regime den Auftrag, ein Orchesterstück, eine sinfonische Dichtung, zu komponieren. Aus nicht mehr bekannten Gründen, möglicherweise zum Gedenken an die Unzahl von Toten des Weltkriegs, entschloss er sich jedoch, ein Requiem für Chor und Orchester zu schreiben, an dem er noch arbeitete, als die Vichy-Regierung 1944 zusammenbrach. Zu Allerheiligen 1947 wurde das Requiem in der Fassung für Mezzosopran- und Bariton-Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel uraufgeführt. Im Zentrum des Werks steht die Bitte Pie Jesu, die wie bei Fauré von einer solistischen Frauenstimme gesungen wird. Ursprünglich war wie im Deutschen Requiem von Brahms auch ein Solo-Bariton vorgesehen, doch hat Duruflé später geäußert, dass er einstimmigen Gesang des Chor-Basses für diese Passagen bevorzuge. So geschieht es auch bei der vorliegenden Aufnahme. Wunderbar ausgewogen zeigt sich der von Gijs Leenars einstudierte, ausgezeichnete Rundfunkchor Berlin, der in allen Teilen des Werks die ineinander verwobenen Melodiebögen im Stil der gregorianischen Themen (Duruflé) ausdrucksstark nachzeichnet. Das anrührende Pie Jesu gestaltet Magdalena Kozená mit angemessen ruhiger Führung ihres farbenreichen Mezzos. Insgesamt imponiert die souveräne Beherrschung der vielschichtigen Partitur durch das in allen Instrumentengruppen kompetente Symphonie-Orchester Berlin unter seinem Chefdirigenten Robin Ticciati, dem es in besonderer Weise gelingt, die vielfältige Farbigkeit des bedeutenden geistlichen Werks herauszuarbeiten. Das gilt in gleichem Maße für die dem Requiem vorangestellten, um 1900 entstandenen Nocturnes von Claude Debussy, die sich mit ihrem Rückgriff auf gregorianische Elemente und auch wegen der impressionistischen Vokalisen in Sirènes gut eignen, auf einer CD gemeinsam mit dem Requiem veröffentlicht zu werden (LINN CKD 623). Gerhard Eckels